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Urteil Verwaltungsgericht (SO - ZKBER.2023.40)

Kopfdaten
Kanton:SO
Fallnummer:ZKBER.2023.40
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Zivilkammer
Verwaltungsgericht Entscheid ZKBER.2023.40 vom 13.11.2023 (SO)
Datum:13.11.2023
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:-
Zusammenfassung:Die Zivilkammer des Obergerichts entschied am 13. November 2023 über die Abänderung des Eheschutzurteils zwischen A.___ (Ehefrau) und B.___ (Ehemann). Die Ehefrau erhielt eine IV-Rente und ein hypothetisches Einkommen, während der Ehemann quellensteuerpflichtig war. Der Ehemann beantragte eine Änderung der Unterhaltsbeiträge, was teilweise genehmigt wurde. Es wurde festgelegt, dass die Ehefrau ab April 2023 ein höheres Einkommen haben würde. Die Ehefrau rügte die Berücksichtigung von Krankenkassenprämien im Bedarf, während der Ehemann die Position für auswärtige Verpflegung bestritt. Die Berufung des Ehemannes wurde teilweise begründet.
Schlagwörter: Apos; Ehefrau; Ehemann; Einkommen; Berufung; Urteil; Unterhalt; Ehemannes; Vorderrichter; Eheschutz; Höhe; Phase; Unterhalts; Rechtspflege; Ehegatte; Quellensteuer; Überschuss; Ehegatten; Abzug; Bundesgericht; Abänderung; Gesuch; Bundesgerichts; Rente; Urteils; Parteien; Olten-Gösgen
Rechtsnorm: Art. 117 ZPO ; Art. 123 ZPO ; Art. 163 ZGB ; Art. 175 ZGB ; Art. 317 ZPO ;
Referenz BGE:124 V 321; 126 III 89; 126 V 75; 138 III 97; 140 III 337; 141 III 433; 143 III 42; 144 III 481; 147 III 293; 147 III 301;
Kommentar:
-
Entscheid
 
Geschäftsnummer: ZKBER.2023.40
Instanz: Zivilkammer
Entscheiddatum: 13.11.2023 
FindInfo-Nummer: O_ZK.2023.139
Titel: Abänderung Eheschutz

Resümee:

 

Obergericht

Zivilkammer

 

Urteil vom 13. November 2023            

Es wirken mit:

Präsidentin Hunkeler

Oberrichterin Kofmel

Oberrichter Frey

Gerichtsschreiberin Zimmermann

In Sachen

A.___, vertreten durch Rechtsanwältin Corinne Saner,

 

Berufungsklägerin und Berufungsbeklagte

 

 

gegen

 

 

B.___, vertreten durch Rechtsanwalt Julian Burkhalter,

 

Berufungsbeklagter und Berufungskläger

 

betreffend Abänderung Eheschutz


zieht die Zivilkammer des Obergerichts in Erwägung:

I.

1.1 A.___ (nachfolgend Ehefrau) und B.___ (nachfolgend Ehemann) verheirateten sich am […] 2016. Die Ehe blieb kinderlos.

 

1.2 Mit Gesuch vom 28. Juni 2021 machte die Ehefrau vor Richteramt Olten-Gösgen ein Eheschutzverfahren anhängig.

 

1.3 Mit Urteil vom 23. August 2021 verpflichtete der Amtsgerichtspräsident den Ehemann, der Ehefrau ab dessen Auszug aus der ehelichen Wohnung und für die Dauer des Getrenntlebens monatliche und monatlich vorauszahlbare Unterhaltsbeiträge in der Höhe von CHF 1'260.00 zu bezahlen (Ziffer 5).

 

2.1 Am 30. November 2022 machte der Ehemann vor Richteramt Olten-Gösgen ein Abänderungsverfahren anhängig, mit den folgenden Rechtsbegehren:

 

1.      Es sei die Dispo-Ziff. 5 des Urteils vom 23. August 2021 des Richteramtes Olten-Gösgen […] aufzuheben und wie folgt zu ändern: «Es sei festzustellen, dass die Ehegatten ab dem 1. Dezember 2022 gegenseitig finanziell nicht in der Lage sind, sich Beiträge an den persönlichen Unterhalt zu bezahlen».

2.      Es sei die Gesuchsgegnerin zu verpflichten, dem Gesuchsteller einen Prozesskostenvorschuss von CHF 4'000.00 zu bezahlen.

3.      Es sei dem Gesuchsteller die unentgeltliche Rechtspflege zu bewilligen […]

4.      Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen.

 

2.2 Anlässlich der am 1. Juni 2023 durchgeführten Eheschutzverhandlung bestätigte der Ehemann seine bereits gestellten Rechtsbegehren. Die Ehefrau stellte folgende Anträge:

 

1.      Das Gesuch um Abänderung der Dispo-Ziff. 5 des Urteils vom 23. August 2021 des Richteramtes Olten-Gösgen […] sei abzuweisen.

2.      Eventualiter sei der Gesuchsteller zu verpflichten, ab dem 1. Dezember 2022 unter Anrechnung von allenfalls erbrachten Leistungen monatliche Unterhaltsbeiträge von CHF 1'559.00 zu bezahlen.

3.      Subeventualiter sei der Gesuchsteller zu verpflichten, ab dem 1. Dezember 2022 unter Anrechnung von allenfalls erbrachten Leistungen monatliche Unterhaltsbeiträge von CHF 1'230.00 zu bezahlen.

4.      Es sei der Gesuchsteller zu verpflichten, der Gesuchsgegnerin einen Prozesskostenvorschuss von CHF 4'000.00 zu bezahlen.

5.      Eventualiter sei der Gesuchsgegnerin die unentgeltliche Rechtspflege […] zu gewähren.

6.      U.K.u.E.F.

 

3. Gleichentags fällte der Amtsgerichtspräsident – soweit vorliegend relevant – folgendes im Dispositiv eröffnete Urteil:

 

1.      Das Gesuch des Ehemannes um Leistung eines Prozesskostenvorschusses wird abgewiesen.

2.      Das Gesuch der Ehefrau um Leistung eines Prozesskostenvorschusses wird abgewiesen.

3.      Beiden Parteien wird ab Prozessbeginn die unentgeltliche Rechtspflege bewilligt, unter Beiordnung von Rechtsanwalt Julian Burkhalter, […], für den Ehemann als unentgeltlichen Rechtsbeistand und unter Beiordnung von Rechtsanwältin Corinne Saner, […], für die Ehefrau als unentgeltliche Rechtsbeiständin.

4.      In Abänderung der Ziffer 5 des Urteils des Amtsgerichtspräsidenten von Olten-Gösgen vom 23. August 2021 hat der Ehemann der Ehefrau mit Wirkung ab 1. Dezember 2022 und für die Dauer des Getrenntlebens nachfolgende monatlich vorauszahlbaren Unterhaltsbeiträge zu bezahlen:

-       vom 1. Dezember 2022 bis 31. März 2023: CHF 1'111.00

-       ab 1. April 2023:                                           CHF    946.00

5.      Jeder Ehegatte hat seine Parteikosten selbst zu tragen.

6.      […].

7.      […].

8.      […].

9.      Das Urteil stützt sich auf die folgenden Berechnungsgrundlagen:

- monatliches Nettoeinkommen (inkl. Anteil 13. Monatslohn):

·      des Ehemannes                     CHF 4'458.00 (Ab Dezember 2022)

                                                           CHF 4'967.00 (Ab April 2023)

·      der Ehefrau                            CHF 1'559.00 (Ab Dezember 2022)

                                                           CHF 2'846.00 (Ab April 2023)

- monatlicher Grundbedarf:

·      des Ehemannes                     CHF 3'347.00 (Ab Dezember 2022)

                                                           CHF 3'492.00 (Ab April 2023)

·      der Ehefrau                            CHF 2'930.00 (Ab Dezember 2022)

                                                           CHF 3'262.00 (Ab April 2023)

 

4. Beide Parteien erhoben im Anschluss an die nachträgliche Zustellung der Entscheidbegründung fristgerecht Berufung beim Obergericht des Kantons Solothurn.

 

4.1 Die Ehefrau stellte in ihrer Berufung vom 24. August 2023 folgende Rechtsbegehren:

 

1.         Ziff. 4 des angefochtenen Urteils vom 1. Juni 2023 sei aufzuheben bzw. wie folgt zu ändern:

In Abänderung der Ziff. 5 des Urteils des Amtsgerichtspräsidenten von Olten-Gösgen vom 23. August 2021 hat der Ehemann der Ehefrau mit Wirkung ab 1. Dezember 2022 und für die Dauer des Getrenntlebens nachfolgende monatlich vorauszahlbare Unterhaltsbeiträge zu bezahlen:

- im Dezember 2022                             CHF    1'211.00

- vom 1.1.2023 bis 31.3.2023               CHF    1'211.00

- ab 1.4.2023                                        CHF    1'474.00

2.         Ziff. 9 des angefochtenen Urteils vom 1. Juni 2023 sei wie folgt zu korrigieren:

- monatliches Nettoeinkommen (inkl. Anteil 13. Monatslohn):

des Ehemannes                                 […]

der Ehefrau                                        CHF     1'521.00 (ab Dezember 2022)

                                                           CHF     1'559.00 (ab Januar 2023)

monatlicher Grundbedarf:

des Ehemannes                                 CHF     3'247.00 (ab Dezember 2022)

                                                           CHF     3'392.00 (ab April 2023)

der Ehefrau                                        CHF     2'930.00 (ab Dezember 2022)

3.         Für das Verfahren vor Obergericht sei der Ehefrau die integrale unentgeltliche Rechtspflege […] zu gewähren.

4.         U.K.u.E.F.

 

4.2 Der Ehemann stellte mit seiner Berufung vom 28. August 2023 - soweit nachfolgend relevant - folgende Anträge:

 

Vorfragen

1.      Es sei die Ehefrau zu verpflichten, dem Ehemann einen Prozesskostenvorschuss von CHF 4'000.00 zu bezahlen.

2.      Es sei dem Ehemann die unentgeltliche Rechtspflege zu bewilligen […].

3.      […].

Hauptbegehren

4.    In Gutheissung der Berufung sei Dispositivziffer 4 des Urteils des Richteramtes Olten-Gösgen […] vom 1. Juni 2023 aufzuheben und es sei die Dispositivziffer 5 des Urteils vom 23. August 2021 des Richteramts Olten-Gösgen […] aufzuheben und wie folgt zu ändern: «Es sei festzustellen, dass die Ehegatten ab dem 1. Dezember 2022 gegenseitig finanziell nicht in der Lage sind, sich Beiträge an den persönlichen Unterhalt zu bezahlen.»

Eventualbegehren

5.    In Gutheissung der Berufung sei das Urteil des Richteramts Olten-Gösgen vom 1. Juni 2023 […] aufzuheben und zur neuen Begründung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Alles unter Kosten- und Entschädigungsfolgen über alle Instanzen.

 

4.3 Mit Berufungsantworten vom 7. September 2023 bzw. vom 11. September 2023 schlossen die Parteien auf Abweisung der jeweils gegnerischen Berufung.

 

4.4 Der Ehemann reichte am 18. September 2023 bzw. am 25. September 2023 eine weitere Stellungnahme zu den Akten.

 

5. Die beiden Berufungsverfahren (ZKBER.2023.40 und ZKBER.2023.42) werden vereinigt und sind im Nachfolgenden gemeinsam zu beurteilen.

 

6. In Anwendung von Art. 316 Abs. 1 Schweizerische Zivilprozessordnung (ZPO, SR 272) kann über die Berufung ohne Durchführung einer Verhandlung aufgrund der Akten entschieden werden. Für die Parteistandpunkte und die Erwägungen des Vorderrichters wird grundsätzlich auf die Akten verwiesen. Soweit erforderlich, ist nachstehend darauf einzugehen.

 

II.

 

1.1 Die Ehefrau hat im Berufungsverfahren zwei neue Urkunden (Nrn. 3 und 4 bzw. Nrn. 1 und 3) eingereicht. Im Berufungsverfahren werden gemäss Art. 317 Abs. 1 ZPO neue Tatsachen und Beweismittel nur noch berücksichtigt, wenn sie ohne Verzug vorgebracht werden (lit. a) und trotz zumutbarer Sorgfalt nicht schon vor erster Instanz vorgebracht werden konnten (lit. b). Praxisgemäss ist zwischen echten und unechten neuen Vorbringen (sogenannte Noven) zu unterscheiden. Echte Noven sind Tatsachen und Beweismittel, die (erst) nach dem Ende der Hauptverhandlung des erstinstanzlichen Verfahrens entstanden sind. Sie sind im Berufungsverfahren grundsätzlich immer zulässig, wenn sie ohne Verzug nach ihrer Entdeckung vorgebracht werden. Unechte Noven sind Tatsachen und Beweismittel, die bereits bei Ende der erstinstanzlichen Hauptverhandlung entstanden waren. Ihre Zulassung wird im Berufungsverfahren weitergehend insofern eingeschränkt, als sie ausgeschlossen sind, wenn sie bei Beachtung zumutbarer Sorgfalt bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können (vgl. BGE 143 III 42 E. 4.1).

 

1.2 Die erstinstanzliche Verhandlung fand am 1. Juni 2023 statt. Die Urkunden Nrn. 3 und 4 bzw. 1 und 3 datieren vom 7. bzw. vom 12. September 2023. Es handelt sich dabei zum einen um ein Arbeitsunfähigkeitszeugnis der Praxis C.___, Facharzt Allgemeine Medizin (D), [...], und zum andern um eine E-Mail von Dr. med. D.___, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH, [...]. Beide bestätigen der Ehefrau eine 100 %ige Arbeitsunfähigkeit seit 26. August 2023 bzw. «seit längerem». Dr. D.___ schreibt zudem, dass die Ehefrau aus gesundheitlichen Gründen bis auf weiteres nicht in der Lage sei, im ersten Arbeitsmarkt tätig zu sein.

 

1.3 Ein Arztzeugnis gilt im Zivilprozess als Privatgutachten. Im Zivilprozess stellt ein Privatgutachten kein Beweismittel dar. Dem Privatgutachten ist die Qualität von blossen Parteibehauptungen beizumessen. Wird eine Tatsachenbehauptung von der Gegenpartei substantiiert bestritten, so vermögen Parteigutachten als reine Parteibehauptungen diese allein nicht zu beweisen. Immerhin vermögen sie allenfalls zusammen mit - durch Beweismittel nachgewiesenen - Indizien den Beweis zu erbringen. Werden sie aber nicht durch Indizien gestützt, so dürfen sie als bestrittene Behauptungen nicht als erwiesen erachtet werden (BGE 141 III 433 E. 2.6; betreffend eine Streitigkeit um Krankentaggelder: Urteil des Bundesgerichts 4A_247/2020 vom 7. Dezember 2020 E. 4 mit weiteren Hinweisen).

 

1.4 Es kann offenbleiben, ob die im Berufungsverfahren neu eingereichten Urkunden zu den Akten zu nehmen sind. Wie sich noch zeigen wird, ändern sie so anders nichts am Ergebnis (vgl. dazu nachstehend E. II/6.1.1).

 

2. Verändern sich die Verhältnisse, so passt das Gericht auf Begehren eines Ehegatten die Massnahmen an hebt sie auf, wenn ihr Grund weggefallen ist (Art. 179 Abs. 1 Schweizerisches Zivilgesetzbuch, ZGB, SR 272). Nach der Rechtsprechung setzt eine Abänderung von Eheschutzmassnahmen voraus, dass seit der Rechtskraft des Urteils – namentlich im Bereich der Einkommensverhältnisse – eine wesentliche und dauerhafte Veränderung eingetreten ist dass sich die tatsächlichen Feststellungen, die dem Massnahmenentscheid zugrunde lagen, nachträglich als unrichtig erwiesen haben. Ein Ehegatte kann die Änderung ausserdem auch dann verlangen, wenn sich der Entscheid als nicht gerechtfertigt erweist, weil dem Massnahmenrichter wesentliche Tatsachen nicht bekannt waren. Andernfalls steht die formelle Rechtskraft des Eheschutzentscheides einer Abänderung entgegen (Urteil des Bundesgerichts 5A_555/2013 vom 29. Oktober 2013 E. 3.1, m.w.H.).

 

3. Der Vorderrichter bejahte insbesondere aufgrund der IV-Berentung der Ehefrau sowie der Quellensteuerpflicht des Ehemannes die Voraussetzungen für die Abänderung des Eheschutzurteils. Er aktualisierte darauf die Berechnungsparameter und verpflichtete den Ehemann gestützt darauf, der Ehefrau die neu berechneten Unterhaltsbeiträge zu bezahlen.

 

3.1 Vor Berufungsinstanz ist nicht mehr strittig, dass die Voraussetzungen für eine Abänderung des ursprünglichen Eheschutzentscheides gegeben sind. Strittig und zu klären sind im Nachfolgenden die vom Vorderrichter ermittelten Einkommen der Parteien sowie einzelne Bedarfspositionen. Zu den vor Berufungsinstanz (noch) strittigen Punkten führte der Vorderrichter zusammengefasst und im Wesentlichen aus, was folgt:

 

3.2 Einkommen Ehefrau:

Die Ehefrau habe einen Invaliditätsgrad von 60 % und erhalte eine IV-Rente im Umfang von CHF 1'559.00. Gemäss unangefochten gebliebener IV-Verfügung vom 31. Dezember 2022 bestehe eine Resterwerbsfähigkeit von 40 % für eine leichte, wechselbelastende Tätigkeit ohne Exposition von Nässe und Kälte. Seitens der Ehefrau sei nicht glaubhaft dargelegt worden, dass es ihr nicht zumutbar und möglich sei, im Umfang ihrer Resterwerbsfähigkeit einer Arbeitstätigkeit nachzugehen. Sie habe keine Unterlagen zu ihrer Stellensuche ihrem gesundheitlichen Zustand eingereicht. Es sei davon auszugehen, dass die Ehefrau – wie von der IV ermittelt – im Umfang von 40 % arbeitsfähig sei. Gemäss dem Einkommensvergleich in der IV-Verfügung belaufe sich das jährliche Bruttoeinkommen der Ehefrau mit gesundheitlicher Einschränkung auf CHF 22'100.00. Da es sich dabei um einen Tabellenlohn handle, sei dieser aufgrund der vorhandenen Einschränkungen mit einem leidensbedingten Abzug zu korrigieren. Die Ehefrau habe nur noch eine Arbeitsfähigkeit von 40 % für leichte, wechselbelastende Tätigkeiten, sei bereits […]-jährig und habe über längere Zeit nur noch unter geschützten Bedingungen gearbeitet. Anlässlich der Parteibefragung habe die Ehefrau ausgeführt, dass sie nicht ganz gesund sei, sich nicht konzentrieren könne und es bei Stress zu Panikattacken komme. Es rechtfertige sich ein leidensbedingter Abzug von 25 %. Dies ergebe pro Jahr ein Bruttoeinkommen von CHF 16'575.00 (CHF 22'100.00 x 75 %) und ein Nettoeinkommen von CHF 15'447.90 (CHF 16'575.00 x 93.2 %), ausmachend monatlich CHF 1'287.30. Dieses Einkommen sei der Ehefrau nach einer angemessenen Übergangsfrist ab April 2023 (zusätzlich zur Rente) anzurechnen. Bis Ende März 2023 werde nur die IV-Rente im Umfang von CHF 1'559.00 berücksichtigt.

 

3.3 Einkommen Ehemann:

Der Ehemann sei seit Dezember 2021 (Auszug aus der ehelichen Wohnung) quellensteuerpflichtig. Der Ehemann verlange, dass die Quellensteuer trotz Mankosituation zu berücksichtigen sei, da sie direkt vom Lohn abgezogen werde. Für den Ehemann habe die Möglichkeit bestanden, nachträglich eine ordentliche Veranlagung durchführen zu lassen, womit er die zu viel bezahlten Quellensteuern hätte rückerhältlich machen können. Eine nachträgliche ordentliche Veranlagung sei jedoch seitens des Ehemannes nicht beantragt worden, weshalb er Steuern im Umfang der Quellensteuer zu bezahlen gehabt habe. Das Säumnis des Ehemannes dürfe sich vorliegend nicht zum Nachteil der Ehefrau auswirken. Die vom Gericht annäherungsweise berechneten effektiv zu erwartenden Steuern würden CHF 265.00 in der ersten resp. CHF 410.00 in der zweiten Phase betragen. Dem Beklagten sei dieser Betrag anstelle der vom Lohn abgezogenen Quellensteuer in seinem Bedarf anzurechnen, wohingegen die vom Lohn abgezogene Quellensteuer nicht zu berücksichtigen sei. In einer ersten Phase von Dezember 2022 bis und mit März 2023 werde von einem Nettolohn von CHF 4'474.40 ausgegangen, basierend auf der Lohnabrechnung Februar 2023. Nach Abzug des GAV-Beitrags von CHF 16.10 ergebe das gerundet CHF 4'458.00. Ab April 2023 erhöhe sich der Bruttolohn des Ehemannes auf CHF 5'663.50. Vom Bruttoeinkommen seien die Sozialabzüge im Umfang von 7.0979 %, ausmachend gerundet CHF 402.00 sowie der PK Sparbeitrag im Umfang von CHF 541.15 abzuziehen. Dies ergebe ein Nettoeinkommen von CHF 4'720.35. Nach Abzug des GAV-Beitrags (CHF 17.00) belaufe sich das Nettoeinkommen auf CHF 4'703.35. Gemäss Arbeitsvertrag werde bei 100 % Zielerreichung ein Erfolgsanteil von CHF 3'399.00 gewährt. Davon ausgehend, dass die Ziele erreicht werden, sei der Erfolgsanteil hinzuzurechnen. Vom Erfolgsanteil seien die Sozialabzüge im Umfang von 7.0979 % abzuziehen, was CHF 3'157.75 pro Jahr und pro Monat CHF 264.00 ergebe. Damit belaufe sich das monatliche Nettoeinkommen des Ehemannes ab April 2023 auf CHF 4'967.35 (CHF 4'703.35 + 264.00).

 

3.4 Bedarf Ehefrau:

Die von der Ehefrau zu bezahlende obligatorische Krankenkassenprämie sei ausgewiesen und belaufe sich auf CHF 418.90. Während sie in der ersten Phase Anspruch auf teilweise individuelle Prämienverbilligung habe (CHF 108.00), entfalle dieser Anspruch in der zweiten Phase.

 

3.5 Bedarf Ehemann:

Für den Mietzins seien dem Ehemann im Eheschutzverfahren ermessensweise CHF 1'100.00 für eine Wohnung in der Region [...] eingesetzt worden. Gemäss Mietvertrag würden die effektiven Kosten für die 3 1/2-Zimmerwohnung CHF 1'380.00 betragen. Als alleinstehende Person benötige der Ehemann keine 3 1/2-Zimmerwohnung. Es sei gerichtsnotorisch, dass sich in [...] angemessene Wohnungen für weniger als CHF 1'100.00 finden liessen. Eine teurere Wohnung sei über einen allfälligen Überschuss zu finanzieren.

 

Betreffend die auswärtige Verpflegung habe der Ehemann anlässlich der Parteibefragung ausgeführt, dass es bei seiner Arbeitgeberin keine Kantine gebe. Er würde sich mit den Teamkollegen treffen und mit ihnen zusammen essen gehen. Manchmal würde er auch etwas bestellen in der Migros etwas Billiges kaufen und draussen essen. Weiter bestehe ab und zu die Möglichkeit Homeoffice zu machen. Ermessensweise sei ein Betrag von CHF 100.00 einzusetzen. Bei den vorliegenden finanziellen Verhältnissen könne erwartet werden, dass sich der Ehemann etwas von zu Hause mitnehme.

 

3.6 Der Vorderrichter schlussfolgerte, der Ehemann habe der Ehefrau weiterhin Unterhaltsbeiträge zu bezahlen. In der ersten Phase habe die Ehefrau bei einem Einkommen von CHF 1'559.00 und einem Bedarf von CHF 3'262.00 [recte: CHF 2'930.00] ein Manko von CHF 1'703.00 [recte: CHF 1'371.00]. Der Ehemann verfüge bei einem Einkommen von CHF 4'458.00 und einem Bedarf von CHF 3'347.00 über einen Überschuss von CHF 1'111.00. Da sein Überschuss kleiner sei als das Manko der Ehefrau, habe er ihr den gesamten Überschuss als Unterhalt zu bezahlen. In der zweiten Phase ab April 2023 bestehe keine Mankosituation mehr. Das Gesamteinkommen der Ehegatten belaufe sich auf CHF 7'813.00, der Gesamtbedarf auf CHF 6'754.00. Es verbleibe ein Überschuss von 1'059.00. Davon stehe jedem Ehegatten die Hälfte zu, ausmachend gerundet CHF 530.00. Das Einkommen der Ehefrau belaufe sich auf CHF 2'846.00 und ihr Bedarf auf CHF 3'262.00. Es resultiere ein Manko von CHF 416.00, welches durch den Ehemann auszugleichen sei. Hinzu komme noch der Anspruch auf Überschussbeteiligung, womit sich ihr persönlicher Unterhaltsanspruch auf insgesamt CHF 946.00 belaufe (CHF 416.00 + CHF 530.00).

 

4.1 Die Ehefrau rügt, die Vorinstanz habe weder ihre schlechte Gesundheit noch den Umstand berücksichtigt, dass sie über längere Zeit nur noch unter geschützten Bedingungen gearbeitet habe. Aus der IV-Verfügung vom 31. Dezember 2022 ergebe sich zwar eine Restarbeitsfähigkeit von 40 %. Diese existiere aber nur auf dem Papier. Ihr habe die Kraft gefehlt, die Verfügung anzufechten und für eine ganze IV-Rente zu kämpfen. Sie habe Jahrgang […] und stehe somit kurz vor der Pensionierung. Ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt tendierten gegen null. Als […] sei es ohnehin schwierig. Unter diesen Umständen sei es ihr weder zumutbar noch möglich, nebst ihren Einnahmen aus der IV-Rente ein Erwerbseinkommen zu erzielen. Hinzu komme, dass sich ihre gesundheitliche Situation seit der Verhandlung vom 1. Juni 2023 nochmals verschlechtert habe. Gemäss dem behandelnden Psychiater sei ein mehrmonatiger stationärer Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik angezeigt. Selbst bei einer Befürwortung eines hypothetischen Einkommens sei angesichts ihrer schweren Vermittelbarkeit die Annahme einer 3-monatigen «Übergangsfrist» ab Erhalt der IV-Verfügung im Januar 2023 für die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit unrealistisch. Auszugehen sei von Einnahmen im Umfang der IV-Rente. Mangels Anrechenbarkeit eines hypothetischen Einkommens betrage ihr Bedarf auch in der 2. Phase ab April 2023 immer noch CHF 2'930.00. Ferner führt die Ehefrau aus, beim Bedarf des Ehemannes seien keine Ausgaben für auswärtige Verpflegung zu berücksichtigen. Der Ehemann habe im Rahmen der Parteibefragung eingeräumt, dass es bei seinem Arbeitgeber keine Kantine gebe. Dass er zwecks Verpflegung ein Restaurant aufsuche, habe er nicht geltend gemacht.

 

4.2 Der Ehemann bringt vor, der Vorderrichter habe beim hypothetischen Einkommen der Ehefrau zu Unrecht einen leidensbedingten Abzug gemacht. Panikattacken seien nicht belegt und würden ebenso bestritten wie die angeblichen Probleme bei der Konzentration. Das fortgeschrittene Alter der Ehefrau werde nicht als abzugserhöhend angesehen. Die IV-Stelle prüfe von Amtes wegen, ob eine Versicherte Anspruch auf einen leidensbedingten Abzug habe. Die Vorinstanz korrigiere den Entscheid der IV-Stelle von Amtes wegen, was nicht zulässig sei. Es sei von einem hypothetischen Einkommen von CHF 22'100.00 brutto, ausmachend CHF 20'598.00 netto pro Jahr auszugehen. Das ergebe ein monatliches Nettoeinkommen von CHF 1'716.00. Grund für eine Übergangsfrist bestehe nicht. Die Ehefrau wisse bereits seit der Trennung im November 2021, dass sie selber für ihren Lebensunterhalt aufkommen müsse. Die Ehe habe nur von 2016 bis 2021 gedauert und sei kinderlos geblieben. Bis zum Entscheid der IV gelte jeder Versicherte als voll erwerbsfähig. Entsprechend sei der Ehefrau ab 1. Dezember 2022 ein Einkommen von gesamthaft CHF 3'275.00 (CHF 1'559.00 IV-Rente und CHF 1'716.00 Einkommen) anzurechnen. Weiter moniert der Ehemann, der Vorderrichter habe bei seinem Einkommen zu Unrecht die Quellensteuern nicht abgezogen. Er sei erst im 2016 in die Schweiz eingereist und habe von der Möglichkeit einer nachträglichen ordentlichen Veranlagung keine Kenntnis gehabt. Und selbst wenn, könnte ihm kein rückwirkendes hypothetisches Einkommen angerechnet werden. Da er quellenbesteuert werde, müssten ihm diese Steuern vom Nettoeinkommen in Abzug gebracht werden. Es sei daher zwischen Dezember 2022 und April 2023 von einem Nettoeinkommen von durchschnittlich CHF 3'571.00 pro Monat auszugehen. Ein Bonus könne für diese Zeitspanne nicht berücksichtigt werden, da dieser für die Altsteuern verwendet worden sei. Ab Mai 2023 habe sich sein Salär auf netto CHF 3'985.00 erhöht. Hinzu komme der Bonus von monatlich CHF 264.00. Es gehe nicht an, die CHF 196.00 für die Sonntagsarbeit im Monat Mai 2023 als fixen Lohnbestandteil einzusetzen. Sodann führt der Ehemann Folgendes aus: Die Ehefrau habe anlässlich der Parteibefragung ausgesagt, sie müsse nichts für die Krankenkasse bezahlen. Die Vorinstanz habe der Ehefrau damit zu Unrecht eine KVG-Police von CHF 400.00 pro Monat angerechnet. Seine Mietkosten seien mit CHF 1'380.00 belegt. Es gehe nicht an, ihm diese auf CHF 1'100.00 zu kürzen. Die Ehefrau könne sich nicht am Überschuss beteiligen.

 

5.1 Im Streit steht der Ehegattenunterhalt gemäss Art. 176 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB. Auch im Eheschutzverfahren setzt der Anspruch eines Ehegatten auf Leistung eines Unterhaltsbeitrags durch den anderen voraus, dass dieser nicht in der Lage ist, seinen Bedarf aus eigenen Mitteln (namentlich aus Einkommen) zu decken (Urteil des Bundesgerichts 5A_838/2009 vom 6. Mai 2010 E. 4.2.4 publ. in: FamPra.ch 2010 S. 669, vgl. auch Urteile 5A_376/2011 vom 13. September 2011 E. 3.3 und 5A_239/2017 vom 14. September 2012 E. 2.1).

 

5.2 Selbst wenn mit der Wiederaufnahme des gemeinsamen Haushalts nicht mehr ernsthaft gerechnet werden kann, bildet im Eheschutzverfahren Art. 163 ZGB die Grundlage der gegenseitigen Unterhaltspflicht der Ehegatten (vgl. BGE 140 III 337 E. 4.2.1; 138 III 97 E. 2.2; 137 III 385 E. 3.1; 130 III 537 E. 3.2; Urteil des Bundesgerichts 5A_744/2019 vom 7. April 2020 E. 3.3). Auszugehen ist grundsätzlich von den bisherigen ausdrücklichen stillschweigenden Vereinbarungen der Ehegatten über Aufgabenteilung und Geldleistungen, die der ehelichen Gemeinschaft eine bestimmte Struktur gegeben haben (Art. 163 Abs. 2 ZGB). Weiter hat der Richter zu berücksichtigen, dass der Zweck von Art. 163 Abs. 1 ZGB für den gebührenden Unterhalt der Familie zu sorgen, im Fall der Aufhebung des gemeinsamen Haushalts (Art. 175 f. ZGB) jeden Ehegatten dazu verpflichtet, nach seinen Kräften für die zusätzlichen Kosten aufzukommen, welche die Führung zweier separater Haushalte nach sich zieht (BGE 138 III 97 E. 2.2; Urteil des Bundesgerichts 5A_515/2008 vom 1. Dezember 2008 E. 2.1, publ. in: FamPra.ch 2009 S. 430).

 

5.3 Im Stadium des Eheschutzverfahrens geht es ausschliesslich um Verbrauchsunterhalt. Mann und Frau haben gleichermassen Anspruch auf Fortführung der bisherigen Lebenshaltung bzw. bei beschränkten finanziellen Mitteln auf eine gleichwertige Lebensführung. Die Höhe des Unterhaltsbeitrags richtet sich nach den Bedürfnissen der Ehegatten und nach den persönlichen Umständen, d.h. nach der Lebensstellung und der Leistungsfähigkeit (Art. 163 Abs. 3 ZGB, Urteil des Bundesgerichts 5A_9/2013 vom 23. Mai 2013 E. 4.2, publ. in: FamPra.ch 2013 S. 708).

 

6. Strittig und zu prüfen sind im Nachfolgenden die Einkommen der Parteien sowie einzelne Bedarfspositionen.

 

6.1 Einkommen

 

6.1.1 Einkommen Ehefrau:

Der Vorderrichter rechnete der Ehefrau ab Dezember 2022 als Einkommen ihre IV-Rente im Umfang von CHF 1'550.00 und ab April 2023 zusätzlich dazu ein hypothetisches Einkommen im Umfang von CHF 1'287.00 (bei einer 40 %igen Arbeitsfähigkeit und einem leidensbedingten Abzug von 25 %) an. Während die Ehefrau geltend macht, es sei ihr nur die IV-Rente anzurechnen, rügt der Ehemann den leidensbedingten Abzug.

 

Die IV-Stelle errechnete für die Ehefrau ein Invalideneinkommen (Einkommen, das nach dem Gesundheitsschaden und nach der Durchführung von Eingliederungsmassnahmen auf zumutbare Weise erreichet werden kann) in der Höhe von CHF 22'100.00. Die IV-Stelle erwog, aufgrund ihrer Erkrankung sei die Ehefrau in ihrer Tätigkeit als […] eingeschränkt. Die medizinischen Abklärungen hätten ergeben, dass die Ehefrau in sämtlichen ausserhäuslichen Tätigkeiten in einem Umfang von 60 % eingeschränkt sei. Es bestehe eine Restarbeitsfähigkeit von 40 % für leichte, wechselbelastende Tätigkeiten ohne Exposition von Nässe und Kälte. Entsprechende Stellen seien auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt in genügender Anzahl vorhanden (gesuchsgegnerische Beilage Nr. 5).

 

Weil die Ehefrau nach Verlust ihrer Arbeitsstelle keine zumutbare Verweistätigkeit aufgenommen hat, wurde für die Bemessung des Invalideneinkommens ein Tabellenlohn herangezogen (Bundesamt für Statistik 2018 TA1, Total Niveau 1, Frauen). Nach Aufrechnung der Wochenstunden (: 40 x 41.7) und des Nominallohnindexes 2018 – 2019 (: 105.9 x 107.0) ergab sich das errechnete Invalideneinkommen in der Höhe von CHF 22'100.00 (brutto).

 

Wird das Invalideneinkommen auf der Grundlage von statistischen Durchschnittswerten ermittelt, ist der entsprechende Ausgangswert (Tabellenlohn) allenfalls zu kürzen. Damit soll der Tatsache Rechnung getragen werden, dass persönliche und berufliche Merkmale, wie Art und Ausmass der Behinderung, Lebensalter, Dienstjahre, Nationalität Aufenthaltskategorie und Beschäftigungsgrad Auswirkungen auf die Lohnhöhe haben können (BGE 124 V 321 E. 3b / aa; Urteil des Bundesgerichts 8C_185/2013 vom 4. Juli 2013 E. 3) und je nach Ausprägung die versicherte Person deswegen die verbliebene Arbeitsfähigkeit auch auf einem ausgeglichenen Arbeitsmarkt nur mit unterdurchschnittlichem erwerblichem Erfolg verwerten kann (BGE 126 V 75 E. 5b / aa in fine). Der Abzug ist unter Würdigung der Umstände im Einzelfall nach pflichtgemässem Ermessen gesamthaft zu schätzen. Er darf 25 % nicht übersteigen (BGE 126 V 75 E. 5b / bb - cc; Urteil des Bundesgerichts 9C_368/2009 vom 17. Juli 2009 E. 2.1). Nach der sozialversicherungsrechtlichen Rechtsprechung ist insbesondere dann ein Abzug zu gewähren, wenn eine versicherte Person selbst im Rahmen körperlich leichter Hilfsarbeitertätigkeit in ihrer Leistungsfähigkeit eingeschränkt ist (BGE 126 V 75 E. 5a / bb).

 

Die IV-Stelle hat beim Invalideneinkommen der Ehefrau keinen leidensbedingten Abzug vorgenommen und erwogen, entsprechende Stellen seien auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt in genügender Anzahl vorhanden. Der Entscheid der IV-Stelle des Kantons Solothurn ist unangefochten in Rechtskraft erwachsen. Es geht nicht an, ihn nun im Rahmen des (zivilrechtlichen) Abänderungsverfahrens zu korrigieren und hier einen Tabellenlohnabzug vorzunehmen. Die IV-Stelle hat die Ehefrau medizinisch abgeklärt. Wären die Voraussetzungen für einen leidensbedingten Abzug gegeben gewesen, hätte die IV-Stelle einen solchen vorgenommen. Erstmals vor Berufungsinstanz reicht die Ehefrau Urkunden zu ihrem Gesundheitszustand ein. Noch vor Vorinstanz (und wie bereits im Eheschutzverfahren) hat sie keinerlei Unterlagen zu ihrem gesundheitlichen Zustand eingereicht. Die nun erstmals eingereichten Urkunden vermögen nichts daran zu ändern, dass der Ehefrau eine 40 %ige Arbeitstätigkeit zumutbar ist, stellen sie doch nur eine (vom Ehemann bestrittene) Parteibehauptung dar (vgl. dazu vorstehend E. I/1.3). Zudem ist der Erfahrungstatsache Rechnung zu tragen, dass Hausärzte mitunter im Hinblick auf ihre auftragsrechtliche Vertrauensstellung im Zweifelsfall eher zu Gunsten ihrer Patienten aussagen (vgl. statt vieler: Urteil des Bundesgerichts 8C_628/2022 vom 1. März 2023 E. 4.2.6). Mit dem Vorderrichter ist festzuhalten, dass seitens der Ehefrau nicht glaubhaft dargelegt worden ist, dass es ihr nicht zumutbar und möglich ist, im Umfang ihrer Restarbeitsfähigkeit einer Arbeitstätigkeit nachzugehen. Die vor Berufungsinstanz geltend gemachte Verschlechterung des Gesundheitszustands ist eben so wenig belegt wie Bemühungen betreffend Stellensuche.

 

Entgegen den Ausführungen des Vorderrichters ist der Ehefrau somit ein hypothetisches Einkommen in der Höhe von jährlich CHF 22'100.00 (brutto) anzurechnen, wie es die IV-Stelle gemacht hat. Von diesem Einkommen sind die Sozialabzüge in (unbestrittener) Höhe von ermessensweise 6.8 % vorzunehmen, was ein Jahresnettoeinkommen von CHF 20'597.20 ergibt (CHF 22'100.00 x 93.2 %). Das hypothetische Nettoeinkommen der Ehefrau beläuft sich demnach auf monatlich gerundet CHF 1'715.00 (CHF 20'597.20 : 12). Die Berufung des Ehemannes erweist sich diesbezüglich als begründet.

 

Nicht begründet ist die Berufung des Ehemannes hingegen, wenn er die der Ehefrau gesetzte Übergangsfrist von drei Monaten rügt.

 

In der Regel sind für die Erwerbsaufnahme Übergangsfristen zu gewähren, die durchaus grosszügig ausfallen können und sollen (vgl. BGE 144 III 481 E. 4.6; 147 III 308 E. 5.4). Es ist eine Ermessensfrage, ob und wie lange eine Übergangsfrist für die berufliche Neuorientierung zu gewähren ist. Deren Beantwortung oblag dem Vorderrichter. Dieser führte die Verhandlung im Abänderungsprozess am 1. Juni 2023 durch und setzte für die Ehefrau ab April 2023 ein hypothetisches Einkommen fest. Er führte dazu aus, mit dieser Übergangsfrist habe sie seit Kenntnis des Entscheids der IV genügend Zeit gehabt, eine geeignete Stelle zu finden. Dabei hat es sein Bewenden. Die Ehefrau rügt in diesem Zusammenhang denn auch einzig, selbst bei Befürwortung eines hypothetischen Einkommens sei angesichts ihrer schweren Vermittelbarkeit eine Übergangsfrist von drei Monaten qualifiziert unrealistisch. Sie führt nicht aus, welche Frist denn für sie realistisch wäre. Nach dem Gesagten und aufgrund der lediglich appellatorischen Kritik der Ehefrau, ist auch die Berufung der Ehefrau, welche eine zu kurze Übergangsfrist rügt, unbegründet. Unbegründet ist auch der sinngemässe Antrag der Ehefrau, es sei ihr für den Monat Dezember 2022 ein Einkommen in der Höhe von CHF 1'521.00 (Rente) anzurechnen. Die Differenz zur ab Januar 2023 ausgerichteten Rentenzahlung von CHF 1'559.00 von CHF 38.00 ist zu gering, um dafür eine weitere, eigene (kurze) Phase zu berechnen.

 

Während der Ehefrau also für die Zeit von Dezember 2022 bis und mit März 2023 ein monatliches Einkommen in der Höhe von CHF 1'559.00 (IV-Rente) anzurechnen ist, beträgt ihr ab April 2023 anzurechnendes Einkommen CHF 3'274.00 (CHF 1'559.00 [IV-Rente plus CHF 1'715.00 hypothetisches Einkommen]).

 

6.1.2 Einkommen Ehemann

 

Der Vorderrichter rechnete dem Ehemann ab Dezember 2022 einen monatlichen Nettolohn in der Höhe von CHF 4'458.00 und ab April 2023 einen solchen in der Höhe von CHF 4'967.00, je ohne Abzug der Quellensteuer, an. Der Ehemann will sich ab Dezember 2022 einen monatlichen Nettolohn in der Höhe von CHF 3'571.00 und ab April 2023 einen solchen in der Höhe von CHF 4'249.00 angerechnet haben wissen (jeweils unter Abzug der Quellensteuer).

 

Gemäss den Richtlinien für die Berechnung des betreibungsrechtlichen Existenzminimums (Notbedarf) der Konferenz der eidgenössischen Betreibungs- und Konkursbeamten vom 1. Juli 2009, welche das Bundesgericht bei der Unterhaltsberechnung für anwendbar erklärt, ist bei ausländischen Arbeitnehmern, die der Quellensteuer unterliegen, bei der Berechnung des Lohnes vom tatsächlich ausbezahlten Betrag auszugehen (BGE 126 III 89 E. 3; Urteil des Bundesgerichts 7B.221/2003 vom 17. November 2003).

 

Unter bestimmten Voraussetzungen kann eine quellensteuerpflichtige Person dem Verfahren der nachträglichen ordentlichen Veranlagung unterstehen. Dabei werden die geschuldeten Einkommens- und Vermögenssteuern aufgrund der Angaben in der ausgefüllten Steuererklärung ermittelt und veranlagt. Bereits bezahlte Quellensteuern werden zinslos an die ordentlichen Steuern von Bund, Kanton, Gemeinden und Kirchen angerechnet. Mit dieser Antragsmöglichkeit können die quellensteuerpflichtigen Personen eine Gleichbehandlung mit den ordentlich veranlagten Personen erwirken und insbesondere sämtliche abzugsfähigen Aufwendungen, die in den Quellensteuertarifen gar nicht bloss pauschal eingerechnet sind, steuermindernd geltend machen. Das Antragsformular auf nachträgliche ordentliche Veranlagung (NOV) muss bis 31. März des Folgejahres eingereicht werden (vgl. Website des Steueramtes des Kantons Solothurn, Sondersteuern, Quellensteuer).

 

Der Ehemann hat bis heute keinen Antrag auf nachträgliche ordentliche Veranlagung (NOV) gestellt. Diese wird er für das aktuelle Jahr beantragen müssen. Fakt ist, dass der Ehemann heute der Quellensteuerpflicht untersteht und diese im vollen Umfang bezahlt. Entsprechend ist bei der Berechnung seines Lohnes vom tatsächlich ausbezahlten Betrag auszugehen. Der Vorderrichter hat demnach die Quellensteuer beim Lohn des Ehemannes zu Unrecht nicht abgezogen.

 

Der Vorderrichter hat die Sonntagsarbeit des Ehemannes zwar nicht als Lohnbestandteil angesehen, den Zuschlag für Sonntagsarbeit dann aber beim PK Sparbeitrag berücksichtigt. Da es sich um eine marginale Erhöhung des Beitrags handeln dürfte, ist auf die entsprechende Rüge des Ehemannes nicht weiter einzugehen.

 

Dass der Bonus dem Ehemann als Lohnbestanteil anfällt, wird von diesem im Grundsatz nicht bestritten. Der Ehemann macht aber geltend, vor Mai 2023 habe er den Bonus (von monatlich CHF 264.00) für Altsteuern verwendet. Der Vorderrichter hat dem Ehemann den Bonus von CHF 264.00 (bereits) ab April 2023 angerechnet, was nicht zu beanstanden ist. Die Bildung einer weiteren Phase für nur einen Monat scheint so anders nicht angebracht.

 

Nach dem Gesagten ist von dem vom Vorderrichter für die erste Phase errechneten Nettolohn von CHF 4'458.00 auch die Quellensteuer in der Höhe von CHF 601.00 abzuziehen, womit für die Zeit von Dezember 2022 bis und mit April 2023 ein ausbezahltes monatliches Einkommen des Ehemannes in der Höhe von CHF 3'857.00 resultiert.

 

Für die zweite Phase ist von dem vom Vorderrichter errechneten Nettolohn von CHF 4'967.00 auch die Quellensteuer von 12.02 %, ausmachend CHF 681.00, abzuziehen, womit für die Zeit ab April 2023 ein ausbezahltes monatliches Einkommen des Ehemannes in der Höhe von CHF 4'286.00 resultiert.

 

Dem Ehemann ist also für die Zeit von Dezember 2022 bis und mit März 2023 ein monatliches Einkommen in der Höhe von CHF 3'857.00 anzurechnen und ab April 2023 ein solches von CHF 4'286.00.

 

Die Berufung des Ehemannes erweist sich diesbezüglich als teilweise begründet.

 

6.2 Bedarf

 

6.2.1 Bedarf Ehefrau

 

Krankenkasse Ehefrau:

Der Ehemann rügt, bei der Ehefrau seien zu Unrecht Krankenkassenprämien im Bedarf berücksichtigt worden. Die Ehefrau ist Sozialhilfebezügerin. Als solche wird sie ihre Prämien vollständig verbilligt bekommen. Entsprechend wurde von der Ehefrau vor Vorinstanz auch ausgeführt, sie bezahle nichts für die Krankenkasse (Protokoll der Parteibefragung N. 134). Folglich rechtfertigt es sich zumindest in der ersten Phase nicht, im Bedarf der Ehefrau einen Betrag für die Krankenkasse einzusetzen. Für die zweite Phase kann auf die Ausführungen des Vorderrichters verwiesen werden. Der Ehefrau ist ein höheres Einkommen anzurechnen, als vom Vorderrichter angenommen. Die individuelle Prämienverbilligung fällt weg.

 

Der Ehemann dringt mit seiner Berufung teilweise durch.

 

6.2.2 Bedarf Ehemann

 

Auswärtige Verpflegung Ehemann:

Die Ehefrau rügt die dem Ehemann angerechnete Bedarfsposition für auswärtige Verpflegung. Bei den vorliegenden finanziellen Verhältnissen ist es nicht angezeigt, im Bedarf eine Position für auswärtige Verpflegung zu berücksichtigen. Dem Ehemann ist es zumutbar, Essen von zu Hause mitzunehmen. Dies hat bereits der Vorderrichter festgehalten. Anlässlich der vorinstanzlichen Parteibefragung führte der Ehemann denn auch aus, er würde sich mit den Teamkollegen treffen und mit ihnen zusammen «draussen» essen gehen (N. 57 ff.). Beim Bedarf ist nichts für auswärtige Verpflegung anzurechnen.

 

Die Berufung der Ehefrau ist diesbezüglich begründet.

 

Mietkosten Ehemann:

Der Ehemann moniert, es seien ihm die effektiven Wohnkosten in der Höhe vom CHF 1'380.00 anzurechnen. Für den Mietzins wurde dem Ehemann im Eheschutzverfahren (Ende 2021) ermessensweise CHF 1'100.00 für eine Wohnung in der Region [...] eingesetzt. Die vom Ehemann gegen den Eheschutzentscheid anhängig gemachte Berufung zog er wieder zurück. Damit hat er den Mietzins anerkannt. Es gibt vorliegend keinen Grund, anders als der Eheschutzrichter zu entscheiden. Der Ehemann wohnte im Zeitpunkt des Erlasses des Eheschutzentscheids noch in der ehelichen Wohnung. Es war ihm somit bewusst, dass ihm «nur» CHF 1'100.00 als Wohnkosten zugestanden werden. Es ist demnach nicht zu beanstanden, dass der Vorderrichter dem Ehemann wie bereits im Eheschutzverfahren einen Mietzins in der Höhe von CHF 1'100.00 anrechnete. Angesichts der finanziellen Verhältnisse der Parteien und der Wohnkosten der Ehefrau ist es nicht zu beanstanden, dass der Vorderrichter dem Ehemann einen Wohnbeitrag in der Höhe von CHF 1'100.00 eingesetzt hat. In der Gemeinde [...] sind entsprechende Wohnungen zu mieten (vgl. www.comparis.ch, Stand 10. November 2023).

 

Die Berufung des Ehemannes ist diesbezüglich unbegründet.

 

6.3 Zusammen mit den unbestritten gebliebenen Bedarfspositionen lässt sich für die Ehefrau folgender Bedarf berechnen:

 

Phase 1          CHF 2'619.00

Phase 2          CHF 3'349.00

 

(Grundbetrag CHF 1'200.00, Miete CHF 1'012.00, Krankenkasse CHF 0.00/419.00, Tel./Mob. CHF 100.00, Arbeitsweg CHF 100.00, laufende Steuern CHF 207.00 [zugestanden]/518.00 [annäherungsweise berechnet])

 

Für den Ehmann ergibt sich für beide Phasen ein Bedarf von CHF 2'982.00.

 

(Grundbetrag CHF 1'200.00, Miete CHF 1'100.00, Krankenkasse CHF 270.00, Tel./Mob. CHF 100.00, Arbeitsweg CHF 312.00)

 

6.4 Soweit der Ehemann rügt, es gehe nicht an, die Ehefrau am Überschuss zu beteiligen, die Ehefrau habe zu keinem Zeitpunkt geltend gemacht, sie habe von einem Überschuss profitiert, ist auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung zu verweisen, wonach sowohl für die Berechnung des ehelichen Unterhalts (BGE 147 III 301 E. 4) als auch für die Berechnung des nachehelichen Unterhalts (BGE 147 III 293 E. 4) grundsätzlich die zweistufige Berechnungsmethode mit Überschussverteilung zur Anwendung kommt. Auch wenn bereits im Eheschutzverfahren kein über die Aufrechterhaltung des bisherigen Lebensstandards hinausgehender Anspruch auf Teilhabe am Einkommen des anderen Ehegatten besteht, sind vorliegend keine Gründe ersichtlich, von der hälftigen Teilung des Überschusses abzusehen, zumal der Ehemann keine Sparquote geltend macht. Entsprechend ist nicht zu beanstanden, dass der Vorderrichter im vorliegenden Abänderungsprozess in der zweiten Phase eine hälftige Überschussverteilung vorgenommen hat. Betreffend Aufgabenteilung während der Ehe kann auf das Eheschutzurteil vom 23. August 2021 verwiesen werden, wonach insbesondere der Ehemann zuletzt für den finanziellen Unterhalt der Familie aufgekommen ist und der Ehemann deshalb der Ehefrau für die Dauer der Trennung einen Unterhaltsbeitrag zu bezahlen hat (S. 4 f.).

 

6.5 Aufgrund des Gesagten ergibt sich Folgendes: In der ersten Phase ab Dezember 2022 besteht eine Mankosituation. Die Ehefrau hat bei einem Einkommen von CHF 1'559.00 und einem Bedarf von CHF 2'619.00 ein Manko von CHF 1'060.00. Der Ehemann verfügt bei einem Einkommen von CHF 3'857.00 und einem Bedarf von CHF 2'982.00 über einen Überschuss von CHF 875.00. Da sein Überschuss kleiner ist als das Manko der Ehefrau, hat er ihr den gesamten Überschuss als Unterhalt zu bezahlen. In der zweiten Phase ab April 2023 besteht keine Mankosituation mehr. Das Gesamteinkommen der Ehegatten beläuft sich auf CHF 7'561.00, der Gesamtbedarf auf CHF 6'331.00. Es verbleibt ein Überschuss von 1'230.00. Davon steht jedem Ehegatten die Hälfte zu, ausmachend CHF 615.00. Das Einkommen der Ehefrau beläuft sich auf CHF 3'274.00 und ihr Bedarf auf CHF 3'349.00. Es resultiert ein Manko von CHF 75.00, welches durch den Ehemann auszugleichen ist. Hinzu kommt der Anspruch auf Überschussbeteiligung, womit sich ihr persönlicher Unterhaltsanspruch auf insgesamt CHF 690.00 beläuft (CHF 75.00 + CHF 615.00).

 

6.6 Demnach hat der Ehemann der Ehefrau für die Dauer des Getrenntlebens nachfolgende monatlich vorauszahlbare Unterhaltsbeiträge zu bezahlen:

 

- vom 1. Dezember 2022 bis 31. März 2023:      CHF    875.00

- ab 1. April 2023:                                                CHF    690.00

 

7. Beide Parteien ersuchen auch für das Berufungsverfahren um integrale unentgeltliche Rechtspflege.

 

7.1 Eine Person hat nach Art. 117 ZPO Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn sie nicht über die erforderlichen Mittel verfügt und ihre Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheinen.

 

7.2 Sind die Voraussetzungen nach Art. 117 ZPO erfüllt, hat eine Person grundsätzlich Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege und unentgeltliche Verbeiständung. Hervorzuheben ist jedoch, dass die aus der ehelichen Beistandspflicht (Art. 159 Abs. 3 ZGB) fliessende Pflicht zur Bevorschussung der Prozesskosten des anderen Ehegatten der unentgeltlichen Rechtspflege gemäss Art. 117 ff. ZPO vorgeht (BGE 138 III 672 E. 4.2.1; Urteile des Bundesgerichts 5A_928/2016 vom 22. Juni 2017 E. 8; 5A_315/2016 vom 7. Februar 2017, E. 11). Nach der Rechtsprechung darf dabei von einer anwaltlich vertretenen Partei verlangt werden, dass sie im Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ausdrücklich darlegt, weshalb ihrer Ansicht nach auf einen Prozesskostenvorschuss zu verzichten ist. Auf diese Weise kann das Gericht diese Auffassung vorfrageweise prüfen, womit sichergestellt ist, dass die Beurteilung, ob ein Vorschuss zu leisten ist nicht, nicht der antizipierten Beurteilung durch die Partei überlassen wird. Damit wird die Beachtung des Grundsatzes der Subsidiarität der unentgeltlichen Rechtspflege sichergestellt. Fehlt die entsprechende Begründung, kann das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ohne Weiteres abgewiesen werden (Urteil des Bundesgerichts 5A_49/2017 vom 18. Juli 2017, E. 3.1).

 

7.3 Die Ehefrau führt in ihrer Berufung einzig aus, angesichts ihrer finanziell äusserst angespannten Situation sei sie nicht in der Lage, die Kosten des Berufungsverfahrens zu bezahlen. Daher sei ihr die integrale unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren. In ihrer Berufung begründet sie nicht, weshalb sie auf einen Antrag auf Ausrichtung eines Prozesskostenvorschusses verzichtet hat (wie sie es noch im Eheschutzgesuch getan hat). Hingegen führt sie in ihrer Berufungsantwort aus, es wäre offensichtlich aussichtslos gewesen, von der Gegenpartei einen Prozesskostenvorschuss zu verlangen (beide Parteien im Genuss der unentgeltlichen Rechtspflege vor Vorinstanz, Gesamteinkommen reiche gerade aus, um betreibungsrechtliches Existenzminimum zu decken, kein Vermögen, Nachzahlung der IV sei zur Rückerstattung der bezogenen Sozialhilfe verwendet worden). Damit hat die Ehefrau rechtsgenüglich dargetan, warum sie auf einen Antrag um Prozesskostenvorschuss verzichtet hat. Beiden Parteien ist auch für das obergerichtliche Verfahren die vollumfängliche unentgeltliche Rechtspflege zu bewilligen.

 

8.1 Nach dem Gesagten ist die Berufung des Ehemannes teilweise gutzuheissen, diejenige der Ehefrau hingegen abzuweisen. Aufgrund des familienrechtlichen Charakters des Verfahrens (Art. 107 Abs. 1 lit. c ZPO) rechtfertigt es sich, die Kosten des Berufungsverfahrens den Parteien je hälftig zu auferlegen und die Parteikosten wettzuschlagen.

 

8.2 Die Gerichtskosten werden auf CHF 1'800.00 festgesetzt.

 

8.3 Die von den Parteivertretern eingereichten Kostennoten geben mit einer Ausnahme zu keinen Bemerkungen Anlass. Die Ausnahme betrifft die Honorarnote von Rechtsanwalt Burkhalter welcher am 18. September 2023 bzw. 25. September 2023 in beiden Verfahren einen Aufwand von einer Stunde für die «Eingabe ans Gericht und Rücksprache M.» geltend macht. Da es sich zweimal um eine fast identische Eingabe handelt, ist der geltend gemachte Aufwand nur einmal zu vergüten. Unter Berücksichtigung des URP-Tarifs sind die Kostennoten von Rechtsanwältin Corinne Saner auf total CHF 3'894.30 (CHF 2'069.50 plus CHF 1'824.80) und diejenige von Rechtsanwalt Julian Burkhalter auf total CHF 3'363.05 (CHF 1'837.60 plus CHF 1'525.45) festgesetzt. Der Nachzahlungsanspruch beträgt für Rechtsanwältin Corinne Saner CHF 1'187.40 (CHF 647.10 plus CHF 540.30) und für Rechtsanwalt Julian Burkhalter CHF 663.40 (CHF 301.55 plus CHF 361.85).

Demnach wird erkannt:

1.    In teilweiser Gutheissung der Berufung des Ehemannes werden die Ziffern 4 und 9 des Urteils des Amtsgerichtspräsidenten von Olten-Gösgen vom 1. Juni 2023 aufgehoben.

Ziffer 4 lautet neu wie folgt: In Abänderung der Ziffer 5 des Urteils des Amtsgerichtspräsidenten von Olten-Gösgen vom 23. August 2021 hat der Ehemann der Ehefrau mit Wirkung ab 1. Dezember 2022 und für die Dauer des Getrenntlebens nachfolgende monatlich vorauszahlbaren Unterhaltsbeiträge zu bezahlen:

- vom 1. Dezember 2022 bis 31. März 2023:      CHF    875.00

- ab 1. April 2023:                                                CHF    690.00

Ziffer 9 lautet neu wie folgt:

       Das Urteil stützt sich auf die folgenden Berechnungsgrundlagen:

-           monatliches Nettoeinkommen:

·      des Ehemannes    CHF 3'857.00 (Ab Dezember 2022)

                                               CHF 4'287.00 (Ab April 2023)

·      der Ehefrau            CHF 1'559.00 (Ab Dezember 2022)

                                               CHF 3'274.00 (Ab April 2023)

-           monatlicher Grundbedarf:

·      des Ehemannes    CHF 2'982.00 (Ab Dezember 2022)

·      der Ehefrau            CHF 2'619.00 (Ab Dezember 2022)

                                               CHF 3'349.00 (Ab April 2023)

 

2.    Die Berufung der Ehefrau wird abgewiesen.

3.    Die Gerichtskosten von CHF 1'800.00 werden A.___ und B.___ je zur Hälfte auferlegt. Zufolge unentgeltlicher Rechtspflege beider Parteien trägt sie der Staat Solothurn; vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren, sobald A.___ und/oder B.___ zur Nachzahlung in der Lage ist/sind (Art. 123 ZPO).

4.    Die Parteikosten werden wettgeschlagen. Zufolge unentgeltlicher Rechtspflege beider Parteien hat der Staat Rechtsanwältin Corinne Saner eine Entschädigung von CHF 3'894.30 und Rechtsanwalt Julian Burkhalter eine solche von CHF 3'363.05 zu bezahlen.

5.    Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren, sobald A.___ und/oder B.___ zu Nachzahlung in der Lage ist/sind. Sobald A.___ und/oder B.___ dazu in der Lage ist/sind (Art. 123 ZPO) haben sie ihren Rechtsanwälten die Differenz zum vollen Honorar zu leisten. Diese beträgt für Rechtsanwältin Corinne Saner CHF 1'187.40 und für Rechtsanwalt Julian Burkhalter CHF 663.40.

 

Rechtsmittel: Der Streitwert beträgt mehr als CHF 30'000.00.

Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Eröffnung des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in Zivilsachen eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Schweizerischen Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich.

 

Im Namen der Zivilkammer des Obergerichts

Die Präsidentin                                                                 Die Gerichtsschreiberin

Hunkeler                                                                           Zimmermann



 
Quelle: https://gerichtsentscheide.so.ch/
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