Zusammenfassung des Urteils VWBES.2017.359: Verwaltungsgericht
Das Bundesstrafgericht fand am 1. Dezember 2011, dass es eine Ungleichbehandlung bei der Entschädigung von Opfern gibt, deren Erwerbsausfall durch Straftaten verursacht wurde. Gemäss Art. 19 OHG haben Opfer Anspruch auf Entschädigung gemäss den Bestimmungen des Obligationenrechts. Die frühere Rechtsprechung stützte sich auf Art. 41 OR und das alte Opferhilfegesetz. Das Verwaltungsgericht entschied am 20. Juni 2018 (VWBES.2017.359), dass Einnahmen aus der Sexarbeit nicht als Personenschaden gelten und daher keinen Anspruch auf Entschädigung nach dem Opferhilfegesetz auslösen.
Kanton: | SO |
Fallnummer: | VWBES.2017.359 |
Instanz: | Verwaltungsgericht |
Abteilung: | - |
Datum: | 20.06.2018 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Opferhilfe |
Schlagwörter: | Schaden; Opfer; Entschädigung; Anspruch; Schadenersatz; Körperverletzung; Obligationenrecht; Opferhilfegesetz; Urteil; Erwerbsausfall; Verletzung; Täter; Person; Recht; Bundesstrafgerichts; Praxis; Integrität; Tötung; Obligationenrechts; Sachschaden; Ersatz; Arbeitsunfähigkeit; Berücksichtigung; Erschwerung; Fortkommens |
Rechtsnorm: | Art. 41 OR ;Art. 46 OR ; |
Referenz BGE: | - |
Kommentar: | Marti, Heinrich, Basler Obligationenrecht I, Art. 46 OR, 2015 |
Es sei äusserst stossend, wenn man einem Opfer, das aufgrund der ihm zugefügten physischen und psychischen Verletzungen arbeitsunfähig werde, einen Erwerbsausfall ersetze, jedoch einem Opfer, dessen Erwerbsausfall sich während und aufgrund der noch andauernden Verletzung der psychischen und physischen Integrität zutrage, keine Entschädigung zuspreche. In beiden Fällen sei der Erwerbsausfall unmittelbar durch die begangene Straftat begründet. Eine solche Ungleichbehandlung widerspreche gerade dem Zweck der opferrechtlichen Bestimmungen.
12.3 Gemäss Art. 19 OHG haben das Opfer und seine Angehörigen Anspruch auf eine Entschädigung für den erlittenen Schaden infolge Beeinträchtigung Tod des Opfers (Abs. 1). Der Schaden wird nach den Artikeln 45 (Schadenersatz bei Tötung) und 46 (Schadenersatz bei Körperverletzung) des Obligationenrechts (OR, SR 220) festgelegt. Vorbehalten bleiben die Absätze 3 und 4 (Abs. 2). Nicht berücksichtigt werden Sachschaden sowie Schaden, welcher Leistungen der Soforthilfe der längerfristigen Hilfe nach Artikel 13 auslösen kann (Abs. 3). Haushaltschaden und Betreuungsschaden werden nur berücksichtigt, wenn sie zu zusätzlichen Kosten zur Reduktion der Erwerbstätigkeit führen (Abs. 4). Nach Art. 46 Abs. 1 OR gibt eine Körperverletzung dem Verletzten Anspruch auf Ersatz der Kosten, sowie auf Entschädigung für die Nachteile gänzlicher teilweiser Arbeitsunfähigkeit, unter Berücksichtigung der Erschwerung des wirtschaftlichen Fortkommens. Diese Aufzählung der Schadenspositionen ist nicht abschliessend, sondern es gilt der Grundsatz der Totalreparation (vgl. Martin A. Kessler in: Heinrich Honsell et al. [Hrsg.], Basler Kommentar, Obligationenrecht I, Basel 2015, Art. 46 OR N 1). Die Entschädigung ist nach oben auf CHF 120'000.00 und nach unten auf CHF 500.00 beschränkt (Art. 20 Abs. 3 OHG).
12.4 Die frühere Rechtsprechung der Vorinstanz stützte sich auf ein Urteil des Bundesstrafgerichts vom 1. Dezember 2011, welches die Täter dazu verpflichtete, den Opfern die Einkommenseinbussen zu ersetzen, welche sie durch Abgabe ihres Lohnes erlitten hatten (SK.2010.28). Diese Rechtsprechung stützt sich jedoch auf Art. 41 OR. Aus demselben Grund wurden auch in den Strafverfahren des vorliegenden Falles die Täter für den Schaden haftbar erklärt, welchen die Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit den begangenen strafbaren Handlungen erlitten hat. Art. 12 des alten Opferhilfegesetzes, welches noch bis zum 31. Dezember 2008 in Kraft war, sah «eine Entschädigung für den durch die Straftat erlittenen Schaden» vor. Diese Bestimmung beinhaltete noch keine Einschränkungen wie der per 1. Januar 2009 in Kraft getretene Art. 19 OHG, wonach der Schaden nach den Art. 45 (Schadenersatz bei Tötung und 46 (Schadenersatz bei Körperverletzung) des Obligationenrechts festgelegt wird (Abs. 2), und laut Abs. 3 Sachschaden nicht berücksichtigt wird. Nach dieser heute geltenden Bestimmung ist die Entschädigung nach dem Opferhilfegesetz klar auf Personenschäden beschränkt, Schäden also, die aus der Schädigung der Person resultieren. Nach dem alten Recht bestand auch bei einem «nur» normativen Schaden ein Anspruch auf Entschädigung (vgl. Empfehlungen der Schweizerischen Verbindungsstellen-Konferenz Opferhilfegesetz [SVK-OHG] vom 21. Januar 2010, Ziff. 4.5.1). Art. 46 OR gibt «Anspruch auf Ersatz der Kosten, sowie auf Entschädigung für die Nachteile gänzlicher teilweiser Arbeitsunfähigkeit, unter Berücksichtigung der Erschwerung des wirtschaftlichen Fortkommens». Zwar ist diese Aufzählung nicht abschliessend, doch ist gestützt auf diese Bestimmung nur der Schaden ersatzfähig, der durch eine Körperverletzung bzw. Verletzung der körperlichen, psychischen sexuellen Integrität bewirkt wurde (vgl. Martin A. Kessler in: Heinrich Honsell et al. [Hrsg.], Basler Kommentar, Obligationenrecht I, Basel 2015, Art. 46 OR N 1 f.).
Die der Beschwerdeführerin durch die Täter abgenommenen Einnahmen aus der Sexarbeit gelten daher nicht als Personenschaden und lösen keinen Anspruch auf Entschädigung nach dem Opferhilfegesetz aus.
Verwaltungsgericht, Urteil vom 20. Juni 2018 (VWBES.2017.359)
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