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Urteil Verwaltungsgericht (SO - VWBES.2023.218)

Zusammenfassung des Urteils VWBES.2023.218: Verwaltungsgericht

A.___, eine serbische Staatsangehörige, beantragte den Familiennachzug ihres Ehemannes B.___, der die Schweiz verlassen hatte und eine neue Beziehung in Deutschland hatte. Das Verwaltungsgericht wies das Gesuch ab, da wichtige familiäre Gründe fehlten und die finanziellen Mittel nicht ausreichten. Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass ihr Ehemann die Schweiz nur vorübergehend verlassen hatte und wieder zurückkehren wollte. Das Gericht entschied jedoch, dass die Voraussetzungen nicht erfüllt waren und wies die Beschwerde ab. Der Ehemann wurde aufgefordert, die Schweiz zu verlassen, und die Kosten des Verfahrens wurden der Beschwerdeführerin auferlegt.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts VWBES.2023.218

Kanton:SO
Fallnummer:VWBES.2023.218
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Verwaltungsgericht
Verwaltungsgericht Entscheid VWBES.2023.218 vom 16.11.2023 (SO)
Datum:16.11.2023
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:-
Schlagwörter: Familie; Schweiz; Ehemann; Familiennachzug; Aufenthalt; Niederlassungsbewilligung; Ausländer; Beziehung; Deutschland; Verwaltungsgericht; Urteil; Gesuch; Aufenthaltsbewilligung; Entscheid; Frist; Familiennachzugs; Interesse; Recht; Kinder; Voraussetzung; Ausländerin; Ehemannes; Ehefrau; Verfügung; Familiennachzugsgesuch; Voraussetzungen; Erteilung
Rechtsnorm: Art. 121a BV ;Art. 13 BV ;Art. 43 AIG ;Art. 47 AIG ;Art. 61 AIG ;Art. 64 AIG ;Art. 8 EMRK ;
Referenz BGE:-
Kommentar:
-

Entscheid des Verwaltungsgerichts VWBES.2023.218

 
Geschäftsnummer: VWBES.2023.218
Instanz: Verwaltungsgericht
Entscheiddatum: 16.11.2023 
FindInfo-Nummer: O_VW.2023.248
Titel: Familiennachzug

Resümee:

 

Verwaltungsgericht

 

Urteil vom 16. November 2023         

Es wirken mit:

Präsident Thomann

Oberrichter Frey   

Oberrichter Müller

Gerichtsschreiberin Ramseier    

 

In Sachen

A.___    vertreten durch Rechtsanwalt Anol Eshrefi,   

 

Beschwerdeführerin

 

 

 

gegen

 

 

 

Departement des Innern,    vertreten durch Migrationsamt,    

 

Beschwerdegegner

 

 

 

 

betreffend     Familiennachzug


zieht das Verwaltungsgericht in Erwägung:

 

I.

 

1.1 A.___, serbische Staatsangehörige, ist am [...] 1990 in [...] geboren (AS 56). Sie ist im Besitz einer Niederlassungsbewilligung. Am [...] 2008 heiratete sie in [...], Serbien, B.___, geb. [...] 1989 (AS 22). Am 4. Juni 2009 ersuchte sie um Familiennachzug ihres Ehemannes (AS 12 ff.). Dieses Gesuch wurde am 27. August 2009 bewilligt (AS 69 f.). Am 17. November 2009 wurde ihm eine Aufenthaltsbewilligung erteilt (AS 83), am 23. Februar 2015 eine Niederlassungsbewilligung (AS 145). Der gemeinsame Sohn C.___ wurde am [...] 2015 geboren.

 

Gemäss Mutationsmeldung der Einwohnergemeinde [...] vom 28. Mai 2019 wurde B.___ per 21. September 2018 nach Unbekannt abgemeldet (AS 162). Aus dem Urteil des Amtsgerichtspräsidenten von Bucheggberg-Wasseramt vom 19. Dezember 2018 betreffend Eheschutzmassnahmen geht hervor, dass die Ehegatten seit dem 21. September 2018 getrennt lebten. Die Ehefrau hatte zu Protokoll gegeben, ihr Mann habe eine neue Partnerin in Deutschland, die ein Kind von ihm erwarte. Der gemeinsame Sohn wurde für die Dauer der Trennung unter die alleinige Obhut der Mutter gestellt. Aufgrund des unbekannten Aufenthaltes des Vaters wurde kein Besuchsrecht mit dem Sohn vereinbart (AS 184 ff.).

 

1.2 Am 16. Oktober 2019 liess B.___ durch seinen damaligen Vertreter um Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung (richtig: Niederlassungsbewilligung) ersuchen (AS 164). Am 5. Dezember 2019 teilte der Vertreter mit, B.___ habe sich in den letzten 1 ½ Jahren in Deutschland aufgehalten (AS 174). Nach Beantwortung diverser Fragen und Gewährung des rechtlichen Gehörs stellte das Migrationsamt (MISA) namens des Departementes des Innern (DdI) mit Verfügung vom 15. Dezember 2020 fest, die Niederlassungsbewilligung von B.___ sei infolge Verschiebens des Lebensmittelpunktes ins Ausland erloschen. Das sinngemässe Gesuch um Wiederzulassung werde abgewiesen (AS 279 ff.).

 

1.3 Am 16. Mai 2022 ersuchte A.___ erneut um Familiennachzug ihres Ehemannes. Begründet wurde das Gesuch damit, sie hätten von 2010 bis 2018 zusammengelebt. Da ihr Mann zwei bis drei Jahre in Deutschland gelebt habe, sei sein Ausländerausweis gelöscht worden. Nun seien sie wieder zusammen und möchten auch zusammen leben. Ihr Mann sei seit dem 1. Mai 2022 in der Schweiz (AS 334).

 

Nach Aufforderung der Beantwortung diverser Fragen und Gewährung des rechtlichen Gehörs wies das MISA namens des DdI das Familiennachzugsgesuch mit Verfügung vom 15. Juni 2023 ab und wies B.___ aus der Schweiz weg. Er habe die Schweiz – unter Androhung von Zwangsmassnahmen – bis am 31. Juli 2023 zu verlassen (AS 508 ff.).

 

2. Gegen diese Verfügung liess A.___ (nachfolgend Beschwerdeführerin) am 24. Juni 2023 Beschwerde beim Verwaltungsgericht erheben mit den Anträgen auf deren Aufhebung und Gutheissung des Gesuchs um Familiennachzug. Der Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung zu erteilen.

 

3. Mit Eingabe vom 6. Juli 2023 beantragte das Migrationsamt die Abweisung der Beschwerde. Eine Vernehmlassung wurde nicht eingereicht.

 

4. Am 10. Juli 2023 wies der Präsident des Verwaltungsgerichts das Gesuch um Gewährung der aufschiebenden Wirkung ab.

 

5. Am 30. August 2023 ging die Honorarnote des Vertreters der Beschwerdeführerin ein.

 

6. Für die weiteren Ausführungen der Parteien wird auf die Akten verwiesen; soweit erforderlich ist im Folgenden darauf einzugehen.

 

II.

 

1. Die Beschwerde ist frist- und formgerecht erhoben worden. Sie ist zulässiges Rechtsmittel und das Verwaltungsgericht zur Beurteilung zuständig (vgl. § 49 Gerichtsorganisationsgesetz, GO, BGS 125.12). Die Beschwerdeführerin ist durch den negativen Entscheid betreffend ihren Ehemann beschwert und damit zur Beschwerde legitimiert. Auf die Beschwerde ist einzutreten.

 

2. Das MISA begründete die angefochtene Verfügung im Wesentlichen damit, gemäss seinem Entscheid vom 15. Dezember 2020 sei die Niederlassungsbewilligung des Ehemannes der Beschwerdeführerin infolge Verschieben seines Lebensmittelpunktes ins Ausland erloschen. Die Voraussetzungen für eine Gutheissung der Wiederzulassung seien somit bereits im entsprechenden Entscheid rechtskräftig abgehandelt worden. Wenn ein ausländischer Ehegatte im Rahmen des Familiennachzugs in der Schweiz gelebt habe, die Schweiz verlassen habe und in der Folge wieder zum gleichen Ehegatten zurückkehren wolle, beginne der Fristenlauf trotzdem mit der ursprünglichen Einreise Entstehung des Familienverhältnisses zu laufen. Das Familiennachzugsgesuch vom 16. Mai 2022 sei somit nach Ablauf der möglichen Nachzugsfristen von fünf Jahren und damit verspätet gestellt worden.

 

Ein nachträglicher Familiennachzug könne bewilligt werden, wenn wichtige familiäre Gründe vorlägen, was nicht der Fall sei. Der Ehemann habe sich von seiner Ehefrau getrennt und sei eine neue Beziehung in Deutschland eingegangen. Mit dieser Frau, D.___, habe er zwei Kinder, geb. [...] 2018 und [...] 2020. Es müsse daher klar von einer gelebten Beziehung ausgegangen werden und diese habe auch nicht nur ein Jahr gedauert, wie geltend gemacht worden sei. Der Ehemann habe sich freiwillig dazu entschlossen, die Schweiz zu verlassen und eine neue Familie zu gründen. Zu betonen sei, dass er seine zweite Tochter nie erwähnt habe, wohl in der Hoffnung, seine neue Beziehung werde lediglich als Affäre angesehen und er könne so wieder eine Aufenthaltsbewilligung für die Schweiz erlangen. Dass er bereits am 16. Oktober 2019 um die Verlängerung der Niederlassungsbewilligung ersucht habe, obwohl er zum damaligen Zeitpunkt noch mit seiner neuen Partnerin zusammen gewesen sei und diese das zweite Kind erwartet habe, bestätige umso mehr, dass es ihm mit dem heutigen Familiennachzugsgesuch wohl eher darum gehe, in der Schweiz wieder einen gültigen Aufenthalt zu erlangen, als ein tatsächliches Eheleben mit der Beschwerdeführerin zu führen.

 

Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung nach Art. 43 Abs. 1 AIG seien ebenfalls nicht erfüllt. Die Beschwerdeführerin werde seit Februar 2019 mit Sozialhilfeleistungen unterstützt. Der Saldo betrage Stand 1. Februar 2023 CHF 103'778.60. Ein Familiennachzug sei daher schon allein wegen ihrer finanziellen Mittellosigkeit nicht möglich. Die eingereichte Arbeitsbestätigung des Ehemannes sei nicht mehr gültig. Dieser müsste daher bei einem allfälligen Nachzug mit Sozialhilfe unterstützt werden. Ob ebenfalls ein Widerrufsgrund aufgrund der hohen Schulden und der Straffälligkeit des Ehemannes gegeben sei, könne offenbleiben. Auch unter Berücksichtigung von Art. 8 Ziff. 1 EMRK erweise sich die Abweisung des Gesuchs als verhältnismässig. B.___ habe sich freiwillig von der Beschwerdeführerin getrennt, die Familie verlassen und in Deutschland eine neue gegründet. Er sei seinen Pflichten als Vater bezüglich Unterhalt seines Sohnes nicht nachgekommen. Die Beschwerdeführerin könne ihre Beziehung zu ihrem Ehemann wie bisher leben. Da beide über die serbische Staatsangehörigkeit verfügten, stehe es ihnen auch frei, das gemeinsame Familienleben im Heimatland zu leben.

 

3. Dagegen liess die Beschwerdeführerin im Wesentlichen vorbringen, ihr Ehemann habe die Schweiz lediglich für etwa ein Jahr verlassen, habe er doch bereits am 16.  Oktober 2019 um eine Verlängerung der Bewilligung in der Schweiz ersucht. Zudem habe er vor Erlöschen der Niederlassungsbewilligung etwa neun Jahre in der Schweiz gelebt. Damit habe er die Voraussetzungen von Art. 30 lit. k AIG i.V.m. Art. 49 Abs. 1 VZAE mehr als erfüllt. Das MISA hätte das Gesuch um Wiederzulassung daher gutheissen sollen.

 

Zudem habe B.___ eine Anstellung gefunden, weshalb die Familie nicht mehr auf Sozialhilfe angewiesen wäre. Er wohne seit fast einem Jahr bei seiner Ehefrau. Zusammen mit ihrem Sohn führten sie ein familiäres Leben. Während der Trennung habe er eingesehen, dass er einen Fehler gemacht habe. Die Beziehung zu D.___ habe ihn nicht erfüllt, was sich darin zeige, dass er sie nie geheiratet habe. Eine Verweigerung der Erteilung der Aufenthaltsbewilligung wäre unverhältnismässig. Es wäre zudem unzumutbar für das gemeinsame Kind, wenn es sich von seinem Vater trennen müsste. Schliesslich erreichten die Schulden des Ehemannes nicht einen Umfang, dass von einem schwerwiegenden Verstoss gegen die öffentliche Ordnung gesprochen werden müsste.

 

4.1 Gemäss Art. 43 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration (AIG, SR 142.20) haben ausländische Ehegatten und ledige Kinder unter 18 Jahren von Personen mit Niederlassungsbewilligung Anspruch auf Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung, wenn sie mit diesen zusammenwohnen (lit. a); eine bedarfsgerechte Wohnung besteht (lit. b); sie nicht auf Sozialhilfe angewiesen sind (lit. c); sie sich in der am Wohnort gesprochenen Landessprache verständigen können (lit. d); und die nachziehende Person keine jährlichen Ergänzungsleistungen bezieht wegen des Familiennachzugs beziehen könnte (lit. e). Für die Erteilung der Aufenthaltsbewilligung ist anstelle der Voraussetzung nach Abs. 1 lit. d die Anmeldung zu einem Sprachförderungsangebot ausreichend (Abs. 2). Gemäss Art. 47 Abs. 1 AIG muss der Anspruch auf Familiennachzug innerhalb von fünf Jahren geltend gemacht werden. Kinder über zwölf Jahre müssen innerhalb von zwölf Monaten nachgezogen werden. Die Fristen beginnen bei Familienangehörigen von Ausländerinnen und Ausländern mit der Erteilung der Aufenthalts- Niederlassungsbewilligung der Entstehung des Familienverhältnisses (Abs. 3 lit. b). Ein nachträglicher Familiennachzug wird nur bewilligt, wenn wichtige familiäre Gründe geltend gemacht werden (Abs. 4 Satz 1).

 

Art. 30 Abs. 1 lit. k AIG sieht vor, dass von den Zulassungsvoraussetzungen (Art. 18 bis 29) abgewichen werden kann, um die Wiederzulassung von Ausländerinnen und Ausländern, die im Besitz einer Aufenthalts- Niederlassungsbewilligung waren, zu erleichtern. In zeitlicher Hinsicht wird dabei nach Art. 49 Abs. 1 der Verordnung über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit (VZAE, SR 142.201) vorausgesetzt, dass ihr früherer Aufenthalt in der Schweiz mindestens fünf Jahre gedauert hat und nicht nur vorübergehender Natur war (lit. a) und ihre freiwillige Ausreise aus der Schweiz nicht länger als zwei Jahre zurückliegt (lit. b).

 

4.2 Die Beschwerdeführerin hat am [...] 2008 geheiratet. Innert der fünfjährigen Frist hat sie zunächst ein Familiennachzugsgesuch für ihren Ehemann eingereicht, welches bewilligt worden war. Ihr Ehemann ist in der Folge denn auch in die Schweiz eingereist und ihm wurde hier zuerst eine Aufenthalts-, dann eine Niederlassungsbewilligung erteilt. Am 21. September 2018 hat er die Schweiz indessen verlassen und ist nach Deutschland gezogen. Seine Niederlassungsbewilligung war daher gestützt auf Art. 61 Abs. 2 AIG erloschen, was am 15. Dezember 2020 durch das MISA namens des DdI rechtskräftig verfügt worden war. Gleichzeitig war sein sinngemässes Gesuch vom 16. Oktober 2019 um Wiederzulassung abgewiesen worden. Die Beschwerdeführerin kann sich daher nicht darauf berufen, angesichts des Gesuchs vom 16. Oktober 2019 sei davon auszugehen, ihr Ehemann habe die Schweiz lediglich etwa ein Jahr verlassen und deswegen – weil er vor Erlöschen der Niederlassungsbewilligung zudem etwa neun Jahre in der Schweiz gelebt habe – wären die Voraussetzungen von Art. 30 Abs. 1 lit. k AIG i.V.m. Art. 49 Abs. 1 VZAE erfüllt. Diese Frage ist durch das DdI mit Verfügung vom 15. Dezember 2020 bereits rechtskräftig entschieden worden. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die Beschwerdeführerin selber angegeben hatte, ihr Ehemann und sie hätten von 2010 bis 2018 zusammengelebt und dann habe ihr Ehemann für zwei bis drei Jahre in Deutschland gelebt (AS 334).

 

Dass sich die Beschwerdeführerin mit dem Familiennachzugsgesuch vom 16. Mai 2022 nicht auf diese Bestimmungen berufen kann, dürfte unbestritten sein, nachdem B.___ die Schweiz am 21. September 2018 verlassen hat. Die Zweijahresfrist wäre damit offensichtlich nicht eingehalten.

 

4.3 Wie erwähnt, muss der Anspruch auf Familiennachzug gemäss Art. 47 Abs. 1 AIG innerhalb von fünf Jahren geltend gemacht werden. Die Fristen beginnen bei Familienangehörigen von Ausländerinnen und Ausländern mit der Erteilung der Aufenthalts- Niederlassungsbewilligung der Entstehung des Familienverhältnisses (Abs. 3 lit. b). Diese Fristen gelten auch, wenn – wie vorliegend – ein Familienangehöriger, dem im Rahmen eines Familiennachzugsgesuchs eine Niederlassungsbewilligung erteilt worden war, die Schweiz verlässt und nachher wieder zum selben Ehegatten zurückkehren will. Der Ehemann der Beschwerdeführerin hat mit seiner Ausreise im Jahr 2018 freiwillig auf einen Aufenthalt in der Schweiz verzichtet, weshalb er sich für den Beginn des Fristenlaufs nicht auf einen späteren Zeitpunkt, etwa die Wiedereinreise in die Schweiz, berufen kann (Urteil des Bundesgerichts 2C_147/2015 vom 22. März 2016 E. 2.4.2). Würde jede wesentliche Änderung der Umstände – unabhängig von einem Statuswechsel (z.B. von einer Aufenthalts- zu einer Niederlassungsbewilligung) – eine neue Nachzugsfrist auslösen, würden die Nachzugsfristen ausgehöhlt, was nicht dem Willen des Gesetzgebers entspricht (Urteil des Bundesgerichts 2C_10/2022 vom 21. September 2022 E. 3.4; diesbezüglich kann auch auf die zutreffenden Ausführungen des MISA in der angefochtenen Verfügung vom 15. Juni 2023 verwiesen werden). Die Voraussetzungen für einen fristgerechten Familiennachzug (fünf Jahre nach der Heirat am [...] 2008) sind vorliegend folglich nicht erfüllt.

 

5.1 Fraglich und zu prüfen ist, ob wichtige familiäre Gründe für einen nachträglichen Familiennachzug gegeben sind.

 

5.2 Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung (vgl. Urteil 2C_143/2022 vom 18. Januar 2023 E. 4.3 f. mit Hinweisen) hat die Bewilligung des Nachzugs nach Ablauf der Frist nach dem Willen des Gesetzgebers die Ausnahme zu bleiben; dabei ist Art. 47 Abs. 4 AIG praxisgemäss jeweils aber dennoch so zu handhaben, dass der Anspruch auf Schutz des Familienlebens nach Art. 8 EMRK bzw. Art. 13 BV nicht verletzt wird. Der Begriff der wichtigen familiären Gründe hat im Zusammenhang mit dem Nachzug des Ehepartners keine ausdrückliche Regelung in der VZAE gefunden. 

 

Der historische Gesetzgeber beabsichtigte beim Erlass von Art. 47 Abs. 4 AIG, die Integration durch einen möglichst frühzeitigen Nachzug der Familienmitglieder zu fördern, indessen nicht die Nachzugsgründe auf nicht vorhersehbare Ereignisse zu beschränken. Die gesetzliche Regelung des Familiennachzuges ist, wie aus der parlamentarischen Debatte hervorgeht, eine Kompromisslösung zwischen den konträren Anliegen, einerseits das Familienleben zu gestatten und andererseits die Einwanderung zu begrenzen. Das Interesse an einer Kontrolle und Steuerung der Zuwanderung (Art. 121a BV) bzw. an der Erhaltung eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen schweizerischer und ausländischer Wohnbevölkerung ist ein legitimes Interesse, das im Rahmen der Verhältnismässigkeit Eingriffe in den Schutzbereich von Art. 8 EMRK rechtfertigen kann. Das Bundesgericht geht davon aus, dass eine Familie, die über Jahre freiwillig getrennt gelebt hat, dadurch ihr beschränktes Interesse an einem ortsgebundenen (gemeinsamen) Familienleben zum Ausdruck bringt; in einer solchen Konstellation, in der die familiären Beziehungen während Jahren über die Grenzen hinweg besuchsweise und mittels moderner Kommunikationsmittel gelebt werden, überwiegt regelmässig das der ratio legis von Art. 47 Abs. 4 AIG zugrunde liegende legitime Interesse an der Einwanderungssteuerung, solange nicht objektive, nachvollziehbare Gründe, welche von den Betroffenen zu bezeichnen und zu rechtfertigen sind, etwas anderes nahelegen. Ob wichtige familiäre Gründe vorliegen, ist aufgrund einer Gesamtsicht unter Berücksichtigung aller relevanten Elemente im Einzelfall zu entscheiden. 

 

Der alleinige Wunsch, die Familie zu vereinigen, stellt keinen wichtigen familiären Grund dar. Indessen liegt ein wichtiger Grund beispielsweise vor, wenn die weiterhin notwendige Betreuung der Kinder im Herkunftsland wegen des Todes der Krankheit der betreuenden Person nicht mehr gewährleistet ist und keine sinnvolle andere Alternative in der Heimat gefunden werden kann (Urteil 2C_30/2023 vom 14. September 2023 E. 5.5).

 

5.3 Es mag sein, dass der Ehemann der Beschwerdeführerin wieder mit ihr und dem gemeinsamen Sohn zusammenleben will. Unbestritten ist zudem, dass bei der Interessenabwägung zwischen den privaten Interessen und dem öffentlichen Fernhalteinteresse dem Kindswohl Rechnung zu tragen ist; es ist bei allen Entscheiden vorrangig zu berücksichtigen und stellt in der Interessenabwägung ein wesentliches Element unteren anderen dar (Urteil 2C_30/2023 vom 14. September 2023 E. 5.2).

 

In der ausländerrechtlichen Interessenabwägung ist das Kindswohl rechtsprechungsgemäss aber nicht das allein ausschlaggebende Element. Praxisgemäss bedarf es vielmehr einer Gesamtschau unter Berücksichtigung aller wesentlichen Elemente (Urteil 2C_30/2023 vom 14. September 2023 E. 5.3) und bei dieser Gesamtschau hat das MISA die übrigen Elemente zu Recht höher gewichtet.

 

Der Beschwerdeführer hat seine Ehefrau und den gemeinsamen Sohn im September 2018 verlassen, ohne ihnen überhaupt mitzuteilen, wohin er gehe. Gemäss Angaben der Beschwerdeführerin (Eheschutzverfahren, AS 184 ff.) hat er die eheliche Wohnung mitsamt einem Bundesordner wichtiger Dokumente und dem Familienauto einfach verlassen. Die Post konnte ihm nicht mehr zugestellt werden und er erschien auch nicht zur Eheschutzverhandlung. Unterhalt für seinen Sohn bezahlte er nicht. In Deutschland, wohin er sich begab, hatte (oder hat) er eine neue Partnerin, mit der er zwei Kinder hat. Es ist also, wie das MISA zu Recht erwähnt, von einer gelebten Beziehung zu seiner Partnerin auszugehen, zumindest für eine längere Zeit. Daran ändert entgegen seinen Ausführungen nichts, dass er seine Partnerin nicht geheiratet hat.

 

Es kann aufgrund dieser Umstände auch nicht davon ausgegangen werden, der Ehemann der Beschwerdeführerin habe diese nur kurzzeitig verlassen; ebenso wenig, er habe eigentlich keine Beziehung mit D.___ haben wollen das Zusammenleben mit ihr habe nur etwa ein Jahr gedauert. Wäre es tatsächlich so gewesen, dass er relativ bald nach der Trennung bemerkt hätte, einen Fehler begangen zu haben, wäre er wohl früher zu seiner Ehefrau zurückgekehrt und hätte nicht noch zwei Kinder mit D.___ gezeugt. In diesem Zusammenhang weist das MISA auch berechtigterweise darauf hin, dass er gemäss Aktenlage das zweite Kind nie erwähnte, wohl tatsächlich in der Hoffnung, seine Beziehung zu D.___ möge lediglich als Affäre erscheinen. Schliesslich zeigt auch der Umstand, dass er bereits am 16. Oktober 2019 – zu einem Zeitpunkt, als D.___ das gemeinsame zweite Kind erwartete – einen Antrag um Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung resp. Niederlassungsbewilligung stellte, dass es ihm wohl in erster Linie darum geht, in der Schweiz einen gültigen Aufenthaltstitel zu erlangen. In diesem Antrag hatte er erwähnt, er lebe seit 23. Februar 2015 mit seiner Ehefrau in [...] und sie hätten einen gemeinsamen Sohn (wohlwissend, dass er am 21. September 2018 die Schweiz verlassen hatte).

 

Es ist somit festzuhalten, dass zumindest der Ehemann eine Trennung bewusst in Kauf genommen resp. er sich bewusst dafür entschieden hat(te), getrennt von seiner Familie in der Schweiz zu leben. Auch die Beschwerdeführerin wollte die Beziehung zu ihm unter diesen Umständen nicht mehr weiterführen.

 

Dafür, dass der Ehemann in der Lage wäre, die Beschwerdeführerin und ihren gemeinsamen Sohn so zu unterstützen, dass sie keine Sozialhilfe mehr beziehen würde, gibt es keine ausreichenden Anhaltspunkte. Die Beschwerdeführerin erwähnt zwar einen Arbeitsvertrag bezüglich einer Anstellung, die ihr Ehemann ab 1. September 2023 gefunden habe (AS 504), dieser Hinweis belegt das entsprechende Vorbringen aber nicht. Der Ehemann der Beschwerdeführerin scheint in der Arbeitswelt nicht sehr zuverlässig zu sein (vgl. beispielsweise das Schreiben der [...] GmbH vom 16. August 2022, AS 495) und er hat seit seiner Trennung von der Beschwerdeführerin weder für seinen Sohn Unterhalt bezahlt noch kommt er seinen Unterhaltspflichten gegenüber seinen Kindern in Deutschland nach (AS 489), dies, obwohl er in Deutschland auch gearbeitet hat. Es ist daher mit grosser Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass auch er dereinst, jedenfalls teilweise, von der Sozialhilfe unterstützt werden müsste.

 

5.4 Zusammenfassend liegt folglich weder ein wichtiger familiärer Grund vor, der einen nachträglichen Familiennachzug rechtfertigen würde, noch ein Eingriff in Art. 8 EMRK. Der Beschwerdeführerin und ihrem Sohn ist es zuzumuten, die familiäre Beziehung über regelmässige Besuche und über moderne Kommunikationsmittel aufrechtzuerhalten.

 

6. Die Beschwerde erweist sich damit als unbegründet und sie ist entsprechend abzuweisen.

 

7. Die zuständigen Behörden erlassen nach Art. 64 Abs. 1 AIG eine ordentliche Wegweisungsverfügung, wenn eine Ausländerin ein Ausländer eine erforderliche Bewilligung nicht besitzt (lit. a), eine Ausländerin ein Ausländer die Einreisevoraussetzungen nicht nicht mehr erfüllt (lit. b) einer Ausländerin einem Ausländer eine Bewilligung verweigert nach bewilligtem Aufenthalt widerrufen nicht verlängert wird (lit. c). Nach Art. 26b der Verordnung über den Vollzug der Weg- und Ausweisung sowie der Landesverweisung von ausländischen Personen (VVWAL, SR 142.281) enthält die Wegweisungsverfügung den Zeitpunkt, bis zu dem die ausländische Person die Schweiz zu verlassen hat und die Androhung von Zwangsmassnahmen im Unterlassungsfall.

 

Der Ehemann der Beschwerdeführerin hält sich offenbar seit 1. Mai 2022 in der Schweiz auf, dies ohne im Besitz einer Aufenthaltsbewilligung zu sein. Nachdem der bewilligungsfreie Zeitraum von 90 Tagen längstens abgelaufen ist, hat er die Schweiz somit zu verlassen, dies innert 30 Tagen nach Rechtskraft des vorliegenden Entscheides.

 

8. Bei diesem Ausgang hat die Beschwerdeführerin die Kosten des Verfahrens vor Verwaltungsgericht zu bezahlen, die einschliesslich der Entscheidgebühr auf CHF 1'500.00 festzusetzen sind. Sie werden mit dem geleisteten Kostenvorschuss in gleicher Höhe verrechnet. Eine Parteientschädigung kann zufolge Unterliegens nicht zugesprochen werden.

 

 

Demnach wird erkannt:

 

1.    Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.    B.___ hat die Schweiz – unter Androhung von Zwangsmassnahmen – innert 30 Tagen nach Rechtskraft des vorliegenden Entscheides zu verlassen.

3.    Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Verfahrens vor Verwaltungsgericht von CHF 1'500.00 zu bezahlen.

4.    Eine Parteientschädigung ist nicht zuzusprechen.

 

 

Rechtsmittel: Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Eröffnung des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Schweizerischen Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich.

 

Im Namen des Verwaltungsgerichts

Der Präsident                                                                    Die Gerichtsschreiberin

Thomann                                                                          Ramseier



 
Quelle: https://gerichtsentscheide.so.ch/
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