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Urteil Verwaltungsgericht (SO - VWBES.2015.154)

Zusammenfassung des Urteils VWBES.2015.154: Verwaltungsgericht

Das Urteil behandelt die Frage der Zwangsbehandlung im Rahmen des Erwachsenenschutzes, insbesondere die medikamentöse Zwangsbehandlung. Es wird festgestellt, dass eine solche Behandlung einen schweren Eingriff in die körperliche und geistige Integrität darstellt und die menschliche Würde betrifft. Die gesetzliche Grundlage für eine Zwangsbehandlung muss klar definiert sein und den Grundsätzen der Verhältnismässigkeit und des öffentlichen Interesses entsprechen. Es wird diskutiert, ob die Bestimmungen des ZGB eine ausreichende Grundlage für eine Zwangsbehandlung bieten. Das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 10. Juni 2015 (VWBES.2015.154) befasst sich mit dieser Problematik und kommt zu dem Schluss, dass im vorliegenden Fall aufgrund fehlender gesetzlicher Grundlage eine Zwangsmedikation ausgeschlossen ist.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts VWBES.2015.154

Kanton:SO
Fallnummer:VWBES.2015.154
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:-
Verwaltungsgericht Entscheid VWBES.2015.154 vom 10.06.2015 (SO)
Datum:10.06.2015
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Weisung (ambulante Massnahmen)
Schlagwörter: Behandlung; Zwang; Recht; Zwangsbehandlung; Person; Grundlage; Eingriff; Thomas; Geiser; Erwachsenenschutz; Rechtsgrundlage; Urteil; Rechtsprechung; Zwangsmassnahmen; Schutz; Mario; Etzensberger; Bestimmungen; Persönlichkeit; Rechtfertigung; Ermächtigung; Bundesgericht; Massnahme; Anordnung; Zwangsmedikation; Medikamenten; Bundesgerichts; örperliche
Rechtsnorm: Art. 426 ZGB ;Art. 434 ZGB ;Art. 435 ZGB ;Art. 7 BV ;
Referenz BGE:127 I 6;
Kommentar:
Thomas Geiser, Reusser, Basler Erwachsenenschutz, 2012

Entscheid des Verwaltungsgerichts VWBES.2015.154

Urteil 5P.366/2002 vom 26. November 2002 E. 4) nach einer tatsächlich vorgenommenen zwangsweisen Verabreichung von Medikamenten diese im weiteren Verlauf des Aufenthalts «ohne Druck» bzw. «freiwillig» einnimmt (Urteil 5A_353/2012 vom 19. Juni 2012 E. 3.4.1). Von einer Zwangsbehandlung ist auch vorliegend auszugehen, in dem die medikamentöse Behandlung von der Erwachsenenschutzbehörde nach der Entlassung von A. aus der fürsorgerischen Unterbringung (Art. 426 ZGB) angeordnet und diese verpflichtet worden ist, sich dieser Behandlung zu unterziehen: Verweigert sie nämlich die angeordnete Behandlung, muss sie mit einer erneuten Einweisung in eine Einrichtung rechnen.

2.3. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts stellt die medikamentöse Zwangsbehandlung einen schweren Eingriff in die körperliche und geistige Integrität, mithin eine Verletzung von Art. 10 Abs. 2 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft (BV, SR 101) und Art. 8 Ziff. 1 Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK, SR 0.101) dar und betrifft die menschliche Würde (Art. 7 BV) zentral (BGE 127 I 6 E. 5 S. 10; 130 I 16 E. 3 S. 18). Weil es sich auch bei ambulanter Zwangsbehandlung und anderer Zwangsmassnahmen um einen Eingriff in das Grundrecht der persönlichen Freiheit handelt, muss das kantonale Recht den dafür notwendigen Anforderungen genügen. Ein solcher Eingriff setzt eine gesetzliche Grundlage voraus, er muss durch ein öffentliches Interesse durch den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt werden und überdies verhältnismässig sein. In jedem Fall bedarf es für die Zulässigkeit einer Zwangsbehandlung aber einer klaren gesetzlichen Grundlage im Sinne des Gebotes der hinreichenden Normbestimmtheit (vgl. Thomas Geiser / Mario Etzensberger in: Thomas Geiser / Ruth E. Reusser [Hrsg.]: Basler Kommentar, Erwachsenenschutz, Basel 2012, Art. 437 ZGB N 11).

3. Es stellt sich demnach die Frage, ob die Bestimmung von § 126 Abs. 2 lit. a EG ZGB, wonach die KESB die Weisung einer ambulanten ärztlichen Behandlung anordnen kann, eine klare gesetzliche Grundlage für eine Zwangsbehandlung resp. -medikation darstellt.

3.1 Vor dem Inkrafttreten des neuen Kindesund Erwachsenenschutzrechts am 1. Januar 2013 war im alten Recht lange kontrovers, ob die Bestimmungen über die Fürsorgerische Freiheitsentziehung (FFE) auch eine Rechtsgrundlage für eine Behandlung ohne gar gegen den Willen der betroffenen Person enthielten. Ausgangspunkt war und ist dabei nach wie vor, dass nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung und der herrschenden Lehre der ärztliche Heileingriff, selbst wenn er lege artis ausgeführt wird, eine Verletzung der Persönlichkeit des Patienten darstellt und damit der Rechtfertigung bedarf, um nicht rechtswidrig zu sein. Bei der Zwangsbehandlung entfällt begriffsnotwendig die Einwilligung als Rechtfertigungsgrund. Soweit es nicht um dringliche Sofortmassnahmen geht, welche der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung der Abwendung einer unmittelbaren Gefahr dienen, lassen sich regelmässig weder die Polizeigüter noch ein überwiegendes privates öffentliches Interesse an der Zwangsbehandlung ausmachen. Die Rechtfertigung kann sich somit nur aus einer entsprechenden gesetzlichen Ermächtigung ergeben. In konstanter Rechtsprechung hatte das Bundesgericht dann aber festgehalten, dass die Bestimmungen über die FFE dafür keine Rechtsgrundlage darstellten. Eine Zwangsbehandlung war somit nur möglich, wenn und soweit das kantonale Recht dafür eine ausreichende Rechtsgrundlage bot. Die diesbezüglichen kantonalen Regelungen waren äusserst unterschiedlich. Von daher war unbestritten, dass eine Vereinheitlichung mit der Revision des Erwachsenenschutzrechts erfolgen musste. Die entsprechenden Rechtsgrundlagen finden sich nunmehr in den Art. 433 bis 436 ZGB (vgl. Thomas Geiser / Mario Etzensberger, a.a.O., vor Art. 426 bis 439 ZGB N 11).

3.2 Fehlt die Zustimmung der betroffenen Person, so kann nach Art 434 Abs. 1 ZGB die Chefärztin der Chefarzt der Abteilung die im Behandlungsplan vorgesehenen medizinischen Massnahmen schriftlich anordnen, wenn ohne Behandlung der betroffenen Person ein ernsthafter gesundheitlicher Schaden droht das Leben die körperliche Integrität Dritter ernsthaft gefährdet ist (Ziff. 1), die betroffene Person bezüglich ihrer Behandlungsbedürftigkeit urteilsunfähig ist (Ziff. 2) und keine angemessene Massnahme zur Verfügung steht, die weniger einschneidend ist (Ziff. 3). Nach Art. 435 ZGB können in einer Notfallsituation die zum Schutz der betroffenen Person Dritter unerlässlichen medizinischen Massnahmen sofort ergriffen werden (Abs. 1).

Mit der Anordnung der Behandlung wird die betroffene Person verpflichtet, sich dieser Behandlung zu unterziehen. Die mit der Behandlung verbundenen Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte der betroffenen Person sind, soweit sie durch den Behandlungsplan und die Anordnung erfasst werden, rechtmässig. Die Widerrechtlichkeit der Persönlichkeitsverletzung entfällt. Soweit in der schriftlichen Anordnung nicht anderes festgehalten wird, enthält sie auch die Ermächtigung des Klinikpersonals die für die Durchsetzung der angeordneten Behandlung notwendigen Zwangsmassnahmen vorzunehmen. Es müssen immer alle Möglichkeiten versucht werden, den Patienten dazu zu bringen, sich ohne physischen Zwang der Behandlung zu unterziehen (vgl. Thomas Geiser / Mario Etzensberger, a.a.O., Art. 434/435 ZGB N 25 f.).

4. Wie soeben dargelegt, weist das ZGB in den Bestimmungen zur FU in Art. 434 ZGB eine spezielle gesetzliche Grundlage zur Behandlung ohne Zustimmung resp. zur Zwangsmedikation auf. Braucht es bereits bei einem stationären Aufenthalt für die Zwangsmedikation eine spezielle gesetzliche Regelung, so ist diese bei einer ambulanten Zwangsbehandlung umso mehr unerlässlich. Zwar kann die Verpflichtung gemäss § 126 EG ZGB, sich einer ärztlichen Behandlung zu unterziehen (lit. a) bzw. sich einer Therapie Entzugsbehandlung zu unterziehen (lit. b) auch die Einnahme von Medikamenten nach ärztlicher Weisung und unter ärztlicher Kontrolle zur Folge haben. Eine von der Behörde direkt angeordnete (Zwangs-)Medikation ist jedoch nach der derzeitigen Rechtslage im Kanton Solothurn ausgeschlossen, werden doch Zwangsmassnahmen in der Bestimmung nicht ausdrücklich genannt. Im Unterschied dazu etwa kennt der Kanton Aargau eine explizite Ermächtigung zur Behandlung gegen den Willen der betroffenen Person, zu welcher sich der Entscheid des Bundesgerichts 5A_666/2013 vom 7. Oktober 2013 äussert. Mangels klarer gesetzlicher Grundlage ist aufgrund von § 126 EG ZGB eine Zwangsmedikation demnach vorliegend ausgeschlossen.

Verwaltungsgericht, Urteil vom10. Juni 2015 (VWBES.2015.154)



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