Zusammenfassung des Urteils VWBES.2022.187: Verwaltungsgericht
Das Verwaltungsgericht behandelt den Fall von A.___, der sich gegen eine Zwangsmedikation in einer psychiatrischen Klinik wehrt. Nach einer vorherigen erfolgreichen Beschwerde wird A.___ erneut in der Klinik festgehalten, woraufhin sie Beschwerde einlegt. Das Gericht prüft die rechtlichen Grundlagen für eine Behandlung ohne Zustimmung und kommt zu dem Schluss, dass die Zwangsmedikation gerechtfertigt ist, um die Gesundheit und Sicherheit von A.___ zu gewährleisten. Die Beschwerde wird abgewiesen, und der Kanton Solothurn trägt die Gerichtskosten.
Kanton: | SO |
Fallnummer: | VWBES.2022.187 |
Instanz: | Verwaltungsgericht |
Abteilung: | Verwaltungsgericht |
Datum: | 19.05.2022 |
Rechtskraft: |
Leitsatz/Stichwort: | - |
Schlagwörter: | Behandlung; Klinik; Verwaltungsgericht; Zustimmung; Störung; Unterbringung; Zwangsmedikation; Medikament; Entscheid; Gutachten; Person; Medikation; Depot; Realitäts; Abilify; Medikamente; Massnahme; Zustand; Verhalten; Medikamenten; Urteil; Solothurn; Hospitalisation; Verwaltungsgerichts; Verordnung; Frist; Ziffer; Wochen |
Rechtsnorm: | Art. 434 ZGB ;Art. 439 ZGB ; |
Referenz BGE: | - |
Kommentar: | Thomas Geiser, Reusser, Basler Erwachsenenschutz, Art. 439 ZGB ZG, 2012 |
Geschäftsnummer: | VWBES.2022.187 |
Instanz: | Verwaltungsgericht |
Entscheiddatum: | 19.05.2022 |
FindInfo-Nummer: | O_VW.2022.90 |
Titel: | Behandlung ohne Zustimmung |
Resümee: |
Verwaltungsgericht
Urteil vom 19. Mai 2022 Es wirken mit: Vizepräsident Müller Oberrichter Werner Oberrichterin Weber-Probst Gerichtsschreiberin Gottesman In Sachen A.___
Beschwerdeführerin
gegen
Psychiatrische Dienste, Weissensteinstrasse 102, 4503 Solothurn,
Beschwerdegegnerin
betreffend Behandlung ohne Zustimmung zieht das Verwaltungsgericht in Erwägung:
I.
1. A.___ befindet sich aktuell in der Psychiatrischen Klinik Solothurn (nachfolgend Klinik genannt). Eine erste Hospitalisation in der Klinik erfolgte vom 8. bis 28. April 2022. Damals hiess das Verwaltungsgericht die Beschwerde von A.___ gut und hob die mit Entscheid der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) Olten-Gösgen vom 11. April 2022 verlängerte fürsorgerische Unterbringung in der Klinik auf (vgl. Urteil des Verwaltungsgerichts VWBES.2022.153 vom 29. April 2022).
2. Am 30. April 2022 verfügte die ärztliche Leitung der Klinik wiederum die dortige Zurückbehaltung von A.___. Das Vizepräsidium der KESB Olten-Gösgen verlängerte daraufhin mit Entscheid vom 2. Mai 2022 die fürsorgerische Unterbringung (nachfolgend FU genannt) von A.___ und übertrug die Zuständigkeit für die Entlassung der Klinik. Dagegen erhob A.___ Beschwerde beim Verwaltungsgericht. Anlässlich der Instruktionsverhandlung vom 10. Mai 2022 zog A.___ die Beschwerde zurück, woraufhin das Verfahren abgeschrieben wurde (vgl. Urteil des Verwaltungsgerichts VWBES.2022.184 vom 10. Mai 2022).
3. Mit Eingabe vom 10. Mai 2022 gelangte A.___ (nachfolgend Beschwerdeführerin genannt) an das Verwaltungsgericht und erhob Beschwerde gegen die Zwangsmedikation, welche der Verordnung über geplante Behandlung ohne Zustimmung im Rahmen einer FU der Klinik vom 6. Mai 2022 entnommen werden kann.
4. Der Instruktionsrichter des Verwaltungsgerichts gab am 12. Mai 2022 ein unabhängiges Gutachten in Auftrag. Dieses erstellte Dr. med. S. Kölzow, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie FMH, am 16. Mai 2022.
5. Die Parteien liessen sich innert Frist zum Gutachten nicht vernehmen.
II.
1. Anlässlich einer fürsorgerischen Unterbringung kann die betroffene eine ihr nahestehende Person bei Behandlung einer psychischen Störung ohne Zustimmung schriftlich das zuständige Gericht anrufen (Art. 439 Abs. 1 Ziffer 4 Schweizerisches Zivilgesetzbuch [ZGB, SR 210]). Die Frist zur Anrufung des Gerichts beträgt zehn Tage seit Mitteilung des Entscheids.
A.___ setzt sich gegen die Verabreichung einer Depotmedikation zur Wehr. Diesbezüglich liegt eine Verordnung über eine geplante Behandlung ohne Zustimmung vom 6. Mai 2022 vor, mit welcher letztmals eine Medikation angeordnet wurde. Da die Zwangsmedikation bereits erfolgt ist, mangelt es der Beschwerdeführerin grundsätzlich am Rechtsschutzinteresse zur Überprüfung dieses Entscheids (vgl. Thomas Geiser/Mario Etzensberger in: Thomas Geiser/Ruth E. Reusser [Hrsg.], Basler Kommentar, Erwachsenenschutz, Basel 2012, Art. 439 ZGB N 14).
Gemäss Angaben des zuständigen Oberarztes der Klinik ist aber eine entsprechende Behandlung alle vier Wochen vorgesehen, womit die Beschwerdeführerin ein schutzwürdiges Interesse an der Überprüfung im Hinblick auf künftige Behandlungen hat. Auf die frist- und formgerecht erhobene Beschwerde ist demnach einzutreten.
2. Gemäss Art. 434 Abs. 1 ZGB kann der Chefarzt die Chefärztin der Abteilung die im Behandlungsplan vorgesehenen medizinischen Massnahmen schriftlich anordnen, wenn die Zustimmung der betroffenen Person fehlt und ohne Behandlung der betroffenen Person ein ernsthafter gesundheitlicher Schaden droht das Leben die körperliche Integrität Dritter ernsthaft gefährdet ist (Ziffer 1), die betroffene Person bezüglich ihrer Behandlungsbedürftigkeit urteilsunfähig ist (Ziffer 2) und keine angemessene Massnahme zur Verfügung steht, die weniger einschneidend ist (Ziffer 3). Die Anordnung ist der betroffenen Person und ihrer Vertrauensperson verbunden mit einer Rechtsmittelbelehrung schriftlich mitzuteilen (Abs. 2). Jede Behandlung ohne Zustimmung ist zudem unverzüglich der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde mitzuteilen (§ 125 EG ZGB).
Damit eine Behandlung ohne Zustimmung gestützt auf Art. 434 ZGB zulässig ist, muss die betroffene Person fürsorgerisch in einer Einrichtung untergebracht worden sein und die Unterbringung muss zur Behandlung einer psychischen Störung erfolgt sein. Weiter muss sich die Behandlung auf den Behandlungsplan nach Art. 433 ZGB stützen. Nur Massnahmen, welche in diesem vorgesehen sind, können angeordnet werden (Thomas Geiser/Mario Etzensberger in: Honsell / Vogt / Geiser [Hrsg.]: Basler Kommentar, ZGB I, Basel 2014, Art. 434/435 ZGB N 13 ff.).
2.1 Während der Behandlung vom 6. Mai 2022 war die Beschwerdeführerin in der Klinik fürsorgerisch untergebracht. Die ohne ihre Zustimmung durchgeführte Medikation erfolgte zur Behandlung der a.e. schizoaffektive Störungen, gegenwärtig manisch, DD Psychische und Verhaltensstörungen durch Cannabinoide: Psychotische Störung. Die Massnahme wurde durch den Oberarzt, Dr. L. Gueth, schriftlich und mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen angeordnet. In der Anordnung wird auf den Behandlungsplan vom 2. Mai 2022 verwiesen. Die formellen Anforderungen an die Behandlung ohne Zustimmung sind erfüllt.
2.2.1 Zur Prüfung der materiellen Voraussetzungen der Zwangsmedikation sind zum einen die Angaben von Dr. med. L. Gueth in der «Verordnung über geplante Behandlung ohne Zustimmung im Rahmen einer FU» vom 6. Mai 2022 und zum anderen das Gutachten von Dr. med. S. Kölzow vom 16. Mai 2022 heranzuziehen.
Der Verordnung von Dr. Gueth ist zu entnehmen, dass eine erste Hospitalisation in der Klinik vom 8. bis 28. April 2022 erfolgt sei, dies mit Verdachtsdiagnose einer psychischen und Verhaltensstörungen durch Cannabinoide mit psychotischer Störung DD schizoaffektive Störungen. Zwei Mal sei eine Zwangsmedikation durchgeführt worden, das erste Mal wegen stuporösem Zustand mit fehlender Kontaktaufnahme zur Umgebung und fehlender Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr, das 2. Mal wegen Störung des Zusammenlebens mit enthemmten Verhalten, auch sexuell. Eine Einnahme einer Medikation sei von der Beschwerdeführerin verweigert worden. Bei fehlender Medikamentencompliance sei ein weiterer Aufenthalt in der Klinik als nicht zielführend beurteilt worden. Am Ende der Hospitalisation seien die Kriterien für eine fürsorgerische Unterbringung (FU) nicht mehr erfüllt gewesen, eine FU-Verlängerung sei auch seitens der KESB Olten-Gösgen abgelehnt worden. Die Beschwerdeführerin sei in die Wohnung ihres Freundes entlassen worden. Während der Hospitalisation habe die Beschwerdeführerin Einsprache gegen die fürsorgerische Unterbringung eingelegt. Das Verwaltungsgericht habe eine Begutachtung veranlasst. Im Gutachten sei ein psychotisches Zustandsbild beschrieben und die Beschwerdeführerin als hilflose, hilfsbedürftige und nicht steuerungsfähige Person sowie die Klinik als geeignete Einrichtung beurteilt worden. Mit Entscheid vom 29. April 2022 sei die Beschwerde gutgeheissen worden. Aus medizinischer Sicht habe aber weiter eine chronische Gefährdung (gekündigte Wohnung, Arbeitslosigkeit, kein gesichertes Einkommen, Betreibungen) bei psychotischer Patientin bestanden, daher sei eine Gefährdungsmeldung an die KESB gemacht worden. Seit dem 30. April 2022 sei die Beschwerdeführerin erneut in der Klinik hospitalisiert, dies per Selbstzuweisung in Begleitung der Polizei, nachdem sie sich vom Freund und einem Kollegen verfolgt und bedroht gefühlt habe. Bei Eintritt habe sie eine starke Wahnsymptomatik und imperative akustische Halluzinationen («Intuition») aufgewiesen, sie sei ärztlich zurückbehalten worden. Bei der KESB sei eine FU-Verlängerung beantragt worden. Krankheits- und Behandlungseinsicht fehlten. Zunehmend hätten sich ein desorganisiertes Denken und Handeln mit Realitäts- und Situationsverkennung bei paranoid-halluzinatorischer und auch manischer Symptomatik (sich von aussen bedroht fühlen, Hören der Stimme aus dem Bauch als Intuition, nach New York verreisen wollen, sich als Meisterstück bezeichnen) mit Wahndynamik (Angst, verbale Aggressivität), bizarrem und feindselig-bedrohlichem Verhalten (Tragen von Gummihandschuhen, Verdunkeln des Zimmers, Führen von Selbstgesprächen, Aussprechen von Drohungen), Stören des Zusammenlebens (lautes Musik hören, Rauchen von Zigaretten im Zimmer), Verweigern von Gesprächen und Kontakten (sich ins Zimmer zurückziehen, in Ruhe gelassen werden wollen) und Verweigern der Einnahme von Medikamenten gezeigt, so dass am 5. Mai 2022 eine Unterbringung im Intensivzimmer und eine intramuskuläre Zwangsmedikation mit kurzwirksamen Abilify erfolgt seien. Da in den letzten Wochen drei intramuskuläre Zwangsmedikationen mit kurzwirksamen Medikamenten erfolgt seien, sei eine weitere Zwangsmedikation mit einem kurzwirksamen Medikament für die Behandlung der vorliegenden Störung nicht als zielführend beurteilt worden. Statt mit täglichen intramuskulären Zwangsmedikationen mit kurzwirksamen Medikamenten eine suffiziente Medikation zu etablieren, sei eine Depotmedikation mit Abilify, welches alle vier Wochen zu applizieren sei, verabreicht worden.
Im Gutachten von Dr. med. S. Kölzow wird ausgeführt, bei der Beschwerdeführerin liege eine aktuell dekompensierte wahnhaft-psychotische Störung mit maniformer Ausprägung vor bei einer Vorgeschichte mit sequentiellen Beziehungsabbrüchen, allenfalls traumatisch verarbeiteten Erlebnissen. Auffallend sei, dass die Beschwerdeführerin aufgrund ihrer wahnhaften Realitätsumdeutung an einer gewissen Realitätsverkennung leide, obgleich sie zeitweise eine vordergründig gute Fassade aufrechterhalten könne. Sie zeige dabei keinerlei Krankheitseinsicht und sei als geistig krank anzusehen und bedürfe bis zu einer psychischen Stabilisierung der Fürsorge eines geschützten Rahmens und einer entsprechenden antipsychotischen Medikation. Eine Medikation gegen den Willen der Beschwerdeführerin sei nötig. Die Behandlung ohne Zustimmung mit Abilify Maintena Depot (Inj. Susp. 400 mg) sei nötig, denn ohne Rückgang der wahnhaft-psychotischen, leicht maniformen Symptomatik wäre sie ausserhalb der Klinik diversen Gefahren ausgesetzt und käme ohne den nötigen Realitätsbezug nicht mehr zurecht, wäre ein leichtes Opfer von Männern, welche sie unter anderem ausnützen würden. Nur die konsequente Behandlung mit einem Neuroleptikum könne den Rückgang der krankhaften Symptome bewirken und ihr helfen, einen adäquaten Realitätsbezug zu erlangen. Aufgrund ihrer konsequenten oralen Einnahmeverweigerung bleibe nur noch die Möglichkeit von Depotspritzen, in diesem Fall Abilify Maintena Depot Inj. (400 mg monatl.). Zu hoffen bleibe dann nach ein paar Injektionen, dass sie dann bei zunehmend adäquater Realitäts- und Selbstbeurteilung doch bereit sei, freiwillig Medikamente zu akzeptieren (ob per os als Injektion, bleibe dahingestellt).
2.2.2 Sowohl die zuständige Ärzteschaft als auch die Gutachterin bejahen eine psychische Störung der Beschwerdeführerin und erachten eine medizinische Behandlung als indiziert. Aufgrund der Fachmeinungen steht fest, dass zur Zeit keine Alternativen zur Behandlung mit Abilify Maintena Depot (Inj. Susp. 400 mg) bestehen und die von der Klinik vorgeschlagene Behandlung auch gemäss Gutachterin geeignet ist, das mit akuter Selbstgefährdung einhergehende wahnhaft-psychotische Zustandsbild der Beschwerdeführerin zurückzudrängen. Ohne antipsychotische Medikation würde ihr Zustand – wie sich nach der letzten Entlassung aus der Klinik eindrücklich gezeigt hat – innert kürzester Zeit erneut dekompensieren, sodass es erneut zu Wahngedanken und bizarrem und feindselig-bedrohlichem Verhalten der Beschwerdeführerin käme. Die Beschwerdeführerin ist weder krankheits- noch behandlungseinsichtig und verweigert entsprechend die orale Einnahme von Medikamenten. Die Verbesserung und Stabilisierung des Zustandes der Beschwerdeführerin erscheint zur Zeit einzig durch die Injektion des Medikaments Abilify Maintena Depot alle vier Wochen erreichbar – dies auch gegen den Willen der Beschwerdeführerin. Diese Massnahme ist erforderlich und zumutbar und damit auch verhältnismässig.
3. Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet, sie ist abzuweisen. Praxisgemäss trägt der Kanton Solothurn die Kosten des Verfahrens vor Verwaltungsgericht (inkl. Kosten für die Erstellung des Gutachtens von CHF 650.00) in Angelegenheiten betreffend fürsorgerische Unterbringung (§ 77 Verwaltungsrechtspflegegesetz [VRG, BGS 124.11] i.V.m. Art. 107 Abs. 1 lit. f und Art. 107 Abs. 2 der Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO, SR 272]).
Demnach wird erkannt:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen. 2. Der Kanton Solothurn trägt die Kosten des Verfahrens vor Verwaltungsgericht (inkl. Kosten für die Erstellung des Gutachtens von CHF 650.00).
Rechtsmittel: Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Eröffnung des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in Zivilsachen eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Schweizerischen Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich.
Im Namen des Verwaltungsgerichts
Der Vizepräsident Die Gerichtsschreiberin
Müller Gottesman
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