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Urteil Verwaltungsgericht (SO - VWBES.2024.164)

Zusammenfassung des Urteils VWBES.2024.164: Verwaltungsgericht

A.___ wurde in die KPPP-Klinik eingewiesen und die fürsorgerische Unterbringung verlängert. Die KESB ordnete eine Weisung zur ambulanten Nachbehandlung an, die A.___ nicht befolgte. A.___ erhob Beschwerde, da sie die Medikation mit Abilify ablehnte. Das Verwaltungsgericht entschied, dass eine Zwangsmedikation nicht erlaubt ist und hob die entsprechende Weisung auf. Der Richter ist männlich.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts VWBES.2024.164

Kanton:SO
Fallnummer:VWBES.2024.164
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Verwaltungsgericht
Verwaltungsgericht Entscheid VWBES.2024.164 vom 11.07.2024 (SO)
Datum:11.07.2024
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:-
Schlagwörter: Person; Massnahme; Zwang; Weisung; Zwangs; Massnahmen; Unterbringung; Klinik; Kanton; Recht; Behandlung; Verwaltungsgericht; Entscheid; Zwangsmedikation; Betreuung; Anordnung; Medikament; Vollstreckung; Behandlung; Vollzug; Störung; Medikamente; Abilify; Eingriff
Rechtsnorm: Art. 10 BV ;Art. 434 ZGB ;Art. 437 ZGB ;Art. 450g ZGB ;Art. 7 BV ;
Referenz BGE:127 I 6;
Kommentar:
Thomas Geiser, Basler 7. Auflage, Art. 437 ZGB ZG, 2022

Entscheid des Verwaltungsgerichts VWBES.2024.164

 
Geschäftsnummer: VWBES.2024.164
Instanz: Verwaltungsgericht
Entscheiddatum: 11.07.2024 
FindInfo-Nummer: O_VW.2024.125
Titel: Anordnung Weisung und Androhung Vollstreckung

Resümee:

 

Verwaltungsgericht

 

Urteil vom 11. Juli 2024                  

Es wirken mit:

Präsident Thomann

Oberrichter Frey 

Oberrichterin Obrecht Steiner

Gerichtsschreiberin Hasler    

 

In Sachen

A.___   

 

Beschwerdeführerin

 

 

 

gegen

 

 

 

KESB Olten-Gösgen, 

 

Beschwerdegegnerin

 

 

 

 

betreffend     Anordnung Weisung und Androhung Vollstreckung


zieht das Verwaltungsgericht in Erwägung:

 

I.

 

1. A.___ wurde mit Verfügung vom 27. März 2024 durch das Monvia Gesundheitszentrum, Olten, in die Kliniken für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik (KPPP), Solothurn (im Folgenden: KPPP Klinik), eingewiesen.

 

2. Am 28. März 2024 beantragten die KPPP die Verlängerung der fürsorgerischen Unterbringung.

 

3. Mit Entscheid vom 28. März 2024 wurde die mit Verfügung vom 27. März 2024 angeordnete fürsorgerische Unterbringung von A.___ in den KPPP verlängert.

 

4. Mit Schreiben vom 17. April 2024 beantragten die KPPP bei der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) Olten-Gösgen für A.___ den Erlass einer Weisung zur ambulanten Nachbehandlung für die Zeit nach ihrer Entlassung aus der Klinik. A.___ liess sich trotz Gelegenheit nicht vernehmen.

 

5. Die KESB erteilte A.___ mit Entscheid vom 10. Mai 2024 die Weisung, die Termine bei Dr. med. B.___, Gruppenpraxis […], wahrzunehmen (Ziff. 3.1). Dr. med. B.___ wurde gebeten, der KESB unverzüglich mitzuteilen, wenn die vereinbarten Termine durch A.___ nicht wahrgenommen würden diese sich in anderer Weise der behördlichen Weisung entziehe (Ziff. 3.2). Bei Nichtbefolgen der Weisung wurde gegenüber A.___ die Vollstreckung der Weisung mittels polizeilicher Zuführung verfügt (Ziff. 3.3). Die Weisung wurde vorläufig auf zwei Jahre, das heisst bis zum 10. Mai 2026, befristet (Ziff. 3.4). Einer allfälligen Beschwerde wurde die aufschiebende Wirkung entzogen (Ziff. 3.5).

 

6. Mit Schreiben vom 17. Mai 2024 erhob A.___ (im Folgenden: Beschwerdeführerin) fristgerecht Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn.

 

7. Die Beiständin, C.___, führte mit Schreiben vom 28. Mai 2024 aus, die Beschwerdeführerin habe ihre Arbeitskollegin informiert und mitgeteilt, es ginge ihr bei der Beschwerde v.a. um die behandelnde Ärztin. Von Dr. D.___ würde sie sich behandeln lassen.

 

8. Dr. B.___ und Dr. D.___, beide Gruppenpraxis […], führten mit Schreiben vom 12. Juni 2024 aus, im Entscheid der KESB vom 10. Mai 2024 werde Dr. B.___ und sofern es zu einer Veränderung der Weisung komme, Dr. D.___ beauftragt, den Vollzug der Medikation mit Abilify gegebenenfalls unter Polizeigewalt durchzuführen. Dies sei aufgrund des Vertrauensverhältnisses mit A.___ sowie auch im laufenden Praxisalltag für sie nicht möglich. Solle sich A.___ weigern, sich Abilify spritzen zu lassen und sollte es zum Vollzug kommen, gäbe es allenfalls die Option, dass der Vollzug im Psychiatrischen Ambulatorium vom KSO durchgeführt werde.

 

 

II.

 

1. Die Beschwerde ist frist- und formgerecht erhoben worden. Sie ist zulässiges Rechtsmittel und das Verwaltungsgericht zur Beurteilung zuständig (vgl. § 49 Gerichtsorganisationsgesetz, GO, BGS 125.12). Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Entscheid beschwert und damit zur Beschwerde legitimiert. Auf die Beschwerde ist einzutreten.

 

2. In ihrer Beschwerde führte die Beschwerdeführerin insbesondere aus, der Grund, weshalb sie in der Klinik gewesen sei, sei keinesfalls eine bipolare Störung Psychose gewesen, sondern dass sie den 30. Geburtstag ihrer grossen Tochter nicht habe alleine bewältigen können. Sie habe sie an Weihnachten 2014 das letzte Mal gesehen. Deshalb sei eine Herzinfarktgefährdung festgestellt worden. Sie habe Herzprobleme. Frau Dr. B.___ sei nicht mehr ihre behandelnde Ärztin, sondern Herr Dr. D.___. Sie habe andere Sorgen als Abilify einzunehmen. Sie habe ein Langzeit- EKG machen müssen und müsse sich ums Zügeln kümmern. Im Übrigen sei überall vermerkt, dass sie allergisch auf Abilify reagiere. Man solle sie endlich in Ruhe lassen. Sie ertrage das Medikament nicht und habe sehr negative Nebenwirkungen. Alle seien sich einig, dass sie hoffentlich das letzte Mal in die Klinik habe gehen müssen.

 

3.1 Die Beschwerdeführerin bestreitet, aufgrund einer bipolaren Störung Psychose in der Klinik gewesen zu sein. Dem Antrag der KPPP vom 17. April 2024 ist zu entnehmen, dass die Beschwerdeführerin an einer bipolaren affektiven Störung, gegenwärtig manische Episode mit psychotischen Symptomen (F31.2) leidet. Sie sei erneut nach polizeilicher Zuführung in der Klinik hospitalisiert worden. Es handle sich um die vierte Hospitalisation im letzten Jahr aufgrund einer manisch-psychotischen Episode mit einhergehender psychomotorischer Erregung, teils verbal aggressivem Verhalten mit schwerer Störung des Zusammenlebens, desorgansiertem Handeln sowie Verwahrlosungstendenz. Die Beschwerdeführerin lebe seit einiger Zeit alleine in einer Mietwohnung mit Unterstützung der Psychiatrie-Spitex. Eine Medikamentenmalcompliance sei sowohl im stationären als auch im ambulanten Setting bekannt und auslösend für die gehäuften Dekompensationen. So habe die Beschwerdeführerin auch nach letztem Austritt die geplanten Termine bei der Hausärztin zur Verabreichung der installierten Depotmedikation nicht wahrgenommen und die perorale Medikation nicht wie verordnet eingenommen. Im Rahmen der beschriebenen Symptomatik sei wiederholt im stationären Rahmen bei fehlender Krankheitseinsicht und Behandlungsbereitschaft eine intramuskuläre Zwangsmedikation erforderlich gewesen. Eine notwendige Dosiserhöhung der peroralen Medikation zur wirksamen Behandlung werde von der Beschwerdeführerin verweigert. Die aktuell installierte perorale Therapie sei nicht ausreichend und die Beschwerdeführerin habe mehrmals geäussert, dass sie das Orfiril nach der Entlassung wieder absetzen werde und die Spitex-Betreuung nicht reaktivieren möchte. Eine antipsychotische Depotmedikation sei somit bei mangelnder Medikamenten-Compliance und Behandlungsbedürftigkeit alternativlos. Deshalb und auch um wiederholte Zwangsmedikationen mit kurz wirkenden Medikamenten zu vermeiden, sei am 28. März 2024 eine geplante Behandlung mit Abilify 2x 400mg durchgeführt worden, mit der Absicht, zukünftig eine Depotmedikation mit Abilify 400 mg alle 28 Tage im hausärtzlichen Rahmen zu verabreichen.

 

3.2 Es bestehen keine Zweifel, dass die Beschwerdeführerin an der ihr von den KPPP gestellten Diagnose leidet und sie aufgrund ihrer Krankheit in die Klinik eingewiesen wurde. Die Beschwerdeführerin ist behandlungs- und betreuungsbedürftig. Die Klinik führte zudem ausführlich aus, weshalb eine antipsychotische Depotmedikation alternativlos ist und weshalb Abilify verordnet wurde. Im Gegenteil stellt eine Weisung, sich regelmässig Depotmedikationen verabreichen zu lassen, die mildere Massnahme zu einer fürsorgerischen Unterbringung dar. Hält sich die Beschwerdeführerin nicht an die Weisung, droht aufgrund erneuter Dekompensation eine Einweisung in die Klinik. Den umfangreichen Akten lässt sich die langjährige medizinische Vorgeschichte der Beschwerdeführerin entnehmen. Sie hat zahlreiche fürsorgerische Unterbringungen hinter sich. Ihre aktuelle Diagnose besteht bereits seit mindestens 2007. Die Beschwerdeführerin ist nicht krankheits- und behandlungseinsichtig. Sie verkennt, dass die Klinik bemüht ist, ihr Anliegen, nicht mehr in die Klinik eintreten zu müssen, zu schützen. Durch die regelmässige Verabreichung einer Depotspritze könnte ein erneuter Eintritt in die Klinik vermieden werden.

 

4.1 In ihrer Beschwerde spricht sich die Beschwerdeführerin klar gegen die Weisung der KESB, die Termine bei Dr. B.___ wahrzunehmen, aus. Dass sie sich von Dr. D.___ behandeln lassen würde, geht nicht ausdrücklich aus der Beschwerde hervor, auch wenn die Beiständin dies in ihrer Stellungnahme ausführte. Fraglich ist, ob die angeordnete Weisung gegen den Willen der Beschwerdeführerin angeordnet werden könnte.

 

4.2 Als Zwangsbehandlung gilt in erster Linie der Fall, in dem einem Betroffenen gegen seinen Willen unter Anwendung physischer Gewalt Medikamente verabreicht werden. Von einer Zwangsbehandlung ist ferner auszugehen, wenn der Patient unter dem Druck bevorstehenden unmittelbaren Zwangs in die ärztliche Behandlung einwilligt (Urteil 5P.366/2002 vom 26. November 2002 E. 4) nach einer tatsächlich vorgenommenen zwangsweisen Verabreichung von Medikamenten diese im weiteren Verlauf des Aufenthalts "ohne Druck" bzw. "freiwillig" einnimmt (Urteil des Bundesgerichts 5A_353/2012 vom 19. Juni 2012 E. 3.4.1). Von einer Zwangsbehandlung ist vorliegend grundsätzlich nicht auszugehen, da die KESB lediglich die Weisung erlassen hat, die Beschwerdeführerin habe die Termine bei Dr. B.___ wahrzunehmen. Allerdings verfügte die KESB, bei Nichtbefolgung der Weisung würde gegenüber der Beschwerdeführerin die Vollstreckung der Weisung mittels polizeilicher Zuführung (Ziff. 3.3 des angefochtenen Entscheids) verfügt werden.

 

4.3 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts stellt die medikamentöse Zwangsbehandlung einen schweren Eingriff in die körperliche und geistige Integrität, mithin eine Verletzung von Art. 10 Abs. 2 BV und Art. 8 Ziff. 1 EMRK dar und betrifft die menschliche Würde (Art. 7 BV) zentral (BGE 127 I 6 E. 5 S. 10; 130 I 16 E. 3 S. 18). Weil es sich auch bei ambulanter Zwangsbehandlung und anderer Zwangsmassnahmen um einen Eingriff in das Grundrecht der persönlichen Freiheit handelt, muss das kantonale Recht den dafür notwendigen Anforderungen genügen. Ein solcher Eingriff setzt eine gesetzliche Grundlage voraus, er muss durch ein öffentliches Interesse durch den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt werden und überdies verhältnismässig sein. In jedem Fall bedarf es für die Zulässigkeit einer Zwangsbehandlung aber einer klaren gesetzlichen Grundlage im Sinne des Gebotes der hinreichenden Normbestimmtheit (vgl. Thomas Geiser / Mario Etzensberger in: Thomas Geiser / Christiana Fountoulakis, [Hrsg.], Basler Kommentar, 7. Auflage, Basel 2022, Art. 437 ZGB N 11).

 

4.4 Die Kantone sind gemäss Art. 437 Zivilgesetzbuch (ZGB, SR 210) bei Personen mit psychischen Störungen befugt, ambulante medizinische Massnahmen ohne Zustimmung der betroffenen Person vorzusehen, sei es als mildere geeignete Massnahmen anstelle von fürsorgerischen Unterbringungen (Abs. 2) im Anschluss an solche zur Verhinderung schneller Wiedereintritte in Einrichtungen, im Sinne von Nachbetreuungen. Altrechtlich kannten nur wenige Kantone entsprechende Rechtsgrundlagen, welche bei Widerstand der betroffenen Person zudem praktisch nicht durchzusetzen waren. Obwohl sich die Durchsetzung einer ambulanten medizinischen Massnahme ohne Zustimmung erfahrungsgemäss als schwierig erweist, wird deren Anordnung ohne Sanktionsmöglichkeit teilweise als weitgehend wertlos angesehen. Die Verantwortlichkeit der Kantone für die Nachbetreuung geht über die Möglichkeit der Anordnung von (ambulanten) Massnahmen hinaus, indem sie die Nachbetreuung betroffener Personen ganz allgemein zu regeln haben (Art. 437 Abs. 1 ZGB). Sie haben für die freiwillige Betreuung (bspw. in stationären Einrichtungen wie Pflege- und Altersheimen und betreuten Wohneinrichtungen) und Begleitung (bspw. durch Sozialarbeitende) betroffener Personen nach deren Austritt aus der Einrichtung besorgt zu sein und die Nachbetreuung ganz allgemein zu organisieren und zu koordinieren. Der ausdrückliche Vorbehalt zugunsten des kantonalen Rechts und die damit geschaffene Möglichkeit der Abstufung von
Massnahmen auch im Bereich der Behandlung von Personen mit einer psychischen Störung, ist systemkonform und entspricht dem im Erwachsenenschutzrecht geltenden Subsidiaritäts- und Verhältnismässigkeitsprinzip. Von ambulanten im Gegensatz zu stationären medizinischen Massnahmen ist auszugehen, wenn die betroffene Person weniger als mehrere Stunden zum Aufenthalt an einem bestimmten Ort gezwungen wird. Das Verfahren [Anhörung, Rechtsmittelfristen etc.] und die Vollstreckung richten sich nach kantonalem Recht (vgl. Fassbind Patrick, in: Kren Kostkiewicz Jolanta/Wolf Stephan/Amstutz Marc/Fankhauser Roland (Hrsg.), ZGB Kommentar, Schweizerisches Zivilgesetzbuch, 4. Aufl., Zürich 2021, Art. 437 N 1 f.).

 

4.5 Als ambulante medizinische Massnahmen Nachbetreuungen sind praktisch nur die Verpflichtung zur Einnahme der verschriebenen Medikamente unter Aufsicht der Hausärztin bzw. des Hausarztes der Spitex, die Duldung regelmässiger Besuche der Spitex (Pflege, Reinigung und/oder Mahlzeitendienst) sowie das regelmässige Aufsuchen einer ambulanten Therapie einer Ärztin bzw. eines Arztes denkbar und sinnvoll. Diese milderen Massnahmen können es der KESB erlauben, von einer fürsorgerischen Unterbringung abzusehen eine betroffene Person früher aus dieser zu entlassen. Sie dienen v.a. der Beaufsichtigung und Kontrolle der betroffenen Person, um rechtzeitig – bevor (wieder) eine fürsorgerische Unterbringung erforderlich wird bzw. die betroffene Person sich andere ernsthaft gefährdet – zum Schutz, zum Wohl und im Interesse der betroffenen Person (wieder) eingreifen zu können. Nicht in allen Fällen ist eine stationäre Behandlung notwendig. In gewissen heiklen Situationen psychischer Erkrankung, bspw. infolge eigenmächtigen Absetzens von Medikamenten intoxikationsbedingter Störungen, ist eine ambulante Massnahme für die betroffene Person weniger einschneidend und stigmatisierend als eine fürsorgerische Unterbringung. Zudem wirken sich im kantonalen Recht vorgesehene ambulante Massnahmen indirekt positiv auf die Vollzugs- und Hilfsdienste (bspw. die Spitex) aus, indem sie diesen Legitimation sowie Autorität bei der Umsetzung vermitteln (es liegt ein Entscheid der KESB vor) und indem den ambulanten Massnahmen der «Freiwilligkeitscharakter» entzogen wird (Verbindlichkeit). Die Vollzugs- und Hilfsdienste können bei Umsetzungsschwierigkeiten nicht mehr einfach ihre Dienste ohne Meldung an die KESB einstellen (dies bedingt aber eine gesetzliche Verpflichtung der Vollzugs- und Hilfsdienste sowie die klare Regelung der Aufsichts- und Meldepflichten im kantonalen Recht). In den Körper eingreifende bzw. invasive Massnahmen (bspw. Medikation, Ernährung körperlich medizinische Behandlungen ohne Zustimmung) bei bestehendem verbalem tatsächlichem bzw. tätlichem Widerstand einer betroffenen Person sind i.d.R. nur unter den Voraussetzungen von Art. 434 ZGB im Rahmen einer fürsorgerischen Unterbringung überhaupt möglich, verhältnismässig und zulässig.  Materiell handelt es sich bei ambulanten medizinischen Massnahmen und Nachbetreuungen um Weisungen (Verhaltensanweisungen), deren Beachtung zur Verhinderung einer fürsorgerischen Unterbringung im Interesse der betroffenen Person selbst liegen und deshalb in der Praxis wohl nur selten zwangsweise durchgesetzt werden müssen. In der Regel dürfte allein das Eigeninteresse der betroffenen Person sowie die Angst vor einer ansonsten drohenden fürsorgerischen Unterbringung i.V.m. der Androhung von Sanktionen die betroffene Person zur Mitwirkung motivieren können (in diesem Sinne sind Sanktionsandrohungen durchaus wertvoll, vgl. ZGB 437 N 1; Erfahrungen aus den Kantonen Bern und Basel-Stadt zeigen aber, dass allein behördliche Anordnungen ohne Zwangsvollstreckungsmöglichkeiten i.d.R. bereits genügend Wirkungen zu entfalten vermögen), ohne dass eigentlicher körperlicher Zwang dazu nötig sein dürfte (Fassbind Patrick, a.a.O., Art. 437 N 1 f.).

 

4.6 Wie erwähnt, haben die Kantone gemäss Art. 437 Abs. 2 ZGB die Möglichkeit, ambulante Massnahmen ohne Zustimmung der betroffenen Person vorzusehen und zu deren sowie zur Durchsetzung von Mitwirkungspflichten die erforderlichen gesetzlichen Grundlagen zu schaffen (vgl. ZGB 448 N 1; Fassbind Patrick, a.a.O., Art. 449 N 1). Dies insbesondere im Nachgang zu einer nach Bundesrecht angeordneten fürsorgerischen Unterbringung in Form der Nachbetreuung.

 

4.7 Der Kanton Solothurn hat mit § 126 des Gesetzes über die Einführung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (EG ZGB, BGS 211.1) eine Norm geschaffen, die Betreuungsmassnahmen im Sinne von Art. 437 ZGB vorsieht. Gemäss § 126 EG ZGB darf die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde Betreuungsmassnahmen anordnen bei Personen, die an einer psychischen Störung an geistiger Behinderung leiden verwahrlost sind. Betreuungsbedürftigen Personen können für ihr Verhalten Weisungen bis zu einer Dauer von zwei Jahren erteilt werden, namentlich sich einer ambulanten ärztlichen Behandlung, Kontrolle Untersuchung zu unterziehen, sich einer Therapie Entzugsbehandlung zu unterziehen, sich von einer Fachstelle Fachperson betreuen zu lassen sich an eine vorgegebene Tagesstruktur zu halten. Gemäss § 127 EG ZGB kann der Vollzug der Massnahme einer geeigneten Person Stelle übertragen werden. Die mit dem Vollzug beauftragte Person Stelle hat der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde unverzüglich zu melden, wenn eine Betreuungsmassnahme nicht befolgt wird. Wird eine Betreuungsmassnahme nicht befolgt, prüft die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde die Anordnung anderer Massnahmen die fürsorgerische Unterbringung.

 

4.8 Wie erwähnt, ist die KESB gemäss § 126 Abs. 2 lit. a EG ZGB befugt, betreuungsbedürftigen Personen Weisungen zu erteilen, insbesondere «sich einer ambulanten ärztlichen Behandlung, Kontrolle Untersuchung zu unterziehen». Die reine Anordnung bzw. Weisung zur Einnahme bzw. zum Verabreichenlassen von Medikation stellt (noch) keinen Eingriff in die körperliche Integrität dar. Für den Erlass einer solchen Weisung erweist sich die eben zitierte Norm als hinreichend bestimmt und klar. Allerdings kann dies nicht für eine Zwangsmedikation bzw. zwanghafte Verabreichung gelten. Bereits mit Grundsatzentscheid SOG 2015 Nr. 5 vom 10. Juni 2015 (VWBES.2015.154) kam das Verwaltungsgericht zum Schluss, dass die Norm den Anforderungen an eine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage für die Anordnung von Zwangsmassnahmen (Zwangsmedikation) nicht genügt. An der Rechtslage hat sich nichts geändert. Eine Zwangsmedikation, welche einen schwerwiegenden Eingriff in die körperliche Unversehrtheit darstellt, kann somit nicht gestützt auf das kantonale Recht des Kantons Solothurn erfolgen. Stimmt die betroffene Person den angeordneten ambulanten Massnahmen nicht zu, verbleibt der KESB einzig die Möglichkeit, die Anordnung anderer Massnahmen eine fürsorgerische Unterbringung zu prüfen. Diese Prüfung hat aber ein neues Verfahren zur Folge, welches wiederum sämtliche Verfahrensgarantien einhalten muss. Eine zwangsweise Durchsetzung der angeordneten Massnahmen sieht das EG ZGB nicht vor, obwohl der Kanton befugt wäre, eine entsprechende Norm einzuführen.

 

4.9 So ist beispielsweise im Kanton Aargau die gesetzliche Grundlage für eine Zwangsmedikation im Rahmen der Nachbetreuung geschaffen worden. In § 53 Abs. lit b EG ZGB AG (Einführungsgesetz zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch, SAR 210.300) ist ausdrücklich vorgesehen, dass die Anweisung erfolgen kann «bestimmte Medikamente» einzunehmen. In § 58 EG ZGB AG ist die Vollstreckung dazu mittels polizeilicher Zuführung vorgesehen. Das Bundesgericht hat mit Urteil 5A_666/2013 vom 7. Oktober 2013 in E. 3.3 bestätigt, dass diese Formulierung eine genügend gesetzlich definierte Grundlage darstelle, um den schweren Eingriff in die körperliche und geistige Integrität zu rechtfertigen (damals noch nach Art. 67k aEG ZGB AG). Im Kanton Solothurn fehlen dagegen solch klar definierte Bestimmungen um im Rahmen der Nachbetreuung zu einer fürsorgerischen Unterbringung Zwangsmedikationen anzuordnen und zu vollstrecken. Die Bestimmungen nach § 126 Abs. 2 und § 127 EG ZGB sind nicht spezifisch auf medikamentöse Zwangszuführung ausgerichtet und können einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit nicht rechtfertigen. Ebenfalls reicht hierfür auch nicht der noch grundsätzlicher gehaltene Art. 450g ZGB, welcher sich in genereller Weise zu Vollstreckungen äussert. Im Übrigen fällt nicht nur die Regelung der ambulanten Massnahmen nach Art. 437 Abs. 2 ZGB, sondern auch deren Vollstreckung in die Kompetenz der Kantone. Dass das solothurnische Gesetz für eine Zwangsmedikation nicht genügt, hat umso mehr zu gelten, als dass selbst bei laufender fürsorgerischer Unterbringung (welche unter ständiger fachärztlicher Aufsicht erfolgt) eine spezifische gesetzliche Grundlage in Art. 434 ZGB für die Behandlung ohne Zustimmung eben der Zwangsmedikation vorgesehen ist (VWBES.2015.154 E. 3.1 ff. mit weiteren Hinweisen).

 

4.10 Somit kann aufgrund der heutigen gesetzlichen Regelung die angeordnete Massnahme (Verabreichung einer Depotmedikation) nicht ohne Zustimmung der betroffenen Person durchgesetzt werden, auch nicht mittels polizeilicher Zuführung. Im Übrigen wurde diese Rechtsprechung mit Urteil des Verwaltungsgerichtes VWBES.2017.185 bestätigt.

 

5. Gestützt auf die obigen Erwägungen ist die Beschwerde teilweise begründet. Eine Zwangsmedikation anlässlich der Nachbetreuung ist im Kanton Solothurn nicht erlaubt. Ziffer 3.3 des Entscheids der KESB vom 10. Mai 2024 wird aufgehoben. Für das Verfahren vor Verwaltungsgericht werden keine Kosten erhoben.

 

 

Demnach wird erkannt:

 

1.    Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Ziff. 3.3 des Entscheids der KESB vom 10. Mai 2024 wird aufgehoben.

2.    Für das Verfahren vor Verwaltungsgericht werden keine Kosten erhoben.

 

 

Rechtsmittel: Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Eröffnung des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in Zivilsachen eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Schweizerischen Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich.

Im Namen des Verwaltungsgerichts

Der Präsident                                                                    Die Gerichtsschreiberin

Thomann                                                                          Hasler



 
Quelle: https://gerichtsentscheide.so.ch/
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