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Urteil Verwaltungsgericht (SO - ZKBES.2024.53)

Zusammenfassung des Urteils ZKBES.2024.53: Verwaltungsgericht

Die Gemeinde Lugano hat gegen B.___ eine Betreibung auf Sicherstellung eingeleitet. Die Gemeinde stellte ein Rechtsöffnungsbegehren für Forderungen, Zinsen und Kosten. Das Amtsgericht wies das Begehren ab, verpflichtete die Gemeinde zur Zahlung von Gerichtskosten und einer Parteientschädigung. Die Gemeinde legte Beschwerde ein, um das Urteil aufzuheben und das Begehren gutzuheissen. Es wird diskutiert, ob die Sicherstellungsverfügung als definitiver Rechtsöffnungstitel gilt. Die Beschwerde wird gutgeheissen, die Rechtsöffnung erteilt, und B.___ muss verschiedene Kosten tragen.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts ZKBES.2024.53

Kanton:SO
Fallnummer:ZKBES.2024.53
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Zivilkammer
Verwaltungsgericht Entscheid ZKBES.2024.53 vom 18.06.2024 (SO)
Datum:18.06.2024
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:-
Schlagwörter: Recht; Sicherstellung; Sicherstellungsverfügung; Steuer; Rechtsöffnung; Bundesgericht; Betreibung; Entscheid; Urteil; Rechtskraft; Rechtsmittel; Verfügung; Vollstreckbarkeit; Arrest; Verfahren; Sicherheitsleistung; Veranlagung; Verwaltung; Beschwerdegegner; Bundesgerichts; SchKG; Verfahrens; Gerichtsurteil; Arrestbefehl; Gemeinde
Rechtsnorm: Art. 103 BGG ;Art. 165 DBG ;Art. 169 DBG ;Art. 170 DBG ;Art. 273 KG ;Art. 274 KG ;Art. 38 KG ;Art. 80 KG ;
Referenz BGE:145 III 30;
Kommentar:
Hans, Schweizer, Frey, Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht – Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer DBG, Art. 169 DBG SR, 2022

Entscheid des Verwaltungsgerichts ZKBES.2024.53

 
Geschäftsnummer: ZKBES.2024.53
Instanz: Zivilkammer
Entscheiddatum: 18.06.2024 
FindInfo-Nummer: O_ZK.2024.91
Titel: Rechtsöffnung

Resümee:

 

Obergericht

Zivilkammer

 

 

 

Urteil vom 18. Juni 2024         

Es wirken mit:

Präsidentin Hunkeler

Oberrichter Frey

Oberrichterin Kofmel    

Gerichtsschreiber Schaller

In Sachen

Gemeinde Lugano,

vertreten durch vertreten durch Divisione delle Contribuzioni, Ufficio esazione e condoni, […]

 

Beschwerdeführerin

 

gegen

 

B.___,

vertreten durch Rechtsanwalt Roy Bay,     

 

Beschwerdegegner

betreffend Rechtsöffnung


zieht die Zivilkammer des Obergerichts in Erwägung:

I.

1. Mit Zahlungsbefehl Nr. [...] des Betreibungsamtes Region Solothurn vom 14. November 2023 leitete die Municipio di […] gegen B.___ eine Betreibung auf Sicherstellung ein. Als Forderungsgrund wird die Sicherstellungsverfügung vom 9. November 2023 genannt. Diese Sicherstellungsverfügung lautet auf eine Summe von CHF 900’000.00 zuzüglich Zins zu 2.5 % seit 10. November 2023.

 

2. Die Gemeinde Lugano (so bezeichnet im Rechtsöffnungsbegehren, im Folgenden die Gesuchstellerin) stellte am 12. Dezember 2023 (Postaufgabe) beim Richteramt Solothurn-Lebern gegen B.___ (im Folgenden der Gesuchsgegner) das Rechtsöffnungsbegehren für Forderung, Zinsen, Kosten und eine angemessene Umtriebsentschädigung.

 

3. Der Gesuchsgegner beantragte in seiner Gesuchsantwort vom 21. Dezember 2023 die Abweisung des Rechtsöffnungsgesuchs, unter Kosten- und Entschädigungsfolge. Die Parteien reichten in der Folge weitere Stellungnahmen ein.

 

4. Mit Urteil vom 12. März 2024 wies die Amtsgerichtspräsidentin das Rechtsöffnungsbegehren ab und verpflichtete die Gesuchstellerin zur Bezahlung einer Parteientschädigung von CHF 2’013.15 und der Gerichtskosten von CHF 1’000.00.

 

5. Gegen das begründete Urteil erhob die Gesuchstellerin (im Folgenden die Beschwerdeführerin) am 15. April 2024 Beschwerde an das Obergericht des Kantons Solothurn und verlangte die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Gutheissung des Rechtsöffnungsgesuchs. Weiter beantragte sie, die Gerichtsgebühren und die Honorarkosten seien massiv zu ermässigen, um zu verhindern, dass schlussendlich solche Kosten einfach mal drei berechnet würden, ohne dass dafür eine entsprechende Last attestiert sei, unter Kosten- und Entschädigungsfolgen.

 

6. Der prozessuale Antrag der Beschwerdeführerin, es seien die drei parallelen Verfahren zu vereinigen, ist sogleich abzuweisen. Es sind drei verschiedene Betreibungen von drei verschiedenen Gläubigern und drei verschiedene Rechtsöffnungsbegehren, die jeweils ein eigenes Schicksal haben. Zudem würde die Übersichtlichkeit leiden.

 

7. Der Gesuchsgegner (im Folgenden der Beschwerdegegner) beantragte am 3. Mai 2024 die Abweisung der Beschwerde, unter Kosten- und Entschädigungsfolge zulasten der Klägerin von mindestens CHF 1’000.00.

 

8. Auf die Ausführungen der Parteien und der Vorinstanz wird im Folgenden soweit entscheidrelevant eingegangen. Im Übrigen wird auf die Akten verwiesen.


 

II.

1.1 Die Amtsgerichtspräsidentin hat das Rechtsöffnungsbegehren gestützt auf den Entscheid des Bundesgerichts 5A_41/2018 vom 18. Juli 2018 abgewiesen. Danach werde mit der Sicherstellungsverfügung der zu sichernde Betrag festgelegt, was unter anderem bei Gefährdung der geschuldeten Steuern möglich sei. Sie sei sofort vollstreckbar und habe im Betreibungsverfahren die Wirkung eines vollstreckbaren gerichtlichen Urteils. Anstelle der Betreibung auf Zahlung könne auch die Betreibung auf Sicherheitsleistung eingeleitet werden (Art. 38 SchKG). In diesem Fall sei zur Rechtsöffnung jedenfalls eine rechtskräftige Sicherstellungsverfügung nötig, damit der Schuldner hinzunehmen habe, dass der Steuergläubiger auf dem Vollstreckungsweg durch Betreibungsfortsetzung gegen ihn vorgehen könne. Diese Sicherstellungsverfügung könne auch vollstreckt werden, wenn die Veranlagung noch nicht rechtskräftig sei. Im konkreten Fall habe die Vorinstanz den Beschwerdegegnern in der Betreibung auf Sicherheitsleistung Nr. xxx die definitive Rechtsöffnung im Umfang von CHF 76’595.95 erteilt. Zuvor habe der Beschwerdeführer gegen die Sicherstellungsverfügung vom 7. Juli 2017 Rekurs an das Steuergericht des Kantons Solothurn erhoben, wobei das Verfahren noch hängig sei. Damit fehle es an einem definitiven Rechtsöffnungstitel in Gestalt einer rechtskräftigen Sicherstellungsverfügung. Da es vorliegend gerade nicht um eine Betreibung auf Geldzahlung gehe, spiele es keine Rolle, dass es noch an einer rechtskräftigen Veranlagungsverfügung fehle (E. 3.2.1. ff.; mit Hinweisen).

 

1.2 Darauf erwog die Amtsgerichtspräsidentin, vorliegend handle es sich nicht um einen Zahlungsbefehl für die ordentliche Betreibung auf Pfändung Konkurs aufgrund einer vollstreckbaren und rechtskräftigen Steuerveranlagung, sondern eben um eine solche auf Sicherheitsleistung. Bei einer solchen Sicherstellungsverfügung sei zwischen der schuldarrestrechtlichen und der betreibungsrechtlichen Wirkung zu unterscheiden. Werde eine solche Sicherstellungsverfügung angefochten, werde zwar der Eintritt der formellen Rechtskraft gehemmt, nicht aber die schuldarrestrechtliche Vollstreckung, da der Sicherstellungsverfügung von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung zukomme. Sinn und Zweck der getroffenen Lösung sei, zu verhindern, dass ein Steuerpflichtiger, welcher einen Steuergefährdungstatbestand erfülle, während der Rechtsmittelfrist Vermögenswerte entäussern könne, ohne dass der Fiskus gegen ein solches Vorgehen einschreiten könnte. Betreibungsrechtlich könne die Sicherstellungsverfügung erst nach Vorliegen der formellen Rechtskraft durchgesetzt werden (Hans Frey in: Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht – Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer (DBG), 4. Auflage 2022, Art. 169 N 66). Infolge der Anfechtung der Sicherstellungsverfügung vom 9. November 2023 durch den Gesuchsgegner bei der Kammer für Steuerrecht und des dadurch immer noch anhängigen Verfahrens sei diese noch nicht in formelle Rechtskraft erwachsen. Mangels rechtskräftiger Sicherstellungsverfügung fehle es an einem definitiven Rechtsöffnungstitel.

 

2.1 Die Beschwerdeführerin bringt dagegen vor, gerichtlichen Entscheiden gleichgestellt seien gemäss Art. 80 Abs. 2 Ziff. 2 SchKG Verfügungen schweizerischer Verwaltungsbehörden. Verfügungen der kantonalen eidgenössischen Steuerbehörden fielen unter Art. 80 Abs. 2 Ziff. 2 SchKG. Jede vollstreckbare Verfügung einer schweizerischen Verwaltungsbehörde berechtige zur definitiven Rechtsöffnung, gleichgültig, ob es sich um eine Bundesbehörde, eine kantonale kommunale Behörde handle, welche gestützt auf Bundesrecht, kantonales kommunales Recht verfüge. Wie bei Zivilurteilen genüge grundsätzlich auch bei Verfügungen einer Verwaltungsbehörde die Vollstreckbarkeit, ohne dass auch die formelle Rechtskraft vorliegen müsse. Eine Verfügung sei vollstreckbar, wenn sie nicht mehr mit einem ordentlichen Rechtsmittel anfechtbar sei, wenn nur noch ein Rechtsmittel zur Verfügung stehe, das keine aufschiebende Wirkung habe, wenn dem Rechtsmittel die aufschiebende Wirkung entzogen worden sei.

 

Als Grundlage für die Forderung bezeichne sie die Sicherstellungsverfügung vom 9. November 2023, welche aufgrund des hängigen Rechtsmittels nicht in Rechtskraft erwachsen sei. Gemäss. Art. 165 Abs. 3 DBG und Art. 244 Abs. 3 des Tessiner Steuergesetzes (LT) hätten rechtskräftige Veranlagungsverfügungen und Veranlagungsentscheide im Betreibungsverfahren der mit dem Vollzug dieses Gesetzes betrauten Behörden die gleiche Wirkung wie ein vollstreckbares Gerichtsurteil. Die Vollstreckbarkeit von Veranlagungsentscheidungen ergebe sich daher aus ihrer Rechtskraft. Gemäss Art. 169 Abs. 1 DBG könne die kantonale Verwaltung für die direkte Bundessteuer auch vor der rechtskräftigen Feststellung des Steuerbetrages jederzeit Sicherstellung verlangen. Die Sicherstellungsverfügung gebe den sicherzustellenden Betrag an und sei sofort vollstreckbar. Sie habe im Betreibungsverfahren die gleichen Wirkungen wie ein vollstreckbares Gerichtsurteil. Eine ähnliche Bestimmung finde sich auch im Tessiner Steuergesetz (LT) in Art. 248 Abs. 1. Es sei jedoch zu betonen, dass das LT auch – um jeden Zweifel zu zerstreuen – präzisiere, dass die Sicherheitsleistung die gleiche Wirkung wie ein vollstreckbares Gerichtsurteil gemäss Art. 80 SchKG entfalte. Gemäss Art. 169 Abs. 4 DBG und in ähnlicher Weise Art. 248 Abs. 4 LT habe die Beschwerde gegen die Sicherstellungsverfügung keine aufschiebende Wirkung. Die Vollstreckbarkeit der Entscheidungen zur Sicherheitsleistung trete daher ex lege unverzüglich nach ihrer Zustellung ein.

 

2.2 Zunächst sei festzustellen, dass der Beschwerdegegner im vorliegenden Fall nicht die Anwendbarkeit der Art. 165 Abs. 3 DBG und Art. 244 Abs. 3 LT bestreite. Gemäss diesen Bestimmungen würden rechtskräftige Steuerentscheide mit rechtskräftigen Gerichtsurteilen gleichgesetzt. Der Anwendungsbereich der Art. 165 Abs. 3 DBG und 244 Abs. 3 LT sei daher auf Steuerentscheide beschränkt und erstrecke sich nicht auf Entscheidungen über Sicherheitsleistungen. Tatsächlich werde die Sicherstellung ausschliesslich in den Artikeln 169 DBG und 248 LT geregelt. Im vorliegenden Fall sei unbestreitbar, dass die Sicherstellungsverfügung eine vollstreckbare Entscheidung sei, da eine dagegen erhobene Beschwerde keine aufschiebende Wirkung habe.

 

2.3 Hinzu komme, dass anders als bei der Zahlungsvollstreckung die Sicherungsvollstreckung darauf ziele, die Erfüllung einer Sicherheitsleistung zu erlangen, nicht die Zahlung einer rechtskräftigen Forderung. Auch aus dieser Perspektive sei es nicht verständlich, warum die Sicherstellungsverfügung rechtskräftig sein sollte, um die Bestätigung des Arrestbefehls zu erreichen. Nicht zuletzt müsse die Entscheidung der Behörde zu diesem Zweck nur vollstreckbar sein. Die Tatsache, dass die Sicherstellungsverfügung mit einem Arrestbefehl verbunden sei und gegen die Pfändung keine Beschwerde zulässig sei (Art. 170 Abs. 2 DBG), ändere nichts daran, sondern stärke vielmehr den unmittelbar vollstreckbaren Charakter der Sicherstellungsverfügung, auch wenn diese noch nicht rechtskräftig sei.

 

2.4 Es werde hervorgehoben, dass sich das Bundesgericht im Entscheid 5A_41/2018 auf die Lehrmeinungen von Hans Frey und Pierre Curchod stütze (Frey, in: Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht, DBG, N 37 zu Art. 170; Curchod, in: Commentaire romand, Impôt fédéral direct, N 82 zu Art. 170). Stéphan Abbet hingegen sei anderer Meinung und vertrete die Auffassung, das Urteil des Bundesgerichts sei falsch (BlSchK 2020 Nr. 30, S. 237).

 

2.5 In den nachfolgenden Urteilen des Bundesgerichts (5A_930/2017 vom 17. Oktober 2018, BGE 145 III 30 und 5A_252/2021 vom 8. November 2021) werde das Urteil 5A_41/2018 ausschliesslich zitiert, um das darin festgelegte Prinzip zu erwähnen, wonach eine rechtskräftig gewordene Sicherstellungsverfügung als definitiver Rechtsöffnungstitel betrachtet werde. Keines dieser Urteile schliesse jedoch aus, dass ein Sicherstellungsentscheid, der noch nicht rechtskräftig geworden sei, als definitiver Rechtsöffnungstitel betrachtet werde. Bereits BGE 145 III 30 bestätige die Position von Stéphan Abbet und die frühere Rechtsprechung. Im Urteil 5A_252/2021 vom 8. November 2021 habe das Bundesgericht die Frage jedoch offengelassen (Erwägung 6.3).

 

2.6 Es sei nicht ganz klar, warum die Sicherstellung gesetzlich dem Arrestbefehl gemäss Art. 170 DBG gleichgestellt werde, wenn zur Validierung des letzteren auf die Rechtskraft der Sicherstellungsverfügung gewartet werden müsse. Tatsächlich sei es genau das Gegenteil: Gerade, weil die Sicherstellungsverfügung im Betreibungsverfahren rechtskräftigen Veranlagungsverfügungen und -entscheiden gleichgestellt sei, könne sie dem Arrestbefehl gleichgestellt werden.

 

3. Der Beschwerdegegner verweist vor Obergericht auf sein Antwortschreiben an die Vorinstanz vom 18. Dezember 2023 und auf den angefochtenen Entscheid. Er ist im Wesentlichen der Auffassung, es sollte der Steuerverwaltung nicht gestattet sein, zur Zwangsvollstreckung von Vermögenswerten zu schreiten, ohne dass ein Richter zumindest über die Glaubwürdigkeit der Steuerforderung entschieden habe.

 

4. Umstritten ist im vorliegenden Fall einzig, ob die Sicherstellungsverfügung vom 9. November 2023 einen definitiven Rechtsöffnungstitel darstellt, obwohl sie bei der Camera di diritto tributario del Tribunale d’appello angefochten wurde. Für die Erteilung der definitiven Rechtsöffnung für Verfügungen und Entscheide schweizerischer Verwaltungsbehörden gilt grundsätzlich, dass Verfügungen nicht formell rechtskräftig sein müssen und für diese die Vollstreckbarkeit genügt. Auch dieser Grundsatz ist nicht bestritten. Es stellt sich vielmehr die Frage, ob bei Sicherstellungsverfügungen für gefährdete Steuern von diesem allgemein anerkannten Grundsatz abgewichen werden und für diese zusätzlich formelle Rechtskraft verlangt werden muss.

 

5. Art. 165 Abs. 3 DBG bestimmt, dass die rechtskräftigen Veranlagungsverfügungen und -entscheide der mit dem Vollzug dieses Gesetzes betrauten Behörden im Betreibungsverfahren die gleiche Wirkung wie ein vollstreckbares Gerichtsurteil haben. Nach Art. 169 Abs. 1 DBG kann die kantonale Verwaltung für die direkte Bundessteuer auch vor der rechtskräftigen Feststellung des Steuerbetrages jederzeit Sicherstellung verlangen, wenn der Steuerpflichtige keinen Wohnsitz in der Schweiz hat die Bezahlung der von ihm geschuldeten Steuer als gefährdet erscheint. Die Sicherstellungsverfügung gibt den sicherzustellenden Betrag an und ist sofort vollstreckbar. Sie hat im Betreibungsverfahren die gleichen Wirkungen wie ein vollstreckbares Gerichtsurteil. Nach Art. 169 Abs. 4 DBG haben Beschwerden gegen Sicherstellungsverfügungen keine aufschiebende Wirkung. Der Wortlaut von Art. 248 Abs. 1 und 4 des Tessiner Steuergesetzes (Raccolta delle leggi 640.100; LT) ist nahezu identisch. Deshalb können die Überlegungen zur direkten Bundessteuer auf das Tessiner Steuerrecht übertragen werden.

 

6. Art. 165 Abs. 3 DBG verlangt für die Gleichsetzung mit einem vollstreckbaren Gerichtsurteil eine rechtskräftige Steuerveranlagung. Art. 169 Abs. 1 DBG erwähnt die Rechtskraft der Sicherstellungsverfügung nicht. Vielmehr wird diese für sofort vollstreckbar erklärt. Der Wortlaut dieser beiden Bestimmungen ist somit ein ganz ein anderer. Dies spricht für eine unterschiedliche Regelung. Auch systematisch stehen die beiden Bestimmungen in verschiedenen Kapiteln, einmal beim Steuerbezug und ein andermal unter dem Kapitel Steuersicherung. Auch systematisch erscheint damit eine unterschiedliche Auslegung nahe. Dies spricht dafür, dass Art. 169 DBG eine lex specialis zu Art. 165 DBG ist. Zusätzlich und anders als in Art. 165 wird in Art. 169 Abs. 4 DBG festgehalten, dass eine Beschwerde keine aufschiebende Wirkung hat. Dies wirft die Frage auf, ob sich die aufschiebende Wirkung nicht sogar auf den Eintritt der Rechtskraft der Sicherstellungsverfügung bezieht. Denn die Sicherstellungsverfügung ist ja sowieso schon sofort vollstreckbar. Dies würde bedeuten, dass die gegen eine Sicherstellungsverfügung eingereichte Beschwerde den Eintritt der Rechtskraft nicht hemmt. Die Sicherstellungsverfügung wäre trotz des dagegen eingereichten Rechtsmittels rechtskräftig. Auch insofern stünde einer Erteilung der definitiven Rechtsöffnung nichts entgegen. Ob dem so ist, kann dahingestellt bleiben. Denn die Durchsetzbarkeit einer Sicherstellungsverfügung wird in Art. 169 Abs. 1 und Abs. 4 DBG gleich doppelt bekräftigt, einmal durch die Erklärung der sofortigen Vollstreckbarkeit und zweitens dadurch, dass der dagegen gerichteten Beschwerde keine aufschiebende Wirkung zuerkannt wird. Schliesslich könnte auch der Sinn und Zweck der Sicherstellungsverfügung nicht erreicht werden, wenn deren Wirkung mit der Einreichung eines Rechtsmittels bis zum Entscheid über das Rechtsmittel sofort wieder aufgehoben werden könnte. Gerade bei einer Gefährdung der Steuerforderung würde dadurch einem Verheimlichen und Beiseiteschaffen von Vollstreckungssubstrat Tür und Tor geöffnet. Ausserdem gilt eine Sicherstellungsverfügung nach Art. 170 Abs. 1 DBG als Arrestbefehl nach Art. 274 SchKG. Nach dessen Absatz 2 ist eine Einsprache gegen den Arrestbefehl nicht möglich. Ein Arrest könnte indessen nicht erfolgreich prosequiert werden, wenn für die angefochtene Sicherstellungsverfügung keine Rechtsöffnung erteilt werden könnte.

 

7.1 Daniel Staehelin befasst sich im Basler Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs ebenfalls mit der Vollstreckbarkeit und der formellen Rechtskraft (in: Adrian Staehelin et al. [Hrsg.], Basel 2021, Art. 80 N 110). Dort wird ausgeführt, nach dem Inkrafttreten der ZPO berechtigten auch vorläufig vollstreckbare Verwaltungsverfügungen, die noch nicht rechtskräftig seien, zur definitiven Rechtsöffnung. Wohl habe die Zivilprozessordnung die vorläufige Vollstreckbarkeit nur bei Zivilurteilen eingeführt und damit den auch schon in Zweifel gezogenen Grundsatz, dass Vollstreckbarkeit nicht genüge, sondern der Entscheid formell rechtskräftig sein müsse, formell nicht allgemein aufgehoben, doch bestünden nunmehr keine Gründe mehr, diejenigen Entscheide, die vom Verfahrensrecht für vollstreckbar erklärt würden, gemäss SchKG nicht auch effektiv zu vollstrecken. Dies gelte jedoch nur, soweit nicht das materielle Recht Rechtskraft als Voraussetzung der Vollstreckbarkeit fordere. So berechtigten gemäss Art. 165 Abs. 3 DBG nur rechtskräftige Veranlagung- und Sicherstellungsverfügungen zur definitiven Rechtsöffnung. Dieselbe Regelung könne auch das kantonale Verfahrensrecht vorsehen. Ganz gefestigt sei diese Auslegung von Art. 165 Abs. 3 DBG noch nicht: An anderer Stelle habe das Bundesgericht bezüglich der direkten Bundessteuer entschieden, es käme für die Frage, ob ein Rechtsöffnungstitel vorliege, nur auf die Vollstreckbarkeit an, d.h., ob die Verfügung mit einem Rechtsmittel, das von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung habe, angefochten werden könne und dies sei nur bei den kantonalen Rechtsmitteln, nicht aber bei der Beschwerde an das Bundesgericht der Fall; Art. 165 Abs. 3 DBG habe nur eine deklaratorische Funktion. Vorderhand sollte indes auf den Wortlaut des Gesetzes abgestellt werden und der verlange in Art. 165 Abs. 3 DBG eine rechtskräftige Verfügung.

 

7.2 Daniel Staehelin verweist in seinen Ausführungen mehrfach auf die hier ebenfalls zitierten Bundesgerichtsurteile 5A_41/2018 und BGE 145 III 30 (= Pra 108 Nr. 79). Gerade auch gestützt auf diese beiden Urteile scheint er eine effektive Vollstreckung von formell nicht rechtskräftigen Verwaltungsverfügungen zu befürworten. Allerdings mahnt er zur Vorsicht und zur Beachtung des Wortlautes. Gerade diesbezüglich ist darauf hinzuweisen, dass Art. 165 Abs. 3 DBG nur von den rechtskräftigen Steuerveranlagungen und -entscheiden spricht. Die Sicherstellungsverfügungen werden in dieser Bestimmung nicht erwähnt. Vielmehr werden diese in Art. 169 Absatz 1 DBG geregelt. Wie bereits ausgeführt, sind Art. 165 DBG und Art. 169 DBG zwei unterschiedliche Bestimmungen mit einem unterschiedlichen Wortlaut und einem unterschiedlichen Regelungsgehalt. Es macht denn auch Sinn, wenn für die Vollstreckung einer Steuerveranlagung Rechtskraft verlangt wird. Bei einer Sicherstellungsverfügung jedoch wirkt das Abwarten auf den Beschwerdeentscheid dem Sinn und Zweck der Sicherstellungsverfügung entgegen. Insofern hat es der Beschwerdegegner hinzunehmen, dass die Sicherstellung einer Steuerforderung, die noch nicht richterlich überprüft ist, vollstreckt wird. Hervorzuheben ist, dass es nur eine Vollstreckung zur Sicherstellung und nicht zur Bezahlung ist. Geschützt wird der Schuldner auch durch Art. 273 SchKG. Danach haftet der Gläubiger dem Schuldner für einen aus einem ungerechtfertigten Arrest entstandenen Schaden (so auch im Urteil des Bundesgerichts 5A_487/2023 vom 2. April 2024). In Steuersachen geht ein Arrestbefehl in der Regel mit dem Erlass einer Sicherstellungsverfügung einher. So ist es auch im vorliegenden Fall.

 

8. Schliesslich hat das Bundesgericht auch in BGE 145 III 30 anerkannt, dass ein Leistungsurteil unabhängig von der Frage des Eintritts der formellen als auch der materiellen Rechtskraft vollstreckbar werden kann. Es hat dies für einen letztinstanzlichen kantonalen Steuerentscheid bejaht, gegen den eine Beschwerde ans Bundesgericht erhoben wurde. Einer solchen Beschwerde ans Bundesgericht kommt in der Regel keine aufschiebende Wirkung zu (Art. 103 Abs. 3 BGG). Ein solcher Steuerentscheid ist daher grundsätzlich ab dem Zeitpunkt der Ausstellung vollstreckbar, vorbehaltlich der Gewährung der aufschiebenden Wirkung durch den Instruktionsrichter des Bundesgerichts (E. 7.3.3.2). Im Urteil 5A_252/2021 vom 8. November 2021 hat es das Bundesgericht sodann offengelassen, ob die definitive Rechtsöffnung bereits hätte ausgesprochen werden können, als die Beschwerde gegen den Antrag auf Sicherheitsleistung noch beim Bundesgericht hängig war (Erwägung 6.3). Es ist auffällig, dass das Bundesgericht diese Frage offenliess und nicht auf das Urteil 5A_41/2018 verwiesen hat. Denn in diesem hat das Bundesgericht genau diese Frage beantwortet und einen kantonalen Entscheid, in dem für eine angefochtene Sicherstellungsverfügung Rechtsöffnung erteilt worden war, aufgehoben. Es scheint, als habe das Bundesgericht diesen Entscheid nicht bestätigen wollen.

 

9. Die Beschwerdeführerin beanstandet zu Recht, dass die beiden Steuerrechtskommentatoren Hans Frey und Pierre Curchod, auf welche das Bundesgericht im Entscheid 5A_41/2018 seine massgeblichen Erwägungen abstützt, ihre Auffassung nicht begründen. Auch in der 4. Auflage des Basler Kommentars zum Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer (Basel 2022) hat Hans Frey seine Meinung nicht weiter begründet. Wie aufgezeigt, gibt es in der Lehre auch andere Meinungen. Diese sind begründet und haben dadurch eine höhere Überzeugungskraft. Auch das Bundesgericht hat seinen Entscheid 5A_41/2018 seither – soweit ersichtlich – nicht ausdrücklich bestätigt, obwohl es dazu Gelegenheit gehabt hätte. Es finden sich gar Erwägungen, welche die Möglichkeit eines anderslautenden Entscheides offenlassen. Die Einwendungen der Beschwerdeführerin sind daher berechtigt. Zusammenfassend ist die Beschwerde somit gutzuheissen und im beantragten Umfang definitive Rechtsöffnung zu erteilen.

 

10. Nach dem Ausgang des Verfahrens hat der Beschwerdegegner die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens von CHF 1’000.00 sowie diejenigen des Beschwerdeverfahrens von CHF 3’000.00 zu bezahlen. Zudem hat er der Beschwerdeführerin für beide Instanzen eine Parteientschädigung zu bezahlen. Diese wird für beide Instanzen in Anlehnung an die Ausführungen der Beschwerdeführerin zum Kostenentscheid auf CHF 1’200.00 (inkl. Auslagen und MWST) festgesetzt.

Demnach wird erkannt:

1.      Die Beschwerde wird gutgeheissen und das Urteil der Amtsgerichtspräsidentin von Solothurn-Lebern vom 12. März 2024 wird aufgehoben.

2.      In der Betreibung Nr. [...] auf Sicherheitsleistung des Betreibungsamtes Region Solothurn wird für CHF 900’000.00 zuzüglich Zins zu 2,5 % seit 10. November 2023 die definitive Rechtsöffnung erteilt.

3.      B.___ hat der Gemeinde Lugano die Arrestkosten von CHF 266.90 und die Betreibungskosten von CHF 256.30 zu ersetzen.

4.      B.___ hat die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens von CHF 1’000.00 zu bezahlen. Diese werden mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet. B.___ hat der Gemeinde Lugano die von ihr bevorschussten CHF 1’000.00 zu ersetzen.

5.      B.___ hat die Kosten des zweitinstanzlichen Verfahrens von CHF 3’000.00 zu bezahlen. Diese werden mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet. B.___ hat der Gemeinde Lugano die von ihr bevorschussten CHF 3’000.00 zu ersetzen.

6.      B.___ hat der Gemeinde Lugano für beide Instanzen eine Parteientschädigung von total CHF 1’200.00 zu bezahlen.

 

Rechtsmittel: Der Streitwert liegt über CHF 30'000.00.

Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Eröffnung des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in Zivilsachen eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Schweizerischen Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich.

 

 

Im Namen der Zivilkammer des Obergerichts

Die Präsidentin                                                                 Der Gerichtsschreiber

Hunkeler                                                                           Schaller



 
Quelle: https://gerichtsentscheide.so.ch/
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