Zusammenfassung des Urteils VO120142: Obergericht des Kantons Zürich
Die Gesuchsteller A. und B. haben ein Schlichtungsgesuch eingereicht, um die Kündigung durch die D. AG anzufechten. Sie beantragten beim Obergerichtspräsidenten einen unentgeltlichen Rechtsbeistand. Das Gericht bewilligte dies, da die Gesuchsteller finanziell bedürftig waren und ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erschien. Die Kosten der unentgeltlichen Rechtspflege werden vom Kanton Zürich getragen.
Kanton: | ZH |
Fallnummer: | VO120142 |
Instanz: | Obergericht des Kantons Zürich |
Abteilung: | Verwaltungskommission |
Datum: | 25.10.2012 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege |
Schlagwörter: | Gesuch; Gesuchsteller; Rechtspflege; Verfahren; Schlichtungsverfahren; Rechtsbeistand; Kanton; Obergericht; Schlichtungsbehörde; Pacht; Pachtsachen; Rechtsbeistandes; Paritätische; Paritätischen; Bestellung; Klage; Anspruch; Entscheid; Schweiz; Obergerichts; Obergerichtspräsident; Rechtsanwalt; Gericht; Lebens; Kantons; Kündigung; Beurteilung; Sinne; Person |
Rechtsnorm: | Art. 104 ZPO ;Art. 113 ZPO ;Art. 117 ZPO ;Art. 119 ZPO ;Art. 122 ZPO ;Art. 145 ZPO ;Art. 207 ZPO ;Art. 273 OR ;Art. 4 BV ;Art. 99 ZPO ; |
Referenz BGE: | 119 Ia 264; 69 I 160; |
Kommentar: | Sutter-Somm, Hasenböhler, Leuenberger, Schweizer, Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung ZPO, Zürich, Art. 118 OR ZPO, 2010 |
Obergericht des Kantons Zürich
Präsident
Geschäfts-Nr.: VO120142-O/U
Mitwirkend: Der Obergerichtspräsident lic. iur. R. Naef sowie die Gerichtsschreiberin lic. iur. A. Gürber
Urteil vom 25. Oktober 2012
in Sachen
Gesuchsteller
1, 2 vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. X.
betreffend Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege
Erwägungen:
Ausgangslage
A.
(nachfolgend: Gesuchsteller 1) und B.
(nachfolgend: Ge-
suchstellerin 2) haben am 5. Oktober 2012 bei der Paritätischen Schlichtungsbehörde in Mietund Pachtsachen der Stadt Zürich ein Schlichtungsgesuch einge-
reicht betreffend Anfechtung der Kündigung gegen die C. durch die D. AG (act. 4/2).
AG, vertreten
Mit Eingabe vom 5. Oktober 2012 liessen die Gesuchsteller 1-2 beim Obergerichtspräsidenten um Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes für das Schlichtungsverfahren ersuchen (act. 1 S. 2).
Im Schlichtungsverfahren werden gemäss Art. 113 Abs. 1 ZPO keine Parteientschädigungen gesprochen, weshalb auch eine Sicherheit für die Parteientschädigung i.S.v. Art. 99 ZPO nicht zur Frage steht. die Gegenpartei ist daher gemäss Art. 119 Abs. 3 ZPO e contrario nicht zwingend anzuhören.
Beurteilung des Gesuches
Für die Beurteilung von Gesuchen um unentgeltliche Rechtspflege vor Einreichung der Klage bei Gericht ist gemäss § 128 GOG der Obergerichtspräsident im summarischen Verfahren (Art. 119 Abs. 3 ZPO) zuständig. Diese Regelung gilt auch bei Verfahren vor der Paritätischen Schlichtungsbehörde in Mietund Pachtsachen. Die unentgeltliche Rechtspflege ist gemäss Art. 119 Abs. 5 ZPO vor jeder Instanz neu zu beantragen, weshalb der Obergerichtspräsident die unentgeltliche Rechtspflege bei Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen nur bis zum Abschluss des Schlichtungsverfahrens bewilligen kann. Einem Gesuchsteller ist es ohne Rechtsverlust möglich, für das gerichtliche Verfahren direkt beim Mietgericht um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege zu ersuchen.
Vorliegend sind die Gesuchsteller 1-2 Kläger in einem eine Mietsache betreffenden Verfahren. Gemäss Art. 113 Abs. 2 lit. c ZPO ist das Schlichtungsverfahren in Streitigkeiten aus Miete und Pacht von Wohnund Geschäftsräumen
kostenlos. Entsprechend wird ausdrücklich kein Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege im Sinne von Art. 118 Abs. 1 lit. a und b ZPO gestellt, sondern es wird einzig um Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes im Sinne von Art. 118 Abs. 1 lit. c ZPO ersucht.
Eine Person hat Anspruch auf Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes, wenn sie nicht über die erforderlichen Mittel verfügt (sog. Mittellosigkeit Bedürftigkeit), wenn ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint (Art. 117 ZPO) und wenn die Bestellung eines Rechtsbeistandes zur Wahrung der Rechte notwendig ist (Art. 118 Abs. 1 lit. c ZPO).
Die Mittellosigkeit wird gemeinhin dann bejaht, wenn der Aufwand des notwendigen Lebensunterhalts (sog. zivilprozessualer Notbedarf) das massgebliche Einkommen übersteigt, bzw. aus der Differenz nur ein kleiner Überschuss resultiert, welcher es dem Gesuchsteller nicht erlauben würde, die Prozesskosten innert nützlicher Frist zu tilgen.
Für die Beurteilung der fehlenden Aussichtslosigkeit ist eine gewisse Prozessprognose vonnöten, wobei auf den Zeitpunkt der Gesuchseinreichung abzustellen ist. Als aussichtslos sind dabei nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung Prozessbegehren anzusehen, bei denen die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren und die deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet werden können (vgl. z.B. BGE 69 I 160).
An die Notwendigkeit eines unentgeltlichen Rechtsvertreters sind im Schlichtungsverfahren hohe Anforderungen zu stellen. Allgemein ausgedrückt hat eine Partei dann Anspruch auf Verbeiständung, wenn ihre Interessen in schwerwiegender Weise betroffen sind und der Fall in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten bietet, die den Beizug eines Rechtsvertreters erforderlich machen (so Emmel, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO), Zürich/Basel/Genf 2010, N 5 zu Art. 118). Dabei sind neben der Komplexität der Rechtsfragen und der Unübersichtlichkeit des Sachverhaltes auch in der Person des Betroffenen liegende Gründe zu berücksichtigen, so das Alter, die soziale Situation, Sprachkenntnisse
sowie allgemein die Fähigkeit, sich im Verfahren zurecht zu finden (Entscheid des Bundesgerichts 1C_339/2008 vom 24. September 2008 E. 2.2.).
Die Gesuchsteller 1-2 liessen zu ihren finanziellen Verhältnissen ausführen, sie seien nicht in der Lage, nebst ihrem eigenen Lebensunterhalt noch für Anwaltskosten aufzukommen. Sie verfügten über keine Vermögenswerte. Die Gesuchstellerin 2 sei lediglich zu 60% erwerbstätig und verdiene brutto monatlich Fr. 4'122.-. Der Gesuchsteller 1 sei zurzeit arbeitslos. Er sei im Jahr 2012 aus E. [Staat] in die Schweiz gezogen und habe bisher nur Temporärstellen finden können, da er kaum Deutsch spreche und über keine ordentliche Ausbildung verfüge. Das Einkommen der Gesuchstellerin 2 decke knapp den notwendigen Lebensbedarf, auch wenn das gesamte Bruttoeinkommen des Gesuchstellers 1 für die Jahre 2011 und 2012 von Fr. 5'166.- mitberücksichtigt werde (act. 1 S. 5 und S. 6). Aus den eingereichten Unterlagen ergibt sich ein monatlicher Bedarf für die ganze Familie von Fr. 4'448.- (Grundbeträge gemäss Kreisschreiben Fr. 2'100.-; Miete Fr. 1'670.- [act. 4/3], Krankenkasse KVG inkl. IPV Fr. 251.- [act. 4/11/a-c und act. 4/19], Krippe für den Sohn F. Fr. 345.25 [act. 4/12a], Hausrat/Haftpflicht Fr. 22.50 [act. 4/18], Kosten ÖV Fr. 59.25 [act. 4/22]). Die Gesuchstellerin 2 erzielt ein monatliches Nettoeinkommen von Fr. 3'970.30 (act. 4/16). Da der aus E. stammende Gesuchsteller 1 erst im Jahr 2011 in die Schweiz gezogen ist und hier bislang nur Temporärstellen, jedoch keine feste Anstellung finden konnte, hat er keinen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung (vgl. Art. 8 ff. des Bundesgesetzes über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung [Arbeitslosenversicherungsgesetz, AVIG, SR 837.0]). Im Jahr 2011 erzielte er ein monatliches Nettoeinkommen von Fr. 101.80 (act. 4/10b S. 2 und act. 4/15), im Jahr 2012 verdiente er im April netto Fr. 2'944.30 (act. 4/17), was ein durchschnittlich Nettoeinkommen von Fr. 294.43 pro Monat ergibt. Über Vermögen verfügen die Gesuchsteller 1-2 nicht (act. 4/2324). Da die monatlichen Einnahmen der Gesuchsteller 1-2 damit nicht ausreichen, um ihren monatlichen Bedarf zu decken, ist ihre Mittellosigkeit hinreichend belegt bzw. glaubhaft gemacht.
Die gegen die Vermieterin rechtshängig gemachte Klage betreffend Anfechtung der Kündigung/Erstreckung des Mietverhältnisses kann aus heutiger Perspektive sodann nicht als aussichtslos bezeichnet werden. Aufgrund der Ausführungen der Gesuchsteller 1-2 und der eingereichten Unterlagen kann nicht ausgeschlossen werden, dass tatsächlich eine Rachekündigung vorliegt.
Schliesslich kann - ausnahmsweise - auch die Notwendigkeit einer anwaltlichen Vertretung bejaht werden. Es bestehen zwar keine Hinweise dafür, dass die Vermieterin einen Rechtsanwalt beigezogen hat. Die Vermieterin wird jedoch durch eine professionelle Verwaltung vertreten, welche über Erfahrung im Zusammenhang mit Prozessen der vorliegenden Art verfügen dürfte. Das Bundesgericht hat in BGE 119 Ia 264 festgehalten, der aus aArt. 4 BV abgeleitete Anspruch auf unentgeltliche Rechtsverbeiständung sei für das mietrechtliche Schlichtungsverfahren in Fällen gewährleistet, in welchen der Behörde eine Entscheidkompetenz zukomme (Art. 259i und Art. 273 Abs. 4 OR). Die Schlichtungsbehörde kann den Parteien in Anwendung von Art. 210 Abs. 1 lit. b ZPO unter anderem einen Urteilsvorschlag unterbreiten, wenn der Kündigungsschutz die Erstreckung des Mietverhältnisses betroffen sind. Vorliegend ist ein solcher Anwendungsfall gegeben. Prozesse um wichtige Aspekte des Lebens wie der Wohnung gelten in der Regel ohnehin als relativ schwere Fälle, welche die Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes rechtfertigen (vgl. Rüegg in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger [Hrsg.], Zü- rich/Basel/Genf 2010, N 11 zu Art. 118). Zudem ist aufgrund der eingereichten Unterlagen und des geschilderten Sachverhalts davon auszugehen, dass die Klage durchaus anspruchsvolle Abklärungen erforderlich machen kann. Folglich kann dem Antrag der Gesuchsteller 1-2 entsprochen werden und ist ihnen für das Schlichtungsverfahren vor der Paritätischen Schlichtungsbehörde in Mietund Pachtsachen der Stadt Zürich betreffend oberwähnte Klage aus Mietrecht Rechtsanwalt lic. iur. X. als unentgeltlicher Rechtsbeistand zu bestellen.
Kosten der unentgeltlichen Rechtspflege
Gemäss den einschlägigen Bestimmungen der ZPO werden die Kosten der unentgeltlichen Rechtspflege vom Kanton getragen bzw. wird der unentgeltliche
Rechtsbeistand vom Kanton entschädigt (Art. 113 Abs. 1 und Art. 122 ZPO). Gemäss der ständigen Praxis des Obergerichts des Kantons Zürich zur Schweizerischen Zivilprozessordnung und gemäss der bisherigen zürcherischen Praxis sind die Kosten der unentgeltlichen Rechtspflege für das Schlichtungsverfahren von der zuständigen Gemeinde zu tragen. Da es sich beim Verfahren vor der Paritätischen Schlichtungsbehörde in Mietund Pachtsachen des Bezirkes Zürich jedoch nicht um ein kommunales, sondern um ein kantonales Verfahren handelt, sind die Kosten der unentgeltlichen Rechtspflege dem Kanton Zürich aufzuerlegen. Zu beachten ist indes, dass die Kosten des Schlichtungsverfahrens gemäss Art. 207 Abs. 2 ZPO bei der Einreichung der Klage zur Hauptsache geschlagen werden und das erkennende Gericht somit in der Folge über diese zusammen mit den übrigen Prozesskosten gemäss Art. 104 ff. ZPO zu entscheiden hat. Die Kostenauflage an den Kanton Zürich erfolgt deshalb unter diesem Vorbehalt.
Kosten und Rechtsmittel
Gemäss Art. 119 Abs. 6 ZPO ist das Verfahren um unentgeltliche Rechtspflege kostenlos.
Die Gegenpartei in der Hauptsache verfügt im vorliegenden Verfahren nicht über Parteistellung. Ihr steht aber gegen den Entscheid betreffend unentgeltlicher Rechtspflege die Beschwerde gemäss Art. 319 lit. b Ziff. 2 ZPO offen, sofern ihnen ein nicht leicht wiedergutzumachender Nachteilt droht.
Es wird erkannt:
Den Gesuchstellern 1-2 wird für das Verfahren vor der Paritätischen Schlichtungsbehörde in Mietund Pachtsachen des Bezirkes Zürich gegen die C. AG in der Person von Rechtsanwalt lic. iur. X. ein unentgeltlicher Rechtsbeistand im Sinne von Art. 118 Abs. 1 lit. c ZPO bestellt.
Die Kosten des unentgeltlichen Rechtsbeistandes trägt unter Vorbehalt von Art. 207 Abs. 2 ZPO der Kanton Zürich.
Dieses obergerichtliche Verfahren ist kostenlos.
Schriftliche Mitteilung gegen Empfangsschein an
den Vertreter der Gesuchsteller 1-2, dreifach für sich und zuhanden der Gesuchsteller 1-2
die Paritätische Schlichtungsbehörde in Mietund Pachtsachen des Bezirkes Zürich, Postfach, 8026 Zürich
die Vertreterin der Gegenpartei in der Hauptsache, D. AG, [Adresse]
Eine Beschwerde gegen diesen Entscheid kann innert 10 Tagen von der Zustellung an im Doppel und unter Beilage dieses Entscheids beim Obergericht des Kantons Zürich, Zivilkammern, Postfach 2401, 8021 Zürich, eingereicht werden. In der Beschwerdeschrift sind die Anträge zu stellen und zu begründen. Allfällige Urkunden sind mit zweifachem Verzeichnis beizulegen. Die gesetzlichen Fristenstillstände gelten nicht (Art. 145 Abs. 2 ZPO).
Zürich, 25. Oktober 2012
OBERGERICHT DES KANTONS ZÜRICH
Die Gerichtsschreiberin:
lic. iur. A. Gürber
versandt am:
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