Zusammenfassung des Urteils VWBES.2015.410: Verwaltungsgericht
Es geht um die Auslegung von verwaltungsrechtlichen Verträgen und die Anwendung von Artikeln des Schweizerischen Obligationenrechts bei Willensmängeln wie Irrtum, Täuschung oder Drohung. Es wird erklärt, wann ein Irrtum als wesentlich gilt und wann nicht. Zudem wird aufgezeigt, dass eine Unterschrift unter eine nicht gelesene Urkunde grundsätzlich als Vertrag gilt, es aber Ausnahmen gibt. Ein konkretes Fallbeispiel betrifft eine Person, die eine Kostenübernahmeerklärung unterzeichnet hat, aber später behauptet, nicht über die Kosten informiert worden zu sein. Das Gericht entscheidet, dass kein rechtlich relevanter Willensmangel vorlag und die Verpflichtung zur Kostenübernahme gültig ist.
Kanton: | SO |
Fallnummer: | VWBES.2015.410 |
Instanz: | Verwaltungsgericht |
Abteilung: | - |
Datum: | 10.02.2016 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Spitalrechnung |
Schlagwörter: | Irrtum; Vertrag; Wille; Patienten; Patientenadministration; Recht; Irrende; Person; Urkunde; Kostenübernahme; Bestätigung; Spital; Tschannen; Verträge; Schwenzer; Fälle; Erklärungsirrtums; Urteil; Häfelin; Verwaltungsrecht; Willensäusserung; Abschluss; Vorliegen; Bestimmungen; Obligationenrecht; Ingeborg; Fällen; Irrenden |
Rechtsnorm: | Art. 23 OR ;Art. 24 OR ;Art. 25 OR ; |
Referenz BGE: | 132 II 161; |
Kommentar: | - |
Beim Vorliegen von Willensmängeln (Irrtum, Täuschung, Drohung) finden die Bestimmungen von Art. 23 ff. Schweizerisches Obligationenrecht (OR, SR 220) als subsidiäres öffentliches Recht sinngemäss Anwendung (BGE 132 II 161 E. 3.1 S. 164; Tschannen et al., a.a.O., § 34 N 10; vgl. auch Ingeborg Schwenzer in: Heinrich Honsell et al. [Hrsg.], Basler Kommentar, Obligationenrecht I, Basel 2015, Vor Art. 23-31 OR N 17).
3.2 Gemäss Art. 23 OR ist der Vertrag für denjenigen unverbindlich, der sich bei dessen Abschluss in einem wesentlichen Irrtum befunden hat. Gemäss Art. 24 Abs. 1 OR ist der Irrtum in folgenden Fällen ein wesentlicher: wenn der Irrende einen andern Vertrag eingehen wollte als denjenigen, für den er seine Zustimmung erklärt hat (Ziff. 1); wenn der Wille des Irrenden auf eine andere Sache oder, wo der Vertrag mit Rücksicht auf eine bestimmte Person abgeschlossen wurde, auf eine andere Person gerichtet war, als er erklärt hat (Ziff. 2); wenn der Irrende eine Leistung von erheblich grösserem Umfange versprochen hat eine Gegenleistung von erheblich geringerem Umfange sich hat versprechen lassen, als es sein Wille war (Ziff. 3); wenn der Irrtum einen bestimmten Sachverhalt betraf, der vom Irrenden nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr als eine notwendige Grundlage des Vertrages betrachtet wurde (Ziff. 4). Bezieht sich dagegen der Irrtum nur auf den Beweggrund zum Vertragsabschluss, so ist er laut Art. 24 Abs. 2 OR nicht wesentlich.
Einer der wichtigsten Fälle des Irrtums im Erklärungsakt ist die Unterschrift unter eine nicht gelesene Urkunde. Auf der Basis der Vertrauenstheorie kommt der Vertrag bei einer Unterschrift unter eine nichtgelesene nichtverstandene Urkunde mit dem Inhalt der Urkunde zustande. Das Bundesgericht lässt jedoch grundsätzlich eine Anfechtung wegen Erklärungsirrtums zu, ausser wenn ersichtlich ist, «dass der Erklärende im Bewusstsein der Unkenntnis des Inhaltes des Erklärten sich allem, was der Gegner will, unterwirft». Man kann in diesen Fällen schon das Vorliegen eines Erklärungsirrtums verneinen die Berufung auf den Irrtum jedenfalls an Art. 25 scheitern lassen. Eine Ausnahme hiervon ist insoweit zu machen, als die Urkunde Bestimmungen enthält, mit denen der Unterzeichnete nicht zu rechnen brauchte; hier bleibt Anfechtung wegen Erklärungsirrtums möglich (vgl. Ingeborg Schwenzer, a.a.O., Art. 24 OR N 3 f.)
Die Berufung auf Irrtum nach Art. 25 Abs. 1 OR ist unstatthaft, wenn sie Treu und Glauben widerspricht.
4.1 Dass C. von der Patientenadministration nicht über die Übernahme der Spitalkosten für A. informiert worden sein soll, erscheint nicht glaubhaft. In den Bemerkungen zur Stellungnahme der Solothurner Spitäler AG vom 8. Januar 2016 hält C. nämlich fest, dass sie A. so gut wie gar nicht kenne und sich daher auch nicht verpflichtet sehe, für die Kosten aufzukommen. Zudem habe sie der Person der Patientenadministration ganz klar gesagt, dass sie die Kosten wegen ihrer finanziellen Situation nicht übernehmen könne. Diese Bemerkung stimmt mit der Stellungnahme der Patientenadministration vom 17. Dezember 2015 überein, in welcher festgehalten wird, dass C. der Patientenadministration mitgeteilt habe, dass sie die Kosten für die Behandlung von A. nicht übernehmen könne. Trotzdem hat sie anschliessend ihre Personalien im Formular «Bestätigung der Kostenübernahme» eigenhändig ausgefüllt. Es erscheint somit als blosse Schutzbehauptung, dass sie dabei nichts von der Kostenübernahme gewusst haben will. Der Inhalt der unterzeichneten Verpflichtung war offensichtlich vorgängig Diskussionsthema zwischen der Sachbearbeiterin der Patientenadministration und C. Daran vermag auch die Behauptung von C., sie habe die Bestätigung der Kostenübernahme ohne ihre Lesebrille nicht lesen können, nichts zu ändern. Es mutet seltsam an, dass C. die Bestätigung zwar ohne Brille ausfüllen, nicht aber lesen konnte.
4.2 Die nun vom Spital geltend gemachte Summe von CHF 8774.50 liegt nicht weit über der vom Patienten gemäss Ziff. 5 der Geschäftsbedingungen forderbaren Depotleistung (CHF 8000.00). C. könnte sich darum nicht darauf berufen, der Betrag sprenge die zu erwartenden Kosten bei Weitem. Und dem Spital ist nicht vorzuwerfen, es habe durch die Abrede mit C. in rechtswidriger Weise die gemäss § 19 Abs. 2 SpiG massgeblichen Geschäftsbedingungen umgangen.
4.3 Selbst wenn das am 23. Februar 2015 von C. unterzeichnete Dokument nicht als verwaltungsrechtlicher Vertrag, sondern als einseitige Erklärung ihrerseits gegenüber dem Spital zu qualifizieren wäre, gelangen die Regeln über die Willensmängel zur Anwendung. Art. 23-31 OR gelten grundsätzlich für alle Rechtsgeschäfte und rechtsgeschäftsähnlichen Handlungen des hier analog anwendbaren OR, insbesondere auch für einseitige Rechtsgeschäfte (Schwenzer, a.a.O., Vor Art. 23-31 OR N 4).
4.4 In jedem Fall ergibt sich, dass bei C. kein rechtlich relevanter Willensmangel vorlag. Dass sie gezwungen getäuscht worden wäre, die Bestätigung zu unterschreiben (Art. 28 ff OR), macht sie zu Recht nicht geltend. Die Verpflichtung zur Kostenübernahme vom 23. Februar 2015 ist damit gültig zustande gekommen.
Verwaltungsgericht, Urteil vom 10. Februar 2016 (VWBES.2015.410)
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