Zusammenfassung des Urteils VWBES.2023.191: Verwaltungsgericht
Das Verwaltungsgericht hat entschieden, den Führerausweis von A.___ auf unbestimmte Zeit zu entziehen, da seine Fahreignung aufgrund gesundheitlicher Probleme in Frage gestellt wurde. A.___ hatte gegen diese Entscheidung Beschwerde eingelegt, die jedoch abgewiesen wurde. Eine verkehrsmedizinische Untersuchung bestätigte die fehlende Fahreignung. Das Gericht bestätigte die Auflagen für die Wiedererteilung des Führerausweises und wies die Beschwerde von A.___ als unbegründet ab. Die Gerichtskosten belaufen sich auf CHF 1'000.00.
Kanton: | SO |
Fallnummer: | VWBES.2023.191 |
Instanz: | Verwaltungsgericht |
Abteilung: | Verwaltungsgericht |
Datum: | 20.07.2023 |
Rechtskraft: |
Leitsatz/Stichwort: | - |
Schlagwörter: | Führerausweis; Fahreignung; Gutachten; Auflage; Auflagen; Verwaltung; Verwaltungsgericht; Weises; Führerausweises; Urteil; Beschwerde; Bundesgericht; Sicherungsentzug; Kommentar; Beschwerdeführers; Wiedererteilung; Beurteilung; Strassenverkehrsgesetz; Person; Motorfahrzeug; Bundesgerichts; Verfahren; Verfügung; Untersuchung; Verkehrsmedizin; Führerausweisentzugs; Basler |
Rechtsnorm: | Art. 16d SVG ;Art. 17 SVG ;Art. 95 SVG ; |
Referenz BGE: | 129 II 82; |
Kommentar: | Bernhard Rütsche, Basler Strassenverkehrsgesetz, Art. 16 SVG, 2014 |
Geschäftsnummer: | VWBES.2023.191 |
Instanz: | Verwaltungsgericht |
Entscheiddatum: | 20.07.2023 |
FindInfo-Nummer: | O_VW.2023.157 |
Titel: | Sicherungsentzug des Führerausweises |
Resümee: |
Verwaltungsgericht
Urteil vom 20. Juli 2023 Es wirken mit: Präsident Thomann Oberrichterin Hunkeler Oberrichterin Weber-Probst Gerichtsschreiberin Hasler In Sachen A.___
Beschwerdeführer
gegen
Bau- und Justizdepartement, vertreten durch Motorfahrzeugkontrolle,
Beschwerdegegner
betreffend Sicherungsentzug des Führerausweises zieht das Verwaltungsgericht in Erwägung:
I.
1. Am 20. September 2022 unterzog die Kantonspolizei Zürich A.___ (geb. 1959, im Folgenden: Beschwerdeführer) am Flughafen Kloten einer Personenkontrolle. Dabei stellte die Polizei eine geistige Abwesenheit und eine motorische Verlangsamung fest. Bei der Befragung sei der Beschwerdeführer immer wieder abgeschweift und sei unkonzentriert gewesen. In der Gesamtbetrachtung sei die Vermutung entstanden, dass er nicht fahrfähig sei. Die Polizei nahm ihm deshalb den Führerausweis ab.
2. Die Motorfahrzeugkontrolle des Kantons Solothurn (MFK) eröffnete in der Folge ein Verfahren. Mit Verfügung vom 31. Oktober 2022 entzog sie, namens des Bau- und Justizdepartements, dem Beschwerdeführer den Führerausweis vorsorglich und wies ihn zur Abklärung der Fahreignung einer verkehrsmedizinischen Untersuchung am Begutachtungszentrum Verkehrsmedizin in Zürich (bzvm) zu.
3. Die vom Beschwerdeführer gegen diese Verfügung erhobene Beschwerde ans Verwaltungsgericht wurde mit Urteil vom 22. Februar 2023 abgewiesen. Der Beschwerdeführer focht das Urteil nicht an.
4. Die verkehrsmedizinische Untersuchung am bzvm fand am 18. April 2023 statt. Die zuständige Verkehrsmedizinerin erstellte das Gutachten am 21. April 2023. Sie verneinte aus verkehrsmedizinischer Sicht die Fahreignung des Beschwerdeführers.
5. Nach Gewährung des rechtlichen Gehörs entzog die MFK dem Beschwerdeführer mit Verfügung vom 30. Mai 2023 den Führerausweis aller Kategorien, Unterkategorien und Spezialkategorien auf unbestimmte Zeit (Sicherungsentzug) und auferlegte ihm für die Wiedererteilung des Führerausweises folgende Auflagen: - Psychiatrische Standortbestimmung und Behandlung des Krankheitsbildes gemäss fachärztlicher Empfehlung. Die ärztlichen Weisungen sind zu befolgen. - Einreichen eines psychiatrischen Therapieberichtes. - Neuropsychologische Abklärung bei einer Fachperson für Neuro- und Verkehrspsychologie. - Einreichen eines neuro-/verkehrspsychologischen Gutachtens. - Verkehrsmedizinische Beurteilung der Fahreignung durch eine Ärztin einen Arzt mit der Anerkennungsstufe 4, vorerst anhand der eingereichten psychiatrischen Berichte und des neuropsychologischen Gutachtens. - Verkehrsmedizinisches Gutachten mit positivem Ergebnis. - Durchführung einer Funktionsprobe durch einen Verkehrsexperten und allenfalls Fahrzeuganpassungen.
6. Gegen den durch die MFK am 30. Mai 2023 verfügten Sicherungsentzug erhob der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 1. Juni 2023 fristgerecht Beschwerde ans Verwaltungsgericht und beantragte sinngemäss die Aufhebung der angefochtenen Verfügung, die Überprüfung der Verhältnismässigkeit der Voraussetzungen für die Aufhebung des Entzugs und die zeitliche Befristung des Führerausweisentzugs. Mit Schreiben vom 7. Juni 2023 verwies er für die Begründung seiner Beschwerde auf diverse Bundesgerichtsentscheide und die «Kaskadenfolge».
7. Mit Vernehmlassung vom 28. Juni 2023 beantragte die Motorfahrzeugkontrolle die Abweisung der Beschwerde.
8. Mit Stellungnahme vom 7. Juli 2023 führte der Beschwerdeführer einzig aus, es stelle sich die Frage nach dem Geltungsbereich des ausländischen und des schweizerischen Führerausweises, wobei er auf die Kommentarstelle im Basler Kommentar von Adrian Bussmann, in: Marcel Alexander Niggli et al. [Hrsg.], Basler Kommentar, Strassenverkehrsgesetz, 2014, Art. 95 SVG N 25, verwies.
II.
1. Die Beschwerde ist frist- und formgerecht erhoben worden. Sie ist zulässiges Rechtsmittel und das Verwaltungsgericht zur Beurteilung zuständig (vgl. § 49 Gerichtsorganisationsgesetz, GO, BGS 125.12). Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Entscheid beschwert und damit zur Beschwerde legitimiert. Auf die Beschwerde ist einzutreten.
2.1. Die Vorinstanz entzog dem Beschwerdeführer den Führerausweis gestützt auf Art. 16d Abs. 1 lit. a des Strassenverkehrsgesetzes (SR 741.01, SVG). Nach Art. 16d Abs. 1 lit. a SVG wird einer Person der Führerausweis auf unbestimmte Zeit entzogen, wenn ihre körperliche und geistige Leistungsfähigkeit nicht nicht mehr ausreicht, ein Motorfahrzeug sicher zu führen. In Bezug auf die rechtliche Würdigung, ob in einem konkreten Fall die Fahreignung gegeben ist, haben die Behörden einen Beurteilungsspielraum. Dieser ist tendenziell gering, wenn die Frage nach der Fahreignung auf der Basis erhärteter medizinischer Befunde beantwortet werden kann. Demgegenüber erweitert sich der Beurteilungsspielraum, wenn ein Suchtleiden charakterliche Defizite als mögliche Gründe für eine fehlende Fahreignung und damit für einen Sicherungsentzug zu prüfen sind (Bernhard Rütsche/Nadja D’Amico, in: Basler Kommentar, Strassenverkehrsgesetz, 2014, N 6 zu Art. 16d SVG).
2.2. Bei der körperlichen Untersuchung des Beschwerdeführers durch das bzvm am 18. April 2023 wurde insbesondere festgestellt, dass er seit Geburt an einer Cerebralparese der rechten Körperhälfte leide. Weiter führt die Gutachterin im Gutachten vom 21. April 2023 zusammenfassend aus, dass der Beschwerdeführer gemäss eigenen Angaben alleine lebe und sich selbst versorge. Inwieweit er beruflich tätig sei, sei aufgrund seiner Angaben unklar geblieben und er habe nicht gewusst, ob er eine IV-Rente kriege. Er sei Jurist und arbeite zu Hause «zum Beispiel mit Zahlungen und Bankverbindungen». Auf Nachfrage habe er angegeben, dass es sich um seine persönliche Verwaltung handle. Er habe bestätigt, dass er ein Automatikfahrzeug ohne Umbauten fahre. Vom Hausarzt sei bestätigt worden, dass er seit 2010 nicht mehr in seiner Behandlung stehe. Die Gutachterin des bzvm bestätigt die damalige Diagnose des Hausarztes einer psychotischen Entwicklung mit rezidivierenden Dekompensationen ab dem Jahr 1999. Ferner hält sie an der aus einem psychiatrischen Gutachten aus dem Jahr 2011 diagnostizierten schizotypen Störung fest. Es handle sich dabei um eine chronische psychiatrische Problematik mit u.a. kognitiven Wahrnehmungsverzerrungen sowie sozialen Ängsten. Die Erkrankung sei behandlungsbedürftig. Es werde davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer zurzeit nicht behandelt werde und keine Medikamente einnehme. Im Rahmen der aktuellen Untersuchung habe sich insgesamt eine deutliche Verlangsamung gezeigt, welche insbesondere durch die groben Rastertests zur Beurteilung von Hirnleistungsdefiziten (insb. Trail-Making-Test zur Überprüfung der Frontalhirn-Leistungsfunktionen [gesteuerte Impulsivität, Antriebsmotorik, Erfassen und richtiges Umsetzen der erfassten Sinneseindrücke etc.]) nachgewiesen worden seien. Aufgrund der aktuellen Ergebnisse müsse daher davon ausgegangen werden, dass Defizite bestünden, die eine erhebliche Auswirkung auf das sichere Lenken eines Fahrzeugs hätten. Die Fahreignung des Beschwerdeführers müsse daher aus verkehrsmedizinischer Sicht verneint werden.
2.3. Das Gutachten vom 21. April 2023 ist klar, schlüssig und stringent. Aus dem Gutachten geht unmissverständlich hervor, dass die Fahreignung in der Gesamtbetrachtung aller vorliegenden Erkrankungen und Störungen aus verkehrsmedizinischer Sicht verneint werden muss. Der Beschwerdeführer selbst zweifelt das Gutachten nicht an. Das Ergebnis des Gutachtens deckt sich sodann mit den Vorakten und leuchtet auch im Zusammenhang mit dem Vorfall vom 20. September 2022 (vgl. dazu VWBES.2022.410) sowie den wirren Eingaben des Beschwerdeführers ans Verwaltungsgericht ein. Der Beschwerdeführer bestritt bereits im Verfahren betreffend vorsorglicher Entzug des Führerausweises die gemachten Sachverhaltsfeststellungen nicht (VWBES.2022.410). Die damals angenommenen ernsthaften Zweifel an der Fahreignung wurden durch das aktuelle Gutachten vom 21. April 2023 erhärtet. Unter diesen Umständen besteht keine Veranlassung, von der gutachterlichen Würdigung abzuweichen.
3.1. Die Vorinstanz auferlegte dem Beschwerdeführer für die Wiedererteilung des Führerausweises diverse Auflagen. Der Beschwerdeführer macht sinngemäss geltend, die Auflagen seien unverhältnismässig.
3.2. Der gestützt auf eine Fahreignungsabklärung im Sinne von Art. 16d SVG auf unbestimmte Zeit entzogene Führerausweis kann gemäss Art. 17 Abs. 3 SVG bedingt und unter Auflagen wiedererteilt werden, wenn eine allfällige gesetzliche verfügte Sperrfrist abgelaufen ist und die betroffene Person die Behebung des Mangels nachweist, der die Fahreignung ausgeschlossen hat. Es ist daher grundsätzlich Sache und Risiko des mit dem Ausweisentzug Belegten, nachzuweisen, dass keine Entzugsgründe mehr bestehen. Die Art des Nachweises hängt davon ab, welcher Mangel die Fahreignung ausgeschlossen hat (vgl. Bernhard Rütsche/Denise Weber, in: Marcel Alexander Niggli et al. [Hrsg.], Basler Kommentar, Strassenverkehrsgesetz, 2014, Art. 17 SVG N 21). Die an die Wiedererteilung des Führerausweises regelmässig geknüpften Auflagen sind Nebenbestimmungen, die dazu dienen, Unsicherheiten beim Nachweis Rechnung zu tragen, dass der jeweilige Fahreignungsmangel tatsächlich behoben und die Fahrfähigkeit der betroffenen Person stabil ist. Die Auflagen müssen den konkreten Umständen angepasst und verhältnismässig sein (vgl. Urteil des Bundesgerichts 1C_220/2011 vom 24. August 2011, E.2). Die Anordnung der Auflagen richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls und liegt im pflichtgemässen Ermessen der Entzugsbehörde (BGE 129 II 82; Urteil des Bundesgerichts 1C_243/2010 vom 10. Dezember 2010, E.2.2), denn im Gesetz findet sich auf die Frage, wie solche Auflagen auszugestalten und wie lange sie aufrechtzuerhalten seien, keine abschliessende Antwort (vgl. Philippe Weissenberger, Kommentar zum Strassenverkehrsgesetz und Ordnungsbussengesetz, 2. Auflage 2015, Art. 17 SVG N 14).
3.3. Die Vorinstanz stützt die von ihr verfügten Auflagen zur Wiedererteilung des Führerausweises auf das Gutachten vom 21. April 2023. Da ohne Weiteres auf das Gutachten abgestellt werden kann und muss, sind auch die darauf basierenden Empfehlungen zu den Auflagen sachgerecht. Die Vorinstanz verlangt nicht mehr weniger als das, was durch das bzvm empfohlen wurde. Die für die Wiedererteilung des Führerausweises zu tätigenden psychiatrischen, neuropsychologischen und verkehrsmedizinischen Abklärungen ergeben sich aufgrund der medizinischen Befunde beim Beschwerdeführer und sind notwendig. Es sind keine Gründe ersichtlich, weshalb davon abgewichen werden dürfte bzw. müsste. Mildere Auflagen sind denn auch nicht ersichtlich. Damit sind die verfügten Auflagen zu bestätigen.
4.1. Weiter rügt der Beschwerdeführer sinngemäss die Anordnung des Führerausweisentzugs auf unbestimmte Zeit. Er verlangt eine zeitliche Befristung des Führerausweisentzugs.
4.2. Bereits aus dem Gesetzeswortlaut von Art. 16d Abs. 1 SVG ergibt sich klar, dass, sofern insbesondere die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit der betroffenen Person nicht nicht mehr ausreicht, ein Motorfahrzeug sicher zu führen, der Führerausweis auf unbestimmte Zeit entzogen wird. Im Zeitpunkt der Anordnung eines Sicherungsentzugs lässt sich typischerweise nicht voraussehen, wie lange der Zustand der fehlenden Fahreignung andauern wird (Bernhard Rütsche/Nadja D’Amico, a.a.O., N 5 zu Art. 16d). Eine vom Beschwerdeführer beantragte zeitliche Befristung des Führerausweisentzugs ist nicht möglich.
5. Was der Beschwerdeführer schliesslich aus den von ihm erwähnten Bundesgerichtsentscheiden ableiten möchte, ist unklar. Auch die von ihm vorgebrachte Kaskadenfolge findet vorliegend keine Anwendung. Schliesslich ist auch der Verweis auf das Verhältnis zwischen dem ausländischen und dem schweizerischen Führerausweis nicht relevant.
6. Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet, sie ist abzuweisen. Bei diesem Ausgang hat der Beschwerdeführer die Kosten des Verfahrens vor Verwaltungsgericht zu bezahlen, die einschliesslich der Entscheidgebühr auf CHF 1'000.00 festzusetzen sind.
Demnach wird erkannt:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen. 2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Verfahrens vor Verwaltungsgericht von CHF 1'000.00 zu bezahlen.
Rechtsmittel: Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Eröffnung des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Schweizerischen Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich.
Im Namen des Verwaltungsgerichts Der Präsident Die Gerichtsschreiberin Thomann Hasler
Auf eine gegen das vorliegende Urteil erhobene Beschwerde trat das Bundesgericht mit Urteil 1C_382/2023 vom 25. August 2023 nicht ein. |
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