Zusammenfassung des Urteils VWBES.2023.181: Verwaltungsgericht
Das Verwaltungsgericht hat die Beschwerde von A.___ gegen das Migrationsamt abgewiesen, das ihr Gesuch um Familiennachzug ihres Ehemannes B.___ abgelehnt hatte. A.___ hatte argumentiert, dass sie und ihr Mann nach schwierigen Ehejahren die Chance auf ein gemeinsames Familienleben verdient hätten. Trotzdem wurde das Gesuch abgelehnt, da wichtige familiäre Gründe fehlten und die Frist für den Familiennachzug abgelaufen war. Das Gericht wies darauf hin, dass die Familie bewusst getrennt gelebt hatte und dass der Ehemann von A.___ eine hohe Straffälligkeit aufwies. Die Beschwerdeführerin wurde zur Zahlung der Gerichtskosten verurteilt.
Kanton: | SO |
Fallnummer: | VWBES.2023.181 |
Instanz: | Verwaltungsgericht |
Abteilung: | Verwaltungsgericht |
Datum: | 18.10.2023 |
Rechtskraft: |
Leitsatz/Stichwort: | - |
Schlagwörter: | Familie; Ehemann; Familiennachzug; Gesuch; Kinder; Sozialhilfe; Frist; Schweiz; Gericht; Recht; Interesse; Aufenthalt; Urteil; Verwaltungsgericht; Ehemannes; Aufenthaltsbewilligung; Trennung; Familiennachzugs; Apos; Nordmazedonien; Beruf |
Rechtsnorm: | Art. 121a BV ;Art. 123 ZPO ;Art. 13 BV ;Art. 47 AIG ;Art. 8 EMRK ; |
Referenz BGE: | - |
Kommentar: | - |
Geschäftsnummer: | VWBES.2023.181 |
Instanz: | Verwaltungsgericht |
Entscheiddatum: | 18.10.2023 |
FindInfo-Nummer: | O_VW.2023.228 |
Titel: | Familiennachzug |
Resümee: |
Verwaltungsgericht
Urteil vom 18. Oktober 2023 Es wirken mit: Oberrichter Frey Oberrichter Müller Gerichtsschreiberin Ramseier
In Sachen A.___
Beschwerdeführerin
gegen
Departement des Innern, vertreten durch Migrationsamt,
Beschwerdegegner
betreffend Familiennachzug zieht das Verwaltungsgericht in Erwägung:
I.
1. Mit Eingabe vom 24. Juni 2021 (Posteingang) ersuchte A.___ (geb. am [...] 1988 in [...], heute Nordmazedonien) um Familiennachzug ihres Ehemannes B.___ (geb. [...] 1983). Das Gesuch wurde damit begründet, sie hätten zwei gemeinsame Kinder und nun biete sich ihnen nach acht schwierigen Ehejahren/Problemen die Chance, als Familie zusammenzuleben. Es sei ihr bewusst, dass es für sie als Sozialhilfeempfängerin schwierig sei, eine Person nachzuziehen. Für sie als alleinerziehende Mutter sei es jedoch auch eine Chance, sich vom Sozialamt zu lösen. Ihr Mann würde sehr schnell in die Berufswelt einsteigen. Ihr Ziel sei es auch, im Rahmen einer Teilzeitstelle in ihren erlernten Beruf (Kauffrau) zurückzufinden (AS 212 ff.).
Nach Gewährung des rechtlichen Gehörs wies das Migrationsamt (MISA) namens des Departements des Innern (DdI) das Gesuch um Familiennachzug zugunsten von B.___ mit Verfügung vom 12. Mai 2023 ab (AS 2 ff.).
2. Gegen diese Verfügung erhob A.___ (nachfolgend Beschwerdeführerin) am 25. Mai 2023 Beschwerde beim Verwaltungsgericht mit den Anträgen auf deren Aufhebung und Gutheissung des Gesuchs um Familiennachzug resp. um Erhalt einer Aufenthaltsbewilligung für ihren Ehemann.
3. Mit Eingabe vom 13. Juni 2023 beantragte das Migrationsamt die Abweisung der Beschwerde.
4. Am 6. Juli 2023 reichte die Beschwerdeführerin eine erneute Eingabe ein, um sich nochmals zu ihrer Situation zu äussern.
5. Für die weiteren Ausführungen der Parteien wird auf die Akten verwiesen; soweit erforderlich ist im Folgenden darauf einzugehen.
II.
1. Die Beschwerde ist frist- und formgerecht erhoben worden. Sie ist zulässiges Rechtsmittel und das Verwaltungsgericht zur Beurteilung zuständig (vgl. § 49 Gerichtsorganisationsgesetz, GO, BGS 125.12). Die Beschwerdeführerin ist durch den negativen Entscheid betreffend ihren Ehemann beschwert und damit zur Beschwerde legitimiert. Auf die Beschwerde ist einzutreten.
2. Die Beschwerdeführerin reiste im Februar 1989 in die Schweiz ein und verfügt über eine Niederlassungsbewilligung. Am [...] 2013 heiratete sie in Nordmazedonien B.___. Am 20. September 2013 reichte sie zu seinen Gunsten ein Familiennachzugsgesuch ein, welches am 20. Dezember 2013 bewilligt wurde (AS 247 ff.). B.___ meldete sich in der Folge indessen nie bei der Einwohnergemeinde an und war somit nie im Besitz einer Aufenthaltsbewilligung. Am [...] 2013 wurde der gemeinsame Sohn [...] geboren, am [...] 2017 der Sohn [...] (AS 151 ff.). Die Beschwerdeführerin wird seit August 2014 sozialhilferechtlich unterstützt (AS 181 f.). Mit Urteil vom 26. Juni 2015 hat der Amtsgerichtspräsident von Solothurn-Lebern erkannt, dass die Ehegatten zum Getrenntleben berechtigt seien. Es werde festgestellt, dass die Trennung per 15. Juli 2013 erfolgt sei (AS 215).
Wie erwähnt, reichte die Beschwerdeführerin am 24. Juni 2021 ein erneutes Gesuch um Familiennachzug ihres Ehemannes ein. Aus den in diesem Zusammenhang eingeforderten und eingereichten Unterlagen geht hervor, dass der Saldo der an die Beschwerdeführerin geleisteten Sozialhilfe per 16. Juni 2021 CHF 216'581.05 betrug (Schreiben der Sozialen Dienste Oberer Leberberg vom 19. Juli 2021, AS 181 f.). Die Beschwerdeführerin werde seit August 2014 vollumfänglich unterstützt, sie reiche seit mehreren Jahren ein Arztzeugnis betreffend eine Arbeitsunfähigkeit von 100 % ein (gemäss ärztlicher Rückmeldung sei sie [...] und habe [...]) und habe zuletzt im Jahr 2012 gearbeitet. Es wäre mehr Kooperation seitens der Beschwerdeführerin erwünscht, bisher sei sie eher zurückhaltend unterwegs, was die Arbeitsintegration anbelange. Aufgrund einer Auflage der Sozialen Dienste sei sie momentan in einem Beschäftigungsprogramm zu ca. 15 % und es laufe eine IV-Anmeldung. Aktuelleren Unterlagen kann entnommen werden, dass die Beschwerdeführerin seit Dezember 2022 für die [...] AG tätig ist, wo sie einen Lohn von CHF 760.00 erzielt (plus Kinderzulagen, AS 41 ff.). Daneben bezieht sie weiterhin Sozialhilfe (der Saldo beträgt per 9. Februar 2023 nun CHF 266'132.85, AS 25). Das IV-Verfahren ist noch hängig und gemäss Arztzeugnissen ist sie weiterhin zu 100 % arbeitsunfähig (AS 22 ff.).
Für ihren Ehemann reichte sie einen Arbeitsvertrag ein. Nach Erhalt der Aufenthaltsbewilligung könne er bei der Firma [...] GmbH in [...] als Sanitärinstallateur arbeiten, wo er bei einem 100%-Pensum einen Bruttolohn von CHF 4'500.00 erzielen würde (AS 17 ff.). Gemäss eingereichter Gerichtsurteile wurde ihr Ehemann in Nordmazedonien am 7. September 2001 wegen zweifachem, schwerem Diebstahl zu einer Erziehungsmassnahme verurteilt (AS 121 ff.), am 14. Mai 2008 erfolgte eine Verurteilung zu einem Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung wegen Urkundenfälschung (AS 79 ff.) und am 25. Januar 2018 eine zu drei Jahren Haft wegen versuchten Mordes, begangen am 16. Juli 2013 (AS 83 ff.). Für letztere Strafe lief die Bewährung vom 25. September 2020 bis 25. September 2021 (AS 65).
In der schriftlichen Stellungnahme vom 4. April 2023 (AS 9 f.) führte die Beschwerdeführerin zu ihrer Situation aus, sie möchte, dass ihre Kinder in einem normalen Umfeld aufwachsen könnten. Ihre Kinder seien auch der Grund gewesen, weshalb sie und ihr Mann die 10 schweren Jahre der Trennung über sich hätten ergehen lassen. Sie wollten nicht, dass ihre Kinder in einer korrupten Welt aufwachsen müssten (wo sich Täter freikaufen könnten, wo Diplome gekauft würden, wo man die Polizei und Richter bestechen könne). Ihr Mann sei Mitte Juli 2013 von ihrem Ex-Verlobten im Auto angegriffen worden. Er habe sich gewehrt, vielleicht auch überreagiert, habe ein Sackmesser, welches im Auto gewesen sei, genommen und sich damit gewehrt. Er habe ihren Ex-Verlobten nicht umbringen wollen. Ihr Mann sei zunächst freigesprochen, dann aber im Jahr 2018 verurteilt worden. Sie habe nicht innert fünf Jahren ein Familiennachzugsgesuch stellen können, weil dieser Vorfall nicht abgeschlossen gewesen sei. Im Jahr 2019 habe er seine Strafe antreten müssen. Im Jahr 2015 habe sie sich beim Gericht trennen lassen, weil das Sozialamt im Jahr 2014, als sie sich angemeldet habe, einen richterlichen Entscheid dahingehend, ob ihr Mann Unterhalt bezahlen könne nicht, gebraucht habe. Die Trennung sei von ihr verlangt worden, weil sie ansonsten kein Recht auf Sozialhilfe gehabt hätte. Sie würden gerne als Familie zusammenleben. Dieses Hin und Her, drei Monate hier, drei Monate dort, sei für sie, auch für die Kinder, sehr schwer und belastend.
3.1 Das MISA begründete die angefochtene Verfügung im Wesentlichen damit, der Beschwerdeführerin sei bereits einmal ein Familiennachzugsgesuch bewilligt worden, die Aufenthaltsbewilligung sei aber am 21. Dezember 2014 erloschen. Ab diesem Zeitpunkt hätte bis spätestens am 19. April 2018 ein neues Gesuch gestellt werden müssen, was nicht geschehen sei. Die Familiennachzugsfrist sei daher abgelaufen. Ein nachträglicher Familiennachzug könne bewilligt werden, wenn wichtige familiäre Gründe vorlägen, was nicht der Fall sei. Die Beschwerdeführerin und ihr Ehemann hätten es sich selber zuzuschreiben, dass sie die Nachzugsfrist verpasst hätten. Vollständigkeitshalber seien die Voraussetzungen für den Familiennachzug dennoch zu prüfen. Die Beschwerdeführerin habe in erheblichem Ausmass Sozialhilfe bezogen und es müsse damit gerechnet werden, dass auch ihr Ehemann Sozialhilfe beziehe. Zudem sei sein straffälliges Verhalten zu beachten. Er habe sich nur eineinhalb Jahre wohl verhalten, ohne unter dem Druck des Strafverfahrens des Strafvollzugs zu stehen. Es bestehe daher ein hohes öffentliches Interesse an seiner Fernhaltung. Auch unter Berücksichtigung von Art. 8 Ziff. 1 EMRK erweise sich die Abweisung des Gesuchs als verhältnismässig. Die Beschwerdeführerin und ihr Ehemann hätten ihre Familie während eines hängigen Strafverfahrens gegründet, weshalb ihnen habe bewusst sein müssen, dass sie ihr Familienleben allenfalls nicht zusammen in der Schweiz würden leben können.
3.2 Dagegen brachte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen vor, das MISA habe in der angefochtenen Verfügung auf einen falschen Arbeitsvertrag Bezug genommen. Ihr Mann habe einen aktuellen Arbeitsvertrag, womit sie sich von der Sozialhilfe befreien könnte. Sie habe nicht gewusst, dass man ein Gesuch während eines laufenden Prozesses stellen könne. Bezüglich des Vorhalts, sie seien sich der Konsequenzen des getrennten Familienlebens bewusst gewesen, sei auch die Situation der Kinder zu berücksichtigen.
3.3 In der Vernehmlassung erwähnt das MISA, es treffe zu, dass die Beschwerdeführerin einen allfälligen Arbeitsvertrag bei der Firma [...] GmbH eingereicht habe. Dennoch werde an den Ausführungen in der Verfügung festgehalten.
3.4 Die Beschwerdeführerin erwähnt in der Eingabe vom 6. Juli 2023 nochmals, die Straftat von ihrem Mann sei im Jahr 2013 begangen worden. Er sei somit bis zum Gefängnisaufenthalt fünf Jahre auf freiem Fuss gewesen. Nach zwei Jahren sei er wegen guter Führung entlassen worden. Es entspreche vieles nicht der Wahrheit, was in der Gerichtsakte stehe. Die Kinder litten sehr unter dieser Situation. Sie verstehe nicht, weshalb man ihnen nicht die Chance geben wolle, dass ihr Mann in die Schweiz kommen könne und hier arbeite. Sie und die Kinder würden dann keine Sozialhilfe mehr benötigen. Ihr sei klar, dass sie die Frist für ein Gesuch verpasst habe. Aber wie hätte sie das Gesuch früher stellen sollen, wenn sie nicht sicher gewusst hätten, wie der Prozess ausgehe.
4.1 Gemäss Art. 43 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration (AIG, BGS 142.20) haben ausländische Ehegatten und ledige Kinder unter 18 Jahren von Personen mit Niederlassungsbewilligung Anspruch auf Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung, wenn sie mit diesen zusammenwohnen (lit. a); eine bedarfsgerechte Wohnung besteht (lit. b); sie nicht auf Sozialhilfe angewiesen sind (lit. c); sie sich in der am Wohnort gesprochenen Landessprache verständigen können (lit. d); und die nachziehende Person keine jährlichen Ergänzungsleistungen bezieht wegen des Familiennachzugs beziehen könnte (lit. e). Für die Erteilung der Aufenthaltsbewilligung ist anstelle der Voraussetzung nach Abs. 1 lit. d die Anmeldung zu einem Sprachförderungsangebot ausreichend (Abs. 2). Gemäss Art. 47 Abs. 1 AIG muss der Anspruch auf Familiennachzug innerhalb von fünf Jahren geltend gemacht werden. Kinder über zwölf Jahre müssen innerhalb von zwölf Monaten nachgezogen werden. Die Fristen beginnen bei Familienangehörigen von Ausländerinnen und Ausländern mit der Erteilung der Aufenthalts- Niederlassungsbewilligung der Entstehung des Familienverhältnisses (Abs. 3 lit. b). Ein nachträglicher Familiennachzug wird nur bewilligt, wenn wichtige familiäre Gründe geltend gemacht werden (Abs. 4 Satz 1).
4.2 Die Beschwerdeführerin hat am [...] 2013 geheiratet. Innert der fünfjährigen Frist hat sie zunächst ein Familiennachzugsgesuch eingereicht, welches bewilligt worden war. Am 20. Dezember 2013 wurde eine Einreiseermächtigung ausgestellt, welche bis am [...] 2014 gültig war (AS 260) resp. sich wegen gesundheitlicher Beschwerden des Ehemanns bis am [...] 2014 verlängert hatte (AS 221). Nachdem ihr Ehemann in der Folge nie eine Anmeldung in der Schweiz vorgenommen hatte, ist diese Bewilligung erloschen. Die Beschwerdeführerin hätte somit bis im [...] 2018 ein neues Gesuch stellen müssen, was sie nicht getan hat. Die Frist für den Familiennachzug ihres Ehemannes ist daher abgelaufen, was sie nicht bestreitet.
5.1 Fraglich und zu prüfen ist, ob wichtige familiäre Gründe für einen nachträglichen Familiennachzug gegeben sind.
5.2 Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung (vgl. Urteil 2C_143/2022 vom 18. Januar 2023 E. 4.3 f. mit Hinweisen) hat die Bewilligung des Nachzugs nach Ablauf der Frist nach dem Willen des Gesetzgebers die Ausnahme zu bleiben; dabei ist Art. 47 Abs. 4 AIG praxisgemäss jeweils aber dennoch so zu handhaben, dass der Anspruch auf Schutz des Familienlebens nach Art. 8 EMRK bzw. Art. 13 BV nicht verletzt wird. Der Begriff der wichtigen familiären Gründe hat im Zusammenhang mit dem Nachzug des Ehepartners keine ausdrückliche Regelung in der Verordnung vom 24. Oktober 2007 über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit (VZAE; SR 142.201) gefunden.
Der historische Gesetzgeber beabsichtigte beim Erlass von Art. 47 Abs. 4 AIG, die Integration durch einen möglichst frühzeitigen Nachzug der Familienmitglieder zu fördern, indessen nicht die Nachzugsgründe auf nicht vorhersehbare Ereignisse zu beschränken. Die gesetzliche Regelung des Familiennachzuges ist, wie aus der parlamentarischen Debatte hervorgeht, eine Kompromisslösung zwischen den konträren Anliegen, einerseits das Familienleben zu gestatten und andererseits die Einwanderung zu begrenzen. Das Interesse an einer Kontrolle und Steuerung der Zuwanderung (Art. 121a BV) bzw. an der Erhaltung eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen schweizerischer und ausländischer Wohnbevölkerung ist ein legitimes Interesse, das im Rahmen der Verhältnismässigkeit Eingriffe in den Schutzbereich von Art. 8 EMRK rechtfertigen kann. Das Bundesgericht geht davon aus, dass eine Familie, die über Jahre freiwillig getrennt gelebt hat, dadurch ihr beschränktes Interesse an einem ortsgebundenen (gemeinsamen) Familienleben zum Ausdruck bringt; in einer solchen Konstellation, in der die familiären Beziehungen während Jahren über die Grenzen hinweg besuchsweise und mittels moderner Kommunikationsmittel gelebt werden, überwiegt regelmässig das der ratio legis von Art. 47 Abs. 4 AIG zugrunde liegende legitime Interesse an der Einwanderungssteuerung, solange nicht objektive, nachvollziehbare Gründe, welche von den Betroffenen zu bezeichnen und zu rechtfertigen sind, etwas anderes nahelegen. Ob wichtige familiäre Gründe vorliegen, ist aufgrund einer Gesamtsicht unter Berücksichtigung aller relevanten Elemente im Einzelfall zu entscheiden.
Der alleinige Wunsch, die Familie zu vereinigen, stellt keinen wichtigen familiären Grund dar. Indessen liegt ein wichtiger Grund beispielsweise vor, wenn die weiterhin notwendige Betreuung der Kinder im Herkunftsland wegen des Todes der Krankheit der betreuenden Person nicht mehr gewährleistet ist und keine sinnvolle andere Alternative in der Heimat gefunden werden kann (Urteil 2C_30/2023 vom 14. September 2023 E. 5.5).
5.3 Es ist nachvollziehbar, dass die Beschwerdeführerin ihren Ehemann in die Schweiz nachziehen will, insbesondere auch im Hinblick auf ihre Kinder, so dass diese zusammen mit ihrem Vater leben können. Bei der Interessenabwägung zwischen den privaten Interessen und dem öffentlichen Fernhalteinteresse ist dem Kindswohl denn auch Rechnung zu tragen, es ist bei allen Entscheiden vorrangig zu berücksichtigen und stellt in der Interessenabwägung ein wesentliches Element unteren anderen dar (Urteil 2C_30/2023 vom 14. September 2023 E. 5.2). Das Kindswohl spricht vorliegend sicherlich für den Familiennachzug des Ehemannes der Beschwerdeführerin.
In der ausländerrechtlichen Interessenabwägung ist das Kindswohl rechtsprechungsgemäss aber nicht das allein ausschlaggebende Element. Praxisgemäss bedarf es vielmehr einer Gesamtschau unter Berücksichtigung aller wesentlichen Elemente (Urteil 2C_30/2023 vom 14. September 2023 E. 5.3) und bei dieser Gesamtschau hat das MISA all die übrigen Elemente zu Recht höher gewichtet.
So ist zunächst festzuhalten, dass der Beschwerdeführerin bereits einmal ein Familiennachzugsgesuch zugunsten ihres Ehemannes bewilligt worden war, es dieser aber unterlassen hat, von der entsprechenden Einreiseermächtigung Gebrauch zu machen. Die Beschwerdeführerin und ihr Ehemann haben es sich daher selber zuzuschreiben, dass die Einreiseermächtigung erloschen ist. Sie haben eine Trennung bewusst in Kauf genommen resp. sich bewusst dafür entschieden, getrennt weiterzuleben. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang auch die gerichtliche Trennung vom Juni resp. Juli 2015 (AS 215). Dass diese nur deshalb erfolgt sein soll, weil die Beschwerdeführerin ansonsten kein Recht auf Sozialhilfe gehabt hätte, erscheint nicht nachvollziehbar. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin und ihr Ehemann während dieser Zeit Eheprobleme hatten, es deswegen zur gerichtlichen Trennung kam und der Ehemann aus diesem Grund auch nicht von seiner Einreiseermächtigung Gebrauch gemacht hatte.
Im Weiteren spricht auch der Umstand, dass die Beschwerdeführerin es in der Folge verpasst hat, das zweite Gesuch rechtzeitig zu stellen, für eine freiwillige Trennung. Die Beschwerdeführerin war im [...] 2014, als das Gesuch um Fristverlängerung bewilligt worden war, ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass sie ein neues Gesuch stellen muss, wenn ihr Ehemann bis [...] 2014 nicht einreisen sollte (AS 221). Die entsprechenden Fristen waren ihr ebenfalls bewusst, was sie auch nicht bestreitet. Sie macht dazu geltend, nicht gewusst zu haben, dass sie auch während des laufenden Gerichtsprozesses ein Gesuch hätten stellen können. Dies erscheint aber wenig plausibel, hätte doch erwartet werden können, dass sie sich bei Unklarheiten an das MISA wendet und sich bezüglich des korrekten Vorgehens erkundigt; so wie sie dies auch im Jahr 2014 gemacht hatte, als sie um eine Fristverlängerung wegen gesundheitlicher Probleme ihres Ehemannes ersuchte. Nicht überzeugend erscheint auch der Hinweis darauf, ihr Ehemann habe während der Dauer des Prozesses nur über einen befristeten Reisepass verfügt. Es ist nicht ersichtlich, weshalb ihr Ehemann trotz dieser angeblichen Befristung nicht dennoch hätte in die Schweiz kommen resp. weshalb die Beschwerdeführerin deswegen nicht innert Frist zumindest ein Gesuch hätte stellen können.
Sollte es die Beschwerdeführerin deswegen unterlassen haben, rechtzeitig ein Gesuch zu stellen, weil sie ihre Erfolgsaussichten wegen ihrer Sozialhilfeabhängigkeit als gering ansah, ist sie darauf hinzuweisen, dass ein Nachzugsbegehren auch dann rechtzeitig gestellt werden muss, wenn es zu diesem Zeitpunkt nur beschränkte Aussichten auf Erfolg hat. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung stellt der Umstand, dass es einem Ausländer nicht gelungen ist, rechtzeitig die Voraussetzungen für den Familiennachzug zu schaffen, grundsätzlich keinen wichtigen Grund im Sinne von Art. 47 Abs. 4 AIG dar (Urteil 2C_948/2019 vom 27. April 2020 E. 2.3.4 und 3.4.1 mit Hinweisen).
Zu beachten ist weiter, dass die Beschwerdeführerin mit ihrem Ehemann eine Familie gegründet hat, im Wissen, dass sie in der Schweiz bleiben will und ihr Ehemann nicht sicher damit rechnen konnte, auch in die Schweiz kommen zu können. So war er im Zeitpunkt der Heirat immerhin bereits zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt worden. Es musste ihr und ihrem Ehemann daher von Beginn weg bewusst gewesen sein, dass sie den Kontakt allenfalls nur über die Distanz hinweg pflegen können.
Weiter und insbesondere zu berücksichtigen ist die gravierende Straffälligkeit des Ehemannes der Beschwerdeführerin. So wurde er – wie erwähnt – wegen versuchten Mordes zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die Beschwerdeführerin macht diesbezüglich zwar geltend, es habe sich um Notwehr gehandelt und die Gerichte in Nordmazedonien seien korrupt. Dies lässt sich vorliegend nicht beurteilen, aufgrund der Aktenlage muss aber davon ausgegangen werden, dass der Ehemann entsprechend rechtskräftig verurteilt worden ist und aus dem Gerichtsurteil ist keineswegs zu schliessen, dass er damals nur allenfalls überreagiert hat (vgl. AS 83 ff.). Ferner wurde er im Jahr 2008 wegen Urkundenfälschung bereits zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und in Jugendjahren (2001) mussten gegen ihn wegen zweifachem, schwerem Diebstahl Erziehungsmassnahmen ausgesprochen werden.
Ferner ist zu beachten, dass sich der Ehemann der Beschwerdeführerin (40-jährig) bis anhin nur besuchsweise in der Schweiz aufgehalten hat. Er spricht kaum Deutsch und verfügt soweit ersichtlich über keinen Berufsabschluss. Es dürfte für ihn daher nicht sehr leicht sein, sich wirtschaftlich so zu integrieren, dass er nicht auch noch auf Sozialhilfe angewiesen sein wird resp. dass er seine Familie ernähren kann, so dass sich die Beschwerdeführerin von der Sozialhilfe zu lösen vermag. Die Beschwerdeführerin legt zwar einen Arbeitsvertrag für ihren Ehemann vor, wonach er nach Erhalt der Aufenthaltsbewilligung bei der Firma [...] GmbH in [...] als Sanitärinstallateur arbeiten könne. Diesbezüglich ist aber fraglich, ob es sich dabei nicht um ein Gefälligkeitsschreiben handeln könnte, verfügt der Beschwerdeführer doch gemäss Aktenlage kaum über Berufserfahrung als Sanitärinstallateur (im Visumsantrag vom 27. August 2021 gab er an, in der Gastronomie tätig zu sein, AS 179), die Firma befindet sich in [...], und damit rund
Schliesslich ist bei der Würdigung die hohe Schuldenlast der Beschwerdeführerin einzubeziehen. So weist der Saldo der von ihr bezogenen Sozialhilfe per 9. Februar 2023 CHF 266'132.85 auf. Sie wird für ihren Ehemann deshalb nicht aufkommen können und sie scheint bis anhin auch wenig unternommen zu haben, um an dieser Situation etwas zu ändern, dies trotz guter Ausbildung. Die Beschwerdeführerin weist zwar offenbar seit Jahren Arztzeugnisse nach, die ihr eine 100 %-ige Arbeitsunfähigkeit bescheinigen. Gearbeitet hat sie aber seit dem Jahr 2012 nicht mehr und in psychiatrischer Behandlung ist sie erst seit 2018 (Schreiben vom 8. Juli 2023). Auffällig erscheint in diesem Zusammenhang, dass es nun – als es um darum geht, ihren Ehemann nachziehen zu können –, ihr Ziel ist, wieder Teilzeit (50 %) in ihren erlernten Beruf als Kauffrau zurückkehren zu können, während dies vorher offenbar über Jahre nicht möglich war (AS 212; vgl. dazu auch den erwähnten Bericht der Sozialen Dienste Oberer Leberberg vom 16. Juli 2021, AS 181 f.).
5.4 Zusammenfassend liegt folglich weder ein wichtiger familiärer Grund vor, der einen nachträglichen Familiennachzug rechtfertigen würde, noch ein Eingriff in Art. 8 EMRK. Der Beschwerdeführerin und ihren Kindern ist es zuzumuten, die familiäre Beziehung weiterhin über regelmässige Besuche und über moderne Kommunikationsmittel aufrechtzuerhalten.
6. Die Beschwerde erweist sich damit als unbegründet und sie ist entsprechend abzuweisen.
7. Beim vorliegenden Verfahrensausgang gingen die Gerichtskosten von CHF 1'500.00 zu Lasten der Beschwerdeführerin. Sie ersucht indessen um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. Dieses Gesuch ist zu bewilligen. Die Kosten sind daher vom Kanton zu tragen, unter dem Vorbehalt des Rückforderungsanspruchs des Staates während zehn Jahren, sobald die Beschwerdeführerin zur Rückzahlung in der Lage ist (vgl. Art. 123 Zivilprozessordnung, ZPO, SR 272).
Demnach wird erkannt:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen. 2. Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Verfahrens vor Verwaltungsgericht von CHF 1'500.00 zu bezahlen. Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege gehen sie zu Lasten des Kantons Solothurn; vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während zehn Jahren, sobald die Beschwerdeführerin zur Nachzahlung in der Lage ist (vgl. Art. 123 ZPO).
Rechtsmittel: Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Eröffnung des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlichrechtlichen Angelegenheiten eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Schweizerischen Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich.
Im Namen des Verwaltungsgerichts Der Präsident Die Gerichtsschreiberin Thomann Ramseier
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