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Urteil Verwaltungsgericht (SO - VWBES.2021.297)

Zusammenfassung des Urteils VWBES.2021.297: Verwaltungsgericht

Der Beschwerdeführer A.___ aus Syrien wurde zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und erhielt einen Landesverweis. Nach Verbüssung seiner Strafe wurde ihm eine Durchsetzungshaft angeordnet, da er sich weigerte, freiwillig auszureisen. Das Verwaltungsgericht entschied, dass die weitere Haft unverhältnismässig sei und hob die Verfügung des Haftgerichts auf. Die Gerichtskosten in Höhe von CHF 518.90 werden vom Kanton übernommen.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts VWBES.2021.297

Kanton:SO
Fallnummer:VWBES.2021.297
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Verwaltungsgericht
Verwaltungsgericht Entscheid VWBES.2021.297 vom 05.08.2021 (SO)
Datum:05.08.2021
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:-
Schlagwörter: Syrien; Durchsetzungshaft; Behörde; Urteil; Migration; Rück; Migrationsamt; E-Mail; Haftgericht; Behörden; Verfügung; Verwaltungsgericht; Schweiz; Ausreise; Staat; Rückkehr; Reise; Ausländer; Beschwerde; Person; Vollzug; Wegweisung; Beirut; Rechtsanwalt; Gasser; ändig
Rechtsnorm: Art. 78 AIG ;Art. 79 AIG ;
Referenz BGE:125 II 217; 130 II 56; 134 I 92; 134 II 201; 140 II 409;
Kommentar:
-

Entscheid des Verwaltungsgerichts VWBES.2021.297

 
Geschäftsnummer: VWBES.2021.297
Instanz: Verwaltungsgericht
Entscheiddatum: 05.08.2021 
FindInfo-Nummer: O_VW.2021.157
Titel: Verlängerung Durchsetzungshaft

Resümee:

 

Verwaltungsgericht

 

Urteil vom 5. August 2021     

Es wirken mit:

Präsidentin Scherrer Reber

Oberrichter Frey

Oberrichter Flückiger

Gerichtsschreiberin Trutmann  

 

In Sachen

A.___, vertreten durch Rechtsanwalt Reto Gasser,    

 

Beschwerdeführer

 

 

 

gegen

 

 

 

1.    Departement des Innern, vertreten durch Migrationsamt    

 

2.    Haftgericht   

 

Beschwerdegegner

 

 

 

 

 

betreffend     Verlängerung Durchsetzungshaft


zieht das Verwaltungsgericht in Erwägung:

 

I.

 

1. A.___ (geb. 1994, nachfolgend Beschwerdeführer genannt) stammt aus Syrien. Er reiste am 7. Oktober 2015 in die Schweiz ein und stellte ein Asylgesuch. Das Staatssekretariat für Migration wies das Gesuch mit Verfügung vom 20. August 2019 ab und wies den Beschwerdeführer aus der Schweiz weg. Eine dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 8. Oktober 2019 ab.

 

2. Im Frühling 2017 wurde gegen den Beschwerdeführer eine Strafuntersuchung eröffnet. Am 26. September 2018 verurteilte ihn das Amtsgericht Olten-Gösgen wegen sexueller Nötigung, versuchter Vergewaltigung, Exhibitionismus und mehrfacher Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes zu einer Freiheitsstrafe von 45 Monaten. Ferner wurde gegen A.___ ein Landesverweis von 10 Jahren ausgesprochen. Das Urteil erwuchs in Rechtskraft.

 

3. Am 10. Februar 2021 – kurz vor Ablauf der Freiheitsstrafe – wurde dem Beschwerdeführer das rechtliche Gehör zu den Gründen der beabsichtigten Anordnung einer Administrativhaft gewährt. Der Beschwerdeführer zeigte sich im Rahmen der Anhörung nicht bereit, freiwillig nach Syrien zu reisen.

 

4. Mit Verfügung vom 19. Februar 2021 ordnete das Migrationsamt die Durchsetzungshaft über A.___ bis am 22. März 2021 an.

 

5. Nach Beendigung der Freiheitsstrafe am 22. Februar 2021 wurde der Beschwerdeführer zur Vollstreckung der Landesverweisung dem Untersuchungsgefängnis Solothurn (vgl. pag. 276) und am 24. Februar 2021 dem Gefängnis Bässlergut zugeführt (vgl. pag. 283).

 

6. Mit Verfügung vom 23. Februar 2021 genehmigte das Haftgericht die angeordnete Durchsetzungshaft.

 

7. Nach der Gewährung des rechtlichen Gehörs verlängerte das Migrationsamt die Durchsetzungshaft mit Verfügungen vom 17. März und 12. Mai 2021 für die Dauer von jeweils zwei Monaten. Das Haftgericht genehmigte beide Verlängerungen antragsgemäss mit Verfügungen vom 19. März und vom 17. Mai 2021.

 

8. Nach Gewährung des rechtlichen Gehörs verlängerte das Migrationsamt letztmals am 16. Juli 2021 die Durchsetzungshaft bis am 22. September 2021. Mit Verfügung vom 21. Juli 2021 genehmigte das Haftgericht die Haftverlängerung antragsgemäss. Der Beschwerdeführer gab weiterhin an, dass er nicht freiwillig nach Syrien ausreisen wolle.

 

9. Mit Beschwerde vom 29. Juli 2021 (Postaufgabe) wandte sich der Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Reto Gasser, an das Verwaltungsgericht und stellte folgende Rechtsbegehren:

 

1. Die Verfügung des Haftgerichts vom 21. Juli 2021 sei aufzuheben und es sei der Beschwerdeführer unverzüglich aus der Durchsetzungshaft zu entlassen.

 

2. Es sei dem Beschwerdeführer die unentgeltliche Rechtspflege unter Beiordnung des Unterzeichneten als unentgeltlicher Rechtsbeistand zu gewähren.

 

3. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen.

 

10. Mit Verfügung vom 30. Juli 2021 wurde dem Beschwerdeführer die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung unter Beiordnung von Rechtsanwalt Reto Gasser als unentgeltlichem Rechtsbeistand bewilligt.

 

11. Das Haftgericht verzichtete mit Eingabe vom 3. August 2021 auf eine Stellungnahme und verwies auf die Begründung des angefochtenen Entscheids.

 

12. Am 3. August 2021 schloss das Migrationsamt namens des Departements des Innern (DdI) auf vollumfängliche Abweisung der Beschwerde, soweit darauf eingetreten werden könne. 

 

13. Für die weiteren Ausführungen der Parteien wird auf die Akten verwiesen; soweit erforderlich, ist im Rahmen der nachfolgenden Erwägungen darauf einzugehen.

 

II.

 

1. Die Beschwerde ist frist- und formgerecht erhoben worden. Sie ist zulässiges Rechtsmittel und das Verwaltungsgericht zur Beurteilung zuständig (vgl. § 11 Einführungsverordnung zum Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer und zum Asylgesetz, EAuV, BGS 512.153). A.___ ist durch den angefochtenen Entscheid beschwert und damit zur Beschwerde legitimiert. Auf die Beschwerde ist einzutreten.

 

2.1 Hat eine Person ihre Pflicht zur Ausreise aus der Schweiz innerhalb der ihr angesetzten Frist nicht erfüllt und kann die rechtskräftige Weg- Ausweisung die rechtskräftige Landesverweisung aufgrund ihres persönlichen Verhaltens nicht vollzogen werden, so kann sie, um der Ausreisepflicht Nachachtung zu verschaffen, laut Art. 78 Abs. 1 AIG in Durchsetzungshaft genommen werden, sofern die Anordnung der Ausschaffungshaft nicht zulässig ist und eine andere mildere Massnahme nicht zum Ziel führt. Die Haft wird laut Art. 78 Abs. 6 lit. a AIG beendet, wenn eine selbständige und pflichtgemässe Ausreise nicht möglich ist, obwohl die betroffene Person den behördlich vorgegebenen Mitwirkungspflichten nachgekommen ist (lit. a).

 

Zweck der Durchsetzungshaft ist es, die ausreisepflichtige Person in jenen Fällen zu einer Verhaltensänderung zu bewegen, in denen nach Ablauf der Ausreisefrist der Vollzug der rechtskräftig gegen sie angeordneten Weg- Ausweisung – trotz entsprechender behördlicher Bemühungen – ohne ihre Kooperation nicht (mehr) möglich erscheint. Der damit verbundene Freiheitsentzug stützt sich auf Art. 5 Ziff. 1 lit. f der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK, SR 0.101) und dient in diesem Rahmen der Erzwingung einer durch das Gesetz vorgeschriebenen Verpflichtung (Art. 5 Ziff. 1 lit. b EMRK). Die Durchsetzungshaft bildet das letzte Mittel, wenn und soweit keine andere Massnahme (mehr) zum Ziel führt, den illegal anwesenden Ausländer auch gegen seinen Willen in seine Heimat verbringen zu können (vgl. Urteil des Bundesgerichts 2C_1089/2012 E. 2.2 mit Hinweisen; BGE 140 II 409, E. 2.1). Der Grund für die Undurchführbarkeit des Wegweisungsvollzugs muss im persönlichen Verhalten der ausländischen Person liegen (Martin Businger, Ausländerrechtliche Haft, Zürich etc. 2015, S. 199).

 

2.2 Gemäss Art. 78 Abs. 2 AIG kann die Durchsetzungshaft vorerst für einen Monat angeordnet werden. Sie kann mit Zustimmung der richterlichen Behörde jeweils um zwei Monate verlängert werden, sofern der Ausländer weiterhin nicht bereit ist, sein Verhalten zu ändern und auszureisen. Die maximale Haftdauer beträgt gemäss Art. 79 Abs. 1 AIG sechs Monate. Diese Dauer kann um höchstens zwölf Monate verlängert werden, wenn die betroffene Person nicht mit der zuständigen Behörde kooperiert (Art. 79 Abs. 2 lit. a AIG) wenn sich die Übermittlung der für die Ausreise erforderlichen Unterlagen durch einen Staat, der kein Schengen-Staat ist, verzögert (Art. 79 Abs. 2 lit. b AIG). Die Durchsetzungshaft darf also maximal 18 Monate dauern, muss aber in jedem Fall verhältnismässig sein. Innerhalb dieser Höchstdauer ist jeweils aufgrund der Umstände im Einzelfall zu prüfen, ob die ausländerrechtliche Festhaltung insgesamt (noch) geeignet bzw. erforderlich erscheint und nicht gegen das Übermassverbot verstösst (vgl. BGE 140 II 409, S. 411 mit weiteren Hinweisen). Dabei ist dem Verhalten des Betroffenen, den die Papierbeschaffung allenfalls erschwerenden objektiven Umständen (ehemalige Bürgerkriegsregion usw.) sowie dem Umfang der von den Behörden bereits getroffenen Abklärungen Rechnung zu tragen und zu berücksichtigen, wieweit der Ausländer es tatsächlich in der Hand hat, die Festhaltung zu beenden, indem er seiner Mitwirkungs- bzw. Ausreisepflicht nachkommt. Von Bedeutung können zudem seine familiären Verhältnisse sein sowie der Umstand, dass er allenfalls wegen seines Alters Gesundheitszustands als besonders schutzbedürftig gelten muss. Je länger die ausländerrechtlich motivierte Festhaltung dauert und je weniger die Ausschaffung absehbar erscheint, desto strengere Anforderungen sind an die fortbestehende Hängigkeit des Ausweisungsverfahrens im Sinne von Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK zu stellen und desto kritischer ist die jeweilige Haftverlängerung zu hinterfragen (BGE 134 II 201 E. 2 S. 204 ff.; BGE 134 I 92 E. 2.3 S. 96 ff.).

 

2.3 Die Festhaltung hat, weil unverhältnismässig, dann als unzulässig zu gelten, wenn triftige Gründe für Verzögerungen beim Vollzug der Wegweisung sprechen praktisch feststeht, dass sich dieser im Einzelfall kaum innert nützlicher Frist wird realisieren lassen (BGE 130 II 56 E. 4.1 S. 61). Nur falls keine bloss eine höchst unwahrscheinliche, rein theoretische Möglichkeit besteht, die Wegweisung zu vollziehen, ist die Haft aufzuheben, nicht indessen bei einer ernsthaften, wenn auch allenfalls (noch) geringen Aussicht hierauf (BGE 130 II 56 E. 4.1.3). Unter Vorbehalt einer Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung durch die betroffene Person ist die Frage nach der Durchführbarkeit des Wegweisungsvollzugs nicht notwendigerweise im Hinblick auf die maximal mögliche Haftdauer, sondern vielmehr auf einen den gesamten Umständen des konkreten Falls angemessenen Zeitraums hin zu beurteilen (Art. 78 Abs. 6 lit. a AIG, vgl. BGE 130 II 56 E. 4.1.3 S. 61; 125 II 217 E. 3b/bb S. 223; Urteil des Bundesgerichts 2C_368/2020 vom 4. Juni 2020 E. 2.2.3).

 

3.1 Unbestritten ist, dass sich der Beschwerdeführer weigert, die Schweiz freiwillig zu verlassen. Fest steht auch, dass zwangsweise Rückführungen nach Syrien zur Zeit nicht möglich sind (vgl. pag. 401, Auskunft SEM per E-Mail vom 9. Juli 2021, pag. 221, Auskunft SEM per E-Mail vom 19. Oktober 2020, pag. 201, Auskunft des Ddl per E-Mail vom 29. Oktober 2019, pag. 37, Auskunft Migrationsamt per E-Mail vom 14. Dezember 2018). Die Voraussetzungen der Durchsetzungshaft wurden vom Haftgericht erstmals am 23. Februar 2021 und die Haftverlängerungen am 19. März, am 17. Mai und letztmals am 21. Juli 2021 überprüft und bejaht. Bis zum Antritt der Administrativhaft am 22. Februar 2021 sass der Beschwerdeführer eine Freiheitsstrafe ab. Die maximal zulässige Haftdauer der Durchsetzungshaft von 18 Monaten ist demnach noch nicht erreicht.

 

3.2 Das Bundesgericht hat im Zusammenhang mit dem Vollzug der Ausschaffung bzw. der Landesverweisung im Hinblick auf die Corona-Pandemie entschieden, dass jeder Einzelfall gestützt auf seine konkreten Umstände zu beurteilen sei (vgl. die Urteile 2C_510/2020 vom 7. Juli 2020 E. 3.2.1, 2C_518/2020 vom 10. Juli 2020 E. 4.3.1 und 2C_408/2020 vom 21. Juli 2020, E. 3.1).

 

3.3 Der Vollzug der Wegweisung lässt sich während der Corona-Pandemie nur dann als innert absehbarer Frist möglich und damit durchführbar bezeichnen, wenn dem Haftrichter hierfür hinreichend konkrete Hinweise – insbesondere seitens des SEM – vorliegen; andernfalls fehlt es an der ernsthaften Aussicht auf den Vollzug der Wegweisung bzw. der Möglichkeit der freiwilligen Ausreise nach der Kooperation des Betroffenen mit den Behörden, auf welche die Durchsetzungshaft ausgerichtet ist (vgl. die Urteile 2C_414/2020 vom 12. Juni 2020 E. 3.3.1; 2C_386/2020 vom 9. Juni 2020 E. 4.2.2 und 2C_312/2020 vom 25. Mai 2020 E. 2.3.1). Die bloss vage Möglichkeit, dass ein Vollzugshindernis potentiell in absehbarer Zeit entfallen könnte – wie dies etwa bei den Luftangriffen der NATO im früheren Jugoslawien der Fall war –, genügt nicht, um eine Durchsetzungshaft aufrechtzuerhalten (vgl. BGE 125 II 217 E. 3b/bb S. 223 f.; Urteile 2C_386/2020 vom 9. Juni 2020 E. 4.2.4 und 2C_408/2020 vom 21. Juli 2020, E. 3.2).

 

3.4 Aus den Vorakten zeigt sich folgendes Bild: Mit E-Mail vom 9. Juli 2021 teilte das SEM dem Migrationsamt (erneut) mit, dass zur Zeit unfreiwillige Rückführungen von syrische Staatsangehörigen nach Syrien nicht möglich seien. Die Behörde stünde aber in regelmässigem Kontakt mit dem syrischen Konsul, bis heute habe dieser aber trotz Mahnungen keine Antwort von den zuständigen Behörden in Damaskus erhalten. Vor kurzem habe der zuständige Sachbearbeiter gar eine «Note Verbale» geschrieben, dies aber ohne Erfolg. Nach Gesprächen mit dem syrischen Konsul vom 5. und 9. Juli 2021 gäbe es keine Fortschritte in Bezug auf die Rückkehr nach Syrien. In einem ähnlichen Fall würde das SEM seit dem 29. August 2018 auf Antworten warten. Rückkehrabkommen mit Syrien gäbe es keine und das EDA würde keine diplomatischen Beziehungen zu diesem Land unterhalten. Derzeit sei deshalb nur eine freiwillige Rückkehr möglich. Ein weiteres Gespräch mit dem Botschafter sei Ende nächster Woche geplant. Es werde sich dann herausstellen, ob eine Zwangsrückführung möglich sei. Mit E-Mail vom 2. November 2020 erklärte das SEM den aargauischen Behörden, dass trotz der aktuellen Corona-Situation eine freiwillige Rückkehr nach Syrien gut funktionieren würde. Letzten Monat sei ein Mann nach Damaskus und einer nach Aleppo eingereist (vgl. pag. 224). Aktuell bereite sich eine Frau auf die (Rück)Reise nach Syrien vor. Mit E-Mail vom 17. Februar 2021 teilte das SEM dem Migrationsamt des Kantons Solothurn mit, dass eine freiwillige Rückkehr von Genf nach Beirut und dann auf dem Landweg nach Syrien möglich wäre (vgl. pag. 260). Mit E-Mail vom 30. April 2021 teilte das SEM dem Migrationsamt zudem mit, dass sich die syrischen Behörden auf entsprechendes Ersuchen bereit erklärt hätten, Reisepapiere für den Beschwerdeführer auszustellen. Schliesslich teilte das SEM dem Migrationsamt mit E-Mail vom 12. Mai 2021 mit, dass eine Rückkehr nach Syrien via Beirut möglich wäre. Der Beschwerdeführer müsse in Beirut ein Visum für den Transitaufenthalt (24 Stunden) kaufen. Als syrischer Staatsangehöriger könne er ein solches Visum erwerben (vgl. pag. 374).

 

3.5 Es ist liegt auf der Hand, dass aufgrund der aktuellen Lage mit den grassieren­den Coronavirus-Varianten derzeit auch eine freiwillige Rückkehr des Beschwerde­führers in seine Heimat Syrien zumindest stark erschwert ist. Wohl besteht nach Aussagen des SEM eine Möglichkeit, über Beirut nach Syrien zu gelangen. Diese Reiseroute ist aber nicht näher erläutert. Nach den unbelegten Äusserungen des SEM sei es zwar möglich, dass der Beschwerdeführer als syrischer Staatsangehöriger in Beirut ein Visum für einen 24-stündigen Aufenthalt im Land erwerben könnte. Zur Frage wann und wie oft von Beirut nach Syrien Flüge stattfinden, wird hingegen keine Aussage gemacht. Eine schriftliche Bestätigung der libanesischen Behörden, dass der Beschwerdeführer zum Kauf eines solchen Transitvisums berechtigt wäre, liegt ebenfalls nicht vor (vgl. E-Mail-Auskunft des SEM vom 17. Februar 2021, pag. 260). Derzeit unklar ist sodann auch, ob die Einreisemöglichkeiten nach Syrien aufgrund der raschen Ausbreitung der verschiedenen Coronavirus-Varianten und des desolaten Gesundheitssystems in Syrien weiter eingeschränkt wird. Nach den Aussagen des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA, vgl. https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehin­weise/syrien/reisehinweise-fuersyrien.html, zuletzt besucht am 5. August 2021) verfüge die Schweiz über keinerlei Informationen über die Einreisemöglichkeiten nach Syrien. Gemäss der Homepage des Auswärtigen Amtes in Deutschland (vgl. https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/syrien-node/syrien­sicherheit/204278, zuletzt besucht am 5. August 2021) sei Syrien ein Corona-Hochrisikogebiet. Die deutsche Botschaft in Damaskus sei bis auf weiteres geschlossen. Die Einreisebestimmungen nach Syrien könnten sich kurzfristig ändern, ohne dass das Auswärtige Amt davon Kenntnis erhalten würde. Dem österreichischen Bundesministerium für europäische und internationale Angelegen­heiten zufolge sei das Coronavirus in sämtlichen Landesteilen Syriens verbrietet. Der Betrieb am internationalen Flughafen in Damaskus sei reduziert (vgl. https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/syrien/, zuletzt besucht am 5. August 2021). Zu berücksichtigen ist ferner, dass das SEM trotz (unbelegter) telefonischer Zusage der syrischen Behörden im April 2021 bis anhin keine Reisepapiere für den Beschwerdeführer hat beschaffen können. Nach Aus­sagen des SEM seien die syrischen Behörden bereits im Januar 2021 ersucht worden, Reisepapiere für den Beschwerdeführer auszustellen (vgl. pag. 331). Selbst wenn der Beschwerdeführer freiwillig ausreisen wollte, bräuchte er entsprechende Reisedokumente. Wann diese Papiere ausgestellt werden, erscheint zum aktuellen Zeitpunkt nicht absehbar, zumal die Schweiz keinerlei diplomatische Beziehungen zu Syrien unterhält und sich die syrischen Behörden bereits vier Monate Zeit gelassen haben, um auf das Ersuchen des SEM überhaupt erst (telefonisch) zu antworten. Eine Rückreise nach Syrien wäre demnach in absehbarer Zeit höchstens «theoretisch» möglich.

 

3.6 Unter Berücksichtigung dieser Umstände und vor dem Hintergrund, dass der Beschwerdeführer bereits über fünf Monate in Durchsetzungshaft ist, erweist sich eine weitere Verlängerung der Durchsetzungshaft im aktuellen Zeitpunkt als unverhältnismässig.

 

4. Erweist sich die Durchsetzungshaft im jetzigen Zeitpunkt als unverhältnismässig, ist die Beschwerde gutzuheissen. Dispositiv-Ziffer 1 des Urteils des Haftgerichts vom 21. Juli 2021 ist antragsgemäss aufzuheben. Der Beschwerdeführer ist demnach umgehend aus der Haft zu entlassen.

 

5. Im Übrigen ist anzumerken, dass sich eine erneute Anordnung der Durchsetzungshaft bei einer Normalisierung des Flugverkehrs nach Syrien und soweit Reisedokumente in absehbarer Zeit beschafft werden können, als zulässig erscheint.

 

6. Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend, hat der Kanton für die Verfahrenskosten aufzukommen. Die Entschädigung des Rechtsanwalts Reto Gasser wird gemäss der eingereichten Kostennote auf CHF 518.90 (Honorar: CHF 459, Auslagen: CHF 22.80, MWST CHF 37.10) festgesetzt.

 

Demnach wird erkannt:

 

1.    Die Beschwerde wird gutgeheissen. Dispositiv-Ziffer 1 des Urteils des Haftgerichts vom 21. Juli 2021 wird aufgehoben. Der Beschwerdeführer ist umgehend aus der Haft zu entlassen.

2.    Für das Verfahren vor Verwaltungsgericht werden keine Kosten erhoben.

3.    Die Entschädigung des Rechtsanwalts Reto Gasser wird auf CHF 518.90 (inkl. Auslagen und MWST) festgesetzt und ist vom Staat Solothurn zu bezahlen.

 

 

Rechtsmittel: Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Eröffnung des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Schweizerischen Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich.

 

Im Namen des Verwaltungsgerichts

Die Präsidentin                                                                 Die Gerichtsschreiberin

Scherrer Reber                                                                 Trutmann



 
Quelle: https://gerichtsentscheide.so.ch/
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