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Urteil Verwaltungsgericht (SO - VWBES.2022.156)

Zusammenfassung des Urteils VWBES.2022.156: Verwaltungsgericht

Das Verwaltungsgericht hat entschieden, dass A.___ die Möglichkeit haben soll, seine Freiheitsstrafe in Halbgefangenschaft zu verbüssen. Zuvor hatte das Amt für Justizvollzug dies abgelehnt, woraufhin A.___ Beschwerde einreichte. Das Departement des Innern wies die Beschwerde zunächst ab, jedoch wurde sie schliesslich vom Verwaltungsgericht gutgeheissen. Der Kanton Solothurn muss die Kosten des Verfahrens tragen und A.___ angemessen entschädigen.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts VWBES.2022.156

Kanton:SO
Fallnummer:VWBES.2022.156
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Verwaltungsgericht
Verwaltungsgericht Entscheid VWBES.2022.156 vom 07.09.2022 (SO)
Datum:07.09.2022
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:-
Schlagwörter: Befehl; Beschwerde; Vollzug; Verwaltungsgericht; Verfahren; Kanton; Halbgefangenschaft; Verfügung; Vollzug; Solothurn; Einsprache; Justizvollzug; Staatsanwaltschaft; Freiheitsstrafe; Beschwerdeführers; Departement; Innern; Kantons; Gesuch; Entscheid; Verfahrens; Urteil; Rechtsanwältin; Selman; Vollzugsform; Eingabe; Einspracheverfahren; Frist
Rechtsnorm: Art. 372 StGB ;Art. 77b StGB ;
Referenz BGE:-
Kommentar:
-

Entscheid des Verwaltungsgerichts VWBES.2022.156

 
Geschäftsnummer: VWBES.2022.156
Instanz: Verwaltungsgericht
Entscheiddatum: 07.09.2022 
FindInfo-Nummer: O_VW.2022.153
Titel: Ablehnung Halbgefangenschaft

Resümee:

 

Verwaltungsgericht

 

 

Urteil vom 7. September 2022  

Es wirken mit:

Präsidentin Scherrer Reber

Oberrichter Thomann

Oberrichterin Weber-Probst

Gerichtsschreiberin Gottesman

In Sachen

A.___    vertreten durch Rechtsanwältin Sine Selman,    

 

Beschwerdeführer

 

 

gegen

 

 

 

1.    Departement des Innern,    vertreten durch Rechtsdienst Departement des Innern,   

 

2.    Amt für Justizvollzug,    

 

 

Beschwerdegegner

 

betreffend     Ablehnung Halbgefangenschaft


zieht das Verwaltungsgericht in Erwägung:

 

I.

 

1. A.___ (geb. 1979, nachfolgend Beschwerdeführer genannt) wurde mit Strafbefehl der Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn vom 23. November 2021 (STA.2021.5326) wegen Diebstahls und einfacher Körperverletzung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 100 Tagen (unter Anrechnung von einem Tag Freiheitsstrafe) verurteilt.

 

2. Mit Schreiben vom 5. Januar 2022 kündigte das Amt für Justizvollzug (AJUV) dem Beschwerdeführer den Vollzug der obgenannten Freiheitsstrafe an und teilte ihm mit, es existierten verschiedene Vollzugsformen, welche nachfolgend aufgelistet seien. Er habe die Möglichkeit, eine dieser Vollzugsformen zu beantragen.

 

3. Am 15. Januar 2022 ersuchte der Beschwerdeführer darum, die zu vollziehenden 99 Tage Freiheitsstrafe in der besonderen Vollzugsform der Halbgefangenschaft verbüssen zu können. Dieses Gesuch lehnte das AJUV mit Verfügung vom 30. März 2022 ab mit der Begründung, der Beschwerdeführer erfülle die persönlichen Voraussetzungen für die Gewährung der besonderen Vollzugsform Halbgefangenschaft nicht.

 

4. Mit Schreiben vom 6. April 2022 (Posteingang) erhob der Beschwerdeführer gegen die Verfügung Beschwerde beim AJUV und beantragte sinngemäss deren Aufhebung. Er wolle nicht ins Gefängnis.

 

5. Die Eingabe vom 6. April 2022 wurde an das Departement des Innern (DdI) weitergeleitet, welches die Beschwerde mit Entscheid vom 8. April 2022 abwies und keine Verfahrenskosten erhob.

 

6. Mit Schreiben vom 19. April 2022 wandte sich der Beschwerdeführer an das Verwaltungsgericht und verlangte sinngemäss die Aufhebung des angefochtenen Entscheids und die Verbüssung der Freiheitsstrafe in Halbgefangenschaft. Er wolle nicht ins Gefängnis.

 

7. Mit Eingabe vom 27. Juni 2022 stellte der Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwältin Sine Selman, innert erstreckter Frist folgende Rechtsbegehren:

 

1.    Die Verfügung vom 30. März 2022 sei vollumfänglich aufzuheben und es sei auf den Strafvollzug zu verzichten.

Eventualiter sei das vorliegende Beschwerdeverfahren bis zum rechtskräftigen Abschluss des Einspracheverfahrens gegen den Strafbefehl vom 23. November 2021 der Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn (STA.2021.5236) zu sistieren.

Subeventualiter sei die Verfügung vom 30. März 2022 aufzuheben und es sei dem Beschwerdeführer der Vollzug in Halbgefangenschaft zu gewähren.

2.    Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen (zzgl. 7.7% MwSt.) zu Lasten der Beschwerdegegnerin.

 

In prozessualer Hinsicht beantragte der Beschwerdeführer, ihm sei für das vorliegende Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege sowie Rechtsverbeiständung zu gewähren.

 

8. Mit Vernehmlassung vom 7. Juli 2022 schloss das Departement des Innern (DdI) auf Abweisung der Beschwerde unter Kostenfolge zu Lasten des Beschwerdeführers.

 

9. Mit Stellungnahme vom 11. Juli 2022 beantragte das Amt für Justizvollzug, Straf- und Massnahmenvollzug, das hängige Verfahren um Gewährung der Halbgefangenschaft sei bis zum Vorliegen eines rechtskräftigen Strafurteils in Bezug auf den Strafbefehl vom 21. November 2021 zu sistieren und das Gesuch nach Wiederaufnahme des Verfahrens abzuweisen, sollten sich bis dahin nicht allenfalls noch entscheidrelevante neue Erkenntnisse ergeben, die in tatsächlicher juristischer Hinsicht eine allfällige andere Bewertung erlauben würden.

 

10. Der Beschwerdeführer liess sich mit Eingabe vom 18. Juli 2022 erneut vernehmen.

 

11. Mit verfahrensleitender Verfügung vom 21. Juli 2022 wurden dem Beschwerdeführer die unentgeltliche Rechtspflege und Rechtsanwältin Sine Selman als unentgeltliche Rechtsbeiständin bewilligt. Gleichzeitig wurde das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht bis zum rechtskräftigen Abschluss des Einspracheverfahrens sistiert.

 

12. Mit Eingabe vom 31. August 2022 reichte der Beschwerdeführer die Verfügung des Richteramtes Bucheggberg-Wasseramt vom 30. August 2022 ein und beantragte angesichts der neuen Ausgangslage, die Beschwerde im Hauptpunkt – unter den beantragten Kosten- und Entschädigungsfolgen – gutzuheissen. Die Eventualanträge würden hiermit zurückgezogen, da diese gegenstandslos geworden seien.

 

13. Das Verfahren ist demnach spruchreif. Für die weiteren Ausführungen der Parteien wird auf die Akten verwiesen; soweit erforderlich, ist im Folgenden darauf einzugehen.

 

 

II.

 

1.1 Die weitere Sistierung des Verfahrens ist mit Blick auf die nachfolgenden Erwägungen nicht angezeigt.

 

1.2 Die Beschwerde ist frist- und formgerecht erhoben worden. Sie ist zulässiges Rechtsmittel und das Verwaltungsgericht zur Beurteilung zuständig (vgl. § 49 Gerichtsorganisationsgesetz, GO, BGS 125.12 und § 36 Abs. 2 Gesetz über den Justizvollzug, JUVG, BGS 331.11). A.___ ist durch den angefochtenen Entscheid beschwert und damit zur Beschwerde legitimiert. Auf die Beschwerde ist einzutreten.

 

2. Gemäss Art. 372 Abs. 1 Schweizerisches Strafgesetzbuch (StGB, SR 311.0) vollziehen die Kantone die von ihren Strafgerichten ausgefällten Urteile. Den Urteilen sind die von Polizeibehörden und andern zuständigen Behörden erlassenen Strafentscheide und die Beschlüsse der Einstellungsbehörden gleichgestellt (Art. 372 Abs. 2 StGB). Die Vollzugsbehörde erlässt zum Vollzug der Strafen einen Vollzugsbefehl (Art. 439 Abs. 2 der Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 [StPO]).

 

3. Auf Gesuch des Verurteilten hin kann eine Freiheitsstrafe von nicht mehr als 12 Monaten eine nach Anrechnung der Untersuchungshaft verbleibende Reststrafe von nicht mehr als sechs Monaten in der Form der Halbgefangenschaft vollzogen werden, wenn nicht zu erwarten ist, dass der Verurteilte flieht weitere Straftaten begeht und der Verurteilte einer geregelten Arbeit, Ausbildung Beschäftigung von mindestens 20 Stunden pro Woche nachgeht (Art. 77b Abs. 1 StGB).

 

4.1 Der Beschwerdeführer wendet ein, die Rechtskraft des Strafbefehls vom 23. November 2021 sei noch nicht eingetreten. Der Strafbefehl sei ihm am 29. November 2021 zugestellt worden. Mit Schreiben vom 28. April 2022 habe sich Rechtsanwältin Sine Selman als Vertreterin des Beschwerdeführers legitimiert und vorsorglich Einsprache gegen den Strafbefehl vom 23. November 2021 erhoben. Der Beschwerdeführer habe den Strafbefehl nicht verstanden, da er nicht übersetzt worden sei, weshalb er auch nicht angemessen habe reagieren können. Die Einsprache sei trotz Ablauf der 10-tägigen Einsprachefrist rechtzeitig erfolgt. Daher werde beantragt, dass die Frist wiederherzustellen sei. Die Staatsanwaltschaft wies den entsprechenden Antrag mit Verfügung vom 24. Mai 2022 ab. Mit Beschluss vom 22. Juni 2022 überwies die Beschwerdekammer des Obergerichts die Akten an den Amtsgerichtspräsidenten von Bucheggberg-Wasseramt zur Gültigkeitsprüfung der Einsprache. Am 30. August 2022 hat der Amtsgerichtspräsident von Bucheggberg-Wasseramt festgestellt und verfügt, dass der Strafbefehl vom 23. November 2021 dem Beschwerdeführer nicht rechtsgültig eröffnet worden sei, das Einspracheverfahren gegenstandslos sei und die Akten zurück an die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurns gingen.

 

4.2 Die vorliegend zu beurteilende verwaltungsrechtliche Streitigkeit setzt die Rechtskraft des Strafbefehls voraus (vgl. dazu Urteil des Bundesgerichts 6B_144/2022 vom 6. April 2022). Eine rechtskräftige Verurteilung ist im jetzigen Zeitpunkt nicht auszumachen, hat doch der Amtsgerichtspräsident von Bucheggberg-Wasseramt am 30. August 2022 festgestellt bzw. verfügt, dass der Strafbefehl der Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn vom 23. November 2021 (STA.2021.5326) dem Beschwerdeführer nicht rechtsgültig eröffnet wurde. Ob sich der Strafbefehl vom 23. November 2021 materiell als rechtmässig erweist, ist demnach offen. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn wird den Strafbefehl zunächst rechtsgültig eröffnen müssen. Der Beschwerdeführer kann anschliessend ein neuerliches Einspracheverfahren veranlassen.

 

4.3 Das Amt für Justizvollzug führte in ihrer Vernehmlassung aus, man teile die Auf­fassung des Beschwerdeführers, wonach der Vollzug des hier in Frage stehenden Strafbefehls durch die Vollzugsbehörde erst zulässig sei, soweit der entsprechende Strafbefehl vom 23. November 2021 rechtskräftig sei. Dem Amt für Justizvollzug ist nicht vorzuwerfen, wenn es das Gesuch des Beschwerdeführers, die Freiheitsstrafe in der besonderen Vollzugsform der Halbgefangenschaft zu verbüssen, inhaltlich geprüft (und abgelehnt) hat. Sowohl die erstinstanzliche Verfügung als auch der Beschwerde­entscheid sind vor dem am 28. April 2022 initiierten Einspracheverfahren ergangen. Auch wenn den Vorinstanzen keine Verkennung der Rechtslage zum Vorwurf gemacht werden kann, mangelt es im jetzigen Zeitpunkt an einem rechtskräftigen Strafbefehl. Über das Gesuch des Beschwerdeführers kann nicht (mehr) entschieden werden. Wegen dieses formellen Mangels ist der angefochtene Entscheid aufzuheben.

 

5. Die Beschwerde erweist sich somit als begründet, sie ist gutzuheissen: Der Beschwerdeentscheid des Departements des Innern vom 8. April 2022 und die Verfügung des Amts für Justizvollzug vom 30. März 2022 sind aufzuheben. Dem Beschwerdeführer steht es offen, nach Abschluss des Verfahrens vor der Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn gegebenenfalls ein neues Gesuch um Vollzug in Form der Halbgefangenschaft zu stellen.

 

6. Der Kanton Solothurn hat bei diesem Ausgang die Kosten des Verfahrens vor Verwaltungsgericht zu tragen. Der Kanton hat den Beschwerdeführer zudem für das Verfahren vor Verwaltungsgericht angemessen zu entschädigen. Rechtsanwältin Sine Selman macht einen Aufwand von total 8.90 Stunden à CHF 280.00 geltend. Gemäss Praxis des Verwaltungsgerichts kann jedoch ohne Einreichung einer entsprechenden Honorarvereinbarung höchstens ein Stundenansatz von CHF 260.00 entschädigt werden. Ausgehend von einem Aufwand von CHF 2'314.00 (8.90 h à CHF 260.00), zuzügl. Auslagen von CHF 145.80 und MWST von CHF 189.40, ergibt sich eine Parteientschädigung von CHF 2'649.20. Dies scheint angemessen.

 

Demnach wird erkannt:

 

1.    Die Eingabe des Beschwerdeführers vom 31. August 2022 geht zur Kenntnis an die Vorinstanzen.

2.    Die Beschwerde wird gutgeheissen: Der Beschwerdeentscheid des Departements des Innern vom 8. April 2022 sowie die Verfügung des Amts für Justizvollzug vom 30. März 2022 werden aufgehoben.

3.    Der Kanton Solothurn trägt die Kosten des Verfahrens vor Verwaltungsgericht.

4.    Der Kanton Solothurn hat A.___ eine Parteientschädigung von CHF 2'649.20 (inkl. Auslagen und MWST) auszurichten.

 

Rechtsmittel: Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Eröffnung des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Schweizerischen Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich.

 

Im Namen des Verwaltungsgerichts

 

Die Präsidentin                                                                 Die Gerichtsschreiberin

 

 

Scherrer Reber                                                                 Gottesman



 
Quelle: https://gerichtsentscheide.so.ch/
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