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Urteil Verwaltungsgericht (SO - ZKBER.2021.17)

Kopfdaten
Kanton:SO
Fallnummer:ZKBER.2021.17
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Zivilkammer
Verwaltungsgericht Entscheid ZKBER.2021.17 vom 23.08.2021 (SO)
Datum:23.08.2021
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:-
Zusammenfassung:Zusammenfassung: Die Klägerin, die Tante eines Mädchens namens C, hatte das Sorgerecht für das Kind übernommen, nachdem die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde dem Vater das Sorgerecht entzogen hatte. Es entstand ein Streit über die Entschädigung für die Betreuung des Mädchens. Das Gericht entschied zugunsten der Klägerin und sprach ihr eine Entschädigung von CHF 65'178.00 zu, die rückwirkend ab November 2016 zu zahlen ist. Die Gerichtskosten wurden aufgeteilt, wobei die Klägerin 65% und die Beklagte 35% tragen muss. Die Parteikosten wurden ebenfalls entsprechend aufgeteilt.
Schlagwörter: Pflege; Berufung; Apos; Richtlinien; Betreuung; Recht; Betreuungsvergütung; Solothurn; Amtsgericht; Pflegegeld; Urteil; Berufungsklägerin; Kanton; Entscheid; Entschädigung; Gericht; Parteien; Vorinstanz; Einwohnergemeinde; Pflegeeltern; Forderung; Berufungsbeklagte; Tante; Zahlung; Berner; Verwandte; ändig
Rechtsnorm: Art. 104 OR ; Art. 123 ZPO ; Art. 279 ZGB ; Art. 294 ZGB ; Art. 320 OR ; Art. 328 ZGB ; Art. 4 ZGB ;
Referenz BGE:141 III 401;
Kommentar:
Cyril Hegnauer, Berner , Art. 294 ZGB ZG, 1997
Entscheid
 
Geschäftsnummer: ZKBER.2021.17
Instanz: Zivilkammer
Entscheiddatum: 23.08.2021 
FindInfo-Nummer: O_ZK.2021.120
Titel: Klage aus Pflegevertrag

Resümee:

 

Obergericht

Zivilkammer

 

Urteil vom 23. August 2021           

Es wirken mit:

Präsidentin Hunkeler

Oberrichter Frey

Oberrichter Müller    

Gerichtsschreiber Schaller

In Sachen

A.___,

vertreten durch Fürsprecherin Susanne Meier,

 

Berufungsklägerin

 

 

gegen

 

 

Einwohnergemeinde B.___,

 

Berufungsbeklagte

 

betreffend Klage aus Pflegevertrag


zieht die Zivilkammer des Obergerichts in Erwägung:

I.

1.1 A.___ (nachfolgend auch: Klägerin, geb. 1958), wohnhaft in [...] (), ist die Tante von C.___ (nachfolgend: C.___, geb. [...] 2003). Die Mutter von C.___ (Schwester von A.___) verstarb am [...] 2013. C.___s Eltern lebten damals getrennt. C.___ stand unter der Obhut der Mutter. Nach deren Tod war C.___s Vater alleiniger Inhaber der elterlichen Sorge.

 

 

1.2 Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde [...] (KESB) entzog dem Kindsvater mit Entscheid vom 22. August 2013 mit sofortiger Wirkung die elterliche Obhut über die damals in der Einwohnergemeinde B.___ Wohnsitz verzeichnende C.___, platzierte sie in einer Drittfamilie und errichtete eine Erziehungsbeistandschaft. Zur Begründung erwog die KESB, es mache zum aktuellen Zeitpunkt weder Sinn, sich für einen weiteren Verbleib der Obhut beim Kindsvater, noch für eine Platzierung von C.___ bei ihrer Tante zu entscheiden. Da sich die Beteiligten nicht einvernehmlich über den weiteren Verbleib von C.___ einigen könnten, zwinge sich ein dritter Weg auf, um das Kind vom bestehenden Loyalitätskonflikt zu entlasten.

 

 

1.3 Am 17. Juni 2014 entschied die KESB, C.___ werde mit Wirkung ab 5. Juli 2014 bei ihrer Tante A.___ platziert. Der Obhutsentzug und die Beistandschaft gemäss dem Entscheid vom 22. August 2013 wurden bestätigt. Zur Begründung führte die KESB im Wesentlichen aus, sowohl der sorgeberechtigte Kindsvater als auch die Tante A.___ würden Anspruch auf ein Zusammenleben mit C.___ erheben. Der Kindsvater sei nach der Trennung der Eltern über längere Zeit hinweg für C.___ nicht mehr unmittelbar präsent gewesen. Obwohl ihm seit dem Tod der Kindsmutter die alleinige elterliche Sorge zustehen würde, habe der «letzte Wunsch» der Mutter, dass C.___ nicht bei ihrem Vater leben solle, faktisch dazu geführt, dass auch C.___ nicht mehr bei ihrem Vater habe leben wollen. Die Interessen und Wünsche von C.___ seien - gepaart mit der Beurteilung der problematischen Kooperationsfähigkeit der Beteiligten - so zu gewichten, dass C.___ bei ihrer Tante zu platzieren sei.

 

 

2. Am 1. November 2017 (Postaufgabe) reichte A.___ beim Richteramt Solothurn-Lebern ein Schlichtungsgesuch gegen die Einwohnergemeinde B.___ (nachfolgend auch: Beklagte) ein. Sie beantragte, die Gesuchsgegnerin zu verpflichten, ihr ab dem 5. Juli 2014 bis auf Weiteres eine angemessene Betreuungsvergütung von mindestens CHF 38.00 pro Tag, zuzüglich Zins zu 5% ab jeweiligem Verfall, zu bezahlen. Das Amtsgericht Solothurn-Lebern trat auf die im Anschluss an das Schlichtungsverfahren eingereichte Klage mit Entscheid vom 31. Oktober 2019 nicht ein, weil eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vorliege. Das Obergericht befand in Gutheissung der von A.___ dagegen erhobenen Berufung, beim Streitgegenstand handle es sich um eine Zivilsache und hob das Urteil am 4. Mai 2020 auf. Zur Fortsetzung des Verfahrens wies es die Sache an das Amtsgericht zurück. Dieses fällte am 7. Dezember 2020 folgendes Urteil:

 

1.    Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin für die Zeit vom 1. November 2016 bis und mit 31. Dezember 2020 eine Entschädigung für Pflege und Erziehung von brutto CHF  39'821.30 abzüglich der gesetzlich geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge nebst Zins zu 5 % ab 1. Dezember 2018 (mittlerer Verfall) zu bezahlen. Weitergehend wird die Klage abgewiesen.

2.    Die Klägerin hat der Beklagten eine Parteientschädigung von pauschal CHF 250.00 zu bezahlen. Die Beklagte hat der Klägerin eine Parteientschädigung von CHF  7'009.75 (25 Std. à CHF 250.00, Auslagen CHF 258.60 und 7,7 % MWST) zu bezahlen. Die Entschädigung der unentgeltlichen Rechtsbeiständin der Klägerin, Fürsprecherin Susanne Meier, […], wird auf CHF 5'125.00 (25 Std. à CHF 180.00, Auslagen CHF 258.60 und 7,7% MWST) festgesetzt und ist zufolge unentgeltlicher Rechtspflege vom Staat Solothurn zu zahlen. Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren sowie der Nachzahlungsanspruch der unentgeltlichen Rechtsbeiständin im Umfang von CHF  1'346.25 (Differenz zu vollem Honorar von CHF 230.00/Std.), sobald Frau A.___ zur Nachzahlung in der Lage ist (Art. 123 ZPO).

3.    Die Gerichtskosten von CHF 5'200.00 werden den Parteien je zur Hälfte, das heisst zu je CHF 2'600.00, auferlegt. Den Anteil der Klägerin von CHF 2'600.00 trägt zufolge unentgeltlicher Rechtspflege der Staat; vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren, sobald Frau A.___ zur Nachzahlung in der Lage ist (Art. 123 ZPO). Die Rechnungsstellung an die Beklagte erfolgt nach Rechtskraft dieses Entscheids.

 

 

3. Frist- und formgerecht erhob A.___ im Anschluss an die nachträgliche Zustellung der Entscheidbegründung Berufung gegen das Urteil. Sie stellt folgende Rechtsbegehren:

 

1.    Das Urteil (Ziffer 1 - 3) vom 7. Dezember 2020 des Amtsgerichts Solothurn-Lebern sei aufzuheben.

2.    Die Berufungsbeklagte sei zu verpflichten, der Berufungsklägerin für die Betreuung von C.___ ab 5. Juli 2014 bis und mit 18. März 2021 (2‘449 Tage) eine Entschädigung für Pflege und Erziehung von CHF 38.00 pro Tag zuzüglich Arbeitgeberbeiträge für die Sozialversicherungen (7.75%) nebst Zins zu 5% ab mittlerem Verfall zu leisten.

3.    Die Berufungsbeklagte sei zum Ersatz der erst- und zweitinstanzlichen Parteikosten der Berufungsklägerin zu verpflichten.

4.    Die erst- und zweitinstanzlichen Gerichtskosten seien der Berufungsbeklagten aufzuerlegen.

 

Die Einwohnergemeinde B.___ beantragt, die Berufung abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.

 

 

4. Der Präsident der Zivilkammer wies mit Verfügung vom 9. April 2021 das Gesuch von A.___, es sei ihr für das Berufungsverfahren die unentgeltliche Rechtspflege zu bewilligen, ab. Den gleichzeitig einverlangten Kostenvorschuss bezahlte sie fristgerecht. Die Streitsache ist spruchreif. In Anwendung von Art. 316 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO, SR 272) kann darüber ohne Durchführung einer Verhandlung entschieden werden. Für die Parteistandpunkte und die Erwägungen des Amtsgerichts wird grundsätzlich auf die Akten verwiesen. Soweit erforderlich, ist nachstehend darauf einzugehen.

 

II.

1. A.___ stützt ihre Klage auf Art. 294 Schweizerisches Zivilgesetzbuch (ZGB, SR 210). Art. 294 Abs. 1 ZGB zufolge haben Pflegeeltern Anspruch auf ein angemessenes Pflegegeld, sofern nichts Abweichendes vereinbart ist sich eindeutig aus den Umständen ergibt. Gemäss Abs. 2 dieser Bestimmung ist Unentgeltlichkeit zu vermuten, wenn Kinder von nahen Verwandten zum Zweck späterer Adoption aufgenommen werden.

 

 

2.1 Das Amtsgericht prüfte und bejahte zunächst die Passivlegitimation der Beklagten. Weiter hielt es fest, durch konkludentes Verhalten sei ein Pflegevertrag zustande gekommen. Unentgeltlichkeit der Betreuung und Pflege von C.___ sei nicht vereinbart worden. Die Frage der Entgeltlichkeit habe man zu Beginn des Pflegeverhältnisses vielmehr offen gelassen. Mit Blick auf die weite Auslegung des Begriffes der nahen Verwandten gemäss Art. 294 Abs. 2 ZGB im Berner Kommentar und die übrigen Umstände habe die Beiständin und damit auch die Beklagte mit guten Gründen davon ausgehen können, dass die Klägerin ihre Nichte unentgeltlich betreue, zumal diese zunächst tatsächlich keinen "Lohn", das heisst, keine Betreuungsvergütung verlangt habe und offenbar erst im Rahmen eines Kurses, den sie als Pflegemutter im Kanton […] habe besuchen müssen, von der Möglichkeit einer Betreuungsvergütung gemäss Art. 294 Abs. 1 ZGB erfahren habe. Somit sei aufgrund der konkreten, eindeutigen Umstände von einem unentgeltlichen Pflegeverhältnis auszugehen. Im August 2015 habe die Klägerin indessen einen Anwalt mit ihrer Interessenwahrung beauftragt, weil sie mit dem Pflegegeld nicht einverstanden gewesen sei. Dieser habe in einem Schreiben vom 25. August 2015 darauf hingewiesen, seine Mandantin habe die ihr bisher vorgelegten Pflegeverträge nicht unterschrieben, weil diese keine Betreuungsvergütung enthielten. Spätestens im August 2015 habe die Klägerin also unmissverständlich zu erkennen gegeben, dass sie für die Betreuung von C.___ ein Entgelt verlange und damit die bestehende Vermutung der Unentgeltlichkeit beendet, was sie berechtigen würde, zwar nicht rückwirkend ab Beginn des Pflegeverhältnisses am 5. Juli 2014, aber zumindest ab August 2015 eine Betreuungsvergütung zu verlangen. Die zu beurteilende Klage sei jedoch erst mit dem Schlichtungsgesuch vom 31. Oktober 2017 anhängig gemacht worden. In Anwendung der einjährigen Verwirkungsfrist von Art. 279 ZGB sei die Klägerin daher nur – aber immerhin – berechtigt, Forderungen aus dem Pflegevertrag rückwirkend ab dem 1. November 2016 geltend zu machen.

 

 

2.2 Bei der Bemessung des Pflegegeldes stützte sich die Vorinstanz auf die von Karin Anderer vertretene Auffassung, wonach dafür die Pflegegeldrichtlinien am Wohnort der Pflegeeltern anzuwenden seien (Karin Anderer, Das Pflegegeld in der Dauerfamilienpflege und die sozialversicherungsrechtliche Rechtsstellung der Pflegeeltern, SzS Schriften zum Sozialversicherungsrecht, 2012, N 326). Obschon die Lebenshaltungskosten in [...], einer Nachbargemeinde der Stadt […], nicht tiefer als am solothurnischen Jurasüdfuss seien, sei es nicht möglich, die Entschädigung von CHF 27.00 pro Tag der deutlich höheren Betreuungsvergütung von CHF 38.00 der Solothurner Pflegegeldrichtlinien anzunähern, ohne damit einen willkürlichen Entscheid zu treffen. Bei C.___ handle es sich um eine begabte Jugendliche, die im vergangenen Sommer erfolgreich die […] bestanden habe, kurz vor der Volljährigkeit stehe und demzufolge kaum mehr betreut werden müsse. Es bestünden mithin keine Gründe im Sinne der Berner Pflegegeldrichtlinien für eine höhere Betreuungsvergütung. Es bleibe deshalb bei CHF 27.00 pro Tag CHF 810.00 pro Monat. In Anwendung von Art. 279 ZGB sei die Betreuungsvergütung rückwirkend ab 1. November 2016 bis und mit dem Urteilszeitpunkt, das heisst bis und mit Dezember 2020, geschuldet und unterliege der Indexierung gestützt auf den Landesindex der Konsumentenpreise. Aufgrund dieser Berechnung resultiere für die Klägerin ein Anspruch von total CHF 39'821.30. Es handle sich dabei um einen Bruttobetrag, von dem die gesetzlichen und vertraglichen Sozialbeiträge abzuziehen seien. Die darüber hinaus von der Klägerin geltend gemachten zusätzlichen Forderungen für Unterkunft, Lebensbedarf und auswärtige Verpflegung von C.___ erachtete das Amtsgericht als unbegründet.

 

 

2.3 Die Klägerin macht mit ihrer Berufung geltend, das Amtsgericht habe die Entschädigung in Bezug auf die Höhe und Dauer nicht korrekt berechnet. Insbesondere ist sie mit der Interpretation des Begriffs der nahen Verwandten und damit der angeblichen Unentgeltlichkeit des Pflegeverhältnisses in der Anfangsphase nicht einverstanden. Weiter beanstandet sie die Ausführungen zur Verwirkungsfrist respektive Verjährung und zum Sozialversicherungsabzug sowie die Umsetzung der Indexierung. Schliesslich begründe das Amtsgericht nicht, weshalb der Anspruch nur bis und mit Dezember 2020 daure. C.___ werde erst im März 2021 volljährig. Nicht auseinandergesetzt habe sich die Vorinstanz zudem mit der Rechtsprechung des Bundesgerichts bezüglich der Frage, welche Richtlinien für die Bemessung heranzuziehen seien. Auf diese Rügen der Berufungsklägerin ist nachfolgend im Einzelnen einzugehen.

 

 

3.1 Die Klägerin und Berufungsklägerin bestreitet die vorinstanzliche Feststellung, wonach die Beklagte in der Anfangsphase mit guten Gründen habe davon ausgehen können, sie betreue ihre Nichte unentgeltlich. Die Parteien hätten vielmehr unterschiedliche Vorstellungen über die Entgeltlichkeit gehabt. Die vom Amtsgericht erwähnte Lehrmeinung im Berner Kommentar werde von Anderer mit guten Gründen widerlegt. Unter dem in Art. 294 Abs. 2 ZGB erwähnten Begriff der nahen Verwandten seien demnach einzig Verwandte in auf- und absteigender Linie zu subsumieren. Für sie als Tante von C.___, und damit nicht in direkter Linie verwandte Person, greife die in dieser Bestimmung aufgestellte Vermutung der Unentgeltlichkeit nicht.

 

 

3.2 Die Beklagte entgegnet, die Klägerin sei für die gesamten Lebenskosten von C.___ voll entschädigt worden. Vorliegend gehe es nur um die Zahlung eines allfälligen Lohnes für das Zeitopfer, das sie für ihre Nichte erbracht habe. Die Klägerin habe nie eine Aufgabe übernommen, für welche die Behörde eine Lösung benötigt hätte. C.___ hätte problemlos beim Vater leben können, der sie auch sehr gerne bei sich gehabt hätte. Es habe keine Platzierungsnotwendigkeit bestanden, sondern die Tante habe gewünscht beziehungsweise gefordert, das Kind bei sich zu haben. Das könne bei der Frage eines Pflegelohns nicht unbeachtlich sein. Wegen der besonderen Fallkonstellation passten die diversen Regelungen, die für normale Platzierungen gälten, nicht. Die Klägerin sei erst mit ihrer Lohnforderung gekommen, nachdem sie endlich eine Pflegekinderbewilligung habe erwirken können. Dass der Platzierungsentscheid nicht anders ausgefallen wäre, wenn die Klägerin von Anfang an die Lohnforderung auf den Tisch gelegt hätte, sei eine sehr gewagte These der Berufungsklägerin.

 

 

3.3 Die KESB platzierte C.___ am 17. Juni 2014 mit Wirkung ab 5. Juli 2014 bei der Klägerin (Urkunde 4 der Klägerin). Soweit die Beklagte in ihrer Berufungsantwort diesen Entscheid hinterfragen will, ist nicht weiter darauf einzugehen: Die Platzierung von C.___ durch die KESB erwuchs damals unangefochten in Rechtskraft. Zur Frage der Entgeltlichkeit äusserte sich die Beiständin in ihrem ersten Verlaufsbericht für die Zeit vom 1. Januar 2014 bis 31. Juli 2015 dahingehend, dass der Pflegevertrag von der Tante in der vorgeschlagenen Form wegen des fehlenden AHV-pflichtigen Betreuungsanteils nicht akzeptiert werde (Urkunde 20 der Klägerin, vierte Seite). Einen Hinweis, wonach die KIägerin zu Beginn des Pflegeverhältnisses ausdrücklich konkludent eine andere Meinung kundgetan hätte, enthält der Verlaufsbericht nicht. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz durfte die Beklagte deshalb nicht von Unentgeltlichkeit ausgehen. Daran ändert auch die weite Auslegung des Begriffes der nahen Verwandten gemäss Art. 294 Abs. 2 ZGB im Berner Kommentar nichts. Zwar vertritt Hegnauer in der Tat die Meinung, der Begriff der nahen Verwandten sei weit zu fassen (Cyril Hegnauer, Berner Kommentar, 1997, N 26 zu Art. 294 ZGB). Karin Anderer verweist jedoch nach einer vertieften Auseinandersetzung mit der weiteren Lehre darauf, dass nur Verwandte der geraden Linie allenfalls von der Vermutungsregel von Art. 294 Abs. 2 ZGB betroffen sein können (Anderer, a.a.O., N 185 ff.). Auch aufgrund einer objektiv-zeitgemässen Betrachtungsweise schliesst sie auf einen Bedeutungswandel von Art. 294 Abs. 2 ZGB. Dieser Wandel findet unter anderem Ausdruck in der anlässlich der Revision des Scheidungsrechts per 1. Januar 2000 ebenfalls geänderten familienrechtlichen Unterstützungspflicht gemäss Art. 328 ZGB. Diese wurde auf Verwandte in auf- und absteigender Linie beschränkt, während vor der Revision auch noch die Geschwister zu den unterstützungsberechtigten Verwandten gehörten. Die Lehrmeinung von Hegnauer datiert aus der Zeit vor dieser Revision.

 

 

3.4 Das Amtsgericht betrachtete die Klägerin deshalb zu Unrecht als nahe Verwandte im Sinne von Art. 294 Abs. 2 ZGB. Die Vermutung der Unentgeltlichkeit kommt für sie nicht zum Tragen. Der Anspruch der Klägerin auf ein Pflegegeld besteht deshalb nicht– wie das Amtsgericht erwog – erst ab August 2015. Er besteht auch nicht erst seit Erteilung der Pflegekinderbewilligung am 7. Mai 2015, da diesem Akt nur formeller Charakter zukommt. Der Anspruch besteht vielmehr seit effektivem Beginn des Pflegeverhältnisses am 5. Juli 2014.

 

 

4.1 Die Vorinstanz erwog unter Hinweis auf Hegnauer weiter, dass auch beim Streit um das Pflegegeld sinngemäss die Schranke von Art. 279 Abs. 1 ZGB, wonach das Kind auf Leistung des Unterhalts für die Zukunft und für ein Jahr vor Klageanhebung klagen kann, zu beachten sei (Berner Kommentar, a.a.O., N 19 zu Art. 294 ZGB). Die Klägerin habe nicht dargetan, inwiefern die sinngemässe Anwendung von Art. 279 ZGB auf das vorliegende Pflegeverhältnis tatsächlich unbillig sogar zynisch wäre. Sie habe sich unter anderem wegen der ausbleibenden Betreuungsvergütung im August 2015 erstmals anwaltlich vertreten lassen. Weshalb ihr Voranwalt nach der Antwort der Beiständin vom 4. September 2015 keine rechtlichen Schritte gegen die Beklagte eingeleitet habe, könne offenbleiben. Fakt sei, dass sie die heute zu beurteilende Klage erst mit dem Schlichtungsgesuch vom 31. Oktober 2017 anhängig gemacht habe. In Anwendung der einjährigen Verwirkungsfrist von Art. 279 ZGB sei die Klägerin daher nur berechtigt, Forderungen aus dem Pflegevertrag rückwirkend ab dem 1. November 2016 geltend zu machen.

 

 

4.2 Die Berufungsklägerin wendet dagegen ein, Art. 294 ZGB regle das Pflegegeld als lex specialis. Hegnauer erachte die einjährige Verwirkungsfrist der unterhaltsrechtlichen Bestimmung von Art. 279 ZGB als sinngemäss anwendbar und halte gleichzeitig fest, der Anspruch sei schuld- und nicht familienrechtlicher Natur. Die Argumentation von Hegnauer sei damit nicht konsistent. Wenn der Anspruch schuldrechtlicher und nicht familienrechtlicher Natur sei, könne auch die familienrechtliche Verwirkungsfrist nicht gelten. Dass rückwirkend verlangter Unterhalt seinen Zweck nicht zu erfüllen vermöge, treffe zu. Eine rückwirkend verlangte Betreuungsvergütung mit der Eigenschaft von Lohn vermöge ihren Zweck aber sehr wohl zu erfüllen. Die Entschädigung der Tätigkeit von Pflegeeltern werde denn auch in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht – soweit damit die Erwerbsarbeit der Pflegeeltern abgegolten werde – als unselbständiges Lohneinkommen qualifiziert. Die Betreuungsvergütung sei damit eine Form von Lohn und nicht eine Form von Unterhalt. Sie unterliege deshalb einzig der fünfjährigen Verjährungsfrist von Art. 128 Ziff. 3 OR, nicht aber der Verwirkungsfrist von Art. 279 Abs. 1 ZGB. Die analoge Anwendung von Art. 279 ZGB sei unbillig und zynisch, weil es Aufgabe der Behörden und der Beiständin gewesen wäre, sie über ihre Rechte und Pflichten aufzuklären und für den Abschluss eines Pflegevertrages besorgt zu sein. Mit der Einreichung des Schlichtungsgesuchs vom 31. Oktober 2017 habe sie eine Betreuungsvergütung ab dem 5. Juli 2014 gefordert und damit die Verjährung unterbrochen, so dass kein Anteil der seit Juli 2014 geschuldeten Betreuungsvergütung verjährt sei.

 

 

4.3 Die Berufungsbeklagte entgegnet, die 5-jährige Verjährungsfrist gelte nur für rechtsgültig, das heisst zum Beispiel in einem gültigen Pflegvertrag einem Urteil festgelegte Zahlungspflichten. Eine solche Grundlage liege aber gerade nicht vor, vielmehr sei die Lohnfestlegung Kern der Streitsache. Mit der sinngemäss anwendbaren Einjahresschranke nach Art. 279 Abs. 1 ZGB werde dem ganz wichtigen Aspekt der Rechtssicherheit in solchen Dauerverhältnissen das nötige Gewicht gegeben. Die Parteien sollten handeln und die offenen Fragen zum Entscheid führen und nicht im Nachhinein mit Forderungen kommen. Sonst würde die Gegenpartei vor Situationen gestellt, auf die sie sich nicht habe einstellen können, da sie erst viel später festgelegt würden. Solche Nachforderungen seien potentiell ruinös, da sie sich regelmässig zu hohen Beträgen summierten. Dies insbesondere deshalb, weil der primäre Schuldner dieser privatrechtlichen Pflegelohnforderung der Vater sei und die Gemeinde nur zum Zuge komme, weil der Vater selbst nicht zahlen könne. Auch das unterstütze die Anwendung der Einjahresschranke auf diese Forderung. Die Situation sei diesbezüglich nicht anders als bei ehelichen Alimenten. Die Tante als quasi Nachfolgerin der Mutter stehe in diesem Sinne nicht anders da als die Mutter selbst, die auch nicht einfach Jahre später rückwirkende Forderungen stellen könne.  Es sei unbestritten, dass kein Pflegelohn festgelegt worden sei, ja dass die Behörden einen solchen abgelehnt hätten. Damit stehe die Klägerin da wie ein Ehegatte mit noch nicht festgelegten Alimentenforderungen ein Ehepartner, der Alimentenschulden senken wolle, aber noch keinen Gerichtsentscheid habe.

 

 

4.4 Wie die Berufungsklägerin zutreffend bemerkt, ist die Argumentation der von der Vorinstanz angerufenen Lehrmeinung Hegnauer widersprüchlich. Auch Anderer bezeichnet die Forderung der Pflegeeltern auf ein angemessenes Pflegegeld unmissverständlich als schuldrechtlicher Natur. Wenn im Streitfall der ordentliche Zivilprozessweg eingeschlagen werde, finde deshalb die unterhaltsrechtliche Klage gestützt auf Art. 279 Abs. 1 ZGB auf Art. 294 Abs. 1 ZGB keine Anwendung (a.a.O., N 313). Hegnauer begründet denn auch nicht weiter, weshalb die Einjahresschranke für die Betreuungsvergütung gelten beziehungsweise weshalb inwiefern die Entschädigung der Pflegeeltern ihrer Natur nach mit Unterhalt verwandt sein soll. Nicht zu überzeugen vermag auch der Einwand der Beklagten, wonach die 5-jährige Verjährungsfrist nur für rechtsgültig, das heisst zum Beispiel in einem gültigen Pflegvertrag einem Urteil, festgelegte Zahlungspflichten gelte. Auch für Lohnforderungen, die im Sinne von Art. 320 Abs. 2 OR der Höhe nach noch nicht bestimmt sind, gilt die fünfjährige Verjährungsfrist (Adrian Staehelin, Zürcher Kommentar, 2006, N 15 zu Art. 320 OR). Es ist nicht ersichtlich, weshalb es sich bei der Betreuungsvergütung, die lohnähnlichen Charakter hat und wie Lohn der Beitragspflicht der Sozialversicherungen untersteht, anders verhalten soll. Dafür spricht ebenfalls der von der Berufungsklägerin angestellte Vergleich der vorliegenden Leistung, die auch von einem Heim erbracht werden könnte und deshalb zweifellos nicht der unterhaltsrechtlichen Verwirkungsfrist von einem Jahr unterläge. Die einjährige Verwirkungsfrist von Art. 279 Abs. 1 ZGB findet aus diesen Gründen auf die Forderung der Klägerin keine Anwendung. Die Berufung ist auch in diesem Punkt begründet.

 

 

5. Begründet ist die Berufung auch, soweit die Klägerin die vom Amtsgericht vorgenommene Beschränkung der Betreuungsvergütung bis Dezember 2020 beanstandet. Solange C.___ noch nicht volljährig war, dauerte das Pflegeverhältnis an. Der Anspruch auf Pflegeentschädigung besteht deshalb bis und mit dem Tag vor ihrem 18. Geburtstag ([...] 2021), das heisst bis am [...] 2021.

 

 

6.1 Umstritten ist weiter die Bemessungsgrundlage der Betreuungsvergütung. Die Vorinstanz führte dazu aus, wenn sich der Wille der Parteien nicht ermitteln lasse sich der Pflegevertrag darüber ausschweige, sei das Pflegegeld nach Art. 294 Abs. 1 ZGB nach Recht und Billigkeit (Art. 4 ZGB) festzulegen. Regelmässig werde das Gericht die regionalen Pflegegeldrichtlinien heranziehen, auch wenn diese Richtlinien für das Gericht nicht verbindlich seien. Grundsätzlich seien die Richtlinien am Ort der Pflegeeltern anwendbar. Abzustellen sei daher auf die […] Pflegegeldrichtlinien. Diesen zufolge belaufe sich die Betreuungsvergütung auf CHF 27.00 pro Tag CHF 810.00 pro Monat.

 

 

6.2 Die Klägerin verweist in ihrer Berufung auf einen Entscheid des Bundesgerichts aus dem Jahr 2015 (BGE 141 III 401 E. 4.2.3). Dieser besage klar, es seien die Richtlinien desjenigen Kantons anzuwenden, dessen Behörde zuständig seien. Unbestrittenermassen seien hier die Behörden des Kantons Solothurn zuständig. Das Bundesgericht lasse weiter ein Abweichen von den Richtlinien des zuständigen Kantons zu, wenn tatsächlich tiefere Kosten anfielen. Solch tiefere Kosten am Wohnort des Pflegekindes seien hier nicht gegeben. C.___ lebe in der Agglomeration […] und die Vorinstanz behaupte denn auch nicht, die Lebenshaltungskosten lägen in [...] tiefer als am solothurnischen Jurasüdfuss. Die Vorinstanz setze sich mit dem einschlägigen Entscheid nicht auseinander. Sie wende damit das Recht nicht richtig an. Konkret sei damit für die Zeit vom 4. Juli 2014 bis am 18. März 2021, somit während 2‘449 Tagen eine Betreuungsvergütung gemäss den Solothurner Richtlinien von CHF 38.00 pro Tag geschuldet.

 

 

6.3 Die Beklagte führt in ihrer Berufungsantwort dagegen aus, die Klägerin wolle die Solothurner Richtlinien nur anwenden, weil diese mit CHF 38.00 pro Tag einen höheren Ansatz als die Berner Richtlinien vorsähen. Wenn schon, seien die Richtlinien am Wohnsitz der Pflegeeltern massgeblich. Die Einwohnergemeinde B.___ sei nur als subsidiäre Zahlerin an Stelle des Vaters in Pflicht. Zuständig für die Festlegung des Pflegelohns sei sie nicht, auch nicht eine andere Solothurner Behörde. Seit vielen Jahren gebe es keinen Bezugspunkt mehr zum Kanton Solothurn. Weder der Vater noch das Kind noch die Tante wohnten in Solothurn. Es seien die KESB und die Pflegekinderaufsicht im Kanton Bern mit dem Fall befasst. Die Klägerin und das Kind wohnten im Kanton Bern und es sei kein juristischer Anknüpfungspunkt, geschweige denn eine Begründung mit Bezug auf die örtlichen Kosten zu sehen, weshalb die Berner Richtlinien nicht angewandt werden sollten.

 

 

6.4.1 Das Amtsgericht orientierte sich bei seinem Entscheid an der Auffassung von Anderer, die – ausgehend vom Grundsatz, dass das Pflegegeld gestützt auf Art. 4 ZGB nach Recht und Billigkeit festzusetzen ist - die Richtlinien am Ort der Pflegeeltern als anwendbar erachtet (a.a.O., N 322 ff.). Dem von der Berufungsklägerin angerufenen Bundesgerichtsentscheid (BGE 141 III 401) zufolge handelt es sich bei solchen Richtlinien um sogenannte Verwaltungsverordnungen. Obwohl für das Gericht nicht verbindlich, sind Verwaltungsweisungen diesem Entscheid zufolge zu berücksichtigen, sofern sie eine dem Einzelfall angepasste und gerecht werdende Auslegung der anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen zulassen. Das Gericht soll nicht ohne triftigen Grund von Verwaltungsweisungen abweichen, wenn diese eine überzeugende Konkretisierung der rechtlichen Vorgaben darstellen. Vor diesem Hintergrund ist eine Abweichung von den Richtlinien nicht gänzlich ausgeschlossen. In jedem Fall setzt eine Abweichung von den Richtlinien aber eine Begründung vor-aus. Ebenso zu begründen wäre die zusätzliche Zusprechung der Arbeitgeberbeiträge, welche gemäss Richtlinien in der Grundentschädigung inbegriffen seien.

 

Da die Zuständigkeit im beurteilten Fall bei den Behörden des Kantons Zürich lag, bemerkte das Bundesgericht, es seien die Richtlinien dieses Kantons massgebend. Da allerdings die Beschwerdegegnerin im Kanton Thurgau platziert worden sei, seien auch die dortigen Richtlinien insofern heranzuziehen, als kantonal unterschiedlichen Lebenshaltungskosten Rechnung zu tragen sei. Mit anderen Worten dürften dem Beschwerdeführer nicht Kosten gemäss Zürcher Richtlinien auferlegt werden, wenn im Kanton Thurgau tatsächlich tiefere Kosten anfielen. Bei der Festlegung des Pflegegeldes und damit des Unterhaltsbeitrags sei auf diese besonderen Umstände hinzuweisen. Im Urteil der Vorinstanz seien nun die Kosten wesentlich höher angesetzt worden als in beiden Richtlinien vorgesehen. Dennoch lasse sich dem Urteil kein Wort entnehmen, weshalb die Kosten höher sein sollten, als von den Richtlinien vorgesehen und bis Ende 2012 offenbar angemessen gewesen sei (BGE 141 III 401 E. 4.2.2 f.).

 

 

6.4.2 Die Bemessung der Betreuungsvergütung anhand der Solothurnischen Richtlinien steht nicht im Widerspruch zum von der Berufungsklägerin angerufenen Entscheid. Zwar hält das Bundesgericht fest, dass im von ihm zu beurteilenden Fall die Richtlinien des Kantons Zürich massgebend seien, weil auch die Zuständigkeit in diesem Kanton liege. Eine Abweichung von den Richtlinien sei aber nicht gänzlich ausgeschlossen. Zu beachten seien insbesondere auch die besonderen Umstände des Einzelfalls. Eine Abweichung von den Richtlinien setze eine Begründung, das heisst besondere Gründe, voraus. Solche Gründe sind im vorliegenden Fall gegeben. Auf der einen Seite gibt es in der Tat – wie die Berufungsbeklagte zutreffend darlegt – seit vielen Jahren keinen Bezugspunkt mehr zum Kanton Solothurn. Einziger Grund für die Forderung, die Solothurner Richtlinien anzuwenden, scheint die in diesen Richtlinien vorgesehene höhere Entschädigung zu sein. Sachliche Gründe für eine höhere Entschädigung als diejenige der Richtlinien am Wohnort der Pflegeeltern, die auch die dortigen Lebenshaltungskosten abbilden, sind nicht auszumachen. Die besondere Konstellation und Vorgeschichte der Platzierung von C.___ bei ihrer Tante (vgl. die Begründungen der beiden Entscheide der KESB, Urk. 2 und 4) sprechen ebenfalls nicht dafür, eine Vergütung im oberen Bereich zuzusprechen. Die von Anderer angeführten Gründe, weshalb auf die Richtlinien am Ort der Pflegeltern abzustellen sei, überzeugen (a.a.O., N 324 ff.). Dass das Amtsgericht aus diesen Gründen für die festzusetzende Betreuungsvergütung von einem Ansatz von 27.00 pro Tag beziehungsweise CHF 810.00 pro Monat ausging (vgl. Hinweise der Justiz- Gemeinde- und Kirchendirektion des Kantons Bern zur Berechnung des Pflegegeldes für Kinder in Familienpflege, Urk. 22, Ziff. 4.1), ist deshalb nicht zu beanstanden.

 

 

7.1 Das Amtsgericht hielt fest, bei der von ihm ermittelten Betreuungsvergütung handle es sich laut den Berner Pflegegeldrichtlinien (Urkunde 22 der Klägerin) um einen Bruttobetrag, von dem die gesetzlichen und vertraglichen Sozialbeiträge abzuziehen seien. Die Klägerin rügt mit ihrer Berufung, den Solothurner Richtlinien zufolge würden Pflegeeltern aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht als unselbständig Erwerbende und die finanzierenden Eltern Behörden als Arbeitgeber behandelt. Die Arbeitgeber seien für die Anmeldung eines Pflegekindes bei der AHV Ausgleichskasse sowie für den Abschluss der obligatorischen Unfallversicherung verantwortlich. Den finanzierenden Behörden und Eltern werde empfohlen, die Abzüge der Arbeitnehmerin direkt von der Betreuungsvergütung in Abzug zu bringen. Die Beiträge an die obligatorische Unfallversicherung und gegebenenfalls an die Pensionskasse könnten unterschiedlich hoch ausfallen, weshalb eher zu einer separaten Abrechnung ausserhalb des Pflegevertrages geraten werde. Weitere Auskünfte könnten dem Merkblatt über die sozialversicherungsrechtliche Beitragspflicht bei Pflegekindverhältnissen in Pflegefamilien entnommen werden. Die Berner Pflegegeldrichtlinien seien damit weitgehend identisch. Das Pflegeverhältnis bestehe inzwischen bereits seit mehr als sechs Jahren. Sie hätte während dieser Zeit von der Beklagten versichert werden müssen. Das Urteil werde aber erst nach der Mündigkeit von C.___ und damit nach Abschluss des Pflegeverhältnisses ergehen. Die Berufungsklägerin könne damit nicht mehr für die Vergangenheit versichert werden, zumal sie seit Mai 2020 pensioniert sei. Einzahlungen in die AHV seien nicht mehr rentenbildend. Auch die Arbeitslosenversicherung könne nicht rückwirkend Schutz bieten. Gleichzeitig wäre es nicht korrekt, wenn die Berufungsbeklagte durch ihre jahrelange Weigerung, sie angemessen zu entschädigen, noch profitieren würde. Deshalb seien ihr keine Sozialversicherungsbeiträge abzuziehen, sondern ihr vielmehr die Arbeitgeberbeiträge zusätzlich auszurichten. Andernfalls wäre die Beklagte ungerechtfertigt bereichert. Im Zeitpunkt der Gerichtsverhandlung des erstinstanzlichen Verfahrens im Oktober 2019 sei ihre Pensionierung noch in der Zukunft gelegen. Damals hätte sie noch angemeldet werden können und ihre Beiträge wären auch noch rentenbildend gewesen. Mit der Auszahlung der Sozialversicherungsbeiträge direkt an sie liessen sich diese nun auch berechnen. Gemäss dem einschlägigen Merkblatt über die sozialversicherungsrechtliche Beitragspflicht bei Pflegekindverhältnissen in Pflegefamilien seien als Arbeitgeberbeiträge für die AHV/lV/EO 5,3%, für die ALV 1,1 %, für die FAK 1,15%, total somit 7.55% zu veranschlagen.

 

 

7.2 Die Beklagte und Berufungsbeklagte entgegnet, es verstehe sich von selbst, dass sie die Sozialversicherungen nach den gesetzlichen Vorschriften abwickeln werde. Falls es überhaupt eine Rolle spielen sollte, dass die Klägerin nun pensioniert sei, werde sie sich bei den Sozialversicherungsbehörden über das korrekte Vorgehen kundig machen und entsprechend vorgehen. Für Regelungen in einem Zivilrechtsverfahren bestehe kein Spielraum.

 

 

7.3 Die Klägerin gilt in Bezug auf die vorliegend festzulegende Entschädigung in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht als unselbständig Erwerbende. Wie es sich mit den Sozialversicherungsbeiträgen im konkreten Fall verhält, ist – wie die Beklagte zutreffend bemerkt – nicht im vorliegenden Zivilrechtprozess zu entscheiden. Sollten Arbeitnehmerbeiträge zu leisten sein, sind sie von der Entschädigung in Abzug zu bringen, gleich wie Arbeitgeberbeiträge von der Beklagten zu entrichten sein werden. Inwiefern die Klägerin konkret einen finanziellen Nachteil erleiden würde, falls durch Zeitablauf hinfällig gewordene Beiträge entfallen sollten, hat sie nicht substantiiert. Mit der Vorinstanz ist ihr daher ein Bruttobetrag zuzusprechen. Die konkrete Abrechnung wird nach den entsprechenden sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen im Rahmen der Auszahlung vorzunehmen sein. Die Berufung ist in diesem Punkt unbegründet.

 

 

8.1 Die Vorinstanz reduzierte den von ihr pro Monat grundsätzlich zugesprochenen Betrag von CHF 810.00 entsprechend dem Landesindex, der während der ganzen Zeit unter 100,0 Punkten lag. Die Berufungsklägerin verweist – falls davon ausgegangen würde – auf die Berner Richtlinien, wonach eine Indexierung nur dann vorgenommen werde, wenn sie zugunsten der Pflegeltern ausfalle.

 

 

8.2 Die Rüge ist begründet (Ziffer 3 der Richtlinien, Urkunde 22 der Klägerin). Von einer Indexierung zu Ungunsten der Klägerin ist deshalb abzusehen.

 

 

9.1 Die Beklagte wendet sich in ihrer Berufungsantwort gegen die vom Amtsgericht vorgenommene Verzinsung der zugesprochenen Forderung. Da nichts festgelegt worden sei, könne es keine fällige Forderung geben und sie könne auch nicht in Verzug geraten. Dazu komme, dass 5% heute extrem hoch seien.

 

 

9.2 Da die Beklagte selber keine Berufung Anschlussberufung erhoben hat, ist nicht weiter auf diese Rüge einzugehen. Im Übrigen ist sie auch unbegründet. Wenn eine Forderung erst im Rahmen eines Urteils abschliessend quantifiziert wird, heisst das allein noch nicht, dass die Schuldnerin nicht bereits vorher in Verzug geraten kann. Analog zur Regelung bei Lohnforderungen ist auch bei der vorliegend umstrittenen Betreuungsvergütung davon auszugehen, dass diese jeweils per Ende des Monats beziehungsweise bei Beendigung des Betreuungsverhältnisses fällig werden und bei nicht pünktlicher Bezahlung automatisch die Verzugsfolgen eintreten. Der Verzugszins beträgt – unabhängig von den konkreten Marktverhältnissen - von Gesetzes wegen 5% (Art. 104 Abs. 1 OR).

 

 

10. Zusammenfassend schuldet die Beklagte der Klägerin somit für die Zeit vom 5. Juli 2014 bis 17. März 2021 ein Entgelt für Pflege und Erziehung von brutto CHF 27.00 pro Tag beziehungsweise CHF 810.00 pro Monat. Zu entschädigen sind folglich für die nicht vollständigen Monate (27 Tage im Juli 2014 und 17 Tage im März 2021) 44 Tage zu je CHF 27.00 und 79 ganze Monate zu je CHF 810.00 (Dauerpflege), total somit CHF 65'178.00. Dieser Betrag ist ab dem mittleren Verfall, das heisst ab 16. November 2017 zu 5% zu verzinsen. Die Berufung ist in diesem Sinne teilweise gutzuheissen.

 

 

11.1 Beim Kostenentscheid ging die Vorinstanz von einem Streitwert von CHF 81'753.00 aus. Sie stützte sich dabei auf die Rechtsbegehren der Klägerin anlässlich der Verhandlung vom 31. Oktober 2019 (AS 85). Da die Klägerin mit CHF 39'821.30 rund die Hälfte davon erhalte, bestimmte das Amtsgericht, die Parteien hätten die Gerichtskosten je zur Hälfte sowie jede Partei die Parteikosten der anderen ebenfalls zur Hälfte zu tragen. Vom Grundsatz her blieb diese Vorgehensweise unbestritten.

 

 

11.2 Die mit dem vorliegenden Urteil der Klägerin zugesprochene Summe beläuft sich auf CHF 65'178.00, das heisst rund 80% des im Rechtsbegehren vom 31. Oktober 2019 bezifferten Betrages. Die Kosten sind deshalb basierend auf den von der Vorinstanz ermittelten Entschädigungen im Verhältnis 4/5 zu 1/5 aufzuteilen, was in Anlehnung an die Erwägungen XIII / 4 und 5 des angefochtenen Urteils bei den Parteikosten zu folgendem Ergebnis führt:

 

Die Parteientschädigung der Klägerin an die Beklagte wird (analog wie im aufgehobenen Urteil vom 31. Oktober 2019) für den Fall des vollständigen Obsiegens ermessensweise auf pauschal CHF 500.00 festgesetzt, ein Fünftel davon sind CHF  100.00. Die Klägerin hat der Beklagten also eine Parteientschädigung von pauschal CHF 100.00 zu bezahlen.

 

Fürsprecherin Susanne Meier macht in ihrer Kostennote vom 31. Oktober 2019 einen Aufwand von 50 Stunden à CHF 250.00 sowie Auslagen von CHF 517.20 zuzüglich 7,7 % MWST geltend. Gemäss § 160 Abs. 2 des Gebührentarifs des Kantons Solothurn beträgt der Stundenansatz für die berufsmässige Vertretung von Anwältinnen und Anwälten mindestens CHF 230.00 und maximal CHF 330.00, womit das verlangte Honorar von CHF 250.00 pro Stunde nicht zu beanstanden ist. Die Beklagte muss der Klägerin somit 40 Anwaltsstunden à CHF 250.00 pro Stunde, vier Fünftel der Auslagen gemäss eingereichter Honorarnote sowie 7,7 % MWST auf beiden Beträgen, bezahlen.

 

Der Rest, das heisst weitere 10 Anwaltsstunden und ein Fünftel der Auslagen sowie 7,7 % MWST auf beiden Beträgen, sind gemäss § 160 Abs. 3 Gebührentarif vom Staat Solothurn zum Tarif der unentgeltlichen Rechtspflege von CHF  180.00 pro Stunde zu entschädigen. Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Kantons Solothurn sowie der Nachzahlungsanspruch von Fürsprecherin Susanne Meier im Umfang von CHF 1'346.25 (Differenz zum vollen Honorar von CHF  230.00 pro Stunde) im Sinne von Art. 123 ZPO, zumal Fürsprecherin Meier nicht nachweist, dass sie mit der Klägerin einen höheren Stundenansatz als CHF 230.00 vereinbart hat.

 

 

11.2.1 Mit ihrem im Berufungsverfahren – angesichts des Zeitablaufs – erweiterten Rechtsbegehren verlangte die Klägerin die Zusprechung eines Betrages von CHF 38.00 pro Tag für 2'449 Tage, zuzüglich Arbeitgeberbeiträge von 7.75%, insgesamt somit CHF 100'274.30. Die zugesprochene Summe von CHF 65'178.00 entspricht 65% davon. Die Gerichtskosten von CHF 6'000.00 sind daher im Umfang von 65% (CHF 3'900.00) von der Beklagten und im Umfang von CHF 35% (CHF 2'100.00) von der Klägerin zu tragen. Im Verfahren vor Obergericht stand die Klägerin und Berufungsklägerin nicht mehr im Genusse der unentgeltlichen Rechtspflege.

 

 

11.2.2 Die Parteikosten sind ebenfalls nach dem Prozessausgang zu regeln. Die Berufungsbeklagte hat der Berufungsklägerin somit die von ihr geltend gemachten Parteikosten von CHF 5'338.15 (inkl. Auslagen und MwSt.) im Umfang von 65%, das heisst zu CHF 3'470.00, zu ersetzen. Umgekehrt schuldet die Berufungsklägerin der Berufungsbeklagten 35% der pauschalen Entschädigung von CHF 500.00, das heisst CHF 175.00. Nach Verrechnung der beiden Beträge und einer leichten Rundung resultiert unter dem Strich eine von der Berufungsbeklagten der Berufungsklägerin zu bezahlende Parteientschädigung von CHF 3'300.00 (inkl. Auslagen und MwSt.).

 

Demnach wird erkannt:

1.   In teilweiser Gutheissung der Berufung werden die Ziffern 1 – 3 des Urteils des Amtsgerichts Solothurn-Lebern vom 7. Dezember 2020 aufgehoben.

2.   Die Einwohnergemeinde B.___ wird verpflichtet, A.___ den Betrag von CHF 65'178.00 zuzüglich Zins zu 5% seit 16. November 2017 zu bezahlen.

3.   Die Gerichtskosten des Verfahrens vor Amtsgericht von CHF 5'200.00 werden A.___ zu CHF 1'040.00 und der Einwohnergemeinde B.___ zu CHF 4'160.00, auferlegt. Den Anteil von A.___ von CHF 1’040.00 trägt zufolge unentgeltlicher Rechtspflege der Staat; vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren, sobald A.___ zur Nachzahlung in der Lage ist (Art. 123 ZPO).

4.   A.___ hat der Einwohnergemeinde B.___ eine Parteientschädigung von pauschal CHF 100.00 zu bezahlen. Die Einwohnergemeinde B.___ hat A.___ eine Parteientschädigung von CHF  11'215.60 (40 Std. à CHF 250.00, Auslagen CHF 413.75 und 7,7 % MWST) zu bezahlen. Soweit sie unterliegt, wird die Entschädigung der unentgeltlichen Rechtsbeiständin von A.___, Fürsprecherin Susanne Meier, […], wird auf CHF 2'050.00 (10 Std. à CHF 180.00, Auslagen CHF 103.45 und 7,7% MWST) festgesetzt und ist zufolge unentgeltlicher Rechtspflege vom Staat Solothurn zu zahlen. Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren sowie der Nachzahlungsanspruch der unentgeltlichen Rechtsbeiständin im Umfang von CHF  538.50 (Differenz zu vollem Honorar von CHF 230.00/Std.), sobald A.___ zur Nachzahlung in der Lage ist (Art. 123 ZPO).

5.   Die Gerichtskosten des Verfahrens vor Obergericht von CHF 6'000.00 hat A.___ zu CHF 2'100.00 und die Einwohnergemeinde B.___ zu CHF 3'900.00 zu tragen. Sie werden mit dem von A.___ geleisteten Kostenvorschuss verrechnet. Die Einwohnergemeinde B.___ hat A.___ den Anteil von CHF 3'900.00 zu erstatten.

6.   Die Einwohnergemeinde B.___ hat A.___ für das Verfahren vor Obergericht eine Parteientschädigung von CHF 3'300.00 zu bezahlen.

 

 

Rechtsmittel: Der Streitwert übersteigt CHF 30'000.00.

Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Eröffnung des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in Zivilsachen eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Schweizerischen Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich.

 

Im Namen der Zivilkammer des Obergerichts

Die Präsidentin                                                                 Der Gerichtsschreiber

Hunkeler                                                                           Schaller



 
Quelle: https://gerichtsentscheide.so.ch/
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