Zusammenfassung des Urteils VWBES.2020.387: Verwaltungsgericht
Das Verwaltungsgericht hat entschieden, dass ein Autofahrer seinen Führerausweis für vier Monate verliert, nachdem er mehrere Verkehrsverstösse begangen hat. Der Autofahrer hatte unter anderem die Geschwindigkeitsbegrenzungen mehrmals überschritten und einen Unfall verursacht. Er legte Beschwerde ein, um die Dauer des Entzugs zu verkürzen, da er als Kurier arbeitete und auf den Führerschein angewiesen war. Das Gericht wies die Beschwerde jedoch ab und entschied, dass der Führerausweis für die festgelegte Zeit entzogen bleibt. Der Autofahrer muss zudem die Gerichtskosten von CHF 800.00 tragen.
Kanton: | SO |
Fallnummer: | VWBES.2020.387 |
Instanz: | Verwaltungsgericht |
Abteilung: | Verwaltungsgericht |
Datum: | 25.02.2021 |
Rechtskraft: |
Leitsatz/Stichwort: | - |
Schlagwörter: | Führerausweis; Widerhandlung; Verkehr; Verkehrs; Verwaltungsgericht; Geschwindigkeit; Gefährdung; Verkehr; Personen; Bahnschranke; Beschwerde; Gefahr; Recht; Niederbipp; Aarwangen; Fahrzeug; Sicherheit; Verschulden; Unfall; Führerausweisentzug; Urteil; Sichtverhältnisse; Bahnübergang; Personenwagen; Strassenverkehrsvorschriften; Geschäft; Entscheid; Verletzung |
Rechtsnorm: | Art. 28 SVG ; |
Referenz BGE: | - |
Kommentar: | - |
Geschäftsnummer: | VWBES.2020.387 |
Instanz: | Verwaltungsgericht |
Entscheiddatum: | 25.02.2021 |
FindInfo-Nummer: | O_VW.2021.41 |
Titel: | Führerausweisentzug |
Resümee: |
Verwaltungsgericht
Urteil vom 25. Februar 2021 Es wirken mit: Oberrichter Müller Oberrichter Stöckli Gerichtsschreiberin Droeser In Sachen A.___
Beschwerdeführer
gegen
Bau- und Justizdepartement, vertreten durch Motorfahrzeugkontrolle,
Beschwerdegegner
betreffend Führerausweisentzug zieht das Verwaltungsgericht in Erwägung:
I.
1.1 A.___ (nachfolgend Beschwerdeführer genannt) kollidierte am 27. Juli 2020, ca. 20:20 Uhr, in Niederbipp als Lenker eines Personenwagens aufgrund nicht angepasster Geschwindigkeit an die Sichtverhältnisse (geblendet durch Abendsonne) und durch Nichtbeachten eines Lichtsignals (Wechselblinklicht) beim Bahnübergang mit der sich senkenden Bahnschranke.
1.2 Am 29. Juli 2020 um 11:55 Uhr überschritt der Beschwerdeführer in Kaltenherberge (Roggwil) mit einem Personenwagen die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerorts von 60 km/h nach Sicherheitsabzug um 17 km/h.
1.3 In Murgenthal überschritt der Beschwerdeführer am 22. August 2020 um 18:55 Uhr mit einem Personenwagen die zulässige Geschwindigkeit ausserorts von 80 km/h um 22 km/h (nach Sicherheitsabzug).
2. Mit Verfügung vom 25. September 2020 entzog die Motorfahrzeugkontrolle dem Beschwerdeführer (MFK) namens des Bau- und Justizdepartements (BJD) den Führerausweis für die Dauer von vier Monaten. Die beiden Vorfälle betreffend Geschwindigkeitsüberschreitungen wertete die MFK als leichte Widerhandlungen gegen die Strassenverkehrsvorschriften, welche isoliert betrachtet einen Entzug von mindestens einem Monat zur Folge hätten. Das Verhalten des Beschwerdeführers in Niederbipp (Nichtanpassen der Geschwindigkeit an die Sichtverhältnisse, Nichtbeachten eines Lichtsignals) stufte sie als mittelschwere Verkehrswiderhandlung ein. Da dem Beschwerdeführer bereits am 6. Dezember 2019 der Führerausweis wegen einer mittelschweren Widerhandlung gegen die Strassenverkehrsvorschriften mit Unfallfolge für einen Monat entzogen worden war, verfügte die MFK die Mindestentzugsdauer von vier Monaten.
3. Dagegen erhob der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 3. Oktober 2020 Beschwerde beim Verwaltungsgericht und beantragte, die Dauer des Führerausweisentzugs sei massiv zu verkürzen, da er auf den Führerausweis angewiesen sei. Seine Freundin betreibe ein kleines Take-away Geschäft, wo er freiwillig und unentgeltlich als Kurier tätig sei. Es sei ihr nicht möglich, dauerhaft einen Kurierfahrer einzustellen. Würde ihm der Führerausweis für lange Zeit entzogen, wäre das Geschäft seiner Freundin finanziell sehr gefährdet und müsste womöglich schliessen. Es könne unmöglich Sinn und Zweck sein, durch einen Führerausweisentzug die Existenz eines Geschäftes ernsthaft zu gefährden.
4. Mit Präsidialverfügung vom 28. Oktober 2020 wurde der Beschwerde ab 4. November 2020 die aufschiebende Wirkung erteilt.
II.
1. Die Beschwerde ist frist- und formgerecht erhoben worden. Sie ist zulässiges Rechtsmittel und das Verwaltungsgericht zur Beurteilung zuständig (vgl. § 49 Gerichtsorganisationsgesetz, GO, BGS 125.12). Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Entscheid beschwert und damit zur Beschwerde legitimiert. Auf die Beschwerde ist einzutreten.
2. Dem Polizeirapport der Regionalpolizei Mittelland-Emmental-Oberaargau vom 5. August 2020 ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer mit einem Personenwagen mit ca. 65 km/h auf der Aarwangenstrasse von Aarwangen in Richtung Niederbipp fuhr. Kurz bevor die Hauptstrasse über die Bahngeleise führt, wurde der Beschwerdeführer von der Sonne so stark geblendet, dass er den Bahnübergang nicht sah. Ebenfalls übersah er das Wechselblinklicht und die sich senkende Bahnschranke. Trotz dieser starken Blendung reduzierte der Beschwerdeführer seine Geschwindigkeit nicht und kollidierte in der Folge mit der Front des Personenwagens mit der Bahnschranke. Da er nicht sofort realisierte was geschehen war, fuhr er noch rund zehn Meter weiter und blieb schliesslich am rechten Fahrbahnrand stehen, wo er die Polizei alarmierte. Der von der Regionalpolizei festgestellte Sachverhalt wird vom Beschwerdeführer nicht bestritten.
3. Nach Art. 32 Abs. 1 Strassenverkehrsgesetz (SVG, SR 741.01) ist die Geschwindigkeit stets den Umständen anzupassen, namentlich den Besonderheiten von Fahrzeug und Ladung, sowie den Strassen‑, Verkehrs- und Sichtverhältnissen. Wo das Fahrzeug den Verkehr stören könnte, ist langsam zu fahren und nötigenfalls anzuhalten, namentlich vor unübersichtlichen Stellen, vor nicht frei überblickbaren Strassenverzweigungen sowie vor Bahnübergängen. Der Fahrzeugführer darf nur so schnell fahren, dass er innerhalb der überblickbaren Strecke halten kann (Art. 4 Abs. 1 Verkehrsregelnverordnung, VRV, SR 741.11). Vor Bahnübergängen ist nach Art. 28 SVG anzuhalten, wenn Schranken sich schliessen Signale Halt gebieten, und, wo solche fehlen, wenn Eisenbahnfahrzeuge herannahen. Signale und Markierungen sind zu befolgen (Art. 27 Abs. 1 Satz 1 SVG).
3.1 Die Vorinstanz qualifizierte den Vorfall vom 27. Juli 2020 betreffend Nichtanpassen der Geschwindigkeit an die Sichtverhältnisse sowie das Nichtbeachten eines Lichtsignals als mittelschwere Widerhandlung gegen die Strassenverkehrsvorschriften gemäss Art. 16b Abs. 1 lit. a SVG.
3.2 Das Gesetz unterscheidet zwischen der leichten, mittelschweren und schweren Widerhandlung (Art. 16a-c SVG). Gemäss Art. 16a Abs. 1 lit. a SVG begeht eine leichte Widerhandlung, wer durch Verletzung von Verkehrsregeln eine geringe Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft und ihn dabei nur ein leichtes Verschulden trifft. Eine mittelschwere Widerhandlung begeht, wer durch Verletzung von Verkehrsregeln eine Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft in Kauf nimmt (Art. 16b Abs. 1 lit. a SVG). Nach Art. 16c Abs. 1 lit. a SVG begeht eine schwere Widerhandlung, wer durch grobe Verletzung von Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft in Kauf nimmt. Die mittelschwere Widerhandlung nach Art. 16b Abs. 1 lit. a SVG stellt einen Auffangtatbestand dar, der immer dann greift, wenn nicht alle privilegierenden Elemente einer leichten Widerhandlung und nicht alle qualifizierenden Elemente einer schweren Widerhandlung gegeben sind. Ist die Gefährdung gering, aber das Verschulden hoch, umgekehrt die Gefährdung hoch und das Verschulden gering, liegt eine mittelschwere Widerhandlung vor. Eine Gefahr für die Sicherheit anderer im Sinne von Art. 16a-c SVG ist bei einer konkreten auch bei einer erhöhten abstrakten Gefährdung zu bejahen. Eine erhöhte abstrakte Gefahr besteht, wenn die Möglichkeit einer konkreten Gefährdung Verletzung naheliegt. Ob eine solche Gefährdung vorliegt, ist anhand der jeweiligen Verhältnisse im Einzelfall zu beurteilen (vgl. statt vieler Entscheid des Bundesgerichts 1C_421/2019 vom 20. Dezember 2019 E. 2.1 mit Hinweisen).
3.3 Vorliegend hat der Beschwerdeführer durch seinen Fahrfehler mit Unfallfolgen primär sich selbst erheblich und konkret gefährdet. Die Bahnschranke wurde durch die Kollision dermassen stark beschädigt, dass sie nicht mehr funktionierte und umgehend eine neue Bahnschranke montiert werden musste. Zwischenzeitlich wurde der Verkehr von einem Mitarbeiter der Aare Seeland mobil AG geregelt. Der öffentliche Verkehr wurde zu keinem Zeitpunkt unterbrochen. Der vom Beschwerdeführer gefahrene Personenwagen wies an der Motorhaube und an der Frontscheibe eine starke Beschädigung auf, was dazu führte, dass dieser nicht mehr fahrtüchtig war und durch den Abschleppdienst abtransportiert werden musste (vgl. Polizeirapport, a.a.O.). Zwar kam es glücklicherweise zu keinen schweren Unfallfolgen und zu keiner direkten indirekten Unfallbeteiligung von Drittpersonen. Dies schliesst jedoch eine massgebliche Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer (im Sinne von Art. 16b Abs. 1 lit. a SVG) nicht aus: Der Unfall ereignete sich ca. um 20:20 Uhr, beim Bahnübergang mit Schranken und einem Wechselblinklicht auf der Aarwangenstrasse in Richtung Niederbipp. Die Bahnlinie der Aare Seeland mobile AG fährt im Halbstundentakt mit Personenzügen von Aarwangen nach Niederbipp und umgekehrt. Auch zum besagten Unfallzeitpunkt (Abfahrt Aarwangen: 19:58 Uhr; Abfahrt Niederbipp: 20:16 Uhr) waren Personenzüge unterwegs. Die Möglichkeit, dass es durch das Durchbrechen der Bahnschranke zu einer Kollision mit einem Zug gekommen wäre, liegt damit auf der Hand; letztlich hätte es damit gar zu einer Entgleisung des Zuges kommen können. Angesichts der unkontrollierten Kollision mit der Bahnschranke bestand zudem auch für den Gegenverkehr (zumindest) eine abstrakte Gefahr, sowie für Fahrzeuge in Richtung Aarwangen, welche vor dem Bahnübergang korrekterweise angehalten hätten. Es ist nur glücklichen Umständen zu verdanken, dass bei diesem Vorfall keine Personen verletzt wurden und es zu keiner weiteren Gefährdung des Bahnverkehrs kam. Der Beschwerdeführer hat demnach nicht nur sich selbst an Leib und Leben, sondern auch die übrigen Verkehrsteilnehmer (zumindest) abstrakt gefährdet. Die Gefährdung ist demnach nicht mehr als gering, jedoch auch noch nicht als gross zu qualifizieren. Gleich verhält es sich beim Verschulden: Der Beschwerdeführer war mit ca. 65 km/h auf der geraden Aarwangenstrasse bei normalem Verkehrsaufkommen und schöner Witterung unterwegs, wobei er die erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h nicht ausschöpfte. Er fuhr somit nicht mit übersetzter Geschwindigkeit auf den Bahnübergang zu. Der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, dass gemäss bundesgerichtlichen Rechtsprechung schlechte Sichtverhältnisse, zum Beispiel verursacht durch Sonneneinstrahlung, einen Fahrzeuglenker nicht entlasten können. Vielmehr wird von einem Fahrzeuglenker in solchen Situationen gefordert, dass er sich darauf einstellt und erhöhte Aufmerksamkeit und Vorsicht walten lässt (vgl. Urteile des Bundesgerichts 1C_355/2009 vom 21. Dezember 2009, E. 4.2; 6B_324/2012 vom 27. September 2012, E. 2.3). Vorliegend präsentiert sich das Verschulden zwar nicht mehr als leicht, jedoch auch noch nicht als schwer. Die Vorinstanz hat folglich zu Recht eine mittelschwere Widerhandlung gegen die Strassenverkehrsvorschriften gemäss Art. 16b Abs. 1 lit. a SVG angenommen.
4. Nach einer mittelschweren Widerhandlung gemäss Art. 16b Abs. 2 lit. b SVG ist der Führerausweis für mindestens vier Monate zu entziehen, wenn in den vorangegangenen zwei Jahren der Ausweis einmal wegen einer schweren mittelschweren Widerhandlung entzogen war. Bei der Festsetzung der Dauer des Führerausweisentzugs sind zwar die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, namentlich die Gefährdung der Verkehrssicherheit, das Verschulden, der Leumund als Motorfahrzeugführer sowie die berufliche Notwendigkeit ein Motorfahrzeug zu führen. Dabei darf aber die Mindestentzugsdauer nicht unterschritten werden (Art. 16 Abs. 3 SVG). Da dem Beschwerdeführer der Führerausweis am 6. Dezember 2019 bereits einmal wegen einer mittelschweren Widerhandlung gegen die Strassenverkehrsvorschriften entzogen worden war, hat ihm die Vorinstanz den Ausweis zu Recht für vier Monate entzogen. Dies entspricht der gesetzlichen Mindestentzugsdauer, welche nicht unterschritten werden darf. Aus diesem Grund können die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Argumente betreffend die Notwendigkeit des Führerausweises für die Kurierfahrten bezüglich des Take-away Geschäfts seiner Freundin keine Berücksichtigung finden, sogar wenn sie nicht nur aus Gefälligkeit erfolgten.
5. Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet, sie ist abzuweisen. Bei diesem Ausgang hat der Beschwerdeführer die Kosten des Verfahrens vor Verwaltungsgericht zu bezahlen, die einschliesslich der Entscheidgebühr auf CHF 800.00 festzusetzen sind.
6. Der Beschwerde wurde mit Verfügung vom 28. Oktober 2020 die aufschiebende Wirkung ab 4. November 2020 erteilt. Für das Einreichen des Führerausweises bei der MFK ist dem Beschwerdeführer deshalb eine neue Frist anzusetzen. Der Führerausweis ist innert 14 Tagen nach Rechtskraft des vorliegenden Urteils bei der MFK einzureichen.
Demnach wird erkannt:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen. 2. A.___ hat die Kosten des Verfahrens vor Verwaltungsgericht von CHF 800.00 zu bezahlen. 3. A.___ hat den Führerausweis innert 14 Tagen nach Rechtskraft des vorliegenden Urteils bei der MFK einzureichen.
Rechtsmittel: Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Eröffnung des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Schweizerischen Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich.
Im Namen des Verwaltungsgerichts Die Präsidentin Die Gerichtsschreiberin Scherrer Reber Droeser
|
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
Hier geht es zurück zur Suchmaschine.