Zusammenfassung des Urteils VWBES.2022.226: Verwaltungsgericht
Das Verwaltungsgericht hat entschieden, dass Dr. med. B.___ vom Berufsgeheimnis entbunden wird, um relevante Informationen über die Patientin A.___ an die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde weiterzugeben. A.___ hat dagegen Beschwerde eingereicht, da sie die Entbindung für unzulässig hält. Nach ausführlicher Prüfung der Sachlage und der gesetzlichen Bestimmungen kam das Gericht zum Schluss, dass die Beschwerde unbegründet ist und abgewiesen wird. A.___ muss die Verfahrenskosten von CHF 800.00 tragen.
Kanton: | SO |
Fallnummer: | VWBES.2022.226 |
Instanz: | Verwaltungsgericht |
Abteilung: | Verwaltungsgericht |
Datum: | 29.08.2022 |
Rechtskraft: |
Leitsatz/Stichwort: | - |
Schlagwörter: | ändig; Entbindung; Verwaltungsgericht; Berufsgeheimnis; Kindes; Tochter; Informationen; Interesse; Verfügung; Beschwerde; Verfahren; Urteil; Interessen; Abklärung; Vorinstanz; Entscheid; Behörde; Person; Verfahrens; Bundesgericht; Rechtsanwältin; Departement; Innern; Gefährdungsmeldung; Bundesgerichts; Geheimnis; Interessenabwägung |
Rechtsnorm: | Art. 443 ZGB ; |
Referenz BGE: | - |
Kommentar: | Thomas Geiser, Christoph Auer, Marti, Basler Zivilgesetzbuch I, Art. 443 ZGB, 2018 |
Geschäftsnummer: | VWBES.2022.226 |
Instanz: | Verwaltungsgericht |
Entscheiddatum: | 29.08.2022 |
FindInfo-Nummer: | O_VW.2022.143 |
Titel: | Entbindung vom Berufsgeheimnis |
Resümee: |
Verwaltungsgericht
Urteil vom 29. August 2022 Es wirken mit: Oberrichterin Weber-Probst Oberrichter Müller Gerichtsschreiberin Gottesman In Sachen A.___ vertreten durch Rechtsanwältin Noemi Sprenger, Beschwerdeführerin
gegen
1. Departement des Innern, vertreten durch Rechtsdienst Departement des Innern, Beschwerdegegner
betreffend Entbindung vom Berufsgeheimnis zieht das Verwaltungsgericht in Erwägung:
I.
1. Am 7. Juni 2022 ersuchte Dr. med. B.___ die Kantonsärztin um Entbindung vom Berufsgeheimnis hinsichtlich ihrer Patientin A.___. Diesem Gesuch entsprach das Departement des Innern (DdI) mit Verfügung vom 21. Juni 2022 und entband Dr. med. B.___ vom Berufsgeheimnis, um der zuständigen Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) die für die Abklärung der Gefährdungsmeldung betreffend die Tochter von A.___ relevanten Informationen herauszugeben.
2. Gegen diese Verfügung wandte sich A.___, vertreten durch Rechtsanwältin Noemi Sprenger, mit Beschwerde vom 24. Juni 2022 an das Verwaltungsgericht und stellte folgende Anträge in der Sache:
1. Die Verfügung der Vorinstanz vom 21. Juni 2022 sei aufzuheben. 2. Eventualiter sei die Verfügung vom 21. Juni 2022 aufzuheben und die Angelegenheit zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 3. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen.
Sie stellte zudem folgende Verfahrensanträge:
1. Der Beschwerde vom 24. Juni 2022 sei die aufschiebende Wirkung zu erteilen. 2. Der unterzeichneten Rechtsanwältin seien die gesamten Verfahrensakten zur Einsichtnahme zuzustellen. 3. Es sei der unterzeichneten Rechtsanwältin eine angemessene Frist zur einlässlichen Beschwerdebegründung von mindestens vier Wochen, ab Erhalt sämtlicher Verfahrensakten zu gewähren.
3. Mit verfahrensleitender Verfügung vom 27. Juni 2022 wurde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung erteilt.
4. Am 11. Juli 2022 reichte die Beschwerdeführerin fristgerecht die ergänzende Beschwerdebegründung ein.
5. Mit Vernehmlassung vom 11. Juli 2022 schloss das DdI auf Abweisung der Beschwerde unter Kostenfolge zulasten der Beschwerdeführerin.
6. Mit Eingabe vom 2. August 2022 reichte die Beschwerdeführerin weitere Bemerkungen ein.
7. Das DdI äusserte sich mit Eingabe vom 2. August 2022 erneut.
8. Dr. med. B.___, äusserte sich mit Stellungnahme vom 7. August 2022 zur Beschwerde.
9. Die Beschwerdeführerin machte am 16. August 2022 bzw. 22. August 2022 weitere Eingaben.
10. Für die Ausführungen der Parteien wird, soweit nachstehend nicht auf sie einzugehen ist, auf die Akten verwiesen.
II.
1. Die Beschwerde ist frist- und formgerecht erhoben worden. Sie ist zulässiges Rechtsmittel und das Verwaltungsgericht zur Beurteilung zuständig (vgl. § 49 Gerichtsorganisationsgesetz, GO, BGS 125.12). Im Zusammenhang mit der Entbindung vom Berufsgeheimnis ist der Geheimnisherr legitimiert zur Beschwerde gegen die dem Geheimnisträger erteilte Entbindung (vgl. Urteil des Bundesgerichts 2C_215/2015 vom 16. Juni 2016, E. 1.2.2). A.___ ist demnach durch den angefochtenen Entscheid beschwert und damit zur Beschwerde legitimiert. Auf die Beschwerde ist einzutreten.
2. Nach Art. 40 lit. f Bundesgesetz über die universitären Medizinalberufe (Medizinalberufegesetz, MedBG, SR 811.11) wahren Personen, die einen universitären Medizinalberuf ausüben, das Berufsgeheimnis nach Massgabe der einschlägigen Vorschriften. Diese Bestimmung enthält selber keine materiellen Vorschriften über das Berufsgeheimnis, sondern verweist auf die massgebenden anderen Vorschriften, so namentlich auf Art. 321 Schweizerisches Strafgesetzbuch (StGB, SR 311.0). Ärzte, die ein Geheimnis offenbaren, das ihnen infolge ihres Berufes anvertraut worden ist das sie in dessen Ausübung wahrgenommen haben, werden, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren Geldstrafe bestraft (Art. 321 Ziff. 1 StGB). Der Täter ist nicht strafbar, wenn er das Geheimnis auf Grund einer Einwilligung des Berechtigten einer auf Gesuch des Täters erteilten schriftlichen Bewilligung der vorgesetzten Behörde Aufsichtsbehörde offenbart hat (Art. 321 Ziff. 2 StGB). Vorbehalten bleiben die eidgenössischen und kantonalen Bestimmungen über die Zeugnispflicht und über die Auskunftspflicht gegenüber einer Behörde (Art. 321 Ziff. 3 StGB; vgl. Urteil des Bundesgerichts 2C_215/2015 vom 16. Juni 2016, E. 3).
3. Im Kanton Solothurn ist das Departement des Innern für die schriftliche Entbindung vom Berufsgeheimnis zuständig (vgl. § 16 Abs. 2 lit. b Gesundheitsgesetz, GesG, BGS 811.11). Art. 321 Ziff. 2 StGB sieht eine Bewilligung der vorgesetzten Behörde Aufsichtsbehörde vor, nennt selber aber keine Kriterien, nach denen diese Bewilligung erteilt verweigert werden soll. Nach Rechtsprechung und Literatur ist dafür eine Rechtsgüter- und Interessenabwägung vorzunehmen, wobei die Entbindung nur zu bewilligen ist, wenn dies zur Wahrung überwiegender privater öffentlicher Interessen notwendig ist bzw. die Interessen an der Entbindung klar überwiegen (Urteil des Bundesgerichts 2C_215/2015 vom 16. Juni 2016, E. 3).
4.1 Dr. med. B.___ ist als Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie tätig. Ihr Gesuch, gegenüber der zuständigen KESB von der beruflichen Schweigepflicht entbunden zu werden, begründete sie sinngemäss damit, dass ihre Informationen der KESB ermöglichen sollen, aufgrund der psychischen Störung der Beschwerdeführerin die notwendigen Abklärungen, insbesondere die Einschätzung des Kindeswohls der Tochter, vorzunehmen. Die Beschwerdeführerin sei am 19. Mai 2022 zum Erstgespräch erschienen und sie habe diese innert 14 Tagen vier Mal gesehen, davon einmal auch mit ihrer EMDR Traumatherapie Supervisorin, weil sie die Beschwerdeführerin so akut belastet erlebt habe und in Sorge um das Kind gewesen sei. Sie habe die Beschwerdeführerin jedes Mal schwergradig beeinträchtigt erlebt, habe nach dem Erstgespräch aus Sorge vor einer akuten Suizidalität mehrmals mit ihr telefoniert. In ihrer Praxis habe sie einmal ohne Kind einen kurzen stupurösen Zustand gezeigt, der sich dann am nächsten Tag mit der Tochter auf dem Schoss wiederholt und sie veranlasst habe, die Mutter mit dem Baby per fürsorgerische Unterbringung in die Psychiatrische Klinik Solothurn zu schicken. Wie schon einmal im Januar 2022 geschehen, sei die Beschwerdeführerin nach der fürsorgerischen Unterbringung vom Partner gegen Unterschrift abgeholt worden. Aufgrund der ihr vorliegenden Informationen gehe sie diagnostisch von einer schweren psychiatrischen Störung, einer dissoziativen Identitätsstörung (F44.81) bei der Beschwerdeführerin aus, welche als Symptom verschiedene persönliche Erscheinungsbilder der Patientin beinhalte, welche sich auch auf das Kind ausweiten könne (Münchhausen by Proxi). Die Beschwerdeführerin wolle keinen Kontakt zu Angehörigen, vor allem nicht zur Mutter, was darauf hindeute, dass es sich auch um ein systemisches Problem handeln könnte, was die Lage noch weiter erschwere. Der Hausarzt, der die Beschwerdeführerin seit einigen Jahren betreue, kenne den Vater des Kindes und die Grosseltern nicht, die das Kind aber auch betreuten. Die zusammengekommenen Informationen seien so beunruhigend, dass eine Gefährdungsmeldung an die zuständige KESB aus ihrer Sicht nötig sei.
4.2 Die Vorinstanz erwog im angefochtenen Entscheid, die KESB sei im vorliegenden Fall für die korrekte Wahrnehmung ihres behördlichen Auftrags, konkret für die Abklärung einer allfälligen Kindeswohlgefährdung, zwingend auf die medizinisch-therapeutischen Informationen betreffend die Kindsmutter angewiesen. Das öffentliche Interesse an der richtigen Abklärung einer Gefährdungsmeldung betreffend ein einjähriges Kind bzw. an der korrekten Erfüllung des behördlichen Auftrags überwiege im vorliegenden Fall das Interesse der Berechtigten an der Geheimhaltung. Dadurch werde letztlich auch dem Kindswohl angemessen Rechnung getragen. Dem Ersuchen von Dr. med. B.___ um Entbindung vom Berufsgeheimnis könne folglich stattgegeben werden.
4.3 Die Beschwerdeführerin wendet dagegen im Wesentlichen ein, die zuständige KESB habe am 28. Januar 2022 ein Kindesschutzverfahren eröffnet, um zu prüfen, ob die Beschwerdeführerin sowie der Kindsvater in Bezug auf ihre Tochter behördliche Unterstützung benötigten. Das betreffende Verfahren sei seitens der zuständigen KESB mit Verfügung vom 24. Mai 2022 ohne Anordnung von Massnahmen abgeschlossen worden. In der betreffenden Abschlussverfügung werde ausdrücklich festgehalten, dass die Beschwerdeführerin stabil und ihre Tochter nicht gefährdet sei. Dies werde auch durch den Umstand belegt, dass die gegenüber der Beschwerdeführerin angeordnete fürsorgerische Unterbringung bereits nach zwei Stunden und zwei kurzen Gesprächen wieder beendet worden sei. Der Bericht der Psychiatrischen Dienste vom 25. Mai 2022 halte fest, dass bei der Beschwerdeführerin keine akute schwerwiegende Störung vorliege, welche eine zwingende stationäre Behandlung begründe und sie auch in der Lage sei, adäquat für ihre Tochter zu sorgen. Es sei nicht ersichtlich, weshalb sich an dieser Stelle erneut die Einleitung eines Kindesschutzverfahrens aufdrängen bzw. ein solches verhältnismässig sein sollte. Dies insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass die Beschwerdeführerin ihre Situation weiterhin im ambulanten Setting besprochen habe. Der Umstand, dass die zuständige KESB erst vor Kurzem zum Schluss gelangt sei, dass das eingeleitete Kindesschutzverfahren ohne Anordnung von Kindesschutzmassnahmen abgeschlossen werden könne, sei seitens der Vorinstanz bei der Interessenabwägung nicht berücksichtigt worden; zumindest gehe dies aus der angefochtenen Verfügung nicht hervor. Weiter sei bei der Interessenabwägung nicht berücksichtigt worden, dass die gesundheitlichen Beschwerden der Beschwerdeführerin oftmals somatischer Natur gewesen seien. Dies gehe aus dem Bericht des Hausarztes vom 5. Juli 2022 hervor.
5. Jede Person ist berechtigt, eine Meldung an die KESB zu machen, wenn eine andere Person hilfsbedürftig erscheint. Die Meldung ist zulässig, wenn eine Person hilfsbedürftig erscheint. Es ist nicht erforderlich, dass die Hilfsbedürftigkeit tatsächlich besteht. Das abzuklären ist Sache der zuständigen KESB. Die meldende Person handelt mit anderen Worten rechtmässig, wenn sie davon ausgeht, es seien möglicherweise Schutzmassnahmen nötig. Dabei muss sie keine Kenntnisse über die rechtlichen Voraussetzungen für ein behördliches Einschreiten haben (vgl. Luca Maranta/Christoph Auer/Michèle Marti in: Thomas Geiser/Christiana Fountoulakis [Hrsg.], Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch I, Basel 2018, Art. 443 ZGB N 7 f.).
6. Aufgrund der Akten steht fest, dass im vorliegenden Fall ernsthafte Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Beschwerdeführerin aufgrund ihrer psychischen Erkrankung mit der Betreuung ihrer Tochter überfordert sein könnte. Diesbezüglich ist auf die Angaben von Dr. med. B.___ zu verweisen. Diese war ohne Weiteres berechtigt, eine entsprechende Gefährdungsmeldung an die zuständige KESB zu machen. Es mag zutreffen, dass die zuständige KESB noch im Mai 2022 die Situation abgeklärt und das Verfahren ohne Anordnung einer Massnahme abgeschlossen hat. Zwischenzeitlich wurde die Beschwerdeführerin jedoch per FU wegen schwerer depressiver Episode mit vermuteten psychotischen Symptomen sowie katatonem Zustand zur stationären Behandlung in die Psychiatrische Klinik Solothurn zugewiesen (vgl. Urkunde 5 der Beschwerdeführerin). Offenbar wurde bereits im Januar 2022 eine fürsorgerische Unterbringung der Beschwerdeführerin angeordnet. Wenn Dr. med. B.___ in der vorliegenden, neuen Situation vermutete, dass die Tochter der Beschwerdeführerin gefährdet und eine Abklärung durch die Behörden erforderlich sei und daher die zuständige KESB mit den nötigen Informationen bedienen wollte, ist dies nicht zu beanstanden. Die Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht dient dazu, gegenüber der zuständigen KESB diejenigen Informationen offenzulegen, die es der Behörde ermöglichen, die als problematisch wahrgenommene Situation abzuklären und zu beurteilen. Entgegen den Äusserungen und Bedenken der Beschwerdeführerin wird die Einschätzung von Dr. med. B.___ von der KESB nicht einfach übernommen. Vielmehr hat die KESB alle erforderlichen Informationen einzuholen und dabei auch die Beschwerdeführerin anzuhören. Sodann steht der Beschwerdeführerin gegen allfällige durch die KESB angeordnete Kindesschutzmassnahmen der Rechtsmittelweg offen (vgl. Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich VB.2016.439 vom 27. Oktober 2016, E. 4.2). Mit Blick darauf vermag die Beschwerdeführerin die Interessenabwägung der Vorinstanz jedenfalls nicht infrage zu stellen.
7. Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet, sie ist abzuweisen. Bei diesem Ausgang hat A.___ die Kosten des Verfahrens vor Verwaltungsgericht zu bezahlen, die einschliesslich der Entscheidgebühr auf CHF 800.00 festzusetzen sind. Die Ausrichtung einer Parteientschädigung kommt bei diesem Ergebnis nicht in Betracht.
Demnach wird erkannt:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen. 2. A.___ hat die Kosten des Verfahrens vor Verwaltungsgericht von CHF 800.00 zu bezahlen.
Rechtsmittel: Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Eröffnung des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Schweizerischen Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich.
Im Namen des Verwaltungsgerichts
Die Präsidentin Die Gerichtsschreiberin
Scherrer Reber Gottesman |
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