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Urteil Verwaltungsgericht (SO - VWBES.2023.160)

Zusammenfassung des Urteils VWBES.2023.160: Verwaltungsgericht

Das Verwaltungsgericht hat entschieden, dass die Beschwerde der Personen A.___ und B.___ abgewiesen wird, wobei A.___ die Schweiz bis spätestens 31. Dezember 2023 verlassen muss. Die Gerichtskosten in Höhe von CHF 1'500 sind von beiden Beschwerdeführern solidarisch zu tragen. Die Beschwerde wurde von Präsident Thomann und den Richtern Müller und Weber-Probst behandelt. Die Entscheidung erging am 12. Oktober 2023.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts VWBES.2023.160

Kanton:SO
Fallnummer:VWBES.2023.160
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Verwaltungsgericht
Verwaltungsgericht Entscheid VWBES.2023.160 vom 12.10.2023 (SO)
Datum:12.10.2023
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:-
Schlagwörter: Pflege; Schweiz; Betreuung; Familie; Beschwerde; Apos; Russland; Mutter; Recht; Moskau; Person; Beschwerdeführerin; Aufenthalt; Beschwerdeführerinnen; Verwaltungsgericht; Familiennachzug; Schweizer; Demenz; Urteil; Abhängigkeitsverhältnis; Kinder; Alter; Interesse; Entscheid
Rechtsnorm: Art. 28 AIG ;Art. 8 EMRK ;
Referenz BGE:-
Kommentar:
-

Entscheid des Verwaltungsgerichts VWBES.2023.160

 
Geschäftsnummer: VWBES.2023.160
Instanz: Verwaltungsgericht
Entscheiddatum: 12.10.2023 
FindInfo-Nummer: O_VW.2023.221
Titel: Familiennachzug

Resümee:

 

Verwaltungsgericht

 

Urteil vom 12. Oktober 2023     

Es wirken mit:

Präsident Thomann

Oberrichter Müller    

Oberrichterin Weber-Probst

Gerichtsschreiberin Blut-Kaufmann

In Sachen

1.    A.___, Russland

2.    B.___   

beide vertreten durch Rechtsanwalt Nicolas von Wartburg,    

 

Beschwerdeführerinnen

 

 

 

gegen

 

 

 

Departement des Innern,    vertreten durch Migrationsamt,    

 

Beschwerdegegner

 

 

 

 

betreffend     Familiennachzug


zieht das Verwaltungsgericht in Erwägung:

 

I.

 

1. Die aus Russland stammende B.___ (geb. 1973, nachfolgend Beschwerdeführerin 2 genannt) reiste am 5. Februar 1996 in die Schweiz ein und erhielt am 11. Juni 1996 eine Aufenthaltsbewilligung und am 10. Dezember 2006 die Niederlassungsbewilligung.

 

2. Am 7. Oktober 2014 ersuchte sie beim Migrationsamt um Familiennachzug für ihre Mutter A.___ (nachfolgend Beschwerdeführerin 1 genannt). Nachdem ihr das Mig­rationsamt im Rahmen des rechtlichen Gehörs mitgeteilt hatte, dass weder ein Härtefall noch ein Abhängigkeitsverhältnis vorlägen und deshalb vorgesehen sei, das Gesuch abzuweisen, zog die Beschwerdeführerin 2 das Gesuch am 10. Dezember 2014 zurück.

 

3. Am 3. Februar 2023 ersuchte die Beschwerdeführerin 2 erneut um Familiennachzug für ihre Mutter. Dem Gesuch war zu entnehmen, dass sich A.___ seit dem 3. Januar 2023 in der Schweiz aufhalte. Das Gesuch wurde damit begründet, dass A.___ seit dem Jahr 2020 dement sei und wegen der aktuellen Lage in Russland nicht mehr alleine dort leben könne. Die Beschwerdeführerin sei seit dem 1. Oktober 2020 als ihre Vormundin eingesetzt. Die Beschwerdeführerin 2 reichte Bestätigungen ein, wonach sie ein durchschnittliches Nettoeinkommen inkl. 13. Monatslohn von CHF 9'109.00 erzielt. Weiter erhalte ihr Ehemann eine AHV-Rente von CHF 2'799.00 (Altersrente CHF 1'999.00 und Kinderrente CHF 800.00) sowie eine Altersrente der Pensionskasse von jährlich CHF 3'382.00. Sie besitze eine 4 ½-Zimmer-Eigentumswohnung und wohne dort mit dem Ehemann und der 14-jährigen Tochter.

 

4. Nach diversen Abklärungen, Einholung weiterer Unterlagen und Gewährung des rechtlichen Gehörs wies das Migrationsamt das Familiennachzugsgesuch im Namen des Departements des Innern am 25. April 2023 ab und wies A.___ aus der Schweiz weg.

 

5. Gegen diese Verfügung erhoben die Beschwerdeführerinnen 1 und 2, vertreten durch Rechtsanwalt Nicolas von Wartburg, am 8. Mai 2023 Beschwerde an das Verwaltungsgericht und beantragten die Aufhebung des angefochtenen Entscheids sowie die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung für A.___, unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zulasten des Beschwerdegegners. Zudem wurde die Erteilung der aufschiebenden Wirkung beantragt.

 

6. Mit Verfügung vom 9. Mai 2023 wurde der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkannt.

 

7. Das Migrationsamt beantragte am 15. Mai 2023 die vollumfängliche Abweisung der Beschwerde unter Kostenfolge und verzichtete auf weitere Ausführungen.

 

II.

 

1. Die Beschwerde ist frist- und formgerecht erhoben worden. Sie ist zulässiges Rechtsmittel und das Verwaltungsgericht zur Beurteilung zuständig (vgl. § 49 Gerichtsorganisationsgesetz, GO, BGS 125.12). B.___ und A.___ sind durch den angefochtenen Entscheid beschwert und damit zur Beschwerde legitimiert. Auf die Beschwerde ist einzutreten.

 

2. Gemäss Art. 43 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration (AIG, SR 142.20) haben ausländische Ehegatten und ledige Kinder unter 18 Jahren von Personen mit Niederlassungsbewilligung unter gewissen Umständen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung. Der Nachzug von Familienangehörigen in aufsteigender Linie ist im Ausländer- und Integrationsgesetz nicht vorgesehen.

 

3. Die Vorinstanz verneinte einen eigenständigen Aufenthaltsanspruch der Beschwerdeführerin als Rentnerin gestützt auf Art. 28 AIG i.V.m. Art. 25 der Verordnung über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit (VZAE, SR 142.201), was durch die Beschwerdeführerin nicht angefochten wurde. Auch macht sie keinen Härtefallanspruch gestützt auf Art. 30 Abs. 1 lit. b AIG i.V.m. Art. 31 Abs. 1 VZAE geltend.

 

4. Die Beschwerdeführerinnen ersuchen um einen Aufenthaltsanspruch gestützt auf das Recht auf Achtung des Familienlebens gemäss Art. 8 Ziff. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK, SR 0.101) bzw. Art. 13 der Bundesverfassung (BV, SR 101).

 

Art. 8 Ziff. 1 EMRK garantiert grundsätzlich keinen Anspruch auf Aufenthalt in einem Konventionsstaat. Dennoch kann das in Art. 8 Ziff. 1 EMRK verankerte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens berührt sein, wenn einer ausländischen Person mit in der Schweiz aufenthaltsberechtigten Familienangehörigen das Zusammenleben verunmöglicht wird. Nach der Rechtsprechung bezieht sich der Schutz des Familienlebens nach Art. 8 Ziff. 1 EMRK in erster Linie auf die Kernfamilie (Ehegatten und minderjährige Kinder); andere familiäre Beziehungen, namentlich diejenigen zwischen Eltern und erwachsenen Kindern, stehen nur ausnahmsweise unter dem Schutz von Art. 8 EMRK, nämlich dann, wenn ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis besteht. Ein solches kann sich unabhängig vom Alter namentlich aus besonderen Betreuungs- Pflegebedürfnissen wie bei körperlichen geistigen Behinderungen und schwerwiegenden Krankheiten ergeben. Nach der bundesgerichtlichen Praxis soll ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen Eltern und ihren erwachsenen Kindern indessen nicht leichthin angenommen werden. Allein das Vorliegen eines Pflege- und Betreuungsbedürfnisses genügt nicht; erforderlich ist zusätzlich, dass die betreffende Pflege- und Betreuungsleistung unabdingbar von (anwesenheitsberechtigten) Angehörigen erbracht werden muss. Besteht kein derartiges Abhängigkeitsverhältnis, ergibt sich kein Bewilligungsanspruch gestützt auf Art. 8 Ziff. 1 EMRK (vgl. Urteil des Bundesgerichts 2C_682/2022 vom 29. März 2023 E. 4.1 und 4.2 mit diversen Hinweisen).

 

5. Die Beschwerdeführerinnen machen hierzu geltend, die Beschwerdeführerin 1 leide gemäss Arztzeugnis von Dr. med. C.___ vom 22. Februar 2023 an einer gemischten Demenz. Es sei deshalb schon mehrmals vorgekommen, dass sie sich verirrt habe, irrational gehandelt habe und einfache Fragen nicht habe beantworten können. Sie sei deshalb auf engmaschige Betreuung in Form einer Rundumbetreuung angewiesen.

 

Vor ihrer Einreise in die Schweiz sei die Beschwerdeführerin 1 in Moskau durch eine privat finanzierte Pflegehelferin rund um die Uhr betreut worden. Aufgrund des Krieges seien medizinische Fachkräfte an die Front beordert worden, um verletzte Soldaten zu versorgen, so auch die Pflegerin der Beschwerdeführerin 1, [...]. Danach habe die notwendige Betreuung der Beschwerdeführerin 1 in Moskau nicht mehr sichergestellt werden können.

 

Die Vorinstanz stelle sich unter Berufung auf ein Schreiben der Schweizer Botschaft in Moskau auf den Standpunkt, es sei – entgegen der Darstellung der Beschwerdeführerin 2 – immer noch möglich, eine Person für die Pflege zuhause einzustellen. Es sei jedoch notorisch, dass das offizielle Russland mit im besten Fall geschönten Informationen den Schein eines funktionierenden (Sozial)Staates aufrechtzuerhalten bemüht sei, während sich dahinter ein maroder Staat befinde, in welchem kranke und alte Menschen kaum unterstützt würden. Auf Informationen staatlicher russischer Institutionen sei aktuell kein Verlass. Auf die Angaben der Schweizer Botschaft in Moskau könne deshalb nicht abgestellt werden. Trotz entsprechender Bemühungen sei es der Beschwerdeführerin 2 bisher nicht gelungen, von der Schweiz aus in Moskau eine neue Pflegekraft zu finden, welche die notwendige Rundumbetreuung der Beschwerdeführerin 1 übernehmen würde. Müsste die Beschwerdeführerin 1 nun nach Russland zurückkehren, wäre ihre lebensnotwendige Pflege nicht gesichert und ihre Existenz zumindest schwer bedroht. Um dem entgegenzuwirken, müsste die Beschwerdeführerin 2 zusammen mit ihrer Mutter nach Moskau reisen, um dort nach einer geeigneten Betreuung zu suchen und – sollte sie eine finden – diese während einer Weile zu überwachen. Selbst aus der Antwort der Schweizer Botschaft gehe hervor, dass es unter Umständen nicht einfach sei, die Qualität der Pflege zu kontrollieren. Es gebe ausserdem viele Geschichten um Immobilienmakler, die ältere Menschen umbringen und sich deren Eigentum aneignen würden. Selbst wenn die Beschwerdeführerin also jemanden finden würde, der bereit wäre, die Betreuung der Beschwerdeführerin 1 zu übernehmen, sei es ihr aufgrund ihres gefestigten Aufenthaltsrechts in der Schweiz (Aufenthalt seit 27 Jahren) und der Festanstellung als Pflegefachfrau nicht zumutbar, für längere Zeit nach Moskau zu reisen, um die Betreuung ihrer Mutter sicherzustellen. Dies zeige, dass die notwendige Betreuung der Beschwerdeführerin 1 – zumindest mittelfristig – nur durch die Beschwerdeführerin 2 sichergestellt werden könne.

 

Die Beschwerdeführerin 1 könne auch nicht in einer Pflegeinstitution untergebracht werden. Demenz sei in Russland ein tabuisiertes Thema und der Staat verlasse sich darauf, dass an Demenz erkrankte Personen durch die Familie betreut würden. Pflegeheime für ältere Menschen seien eine Seltenheit und Pflegeplätze damit rar. Die Kosten seien zudem enorm. Die günstigsten Heime würden pro Monat rund CHF 1'000.00 kosten. In besseren Institutionen seien die Kosten schnell doppelt so hoch. Solche Kosten könne selbst die Beschwerdeführerin 2 mit ihrem Schweizer Einkommen kaum stemmen. In der Schweiz würde die Beschwerdeführerin 2 die Betreuung ihrer Mutter zusammen mit ihrem Ehemann und den Kindern selbst übernehmen, weshalb dafür keine Kosten entstehen würden. Die Unterbringung in einer Pflegeinstitution in Russland sei aus diesen Gründen ausgeschlossen.

 

Die Betreuung der Beschwerdeführerin 1 könne somit nur durch die Beschwerdeführerin 2 übernommen werden, womit ein Abhängigkeitsverhältnis bestehe und der Schutzbereich von Art. 8 EMRK betroffen sei. Allein das von der Vorinstanz genannte öffentliche Interesse an einer restriktiven Zuwanderung vermöge das private Interesse der Beschwerdeführerinnen an der Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung an die Beschwerdeführerin 1 nicht zu überwiegen. Aufgrund des Fachkräftemangels bestehe auch ein öffentliches Interesse daran, dass die Beschwerdeführerin 2 als Pflegefachfrau in der Schweiz bleibe. Der Eingriff in das durch Art. 8 EMRK geschützte Recht auf Privat- und Familienleben sei nicht verhältnismässig.

 

Weiter sei zu beachten, dass Schweizer Bürger in Bezug auf den Familiennachzug in ansteigender Linie gegenüber Staatsangehörigen, die sich auf das Freizügigkeitsabkommen (FZA) stützen können, zurzeit diskriminiert würden und ein entsprechender Vorstoss im Parlament hängig sei, um dies zu beseitigen. De lege ferenda bestehe vorliegend ein Anspruch auf Familiennachzug, zumal die Beschwerdeführerin 1 bereits heute durch die Beschwerdeführerin 2 finanziell unterstützt werde.

 

6.1 Relevant ist vorliegend, dass die Beschwerdeführerin 1 gemäss russischen Dokumenten aus dem Jahr 2020 und einem ärztlichen Zeugnis von Dr. med. C.___ vom 22. Februar 2023 an einer beginnenden gemischten Demenz erkrankt und auf Hilfe angewiesen ist. Gemäss Angaben der Beschwerdeführerin 2 hatte diese bis anhin eine Pflegeperson angestellt, welche die Beschwerdeführerin 1 in ihrem Zuhause betreute. Sie bringt vor, dass diese Pflegeperson nun wegen des Kriegs an die Front beordert worden sei und es deshalb nicht mehr möglich sei, die notwendige Pflege und Betreuung für die Beschwerdeführerin 1 im Heimatland sicherzustellen.

 

6.2 Diesbezüglich holte die Vorinstanz Erkundigungen bei der Schweizer Botschaft in Moskau ein. Die Botschaft konsultierte eine Vertrauensärztin vor Ort, welche zur Frage, ob es trotz des Personalmangels wegen des Krieges weiterhin möglich sei, eine Pflegeperson für die Mutter einzustellen, Folgendes ausführte: «Es ist immer noch möglich, eine Person für die Pflege zu Hause einzustellen. Aber wenn man nicht in Russland ist, ist es natürlich nicht einfach, die Qualität der Pflege zu kontrollieren. Ausserdem gibt es viele Geschichten über illegale Immobilienmakler, die ältere Menschen umbringen und sich ihr Eigentum aneignen.» Zur Frage, ob es andere Betreuungsmöglichkeiten für die erkrankte Mutter im Heimatland gebe, wurde ausgeführt: «In der Stadt Moskau und in der Umgebung gibt es mehrere Einrichtungen, die Pflege für ältere Menschen anbieten. Gute Einrichtungen sind recht kostspielig. Ich konnte nichts Kostenloses finden, ausser Kuppelhospize, aber dort kann man nur kurze Zeit bleiben.»

 

6.3 Die Beschwerdeführerinnen behaupten Gegenteiliges und haben dazu einen Zeitungsartikel von taz.de aus dem Jahr 2013 eingereicht. Darin wird die Geschichte einer Familie mit einer demenzkranken Person geschildert. Die zitierte Enkelin schilderte dabei, dass Personen, die Verwandte hätten, grundsätzlich in Betreuungsinstitutionen nicht aufgenommen würden. Es werde erwartet, dass Angehörige sich um ihre Alten kümmerten. Altersheime für noch rüstige Rentner seien eine Seltenheit. Spezialisierte Altersheime gebe es bislang keine. Einige Heime in Moskau hätten kleinere Abteilungen für Demenz- und Alzheimer-Patienten eröffnet. Dies seien aber meist private Einrichtungen, welche für russische Verhältnisse hohe Pflegeansätze verlangten. Die günstigsten Heime würden 40'000 Rubel im Monat kosten (zum damaligen Umrechnungskurs wurde dies mit 1'000 Euro angegeben, heute wären es noch rund 378 Euro bzw. CHF 364.00). Für bessere Heime werde schon das Doppelte verlangt. Die betroffene Familie schilderte, dass man auch dort wegen der geringen Bettenzahl nicht unterkomme. Inzwischen gebe es vor den Toren Moskaus einige Einrichtungen für VIP-Demente mit Beitragssätzen von 3'500 bis 4'000 Euro.

 

6.4 Vorliegend kann dahingestellt bleiben, inwiefern dieser bereits zehnjährige Zeitungsartikel heute noch aktuell ist und inwiefern sich das Betreuungsangebot in Moskau bis heute geändert hat. Auch wenn der Wunsch der Beschwerdeführerin 2 verständlich ist, ihre Mutter bei sich in der Schweiz pflegen zu wollen und es bestimmt nicht einfach ist, von der Schweiz aus die Pflege der dementen Mutter in Russland zu organisieren und überwachen, kann nach der Rechtsprechung ein Recht auf Familiennachzug für die Mutter einer Drittstaatsangehörigen aus dem Recht auf Privat- und Familienleben nach Art. 8 Ziff. 1 EMRK nur abgeleitet werden, wenn ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis besteht, indem die Betreuung der nachzuziehenden Person nur durch die nachziehende Person erfolgen kann, und damit personenabhängig ist (vgl. Urteil des Bundesgerichts 2C_682/2022 vom 29. März 2023 E. 4.2). Dies trifft für den vorliegenden Fall nicht zu. Die Beschwerdeführerin 1 ist zwar aufgrund ihrer Demenzerkrankung unbestritten auf Pflege und Betreuung angewiesen. Diese muss jedoch nicht zwingend durch ihre Tochter erbracht werden, sondern kann auch durch eine beliebige Pflegekraft Pflegeinstitution erfolgen, wie dies bis anhin auch der Fall war. Der Verweis auf das mangelnde Betreuungsangebot in Russland kann zu keinem anderen Ergebnis führen. Nach der Rechtsprechung verpflichtet der Umstand, dass es im Heimatland der nachzuziehenden Elternteile weniger kaum Betreuungsangebote wie Alters- Pflegeheime gibt, die Schweiz nicht dazu, ihr Einwanderungssystem anzupassen (vgl. Urteile des Bundesgerichts 2C_682/2022 vom 29. März 2023 E. 4.3.4 und 2C_396/2021 vom 27. Mai 2021 E. 4.2 und 4.3).

 

Nichts anderes können die Beschwerdeführerinnen auch aus dem im Parlament hängigen Vorstoss zur Inländerdiskriminierung ableiten. Die Beschwerdeführerin 2 ist Drittstaatsangehörige, keine Schweizer Bürgerin.

 

Mit Blick auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Beschwerdeführerin 2 sollte es ihr zudem möglich sein, in Russland einen Heimplatz für CHF 1'000.00 bis CHF 2'000.00 pro Monat zu finanzieren, zumal auch die Betreuung der Mutter in der Schweiz nicht gratis wäre. Im Moment fallen insbesondere Kosten für Krankenkassenprämien und den täglichen Bedarf der Mutter an. Muss aber später bei steigendem Pflegebedarf zusätzlich eine private Pflegekraft organisiert werden, wie dies die Beschwerdeführerin vorbringt (vgl. act. 213), werden diese Kosten jene für die Betreuung und Pflege im Heimatland schnell übersteigen. Es besteht deshalb auch ein grosses öffentliches Interesse an einer restriktiven Einwanderungspolitik gegenüber wirtschaftlich nicht aktiven Personen, um die Sozialsysteme nicht übermässig zu belasten, zumal die Beschwerdeführerin 1 auch nie in diese eingezahlt hat (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts C-1156 vom 17. Februar 2014 E. 7.4 ff.). Dieses öffentliche Interesse überwiegt die privaten Interessen der Beschwerdeführerinnen. Die Beschwerdeführerin 1 war trotz Demenz in der Lage, mit Begleitung der Beschwerdeführerin 2 in die Schweiz einzureisen, weshalb es ihr auch möglich und zumutbar sein wird, wieder nach Russland zurückzureisen.

 

7. Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet, sie ist abzuweisen. Da die Ausreisefrist der Beschwerdeführerin 1 bereits abgelaufen ist, ist ihr eine neue Frist anzusetzen. Sie hat die Schweiz spätestens bis zum 31. Dezember 2023 zu verlassen. Bei diesem Ausgang haben die Beschwerdeführerinnen 1 und 2 die Kosten des Verfahrens vor Verwaltungsgericht unter solidarischer Haftbarkeit zu bezahlen, die einschliesslich der Entscheidgebühr auf CHF 1'500.00 festzusetzen sind.

 

Demnach wird erkannt:

 

1.    Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.    A.___ hat die Schweiz – unter Androhung von Zwangsmassnahmen im Unterlassungsfall – spätestens bis zum 31. Dezember 2023 zu verlassen.

3.    B.___ und A.___ haben die Kosten des Verfahrens vor Verwaltungsgericht von CHF 1'500.00 unter solidarischer Haftbarkeit zu bezahlen.

 

Rechtsmittel: Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Eröffnung des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Schweizerischen Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich.

Im Namen des Verwaltungsgerichts

Der Präsident                                                                    Die Gerichtsschreiberin

Thomann                                                                          Blut-Kaufmann



 
Quelle: https://gerichtsentscheide.so.ch/
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