Zusammenfassung des Urteils VWBES.2022.424: Verwaltungsgericht
Der Beschwerdeführer A.___ aus dem Kosovo reichte eine Beschwerde wegen Rechtsverzögerung beim Verwaltungsgericht ein, da die Kontrollfrist seiner Niederlassungsbewilligung seit über 3 ½ Jahren nicht verlängert wurde. Das Migrationsamt weigerte sich, die Frist zu verlängern, obwohl keine materielle Prüfung notwendig war. Das Gericht entschied zugunsten des Beschwerdeführers und wies das Migrationsamt an, die Frist umgehend zu verlängern. Die Kosten des Verfahrens trägt der Kanton Solothurn, und dem Beschwerdeführer steht eine Parteientschädigung zu.
Kanton: | SO |
Fallnummer: | VWBES.2022.424 |
Instanz: | Verwaltungsgericht |
Abteilung: | Verwaltungsgericht |
Datum: | 11.01.2023 |
Rechtskraft: |
Leitsatz/Stichwort: | - |
Schlagwörter: | Niederlassungsbewilligung; Kontrollfrist; Rechtsverzögerung; Verwaltungsgericht; Urteil; Verlängerung; Migrationsamt; Ausländer; Behörde; Bundesgericht; Departement; Innern; Verfahren; Bundesgerichts; Beschwerdeführers; Person; Kanton; Schweiz; Vorinstanz; Kontrollverfahren; Prüfung; Frist; Entscheid; Widerruf; Abklärungen; Solothurn; VWBES; Müller |
Rechtsnorm: | Art. 41 AIG ; |
Referenz BGE: | 125 V 373; 137 I 305; |
Kommentar: | Marc Spescha, Peter Bolzli, Marti, Zürich , Art. 41 SR, 2019 |
Geschäftsnummer: | VWBES.2022.424 |
Instanz: | Verwaltungsgericht |
Entscheiddatum: | 11.01.2023 |
FindInfo-Nummer: | O_VW.2023.8 |
Titel: | Rechtsverzögerung |
Resümee: |
Verwaltungsgericht
Urteil vom 11. Januar 2023 Es wirken mit: Oberrichter Thomann Oberrichter Frey Gerichtsschreiberin Blut-Kaufmann In Sachen A.___, vertreten durch Rechtsanwalt Camill Droll,
Beschwerdeführer
gegen
Departement des Innern, vertreten durch Migrationsamt,
Beschwerdegegner
betreffend Rechtsverzögerung zieht das Verwaltungsgericht in Erwägung:
I.
1. Der im Kosovo geborene A.___ (geb. 1983, nachfolgend Beschwerdeführer genannt) reiste am 16. September 1988 in die Schweiz ein und ist seit dem 25. März 1991 im Besitz einer Niederlassungsbewilligung. Am 11. Juli 2019 ersuchte er um Verlängerung der Kontrollfrist seiner Niederlassungsbewilligung.
2. Am 16. November 2022 reichte der Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Camill Droll, eine Beschwerde beim Verwaltungsgericht ein und beantragte, es sei eine Rechtsverzögerung festzustellen und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen mit der Anordnung, in der Sache zu entscheiden; unter Kosten- und Entschädigungsfolgen.
3. Mit Vernehmlassung vom 8. Dezember 2022 beantragte das Migrationsamt, namens des Departements des Innern, die vollumfängliche Abweisung der Beschwerde unter Kostenfolge.
4. Der Beschwerdeführer liess am 21. Dezember 2022 abschliessende Bemerkungen und eine Kostennote einreichen.
II.
1. Rechtsverzögerungsbeschwerden können grundsätzlich jederzeit eingereicht werden (§ 58 Verwaltungsrechtspflegegesetz, VRG, BGS 124.11 i.V.m. Art. 319 lit. c und 321 Abs. 4 Zivilprozessordnung, ZPO, SR 272). Die am 16. November 2021 schriftlich eingereichte Beschwerde ist formgerecht eingegangen. Sie ist zulässiges Rechtsmittel und das Verwaltungsgericht zur Beurteilung zuständig (vgl. § 49 Abs. 1 Gerichtsorganisationsgesetz, GO, BGS 125.12). Auch im Verfahren betreffend Rechtsverzögerung Rechtsverweigerung ist ein aktuelles Rechtsschutzinteresse erforderlich (vgl. Urteil des Bundesgerichts 1C_463/2018 vom 21. Dezember 2018 E. 2 mit Hinweis auf BGE 125 V 373 E. 1 S.374).
Die Niederlassungsbewilligung wird gemäss Art. 34 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration (AIG, SR 142.20) unbefristet und ohne Bedingungen erteilt. Nach Art. 41 Abs. 3 AIG wird der Ausweis für Personen mit Niederlassungsbewilligung zur Kontrolle für fünf Jahre ausgestellt. Vorliegend kann es somit nur um die Verlängerung der Kontrollfrist gehen und nicht um die Verlängerung der Niederlassungsbewilligung.
2. Das Verwaltungsgericht hat im Urteil VWBES.2021.272 vom 19. Oktober 2021 mit Verweis auf das Urteil 2C_499/2020 des Bundesgerichts vom 25. September 2020 (E. 3.5 ff.) ausgeführt, der Ausländerausweis C stelle keine Bewilligung dar und zeitige daher keine Auswirkungen auf den Bestand der Niederlassungsbewilligung des Beschwerdeführers. Er sei rein deklaratorischer Natur und das Kontrollverfahren diene den zuständigen Migrationsbehörden dazu, die Personendaten zu aktualisieren und festzustellen, ob sich die ausländische Person noch in der Schweiz befinde. Es handle sich um einen administrativen Vorgang. Das Kontrollverfahren sei unabhängig von einem Widerrufsverfahren, könne aber auch mit einer materiellen Prüfung der Bewilligungsvoraussetzungen einhergehen. Während dem behördlichen Kontrollverfahren werde den betroffenen Personen eine schriftliche Bestätigung ausgestellt, dass sie nach wie vor niederlassungsberechtigt seien. Innerstaatlich sei der vorübergehende Nichtbesitz des Ausländerausweises mit keinen Rechtsnachteilen verbunden. Auch Reisen sei möglich. Da aber jeweils ein Rückreisevisum beantragt werden müsse, sei dies mit einem gewissen administrativen und finanziellen Mehraufwand verbunden. Halte dieser Zustand über eine längere Dauer an, habe der Beschwerdeführer ein aktuelles Rechtsschutzinteresse an der Prüfung einer Rechtsverzögerung.
Vorliegend führt der Beschwerdeführer zudem aus, auch wenn ihm das Migrationsamt eine Bestätigung ausgestellt habe, dass er weiterhin im Besitz der Niederlassungsbewilligung sei, habe er damit – ohne im Besitz eines Ausländerausweises zu sein – über Jahre hinweg keine Festanstellung erhalten, was ihm einen weiteren Rechtsnachteil bescherte.
3.1 Jede Person hat in Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen Anspruch auf Beurteilung innert angemessener Frist (Art. 29 Abs. 1 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft [BV, SR 101]; BGE 137 I 305 E. 2.4 S. 314 f.; 130 I 174 E. 2.2 S. 177 f.). Eine Rechtsverweigerung liegt vor, wenn es eine Behörde ausdrücklich ablehnt, eine Entscheidung zu treffen, obwohl sie dazu verpflichtet ist. Um eine Rechtsverzögerung handelt es sich dagegen, wenn sich die zuständige Behörde zwar bereit zeigt, einen Entscheid zu treffen, diesen aber nicht binnen der Frist fällt, welche nach der Natur der Sache und nach der Gesamtheit der übrigen Umstände als angemessen erscheint. Keine Rolle spielt, auf welche Gründe – beispielsweise auf ein Fehlverhalten der Behörde auf andere Umstände – die Rechtsverzögerung zurückzuführen ist; entscheidend ist ausschliesslich, dass die Behörde nicht fristgerecht handelt (Urteile 2C_442/2011 vom 7. Juli 2011 E. 3.1; 8C_1012/2010 vom 31. März 2011 E. 3.1; das Ganze zitiert aus Urteil des Bundesgerichts 2C_647/2014 vom 19. März 2015, E. 2.2; vgl. auch Allgemeines Verwaltungsrecht, Ulrich Häfelin/Georg Müller/Felix Uhlmann, Zürich/St. Gallen 2016, N 1045 f.).
3.2 Vorliegend wurde die Kontrollfrist der Niederlassungsbewilligung des Beschwerdeführers seit rund 3 ½ Jahren nicht verlängert und die Vorinstanz prüft seit dieser Zeit den Widerruf der Niederlassungsbewilligung, insbesondere wegen Schuldenwirtschaft.
4.1 Das Verwaltungsgericht wies in seinem Urteil VWBES.2021.272 vom 19. Oktober 2021 bereits darauf hin, dass die Praxis einiger Kantone, die Ausweise während des Kontrollverfahrens einzuziehen, in der Literatur teilweise kritisiert werde (vgl. Peter Bolzli in: Marc Spescha et al. [Hrsg.], Migrationsrecht Kommentar, Zürich 2019, Art. 41 N 1; Silvia Hunziker in: Martina Caroni et al. [Hrsg.], Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer [AuG] Stämpflis Handkommentar, Bern 2010, Art. 41 N 3). Mit der Verlängerung der Kontrollfrist sei nicht zwingend eine materielle Prüfung der Voraussetzungen der Bewilligungserteilung verbunden und die Verlängerung der Kontrollfrist sei deshalb grundsätzlich nicht geeignet, ein berechtigtes Vertrauen zu schaffen, dass die materiellen Voraussetzungen für eine (neue) Niederlassungsbewilligung geprüft worden wären (vgl. Urteil des Bundesgerichts 2C_1060/2020 vom 19. Februar 2021 E. 3.3 mit Hinweisen). Es besteht somit kein Grund, weshalb die Kontrollfrist der Niederlassungsbewilligung nicht einfach hätte verlängert werden können und im Nachhinein Abklärungen betreffend Widerrufsgründen hätten vorgenommen werden können.
4.2 Vorliegend ersuchte der Beschwerdeführer am 11. Juli 2019 um Verlängerung der Kontrollfrist seiner Niederlassungsbewilligung. Das Migrationsamt tätigte umgehend Abklärungen und holte am 19. Juli 2019 einen Betreibungsregisterauszug ein, der Verlustscheine im Gesamtbetrag von CHF 191'546.30 auswies. Am 23. Juli 2019 wurde zudem die Wohngemeinde angefragt, ob der Beschwerdeführer Sozialhilfe bezogen habe, wobei die Antwort negativ ausfiel. In der Folge passierte gemäss den Akten nichts mehr, bis der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers am 15. Juni 2022 um Akteneinsicht ersuchte und am 30. September 2022 die Einreichung einer Rechtsverzögerungsbeschwerde androhte. Erst ab dem 4. Oktober 2022 tätigte die Vorinstanz weitere Abklärungen und erteilte dann dem Beschwerdeführer am 1. Dezember 2022 das rechtliche Gehör betreffend Widerruf seiner Niederlassungsbewilligung.
Das Migrationsamt beklagt nun in seiner Vernehmlassung das unangenehme Verhalten des Rechtsvertreters und die mangelhafte Mitwirkung des Beschwerdeführers während den Abklärungen, die ab Oktober 2022 getätigt wurden. Weiter weist es auf seine hohe Pendenzenlast hin.
Dies ist jedoch für das vorliegende Verfahren völlig irrelevant und täuscht über die Untätigkeit der Behörde während mehr als drei Jahren nicht hinweg. Nach der Rechtsprechung ist es unerheblich, auf welche Gründe eine Rechtsverzögerung zurückzuführen ist. Entscheidend ist ausschliesslich, dass die Behörde nicht fristgerecht handelt. Die Nichtverlängerung der Kontrollfrist der Niederlassungsbewilligung und das Untätigbleiben der Behörde während über drei Jahren ist absolut nicht hinnehmbar und stellt eine schwere Verletzung des Beschleunigungsgebots und damit eine Rechtsverzögerung dar. Dies ist auch deshalb besonders stossend, da die Verlängerung der Kontrollfrist gar nicht unbedingt mit einer materiellen Prüfung der Zulassungskriterien einhergehen muss.
5. Die Beschwerde erweist sich somit als begründet, sie ist gutzuheissen. Es wird festgestellt, dass sich das Departement des Innern, vertreten durch das Migrationsamt, in rechtsverzögernder Weise weigert, dem Beschwerdeführer die Kontrollfrist seiner Niederlassungsbewilligung zu verlängern. Die Vorinstanz ist deshalb anzuweisen, umgehend über die Verlängerung der Kontrollfrist zu entscheiden.
6. Bei diesem Ausgang sind die Kosten des Verfahrens vor Verwaltungsgericht durch den Kanton Solothurn zu tragen. Dieser hat dem Beschwerdeführer zudem eine Parteientschädigung auszurichten. Rechtsanwalt Camill Droll macht mit Kostennote vom 21. Dezember 2022 einen Aufwand von 5.1667 Stunden zu CHF 270.00/h (gemäss Honorarvereinbarung vom 15. Juni 2022), zuzüglich Auslagen von CHF 15.30 und 7,7 % MwSt., insgesamt CHF 1'518.90 geltend. Dieser Aufwand erscheint angemessen und ist durch den Kanton Solothurn zu entschädigen.
Demnach wird erkannt:
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen: Es wird festgestellt, dass sich das Departement des Innern, vertreten durch das Migrationsamt, in rechtsverzögernder Weise weigert, A.___ die Kontrollfrist seiner Niederlassungsbewilligung zu verlängern. 2. Das Departement des Innern, vertreten durch das Migrationsamt, wird angewiesen, umgehend über die Verlängerung der Kontrollfrist der Niederlassungsbewilligung von A.___ zu entscheiden. 3. Der Kanton Solothurn hat die Kosten des Verfahrens vor Verwaltungsgericht zu tragen. 4. Der Kanton Solothurn hat A.___ eine Parteientschädigung von CHF 1'518.90 (inkl. Auslagen und MwSt.) zu bezahlen.
Rechtsmittel: Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Eröffnung des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlichrechtlichen Angelegenheiten eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Schweizerischen Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich.
Im Namen des Verwaltungsgerichts Der Vizepräsident Die Gerichtsschreiberin Müller Blut-Kaufmann
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