VEGM Art. 61 - Piloturteilsverfahren

Einleitung zur Rechtsnorm VEGM:



Die Verfahrensordnung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) regelt die Abläufe und Regeln für Klagen vor dem Gerichtshof, einschliesslich der Behandlung von Beschwerden von Einzelpersonen oder Gruppen gegen Staaten wegen Verletzungen der Europäischen Menschenrechtskonvention. Sie umfasst Bestimmungen zur Zulässigkeit von Beschwerden, Beweisführung, Anhörung der Parteien, Entscheidungsfindung, einstweilige Massnahmen und Vollstreckung von Urteilen. Die Verfahrensordnung des EGMR ist ein wichtiges Instrument zur Sicherung der Menschenrechte in Europa und zur Stärkung des Schutzes der individuellen Rechte der Bürger.

Art. 61 VEGM vom 2022

Art. 61 Verfahrensordnung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (VEGM) drucken

Art. 61 Piloturteilsverfahren

(1) Der Gerichtshof kann beschliessen, ein Piloturteilsverfahren durchzuführen, und ein Piloturteil fällen, wenn sich aus dem Sachverhalt, der einer vor dem Gerichtshof erhobenen Beschwerde zugrunde liegt, ergibt, dass in der betroffenen Vertragspartei ein strukturelles oder systembedingtes Problem oder ein vergleichbarer sonstiger Missstand besteht, das beziehungsweise der zu entsprechenden weiteren Beschwerden Anlass gegeben hat oder zu geben geeignet ist.

  • (2) a) Bevor der Gerichtshof beschliesst, ein Piloturteilsverfahren durchzuführen, fordert er die Parteien auf, zu der Frage Stellung zu nehmen, ob der zu prüfenden Beschwerde ein solches Problem oder ein solcher Missstand in der betroffenen Vertragspartei zugrunde liegt und ob die Beschwerde sich für dieses Verfahren eignet.
  • b) Der Gerichtshof kann die Durchführung eines Piloturteilsverfahrens von Amts wegen oder auf Antrag einer Partei oder beider Parteien beschliessen.
  • c) Beschwerden, bei denen die Durchführung eines Piloturteilsverfahrens beschlossen wurde, werden nach Artikel 41 vorrangig behandelt.
  • (3) Der Gerichtshof bezeichnet in seinem Piloturteil die Art des von ihm festgestellten strukturellen oder systembedingten Problems oder sonstigen Missstands sowie die Art der Abhilfemassnahmen, welche die betroffene Vertragspartei aufgrund des Urteilsdispositivs auf innerstaatlicher Ebene zu treffen hat. (4) Der Gerichtshof kann im Dispositiv seines Piloturteils für die Ergreifung der in Absatz 3 erwähnten Massnahmen eine bestimmte Frist setzen, wobei er der Art der geforderten Massnahmen und der Geschwindigkeit, mit der dem festgestellten Problem auf innerstaatlicher Ebene abgeholfen werden kann, Rechnung trägt.(5) Wenn der Gerichtshof ein Piloturteil fällt, kann er die Frage der gerechten Entschädigung ganz oder teilweise offenhalten, bis die beschwerdegegnerische Vertragspartei die im Urteil bezeichneten individuellen und allgemeinen Massnahmen getroffen hat.
  • (6) a) Der Gerichtshof kann die Prüfung aller vergleichbaren Beschwerden gegebenenfalls zurückstellen, bis die im Dispositiv des Piloturteils bezeichneten Abhilfemassnahmen getroffen worden sind.
  • b) Die betroffenen Beschwerdeführer werden in geeigneter Form von der Zurückstellung unterrichtet. Sie werden gegebenenfalls von jeder neuen Entwicklung unterrichtet, die ihre Rechtssache betrifft.
  • c) Der Gerichtshof kann eine zurückgestellte Beschwerde jederzeit prüfen, wenn dies im Interesse einer geordneten Rechtspflege geboten ist.
  • (7) Erzielen die Parteien einer Pilotrechtssache eine gütliche Einigung, so muss diese eine Erklärung der beschwerdegegnerischen Vertragspartei über die Durchführung der im Urteil bezeichneten allgemeinen Massnahmen und der Abhilfemassnahmen, die den anderen tatsächlichen oder möglichen Beschwerdeführern zu gewähren sind, umfassen.(8) Befolgt die betroffene Vertragspartei nicht das Dispositiv des Piloturteils, so nimmt der Gerichtshof, wenn er nicht anders entscheidet, die Prüfung der nach Absatz 6 zurückgestellten Beschwerden wieder auf. (9) Das Ministerkomitee, die Parlamentarische Versammlung des Europarats, der Generalsekretär des Europarats und der Menschenrechtskommissar des Europarats werden jedes Mal unterrichtet, wenn ein Piloturteil oder ein anderes Urteil ergeht, in dem der Gerichtshof auf das Bestehen eines strukturellen oder systembedingten Problems in einer Vertragspartei hinweist. (10) Über den Beschluss, eine Beschwerde im Wege des Piloturteilsverfahrens zu behandeln, den Erlass und die Umsetzung eines Piloturteils sowie den Abschluss des Verfahrens wird auf der Website des Gerichtshofs informiert.


    Es besteht kein Anspruch auf Aktualität und Vollständigkeit/Richtigkeit.

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