Zusammenfassung des Urteils VO110022: Obergericht des Kantons Zürich
Der Gesuchsteller A. hat beim Präsidenten des Obergerichts des Kantons Zürich um einen unentgeltlichen Rechtsbeistand für eine beabsichtigte Klage betreffend Abänderung eines Scheidungsurteils bezüglich Unterhaltsbeiträge für seine Tochter B. ersucht. Nach Prüfung seiner finanziellen Verhältnisse wird ihm ein unentgeltlicher Rechtsbeistand bewilligt, da er mittellos ist und die Klageaussichten nicht als aussichtslos gelten. Der Gesuchsteller wird aufgefordert, einen Anwalt zu benennen, andernfalls wird ihm einer vom Gericht zugewiesen. Das Verfahren um unentgeltliche Rechtspflege ist kostenlos.
Kanton: | ZH |
Fallnummer: | VO110022 |
Instanz: | Obergericht des Kantons Zürich |
Abteilung: | Verwaltungskommission |
Datum: | 26.05.2011 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes |
Schlagwörter: | Recht; Gesuchs; Gesuchsteller; Gericht; Klage; Rechtsbeistand; Obergericht; Verfahren; Unterhalt; Kanton; Bestellung; Obergerichts; Frist; Kantons; Rechtsbeistandes; Abänderung; Unterhaltsbeiträge; Obergerichtspräsident; Schweiz; Zivilprozessordnung; Rechtspflege; Tochter; Person; ZPO/ZH; Beurteilung; Anspruch; Gesuchstellers |
Rechtsnorm: | Art. 119 ZPO ;Art. 145 ZPO ;Art. 197 ZPO ;Art. 284 ZPO ;Art. 404 ZPO ;Art. 63 IPRG ;Art. 63 ZPO ; |
Referenz BGE: | 69 I 160; |
Kommentar: | Dasser, Oberhammer, Siehr, Kommentar zum Lugano-Übereinkommen, Art. 5 IPRG, 2008 |
Obergericht des Kantons Zürich
Der Präsident
Geschäfts-Nr.: VO110022-O/U
Mitwirkend: Der Obergerichtspräsident Dr. H.A. Müller sowie die Gerichtsschreiberin lic. iur. A. Zweifel
Urteil vom 26. Mai 2011
in Sachen
Gesuchsteller
betreffend Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes
Erwägungen:
Ausgangslage
Mit Eingabe vom 16. März 2011 stellte A. (nachfolgend: Gesuchsteller) beim Präsidenten des Obergerichts des Kantons Zürich vor Anhängigmachen eines Zivilprozesses den Antrag, es sei ihm im Hinblick auf eine beabsichtigte Klage betreffend Abänderung eines Scheidungsurteils (Unterhaltsbeiträge für die Tochter B. ) die Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes zu bewilligen (act. 1). Mit Verfügung vom 7. April 2011 wurde dem Gesuchsteller aufgegeben, innert Frist Angaben zur Person der Beklagten im beabsichtigten Abänderungsverfahren, zur Grundlage der zu bezahlenden Unterhaltsbeiträge sowie zu seinen finanziellen Verhältnissen zu machen (act. 3). Dieser Aufforderung ist der Gesuchsteller mit Eingabe vom 27. April 2011 innert Frist nachgekommen (act. 4).
Anwendbares Prozessrecht
Seit dem 1. Januar 2011 gilt in der Schweiz eine neue, Schweizerische Zivilprozessordnung (ZPO), welche die bis anhin gültigen kantonalen Zivilprozessordnungen ablöst. Bei Verfahren, die bei Inkrafttreten des neuen Gesetzes rechtshängig sind, bleibt das bisherige Verfahrensrecht und damit die Zivilprozessordnung des Kantons Zürich (ZPO/ZH) sowie das Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) weiterhin bzw. bis zum Abschluss des Verfahrens vor der betroffenen Instanz anwendbar (Art. 404 Abs. 1 ZPO). Für die anderen Verfahren, die - wie das Vorliegende - am 1. Januar 2011 noch nicht rechtshängig waren, kommen die Schweizerische Zivilprozessordnung (ZPO) und das kantonale Gerichtsorganisationsgesetz (GOG) zur Anwendung.
Beurteilung des Gesuchs
Für die Beurteilung von Gesuchen um unentgeltliche Rechtspflege vor der Einreichung der Klage bei Gericht ist gemäss § 128 GOG der Obergerichtspräsident im summarischen Verfahren (Art. 119 Abs. 3 ZPO) zuständig. Die unentgeltliche Rechtspflege ist gemäss Art. 119 Abs. 5 ZPO vor jeder Instanz neu zu beantragen, weshalb der Obergerichtspräsident die unentgeltliche Rechtspflege bei Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen nur bis zum Abschluss des Schlichtungsverfahrens bewilligen kann.
In Anlehnung an § 88 ZPO/ZH und mit Blick auf Art. 118 Abs. 1 lit. c ZPO letzter Satz kann zur Vorbereitung des Prozesses ein unentgeltlicher Rechtsbeistand bestellt werden (vgl. auch Botschaft ZPO, S. 7302). Eine Person hat Anspruch auf die Bestellung eines vorprozessualen unentgeltlichen Rechtsbeistandes, wenn sie im Sinne von Art. 117 lit. a ZPO mittellos ist, wenn ihr Prozess nicht als aussichtslos erscheint (Art. 117 lit. b ZPO) und wenn sie für die gehörige Führung des Prozesses eines rechtskundigen Vertreters bedarf (Art. 118 Abs. 1 lit. c ZPO). Die Bestellung eines vorprozessualen Rechtsvertreters soll der bedürftigen Partei ermöglichen, die Erfolgsaussichten einer ins Auge gefassten Klage durch eine rechtskundige Person prüfen zu lassen und die dazu vor Klageanhebung nötigen Abklä- rungen in tatsächlicher und (bei schwierigen Rechtsfragen, ausländischem Recht etc.) rechtlicher Hinsicht zu treffen. Damit soll in erster Linie vermieden werden, dass sich die bedürftige Partei mit einer allenfalls aussichtslosen Klage einem unnötigen Prozessrisiko aussetzt (ZR 97 [1998] Nr. 21).
Die Mittellosigkeit wird gemeinhin dann bejaht, wenn der Aufwand des notwendigen Lebensunterhalts (sog. zivilprozessualer Notbedarf) das massgebliche Einkommen übersteigt bzw. aus der Differenz nur ein kleiner Überschuss resultiert, welcher es dem Gesuchsteller nicht erlauben würde, die Prozesskosten innert nützlicher Frist zu bezahlen.
Nach der Verbüssung einer mehrjährigen Haftstrafe wurde der Gesuchsteller am tt.mm.2010 aus der Haft entlassen. Vom 25. Dezember 2010 bis zum
26. April 2010 ging er einer befristeten Erwerbstätigkeit als Koch nach, wobei er für die Monate Dezember 2010 bis Februar 2011 netto Euro 347.45, Euro 1'283.73 bzw. Euro 1'189.81 verdiente (act. 2/1-2/3). Seit dem 23. März 2011 erhält der Gesuchsteller Arbeitslosengeld in der Höhe von Euro 26.45 pro Tag. Dieser Anspruch steht ihm bis zum 20. Dezember 2011 zu (act. 5/14). Mit der Arbeitslosenentschädigung kann der Gesuchsteller gerade die minimalen Lebenshaltungskosten decken. Den ins Recht gelegten Unterlagen kann sodann entnommen werden, dass er Schulden von mehreren zehntausend Franken bzw. Euro hat und für seine Tochter B. monatliche Unterhaltsbeiträge von Fr. 565.65 bezahlen muss (act. 5/13). Zusätzlich ist er für ein weiteres Kind unterhaltspflichtig und hat diesem an dessen Unterhalt monatlich Euro 150.- zu bezahlen (act. 1 und 5/3). Damit ist die Bedürftigkeit des Gesuchstellers ausgewiesen und das Erfordernis der Mittellosigkeit gegeben.
Für die Beurteilung der fehlenden Aussichtslosigkeit als zweite Voraussetzung zur Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes ist eine gewisse Prozessprognose notwendig, wobei auf den Zeitpunkt der Gesuchseinreichung abzustellen ist. Als aussichtslos sind dabei nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung Prozessbegehren anzusehen, bei denen die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren und die deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet werden können (vgl. z.B. BGE 69 I 160).
Die in Betracht gezogene Abänderungsklage des Gesuchstellers kann aus heutiger Perspektive nicht als aussichtslos bezeichnet werden, zumal er nach der Verbüssung der Haft und einer befristeten Arbeitstätigkeit Arbeitslosengeld in geringer Höhe bezieht (act. 5/14).
Schliesslich ist auch das Erfordernis der Notwendigkeit eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes zu bejahen. Aufgrund der eingereichten Unterlagen und des geschilderten Sachverhalts ist davon auszugehen, dass die beabsichtigte Klage durchaus anspruchsvolle Abklärungen v.a. in rechtlicher Hinsicht erforderlich machen kann. So gilt es beispielsweise abzuklären, ob es sich um eine strittige einvernehmliche Herabsetzung der Unterhaltsbeiträge handelt. Trifft Letzteres zu, ist die Vormundschaftsbehörde zuständig (Art. 284 Abs. 2 ZPO). Ist Ersteres der Fall, stellt sich sodann die Frage, bei welchem Gericht die Abänderungsklage einzureichen ist. Zum einen besteht hinsichtlich der sachlichen Zuständigkeit ein Ausnahmefall von Art. 197 ZPO, d.h. es bedarf keines Schlichtungsverfahrens und die Klage ist direkt beim zuständigen Gericht anhängig zu machen (Art. 198 lit. c i.V.m. Art. 284 Abs. 3 ZPO; BSK ZPO-Siehr, Art. 284 N 8). Zum anderen handelt es sich um einen internationalen Sachverhalt - der Gesuchsteller hat seinen Wohnsitz in - und es stellen sich schwierige Fragen bezüglich der örtlichen Zuständigkeit. Zur Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts müssen insbesondere das Lugano-Übereinkommen (Art. 2 und 5 Ziff. 2 lit. b LugÜ) sowie - bei einer beabsichtigten Klage in der Schweiz - das Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht (Art. 63 und 79 IPRG) herangezogen werden. Hierbei stellen sich diverse Fragen wie beispielsweise jene, ob Art. 5 Ziff. 2 lit. b LugÜ auch für Klagen des Unterhaltsschuldners auf Herabsetzung von Unterhaltsbeiträgen gilt, worüber in der Lehre keine Einigkeit besteht (bejahend: Oberhammer, Kommentar zum Lugano-Übereinkommen, Dasser/Oberhammer [Hrsg.], Bern 2008, Art. 5 N 109; verneinend: Siehr in Zür- cher Kommentar zum IPRG, 2. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2004, S. 793), jene, welche Bestimmung des IPRG im Rahmen der Anwendung von Art. 2 LugÜ massgebend ist. Überdies ist weiter abzuklären, inwiefern die Tatsache, dass die Tochter B. im Oktober mündig wird, einen Einfluss auf den Gerichtsstand hat. In Anbetracht dessen, dass der schweizerischen ZPO anders als dem bisherigen Zivilprozessrecht des Kantons Zürich eine eigentliche Überweisungspflicht von einem unzuständigen an ein zuständiges Gericht fremd ist (vgl. Art. 63 ZPO und § 112 ZPO/ZH), und die Einreichung der Klage bei einem unzuständigen Gericht damit die Auflage der Kosten zulasten des Gesuchstellers zur Folge haben könnte, ist dem Gesuchsteller ein vorprozessualer unentgeltlicher Rechtsbeistand zu bestellen.
Der Gesuchsteller ist aufzufordern, innert Frist einen im Kanton Zürich zugelassenen Rechtsanwalt zu benennen, andernfalls ihm vom Gericht ein solcher bestellt wird.
Gemäss Art. 119 Abs. 6 ZPO ist das Verfahren um unentgeltliche Rechtspflege kostenlos.
Es wird erkannt:
In Gutheissung des Gesuchs um Bestellung eines vorprozessualen unentgeltlichen Rechtsbeistands wird dem Gesuchsteller im Hinblick auf eine allfällige Abänderungsklage des Scheidungsurteils vom 28. November 1995 ein unentgeltlicher Rechtsbeistand i.S.v. Art. 118 Abs. 1 lit. c ZPO bestellt.
Der bewilligte Aufwand wird einstweilen beschränkt auf eine Entschädigung von maximal Fr. 1'400.-.
Der Gesuchsteller wird aufgefordert, innert einer Frist von 10 Tagen seit Zustellung dieses Entscheids dem Obergerichtspräsidenten einen von ihm gewünschten, im Kanton Zürich zugelassenen Rechtsanwalt bzw. eine Rechtsanwältin zu benennen, andernfalls ihm vom Gericht ein solcher bestellt wird.
Dieses obergerichtliche Verfahren ist kostenlos.
Schriftliche Mitteilung gegen Empfangsschein an den Gesuchsteller sowie zur Kenntnisnahme an die Obergerichtskasse.
Eine Beschwerde gegen diesen Entscheid kann innert 10 Tagen von der Zustellung an im Doppel und unter Beilage dieses Entscheids beim Obergericht des Kantons Zürich, Zivilkammern, Postfach 2401, 8021 Zürich, eingereicht werden. In der Beschwerdeschrift sind die Anträge zu stellen und zu begründen. Allfällige Urkunden sind mit zweifachem Verzeichnis beizulegen. Die gesetzlichen Fristenstillstände gelten nicht (Art. 145 Abs. 2 ZPO).
Zürich, 26. Mai 2011
OBERGERICHT DES KANTONS ZÜRICH
Die Gerichtsschreiberin:
lic. iur. A. Zweifel
versandt am:
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