Zusammenfassung des Urteils VWBES.2023.389: Verwaltungsgericht
Die Beschwerdeführerin, A.___, eine türkische Staatsangehörige, hat gegen die Entscheidung des Migrationsamtes, ihre Niederlassungsbewilligung in der Schweiz zu widerrufen und sie zur Ausreise aufzufordern, Beschwerde beim Verwaltungsgericht erhoben. Das Gericht stellte fest, dass A.___ sich überwiegend in der Türkei aufgehalten hat und ihren Lebensmittelpunkt dorthin verlagert hat, weshalb die Niederlassungsbewilligung von Gesetzes wegen erloschen ist. Trotz ihrer Argumente und persönlichen Umstände wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. A.___ wurde angewiesen, die Schweiz bis zum 30. September 2024 zu verlassen und die Verfahrenskosten in Höhe von CHF 1'500 zu tragen.
Kanton: | SO |
Fallnummer: | VWBES.2023.389 |
Instanz: | Verwaltungsgericht |
Abteilung: | Verwaltungsgericht |
Datum: | 05.07.2024 |
Rechtskraft: |
Leitsatz/Stichwort: | - |
Schlagwörter: | Schweiz; Aufenthalt; Türkei; Niederlassungsbewilligung; Aufenthalts; Lebens; Lebensmittelpunkt; Ausländer; Recht; Migrationsamt; Beschwerde; Verwaltungsgericht; Ausland; Schwester; Familie; Wiederzulassung; Frist; Wohnung; Wegweisung; Aufenthalte; Ehemann; Homepage; Erlöschen |
Rechtsnorm: | Art. 61 AIG ;Art. 64 AIG ;Art. 8 EMRK ;Art. 90 AIG ;Art. 96 AIG ; |
Referenz BGE: | 144 I 266; |
Kommentar: | - |
Geschäftsnummer: | VWBES.2023.389 |
Instanz: | Verwaltungsgericht |
Entscheiddatum: | 05.07.2024 |
FindInfo-Nummer: | O_VW.2024.117 |
Titel: | Erlöschen der Niederlassungsbewilligung und Wegweisung aus der Schweiz |
Resümee: |
Verwaltungsgericht
Urteil vom 5. Juli 2024 Es wirken mit: Oberrichter Frey Oberrichterin Obrecht Steiner Gerichtsschreiberin Law In Sachen A.___, vertreten durch Rechtsanwalt Alexander Kunz,
Beschwerdeführerin
gegen
Departement des Innern, vertreten durch Migrationsamt,
Beschwerdegegner
betreffend Erlöschen der Niederlassungsbewilligung und Wegweisung aus der Schweiz zieht das Verwaltungsgericht in Erwägung:
I.
1. A.___ (geb. [...], nachfolgend: Beschwerdeführerin) ist türkische Staatsangehörige und reiste am 26. Dezember 1992 im Rahmen des Familiennachzugs in die Schweiz ein, woraufhin sie in die Flüchtlingseigenschaft ihres Vaters miteinbezogen wurde. Seit dem 4. November 1994 ist sie im Besitze einer Niederlassungsbewilligung, deren Kontrollfrist letztmals bis am 30. Januar 2025 verlängert wurde. Aufgrund des Verzichts ist das in der Schweiz gewährte Asyl per 30. Juni 2006 erloschen.
2. Die Beschwerdeführerin heiratete im Oktober 2008 in der Türkei einen türkischen Landsmann. Im Dezember 2011 wurde die Ehe geschieden. Am 10. Juli 2014 verheiratete sich die Schwester der Beschwerdeführerin mit deren Ex-Ehemann. Das Ehepaar ist aktuell an der [...]strasse 4 in [...] gemeldet, wo auch die Beschwerdeführerin wohnhaft sein soll.
3. Nachdem die Einwohnergemeinde [...] gestützt auf Angaben der [...] AG dem Migrationsamt mitteilte, dass sich die Beschwerdeführerin in der Türkei aufhalte und dort erwerbstätig sei, wurde die Beschwerdeführerin aufgefordert, zu ihrem Lebensmittelpunkt Stellung zu nehmen und sachdienliche Unterlagen einzureichen. Gestützt auf die eingereichten Ein- und Ausreisebelege der Türkei (…) errechnete das Migrationsamt im Zeitraum von Januar 2013 bis November 2022 einen Aufenthalt der Beschwerdeführerin in der Türkei von 9 ¼ Jahren und einen solchen von 10 ½ Monaten in der Schweiz.
4. Nach Gewährung des rechtlichen Gehörs verfügte das Migrationsamt namens des Departements des Innern am 8. Dezember 2023 die Feststellung des Erlöschens der Niederlassungsbewilligung der Beschwerdeführerin. Ihr werde keine Aufenthaltsbewilligung im Rahmen der Wiederzulassung einer anderen Rechtsgrundlage erteilt. Die Beschwerdeführerin werde weggewiesen und habe die Schweiz - unter Androhung von Zwangsmassnahmen im Unterlassungsfall - bis am 29. Februar 2024 zu verlassen.
5. Dagegen erhob die anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin am 21. Dezember 2023 Verwaltungsgerichtsbeschwerde und beantragte, die Verfügung des Migrationsamtes sei aufzuheben. Der Beschwerdeführerin sei die Niederlassungsbewilligung zu verlängern, eventualiter sei ihr eine neue Niederlassungsbewilligung auszustellen. Subeventualiter sei das Verfahren zur erneuten Prüfung einer Wiederzulassung an das Migrationsamt zurückzuweisen. Ferner wurde um unentgeltliche Rechtspflege ersucht, unter Beistellung des unterzeichnenden Rechtsanwaltes.
6. Mit Eingabe vom 13. Februar 2024 liess die Beschwerdeführerin ihre Beschwerde ergänzen.
7. In seiner Vernehmlassung vom 6. März 2024 schloss das Migrationsamt namens des Departements des Innern auf vollumfängliche Beschwerdeabweisung unter Kostenfolge.
8. Mit Verfügung vom 8. März 2024 wurde das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege aufgrund der Aussichtlosigkeit der Beschwerde abgewiesen.
II.
1.1 Die Beschwerde ist frist- und formgerecht erhoben worden. Sie ist zulässiges Rechtsmittel und das Verwaltungsgericht zur Beurteilung zuständig (vgl. § 49 Gerichtsorganisationsgesetz, GO, BGS 125.12). Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Entscheid beschwert und damit zur Beschwerde legitimiert. Auf die Beschwerde ist einzutreten.
1.2 Die Beschwerdeführerin verlangt die Durchführung einer Verhandlung. Nach § 71 des Gesetzes über den Rechtsschutz in Verwaltungssachen (VRG, BGS 124.11) finden mündliche Verhandlungen nur bei Disziplinarbeschwerden statt. In allen übrigen Fällen entscheiden die Verwaltungsgerichtsbehörden aufgrund der Akten; sie können jedoch auf Antrag von Amtes wegen, eine Verhandlung anordnen, sofern dies als notwendig erachtet wird und Sinn macht. Im vorliegenden Fall wurden die Vorakten beigezogen und die anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin hat ihren Standpunkt in der Beschwerdeschrift ausführlich aufgezeigt. Es ist nicht ersichtlich, welche zusätzlichen relevanten Erkenntnisse das Gericht durch eine Parteibefragung anlässlich einer Verhandlung gewinnen könnte. Der entsprechende Antrag ist deshalb abzuweisen, zumal es sich vorliegend auch nicht um eine strafrechtliche Sanktion um eine zivilrechtliche Streitigkeit i.S.v. Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK, SR 0.101) handelt.
2.1 Gemäss Art. 61 Abs. 1 lit. a des Bundesgesetzes über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration (AIG, SR 142.20) erlischt eine Bewilligung mit der Abmeldung ins Ausland. Verlässt die Ausländerin der Ausländer die Schweiz, ohne sich abzumelden, so erlischt die Aufenthalts- und Niederlassungsbewilligung nach sechs Monaten. Auf Gesuch hin kann die Niederlassungsbewilligung während vier Jahren aufrechterhalten werden (Art. 61 Abs. 2 AIG).
2.2 Der Gesetzgeber hat für das Erlöschen der Bewilligung auf ein formelles Kriterium abgestellt. Wenn dieses formelle Kriterium - eine Auslandabwesenheit von sechs aufeinanderfolgenden Monaten - erfüllt ist, erlischt die Aufenthalts- Niederlassungsbewilligung von Gesetzes wegen bzw. automatisch, dies auch dann, wenn auf die Verlängerung der Bewilligung Anspruch bestanden hätte; auf die Gründe bzw. Motive für die Auslandabwesenheit kommt es nicht an (vgl. BGE 149 I 66 E. 4.7 m.w.H.).
2.3 Die sechsmonatige Frist wird nicht durch bloss vorübergehende Besuchs-, Tourismus- Geschäftsaufenthalte in der Schweiz unterbrochen (vgl. Art. 79 Abs. 1 VZAE). Somit kann die Aufenthaltsbewilligung auch dann erlöschen, wenn die ausländische Person während eines längeren Zeitraums landesabwesend ist, jeweils vor Ablauf von sechs Monaten für beschränkte Zeit in die Schweiz zurückkehrt, dies aber bloss zu Besuchszwecken tut, und damit einzig beabsichtigt, den Fristenlauf im Sinne von Art. 61 Abs. 2 AIG zu unterbrechen. Dies kann selbst dann zutreffen, wenn die ausländische Person in der Schweiz noch eine Wohnung zwecks Aufrechterhaltung des Anscheins einer minimalen physischen Präsenz zur Verfügung hat. Bei solchen Verhältnissen werden daher nicht etwa die (verschiedenen) Aus- und Einreisezeitpunkte, sondern vielmehr die Frage nach dem Lebensmittelpunkt zum ausschlaggebenden Kriterium (vgl. Urteile des Bundesgerichts 2C_164/2022 vom 23. Februar 2023 E. 4.2, 2C_602/2020 vom 19. November 2020 E. 4.2.2).
Wird angenommen, eine ausländische Person sei jeweils vor Ablauf der sechs Monate in die Schweiz zurückgekehrt, nur um die Aufenthaltsberechtigung nicht zu verlieren, handelt es sich typischerweise um Konstellationen, in denen die Besuche jeweils nur einige Tage dauerten, der grösste Teil der Zeit indes im Ausland verbracht wird. Bei niederlassungsberechtigten ausländischen Kindern beispielsweise, die in der Heimat eine Ausbildung absolvieren, aber jeweils vor Ablauf der Frist von sechs Monaten in die Schweiz zurückkehren und ihre ganzen Schulferien bei den Eltern in der Schweiz verbringen, ist im Grundsatz bereits davon auszugehen, dass die Niederlassungsbewilligung fortbesteht (vgl. Urteil des Bundesgerichts 2C_602/2020 vom 19. November 2020 E. 4.3.1). Verlegen niedergelassene Ausländerinnen und Ausländer zwar ihren Wohnsitz ins Ausland, behalten aber ihre Wohnung in der Schweiz und üben hier weiterhin eine unselbstständige Erwerbstätigkeit aus bzw. verbringen einen grossen Teil ihrer Zeit mit ihrer Familie in der Schweiz, sind auch diese Aufenthalte nicht bloss vorübergehend zu qualifizieren und die Niederlassungsbewilligung erlischt nicht wegen eines sechsmonatigen Auslandaufenthalts (vgl. Silvia Hunziker in: Martina Caroni/Thomas Gächter/Daniela Turnherr [Hrsg.], Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer [AuG], Bern 2010, Art. 61 N 21).
2.4 Die verfügende Behörde hat im Rahmen der Untersuchungsmaxime abzuklären, ob der gesetzlich verlangte Auslandsaufenthalt tatsächlich ununterbrochen war. Nebst der Untersuchungsmaxime obliegt es allerdings auch der ausländischen Person, an der Feststellung des für die Anwendung des AIG massgebenden Sachverhalts mitzuwirken (Mitwirkungspflicht, Art. 90 AIG). Dies gilt im besonderen Masse für Umstände, die die Beschwerdeführerin besser kennt als die Behörde und welche ohne ihre Mitwirkung gar nicht nicht mit vernünftigem Aufwand erhoben werden können. Die entsprechenden (Mitwirkungs-)Pflichten gelten umso strenger, je mehr Indizien vorliegen, welche darauf schliessen lassen, dass sich der Lebensmittelpunkt seit Jahren nicht mehr in der Schweiz befindet.
3.1 Die Beschwerdeführerin bestreitet, ihren Lebensmittelpunkt in die Türkei verschoben zu haben. Sie wohne an der [...]strasse 4 in [...] und bezahle einen monatlichen Mietzins von CHF 750.00. Sie sei selbständig erwerbstätig und vermittle in der Türkei Schönheitsoperationen für vorwiegend Schweizer Kunden. Diese Geschäftstätigkeit führe sie seit November 2020 aus. Sie pendle als Geschäftsfrau zwischen der Türkei und der Schweiz, wobei die Schweiz ihre Basis bleibe. Als Selbständigerwerbende zahle sie hierzulande Steuern und AHV-Beiträge. Durch ihre Erwerbstätigkeit werde sie seit dem Jahr 2020 nicht mehr von der Sozialhilfe unterstützt. Durch die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit seien künftige Belastungen der öffentlichen Hand nicht zu erwarten. Ferner sei im Rahmen der Verhältnismässigkeit zu berücksichtigen, dass sie in der Schweiz die Kindheit und Jugend verbracht habe. Durch ihre lange Aufenthaltsdauer habe sie ein privates Interesse an einem Verbleib hierzulande, wobei auch eine Wiederzulassung zu ermöglichen wäre. Zu ihren hier lebenden Familienangehörigen bestehe ein besonderes Abhängigkeit- bzw. Betreuungsverhältnis i.S.v. Art. 8 EMRK. Die Beschwerdeführerin habe des Weiteren verschiedene Schicksalsschläge durchlebt, indem sie gegen ihren Willen mit dem jetzigen Ehemann ihrer Schwester verheiratet worden sei, was sie zu einem Suizidversuch veranlasst habe. Ihre Mutter sei im Jahr 2012 an einem Gehirntumor erkrankt, woraufhin sie ihre Pflege übernommen habe.
3.2 Das Migrationsamt führte aus, dass die Reisetätigkeit der Beschwerdeführerin ab dem 22. Januar 2013 vollständig ausgewertet worden sei. Dies habe ergeben, dass sich die Beschwerdeführerin zwei Mal über sechs Monate im Ausland aufgehalten habe. Von den über 53 hiesigen Aufenthalten dauerten nur deren fünf über eine Woche. Die Aufenthalte in der Türkei hingegen seien mehrmonatig und insgesamt deutlich länger ausgefallen. Insgesamt habe sich die Beschwerdeführerin während der ausgewerteten Zeitspanne 9 ¼ Jahre in der Türkei aufgehalten und in der Schweiz lediglich 10 ½ Monate. Der Homepage von […] habe entnommen werden können, dass sie seit sieben Jahren in Istanbul leben würde. Diese Angaben seien im Zusammenhang mit der ausländerrechtlichen Überprüfung abgeändert worden. Es sei nicht nachgewiesen, dass der Text der Homepage lediglich mit dem Marketing zusammenhänge. Seit mindestens 10 Jahren verfüge die Beschwerdeführerin über keine eigene Wohnung und sei an der Adresse ihrer Schwester gemeldet, wo ebenfalls seit dem 15. Dezember 2014 ihr Ex-Ehemann lebe. An der gemeldeten Adresse habe der Name der Beschwerdeführerin im Rahmen der polizeilichen Kontrolle weder am Briefkasten noch an der Wohnungs- bzw. Aussenklingel ausgemacht werden können. Aufgrund des Verschiebens des Lebensmittelpunktes per Ende des Jahres 2015 sei ihre Niederlassungsbewilligung von Gesetzes wegen erloschen. Deshalb seien die zeitlichen Voraussetzungen für eine Wiederzulassung nicht gegeben. Die Beschwerdeführerin sei im Heimatland vernetzt und eingegliedert, beherrsche die dortige Sprache. Ferner würden auch die Wohn- und Familienverhältnisse keinen zwingenden Aufenthalt in der Schweiz indizieren.
3.3 Für die Beurteilung, ob die Niederlassungsbewilligung der Beschwerdeführerin erloschen ist, ist auf die Dauer ihrer Landesabwesenheit und ihren Lebensmittelpunkt abzustellen. Die Beschwerdeführerin hielt sich gemäss Auswertung der Reisedaten bereits ab Juli 2020 über sechs Monate in der Türkei auf, weshalb ihre Niederlassungsbewilligung von Gesetzes wegen erloschen ist. Die Vorinstanz hat aufgrund diverser Indizien zu Recht angenommen, dass die Beschwerdeführerin ihren Lebensmittelpunkt spätestens im Jahr 2015 in die Türkei verlegt hat. So gab sie im Rahmen eines Ausweisverlustmeldung bereits im Jahr 2014 eine Wohnadresse und Telefonnummer in Istanbul an (AS 127). In der Schweiz hingegen hat die Beschwerdeführerin seit mehr als zehn Jahren keine eigene Wohnung mehr, sondern ist an der Adresse der Schwester in einer 3.5-Zimmerwohnung gemeldet, wo sie im Kinderzimmer schläft (AS 267). In der gleichen Wohnung wohnt notabene auch der Ex-Ehemann der Beschwerdeführerin. Gemäss Angaben der Beschwerdeführerin soll es sich bei der damaligen Heirat um eine Zwangsheirat gehandelt haben, was in einem Suizidversuch ihrerseits geendet haben soll (AS 189). Zudem soll die Heirat zwischen ihrem Ex-Ehemann und ihrer Schwester ein «Schlag ins Gesicht» gewesen sein (AS 188). Dass die Beschwerdeführerin deshalb ihren Lebensmittelpunkt in einem kleinen (Kinder)Zimmer bei der Schwester und dem Ex-Ehemann führen will, ist somit wenig glaubhaft, zumal sie nun über genügend Einkommen verfügt, um entgegen ihren Angaben (AS 188) nicht mehr bei der Schwester wohnen zu müssen. Die Wohnungsverwalterin hat zwar der Schwester bestätigt, dass die Beschwerdeführerin dort wohnen könne (AS 291). Diese Bestätigung erfolgte erst im April 2023 und somit unter Eindruck des vorinstanzlichen Verfahrens und gibt keine Hinweise darauf, seit wann die Beschwerdeführerin dort wohnen soll. Die Beschwerdeführerin hat zwar einen undatierten Untermietvertrag abgeschlossen (AS 267), was allerdings auch nicht den dortigen Aufenthalt nachweisen kann, zumal die Mietzahlungen weiterhin unbelegt sind. Von der Polizei konnte die Beschwerdeführerin notabene an der genannten Adresse nicht angetroffen worden, auch ist sie bei der angeblichen Wohnadresse nicht namentlich hinterlegt (AS 378). Augenfällig ist ferner der Internetauftritt der Beschwerdeführerin. Auf der Homepage ihres Arbeitgebers wurde zuerst von einem siebenjährigen Aufenthalt der Beschwerdeführerin in der Türkei gesprochen (vgl. […]; AS 383). Nach Eröffnung des ausländerrechtlichen Verfahrens wurde die Aufenthaltsdauer auf drei Jahre abgeändert (AS 370, 359). Aktuell benennt die Homepage keine Aufenthaltsdauer mehr. Dass die Angaben lediglich Marketingzwecken dienen sollen, konnte die Beschwerdeführerin nicht glaubhaft darlegen. Indem die Beschwerdeführerin in den jeweiligen YouTube-Videos auf der Homepage Schweizerdeutsch spricht, sollte dies für Marketingzwecke genügen und für die Schweizer Kundschaft überzeugend sein. Ihre Argumentation überzeugt somit nicht und stellt eine Schutzbehauptung dar. Anders kann denn auch nicht erklärt werden, dass aktuell auf der Homepage gar keine Angaben zur Aufenthaltsdauer in der Türkei aufzufinden sind (vgl. […]; zuletzt besucht am 24. Juni 2024). Die Reise- (AS 345-350; 384-389) sowie Bankdaten (AS 299-312) bezeugen, dass sich die Beschwerdeführerin ab dem Jahr 2013 mehrheitlich in der Türkei aufhält und nur kurzzeitig in der Schweiz ist. Diesbezüglich spielt denn auch keine Rolle, ob die Beschwerdeführerin in der Schweiz Steuern zahlt. Ferner dauerten die Aufenthalte der Beschwerdeführerin in der Schweiz jeweils nur zwei Tage bis maximal drei Wochen (AS 345-350; 384-389). In dieser Zeit absolvierte sie Behördengänge (Einwohnergemeinde, Migrationsamt, Richteramt, Treuhänder). Danach reiste sie jeweils wieder für mehrere Monate in die Türkei. Ihre Besuche in der Schweiz dienten folglich einem Zweck und nicht dem Aufenthalt im Land. Diese vorübergehenden Aufenthalte in der Schweiz vermögen die Frist des Art. 61 Abs. 2 AIG nicht zu unterbrechen.
4.1 Gemäss Art. 30 Abs. 1 lit. k AIG i.V.m. Art. 49 Abs. 1 VZAE können an Ausländerinnen und Ausländer, die früher im Besitz einer Aufenthalts- Niederlassungsbewilligung waren, Kurzaufenthalts- Aufenthaltsbewilligungen erteilt werden, wenn ihr früherer Aufenthalt in der Schweiz mindestens fünf Jahre gedauert hat und nicht nur vorübergehender Natur war (lit. a) und ihre freiwillige Ausreise aus der Schweiz nicht länger als zwei Jahre zurückliegt (lit. b). Nach Art. 30 Abs. 1 lit. b AIG kann zudem von den Zulassungsvoraussetzungen abgewichen werden, um schwerwiegenden persönlichen Härtefällen wichtigen öffentlichen Interessen Rechnung zu tragen. Bei der Beurteilung sind insbesondere die Integration, die Familienverhältnisse, die finanziellen Verhältnisse, die Dauer der Anwesenheit in der Schweiz, der Gesundheitszustand sowie die Möglichkeiten für eine Wiedereingliederung im Herkunftsstaat zu berücksichtigen (vgl. Art. 31 Abs. 1 VZAE).
4.2 Ein Gesuch um Wiederzulassung wird gutgeheissen, wenn die Landesabwesenheit weniger als zwei Jahre gedauert, der Ausländer einen Grossteil seines Lebens in der Schweiz verbracht und sich klaglos verhalten hat (SOG 2011 Nr. 30).
4.3 Die Niederlassungsbewilligung der Beschwerdeführerin ist spätestens Ende Jahr 2015 von Gesetzes wegen erloschen. Indem die Beschwerdeführerin im Jahr 1992 in die Schweiz einreiste, dauerte ihr hiesiger Aufenthalt bis zum Erlöschen der Niederlassungsbewilligung zwar länger als fünf Jahre. Die zeitliche Voraussetzung für eine Wiederzulassung ist hingegen nicht gegeben. Es liegt kein schwerwiegender persönlicher Härtefall vor, weil sich die Beschwerdeführerin überwiegend in der Türkei aufhält und keine Anknüpfungspunkte zur Schweiz vorliegen. Insbesondere die mehr als 10-mal so lange Aufenthaltsdauer in der Türkei in den Jahren 2013 bis 2022 sowie die Wohn- und finanzielle Situation in der Türkei zeichnen ein Gesamtbild, das zweifelsfrei auf einen seit vielen Jahren bestehenden Lebensmittelpunkt in der Heimat schliessen lässt. Eine Wiederzulassung gemäss Art. 30 lit. k AIG scheidet damit aus. Da die Beschwerdeführerin bestens im Herkunftsstaat (wirtschaftlich) eingegliedert und integriert ist, dort über Verwandte verfügt (AS 285), der heimatlichen Sprache mächtig ist und die Familienverhältnisse keinen zwingenden Aufenthalt in der Schweiz indizieren, ist ein persönlicher Härtefall nicht dargetan. Infolgedessen durfte die Vorinstanz von der Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung absehen, zumal sie sich auch nicht klaglos verhalten hat. Insbesondere hat sie die öffentliche Ordnung mehrfach missachtet (u.a. Freiheitsstrafe von 12 Monaten, AS 247) und in finanzieller Hinsicht längere Zeit Sozialhilfe bezogen und Schulden angehäuft (vgl. E. 5). In diesem Zusammenhang ist in Erinnerung zu rufen, dass es sich um eine «Kann-Bestimmung» handelt, also kein Rechtsanspruch auf eine Aufenthaltsbewilligung besteht.
5. Das öffentliche Interesse an der Wegweisung der Beschwerdeführerin liegt in der Kontrolle und Steuerung der Zuwanderung (Art. 121a der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft [BV, SR 101]; BGE 144 I 266 E. 3.7). Nicht zu beanstanden ist daher die in der Folge verfügte Wegweisung, die konsequenterweise gestützt auf Art. 64 Abs. 1 AIG erfolgt ist und auch vor Art. 96 AIG standhält. Das Migrationsamt hat richtig festgehalten, dass sich die Beschwerdeführerin zwar lange in der Schweiz aufhielt und hier im Bankenbereich berufstätig war. Nichtsdestotrotz häufte sie hohe Schulden an (Verlustscheine: CHF 166'396.00, AS 167) und wurde lange mit Sozialhilfe unterstützt (per 30. November 2020: CHF 128'942.00, AS 173). Indem die Beschwerdeführerin ihren Lebensmittelpunkt per Ende des Jahres 2015 in die Türkei verschoben hat, liegt der Lebensmittelpunkt der Beschwerdeführerin bereits in der Heimat. Deshalb ist es ihr auch zuzumuten, sie dorthin wegzuweisen. So hat sie mit ihren langandauernden Aufenthalten im Ausland klar dargetan, dass ihr Interesse an einem Verbleib in der Schweiz nicht gross sein kann. Nachdem die Beschwerdeführerin faktisch ihren Lebensmittelpunkt verlegt hat, stellt eine Wegweisung für sie keine grosse Härte dar. Sie kann auch gestützt auf Art. 8 EMRK keinen Aufenthalt zu ihren Gunsten ableiten. Nach der Rechtsprechung bezieht sich der Schutz des Familienlebens nach Art. 8 Ziff. 1 EMRK in erster Linie auf die Kernfamilie (Ehegatten und minderjährige Kinder); andere familiäre Beziehungen, namentlich diejenigen zwischen Eltern und erwachsenen Kindern, stehen nur ausnahmsweise unter dem Schutz von Art. 8 EMRK, nämlich dann, wenn ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis besteht. Inwiefern ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis (besondere Betreuungs- Pflegebedürfnisse wie bei körperlichen geistigen Behinderungen und schwerwiegenden Krankheiten) zwischen der Beschwerdeführerin und ihrem Vater bestehen soll, wird nicht vorgebracht. Über weitere in der Schweiz ansässige Familienangehörige, zu welchen eine geschützte Beziehung im Sinne von Art. 8 Ziff. 1 EMRK besteht, verfügt die Beschwerdeführerin nicht, zumal die in der Schweiz wohnhaften Geschwister nicht zur Kernfamilie gehören. Den Kontakt zu den in der Schweiz wohnhaften Angehörigen kann sie im Rahmen von Besuchsaufenthalten und über moderne Kommunikationsmittel weiterhin pflegen. Die Wegweisung der Beschwerdeführerin erweist sich demzufolge als verhältnismässig. Nachdem die angesetzte Frist zur Ausreise inzwischen abgelaufen ist, ist diese angemessen zu verlängern. Die Beschwerdeführerin hat die Schweiz, falls sie sich hierzulande aufhalten sollte, bis am 30. September 2024 zu verlassen.
6. Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet, sie ist abzuweisen. Bei diesem Ausgang hat die Beschwerdeführerin die Kosten des Verfahrens vor Verwaltungsgericht zu bezahlen, die einschliesslich der Entscheidgebühr auf CHF 1'500.00 festzusetzen sind.
Demnach wird erkannt:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen. 2. A.___ hat die Schweiz – unter Androhung von Zwangsmassnahmen im Unterlassungsfall – bis am 30. September 2024 zu verlassen. 3. A.___ hat die Kosten des Verfahrens vor Verwaltungsgericht von CHF 1'500.00 zu bezahlen.
Rechtsmittel: Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Eröffnung des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Schweizerischen Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich. Im Namen des Verwaltungsgerichts Der Präsident Die Gerichtsschreiberin Thomann Law |
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