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Urteil Verwaltungsgericht (SO - VWBES.2022.139)

Zusammenfassung des Urteils VWBES.2022.139: Verwaltungsgericht

Das Verwaltungsgericht hat entschieden, dass die Gesuche von A.___ und B.___ um Kantonswechsel abgelehnt werden. Die beiden hatten versucht, vom Kanton Tessin in den Kanton Solothurn zu wechseln, da sie dort arbeiteten und wohnten. Trotzdem wurden ihre Gesuche aufgrund finanzieller Probleme und Schulden abgelehnt. Das Gericht stellte fest, dass sie keine gültige Aufenthaltsbewilligung im Tessin hatten und somit nicht berechtigt waren, den Kantonswechsel zu beantragen. Die Beschwerdeführer argumentierten, dass die Ablehnung unverhältnismässig sei, aber das Gericht wies ihre Beschwerde ab und ordnete an, dass sie den Kanton Solothurn innerhalb von 60 Tagen verlassen müssen. Der Richter in diesem Fall war Vizepräsident Müller. Die Gerichtskosten betrugen CHF 1'500.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts VWBES.2022.139

Kanton:SO
Fallnummer:VWBES.2022.139
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Verwaltungsgericht
Verwaltungsgericht Entscheid VWBES.2022.139 vom 25.04.2023 (SO)
Datum:25.04.2023
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:-
Schlagwörter: Kanton; Kantons; Aufenthalt; Aufenthaltsbewilligung; Kantonswechsel; Tessin; Solothurn; Bewilligung; Schweiz; Gesuch; Recht; Entscheid; Beschwerde; Urteil; Vorinstanz; Verwaltungsgericht; Aufenthaltsbewilligungen; Schulden; Verlängerung; Verfügung; Voraussetzung; Wohnsitz; Verfahren; Kantonswechsels; Voraussetzungen; Formalismus
Rechtsnorm: Art. 29 BV ;Art. 37 AIG ;Art. 62 AIG ;Art. 8 EMRK ;
Referenz BGE:-
Kommentar:
Peter Bolzli, Spescha, Thür, Zünd, Frei, Kommentar zum Strafgesetzbuch, 2017

Entscheid des Verwaltungsgerichts VWBES.2022.139

 
Geschäftsnummer: VWBES.2022.139
Instanz: Verwaltungsgericht
Entscheiddatum: 25.04.2023 
FindInfo-Nummer: O_VW.2023.96
Titel: Aufenthaltsbewilligung / Kantonswechsel

Resümee:

 

Verwaltungsgericht

 

 

Urteil vom 25. April 2023           

Es wirken mit:

Vizepräsident Müller

Oberrichter Thomann

Oberrichter Frey

Gerichtsschreiberin Blut-Kaufmann

In Sachen

1.    A.___   

2.    B.___   

 

beide vertreten durch Rechtsanwalt Bernhard Zollinger,    

 

Beschwerdeführer

 

 

 

gegen

 

 

 

Departement des Innern, vertreten durch Migrationsamt

 

Beschwerdegegner

 

 

betreffend     Aufenthaltsbewilligung / Kantonswechsel


zieht das Verwaltungsgericht in Erwägung:

 

I.

 

1. A.___ (geb. […] 1979, Staatsangehöriger der Türkei) reiste am 21. Mai 1994 im Familiennachzug zu seinen Eltern in die Schweiz ein. Am 7. November 1994 erteilte ihm die Migrationsbehörde des Kantons Tessin erstmals eine Aufenthaltsbewilligung. Am 10. März 2003 heiratete er B.___ (geb. […] 1981, ebenfalls Staatsangehörige der Türkei), die am 8. August 2003 in die Schweiz einreiste. Die Migrationsbehörde des Kantons Tessins erteilte ihr am 19. August 2003 erstmals eine Aufenthaltsbewilligung zum Verbleib bei ihrem Ehemann. Die Aufenthaltsbewilligungen von A.___ und B.___ wurden jeweils verlängert. Am 2. Februar 2015 wies das Ufficio della migrazione des Kantons Tessin die Gesuche von A.___ und B.___ um Erteilung einer Niederlassungsbewilligung mit Hinweis auf deren schlechte finanzielle Situation ab. Man habe entschieden, die Wohnsituation weiterhin mit jährlichen Aufenthaltsbewilligungen zu regeln. Die Aufenthaltsbewilligungen wurden in der Folge bis am 17. Juni 2016 verlängert.

 

2. A.___ und B.___ ersuchten am 30. Mai 2016 im Kanton Tessin um Verlängerung der Aufenthaltsbewilligungen. Am 29. August 2016 wurden sie in diesem Zusammenhang von der Polizia Cantonale des Kantons Tessin befragt. Das Ufficio della migrazione des Kantons Tessin wies am 9. September 2016 die Gesuche mit der Begründung ab, die Abklärungen hätten ergeben, sie seien im Kanton Solothurn wohnhaft und erwerbstätig. Der Lebensmittelpunkt befinde sich nicht im Kanton Tessin. Die von A.___ und B.___ dagegen erhobenen Beschwerden wies der Consiglio di Stato des Kantons Tessins am 6. Februar 2018 ab. A.___ und B.___ erhoben dagegen Beschwerde beim Tribunale cantonale amministrativo des Kantons Tessin.

 

3. Am 15. März 2018 liessen A.___ und B.___ durch Rechtsanwalt Zollinger beim Migrationsamt des Kantons Solothurn (MISA) ein Gesuch um Kantonswechsel stellen. Sie seien im Besitz einer B-Bewilligung und wohnten derzeit in [...]. Da sie beide Arbeitsverträge mit im Kanton Solothurn domizilierten Firmen hätten, möchten sie im Kantons Solothurn Wohnsitz nehmen. Mit Verfügung vom 18. Juli 2018 sistierte das MISA – nachdem es Kenntnis davon erhalten hatte, dass die Aufenthaltsbewilligungen mit Verfügung vom 9. September 2016 nicht verlängert worden waren – das Verfahren betreffend Kantonswechsel bis zum Vorliegen eines rechtskräftigen Entscheides betreffend Erteilung beziehungsweise Verlängerung der Aufenthaltsbewilligungen im Kanton Tessin. Mit Urteil vom 14. November 2018 wies das Tribunale cantonale amministrativo die Beschwerden gegen die Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligungen ab, soweit es darauf eintrat. Das Urteil blieb unangefochten. Das Ufficio della migrazione des Kantons Tessin setzte A.___ und B.___ am 6. Februar 2019 eine Frist für die Ausreise aus der Schweiz bis 6. März 2019.

 

4. Die Einwohnergemeinde [...] teilte dem MISA am 12. Februar 2020 mit, A.___ und B.___ hätten sich rückwirkend per 1. April 2019 in der Gemeinde angemeldet. Obwohl sie seit 1. Oktober 2014 durchgehend in einer 4-Zimmer-Wohnung in [...] wohnhaft seien, hätten sie sich vorher nie bei der Gemeinde gemeldet. Die Abmeldebescheinigung von A.___ per 31. März 2019 von [...] liege dem Schreiben bei. Ebenfalls am 12. Februar 2020 stellten A.___ und B.___ selber beim MISA nochmals ein Gesuch um Kantonswechsel.

 

5. Das MISA erliess am 17. März 2022 namens des Departements des Innern (nachfolgend DdI genannt) folgende Verfügung:

 

1.    Die Gesuche um Kantonswechsel von A.___ und B.___ werden abgelehnt, soweit darauf eingetreten wird.

2.    A.___ und B.___ haben sich – unter Strafandrohung im Unterlassungsfall – bis am 31. Mai 2022 bei der Einwohnergemeinde [...] abzumelden und den Kanton Solothurn zu verlassen.

 

6. A.___ und B.___ (nachfolgend: Beschwerdeführer) erhoben am 28. März 2022 Beschwerde gegen die Verfügung beim Verwaltungsgericht. Sie stellen die folgenden Anträge:

 

1.    Es sei den Beschwerdegegnern (richtig wäre: Beschwerdeführern) in Abänderung des angefochtenen Entscheides der Kantonswechsel zu bewilligen und die Aufenthaltsbewilligungen zu erteilen.

2.    Im Sinne einer vorsorglichen Massnahme sei der Aufenthalt und die Arbeitstätigkeit bis zum Beschwerdeentscheid provisorisch zu bewilligen.

3.    Unter ausgangsgemässer Verlegung von Kosten- und Entschädigungsfolgen.

 

7. Mit Verfügung vom 29. März 2022 wurde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung erteilt.

 

8. Das MISA erklärte namens des DDI am 25. April 2022 – unter Hinweis auf die Begründung der angefochtenen Verfügung und die Akten – auf eine weitere Vernehmlassung zu verzichten. Es stellt den Antrag, die Beschwerde unter Kostenfolge vollumfänglich abzuweisen.

 

9. Die Beschwerdesache ist spruchreif. Es ist darüber ohne Durchführung einer Verhandlung aufgrund der Akten zu entscheiden (§ 71 Verwaltungsrechtspflegegesetz, VRG, BGS 124.11). Für die Parteistandpunkte und die Erwägungen der Vorinstanz wird grundsätzlich auf die Akten verwiesen. Soweit erforderlich, ist nachstehend darauf einzugehen.

 

 

II.

 

1. Die Beschwerde ist frist- und formgerecht erhoben worden. Sie ist zulässiges Rechtsmittel und das Verwaltungsgericht zur Beurteilung zuständig (vgl. § 49 Gerichtsorganisationsgesetz, GO, BGS 125.12). Die Beschwerdeführer sind durch den angefochtenen Entscheid beschwert und damit zur Beschwerde legitimiert. Auf die Beschwerde ist einzutreten.

 

2. Die Aufenthaltsbewilligung gilt nur für den Kanton, der sie ausgestellt hat (Art. 66 der Verordnung über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit, VZAE, SR 142. 201). Wollen Personen mit einer Aufenthaltsbewilligung ihren Wohnort in einen anderen Kanton verlegen, so müssen sie im Voraus eine entsprechende Bewilligung des neuen Kantons beantragen (Art. 37 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration, AIG, SR 142.20). Nach Art. 37 Abs. 2 AIG haben Personen mit Aufenthaltsbewilligung Anspruch auf einen Kantonswechsel, wenn sie nicht arbeitslos sind und keine Widerrufsgründe nach Art. 62 Abs. 1 AIG vorliegen. Das Bewilligungsverfahren betreffend Kantonswechsel muss somit zwingend im bisherigen Kanton abgewartet werden. Erst nach der ausländerrechtlichen Bewilligungserteilung durch den neuen Kanton ist der Aufenthalter berechtigt, sich einwohnerkontrollrechtlich ab- beziehungsweise anzumelden und im neuen Kanton Wohnsitz zu nehmen. Personen mit einer Aufenthaltsbewilligung haben grundsätzlich Anspruch darauf, ihren Wohnort in einen anderen Kanton zu verlegen und vom neuen Kanton eine Aufenthaltsbewilligung ausgestellt zu erhalten, wenn sie nicht arbeitslos sind und keine Widerrufsgründe nach Art. 62 Abs. 1 AIG vorliegen, wobei ein entsprechender Widerruf überdies verhältnismässig sein muss. Erst wenn der neue Kanton den Kantonswechsel bewilligt und damit eine Aufenthaltsbewilligung für sein Kantonsgebiet erteilt hat, erlischt die im alten Kanton erhaltene Aufenthaltsbewilligung (Art. 61 Abs. 1 lit. b AIG). Die grundsätzliche ausländerrechtliche Zuständigkeit geht vom alten Wohnsitzkanton auf den neuen erst mit der Bewilligung des Kantonswechsels über. Auch für eine allfällige Wegweisung aus der Schweiz (z.B. aufgrund der Nichtverlängerung) und deren Vollzug ist bei Abweisung des Kantonswechselgesuches deshalb nach wie vor der alte Kanton zuständig. Die Voraussetzungen für den Kantonswechsel – d.h. Vorhandensein der gültigen Aufenthalts- bzw. Niederlassungsbewilligung, Unverhältnismässigkeit eines Widerrufs und fehlende Arbeitslosigkeit (vgl. Art. 37 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 62 AIG) müssen sowohl im Zeitpunkt der Einreichung des Gesuches als auch noch im Entscheidzeitpunkt erfüllt sein. Verliert der Gesuchsteller während des hängigen Verfahrens die Aufenthaltsbewilligung des bisherigen Kantons wird er arbeitslos, kann ihm der Kantonswechsel gestützt auf Art. 37 Abs. 2 AIG nicht mehr bewilligt werden. Die Zuständigkeit zur Beurteilung bzw. Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung verbleibt bis zur Bewilligung des Kantonswechsels durch den neuen Kanton beim früheren Wohnsitzkanton. Die Bewilligung eines Kantonswechsels hängt mithin vom Bestand der Aufenthaltsbewilligung in einem anderen Kanton ab (Art. 37 Abs. 2, Art. 61 Abs. 1 lit. b AIG). Ein ausnahmsweises Abweichen vom genannten Grundsatz drängt sich einzig auf, wenn die Aufenthaltsbewilligung aufgrund der Aktenlage routinemässig zu verlängern wäre, da sämtliche Voraussetzungen einer Verlängerung zweifelsohne erfüllt sind. Auf diese Weise würde der neue Wohnsitzkanton in einem einzigen Urteil nebst dem ersuchten Kantonswechsel ebenfalls (anstelle des bisherigen Wohnsitzkantons) über die beantragte Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung entscheiden (vgl. dazu die Urteile 601 2017 127 des Kantonsgerichts Freiburg vom 2. Mai 2018, E. 4 und VB.2020.00521 des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 4. Februar 2021, E. 4.1, je mit weiteren Hinweisen, sowie Peter Bolzli, in Spescha/Thür/Zünd/Bolzli/Hruschka [Hrsg.], Kommentar Migrationsrecht, 5. A., Zürich 2019, N 13 f. zu Art. 37 AIG).

 

3.1 Das MISA erwog, anlässlich der Bewilligungsverlängerung im Jahr 2016 habe die Migrationsbehörde des Kantons Tessin festgestellt, dass die Gesuchsteller den Lebensmittelpunkt nicht mehr im Kanton Tessin, sondern im Kanton Solothurn hätten, woraufhin sie die Aufenthaltsbewilligungen der Gesuchsteller mit Verfügung vom 9. September 2016 nicht mehr verlängert habe. Die dagegen erhobene Beschwerde sei schlussendlich mit Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Tessin vom 14. November 2018 abgewiesen worden und das Urteil alsdann in Rechtskraft erwachsen. Die Gesuchsteller verfügten demnach nicht mehr über gültige Aufenthaltsbewilligungen im Kanton Tessin. Ferner hätten sie am 15. März 2018 und am 12. Februar 2020 um Kantonswechsel ersucht. Sie seien bereits seit Jahren, gemäss dem eingereichten Mietvertrag seit März 2012, in einer Wohnung in [...] SO. Sie seien ohne pflichtgemäss im Voraus ein Gesuch um Kantonswechsel gestellt zu haben und den Ausgang des Verfahrens im bisherigen Kanton abzuwarten, in den Kanton Solothurn umgezogen. Aufgrund der fehlenden gültigen Aufenthaltsbewilligung im Vorkanton erfüllten sie die Voraussetzungen nach Art. 37 Abs. 2 AIG nicht, weshalb auf die Gesuche um Kantonswechsel nicht eingetreten werden könne. Ob die Gesuchsteller die übrigen Voraussetzungen für einen Kantonswechsel erfüllten, namentlich ob aufgrund der Schulden in der Höhe von CHF 172'983.05 Widerrufsgründe vorliegen würden, könne bei diesem Ergebnis grundsätzlich offen gelassen werden.

 

3.2 Da die Beschwerdeführer nachweislich bereits seit Jahren im Kanton Solothurn wohnhaft seien, erachtete es das MISA dennoch als angezeigt, zusätzlich eine materielle Prüfung vorzunehmen. Es hielt dabei fest, die Beschwerdeführer hätten während ihres Aufenthaltes hierzulande massive Schulden angehäuft. Diese beliefen sich in den Kantonen Tessin und Solothurn auf gesamthaft CHF 172'983.05. Wenn auch A.___ zumindest im Kanton Solothurn keine Einträge im Betreibungsregister ausweise, sei demgegenüber B.___ mit einer Betreibung in der Höhe von CHF 2'298.00 sowie sieben Verlustscheinen in der Höhe von CHF 14'289.45 im Kanton Solothurn verzeichnet. Sowohl bei den Einträgen im Betreibungsregister [...] TI als auch in Olten-Gösgen handle es sich bei einer Vielzahl der Forderungen um eheliche Schulden, für welche beide Ehegatten solidarisch hafteten. Es sei offensichtlich, dass die Beschwerdeführer erhebliche Mühe hätten, ihren öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen. Zusätzlich zu den bereits im Kanton Tessin vorhandenen ehelichen Schulden von rund CHF 156'395.60 hätten die Beschwerdeführer auch im Kanton Solothurn unbesehen weitere eheliche Schulden in der Höhe von CHF 16'587.45 angehäuft. Die angeblichen Abzahlungen via den Arbeitgeber seien gänzlich unbelegt geblieben. Zudem gingen aus den Akten keinerlei Nachweise hervor, wonach sie sich im Kanton Tessin im Kanton Solothurn in irgend einer Weise um die Abtragung der Schuldenlast bemüht hätten. Das nachlässige Verhalten gegenüber den finanziellen Verpflichtungen, die gänzlich fehlenden Sanierungsbemühungen sowie die anhaltende Schuldenzunahme liessen auf eine mutwillige Schuldenanhäufung schliessen. Erschwerend komme hinzu, dass insbesondere , aber auch B.___ mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt geraten seien. Durch die erhebliche Verschuldung sowie das straffällige Verhalten hätten die Beschwerdeführer in schwerwiegender Weise gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung in der Schweiz verstossen. Neben den nicht erfüllten Voraussetzungen infolge Fehlens einer gültigen Bewilligung im Vorkanton seien deshalb auch die objektiven Voraussetzungen des Widerrufsgrundes nach Art. 62 Abs. 1 lit. c AIG offensichtlich erfüllt. Obwohl die Beschwerdeführer seit geraumer Zeit im Kanton Solothurn wohnhaft seien, hätten sie gestützt auf Art. 37 Abs. 2 AIG i.V.m Art. 62 Abs. 1 lit. c AIG keinen Anspruch auf die Bewilligung des Kantonswechsels.

 

3.3 Abschliessend und zusammenfassend stellt das MISA ein erhebliches öffentliches Interesse an der Beendigung des Aufenthaltes der Beschwerdeführer in der Schweiz fest. Darüber hinaus seien auch keine unüberwindbaren Hindernisse für eine Rückkehr ins Heimatland ersichtlich. Es könne davon ausgegangen werden, dass die Beschwerdeführer ihre heimatliche Sprache noch bestens beherrschten und sowohl mit der Kultur als auch den Gegebenheiten der Türkei vertraut und dort auch Familienangehörige und/oder befreundete und bekannte Personen ansässig seien. Über in der Schweiz wohnhafte Familienangehörige im Sinne der Kernfamilie sei nichts bekannt. Die Wegweisung der Beschwerdeführer aus der Schweiz sei verhältnismässig. Das Nichteintreten beziehungsweise die Abweisung der Gesuche um Kantonswechsel habe indes nicht die Wegweisung aus der Schweiz zur Folge. Es sei den Beschwerdeführern zumutbar, erneut im Kanton Tessin Wohnsitz zu nehmen und um eine entsprechende Bewilligung zu ersuchen, zumal sie sich dort zuvor über Jahre aufgehalten hätten.

 

4.1 Die Beschwerdeführer rügen, die Nichterteilung der Aufenthaltsbewilligung beziehungsweise der nichtbewilligte Kantonswechsel sei nicht verhältnismässig. A.___ arbeite regelmässig und habe seit seinem Aufenthalt im Kanton Solothurn keine weiteren Schulden angehäuft. Dass B.___ derzeit in einem pendenten IV-Verfahren stehe, könne ihnen wohl ebenso wenig vorgeworfen werden. Selbst wenn man vom konstitutiven Charakter der Bewilligungspflicht beim Kantonswechsel ausgehe, sei darauf hinzuweisen, dass die Bewilligung erst im Jahre 2016 nicht mehr verlängert worden sei, obwohl beiden beteiligten Kantonen aufgrund der Quellensteuer seit Beginn des Jahres 2013 klar gewesen sei, dass A.___ im Tessin wohne und im Kanton Solothurn arbeite. Die Entscheidung der Tessiner Behörden sei ein wenig befremdlich, hätten diese doch schon längst wissen müssen, wo A.___ arbeite. Da ihnen erst im Verlauf des darauffolgenden Verlängerungsverfahren im Frühling 2018 gewahr geworden sei, dass der Kanton Tessin das Wochenaufenthalterdasein definitiv nicht mehr akzeptieren wollte, hätten sie vorher keinen Anlass gehabt, einen Kantonswechsel zu beantragen. Die Nichtbewilligung des Kantonswechsels stelle unter diesen Umständen einen überspitzten Formalismus dar.

 

4.2 Die Beschwerdeführer stimmen der Vorinstanz insofern zu, als diese richtigerweise berücksichtigt habe, dass sie schon seit Jahren im Kanton Solothurn wohnten und arbeiteten, weshalb eine materielle Prüfung vorzunehmen sei. In diesem Zusammenhang sei vorab zu beachten, dass die A.___ vorgeworfenen strafrechtlichen Verurteilungen praktisch alle lange Zeit zurückliegen würden. Obwohl diese im Tessin wohl bekannt gewesen seien, hätten sie auf die Verlängerung der Bewilligung bis im Juni 2016 keinen Einfluss gehabt und seien auch bei der Ablehnung des darauffolgenden Verlängerungsgesuchs in den Verfügungen überhaupt nicht erwähnt worden. Dass nun die Solothurner Migrationsbehörden gerade darauf abstellten, insbesondere auf eine Freiheitsstrafe aus Deutschland, welche auf ein Fehlverhalten vor rund 20 Jahren zurückzuführen sei, stelle offensichtlich einen Ermessensmissbrauch dar. Ebenso sei darauf hinzuweisen, dass die finanzielle Situation im Tessin lediglich zur Verweigerung der Niederlassungsbewilligung, nicht aber zur Verweigerung der Aufenthaltsbewilligung geführt habe. Angesichts der aktuellen Arbeitsunfähigkeit von B.___ und der Einkommenshöhe von A.___ könne ihnen nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass sie derzeit nicht im grossen Stil Schulden abbauen könnten. Dass A.___ bislang im Kanton Solothurn aber keine neuen Betreibungen erhalten habe, zeige, dass er mit seinem bescheidenen Lohn für alle seine Bedürfnisse aufkomme. Daraus abzuleiten, er sei nicht gewillt, öffentliche und privatrechtliche Verpflichtung wahrzunehmen, stelle einen offensichtlichen Ermessensmissbrauch dar.

 

4.3 A.___ macht mit seiner Beschwerde weiter geltend, es liege auf der Hand, dass er zu seinem Herkunftsland nur noch wenige Beziehungen pflege. Er sei im Alter von 15 Jahren in die Schweiz gekommen und habe in der Türkei noch keinen Tag gearbeitet. Inwiefern er angesichts dieser Tatsache mit Sprache, Kultur sowie wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gegebenheiten vertraut sein soll, tue die Vorinstanz nicht dar. Die Wiedereingliederung im Herkunftsland sei keineswegs nur stark erschwert, sondern unmöglich. In dieser Situation habe er einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung aus Art. 8 EMRK, im Sinne der Achtung des Privatlebens. Die Feststellung, wonach die Verweigerung der Bewilligung zum Kantonswechsel im Kanton Solothurn nicht zur Wegweisung aus der Schweiz führen solle, könne auf Grund der Gesamtumstände nicht nachvollzogen werden und sei daher ebenso willkürlich.

 

5.1.1 Die Beschwerdeführer bezeichnen die Nichtbewilligung des Kantonswechsels als überspitzten Formalismus. Überspitzter Formalismus ist eine besondere Form der Rechtsverweigerung. Eine solche liegt vor, wenn für ein Verfahren rigorose Formvorschriften aufgestellt werden, ohne dass die Strenge sachlich gerechtfertigt wäre, wenn die Behörde formelle Vorschriften mit übertriebener Schärfe handhabt an Rechtsschriften überspannte Anforderungen stellt und den Rechtssuchenden den Rechtsweg in unzulässiger Weise versperrt. Wohl sind im Rechtsgang prozessuale Formen unerlässlich, um die ordnungsgemässe und rechtsgleiche Abwicklung des Verfahrens sowie die Durchsetzung des materiellen Rechts zu gewährleisten. Nicht jede prozessuale Formstrenge steht demnach mit Art. 29 Abs. 1 BV im Widerspruch. Überspitzter Formalismus ist nur gegeben, wenn die strikte Anwendung der Formvorschriften durch keine schutzwürdigen Interessen gerechtfertigt ist, zum blossen Selbstzweck wird und die Verwirklichung des materiellen Rechts in unhaltbarer Weise erschwert verhindert (Urteil des Bundesgerichts 6B_522/2021 vom 6. September 2021, E. 1.3.4).

 

5.1.2 Der Vorwurf des überspitzten Formalismus ist unbegründet. Die Pflicht, wonach Personen mit Aufenthaltsbewilligung bei einer Verlegung des Wohnorts in einen anderen Kanton «im Voraus» eine entsprechende Bewilligung des neuen Kantons beantragen müssen, ergibt sich direkt aus Art. 37 Abs. 1 AIG. Wenn verlangt wird, dass diese Vorschrift befolgt wird, hat das nichts mit überspitztem Formalismus zu tun. Bei Lichte betrachtet richtet sich der Vorwurf des überspitzten Formalismus denn wohl auch in erster Linie gegen die Tessiner Behörden, welche die Aufenthaltsbewilligung nicht verlängerten. Die Beschwerdeführer erachten deren Entscheidung als «etwas befremdlich», da die Behörden schon längst hätten wissen müssen, wo A.___ arbeite. Die Kritik am Verwaltungsgericht des Kantons Tessin zielt jedoch ins Leere, da dessen Entscheid unangefochten geblieben ist und den Beschwerdeführern in der Folge vom Ufficio della migrazione rechtskräftig eine Frist für die Ausreise aus der Schweiz angesetzt wurde. Es bleibt dabei, dass die Bewilligung eines Kantonswechsels eine gültige Aufenthaltsbewilligung im alten Kanton voraussetzt, und zwar unabhängig von den finanziellen Verhältnissen. Anspruch auf den Kantonswechsel haben nur Personen mit einer Aufenthaltsbewilligung (Art. 37 Abs. 2 AIG). Die Vorinstanz erachtete diese Voraussetzung zu Recht als nicht erfüllt. Am angefochtenen Entscheid ist in diesem Punkt nichts auszusetzen.

 

5.2 Die Vorinstanz nahm – obwohl es bereits an der Voraussetzung von Art. 37 Abs. 2 AIG fehlt – dennoch eine materielle Prüfung vor. Nach den vorstehend dargelegten Grundsätzen (E. 2 hievor) kann bei der Beurteilung des Gesuchs um Kantonswechsel in der Tat dann vom Bestand einer Aufenthaltsbewilligung in einem anderen Kanton abgesehen werden, wenn die Aufenthaltsbewilligung in diesem Kanton aufgrund der Aktenlage routinemässig zu verlängern wäre. Davon kann angesichts der von der Vorinstanz aufgezeigten finanziellen Verhältnisse der Beschwerdeführer indessen nicht ernsthaft ausgegangen werden. Die Beschwerdeführer haben offensichtlich Mühe, ihren öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen. Zudem kamen sie in der Vergangenheit auch anderweitig mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt. Sie bringen denn auch nichts vor, was die Darstellung der Vorinstanz – auf die vollumfänglich verwiesen werden kann – zu erschüttern vermöchte. Die im angefochtenen Entscheid erwähnten Umstände hätten auch bei den Tessiner Behörden – wäre nicht die Wohnortsfrage ausschlaggebend gewesen – nicht zu einer routinemässigen Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung geführt, zumal geraume Zeit zuvor genau deswegen ein Gesuch um Erteilung einer Niederlassungsbewilligung abgewiesen worden war. Die Vorinstanz verneinte deshalb auch aus diesen Gründen zu Recht einen Anspruch der Beschwerdeführer auf den Kantonswechsel.

 

5.3 Die Vorinstanz wies die Beschwerdeführer an, sich bei der Einwohnergemeinde [...] abzumelden und den Kanton Solothurn zu verlassen. Sie rügen in diesem Zusammenhang, die Feststellung, wonach die Verweigerung der Bewilligung zum Kantonswechsel im Kanton Solothurn nicht zur Wegweisung aus der Schweiz führen soll, könne auf Grund der Gesamtumstände nicht nachvollzogen werden und sei daher willkürlich. Es ist unklar, was die Beschwerdeführer damit meinen. Soweit die Vorinstanz im Rahmen einer Interessenabwägung zum Schluss kam, eine Wegweisung aus der Schweiz wäre verhältnismässig, ist dies nicht zu beanstanden. Die Beschwerdeführer stellten die entsprechende Begründung denn auch nur ganz allgemein in Frage. Zu den Feststellungen des MISA, sie beherrschten ihre heimatliche Sprache immer noch bestens über in der Schweiz wohnhafte Familienangehörige im Sinne der Kernfamilie sei nichts bekannt, nehmen sie beispielsweise nicht konkret Stellung. Ganz abgesehen davon ist festzuhalten, dass die Beschwerdeführer mit der angefochtenen Verfügung nicht aus der Schweiz weggewiesen, sondern einzig aufgefordert werden, den Kanton Solothurn zu verlassen. Wie die Vorinstanz zutreffend erwog, ist es ihnen durchaus zumutbar, erneut im Kanton Tessin Wohnsitz zu nehmen und dort um eine entsprechende Bewilligung zu ersuchen. Die Beschwerde ist auch in dieser Hinsicht unbegründet.

 

6. Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet, sie ist abzuweisen. Da die von der Vorinstanz gesetzte Frist zur Ausreise aus dem Kanton Solothurn inzwischen abgelaufen ist, ist diese neu anzusetzen. Angemessen sind 60 Tage nach Rechtskraft dieses Urteils. Bei diesem Ausgang haben die Beschwerdeführer die Kosten des Verfahrens vor Verwaltungsgericht zu bezahlen, die einschliesslich der Entscheidgebühr auf CHF 1‘500.00 festzusetzen sind. Die Ausrichtung einer Parteientschädigung kommt nicht in Frage.

 

Demnach wird erkannt:

1.    Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.    A.___ und B.___ haben den Kanton Solothurn innert 60 Tagen nach Rechtskraft dieses Urteils zu verlassen.

3.    Die Beschwerdeführer haben die Kosten des Verfahrens vor Verwaltungsgericht von CHF 1‘500.00 zu bezahlen.

 

Rechtsmittel: Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Eröffnung des begründeten Urteils beim Bundesgericht subsidiäre Verfassungsbeschwerde eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Schweizerischen Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich.

 

 

Im Namen des Verwaltungsgerichts

 

Der Vizepräsident                                                             Die Gerichtsschreiberin

 

 

Müller                                                                                Blut-Kaufmann

 

 

 

Das vorliegende Urteil wurde vom Bundesgericht mit Urteil 2C_311/2023 vom 5. April 2024 aufgehoben.



 
Quelle: https://gerichtsentscheide.so.ch/
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