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Urteil Verwaltungsgericht (SO - ZKBER.2021.37)

Zusammenfassung des Urteils ZKBER.2021.37: Verwaltungsgericht

Die Zivilkammer des Obergerichts hat in einem Fall bezüglich einer Forderung aus einem Arbeitsvertrag und örtlicher Zuständigkeit entschieden. Die Klägerin forderte verschiedene Beträge und Leistungen von der Beklagten, die sich gegen die örtliche Zuständigkeit wehrte. Nach Prüfung der Umstände entschied das Gericht, dass die Klägerin berechtigt war, in diesem Gerichtsstand zu klagen. Die Beklagte wurde zur Zahlung einer Parteientschädigung verurteilt. Die Berufung der Beklagten wurde abgewiesen, und es wurden keine Gerichtskosten erhoben.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts ZKBER.2021.37

Kanton:SO
Fallnummer:ZKBER.2021.37
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Zivilkammer
Verwaltungsgericht Entscheid ZKBER.2021.37 vom 16.08.2021 (SO)
Datum:16.08.2021
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:-
Schlagwörter: Berufung; Recht; Arbeit; Berufungsklägerin; Klage; Gericht; Zweig; Zweigniederlassung; Zuständigkeit; Niederlassung; Berufungsbeklagte; Eindruck; Apos; Vorinstanz; Gerichtsstand; Arbeitsvertrag; Mitarbeiter; Betrag; Entscheid; Voraussetzungen; Unzuständigkeit
Rechtsnorm: Art. 12 ZPO ;Art. 123 ZPO ;Art. 310 ZPO ;Art. 316 ZPO ;Art. 337d OR ;Art. 34 ZPO ;Art. 60 ZPO ;
Referenz BGE:101 Ia 39; 129 III 31; 62 I 20;
Kommentar:
Thomas Sutter, Franz Hasenböhler, Thomas Sutter-Somm, Christoph Leuenberger, Sutter-Somm, Zürich , Basel , Genf , Art. 12 ZPO, 2016

Entscheid des Verwaltungsgerichts ZKBER.2021.37

 
Geschäftsnummer: ZKBER.2021.37
Instanz: Zivilkammer
Entscheiddatum: 16.08.2021 
FindInfo-Nummer: O_ZK.2021.116
Titel: Forderung aus Arbeitsvertrag und örtliche Zuständigkeit

Resümee:

 

Obergericht

Zivilkammer

 

Urteil vom 16. August 2021               

Es wirken mit:

Präsidentin Hunkeler

Oberrichter Frey

Oberrichter Müller  

Rechtspraktikantin Kohler

In Sachen

A.___ AG, vertreten durch Rechtsanwalt Markus Sigg,

 

Berufungsklägerin

 

 

gegen

 

 

B.___, vertreten durch Rechtsanwalt Boris Banga,

 

Berufungsbeklagte

 

betreffend Forderung aus Arbeitsvertrag und örtliche Zuständigkeit


zieht die Zivilkammer des Obergerichts in Erwägung:

I.

1. Nach Durchlaufen eines Schlichtungsverfahrens, bei welchem die A.___ AG (nachfolgend Beklagte und Berufungsklägerin) die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit erhob, machte B.___ (nachfolgend Klägerin und Berufungsbeklagte) am 9. März 2020 beim Richteramt Bucheggberg-Wasseramt eine Klage gegen die A.___ AG anhängig und stellte die folgenden Rechtsbegehren:

1.    Die Beklagte sei zu verpflichten, der Klägerin den Lohn für die Zeit vom 1. Mai 2019 bis 14. Mai 2019 im Betrag von CHF 1'404.74 auszurichten, zuzüglich 5% Zins seit dem 14. Mai 2019 (unter Vorbehalt der Erhöhung dieses Betrages nach Durchführung des Beweisverfahrens).

2.    Die Beklagte sei zu verpflichten, der Klägerin CHF 911.35 (Abzug nach Art. 337d OR und Kleiderdepot), den Fahrkostenersatz von CHF 848.80, den Fahrtzeitenersatz von mind. CHF 404.48 und die Zeitbonus-Zulagen in noch zu bestimmender Höhe, zuzüglich 5% seit wann rechtens zu bezahlen.

3.    Die Beklagte sei zu verpflichten, die geschuldeten Sozialversicherungsleistungen den Sozialträgern zuzuführen und darüber Nachweis zu leisten.

4.    Die Beklagte sei zu verpflichten, der Klägerin Schadenersatz im Gesamtbetrag von CHF 5'877.09, zuzüglich 5% Zins seit dem 3. Mai 2019 zu bezahlen (unter Vorbehalt der Erhöhung dieses Betrages nach Durchführung des Beweisverfahrens).

5.    Die Beklagte sei zu verpflichten, der Klägerin eine Genugtuungssumme im Betrage CHF 1'000 zuzüglich Zins von 5% seit dem 3. Mai 2019 zu bezahlen.

6.    Die Beklagte sei zu verpflichten, der Klägerin ein förderliches und vollständiges Arbeitszeugnis auszustellen.

7.    Der Klägerin sei die unentgeltliche Rechtspflege sowie der unentgeltliche Rechtsbeistand in der Person des unterzeichnenden Rechtsanwaltes zu gewähren.

8.    Alles unter Kosten und Entschädigungsfolgen – unter Vorbehalt der Bestimmungen über die unentgeltliche Rechtspflege.

 

2. Dazu nahm die Beklagte mit Klageantwort am 10. Juni 2020 Stellung und beantragte, auf die Klage vom 9. März 2020 sei nicht einzutreten, eventualiter sei die Klage abzuweisen; alles unter Kosten- und Entschädigungsfolgen.

3. Mit Verfügung vom 24. Juni 2020 beschränkte die Vorinstanz das Prozessthema auf die Frage der örtlichen Zuständigkeit nach Art. 34 Abs. 1 der Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO, SR 272) und forderte die Klägerin unter anderem auf, eine Stellungnahme auf die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit einzureichen.

4. In ihrer Replik vom 9. Juli 2020 hielt die Klägerin an den eingangs gestellten Begehren fest und stellte den Beweisantrag, es seien C.___ und D.___ als Zeugen einzuvernehmen.

5. Auch die Beklagte bestätigte in ihrer Duplik vom 11. September 2020 die bereits gestellten Rechtsbegehren.

6. Mit Zwischenentscheid vom 19. Januar 2021 bejahte der Amtsgerichtspräsident die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts zur Beurteilung der geltend gemachten Forderungen aus Arbeitsvertrag. Folgendes Dispositiv wurde den Parteien eröffnet:

1.    Es wird festgestellt, dass die Klagebewilligung vom 4. Dezember 2019 gültig ist.

2.    Auf die Klage vom 9. März 2020 wird eingetreten.

3.    Die Beklagte hat der Klägerin eine Parteientschädigung von CHF 3'040.35 (CHF 2'618.15 Honorar [Stundenansatz CHF 230.00], CHF 204.85 Auslagen, CHF 217.35 MWST) für den Aufwand in der Zeit vom 24. Juni 2020 bis am 19. Januar 2021 zu bezahlen.

Für den Betrag von CHF 2'427.35 (CHF 2'049.00 Honorar [Stundenansatz CHF 180.00], CHF 204.85 Auslagen, CHF 173.50 MWST) besteht während zweier Jahre eine Ausfallhaftung des Staates. Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren sowie der Nachzahlungsanspruch des unentgeltlichen Rechtsbeistandes, sobald die Beklagte zur Nachzahlung in der Lage ist (Art. 123 ZPO).

4.    Die Gerichtskosten trägt der Staat Solothurn.

 

7. Gegen das begründete Urteil erhob die A.___ AG am 2. Juni 2021 frist- und formgerecht Berufung an das Obergericht des Kantons Solothurn. Sie stellte folgende Begehren:

1.    In Aufhebung Erkanntnis Ziff. 1 des Urteils der Vorinstanz vom 19. Januar 2021 sei festzustellen, dass die Klagebewilligung vom 4. Dezember 2019 ungültig sei.

2.    In Aufhebung Erkanntnis Ziff. 2 des Urteils der Vorinstanz vom 19. Januar 2021 sei auf die Klage vom 9. März 2020 nicht einzutreten.

3.    Unter Kosten- und Entschädigungsfolge der Klägerin in allen Instanzen.

 

Zur Begründung machte sie im Wesentlichen die örtliche Unzuständigkeit des Richteramts Bucheggberg-Wasseramt geltend.

8. Die Berufungsbeklagte liess sich mit Berufungsantwort vom 28. Juni 2021 vernehmen. Sie beantragte die Abweisung der Berufung und die Gewährung der integralen unentgeltlichen Rechtspflege.

9. Die Streitsache ist spruchreif. In Anwendung von Art. 316 Abs. 1 ZPO kann darüber ohne Durchführung einer Verhandlung aufgrund der Akten entschieden werden. Für die Parteistandpunkte und die Erwägungen der Vorinstanz wird grundsätzlich auf die Akten verwiesen. Soweit erforderlich, ist nachstehend darauf einzugehen.

II.

1. Umstritten ist die Frage, ob eine gültige Klagebewilligung vorliegt und der Amtsgerichtspräsident von Bucheggberg-Wasseramt zur Beurteilung der angehobenen Klage somit örtlich und sachlich zuständig ist. Der Vorderrichter bejahte seine Zuständigkeit im angefochtenen Entscheid. Er erwog zusammenfassend das Folgende:

Das Gericht trete auf eine Klage auf ein Gesuch ein, sofern die Prozessvoraussetzungen erfüllt seien (Art. 59 Abs. 1 und Abs. 2 lit. b ZPO). Das Gericht prüfe von Amtes wegen, ob die Prozessvoraussetzungen erfüllt seien (Art. 60 ZPO). Für arbeitsrechtliche Klagen sei gemäss Art. 34 Abs. 1 ZPO grundsätzlich das Gericht am Wohnsitz Sitz der beklagten Partei an dem Ort, an dem der Arbeitnehmer gewöhnlich die Arbeit verrichte, zuständig. Dieser Gerichtsstand begründe vorliegend keine Zuständigkeit beim Richteramt Bucheggberg-Wasseramt. Bei gegebenen Voraussetzungen könne indessen auch am Ort der Niederlassung geklagt werden (BGE 129 III 31ff.). Nach Art. 12 ZPO sei für Klagen aus dem Betrieb einer geschäftlichen beruflichen Niederlassung einer Zweigniederlassung das Gericht am Wohnsitz Sitz der beklagten Partei am Ort der Niederlassung zuständig. Art. 12 ZPO legiferiere somit eine alternative, neben dem allgemeinen Gerichtsstand bestehende, örtliche Zuständigkeit. Diesfalls werde aber vorausgesetzt, dass eine Geschäftsniederlassung vorliege und die Klage mit dieser im Zusammenhang stehe. Eine Zweigniederlassung sei ein kaufmännischer Betrieb, der zwar rechtlich Teil eines Hauptunternehmens sei, von dem er abhänge und der dauernd eine gleichartige Tätigkeit ausübe, dabei aber über eine gewisse wirtschaftliche und gesellschaftliche Unabhängigkeit sowie eigene Räumlichkeiten verfüge. Für die Begründung einer örtlichen Zuständigkeit am Ort der Niederlassung im Sinne von Art. 12 ZPO müssten dann nicht sämtliche Merkmale einer (Zweig)Niederlassung vorliegen, wenn die Beklagte Dritten gegenüber den Eindruck vermittle, dass eine über völlige Selbständigkeit für den Abschluss von Geschäften verfügende Zweigniederlassung bestehe und sie diesen Eindruck stillschweigend dulde. Diesfalls komme die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit einem widersprüchlichen Verhalten gleich, das nicht zu schützen sei. Zu prüfen sei, ob es sich bei der im Arbeitsvertrag festgehaltenen und im Handelsregister eingetragenen weiteren Adresse in [...] um eine Zweigniederlassung gemäss Art. 12 ZPO handle.

Im vorliegenden Fall habe E.___, Verwaltungsratsmitglied und Vertreter der Beklagten, im Rahmen der Hauptverhandlung ausgesagt, die Beklagte verfüge in [...] über ein Büro. Dieses sei aber nicht besetzt. Es hätten sich dort keine Mitarbeiter aufgehalten. Geschäftliche Tätigkeiten habe es in [...] nicht gegeben. Die Adresse in [...] habe nur wegen den Bestimmungen des GAV beziehungsweise der Berechnung des Weges der Mitarbeiter gedient. Das Unternehmen habe nie die Absicht gehabt, in [...] Mitarbeiter zu beschäftigen und dort etwas aufzubauen. Aufgrund dieser Aussagen sei davon auszugehen, dass sich in [...] lediglich ein Büro beziehungsweise gemietete Räumlichkeiten befinden und keine geschäftlichen Tätigkeiten verrichtet werden würden. Abgesehen vom Vorhandensein einer Räumlichkeit in [...] seien somit keine weiteren objektiven Voraussetzungen für die Annahme einer Zweigniederlassung im Sinne von Art. 12 ZPO erfüllt.

Zu prüfen sei somit, ob die Beklagte Dritten beziehungsweise der Klägerin gegenüber den Eindruck vermittelt habe, in [...] über eine Zweigniederlassung zu verfügen und diesen Eindruck stillschweigend geduldet habe. Im anwendbaren Gesamtarbeitsvertrag für den Bereich der [...] des Jahres 2017 (GAV) werde statuiert, «zulässig sind maximal zwei vertraglich zu vereinbarende Anstellungsorte. Diese können am Ort der Hauptniederlassung (Sitz) / Zweigniederlassung (Filiale) / Betriebsstätte, am Wohnort am regelmässigen Einsatzort des Mitarbeiters liegen. Wenn zwei Anstellungsorte vertraglich vereinbart werden, muss der eine als Hauptanstellungsort (HAO) und der andere als Nebenanstellungsort (NAO) klar bezeichnet sein» (vgl. Art. 18 Abs. 2 GAV). Im thematisierten Arbeitsvertrag vom 16. März 2019 hätten die Parteien als Hauptarbeitsort die [...]strasse [...] in [...] und als Nebenarbeitsort die [...]strasse in [...] angegeben. Beim vertraglich vereinbarten Hauptanstellungsort in [...] habe es sich während des kurzen Anstellungsverhältnisses von rund zwei Monaten unbestrittenermassen nicht um den regelmässigen Einsatzort der Klägerin gehandelt. Ebenso wenig habe es sich um den Wohnort der Klägerin gehandelt und auch nicht um den Sitz der Beklagten. Dieser befinde sich gemäss Handelsregisterauszug in [...]. Den Bestimmungen des GAV folgend, müsse sich in [...] somit eine Zweigniederlassung (Filiale) eine Betriebsstätte befinden. Sofern die Beklagte geltend mache, in [...] befände sich nur ein leeres Büro, in welchem keine Arbeiten ausgeführt werden, so hätte sie im Arbeitsvertrag [...] nicht als Hauptanstellungsort bezeichnen dürfen. Dass die Arbeitgeberin dies trotzdem getan habe, weise darauf hin, dass sie entweder – entgegen ihren Behauptungen – tatsächlich [...] als Einsatzort geplant habe, dass sie andernfalls bei Dritten, insbesondere bei Stellensuchenden, einen falschen Eindruck habe vermitteln und dulden wollen, um Auslagenersatz einsparen zu können. Nichts anderes habe im Übrigen die Befragung der aufgerufenen Zeugen ergeben. In einer Gesamtschau betrachtet, erscheine das Verhalten der Beklagten als rechtsmissbräuchlich, wenn sie sich nun mittels Einrede der örtlichen Unzuständigkeit gegen die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts zur Wehr setze (vgl. Ziff. II E. 2c [S. 12 ff.] des angefochtenen Entscheids).

Zusammengefasst sei demnach festzuhalten, dass die Klägerin aufgrund der gesamten Umstände des vorliegenden Falles habe davon ausgehen dürfen, dass sich in [...] ein Arbeitsort beziehungsweise eine Geschäftsstelle befunden habe und die Beklagte in dieser Region etwas habe aufbauen wollen. Die Klägerin habe darauf vertrauen dürfen, dass sie in [...] einen Gerichtsstand habe. Dieses Vertrauen sei zu schützen. Auf die Klage sei somit einzutreten (vgl. Ziff. II E. 2d [S. 14] des angefochtenen Entscheids).

2. Die Beklagte und Berufungsklägerin bringt dagegen vor, der Gerichtsstand richte sich im Arbeitsrecht üblicherweise nach Art. 34 Abs. 1 ZPO. Auf diesen Artikel habe sich die Klägerin in ihrem Schlichtungsgesuch und ihrer Klage berufen, obwohl sie habe wissen müssen, dass die örtliche Zuständigkeit der Vorinstanz nach Art. 34 Abs. 1 ZPO nicht vorgelegen habe. Indem die anwaltlich vertretene Berufungsbeklagte sich in ihrem Schlichtungsgesuch und in ihrer Klage betreffend die örtliche Zuständigkeit auf Art. 34 Abs. 1 ZPO berufen habe, um sich danach, nach dem die Berufungsklägerin die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit der Vorinstanz erhoben hatte, wider besseren Wissens auf den Anknüpfungspunkt einer Zweigniederlassung nach Art. 12 ZPO zu verweisen, verhalte sie sich rechtsmissbräuchlich im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Schweizerisches Zivilgesetzbuch (ZGB, SR 210). Die Berufungsklägerin habe sodann nie bestritten, dass sie eine Adresse in [...] und dort einen Büroraum gemietet habe. Es sei aber offensichtlich, dass sie keine Zweigniederlassung in [...] habe. Die Berufungsklägerin vermittle und dulde auch nicht einen solchen Eindruck. Die vertragliche Nennung eines Hauptanstellungsortes indiziere nicht, dass sich an diesem Ort eine Zweigniederlassung befände bzw. dass der Eindruck vermittelt werden solle, dort befände sich eine Zweigniederlassung.

3. Die Klägerin und Berufungsbeklagte entgegnet im Wesentlichen, gemäss dem Grundsatz iura novit curia genüge es, den Sachverhalt vor Gericht darzustellen. Auch wenn sich die Berufungsbeklagte in ihrer Klage zuerst auf Art. 34 Abs. 1 ZPO berufen habe, könne nicht von einem rechtsmissbräuchlichen Verhalten die Rede sein, nur weil die örtliche Zuständigkeit auf Grundlage von Art. 12 ZPO begründet werden könne. Weiter bedürfe es der objektiven Kriterien einer Zweigniederlassung nicht, wenn – wie vorliegend – der Anschein erweckt worden sei, eine solche bestünde in [...]. Die Berufungsklägerin habe den Eindruck erweckt, eine Zweigniederlassung in [...] zu führen, die in einem späteren Zeitpunkt ausgebaut werden solle. Darauf sei sie zu behaften. Die Berufung sei somit vollumfänglich abzuweisen.

4. Mit Berufung kann die unrichtige Rechtsanwendung und die unrichtige Feststellung des Sachverhalts geltend gemacht werden (Art. 310 ZPO). Die Berufungsklägerin hat dabei im Einzelnen darzulegen, aus welchen Gründen der angefochtene Entscheid falsch ist und deshalb abgeändert werden muss.

5. Zunächst ist festzuhalten, dass dem Hauptverfahren eine arbeitsrechtliche Streitigkeit zu Grunde liegt. Für arbeitsrechtliche Klagen ist grundsätzlich das Gericht am Wohnsitz Sitz der beklagten Partei an dem Ort, an dem die Arbeitnehmerin der Arbeitnehmer gewöhnlich die Arbeit verrichtet, zuständig (Art. 34 Abs. 1 ZPO). Vorliegend ist unbestritten, dass die Klage weder am Sitz der Beklagten, noch an dem Ort, an dem die Arbeitnehmerin in der kurzen Anstellungsdauer für gewöhnlich ihre Arbeit verrichtete, angehoben wurde. Eine sachliche und örtliche Zuständigkeit am Richteramt Bucheggberg-Wasseramt lässt sich gestützt auf Art. 34 Abs. 1 ZPO somit nicht begründen.

6.1 Wie die Vorinstanz zutreffend erwog, steht dem klagenden Arbeitnehmer alternativ zum Gerichtsstand nach Art. 34 Abs. 1 ZPO aber auch der Gerichtsstand aus dem Betrieb einer geschäftlichen beruflichen Niederlassung Zweigniederlassung am Ort der Niederlassung zur Verfügung (Art. 12 ZPO).

6.2 Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist demnach, ob die Voraussetzungen von Art. 12 ZPO erfüllt sind und die Vorinstanz zu Recht ihre örtliche und sachliche Zuständigkeit bejahte.

6.3 Nach Auffassung der Autoren Feller und Bloch habe der Gesetzgeber mit dem Gerichtsstand am Orte der Niederlassung im Sinne von Art. 12 ZPO seinen Willen zum Ausdruck bringen wollen, an der bisherigen Rechtsprechung und den dabei entwickelten Kriterien für Zweigniederlassungen und geschäftlichen Niederlassungen festhalten zu wollen (vgl. Urs Feller und Jürg Bloch in:Thomas Sutter-Somm / Franz Hasenböhler / Christoph Leuenberger [Hrsg.], ZPO Kommentar, Zürich / Basel / Genf 2016, Art. 12 N 1 mit Verweis auf BGE 101 Ia 39 E. 1).

6.4 Gemäss bisheriger bundesgerichtlicher Rechtsprechung hängt die Frage, ob sich eine Firma am Orte ihrer Niederlassung belangen lassen muss, grundsätzlich davon ab, ob die von der Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen gegeben sind. Diese lassen sich etwa dahin zusammenfassen, dass eine Zweigniederlassung dann anzunehmen ist, wenn dort dauernd eine geschäftliche Tätigkeit abgewickelt wird, wobei zwar eine Verbindung zum Hauptsitz besteht, der Niederlassung jedoch eine gewisse Selbständigkeit zukommt. Erforderlich sind zudem ständige körperliche Anlagen Einrichtungen, mittels derer sich ein qualitativ quantitativ wesentlicher Teil des technischen kommerziellen Betriebes des Unternehmens vollzieht (vgl. BGE 101 Ia 39 E. 1).

Das Bundesgericht erwog ferner, die Gerichtsstandsfrage sei in Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben zu entscheiden. Bereits in seiner früheren Rechtsprechung sei ausgeführt worden, dass Umstände, welche bloss den Anschein eines (wohn)sitzähnlichen Verhältnisses erwecken würden, ohne dass ein solches in Wirklichkeit gegeben sei, für die Anerkennung eines Gerichtsstandes zwar grundsätzlich noch nicht genügen könnten. Davon gebe es aber Ausnahmen. Ein Vertragspartner, aus dessen Erklärungen an die Gegenpartei nach Treu und Glauben der Schluss auf eine «Domizilannahme» habe gezogen werden dürfen und müssen, müsse sich bei einer so verstandenen Äusserung ohne Rücksicht auf einen abweichenden inneren Willen behaften lassen (BGE 101 Ia 39 E. 3 mit Verweis auf BGE 62 I 20).

6.5 Vorliegend steht nicht mehr zur Diskussion, dass die Berufungsklägerin in [...] nur über gemietete Räumlichkeiten verfügt, dort keine Mitarbeiter beschäftigt und in [...] keine geschäftliche Tätigkeit ausübt. Die von der Rechtsprechung entwickelten (objektiven) Voraussetzungen zum Gerichtsstand am Ort der Niederlassung liegen somit grundsätzlich nicht vor. Zu prüfen bleibt, ob die Berufungsklägerin mit ihrem Verhalten gegenüber der Arbeitnehmerin den Eindruck erweckte, in [...] über eine Niederlassung zu verfügen und sich darauf behaften lassen muss.

6.6 Aus den Vorakten geht diesbezüglich hervor, dass die Parteien am 16. März 2019 einen Arbeitsvertrag abgeschlossen haben. Als Hauptarbeitsort wurde die [...]strasse [...] in [...] angegeben und als Nebenarbeitsort eine Adresse in [...]. Im Rahmen der Zeugenbefragung hat ein ehemaliger Mitarbeiter der Berufungsklägerin ausgesagt, dass in seinem Arbeitsvertrag [...] als Hauptarbeitsort angegeben wurde. Er sei davon ausgegangen, die Berufungsklägerin habe in [...] eine Geschäftstätigkeit aufbauen wollen. Er habe einmal einen Brief an die Adresse in [...] adressiert. Dieser habe aber dort nicht zugestellt werden können und sei wieder an ihn retourniert worden. Er habe von April bis Dezember 2019 bei der A.___ AG in [...] gearbeitet und danach ein Schlichtungsverfahren gegen die Berufungsklägerin in [...] eingeleitet (vgl. Protokoll der Zeugeneinvernahme vom 19. Januar 2021). Anlässlich der Parteibefragung gab die Berufungsbeklagte zusammenfassend zu Protokoll, sie habe sich auf ein Inserat der Berufungsklägerin in der Solothurner Zeitung in der Solothurner Woche gemeldet. In diesem Inserat sei [...] als Arbeitsort angegeben worden. Im Rahmen des Vorstellungsgesprächs habe man ihr gesagt, das Unternehmen wolle in [...] eine Geschäftstätigkeit aufbauen. Ferner sei ihr mitgeteilt worden, dass sie anfänglich noch in [...] und danach in [...] arbeiten werde. Am Sitz des Unternehmens in [...] sei sie zwei Mal gewesen. Von [...] zum Einsatzort in [...] habe sie fast über eine Stunde und von ihrem Zuhause in [...] bis zu ihrem Einsatzort in [...] habe sie rund dreissig Minuten Wegzeit gehabt. Sie habe eine schulpflichtige Tochter. Es hätte nicht funktioniert, wenn sie jeweils eine Stunde hätte zum Einsatzort fahren müssen (vgl. Protokoll der Parteibefragung vom 19. Januar 2021). Für die Berufungsklägerin gab E.___ im Rahmen der Parteibefragung im Wesentlichen an, in [...] habe die Berufungsklägerin (leere) Büroräumlichkeiten gemietet wegen der Berechnung des Weges für die Mitarbeiter. Die Berufungsklägerin habe im Arbeitsvertrag explizit zwei Arbeitsorte genannt, um weniger Fahrkosten entschädigen zu müssen. Sie habe bewusst Mitarbeiter im Raum [...] und [...] gesucht. Es treffe zu, dass die Berufungsklägerin auf ihrem Briefpapier mehrere Geschäftsstellen aufführe. Diese seien aber nicht alle im Handelsregister eingetragen (vgl. Protokoll der Parteibefragung vom 19. Januar 2021).

6.7 Dass die Vorinstanz vor diesem Hintergrund die Auffassung vertrat, die Berufungsklägerin habe gegenüber der Berufungsbeklagten den Eindruck einer Geschäftstätigkeit beziehungsweise das Vorliegen einer Niederlassung in [...] erwecken wollen und diesen Eindruck geduldet, kann nicht beanstandet werden. Die Berufungsklägerin hat sich auf ihr Verhalten gegenüber der Berufungsbeklagten behaften zu lassen. Im Übrigen kann auf die zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz verwiesen werden. Was die Berufungsklägerin in ihrer Berufungsschrift dagegen vorbringt, erweist sich als rein appellatorische Kritik und vermag nicht zu überzeugen. Inwiefern der Vorderrichter das Recht falsch angewendet den Sachverhalt unrichtig festgestellt haben soll, ist nach dem Gesagten nicht ersichtlich. Die Berufung erweist sich deshalb als unbegründet, sie ist abzuweisen.

7.1 Bei Streitigkeiten aus dem Arbeitsverhältnis bis zu einem Streitwert von CHF 30‘000.00 werden keine Gerichtskosten erhoben (vgl. Art. 114 lit. c ZPO).

7.2 Die Berufungsbeklagte hat in der Berufungsantwort um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege (recte: Verbeiständung) ersucht. Diese ist zu bewilligen. Die vom Vertreter der Berufungsbeklagten eingereichte Honorarnote erscheint grundsätzlich angemessen. Mangels Einreichung einer Honorarvereinbarung ist aber von einem Stundenansatz von CHF 230.00 auszugehen. Die Parteientschädigung, welche die unterliegende Berufungsklägerin der obsiegenden Berufungsbeklagten zu bezahlen hat, beträgt demnach CHF 1'039.40 (inkl. Auslagen und MWST). Für einen Betrag von CHF 820.25 besteht während zweier Jahre eine Ausfallhaftung des Staates.

Demnach wird erkannt:

1.    Die Berufung wird abgewiesen.

2.    Das Gesuch der Berufungsbeklagten um Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung für das Berufungsverfahren wird gutgeheissen.

3.    Die A.___ AG hat B.___, vertreten durch Rechtsanwalt Boris Banga, eine Parteientschädigung in der Höhe von CHF 1'039.40 zu bezahlen. Für einen Betrag von CHF 820.25 besteht während zweier Jahre eine Ausfallhaftung des Staates. Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren sowie der Nachzahlungsanspruch des unentgeltlichen Rechtsbeistands im Umfang von CHF 219.15 (Differenz zu vollem Honorar), sobald B.___ zur Nachzahlung in der Lage ist (Art. 123 ZPO).

4.    Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

 

Rechtsmittel: Der Streitwert beträgt weniger als CHF 15'000.00.

Sofern sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt, kann gegen diesen Entscheid innert 30 Tagen seit Eröffnung des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in Zivilsachen eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Schweizerischen Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich.

Soweit sich keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt, kann gegen diesen Entscheid innert 30 Tagen seit Erhalt beim Bundesgericht subsidiäre Verfassungsbeschwerde eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Mit der Verfassungsbeschwerde kann die Verletzung von verfassungsmässigen Rechten gerügt werden. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Art. 115 bis 119 Bundesgerichtsgesetz massgeblich. Wird gleichzeitig Beschwerde in Zivilsachen und subsidiäre Verfassungsbeschwerde erhoben, so sind beide Rechtsmittel in der gleichen Beschwerdeschrift einzureichen.

Im Namen der Zivilkammer des Obergerichts

Die Präsidentin                                                                 Die Rechtspraktikantin

Hunkeler                                                                           Kohler



 
Quelle: https://gerichtsentscheide.so.ch/
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