Zusammenfassung des Urteils VO140168: Obergericht des Kantons Zürich
Die Gesuchstellerin A. beantragte beim Obergericht des Kantons Zürich unentgeltliche Rechtspflege für ein Schlichtungsverfahren bezüglich Unterhaltsklage gegen ihren Vater. Das Gericht bewilligte das Gesuch, da A. als volljährige Schülerin über kein Einkommen oder Vermögen verfügte und die Kosten nicht selbst tragen konnte. Die Mutter von A., die in D. lebte, war ebenfalls mittellos. Das Gericht entschied, dass A. eine unentgeltliche Rechtsbeiständin erhält und die Kosten von der Stadt B. getragen werden. Der Richter war der Obergerichtspräsident lic. iur. R. Naef.
Kanton: | ZH |
Fallnummer: | VO140168 |
Instanz: | Obergericht des Kantons Zürich |
Abteilung: | Verwaltungskommission |
Datum: | 05.01.2015 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege |
Schlagwörter: | Rechtspflege; Schlichtungsverfahren; Unterhalt; Gesuch; Obergericht; Rechtsbeistand; Person; Verfahren; Rechtsbeistandes; Obergerichts; Obergerichtspräsident; Vater; Mutter; Ausbildung; Kanton; Rechtsanwältin; Friedensrichteramt; Klage; Gericht; Schlichtungsverfahrens; Anspruch; Bestellung; Emmel; Grundbetrag; Unterhaltsbeiträge; Einnahmen; Schweiz; Hauptsache; Kantons |
Rechtsnorm: | Art. 104 ZPO ;Art. 113 ZPO ;Art. 117 ZPO ;Art. 118 ZPO ;Art. 119 ZPO ;Art. 122 ZPO ;Art. 145 ZPO ;Art. 207 ZPO ;Art. 268 ZGB ;Art. 277 ZGB ;Art. 99 ZPO ; |
Referenz BGE: | 69 I 160; |
Kommentar: | Sutter-Somm, Hasenböhler, Leuenberger, Schweizer, Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, Art. 117 OR ZPO, 2013 |
Obergericht des Kantons Zürich
Präsident
Geschäfts-Nr.: VO140168-O/U
Mitwirkend: Der Obergerichtspräsident lic. iur. R. Naef sowie die Gerichtsschreiberin lic. iur. A. Gürber
Urteil vom 5. Januar 2015
in Sachen
Gesuchstellerin
vertreten durch Rechtsanwältin lic. iur. X.
betreffend Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege
Erwägungen:
Ausgangslage
A.
(nachfolgend: Gesuchstellerin) liess beim Friedensrichteramt
B.
gegen ihren Vater C.
eine Klage betreffend Unterhalt gemäss
Art. 277 Abs. 2 ZGB/Art. 268 Abs. 3 ZGB anhängig machen (act. 1 S. 1 f.). Mit Eingabe vom 4. Dezember 2014 liess sie beim Obergerichtspräsidenten das folgende Gesuch stellen (act. 1 S. 2):
Der Gesuchstellerin sei für das Schlichtungsverfahren die unentgeltliche Rechtspflege zu bewilligen, und ihr sei in der Person der Unterzeichneten eine unentgeltliche Rechtsvertreterin zu bestellen.
Im Schlichtungsverfahren werden gemäss Art. 113 Abs. 1 ZPO keine Parteientschädigungen gesprochen, weshalb auch eine Sicherheit für die Parteientschädigung i.S.v. Art. 99 ZPO nicht zur Frage steht. Die Gegenpartei ist daher gemäss Art. 119 Abs. 3 ZPO e contrario nicht zwingend anzuhören.
Beurteilung des Gesuches
Für die Beurteilung von Gesuchen um unentgeltliche Rechtspflege vor Einreichung der Klage bei Gericht ist gemäss § 128 GOG der Obergerichtspräsident im summarischen Verfahren (Art. 119 Abs. 3 ZPO) zuständig. Die unentgeltliche Rechtspflege ist gemäss Art. 119 Abs. 5 ZPO vor jeder Instanz neu zu beantragen, weshalb der Obergerichtspräsident die unentgeltliche Rechtspflege bei Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen nur bis zum Abschluss des Schlichtungsverfahrens bewilligen kann.
Eine Person hat Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn sie einerseits nicht über die erforderlichen Mittel verfügt (sog. Mittellosigkeit Bedürftigkeit) und andererseits ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint (Art. 117 ZPO). Für die Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes ist zusätzlich erforderlich, dass ein solcher zur Wahrung der Rechte notwendig ist (Art. 118 Abs. 1 lit. c ZPO).
Die Mittellosigkeit wird gemeinhin dann bejaht, wenn der Aufwand des notwendigen Lebensunterhalts (sog. zivilprozessualer Notbedarf) das massgebliche Einkommen übersteigt, bzw. aus der Differenz nur ein kleiner Überschuss resultiert, welcher es dem Gesuchsteller nicht erlauben würde, die Prozesskosten innert nützlicher Frist zu bezahlen. Nebst dem Einkommen ist auch das Vermö- gen zur Bestreitung des Prozessaufwands einzusetzen. Zu berücksichtigen ist vorhandenes Vermögen jeglicher Art, soweit es effektiv verfügbar, realisierbar und sein Verbrauch zumutbar ist (Emmel, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, 2. Auflage, Zü- rich/Basel/Genf 2013, N 7 zu Art. 117 ZPO). Als Lebensaufwandkosten sind grundsätzlich zu berücksichtigen der Grundbetrag, rechtlich geschuldete Unterhaltsbeiträge, Wohnkosten, obligatorische Versicherungen, Transportkosten zum Arbeitsplatz, Steuern sowie Verpflichtungen gegenüber Dritten, wenn sie tatsächlich erfüllt werden (Emmel, a.a.O., N 8 zu Art. 117 ZPO). Massgebend sind die wirtschaftlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Gesuchstellung (Emmel, a.a.O., N 4 zu Art. 117 ZPO).
Die Gesuchstellerin liess zu ihren finanziellen Verhältnissen ausführen, sie sei erst volljährig geworden und besuche noch die Mittelschule. Sie habe ausser den Unterhaltsbeiträgen von ihrem Vater kein Einkommen und verfüge auch nicht über Vermögen (act. 1 S. 3).
Gemäss dem eingereichten Unterhaltsvertrag erhält die Gesuchstellerin von ihrem Vater Unterhaltsbeiträge in der Höhe von monatlich Fr. 900.- (indexiert; zuzüglich Kinderbzw. Ausbildungszulagen; act. 3/2). Unter Berücksichtigung der Indexierung ergibt dies einen Betrag von Fr. 867.60. Ob der Vater der Gesuchstellerin die Ausbildungszulage, welche Fr. 250.- betragen dürfte (vgl. Art. 5 Abs. 2 FamZG), an die Gesuchstellerin weiterleitet, lässt sich ihren Ausführungen und den eingereichten Unterlagen nicht entnehmen. Dies kann vorliegend jedoch offen bleiben, da ihre monatlichen Einnahmen - wie nachfolgend zu zeigen ist - jedenfalls nicht ausreichen, um ihre monatlichen Auslagen zu decken. Die Vermögenslosigkeit erscheint aufgrund des jungen Alters der Gesuchstellerin und ihrer geringen Einnahmen sodann als glaubhaft.
Gemäss Kreisschreiben beträgt der Grundbetrag für eine in Haushaltgemeinschaft mit anderen Erwachsenen lebende erwachsene Person Fr. 1'100.-. Da jedoch die Lebenshaltungskosten in D. wesentlich tiefer sind als diejenigen in der Schweiz, ist der Gesuchstellerin nicht der gesamte Grundbetrag gemäss Kreisschreiben anzurechnen. Gemäss der Tabelle Preisniveauindizes im internationalen Vergleich (abrufbar unter http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index / themen/05/07/blank/key/01.html; zuletzt besucht am 30. Dezember 2014) ist davon auszugehen, dass die Lebenshaltungskosten in D. ca. 2/3 der Lebenshaltungskosten in der Schweiz betragen. Es ist der Gesuchstellerin folglich ein Grundbetrag von Fr. 733.- anzurechnen. Da in den Unterhaltsbeiträgen ein Anteil der Wohnund Sozialversicherungskosten des Kindes enthalten sind (Rüegg, in: Spühler/Tenchio/Infanger [Hrsg.], Basler Kommentar Schweizerische Zivilprozessordnung, 2. Auflage, Basel 2013, N 10 zu Art. 117), erscheint angemessen, als Beitrag insbesondere an die von der Mutter der Gesuchstellerin getragenen Mietkosten von monatlich Euro 430.40 (act. 3/5 S. 2) einen Betrag von Fr. 150.- im Bedarf der Gesuchstellerin einzusetzen. Weitere Auslagen wurden von der Gesuchstellerin weder geltend gemacht noch ergeben sich solche aus den eingereichten Unterlagen. Da die monatlichen Einnahmen der Gesuchstellerin lediglich Fr. 867.60 bzw. inkl. Ausbildungszulage Fr. 1'117.60 betragen, kann sie ihre Auslagen von monatlich Fr. 883.- nicht bzw. nur knapp decken. Damit ist die Mittellosigkeit der Gesuchstellerin hinreichend belegt bzw. glaubhaft gemacht.
Es bleibt indes zu prüfen, ob die Mutter der sich noch in Ausbildung befindenden Gesuchstellerin angehalten werden kann, für die Kosten des Schlichtungsverfahrens und einer anwaltlichen Vertretung aufzukommen. Die Gesuchstellerin liess zu den finanziellen Verhältnissen ihrer Mutter ausführen, diese sei mittellos, wobei sie als Beleg eine Bestätigung der (= ; auf deutsch: Nationalinstitut für Soziale Fürsorge) einreichte. Dabei handelt es sich um den wichtigsten Sozialversicherungsträger in D. . Dieser Bestätigung ist zu entnehmen, dass die Mutter der Gesuchstellerin keine Einnahmen erzielt, über kein Vermögen verfügt und pro Monat Euro 430.40 für die Wohnungsmiete aufwenden muss (act. 3/5 S. 2). Damit erscheint glaubhaft, dass die Mutter der Gesuchstellerin
nicht aufgrund allfälliger familienrechtlicher Unterhaltspflichten zur Leistung eines Prozesskostenvorschusses angehalten werden kann.
Für die Beurteilung der fehlenden Aussichtslosigkeit als zweite Voraussetzung der Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ist eine gewisse Prozessprognose notwendig, wobei auf den Zeitpunkt der Gesuchseinreichung abzustellen ist. Als aussichtslos sind dabei nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung Prozessbegehren anzusehen, bei denen die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren und die deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet werden können (vgl. z.B. BGE 69 I 160). Zur Vornahme der Prüfung ist auf die vorhandenen Akten abzustellen (vgl. auch Rüegg, a.a.O., N 20 zu Art. 117 ZPO).
Gestützt auf die Ausführungen im Gesuch (act. 1 S. 2 f.) und die eingereichten Unterlagen (act. 3/2-4) können die Begehren der Gesuchstellerin in der Hauptsache nicht als aussichtslos bezeichnet werden. Folglich kann dem Antrag der Gesuchstellerin entsprochen werden und ist ihr für das Schlichtungsverfahren
vor dem Friedensrichteramt B. unentgeltliche Rechtpflege zu erteilen.
betreffend oberwähnte Unterhaltsklage die
Ein Anspruch auf die gerichtliche Bestellung eines Rechtsbeistandes besteht im Wesentlichen dann, wenn dies zur Wahrung der Rechte notwendig ist (Art. 118 Abs. 1 lit. c ZPO). Wie dargelegt, bedarf es ganz besonderer Umstände, damit die Bestellung eines Rechtsbeistandes im Schlichtungsverfahren als notwendig erscheint. Allgemein ausgedrückt hat eine Partei dann einen Anspruch auf Verbeiständung, wenn ihre Interessen in schwerwiegender Weise betroffen sind und der Fall in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten bietet, die den Beizug eines Rechtsvertreters erforderlich machen (Emmel, a.a.O., N 5 zu Art. 118 ZPO). Dabei sind neben der Komplexität der Rechtsfragen und der Un- übersichtlichkeit des Sachverhaltes auch in der Person des Betroffenen liegende Gründe zu berücksichtigen, so das Alter, die soziale Situation, Sprachkenntnisse sowie allgemein die Fähigkeit, sich im Verfahren zurecht zu finden (Bger 1C_339/2008 vom 24. September 2008 E. 2.2.).
Die Gesuchstellerin liess zur Begründung der Notwendigkeit eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes ausführen, es sei für ein mündiges Kind sehr belastend, gegen den Vater auf Unterhaltsleistungen zu klagen. Zudem gehe es um die für die Gesuchstellerin existentielle Frage, ob sie ihren Lebensunterhalt und die Schulkosten bis zum Abschluss ihrer Ausbildung decken könne. Im Weiteren lebe die Gesuchstellerin in D. , spreche kaum deutsch und könne ihre Rechte ohne anwaltlichen Beistand nicht alleine wahren (act. 1 S. 3). Nach der Praxis des Obergerichtspräsidenten ist bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen unter 20 Jahren für Klagen gegen die eigenen Eltern grundsätzlich von der Notwendigkeit eines Rechtsbeistandes auszugehen (vgl. Urteil vom 18. November 2011, VO110100-O). Das Gesuch der 18 Jahre alten Gesuchstellerin um Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes ist deshalb gutzuheissen und es ist ihr für das Schlichtungsverfahren in der Person von Rechtsanwältin lic. iur. X. eine unentgeltliche Rechtsbeiständin zu bestellen.
Kosten der unentgeltlichen Rechtspflege
Gemäss den einschlägigen Bestimmungen der ZPO werden die Kosten der unentgeltlichen Rechtspflege vom Kanton getragen bzw. wird der unentgeltliche Rechtsbeistand vom Kanton entschädigt (Art. 113 Abs. 1 und Art. 122 ZPO). Der ständigen Praxis des Obergerichts des Kantons Zürich zur schweizerischen Zivilprozessordnung folgend sowie entsprechend der bisherigen zürcherischen Praxis sind die Kosten der unentgeltlichen Rechtspflege für das Verfahren vor der Schlichtungsbehörde von der zuständigen Gemeinde zu tragen, vorliegend von der Stadt B. . Zu beachten ist indes, dass die Kosten des Schlichtungsverfahrens gemäss Art. 207 Abs. 2 ZPO bei der Einreichung der Klage zur Hauptsache geschlagen werden und das erkennende Gericht somit in der Folge über diese zusammen mit den übrigen Prozesskosten gemäss Art. 104 ff. ZPO zu entscheiden hat. Die Kostenauflage an die Stadt B. erfolgt deshalb unter diesem Vorbehalt.
Kosten und Rechtsmittel
Gemäss Art. 119 Abs. 6 ZPO ist das Verfahren um unentgeltliche Rechtspflege kostenlos.
Die Gegenpartei in der Hauptsache verfügt im vorliegenden Verfahren nicht über Parteistellung. Ihr steht aber gegen den Entscheid betreffend unentgeltliche Rechtspflege die Beschwerde gemäss Art. 319 lit. b Ziff. 2 ZPO offen, sofern ihr ein nicht leicht wieder gutzumachender Nachteil droht.
Es wird erkannt:
Der Gesuchstellerin wird für das Schlichtungsverfahren vor dem Friedensrichteramt B. betreffend Unterhaltsklage gegen C. die unentgeltliche Rechtspflege im Sinne von Art. 118 Abs. 1 lit. a und b ZPO gewährt.
Der Gesuchstellerin wird für das oberwähnte Schlichtungsverfahren in der Person von Rechtsanwältin lic. iur. X. eine unentgeltliche Rechtsbeiständin bestellt.
Die Kosten der unentgeltlichen Rechtspflege des Schlichtungsverfahrens trägt unter Vorbehalt von Art. 207 Abs. 2 ZPO die Stadt B. .
Dieses obergerichtliche Verfahren ist kostenlos.
Schriftliche Mitteilung an
die Vertreterin der Gesuchstellerin, Rechtsanwältin lic. iur. X. , zweifach für sich und zuhanden der Gesuchstellerin
das Friedensrichteramt B. , [Adresse]
den Vertreter der Gegenpartei in der Hauptsache, Rechtsanwalt lic. iur.
Y. , [Adresse], zweifach für sich und zuhanden von C.
je gegen Empfangsschein.
Eine Beschwerde gegen diesen Entscheid kann innert 10 Tagen von der Zustellung an im Doppel und unter Beilage dieses Entscheids beim Obergericht des Kantons Zürich, Zivilkammern, Postfach 2401, 8021 Zürich, einge-
reicht werden. In der Beschwerdeschrift sind die Anträge zu stellen und zu begründen. Allfällige Urkunden sind mit zweifachem Verzeichnis beizulegen. Die gesetzlichen Fristenstillstände gelten nicht (Art. 145 Abs. 2 ZPO).
Zürich, 5. Januar 2015
OBERGERICHT DES KANTONS ZÜRICH
Die Gerichtsschreiberin:
lic. iur. A. Gürber
versandt am:
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