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Urteil Verwaltungsgericht (SO - VWBES.2022.404)

Zusammenfassung des Urteils VWBES.2022.404: Verwaltungsgericht

Eine Passantin rief eine Ambulanz, nachdem sie einen Mann an einer Bushaltestelle im Sitzen schlafend angetroffen hatte, der aufgrund eines Unfalls taub war und alkoholisiert wirkte. Das Verwaltungsgericht entschied, dass er die Spitalrechnung bezahlen muss, da die Passantin besorgt war und im Interesse des Mannes handelte. Der Mann erhob Beschwerde, doch das Gericht wies sie ab und legte fest, dass er die Kosten von CHF 250.00 tragen muss.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts VWBES.2022.404

Kanton:SO
Fallnummer:VWBES.2022.404
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Verwaltungsgericht
Verwaltungsgericht Entscheid VWBES.2022.404 vom 14.04.2023 (SO)
Datum:14.04.2023
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:-
Schlagwörter: Geschäft; Passantin; Beschwerde; Verwaltungsgericht; Ambulanz; Rechnung; Rettungsdienst; Beschwerdeführer; Entscheid; Geschäftsführung; Beschwerdeführers; Leistung; Person; Interesse; Höhe; Oberrichter; Einsatz; Rettungsdienstes; Hilfe; Rechtsmittel; Zustellung; Verfahren; Auftrag; Geschäftsführer; Urteil; Zuschlag; Transport; önne
Rechtsnorm: Art. 420 OR ;Art. 422 OR ;
Referenz BGE:95 II 93;
Kommentar:
-

Entscheid des Verwaltungsgerichts VWBES.2022.404

 
Geschäftsnummer: VWBES.2022.404
Instanz: Verwaltungsgericht
Entscheiddatum: 14.04.2023 
FindInfo-Nummer: O_VW.2023.89
Titel: Spitalrechnung

Resümee:

 

Verwaltungsgericht

 

Urteil vom 14. April 2023

Es wirken mit:

Oberrichter Thomann, Vorsitz

Oberrichter Frey 

Oberrichterin Hunkeler

Gerichtsschreiberin Law    

 

In Sachen

A.___

 

Beschwerdeführer

 

 

 

gegen

 

 

 

B.___    

 

Beschwerdegegnerin

 

 

 

 

betreffend     Spitalrechnung


zieht das Verwaltungsgericht in Erwägung:

 

I.

 

1. Am 16. Juli 2022 rief eine Passantin eine Ambulanz, nachdem sie A.___ (nachfolgend: Beschwerdeführer) an einer Bushaltestelle am Bahnhof [...] angesprochen, dieser aber nicht reagiert habe.

 

2. Gemäss Einsatzprotokoll sei der Beschwerdeführer an einer Bushaltestelle am Bahnhof [...] im Sitzen eingeschlafen. Aufgrund eines früheren Unfalls sei der Beschwerdeführer auf einem Ohr taub. Zudem sei er sehr müde gewesen, zumal er tagsüber auf der Aare mit einem Stand Up Paddle unterwegs gewesen sei, gebadet und Bier getrunken habe. Deswegen habe er nicht gehört, dass ihn jemand angesprochen habe. Die Passantin habe sich nicht getraut, den Beschwerdeführer anzufassen. Letztendlich sei entschieden worden, dass der Beschwerdeführer nicht hospitalisiert werden müsse.

 

3. Gestützt auf § 19 des Spitalgesetzes (SpiG, BGS 817.11) verfügte die B.___ (nachfolgend: Beschwerdegegnerin) am 19. Juli 2022, der Beschwerdeführer habe innert 30 Tagen CHF 908.00 (CHF 720.00 für sofortigen Einsatz mit Sondersignal; CHF 80.00 für med. Leistung klein; CHF 108.00 für Zuschlag für Transport Nacht [19-7 Uhr]) zu bezahlen.

 

4. Der Beschwerdeführer erhob am 31. Oktober 2022 Verwaltungsgerichtsbeschwerde und beantragte sinngemäss, die Rechnung sei aufzuheben. Die Passantin habe die Rechnung zu bezahlen, zumal sie die Ambulanz avisiert habe. Er habe dem medizinischen Personal wiederholt zu verstehen gegeben, dass er keine Ambulanz benötige. Daraufhin habe das medizinische Personal gefragt, ob sie ihn nach Hause fahren sollen, zumal sie zurzeit keine weiteren Aufträge hätten. Diesbezüglich habe der Beschwerdeführer eingewilligt. Der Transport mit der Ambulanz sei aus «Goodwill» und aufgrund fehlender Auslastung, und nicht aus Notwendigkeit erfolgt. Die Rechnung sowie die darauffolgenden Mahnungen habe der Beschwerdeführer alsdann ignoriert, weil er gemeint habe, die Sache erledige sich von selbst.

 

5. Die Beschwerdegegnerin beantragte am 6. Januar 2023 sinngemäss, die Beschwerde sei abzuweisen. Der Beschwerdeführer habe auf die Passantin nicht reagiert, weshalb sie über dessen Zustand besorgt gewesen sei. Sie habe im mutmasslichen Sinne des Beschwerdeführers gehandelt und den Rettungsdienst alarmiert, zumal sie angenommen habe, es könne ein ernstes, unter Umständen lebensbedrohliches Problem vorliegen. Auch wenn der Beschwerdeführer nicht mehr gut hören würde, hätte er bei gänzlich unbeeinträchtigtem Zustand auf das Ansprechen der Passantin reagieren sollen, was aber nicht der Fall gewesen sei. Der Beschwerdeführer sei alkoholisiert und deshalb reaktionsgemindert gewesen, was eine einfache Beurteilung für eine nicht-medizinisch ausgebildete Person schwierig bis unmöglich gemacht habe. Einer nicht ansprechbaren Person im öffentlichen Raum müsse die Alarmierung des Rettungsdienstes als wahrscheinliche Konsequenz bewusst sein. In casu sei also erste Hilfe anhand zuzumutenden Massnahmen geleistet worden, was dann die Rettungskette ausgelöst habe. Die Rechnung sei gerechtfertigt.

 

 

II.

 

1. Die Beschwerde ist formgerecht erhoben worden. Sie ist zulässiges Rechtsmittel und das Verwaltungsgericht zur Beurteilung zuständig (vgl. § 49 Gerichtsorganisationsgesetz, GO, BGS 125.12). Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Entscheid beschwert und damit zur Beschwerde legitimiert.

 

2. Beschwerden sind nach § 32 Abs. 1 des Gesetzes über den Rechtsschutz in Verwaltungssachen (VRG, BGS 124.11) innert zehn Tagen seit Zustellung der angefochtenen Verfügung des Entscheides bei der oberen Instanz einzureichen. Sind Verfügungen Entscheide nicht eröffnet worden, so läuft die Beschwerdefrist vom Zeitpunkt an, in welchem die Partei davon Kenntnis erhielt (Abs. 2). Das VRG enthält keine Bestimmung dazu, wann eine Verfügung ein Entscheid als zugestellt eröffnet gilt. In § 21 Abs. 1 VRG wird lediglich festgehalten, dass die Eröffnung grundsätzlich schriftlich zu erfolgen hat. Die Bestimmungen der Zivilprozessordnung finden auf das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde keine Anwendung. Nach konstanter Rechtsprechung des Bundesgerichts gilt jedoch Folgendes: Wird der Adressat anlässlich einer versuchten Zustellung nicht angetroffen und daher eine Abholeinladung in seinen Briefkasten sein Postfach gelegt, so gilt die Sendung in jenem Zeitpunkt als zugestellt, in welchem sie auf der Post abgeholt wird; geschieht das nicht innert der Abholfrist, die sieben Tage beträgt, so gilt die Sendung als am letzten Tag dieser Frist zugestellt, sofern der Adressat mit der Zustellung hatte rechnen müssen. Die am 19. Juli 2022 per A-Post verschickte Rechnung der Beschwerdegegnerin ist erfahrungsgemäss mit keiner Rechtsmittelbelehrung versehen. Die erste Mahnung, welche üblicherweise eine Rechtsmittelbelehrung enthält, hat der Beschwerdeführer angeblich nicht erhalten. Eine Zustellung derselben konnte mittels der Akten nicht nachgewiesen werden. Ob die Beschwerde fristgerecht erhoben worden ist, kann vorliegend offenbleiben, zumal die Beschwerde ohnehin abzuweisen ist.

 

3. Das Entgelt, das die Beschwerdegegnerin verlangt, ist rechtlich eine Benutzungsgebühr. Die Preise des Spitals stehen in keinem Gebührentarif. Dies ist auch nicht zwingend nötig. Die maximale Gebühr ergibt sich aus dem Äquivalenzprinzip (Häfelin/Müller/Uhlmann: Allgemeines Verwaltungsrecht, Zürich 2020, Rz 2769 und 2809; Urteil des Verwaltungsgerichts Zürich VB.2017.00213).

 

3.1 Nach Ziffer 7 der allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) der B.___ sei derjenige kostenpflichtig, wegen dessen Gesundheitszustand die Ambulanz gerufen worden sei resp. derjenige, der von der Leistung hätte profitieren sollen, auch bei Leerfahrten. Die Grundtaxe der Primär-Krankentransporte beträgt CHF 900.00, der Zuschlag für eine kleine medizinische Leistung CHF 100.00, der Nachtzuschlag (19-7 Uhr) beläuft sich auf 25 % der Grundtaxen.

 

3.2 Im vorliegenden Fall stellt sich die Frage, ob mit Bezug auf die finanziellen Folgen des Rettungsdienstaufgebotes von einer im Interesse des Beschwerdeführers erfolgten «Geschäftsführung ohne Auftrag» nach Art. 419 ff. OR. ausgegangen werden durfte. Die besonderen Merkmale der echten und berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag bestehen dem Grundsatz nach darin, dass ein auftragslos handelnder Geschäftsführer ein (fremdes) Geschäft im Interesse eines Auftragsgebers (Art. 422 Abs. 1 OR) besorgt, dass die Geschäftsführung durch das Interesse des Geschäftsherrn «geboten» ist (Art. 422 Abs. 1 OR) und dass der Geschäftsführung kein (wirksames) Einmischungsverbot entgegen steht (Art. 420 Abs. 3 OR). Dem Geschäftsführer sind alle «Verwendungen» zu ersetzen (Art. 422 Abs. 1 OR). Gebotenheit besteht zunächst, wenn die Geschäftsführung geradezu «notwendig» bzw. unerlässlich ist (z.B. zur Verhütung eines drohenden Schadens). Ein überwiegender Teil der Lehre und die bundesgerichtliche Rechtsprechung verlangen ferner, dass die Geschäftsführung «dringlich» sein muss bzw. eine Hilfsbedürftigkeit des Geschäftsherrn vorliegt (vgl. BGE 95 II 93; BGE 4A_496/2007). Das Tatbestandsmerkmal der Gebotenheit eröffnet dem Geschäftsführer – und in diesem Verfahren der urteilenden Gerichtsinstanz – somit einen Ermessensspielraum. In negativer Umschreibung liegt Gebotenheit vor, wenn die Handlung des Geschäftsführers nicht unterlassen werden konnte, ohne ein erhebliches berechtigtes Interesse des Geschäftsherrn zu schädigen. Wie es sich in dieser Hinsicht hier verhält, ist nachstehend zu beurteilen.

 

4. Dem Antrag des Beschwerdeführers, die Passantin, welche die Ambulanz avisierte, habe die Rechnung zu tragen, kann nicht gefolgt werden. Auszugehen ist von der Feststellung, dass sich die Passantin aufgrund der fehlenden Reaktion des Beschwerdeführers veranlasst sah, über den Rettungsdienst medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Dieses Vorgehen schien der notabene medizinisch nicht ausgebildeten Passantin aufgrund der Umstände als angezeigt, was nicht zu beanstanden ist, umso weniger als eine unterlassene Hilfeleistung unter Strafe steht (vgl. Art. 128 des Schweizerischen Strafgesetzbuches [StGB, SR 311.0]). Nicht ausschlaggebend war in casu der erst im Nachhinein, aufgrund des möglichen Dialogs mit dem Beschwerdeführer erhobene Befund, dass keine akute medizinische Behandlungsbedürftigkeit gegeben war. Diese Erkenntnis blieb der Passantin – einer medizinischen Laiin – im Zeitpunkt des Aufgebots des Rettungsdienstes verborgen. Dass eine Passantin angesichts einer nicht ansprechbaren Person der Ansicht war, den Rettungsdienst aufbieten zu müssen, zeugt von besonnenem und umsichtigem Handeln. Dass Passanten dabei ein gewisser Handlungsspielraum zuzubilligen ist, wurde bereits erwähnt. Es ist lebensfremd, Passanten, welche ihrer gesetzlichen Pflicht nachkommen, die Kosten für das Avisieren der Ambulanz auferlegen zu wollen, zumal dies eine unnötige Hemmschwelle angesichts der potentiellen Kostenübernahme entstehen lässt. Würde sich ein jeder zuerst über die Kostentragungspflicht sorgen, so würde die Allgemeinheit der gesetzlichen Hilfeleistungspflicht nicht nachkommen können, wodurch ein gewisses Risiko für die Gesundheit der breiten Bevölkerung geschaffen wird. Das Aufbieten des Rettungsdienstes für den Beschwerdeführer war im vorliegenden Fall geboten und auch in seinem Interesse, zumal von der Passantin nicht ausgeschlossen werden konnte, dass es sich um einen ernsthaften medizinischen Notfall hätte handeln können. Ferner ist im vorliegenden Fall äusserst unwahrscheinlich, dass die Passantin den Beschwerdeführer ohne jeglichen Grund die Ambulanz avisiert hat. Diese Reaktion der Passantin hat der Beschwerdeführer mit seinem Verhalten veranlasst, was ihm anzulasten ist. Somit ist das Avisieren der Ambulanz unter dem Gesichtspunkt der Geschäftsführung ohne Auftrag im Sinne von Art. 419 ff. OR zu würdigen, wodurch unter Anwendung von Art. 422 Abs. 1 OR sowie gestützt auf Ziffer 7 der AGBs der B.___ die Kosten des Aufgebotes des Rettungsdienstes in Höhe von CHF 720.00, zzgl. Nachtzuschlag im Betrag von CHF 108.00 der Beschwerdeführer zu tragen hat. Explizit handelt es sich beim Betrag in Höhe von CHF 108.00 um einen Zuschlag, und nicht um eine Transportleistung. Betreffend den Aufwand der in der Faktura aufgelisteten «med. Leistung klein» in Höhe von CHF 80.00 moniert der Beschwerdeführer, dass die Beschwerdegegnerin diverse Dienstleistungen verrechnet hat, die nie so stattgefunden haben. Die in Rechnung gestellte medizinische Leistung sind unter Beizug des Einsatzprotokolls dahingehend zu verstehen, dass die medizinischen Einsatzkräfte den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers abgeklärt haben, wodurch eine dahingehende Dienstleistung stattgefunden hat und in Rechnung gestellt werden kann. Diesfalls hat der Beschwerdeführer ebenso für die Kosten in Höhe von CHF 80.00 aufzukommen.

 

5. Die Beschwerde ist demnach abzuweisen, soweit überhaupt darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang hat der Beschwerdeführer die Kosten des Verfahrens vor Verwaltungsgericht zu bezahlen, die einschliesslich der Entscheidgebühr auf CHF 250.00 festzusetzen sind. Sie werden mit dem geleisteten Kostenvorschuss in gleicher Höhe verrechnet. Parteientschädigung ist der Beschwerdegegnerin keine auszurichten (§ 19quater Abs. 1 SpiG).

 

 

Demnach wird erkannt:

 

1.     Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird.

2.     Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Verfahrens vor Verwaltungsgericht von CHF 250.00 zu bezahlen.

 

 

Rechtsmittel: Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Eröffnung des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Schweizerischen Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich.

 

Im Namen des Verwaltungsgerichts

Der Oberrichter                                                                 Die Gerichtsschreiberin

Thomann                                                                           Law

 



 
Quelle: https://gerichtsentscheide.so.ch/
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