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Urteil Obergericht des Kantons Zürich (ZH)

Kopfdaten
Kanton:ZH
Fallnummer:VR180006
Instanz:Obergericht des Kantons Zürich
Abteilung:Verwaltungskommission
Obergericht des Kantons Zürich Entscheid VR180006 vom 28.03.2019 (ZH)
Datum:28.03.2019
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Rekurs gegen Verrechnungsanzeige
Schlagwörter:
Rechtsnorm: Art. 120 OR ; Art. 164 OR ; Art. 167 OR ; Art. 184 StPO ; Art. 190 BV ; Art. 313 StPO ; Art. 382 StPO ; Art. 401 OR ; Art. 442 StPO ;
Referenz BGE:140 V 449; 142 V 457;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:-
Entscheid

Obergericht des Kantons Zürich

Verwaltungskommission

Geschäfts-Nr. VR180006-O/U

Mitwirkend: Der Obergerichtspräsident lic. iur. M. Burger, Oberrichterin Dr.

D. Scherrer und Oberrichterin lic. iur. E. Lichti Aschwanden sowie die Gerichtsschreiberin lic. iur. A. Leu

Beschluss vom 28. März 2019

in Sachen

A. , lic. iur., Rekurrent

gegen

Obergericht des Kantons Zürich,

Rekursgegnerin

betreffend Rekurs gegen Verrechnungsanzeige

Erwägungen:

I.

    1. Mit Urteil und Verfügung des Bezirksgerichts Affoltern am Albis vom 21. April

      2017, Nr. GB160010-A, wurde B.

      der Übertretung im Sinne von § 4

      UGG (Widerhandlung gegen das Unterhaltungsgewerbegesetzes) schuldig gesprochen. Dabei wurden ihm die Entscheidgebühr im Umfang von Fr. 1'500.- sowie die Kosten des Vorverfahrens Nr. ST.2015.616 auferlegt. Zudem wurde B. für die anwaltliche Verteidigung eine reduzierte Prozessentschädigung von Fr. 3'750.- (inkl. MwSt. und Auslagen) zugesprochen. Gleichzeitig wurde angeordnet, dass die Prozessentschädigung mit den B. auferlegten Verfahrenskosten verrechnet würde (act. 3/2).

    2. Gegen das Urteil vom 21. April 2017 liess B.

Berufung erheben. Mit

Urteil vom 16. Mai 2018, Nr. SU170020-O, bestätigte das Obergericht des Kantons Zürich die vorinstanzliche Verurteilung (act. 3/4) sowie das erstinstanzliche Kostenund Entschädigungsdispositiv. Zudem auferlegte es die Kosten des Berufungsverfahrens (inkl. Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-) dem Rekurrenten (act. 3/4 S. 18).

  1. Mit Schreiben vom 5. September 2018 (act. 3/5) stellte die Zentrale Inkassostelle der Gerichte (fortan: Rekursgegnerin) dem damaligen Rechtsvertreter von B. , Rechtsanwalt lic. iur. A. (fortan: Rekurrent), einen Kontoauszug und eine Verrechnungsanzeige bzw. -empfehlung zu und zeigte eine Verrechnung des Guthabens mit den Kosten im Umfang von Fr. 1'000.- aus demselben Strafverfahren Nr. SU170020-O nach Art. 442 Abs. 4 StPO und implizit eine Verrechnung mit den Gerichtskosten des Verfahrens Nr. GB160010-A von Fr. 1'500.- an. Gleichzeitig empfahl es eine Verrechnung des Guthabens mit zahlreichen Verfahren aus den Jahren 2007 bis 2016. Nachdem der Rekurrent die Verrechnung mit Schreiben vom 24. September 2018 (act. 3/6) abgelehnt hatte, hielt die Rekursgegnerin am 3. Oktober 2018 an der Verrechnung der Gerichtskosten im Umfang von Fr. 2'500.- (Fr. 1'000.aus dem obergerichtlichen Verfahren Nr. SU170020-O und Fr. 1'500.- aus dem bezirksgerichtlichen Verfahren Nr. GB160010-A) mit der zugesprochenen Prozessentschädigung von Fr. 3'750.- fest (act. 3/7).

  2. Gegen diese Verrechnungsanzeige erhob der Rekurrent mit Eingabe vom

16. Oktober 2018 bei der Verwaltungskommission des Obergerichts des Kantons Zürich innert Frist Rekurs und stellte folgende Anträge (act. 1):

1. Dem Rekurrenten sei die gemäss Ziff. 10 des Dispositivs im Urteil des Bezirksgerichts Affoltern vom 21. April 2017 an die Kosten der Verteidigung zugesprochene Prozessentschädigung von

Fr. 3'750.00.-- (Restanz: Fr. 2'500.00) vollumfänglich zuzusprechen und von einer Verrechnung mit den Verfahrenskosten abzusehen.

  1. Die Verwaltungskommission des Obergerichts des Kantons Zürich habe die Zentrale Inkassostelle der Gerichte anzuweisen, die Restanz von Fr. 2'500.00 dem Rekurrenten zu überweisen.

  2. Alles unter Kostenund Entschädigungsfolge zu Lasten der Staatskasse des Kantons Zürich.

  3. Auf die Einholung einer Stellungnahme der Rekursgegnerin im Sinne von

§ 26b des Verwaltungsrechtspflegegesetzes (VRG, LS 175.2) hat die Verwaltungskommission verzichtet (VRG Kommentar-Griffel, § 26b N 6). Die vorinstanzlichen Akten hat sie indes beigezogen (§ 26a VRG, act. 5).

II.

  1. Gegenstand des Rekurses bildet die Anzeige der Verrechnung der von B. geschuldeten Gerichtskosten mit einer diesem durch das Bezirksgericht Affoltern zugesprochenen und durch das Obergericht des Kantons Zürich bestätigten Prozessentschädigung, wobei Letztere dem Rekurrenten abgetreten wurde. Der Bezug und die Verrechnung von Gerichtskosten betreffen eine Justizverwaltungssache (Hauser/Schweri/Lieber, Kommentar zum zürcherischen Gesetz über die Gerichtsund Behördenorganisation im Zivilund Strafprozess, 2. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2017, § 201 N 14; SJZ 2015 S. 240). Gegen diesbezügliche Anordnungen der Zentralen Inkassostelle ist der Rekurs nach § 19 VRG an die Verwaltungskommission des Obergerichts des Kantons Zürich gegeben (§ 76 Abs. 1 GOG, § 42 Abs. 2 GOG, § 18 Abs. 1 lit. a der Verordnung über die Organisation des Obergerichts, LS 212.51).

  2. Vorab stellt sich die Frage der Legitimation des Rekurrenten zur Erhebung des Rekurses.

    1. Zum Rekurs an die Verwaltungskommission berechtigt ist gemäss § 21 Abs. 1 VRG, wer durch die angefochtene Anordnung berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren Änderung oder Aufhebung hat. Zur Anfechtung von Verfügungen legitimiert ist grundsätzlich der Verfügungsadressat. Aber auch Dritte sind nach herrschender Lehre zur Erhebung eines Rechtsmittels berechtigt, und zwar dann, wenn sie einen unmittelbaren Nachteil geltend machen können bzw. sie durch die belastende Anordnung unmittelbar betroffen sind. Dritte, welche sich einzig aufgrund ihres Verhältnisses zum Verfügungsadressaten am Verfahrensausgang interessiert zeigen, sind hingegen nur beschränkt rechtsmittellegitimiert. So gilt die bloss an Geschäftsbeziehungen interessierte bzw. vertraglich mit dem Adressaten verbundene Drittperson in aller Regel nicht als rechtsmittelberechtigt, da es sich hierbei lediglich um ein mittelbares Interesse handelt. Gleiches gilt für Dritte, welche ihre Legitimation einzig aus ihrer Gläubigereigenschaft ableiten. Notwendig ist - wie dargelegt - zusätzlich das Vorliegen eines unmittelbaren Berührtseins (VRG Kommentar-Bertschi, § 21 N 77 ff.).

    2. Bereits im Jahre 2011 setzte sich das Bundesstrafgericht mit der Frage der Rekurslegitimation von Rechtsvertretern auseinander. Konkret ging es um die Verrechnung einer einem Beschuldigten zugesprochenen Entschädigung mit ihm auferlegten Verfahrenskosten gestützt auf Art. 442 Abs. 4 StPO. Das Bundesstrafgericht hielt in seinem Beschluss vom 9. November 2011, Verfahrensnr. BK.2011.9/BK.2011.10, unter Hinweis auf Art. 382 Abs. 1 StPO fest, dass zur Beschwerde berechtigt nur sei, wer ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Abänderung des angefochtenen Entscheides habe, mithin, wer selbst in seinen eigenen Rechten unmittelbar und direkt betroffen sei. Diese Voraussetzung grenze von Fällen ab, in denen Personen bloss faktisch und nicht in einer eigenen Rechtsposition oder bloss mittelbar bzw. indirekt in ihren Rechten betroffen seien. Die angefochtene hoheitliche Verfahrenshandlung müsse somit einen direkten, sofort ersichtlichen Einfluss auf die eigene Rechtsstellung des Beschwerdeführers und somit auf seine rechtlich geschützten Interessen haben. Eine blosse Reflexwirkung genüge nicht (E. 2.2.1). Im konkreten Fall, so das Bundesstrafgericht weiter, sei der Beschwerdeführer 1 bzw. Beschuldigte des zugrunde liegenden Strafverfahrens als Gläubiger der Entschädigungsforderung durch die Verrechnung direkt betroffen. Demgegenüber fehle es dessen Rechtsvertreter als Beschwerdeführer 2 an einer unmittelbaren und direkten Betroffenheit. Als Gläubiger des Beschwerdeführers 1 mache er lediglich wirtschaftliche Interessen geltend und sei von der angefochtenen Verrechnung nur im Sinne einer die Beschwerdelegitimation nicht rechtfertigenden Reflexwirkung betroffen. Er sei daher nicht rechtsmittellegitimiert (E. 2.2.2.).

    3. Diese Ausführungen des Bundesstrafgerichts erfolgten in Anwendung von Art. 382 StPO, welcher im vorliegenden Verfahren nicht massgeblich ist und anders als § 21 VRG ein rechtlich geschütztes Interesse voraussetzt. In Anbetracht der oberwähnten herrschenden Lehre gilt das Erfordernis der unmittelbaren Betroffenheit indes auch im Anwendungsbereich von § 21 VRG. Im Beschluss vom 4. Juni 2012, Nr. VR110009-O, Erwägung IV, erachtete die Verwaltungskommission des Obergerichts des Kantons Zürich einen Rechtsvertreter, welcher sich allfällige Prozessentschädigungen seines Mandanten in der Vollmacht hatte abtreten lassen, als zur Erhebung des Rekurses legitimiert. Daran ist auch vorliegend festzuhalten, zumal der Rekurrent durch die massgebliche Anordnung in seinen Interessen unmittelbar berührt ist, wie sie aus den nachfolgenden Erwägungen ergibt:

Gemäss der aktenkundigen schriftlichen Anwaltsvollmacht von B. zuhanden des Rekurrenten hat Ersterer dem Letzteren am 27. März 2014 allfällige Prozessentschädigungen abgetreten. Die Vollmacht enthält den folgenden Passus: Sie [gemeint 'Die Auftraggeberin', Anmerkung des Gerichts] tritt den Beauftragten allfällige Prozessentschädigungen bis zur Höhe der aus diesem oder einem anderen Auftragsverhältnis bestehenden Ansprüchen zahlungshalber ab (act. 2/1). Die Prozessentschädigung gemäss Entscheid des Bezirksgerichts Affoltern vom 21. April 2017, GB160010-A, wurde im Zeitpunkt des Abschlusses des Abtretungsvertrags, d.h. der Unterzeichnung der Anwaltsvollmachtsurkunde vom 27. März 2014, dem Rekurrenten somit als bestimmbare künftige Forderung zahlungshalber abgetreten. Aufgrund dieser Abtretung hat die vorgenommene Verrechnung einen direkten Einfluss auf die Rechtsstellung des Rekurrenten. Dieser ist durch die Verrechnungsanzeige der Rekursgegnerin in seinen Interessen über eine Reflexwirkung hinaus unmittelbar betroffen (§ 21 VRG). Damit ist die Rekurslegitimation gegeben und auf den Rekurs einzutreten.

III.

  1. In materiell-rechtlicher Hinsicht bringt der Rekurrent zur Begründung seines Rekurses (act. 1) im Wesentlichen vor, mit der Unterzeichnung der Anwaltsvollmacht vom 27. März 2014 seien allfällige Prozessentschädigungen bis zur Deckung des Honoraranspruchs an ihn abgetreten worden. Es liege kein Ausschlussgrund im Sinne von Art. 164 OR vor. Es fehle damit am Erfordernis der Gegenseitigkeit der durch die Rekursgegnerin zur Verrechnung gebrachten Forderungen. Der Hinweis der Rekursgegnerin, Art. 442 Abs. 4 StPO bliebe toter Buchstabe, wenn eine Verrechnung unter den gegebenen Umständen nicht zulässig wäre, verkenne, dass so Art. 401 OR ins Leere gehe. Die Rekursgegnerin könne sich mit ihrem Vorgehen weder auf eine gesetzliche Grundlage noch auf eine entsprechende Rechtsprechung berufen.

  2. Die Rekursgegnerin hält in ihrer Korrespondenz mit dem Rekurrenten vom

  3. Oktober 2018 (act. 4) fest, die in Art. 442 Abs. 4 StPO vorgesehene Verrechnungsmöglichkeit gehe Abtretungen in privatrechtlichen Anwaltsvoll-

machten vor, da die besagte Bestimmung bei anwaltlich vertretenen Beschuldigten ansonsten obsolet würde.

    1. Infolge der Abtretung allfälliger Ansprüche an den Rekurrenten stellt sich vorliegend die Frage der Verrechenbarkeit der B. in den Entscheiden vom 21. April 2017 (Nr. GB160010-A) und 16. Mai 2018 (Nr. SU170020-O)

      auferlegten Gerichtskosten von Fr. 1'500.- bzw. Fr. 1'000.- mit der diesem seitens des Bezirksgerichts Affoltern im Verfahren Nr. GB160010-A zugesprochenen Prozessentschädigung von Fr. 3'750.-.

    2. Bis zum 1. Januar 2011 fehlte es in den massgeblichen kantonalen Gesetzen an Bestimmungen über die Möglichkeit einer Verrechnung von dem Beschuldigten auferlegten Gebühren und Kosten mit Gegenforderungen des Beschuldigten durch den Staat. Weder das kantonale Verwaltungsrechtspflegegesetz (VRG) noch die zürcherische Strafprozessordnung (StPO/ZH) noch das Gerichtsverfassungsgesetz (GVG/ZH) enthielten Regelungen hierzu. Für die Verrechnung wurden daher die privatrechtlichen Bestimmungen (Art. 120-126 OR) analog angewendet (Hauser/Schweri, GVG-Kommentar, Zürich 2002, Vorbemerkungen zu §§ 201 ff. N 18 ff.; Haefelin/Müller/Uhlmann, Allgemeines Verwaltungsrecht, 7. Auflage, Zürich/St. Gallen 2016, Rz 787 f.). Eine Verrechnung nach Art. 120 Abs. 1 OR war demnach zuläs- sig, wenn zwei Personen einander Geldsummen oder andere Leistungen, die ihrem Gegenstande nach gleichartig waren, schuldeten, sofern die eigene Schuld erfüllbar und die Forderung des Verrechnungsgegners fällig bzw. durchsetzbar war. Durchsetzbarkeit bedeutete, dass die Forderung einredefrei, einklagbar und fällig war (BSK OR I-Peter, Art. 120 N 4 und 21). Das Erfordernis der Gegenseitigkeit der Forderungen musste im Zeitpunkt der Verrechnungserklärung gegeben sein (BSK OR I-Peter, Art. 120 N 7). Im Rahmen der analogen Anwendbarkeit der obligationenrechtlichen Bestimmungen schloss die Abtretung einer Forderung eine Verrechnung gegenüber dem bisherigen Gläubiger grundsätzlich nicht aus. Zu berücksichtigen waren indes die Erfordernisse nach Art. 167 OR. Voraussetzung für die gültige Befreiung des Schuldners zur Zahlung der Schuld an den früheren Gläubiger

      war demnach, dass die Leistung vor der Notifikation der Abtretung in gutem Glauben erfolgt war. Wurde einem gutgläubigen Schuldner die Abtretung weder vom Zedenten noch vom Zessionaren angezeigt, so konnte er gegenüber dem Zedenten - trotz erfolgter Abtretung - seine Schuld durch Verrechnungserklärung tilgen (Lardelli, Die Einreden des Schuldners bei der Zession, Zürich/Basel/Genf 2008, N 81 f.; vgl. zum Ganzen Beschluss der Verwaltungskommission OG ZH vom 4. Juni 2012, Nr. VR110009-O).

    3. Seit dem Inkrafttreten der schweizerischen Strafprozessordnung enthält Art. 442 Abs. 4 StPO für im Strafrecht ergangene Entscheide eine explizite Regelung zur Verrechnungsmöglichkeit. Demnach können Strafbehörden ihre Forderungen aus Verfahrenskosten mit Entschädigungsansprüchen der zahlungspflichtigen Partei aus gleichem Strafverfahren verrechnen. Soweit die schweizerische Strafprozessordnung die Verrechnungsmöglichkeit in Art. 442 Abs. 4 StPO geregelt hat, geht diese den bisher analog angewendeten obligationenrechtlichen Bestimmungen vor.

    4. Gemäss den aktenkundigen Standpunkten der Parteien (act. 1, act. 3/5-3/7) sind sich diese im Ergebnis nicht einig darüber, ob privatrechtliche Rechtsinstitute wie die Abtretung im Sinne von Art. 164 f. OR einen Einfluss auf das Verrechnungsrecht nach Art. 442 Abs. 4 StPO haben oder ob die besagte Bestimmung solchen vorgeht. Während der Rekurrent sinngemäss geltend macht, Abtretungen seien auch im Anwendungsbereich von Art. 442 Abs. 4 StPO zu beachten (act. 1 Rz 11), stellt sich die Rekursgegnerin auf den Standpunkt, einmal bestehende Ansprüche würden immer zur Verrechnung berechtigen (act. 4). Art. 442 Abs. 4 StPO ist daher näher zu betrachten und zur Klärung dieser Frage auszulegen.

    5. Ausgangspunkt einer jeden Auslegung bildet der Wortlaut der massgeblichen Norm. Ist der Text nicht ganz klar und sind verschiedene Interpretationen möglich, so muss nach der wahren Tragweite der Bestimmung gesucht werden, wobei alle Auslegungselemente zu berücksichtigen sind (Methodenpluralismus). Dabei kommt es namentlich auf den Zweck der Regelung, die dem Text zugrunde liegenden Wertungen sowie auf den Sinnzusam menhang an, in dem die Norm steht. Die Entstehungsgeschichte ist zwar nicht unmittelbar entscheidend, dient aber als Hilfsmittel, um den Sinn der Norm zu erkennen. Namentlich zur Auslegung neuerer Texte, die noch auf wenig veränderte Umstände und ein kaum gewandeltes Rechtsverständnis treffen, kommt den Materialien eine besondere Bedeutung zu. Vom Wortlaut darf abgewichen werden, wenn triftige Gründe dafür bestehen, dass er nicht den wahren Sinn der Regelung wiedergibt. Sind mehrere Auslegungen mög- lich, ist jene zu wählen, die der Verfassung am besten entspricht. Allerdings findet auch eine verfassungskonforme Auslegung ihre Grenzen im klaren Wortlaut und Sinn einer Gesetzesbestimmung (BGE 142 V 457 E. 3.1; B GE

      141 V 221 E. 5.2.1; BGE 140 V 449 E. 4.2; je mit Hinweisen; vgl. auch

      Art. 190 BV).

    6. Was den Wortlaut von Art. 442 Abs. 4 StPO anbelangt, so spricht die Bestimmung von Entschädigungsansprüchen der zahlungspflichtigen Partei, welche mit den Forderungen aus Verfahrenskosten verrechenbar seien. Von der staatlichen Verrechnungsmöglichkeit erfasst werden demnach Ansprü- che, welche einer der Prozessparteien aufgrund ihrer Aufwendungen im Verfahren zustehen. Mit der Verwendung des Begriffs des Anspruchs der zahlungspflichtigen Partei wollte der Gesetzgeber das Kriterium der Gegenseitigkeit zum Ausdruck bringen und insoweit den Voraussetzungen in Art. 120 OR folgen (vgl. Janos Fabian, Schnittstellen und Dissonanzen zwischen strafprozessualer Beschlagnahme [einschl. Einziehung, internationale Rechtshilfe] und SchKG/ZPO in: CIVPRO - Institut für Internationales Privatrecht und Verfahrensrecht Band/Nr. 6, Bern 2014, S. 67 f.). Hingegen äussert sich Art. 442 Abs. 4 StPO nicht explizit zur Frage, ob eine grundsätzlich zulässige Verrechnung durch „Modifikationen“, namentlich über privatrechtliche Rechtsinstitute wie der Abtretung nach Art. 164 f. OR, abgewendet werden kann bzw. ob solche eine an und für sich zulässige Verrechnung unzulässig machen können. Die Verwendung des Begriffs der Entschädigungsansprüche der zahlungspflichtigen Partei lässt jedoch darauf schliessen, dass es dem Gesetzgeber für die Frage der Zulässigkeit der Verrechnung einzig auf die Zusprechung einer Entschädigung an die beschuldigte Person

      im Entscheid selbst ankam und er es nicht als massgeblich erachtete, ob und an wen die beschuldigte Partei ihren Anspruch zivilrechtlich abgetreten hat bzw. wem die Entschädigung im Endeffekt zukommt. Der Wortlaut von Art. 442 Abs. 4 StPO spricht damit eher für eine Auslegung entsprechend dem Standpunkt der Rekursgegnerin.

    7. Gar keine Anhaltspunkte zur massgeblichen Frage enthalten hingegen die Materialien zu Art. 442 Abs. 4 StPO. Aus diesen, namentlich aus der Botschaft zur schweizerischen Strafprozessordnung, ergibt sich zur Frage der Zulässigkeit von Modifikationen der aus Art. 442 Abs. 4 StPO resultierenden Ansprüche durch privatrechtliche Rechtsinstitute nichts Klärendes. Ebenso wenig kann aus der Gesetzessystematik etwas zugunsten der vorliegenden Problematik abgeleitet werden.

    8. Es bleibt damit der Sinn und Zweck von Art. 442 Abs. 4 StPO zu eruieren.

      Art. 442 Abs. 4 StPO erklärt eine Verrechnung seitens des Staates grundsätzlich immer dann als zulässig, wenn es sich um im gleichen Verfahren entstandene, im Gesetz näher definierte Forderungen handelt. Erfasst werden dabei insbesondere Verrechnungen bei einem partiellen Freispruch mit Zusprechung eines Entschädigungsanspruchs sowie bei einem vollständigen Freispruch mit partieller Kostenauflage (OFK Kommentar-Riklin, Art. 442 N 4). Art. 442 Abs. 4 StPO regelt die Verrechnungsmöglichkeiten abschliessend (Beschluss Verwaltungskommission OG ZH vom 17. Juli 2013, Nr. VR130005-O, E. III.3). Mit dem Erlass von Art. 442 Abs. 4 StPO wollte der Gesetzgeber - ohne dass sich diese Intention jedoch explizit aus den Materialien zu Art. 442 StPO ergäbe (vgl. aber Botschaft zur schweizerischen Strafprozessordnung, S. 1173 f.) - das Inkassorisiko des Staates reduzieren, wie er diese Absicht auch durch andere gesetzliche Bestimmungen zum Ausdruck gebracht hat (vgl. Art. 184 StPO, Art. 313 StPO; vgl. auch Art. 111 der zum gleichen Zeitpunkt in Kraft getretenen schweizerischen Zivilprozessordnung) und e contrario gleichzeitig festlegen, in welchen Fällen eine Verrechnung nicht zulässig bzw. ausgeschlossen ist (Verrechnung mit einer zugesprochenen Genugtuung, OFK Kommentar-Riklin,

      Art. 442 N 6). Bei Art. 442 Abs. 4 StPO handelt es sich um eine öffentlichrechtliche Bestimmung. Als solche geht sie der privatrechtlichen Abtretungsvereinbarung wie sie der Anwaltsvollmacht entnommen werden kann (act. 2/1) vor bzw. kann sie durch privatrechtliche Bestimmungen wie jene der Abtretung im Sinne von Art. 164 f. OR nicht umgangen werden. Sie ist Teil der zwingenden Verfahrensordnung für das Strafverfahren, für welches die Vollmacht erteilt wurde. Privatrechtliche Bestimmungen können zwar unter Umständen als öffentlich-rechtliche Normen analog angewendet werden. Dies setzt indes voraus, dass eine Gesetzeslücke besteht, welche zu füllen ist, oder dass die privatrechtlichen Bestimmungen mangels anderweitiger öf- fentlich-rechtlicher Normen als allgemeiner Rechtsgrundsatz zur Anwendung gelangen (BSK ZGB I-Schmid, Art. 7 N 10; ZK ZGB-Lieber, Art. 7-D N 114 f.; BK ZGB-Schmid-Tschirren, Art. 7 N 97 f.). Soweit öffentlich-rechtliche Normen vorliegen, d.h. keine Lücke gegeben ist, besteht aber kein Raum für die (analoge) Anwendung privatrechtlicher Normen. Dies gilt erst recht, wenn der Zweck der öffentlich-rechtlichen Norm durch eine solche beeinträchtigt oder gar vereitelt würde. Wie die Rekursgegnerin hierzu zutreffend festhielt, würde Art. 442 Abs. 4 StPO toter Buchstabe bleiben, wenn ihm eine vertraglich vereinbarte Abtretung, namentlich eine solche in Anwaltsvollmachten, vorginge, zumal eine entsprechende Klausel betreffend Abtretung von allfäl- ligen Parteientschädigungsansprüchen als künftige bestimmbare Forderungen grundsätzlich Bestandteil jeder Anwaltsvollmacht ist. Hätte ein solcher Vorrang der gesetzgeberischen Intention entsprochen, hätte sich die Aufnahme einer entsprechenden Klausel in der schweizerischen Strafprozessordnung erübrigt. Ferner würde eine solche Auslegung von Art. 442 Abs. 4 StPO zu einer Ungleichbehandlung von anwaltlich vertretenen und anwaltlich nicht vertretenen Beschuldigten führen (vgl. zum Entschädigungsrecht von anwaltlich nicht vertretenen Beschuldigten Griesser in: Donatsch/Hansjakob/Lieber, StPO Komm., Art. 429 N 4 f.), was nicht der Absicht des Gesetzgebers entsprochen haben kann.

      Soweit der Rekurrent diesbezüglich vorbringt, bei einer solchen Auslegung von Art. 442 Abs. 4 StPO bleibe Art. 401 Abs. 1 OR bedeutungslos (act. 1

      Rz 12), so vermag dies an der dargelegten Rechtslage nichts zu ändern. Art. 401 Abs. 1 OR sieht vor, dass Forderungsrechte gegen Dritte, welche der Beauftragte für Rechnung des Auftraggebers in eigenem Namen erworben hat, auf den Auftraggeber übergehen, sobald dieser seinerseits allen Verbindlichkeiten aus dem Auftragsverhältnisse nachgekommen ist. Art. 401 OR regelt damit den Fall, dass der Beauftragte (i.c. der Rechtsvertreter) in eigenem Namen Forderungsrechte erwirbt, welche erst auf den Auftraggeber (i.c. der Klient) übergehen, wenn dieser seinen Verpflichtungen nachgekommen ist. Zwar könnte der Rechtsvertreter bei der Zulassung der Verrechnung durch den Staat von seinem Klienten die diesem seitens des Staates ausbezahlte bzw. verrechnete Prozessentschädigung nicht mehr einfordern, bevor die für den Klienten erworbenen Forderungsrechte auf diesen übergingen, und verlöre er damit eine Sicherheit für die Begleichung seiner Forderung. Dies ist jedoch nicht zu beanstanden. Anders als der Staat haben erbetene Verteidiger bzw. Rechtsvertreter die Möglichkeit, von den Klienten für ihre Aufwendungen Vorschüsse zu verlangen. Dem Staat ist dies in Strafverfahren hingegen verwehrt. Er kann seine Ansprüche nicht im Voraus absichern, weshalb diese anderweitig zu schützen sind.

    9. Abschliessend ergibt sich somit, dass aus den Auslegungsmethoden der Systematik und der Historie für die bestehende Problematik nichts Relevantes abgeleitet werden kann, während die teleologische Auslegung und jene des Wortlauts zugunsten einer Verrechnung sprechen. Aus der auf dem Methodenpluralismus basierenden Auslegung von Art. 442 Abs. 4 StPO folgt damit, dass die besagte Bestimmung privatrechtlichen Vereinbarungen vorgeht. Die Vorinstanz hat dies zutreffend festgestellt. Damit war die Verrechnung der Prozessentschädigung von Fr. 3'750.- mit geschuldeten Verfahrenskosten von insgesamt Fr. 2'500.- (Fr. 1500.- gemäss Urteil des Bezirksgerichts Affoltern vom 21. April 2017, Nr. GB160010-A, und Fr. 1'000.- gemäss Urteil des Obergerichts Zürich vom 16. Mai 2018, Nr. SU170020-O) zulässig (act. 3/5). Der Rekurs gegen die Verrechnungsanzeige vom

5. September 2018 ist demnach abzuweisen.

IV.

  1. Die Gerichtsgebühr ist auf Fr. 800.- festzusetzen (§ 13 VRG i.V.m. § 20 GebV OG). Ausgangsgemäss sind die Kosten des Verfahrens dem Rekurrenten aufzuerlegen. Parteientschädigungen sind keine auszurichten (§ 17 VRG).

  2. Hinzuweisen ist sodann auf das Rechtsmittel der Beschwerde ans Bundesgericht.

Es wird beschlossen :

  1. Der Rekurs wird abgewiesen.

  2. Die Gerichtsgebühr wird auf Fr. 800.- festgesetzt.

  3. Die Kosten des Verfahrens werden dem Rekurrenten auferlegt.

  4. Parteientschädigungen werden keine entrichtet.

  5. Dieser Beschluss wird den Parteien des Rekursverfahrens schriftlich gegen Empfangsschein mitgeteilt, der Rekursgegnerin unter Beilage einer Kopie von act. 1.

    Die beigezogenen Akten (act. 5) werden der Rekursgegnerin nach unbenütztem Ablauf der Rechtsmittelfrist bzw. nach Abschluss eines allfälligen Rechtsmittelverfahrens retourniert.

  6. Rechtsmittel :

Eine allfällige Beschwerde gegen diesen Entscheid ist innert 30 Tagen von der Zustellung an beim Schweizerischen Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, einzureichen. Zulässigkeit und Form einer solchen Beschwerde richten sich nach Art. 72 ff. (ordentliche Beschwerde) oder Art. 113 ff. (subsidiäre Verfassungsbeschwerde) in Verbindung mit Art. 42 des Bundesgesetzes über das Bundesgericht (BGG).

Zürich, 28. März 2019

OBERGERICHT DES KANTONS ZÜRICH

Verwaltungskommission Gerichtsschreiberin:

lic. iur. A. Leu

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