Zusammenfassung des Urteils VWBES.2024.65: Verwaltungsgericht
Das Verwaltungsgericht hat entschieden, dass die Kindesmutter nicht das alleinige Sorgerecht für ihre Kinder erhalten soll und dass keine Beistandschaft zur Anfechtung der Vaterschaft eingerichtet wird. Die Kosten des Verfahrens belaufen sich auf CHF 1'500.-, die die Kindesmutter tragen muss, es sei denn, sie erhält unentgeltliche Rechtspflege. Der Rechtsanwalt Thomas Grütter hat eine Entschädigung von CHF 3'217.60 beantragt. Die Beschwerde der Kindesmutter wurde abgewiesen.
Kanton: | SO |
Fallnummer: | VWBES.2024.65 |
Instanz: | Verwaltungsgericht |
Abteilung: | Verwaltungsgericht |
Datum: | 26.04.2024 |
Rechtskraft: |
Leitsatz/Stichwort: | - |
Schlagwörter: | Vater; Recht; Vaterschaft; Kindes; Kinder; Interesse; Sorge; Gericht; Anfechtung; Eltern; Beistand; Solothurn; Kindsmutter; Registervater; Schweiz; Urteil; Regel; Scheidung; Bundesgericht; Verwaltungsgericht; Antrag; Kindesschutz; Region; Beistandschaft; Entscheid; Rechtspflege; ünde |
Rechtsnorm: | Art. 123 ZPO ;Art. 133 ZGB ;Art. 134 ZGB ;Art. 255 ZGB ;Art. 256 ZGB ;Art. 298 ZGB ;Art. 306 ZGB ;Art. 446 ZGB ;Art. 450 ZGB ; |
Referenz BGE: | 130 II 425; 134 I 140; 145 III 393; |
Kommentar: | Heinz Hausheer, Hans Peter Walter, Kurt Affolter-Fringeli, Urs Vogel, Berner Die elterliche Sorge , der Kindesschutz, Art. 296; Art. 306 OR ZGB ZG, 2016 |
Geschäftsnummer: | VWBES.2024.65 |
Instanz: | Verwaltungsgericht |
Entscheiddatum: | 26.04.2024 |
FindInfo-Nummer: | O_VW.2024.82 |
Titel: | Prüfung kindesschutzrechtliche Massnahmen |
Resümee: |
Verwaltungsgericht
Urteil vom 26. April 2024 Es wirken mit: Oberrichterin Obrecht Steiner Oberrichter Frey Gerichtsschreiberin Zimmermann In Sachen A.___ vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Grütter,
Beschwerdeführerin
gegen
Beschwerdegegnerin
betreffend Prüfung kindesschutzrechtliche Massnahmen zieht das Verwaltungsgericht in Erwägung:
I.
1. B.___ und C.___ (beide geb. [...] 2023) sind die gemeinsamen Kinder von A.___ (nachfolgend: Kindsmutter) und D.___ (nachfolgend: Kindsvater). Gemäss Urteil des Familiengerichtes [...] (Türkei) wurde die Ehe der Kindseltern mit Urteil vom 30. März 2023 geschieden. Die Kindsmutter lebt mit den Kindern in der Schweiz und der Kindsvater in der Türkei.
2. Mit Schreiben vom 29. Juli 2023 beantragte die Kindsmutter bei der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) Region Solothurn das alleinige Sorgerecht für ihre Kinder B.___ und C.___ und begründete dies im Wesentlichen mit der Notwendigkeit, selbständig Ausweispapiere für ihre Kinder ausstellen lassen zu können. Sie wies dabei auf ein zwischen ihr und dem Kindsvater hängiges Scheidungsverfahren hin.
3. Am 7. August 2023 (telefonisch) und am 28. August 2023 (schriftlich) wurde die Kindsmutter durch die KESB Region Solothurn auf die Zuständigkeit des Scheidungsrichters betreffend das Kindsverhältnis bzw. die Regelung der elterlichen Sorge hingewiesen.
4. Mit Schreiben vom 19. Oktober 2023 wandte sich die Kindsmutter erneut an die KESB Region Solothurn mit der sinngemässen Bitte, eine Beistandschaft für die Vaterschaftsaberkennung des eingetragenen Registervaters zu errichten. Diese Bitte wurde am 23. November 2023 telefonisch wiederholt. Ausserdem beantragte sie die nötigen Kindesschutzmassnahmen, um Ausweisdokumente für ihre Kinder erstellen lassen zu können.
5. Mit Entscheid der KESB Region Solothurn vom 21. November 2023 wurde der Kindsmutter gestützt auf Art. 314 Abs. 1 i.V.m. Art. 392 Ziff. 2 des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (ZGB, SR 210) der Auftrag erteilt, für ihre Kinder, B.___ und C.___ die Ausstellung des Reisepasses bzw. der ID vorzunehmen und ihre Kinder in allen dabei notwendigen Handlungen zu vertreten. Die Kindsmutter wurde für berechtigt erklärt, ohne Mitwirkung des Kindsvaters die Ausstellung des Reisepasses bzw. der ID für ihre Kinder vorzunehmen.
6. Mit Schreiben vom 13. Dezember 2023 gewährte die KESB Region Solothurn der Kindsmutter das rechtliche Gehör zum vorgesehenen Nichteintretensentscheid bzgl. des Antrages auf Zuteilung der alleinigen elterlichen Sorge sowie betreffend dem Absehen von Kindesschutzmassnahmen.
7. Die Kindsmutter, vertreten durch Rechtsanwalt Yusuf Sume, verlangte mit Eingabe vom 15. Januar 2024 eine beschwerdefähige Verfügung und beantragte die unentgeltliche Rechtspflege sowie die unentgeltliche Rechtsvertretung.
8. Die KESB Region Solothurn fällte am 30. Januar 2024 folgenden Entscheid:
3.1 Auf den Antrag der Kindsmutter auf Zuteilung der alleinigen elterlichen Sorge wird nicht eingetreten. 3.2 Das Kindsschutzverfahren für B.___ und C.___ wird ohne Anordnung von Massnahmen abgeschlossen. 3.3 Auf das Gesuch von Rechtsanwalt Yusuf Sume um unentgeltliche Rechtspflege in Bezug auf die Verfahrenskosten wird nicht eingetreten. 3.4 Rechtsanwalt Yusuf Sume wird aufgefordert, sein Gesuch um unentgeltliche Rechtsvertretung bis am Montag, den 12. Februar 2024 (Posteingang), zu begründen und sämtliche erforderlichen Unterlagen einzureichen. 3.5 Es werden keine Gebühren erhoben.
In der Entscheidbegründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Kindesschutzbehörde sei nur dann für die Neuregelung der elterlichen Sorge, der Obhut und die Genehmigung des Unterhaltsvertrags zuständig, wenn sich die Eltern einig seien. In den übrigen Fällen entscheide das für die Abänderung des Scheidungsurteils zuständige Gericht. Auch die erstmalige Regelung obliege dem Gericht. Einvernehmlichkeit liege keine vor, womit für die Abänderung des Scheidungsurteils ein Gericht am Wohnsitz der Eltern zuständig sei. Bezüglich des Antrages auf Errichtung einer Beistandschaft zur Anfechtung der Vaterschaft wurde im Wesentlichen ausgeführt, nach aktueller Rechtsprechung liege es bei Konstellationen von unbekannter biologischer Vaterschaft in der Regel im Interesse des Kindes, die rechtliche bestehende Vaterschaft beizubehalten als dass das Kind ohne rechtliche Vaterschaft dastehe. Angesichts der Unwahrscheinlichkeit im konkret vorliegenden Fall, dass ein neues Kindesverhältnis begründet werde könne, liege die Anfechtung der bestehenden Vaterschaft momentan weniger im Interesse der Kinder als der Fortbestand.
9. Gegen den Entscheid der KESB Region Solothurn vom 30. Januar 2024 wandte sich die Kindsmutter (nachfolgend auch: Beschwerdeführerin) mit Beschwerde vom 29. Februar 2023 an das Verwaltungsgericht und stellte folgende Rechtsbegehren:
1. Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde Kanton Solothurn sei zu verpflichten, auf den Antrag der Kindsmutter auf Zuteilung der alleinigen elterlichen Sorge einzutreten. 2. Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde Kanton Solothurn sei zu verpflichten, auf den Antrag der Kindsmutter auf Errichtung einer Beistandschaft zur Anfechtung der Vaterschaft einzutreten. 3. Es sei der Gesuchstellerin für das Beschwerdeverfahren ab dem 01.02.2024 das Recht auf unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren, und zwar sowohl für die Gerichts- als auch für die Anwaltskosten, unter gleichzeitiger Einsetzung des Unterzeichnenden als amtlicher Rechtsbeistand. 4. Unter Kosten- und Entschädigungsfolge.
10. Am 14. März 2024 schloss die KESB Region Solothurn auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei.
11. Mit Eingabe vom 22. März 2024 informierte Rechtsanwalt Thomas Grütter über seine Mandatsübernahme und reichte das Formular «Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege» ein.
12. Am 28. März 2024 reichte Rechtsanwalt Thomas Grütter seine Honorarnote ein.
13. Auf die Ausführungen der Parteien wird, soweit für die Entscheidfindung wesentlich, im Rahmen der nachfolgenden Erwägungen eingegangen.
II.
1. Die Beschwerde ist frist- und formgerecht erhoben worden. Sie ist zulässiges Rechtsmittel und das Verwaltungsgericht zur Beurteilung zuständig (vgl. Art. 450 Abs. 1 ZGB i.V.m. § 130 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zum ZGB [EG ZGB, BGS 211.1]). A.___ ist durch den angefochtenen Entscheid beschwert und damit zur Beschwerde legitimiert. Auf die Beschwerde ist einzutreten.
2.1 Die Beschwerdeführerin ersucht um Parteibefragung. Eine Parteibefragung würde die Durchführung einer öffentlichen Verhandlung voraussetzen. Gemäss § 52 Abs. 1 des Gesetzes über den Rechtsschutz in Verwaltungssachen (VRG, BGS 124.11) sind die Verwaltungsgerichtsbehörden nicht an die Beweisanträge der Parteien gebunden. Nach § 71 VRG finden mündliche Verhandlungen nur bei Disziplinarbeschwerden statt. In allen übrigen Fällen entscheiden die Verwaltungsgerichtsbehörden aufgrund der Akten; sie können jedoch auf Antrag von Amtes wegen, eine Verhandlung anordnen, sofern dies als notwendig erachtet wird und Sinn macht. Im vorliegenden Fall wurden die Vorakten beigezogen und die anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin hat ihren Standpunkt in der Beschwerdeschrift ausführlich aufgezeigt. Es ist nicht ersichtlich, welche zusätzlichen relevanten Erkenntnisse das Gericht durch eine Parteibefragung anlässlich einer Verhandlung gewinnen könnte. Die Anträge sind deshalb abzuweisen.
2.2 Die Pflicht zur Durchführung einer öffentlichen Gerichtsverhandlung setzt im Übrigen nach der Rechtsprechung einen klaren Parteiantrag voraus. Blosse Beweisabnahmeanträge, wie die Durchführung einer persönlichen Befragung, reichen nicht aus (Urteil des EGMR i.S. Hurter gegen die Schweiz vom 15. Dezember 2005, Nr. 53146/99, Ziff. 34; BGE 130 II 425 E. 2.4 S. 431). Die Beschwerdeführerin hat keinen Antrag auf Durchführung einer öffentlichen Verhandlung gestellt, sondern lediglich um Parteibefragung im Sinne von Beweisanträgen ersucht. Art. 6 Ziff. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK, SR 0.101) hat im vorliegenden Zusammenhang daher keine über Art. 29 Abs. 2 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft (BV, SR 101) hinausgehende Bedeutung (BGE 134 I 140 E. 5.2 S. 147 f.).
3.1 Gemäss Art. 85 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 2 des Bundesgesetzes über das Internationale Privatrecht (IPRG, SR 291) bestimmt sich die Zuständigkeit für den Erlass von Massnahmen im Bereich des Kindesschutzes sowie das dabei anzuwendende Recht nach den Regeln des Haager Kindesschutzübereinkommens (HKsÜ, SR 0.211.231.011). Art. 5 Abs. 1 HKsÜ erklärt grundsätzlich die Behörden und Gerichte am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Kindes als zuständig. Für die Vertragsstaaten Schweiz und Türkei trat das HKsÜ am 1. Juli 2009 bzw. am 1. Februar 2017 in Kraft.
3.2 Gemäss Art. 1 Abs. 1 lit. a HKsÜ ist ein Ziel des Übereinkommens, den Staat zu bestimmen, dessen Behörden zuständig sind, Massnahmen zum Schutz der Person des Vermögens des Kindes zu treffen. Die Ausnahmen von Art. 4 HKsÜ sind im Übrigen für den konkreten Fall nicht einschlägig.
3.3 Die beiden Kinder B.___ und C.___ stehen unter der Obhut der Beschwerdeführerin und haben ihren gewöhnlichen Aufenthalt demnach in der Schweiz. Gemäss Art. 5 Abs. 1 HKsÜ sind die Behörden, seien es Gerichte Verwaltungsbehörden, des Vertragsstaats, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, zuständig, Massnahmen zum Schutz der Person des Vermögens des Kindes zu treffen. Es besteht demzufolge eine Zuständigkeit der Schweizer Behörden.
3.4 Nach Art. 15 Abs. 1 HKsÜ wenden die Behörden der Vertragsstaaten bei der Ausübung ihrer Zuständigkeit ihr eigenes Recht an. Da, wie in E. II. / 3.3 festgestellt, Schweizer Behörden zuständig sind, ist auch Schweizer Recht anzuwenden. Ein allfällig von nationalem Recht vorgesehener Renvoi wird nicht berücksichtigt (Philipp Weber in: Roland Fankhauser [Hrsg.], FamKomm, Scheidung, Band II: Anhänge, Bern 2022, Anh. IPR N 164).
3.5 Gemäss Art. 133 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB regelt das Gericht im Scheidungsverfahren die Elternrechte und –pflichten nach den Bestimmungen über die Wirkungen des Kindesverhältnisses, wobei es insbesondere die elterliche Sorge regelt. Es ist die elterliche Sorge gegenüber gemeinsamen leiblichen Kindern, die spätestens im Zeitpunkt der Rechtskraft des Scheidungsurteils geboren sind, zu regeln (Christiana Fountoulakis in: Thomas Geiser/Christiana Fountoulakis [Hrsg.], Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch I, Basel 2022, Art. 133 ZGB N 22). Der Rüge der Beschwerdeführerin, dass gar keine Kinderbelange Regelungsinhalt des erstinstanzlichen Urteils in der Türkei sein konnten, da zu diesem Zeitpunkt noch gar keine Kinder «auf der Welt» waren, ist entgegenzuhalten, dass eine sinnvolle Ordnung absehbare Entwicklungen zu berücksichtigen hat (vgl. Christiana Fountoulakis, a.a.O. N 21). Vorliegend erwuchs das Urteil des Familiengerichtes [...] (Türkei) am 12. Oktober 2023 und damit nach der Geburt von B.___ und C.___ (beide geb. [...] 2023) in Rechtskraft. Das Gericht ist bei verheirateten Eltern sowohl bei Einigkeit als auch im Streitfall ausschliesslich sachlich zuständig für die erstmalige Regelung der elterlichen Sorge (Esther Miriam Tewlin: Die Abgrenzung der sachlichen Zuständigkeit zwischen Gericht und KESB in Kinderbelangen, in: recht 2021 S. 144 ff., S. 145). Vorliegend ist unbestritten, dass das türkische Scheidungsgericht in seinem Urteil vom 30. März 2023 nichts zur elterlichen Sorge regelte und es im vorliegenden Verfahren daher um eine erstmalige Regelung der elterlichen Sorge geht. Selbst wenn es jedoch nicht um eine erstmalige Regelung der elterlichen Sorge gehen würde, sondern um deren Abänderung, würde die Zuständigkeit beim Gericht liegen. Denn gemäss Art. 134 Abs. 3 ZGB ist bei Einigkeit der Eltern die Kindesschutzbehörde für die Neuregelung der elterlichen Sorge, der Obhut und die Genehmigung eines Unterhaltsvertrages zuständig. In den übrigen Fällen entscheidet das für die Abänderung des Scheidungsurteils zuständige Gericht. Nach Art. 298 Abs. 1 ZGB überträgt das Gericht in einem Scheidungsverfahren einem Elternteil die alleinige elterliche Sorge, wenn dies zur Wahrung des Kindeswohls nötig ist. Vorliegend liegt keine Einigkeit der Eltern betreffend die Neuregelung der elterlichen Sorge vor, zumal die Beschwerdeführerin alleine und ohne Zustimmung des Kindsvaters die alleinige elterliche Sorge beantragte. Für die Regelung der elterlichen Sorge ist gemäss Art. 23 Abs. 1 der Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO, SR 272) das Gericht am Wohnsitz einer Partei zwingend zuständig, wobei das in E. II. / 3.4 erwähnte «Renvoi-Verbot» zu beachten ist. Die Vorinstanz ist auf den Antrag auf alleinige elterliche Sorge, aufgrund fehlender sachlicher Zuständigkeit, zu Recht nicht eingetreten.
4.1 Ist ein Kind während der Ehe geboren, so gilt der Ehemann als Vater (Art. 255 Abs. 1 ZGB). Die Vermutung der Vaterschaft kann vom Ehemann und vom Kind, wenn während seiner Minderjährigkeit der gemeinsame Haushalt der Ehegatten aufgehört hat, beim Gericht angefochten werden (Art. 256 Abs. 1 ZGB). Die Zwillinge B.___ und C.___ wurden während der Ehe von A.___ und D.___ geboren (das Scheidungsurteil wurde erst am 12. Oktober 2023 rechtskräftig), weshalb D.___ als Registervater eingetragen wurde. Zumal der gemeinsame Haushalt der Ehegatten während der Minderjährigkeit der Zwillinge aufgehört hat, kann die Vermutung der Vaterschaft von B.___ und C.___ angefochten werden. Für das unter elterlicher Sorge stehende urteilsunfähige Kind ist regelmässig ein Beistand zu bestellen, da die Vertretungsbefugnis der Eltern wegen Interessenkollision entfällt (Ingeborg Schwenzer/Michelle Cottier in: Thomas Geiser/Christiana Fountoulakis [Hrsg.], Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch I, Basel 2022, Art. 256 ZGB N 11, mit weiteren Hinweisen).
4.2 Gemäss Art. 306 Abs. 2 ZGB ernennt die Kindesschutzbehörde einen Beistand regelt die Angelegenheit selber, wenn die Eltern am Handeln verhindert sind in einer Angelegenheit Interessen haben, die denen des Kindes widersprechen. Ob eine Interessenkollision vorliegt, ist abstrakt und nicht konkret zu bestimmen, d.h. es ist nicht darauf abzustellen, wie viel Vertrauen der gesetzliche Vertreter im Einzelfall verdient (BGE 145 III 393 E. 2.7 S. 397). Deuten Umstände auf eine Kollisionsmöglichkeit hin, muss die Beistandschaft errichtet werden die KESB selber handeln, auch wenn die Eltern in tatsächlicher Hinsicht beste Absichten haben, die Kindesinteressen nicht zu verletzen. Für das Einschreiten der Kindesschutzorgane ist der Einzelfall massgebend, je nach Situation steht zur Beurteilung ein Ermessensspielraum offen (Kurt Affolter-Fringeli/Urs Vogel in: Heinz Hausheer/Hans Peter Walter [Hrsg.], Berner Kommentar, Die elterliche Sorge / der Kindesschutz, Art. 296-317 ZGB, Bern 2016, Art. 306 ZGB N 37). Die KESB hat zu prüfen, ob berechtigte Zweifel an der Vaterschaft des Ehemannes bestehen und eine Anfechtung im Interesse des Kindes liegt. Kommt die KESB zum Schluss, dass eine Anfechtung nicht im Interesse des Kindes liegt, so ist keine Beistandschaft zu errichten (Kurt Affolter-Fringeli/Urs Vogel, a.a.O. N 41). Die KESB ermittelt den Sachverhalt von Amtes wegen (Art. 446 Abs. 1 ZGB), insbesondere ob eine Interessenkollision vorliegt und ob ein Beistand zu bestellen das Geschäft durch eigenes Handeln der KESB zu erledigen ist (Kurt Affolter-Fringeli/Urs Vogel, a.a.O. N 45). Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung hat die KESB vor der Bestellung eines Beistandes für die Anfechtung der Vaterschaft zu prüfen, ob die Klage im Interesse des Kindes liegt. Diese Interessenabwägung erfolgt durch einen Vergleich der Situation mit und ohne Ablehnung. Dabei sind psychosoziale als auch materielle Folgen zu berücksichtigen, wie beispielsweise den Verlust des Unterhaltsanspruchs und der Erbschaftsansprüche. Es liegt daher nicht im Interesse des Kindes, eine solche Klage einzuleiten, wenn ungewiss ist, ob der Minderjährige einen anderen rechtlichen Vater haben kann (vgl. Urteil des Bundesgerichts 5A_593/2011 E. 3.1.1). Das Bundesgericht erwog in einem jüngeren Entscheid zur Bestellung eines Beistandes für das Kind zur Erhebung einer Vaterschaftsklage, in welchem es die Willkürrüge gegen die Erwägungen der Vorinstanz abwies, dass es nicht im Kindesinteresse liege, vaterlos zu sein; ein falscher Vater sei in mehrfacher Hinsicht (Unterhalt; Sozialversicherungen; Erbrecht; ev. sozialpsychische Aspekte) immer noch vorteilhafter als gar keiner. Die Anfechtung sei deshalb höchstens dann in Betracht zu ziehen, wenn die Mutter und der tatsächliche Vater zum gemeinsamen Kindesverhältnis stünden und dieses nachgewiesen sei. Angesichts der Ungewissheit, ob ein neues Kindesverhältnis begründet werden könnte, liege die Anfechtung der bestehenden Vaterschaft momentan weniger im Interesse des Kindes als der Fortbestand (Urteil des Bundesgerichts 5A_44/2019 E. 2). Ähnlich argumentierte das Bundesgericht in seinem Urteil 5A_519/2022 (E. 2.2), gemäss welchem es darum gehe, ob dem Kind besser gedient sei, wenn es mit zwei rechtlichen Elternteilen wenn es als Ein-Eltern-Kind aufwachse. Das Obergericht habe die Frage mit Verweis auf die potentiellen Unterhaltsansprüche und Erbanwartschaften zutreffend beantwortet, wobei ergänzt werden könne, dass es auch in sozial-psychischer Hinsicht dem Kindeswohl nicht zuträglich sei, wenn das Kind als Ein-Eltern-Kind aufwachen müsse. In diesem Kontext sei ferner an die Situation zu denken, dass der Mutter etwas zustossen und das Kind plötzlich gänzlich ohne rechtliche Eltern dastehen könnte.
4.3 Die KESB führte zum Antrag auf Errichtung einer Beistandschaft zur Anfechtung der Vaterschaft unter anderem aus, dass die Tatsache, dass der Registervater nicht der biologische Vater sei, für sich alleine keine Kindeswohlgefährdung begründe und zu prüfen sei, ob anstatt des Registervaters der biologische Vater eingetragen werden könnte. Aus den Angaben der Beschwerdeführerin müsse jedoch geschlossen werden, dass nach der Aufhebung des bestehenden rechtlichen Vaterschaftsverhältnisses kein neues zum unbekannten biologischen Vater hergestellt werden könnte. Nach aktueller Rechtsprechung liege es bei Konstellationen von unbekannter biologischer Vaterschaft in der Regel im Interesse des Kindes, die rechtlich bestehende Vaterschaft beizubehalten (beispielsweise potentielle Unterhalts- und Erbansprüche) als dass das Kind ohne rechtliche Vaterschaft dastehe. Angesichts der Unwahrscheinlichkeit im konkret vorliegenden Fall, dass ein neues Kindesverhältnis begründet werden könne, liege die Anfechtung der bestehenden Vaterschaft momentan weniger im Interesse von B.___ und C.___ als der Fortbestand.
4.4 Die Beschwerdeführerin bringt dagegen vor, dass es ihr, entgegen der Ansicht der Vorinstanz, nicht primär um die Identitätskarten und Pässe der Kinder, sondern um die Errichtung einer Beistandschaft zur Anfechtung der Vaterschaft, gegangen sei. Es sei gerichtlich festgestellt worden, dass der Registervater Drogen konsumiert und die Beschwerdeführerin jahrelang beschimpft und beleidigt habe. Ausserdem sei der Registervater zeugungsunfähig, womit eine biologische Vaterschaft zu verneinen sei. Namhafte Autoren in der Lehre würden die pater est-Regel scharf kritisieren und würden fordern, den Anwendungsbereich in Fällen, in denen die Vaterschaft des Ehemannes unwahrscheinlich sei, einzuschränken. Zum Zeitpunkt der Geburt der Kinder habe die Beschwerdeführerin seit mindestens vier Jahren getrennt vom Registervater gelebt. Vor diesem Hintergrund und der Zeugungsunfähigkeit von D.___ sei dessen Vaterschaft gänzlich auszuschliessen, weshalb sich eine Einschränkung der Anwendung von Art. 255 Abs. 1 ZGB aufdränge. Ferner habe die Vorinstanz eine eigentliche Abwägung der Kindesinteressen mit und ohne Anfechtung der Vaterschaft pflichtwidrig unterlassen. Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung liege es zwar in der Regel im Interesse des Kindes, die rechtlich bestehende Vaterschaft beizubehalten, wenn die biologische Vaterschaft unbekannt sei, es bestehe jedoch Raum für einzelfallgerechte Interventionen seitens der KESB. Der vorliegende Fall sei rechtlich anders zu beurteilen als in den von der KESB erwähnten Fällen des Bundesgerichts, da der Registervater seinen Wohnsitz in der Türkei habe. Man wisse nicht, ob der Kindsvater regelmässige monatliche Einkünfte erziele und selbst wenn dem so wäre, so wäre ein angemessener Unterhaltsbeitrag aufgrund der miserablen Wirtschaftslage in der Türkei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht zu gewähren. Auch sei eine positive Prognose bezüglich der Arbeitsmoral des Registervaters kaum möglich und im Hinblick auf Sozialversicherungen und erbrechtliche Ansprüche sei äusserst fraglich, wie die relevanten Vorteile für die Kinder konkret aussehen sollten. Auf der anderen Seite sei erwiesen, dass der Registervater Drogen konsumiert habe, was offensichtlich nicht im Interesse der Kinder der Beschwerdeführerin liege. Weiter sei rechtsgenüglich erstellt, dass der Registervater die Beschwerdeführerin beleidigt und beschimpft habe. Auch diesbezüglich sei das Interesse der Kinder an einer solchen Vaterschaft fraglich. Insgesamt liege die rechtlich bestehende Vaterschaft zum Registervater nicht im Interesse der Kinder. Ausserdem fehle jeglicher Kontakt der Kinder zum Registervater, was höchstwahrscheinlich auch so bleiben werde. Selbst wenn der Beschwerdeführerin etwas zustossen sollte, hätten die Kinder weitere Familienmitglieder in der Schweiz, die die Verantwortung für die Kinder übernehmen würden.
4.5 Dass die pater est-Regel durch Autoren der Lehre kritisiert wird, mag zwar zutreffen, jedoch ist sie ausdrücklich im Gesetz verankert und wird durch das Bundesgericht angewendet, weshalb im vorliegenden Fall nicht abweichend davon vorzugehen ist. Es handelt es sich um einen klassischen Fall, in welchem die Vertretungsbefugnis der Eltern wegen Interessenkollision entfällt und grundsätzlich ein Beistand für die Anfechtung der Vaterschaft zu bestellen ist. Dies scheint auch die Beschwerdeführerin nicht zu bestreiten. Umstritten ist allerdings, ob eine Anfechtung der Vaterschaft im Interesse der Kinder liegt, nicht. Dazu sind die Interessen der Kinder abzuwägen und die Situation mit und ohne Ablehnung der Vaterschaft zu vergleichen. Wie von der Vorinstanz zutreffend ausgeführt, würde die Aufhebung der Vaterschaft mit dem Verlust potentieller Unterhalts- und Erbschaftsansprüche einhergehen. Dass wie von der Beschwerdeführerin ausgeführt, Unterhalts- und Erbschaftsansprüche unwahrscheinlich sind, mag zutreffen, jedoch gehen damit keine Nachteile für die Kinder einher. Für die Kinder ist es immer noch besser zwar unwahrscheinliche aber potentiell bestehende Unterhalts- und Erbschaftsansprüche zu haben, als mit Sicherheit keine solchen zu haben. Dass ein Vater, der Drogen konsumiert und die Kindsmutter beleidigt und beschimpft hat nicht unbedingt im Interesse der Kinder liegt, ist nachvollziehbar, diesbezügliche Befürchtungen wären jedoch über die elterliche Sorge und nicht über die Vaterschaft zu regeln. Es ist daher nicht ersichtlich, weshalb der vorliegende Fall rechtlich anders zu beurteilen sein soll, als in den von der KESB erwähnten Fällen des Bundesgerichts, nur weil der Registervater seinen Wohnsitz in der Türkei hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts liegt es insbesondere nicht im Interesse des Kindes eine Klage auf Anfechtung der Vaterschaft einzuleiten, wenn ungewiss ist, ob der Minderjährige einen anderen Vater haben kann. Vorliegend hat die Beschwerdeführerin mehrfach vor der Vorinstanz ausgeführt und in der Beschwerde bestätigt, dass sie nicht wisse, wer der biologische Vater der Kinder sei, da es sich um einen Ferienflirt gehandelt habe. Auch in psychosozialer Hinsicht ist es immer noch vorteilhafter einen falschen Vater zu haben, als gar keinen (vgl. Urteil des Bundesgerichts 5A_44/2019 E. 2). Es sind keine Vorteile ersichtlich, welche mit einer Aufhebung der Vaterschaft einhergehen würden. Die von der Beschwerdeführerin geäusserte Problematik, dass es nicht sein könne, dass sie bei sämtlichen Angelegenheiten die Kinder betreffend den nicht erreichbaren Ex-Mann kontaktieren solle, ist über die elterliche Sorge und nicht über die Anfechtung der Vaterschaft zu regeln. Es liegt nicht im Interesse der Kinder die Vaterschaft zu D.___ anzufechten, weshalb zu Recht keine Beistandschaft errichtet und das Kindesschutzverfahren für B.___ und C.___ ohne Anordnung von Massnahmen abgeschlossen wurde.
5. Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet, sie ist abzuweisen.
6.1 Die Beschwerdeführerin hat die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege beantragt. Über das Gesuch wurde bisher nicht entschieden. Da die Abweisung des Antrages auf alleinige elterliche Sorge und auf Errichtung einer Beistandschaft zur Anfechtung der Vaterschaft stark in die Rechtsposition der Beschwerdeführerin eingreift, ist an die Anforderung der Nichtaussichtslosigkeit keine allzu hohe Hürde zu stellen. Diese ist daher zu bejahen, ebenso die Mittellosigkeit der sozialhilfebeziehenden Beschwerdeführerin.
6.2 Die Kosten des Verfahrens vor Verwaltungsgericht von CHF 1'500.00 werden dem vorliegenden Verfahrensausgang entsprechend der Beschwerdeführerin auferlegt, sind aber zufolge Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege durch den Kanton Solothurn zu übernehmen. Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während zehn Jahren, sobald die Beschwerdeführerin dazu in der Lage ist (§ 76 Abs. 4 VRG i.V.m. Art. 123 der Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO, SR 272]).
6.3 Rechtsanwalt Thomas Grütter macht einen Aufwand von total 20.49 Stunden geltend. Der geltend gemachte Aufwand für «Beschwerde», «Beschwerde + Erstellung BMV + Beilagen zusammenstellen» und «Erstellen uR-Gesuch, Entgegennahme Übersetzungen + Überarbeitung BMV, Integration neuer Beilagen in der Rechtsschrift, endgültige Finalisierung Beschwerde und Versand» von total 19.38 Stunden erscheint in Anbetracht des Umfangs als übermässig hoch und ist um fünf Stunden zu kürzen. Dies ergibt einen Aufwand von 14.38 Stunden. Die Stunde ist bei unentgeltlicher Rechtspflege mit CHF 190.00 zu entschädigen (§ 160 Abs. 3 des Gebührentarifs [GT, BGS 615.11] i.V.m. Beschluss der Gerichtsverwaltungskommission betreffend Festlegung Stundenansätze nach § 156 und 160 GT vom 19. Dezember 2022). Dies führt inklusive Auslagen von CHF 250.00 und der Mehrwertsteuer von 8.1 % zu einer Entschädigung von CHF 3'217.60, zahlbar durch den Staat. Demnach wird erkannt: 1. Die Beschwerde wird abgewiesen. 2. Die Kosten des Verfahrens vor Verwaltungsgericht von CHF 1'500.00 werden A.___ zur Bezahlung auferlegt, sind aber zufolge Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege durch den Staat Solothurn zu tragen; vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während zehn Jahren, sobald A.___ zur Nachzahlung in der Lage ist (Art. 123 ZPO). 3. Die Entschädigung des unentgeltlichen Rechtsbeistands, Rechtsanwalt Thomas Grütter, wird auf CHF 3'217.60 (inkl. Auslagen MwSt.) festgesetzt und ist zufolge unentgeltlicher Rechtspflege vom Staat Solothurn zu bezahlen; vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während zehn Jahren, sobald A.___ zur Nachzahlung in der Lage ist (Art. 123 ZPO).
Rechtsmittel: Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Eröffnung des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in Zivilsachen eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Schweizerischen Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich.
Im Namen des Verwaltungsgerichts
Der Präsident Die Gerichtsschreiberin
Thomann Zimmermann
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