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Urteil Verwaltungsgericht (SO - VSBES.2024.4)

Kopfdaten
Kanton:SO
Fallnummer:VSBES.2024.4
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Versicherungsgericht
Verwaltungsgericht Entscheid VSBES.2024.4 vom 09.07.2024 (SO)
Datum:09.07.2024
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:-
Zusammenfassung:Das Versicherungsgericht hat in einem Fall beruflicher Massnahmen und Invalidenrente entschieden. Der Beschwerdeführer hat sich erstmals 2017 bei der IV-Stelle angemeldet und später eine Ablehnung der Leistungsansprüche erhalten. Nach mehreren medizinischen Untersuchungen und Operationen hat das Gericht entschieden, dass die Beschwerdegegnerin den Sachverhalt unvollständig festgestellt hat und die Leistungsansprüche erneut prüfen muss. Die Kosten des Verfahrens in Höhe von CHF 600 trägt die Beschwerdegegnerin.
Schlagwörter: IV-Nr; Beschwerdeführers; Verfügung; Leistung; Sachverhalt; Recht; Prothese; Arbeit; Invalidität; Operation; Bundesgericht; Urteil; Diagnose; Bundesgerichts; Verschluss; Sprechstunden; Schmerzen; Leistungsansprüche; Beurteilung; Sprechstundenbericht; Stent; Omnilink; Y-Prothese; Vorfuss; Versicherungsgericht; IV-Stelle
Rechtsnorm: Art. 17 ATSG ;
Referenz BGE:121 V 362; 133 V 108; 146 V 364;
Kommentar:
-
Entscheid
 
Geschäftsnummer: VSBES.2024.4
Instanz: Versicherungsgericht
Entscheiddatum: 09.07.2024 
FindInfo-Nummer: O_VS.2024.147
Titel: berufliche Massnahmen und Invalidenrente

Resümee:

 

 

Urteil vom 9. Juli 2024

Es wirken mit:

Präsidentin Weber-Probst

Oberrichter Flückiger

Oberrichter Thomann

Gerichtsschreiber Penon

In Sachen

A.___

 

Beschwerdeführer

 

gegen

 

IV-Stelle Solothurn, Allmendweg 6, 4528 Zuchwil,

Beschwerdegegnerin

 

betreffend berufliche Massnahmen und Invalidenrente (Verfügung vom 19. Dezember 2023)

 


zieht das Versicherungsgericht in Erwägung:

I.

 

1.

1.1     A.___ (nachfolgend Beschwerdeführer), geb. 1972, meldete sich am 20. Dezember 2017 erstmals zum Bezug von Leistungen der Invalidenversicherung bei der IV-Stelle des Kantons Solothurn (nachfolgend Beschwerdegegnerin) an (IV-Nr. [Akten der IV-Stelle] 2).

 

1.2     Am 5. Februar 2018 fand zwischen der Beschwerdegegnerin und dem Beschwerdeführer ein Intake-Gespräch statt (IV-Nr. 10). Der Beschwerdeführer gab an, dass er am 15. Juni 2017 einen Arbeitsunfall erlitten habe, bei dem er sich eine traumatische Schulterdistorsion links mit Supraspinatussehnenruptur sowie ausgeprägter Reizung des Plexus brachialis mit neuropathischen Schmerzen zugezogen habe. Die Behandlung habe zunächst keine Besserung gebracht. Seit Ende Dezember 2017 sei nun aber eine Besserung bezüglich der Beweglichkeit der Schulter und der Schmerzen festzustellen. Hinsichtlich des weiteren Vorgehens wurde schliesslich vereinbart, dass der Beschwerdeführer die Beschwerdegegnerin über das Ergebnis der Kontrolluntersuchung beim behandelnden Arzt im März 2018 informiere.

 

1.3     Dem Abschlussbericht der Beschwerdegegnerin vom 25. Januar 2019 zufolge (IV-Nr. 17) teilte ihr der Beschwerdeführer am 8. März 2018 mit, dass er keine Unterstützung in Form beruflicher Massnahmen benötige. Sobald er wieder zu 100 % fit sei, gehe er wieder arbeiten. Weiter wird im Abschlussbericht der Beschwerdegegnerin festgehalten, dass der Beschwerdeführer am 3. September 2018 die Arbeit wieder aufgenommen habe und somit ab diesem Zeitpunkt als zu 100 % arbeitsfähig gelte.

 

1.4     Nach Durchführung des Vorbescheidverfahrens (IV-Nr. 18) wies die Beschwerdegegnerin die Leistungsansprüche des Beschwerdeführers mit Verfügung vom 13. März 2019 (IV-Nr. 19) ab. Diese Verfügung erwuchs unangefochten in Rechtskraft.

 

2.

2.1      Am 21. Oktober 2021 meldete sich der Beschwerdeführer erneut bei der Beschwerdegegnerin an (IV-Nr. 22). Zur Art der gesundheitlichen Beeinträchtigung vermerkte der Beschwerdeführer im Anmeldeformular «Verschluss der Beckengefässe, Hauptarterie, nach der OP Neuropathie». Einzige Beilage zur Anmeldung bildete eine Kopie des Passes des Beschwerdeführers.

 

2.2     Mit Vorbescheid vom 21. Oktober 2021 (IV-Nr. 24) stellte die Beschwerdegegnerin dem Beschwerdeführer in Aussicht, nicht auf das neue Leistungsbegehren einzutreten. Zugleich wies die Beschwerdegegnerin den Beschwerdeführer darauf hin, dass er innerhalb der 30-tägigen Einwandfrist Beweismittel (Arztberichte, Therapieberichte etc.) einreichen könne, um eine Veränderung seines Gesundheitszustandes glaubhaft erscheinen zu lassen.

 

2.3     Mit E-Mail vom 26. Oktober 2021 (IV-Nr. 25) liess die Krankentaggeldversicherung B.___ der Beschwerdegegnerin im Auftrag des Beschwerdeführers diverse medizinische Unterlagen zukommen.

 

2.4     Der Regionale Ärztliche Dienst (RAD) hielt in seiner Aktennotiz vom 26. Oktober 2021 (IV-Nr. 26) fest, dass es sich gemäss den vorliegenden medizinischen Unterlagen um eine vorübergehende behandelbare Verschlechterung durch einen grossen Gefässverschluss handle. Die operative Therapie sei erfolgreich gewesen, so dass die Behandler eine Reintegration ab Mitte/Ende Oktober sukzessive für möglich erachteten. Folglich sei nicht von einer dauerhaften IV-relevanten Verschlechterung auszugehen.

 

2.5     Am 8. November 2021 gelangte ein undatiertes Schreiben des Beschwerdeführers (IV-Nr. 27) bei der Beschwerdegegnerin ein, mit welchem er weitere medizinische Unterlagen einreichte.

 

2.6     In seiner Aktennotiz vom 9. November 2021 (IV-Nr. 28) stellte der RAD fest, dass der letzte Kontrollbericht des Gefässchirurgen Dr. C.___ vom 5. Oktober 2021 neu vorgelegt worden sei. Gemäss diesem werde vom Beschwerdeführer eine anhaltende Schmerzsymptomatik mit Belastungsintoleranz des rechten Vorfusses sowie eine gewisse teigige Schwellungstendenz beklagt. Als Schmerzursache vermute der Behandler eine postischämische Neuropathie am rechten Fuss und empfehle eine Vorstellung beim Neurologen zur Beurteilung und Therapieeinleitung. Ob es sich hierbei um eine behandelbare vorübergehende Folge der temporären Durchblutungsstörung im rechten Fuss handle, könne gemäss RAD erst im Verlauf beurteilt werden. Es bedürfe vorerst weiterer Abklärungen. Eine Verschlechterung sei aktuell somit glaubhaft dargestellt.

 

2.7     In seiner Stellungnahme vom 26. August 2022 (IV-Nr. 39) hielt der RAD fest, dass der Beschwerdeführer gemäss den im November und Dezember 2021 von den behandelnden Ärzten erhobenen Befunden ab Januar 2022 in wechselbelastenden angepassten Tätigkeiten leicht bis mittelschwer, ohne längere Gehstrecken über 30 min am Stück und ohne längeres Stehen über 30 min am Stück, wieder zu 100 % einsetzbar sei.

 

2.8     Die Beschwerdegegnerin stellte dem Beschwerdeführer mit Vorbescheid vom 14. September 2022 (IV-Nr. 40) in Aussicht, seine Leistungsansprüche abzuweisen.

 

2.9     Mit Schreiben vom 7. Oktober 2022 (IV-Nr. 41) erhob der Beschwerdeführer Einwand gegen den Vorbescheid der Beschwerdegegnerin.

 

2.10     Die Beschwerdegegnerin forderte den Beschwerdeführer mit Schreiben vom 13. Oktober 2022 (IV-Nr. 43) dazu auf, bis spätestens Ende November 2022 ergänzende medizinische Unterlagen einzureichen.

 

2.11     Mit E-Mails vom 10. Februar 2023 liess der damalige Hausarzt des Beschwerdeführers, Dr. med. D.___, Facharzt für Allgemeinmedizin, Allgemeine Innere Medizin sowie Psychiatrie und Psychotherapie, der Beschwerdegegnerin den Formulararztbericht vom 8. Februar 2023 (IV-Nr. 45) sowie eine umfassende medizinische Dokumentation (IV-Nr. 47) zukommen.

 

2.12     In seiner Stellungnahme vom 9. Mai 2023 (IV-Nr. 49) hielt der RAD fest, dass das Zumutbarkeitsprofil des Beschwerdeführers aufgrund des Formulararztberichtes von Dr. D.___ und der mit diesem eingereichten umfassenden medizinischen Dokumentation dahingehend angepasst werden müsse, als dem Beschwerdeführer seit Januar 2022 überwiegend sitzende Tätigkeiten mit der Möglichkeit zum Aufstehen und Durchbewegen in Vollzeit möglich sein sollten.

 

2.13     Mit Vorbescheid vom 26. Mai 2023 (IV-Nr. 53) stellte die Beschwerdegegnerin dem Beschwerdeführer erneut in Aussicht, seine Leistungsansprüche abzuweisen.

 

2.14     Der Beschwerdeführer erhob mit Schreiben vom 19. Juni 2023 (IV-Nr. 54) Einwand gegen den Vorbescheid der Beschwerdegegnerin.

 

2.15     Der RAD teilte der Beschwerdegegnerin mit Stellungnahme vom 15. September 2023 mit, dass der Einwand des Beschwerdeführers an der bisherigen Beurteilung nichts ändere.

 

2.16     Mit Verfügung vom 19. Dezember 2023 (A.S. [Aktenseite] 1 ff.) wies die Beschwerdegegnerin die Leistungsansprüche des Beschwerdeführers ab.

 

3.       Hiergegen erhebt der Beschwerdeführer mit Eingabe vom 16. Januar 2024 (A.S. 9 f.) Beschwerde und verlangt in dieser sinngemäss die Zusprache von Leistungen der Invalidenversicherung. Der Eingabe liegen diverse medizinische Unterlagen datierend von Juli 2021 bis Dezember 2023 bei, darunter Arztberichte zu einem im August 2023 notwendig gewordenen operativen Eingriff.

 

4.       Mit Eingabe vom 1. Februar 2024 (A.S. 13 ff.) stellt der Beschwerdeführer ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege.

 

5.       Mit Schreiben vom 13. März 2024 (A.S. 21) teilt die Beschwerdegegnerin mit, auf das Einreichen einer Beschwerdeantwort zu verzichten.

 

6.       Auf die Ausführungen der Parteien in ihren Rechtsschriften wird nachfolgend soweit notwendig eingegangen. Im Übrigen wird auf die Akten verwiesen.

 

II.

 

1.      

1.1     Die Sachurteilsvoraussetzungen (zulässiges Anfechtungsobjekt, Einhaltung von Frist und Form, örtliche und sachliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts, Legitimation der beschwerdeführenden Partei) sind erfüllt. Auf die Beschwerde ist somit einzutreten.

 

1.2     In zeitlicher Hinsicht sind vorbehältlich besonderer übergangsrechtlicher Regelungen grundsätzlich diejenigen materiellen Rechtssätze massgeblich, die bei der Erfüllung des rechtlich zu ordnenden zu Rechtsfolgen führenden Tatbestands Geltung haben (statt vieler BGE 146 V 364 E. 7.1 m.w.H.). Am 1. Januar 2022 trat das revidierte Bundesgesetz über die Invalidenversicherung (IVG; SR 831.20) in Kraft. Dementsprechend sind allfällige Ansprüche für die Zeit bis Ende 2021 nach denjenigen materiellrechtlichen Normen zu beurteilen, die damals in Kraft standen.

 

2.      

2.1     Invalidität ist die voraussichtlich bleibende längere Zeit dauernde ganze teilweise Erwerbsunfähigkeit (Art. 8 Abs. 1 des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts [ATSG; SR 830.1]). Sie kann Folge von Geburtsgebrechen, Krankheit Unfall sein (Art. 4 Abs. 1 IVG). Die Invalidität gilt als eingetreten, sobald sie die für die Begründung des Anspruchs auf die jeweilige Leistung erforderliche Art und Schwere erreicht hat (Art. 4 Abs. 2 IVG). Anspruch auf eine Rente haben Versicherte (Art. 28 Abs. 1 IVG), die ihre Erwerbsfähigkeit die Fähigkeit, sich im Aufgabenbereich zu betätigen, nicht durch zumutbare Eingliederungsmassnahmen wiederherstellen, erhalten verbessern können (lit. a), während eines Jahres ohne wesentlichen Unterbruch durchschnittlich mindestens 40 % arbeitsunfähig gewesen sind (lit. b) und nach Ablauf dieses Jahres zu mindestens 40 % invalid sind (lit. c). Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen haben invalide von einer Invalidität bedrohte Versicherte (Art. 8 Abs. 1 IVG), soweit die Eingliederungsmassnahmen notwendig und geeignet sind, die Erwerbsfähigkeit die Fähigkeit, sich im Aufgabenbereich zu betätigen, wiederherzustellen, zu erhalten zu verbessern (lit. a), und die Voraussetzungen für den Anspruch auf die einzelnen Massnahmen erfüllt sind (lit. b).

 

2.2     Wurde eine Rente wegen eines fehlenden zu geringen Invaliditätsgrads bereits einmal verweigert bzw. aufgehoben, so wird eine neue Anmeldung nur geprüft, wenn die versicherte Person glaubhaft macht, dass sich der Invaliditätsgrad in einer für den Anspruch erheblichen Weise geändert hat (Art. 87 Abs. 2 und 3 der Verordnung über die Invalidenversicherung [IVV; SR 831.201]). Tritt die IV-Stelle – wie im vorliegenden Fall – auf eine Neuanmeldung ein, so hat sie die Sache materiell abzuklären und sich zu vergewissern, ob die von der versicherten Person glaubhaft gemachte Veränderung des Invaliditätsgrads auch tatsächlich eingetreten ist (Urteil des Bundesgerichts 8C_477/2020 vom 25. November 2020 E. 4.3). Diese Prüfung erfolgt analog zur Revision nach Art. 17 Abs. 1 ATSG anhand eines Vergleichs des Sachverhalts im Zeitpunkt der letzten rechtskräftigen Verfügung, die auf einer materiellen Prüfung des Rentenanspruchs mit rechtskonformer Sachverhaltsabklärung, Beweiswürdigung und Invaliditätsbemessung beruht, mit dem Sachverhalt im Zeitpunkt der neuen Verfügung (BGE 133 V 108 E. 5.4). Stellt die Verwaltung fest, dass der Invaliditätsgrad seit Erlass der früheren Verfügung keine Veränderung erfahren hat, so weist sie das neue Gesuch ab; andernfalls hat sie zunächst noch zu prüfen, ob die festgestellte Veränderung genügt, um nunmehr eine anspruchsbegründende Invalidität zu bejahen, und beschliesst danach über den Anspruch. Im Beschwerdefall obliegt die gleiche materielle Prüfungspflicht auch dem Gericht (Urteil des Bundesgerichts 8C_477/2020 vom 25. November 2020 E. 4.3 m.w.H.).

 

3.

3.1     Sowohl das IV-Verfahren vor der IV-Stelle als auch das Rechtspflegeverfahren vor dem kantonalen Versicherungsgericht werden vom Untersuchungsgrundsatz beherrscht (Art. 43 Abs. 1 und Art. 61 lit. c ATSG). Das heisst, dass die IV-Stelle als verfügende Instanz und im Beschwerdefall das Versicherungsgericht von Amtes wegen für die richtige und vollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts zu sorgen haben. Diese Untersuchungspflicht dauert so lange, bis über die für die Beurteilung des streitigen Anspruchs erforderlichen Tatsachen hinreichende Klarheit besteht (Urteil des Bundesgerichts 9C_475/2022 vom 4. Dezember 2023 E. 4.2 m.w.H.). Gestützt auf den Untersuchungsgrundsatz ist der Sachverhalt soweit zu ermitteln, dass über den Leistungsanspruch zumindest mit dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit entschieden werden kann (Urteil des Bundesgerichts 9C_271/2019 vom 27. Mai 2019 E. 3 m.w.H.).

 

3.2     Zur Beurteilung sozialversicherungsrechtlicher Leistungsansprüche bedarf es verlässlicher medizinischer Entscheidungsgrundlagen (zum Ganzen Urteil des Bundesgerichts 8C_385/2023 vom 30. November 2023 E. 4.2.1 und 4.2.2 m.w.H.). Hinsichtlich des Beweiswerts eines Arztberichts ist entscheidend, ob dieser für die streitigen Belange umfassend ist, auf allseitigen Untersuchungen beruht, auch die geklagten Beschwerden berücksichtigt, in Kenntnis der Vorakten (Anamnese) abgegeben worden ist, in der Beurteilung der medizinischen Zusammenhänge und der medizinischen Situation einleuchtet und ob die Schlussfolgerungen des Experten begründet sind. Was versicherungsinterne ärztliche Abklärungen wie die Stellungnahmen des RAD betrifft, so kann (ohne Einholung eines externen Gutachtens) nicht darauf abgestellt werden, wenn auch nur geringe Zweifel an ihrer Zuverlässigkeit und Schlüssigkeit bestehen.

 

4.       Wie unter Ziff. 2.2 oben bereits ausgeführt, beurteilt sich die Frage, ob eine anspruchsbegründende Änderung in den für den Invaliditätsgrad erheblichen Tatsachen eingetreten ist, grundsätzlich anhand eines Vergleichs des Sachverhalts im Zeitpunkt der letzten rechtskräftigen Verfügung, die auf einer materiellen Prüfung des Rentenanspruchs mit rechtskonformer Sachverhaltsabklärung, Beweiswürdigung und Invaliditätsbemessung beruht, mit dem Sachverhalt im Zeitpunkt der neuen Verfügung. Da die Abweisung der Leistungsansprüche des Beschwerdeführers im Erstverfahren – siehe Ziff. I. 1.3 und 1.4 oben – nicht aufgrund einer umfassenden Beurteilung der medizinischen Akten erfolgte, sondern weil der Beschwerdeführer nach seiner Genesung ab dem 3. September 2018 die Arbeit wiederaufnahm und deshalb zu 100 % als arbeitsfähig galt, kann vorliegend ein solcher Vergleich unterbleiben. Die Neuanmeldung des Beschwerdeführers vom 21. Oktober 2021 – siehe Ziff. I. 2.1 oben – ist vielmehr wie eine Erstanmeldung zu behandeln.

 

5.

5.1

5.1.1    Strittig und zu prüfen ist, ob die Beschwerdegegnerin die Leistungsansprüche des Beschwerdeführers mit Verfügung vom 19. Dezember 2023 zu Recht verneint hat. Zur medizinischen Sachlage finden sich in den Vorakten im Wesentlichen folgende Unterlagen:

 

5.1.2    Im Sprechstundenbericht von Dr. med. C.___, Facharzt für Chirurgie und Gefässchirurgie, vom 7. Juli 2021 (IV-Nr. 25 S. 20 – 21) werden folgende Diagnosen gestellt:

 

Hauptdiagnosen

 

1.      Subakute kritische Beinischämie, Stadium IIa nach Rutherford beidseits bei aortobiiliacalem Gefässverschluss (Leriche-Syndrom)

-        bei vorbestehender PAVK mit

-        rechts: 2011 Stent PTA der A. iliaca communis

(Omnilink 7x39 mm)

-        links: 2011 PTA und Stenting der A. iliaca communis

(Omnilink 6 x 59 mm)

2.      Chronischer Nikotinabusus

-        Nikotin und Marihuana

 

Nebendiagnosen

 

3.      Status nach dislozierter Fraktur der 5. Rippe links anterolateral nach Sturz 10/2020

 

Dr. C.___ hält in seinem Bericht fest, dass der Beschwerdeführer aufgrund seit rund einem Monat bestehender nächtlicher ischämischer Ruheschmerzen rechtsbetont im E.___ vorstellig geworden sei. In der Angio-CT habe sich ein relativ ausgeprägter Befund mit vollständigem Verschluss der gesamten infrarenalen Aorta inklusive der gesamten Beckengefässe gezeigt. Klinisch habe das hierzu passende Bild einer subakuten kritischen Beinischämie beidseits mit kühlen, blassen Füssen und bereits Hypästhesien rechtsbetont bei noch intakter Motorik (einem Stadium Ila nach Rutherford entsprechend) imponiert. In dieser Situation sei die Indikation zum dringlichen Revaskularisationseingriff mittels Anlage einer aortobiiliacalen Y-Prothese mit suprarenaler Aortenklemmung zu stellen. Der Eingriff sei für den 9. Juli 2021 geplant.

 

5.1.3    Laut Operationsbericht von Dr. C.___ vom 9. Juli 2021 (IV-Nr. 25 S. 22 – 25) wurde am selben Tag folgende Operation beim Beschwerdeführer vorgenommen:

 

Aorto-iliacale Revaskularisation mit

-        Anlage eines aorto-biiliacalen Bypasses (18x9mm Dacron Y- Prothese) auf A. iliaca externa beidseits via medianer Laparotomie und suprainguinalen Zugängen beidseits

-        Suprarenale Aortenklemmung mit Nierenischämie beidseits von 23 Minuten

-        Thrombektomie des renalen Aortensegments

-        Langstreckige TEA der distalen A. iliaca externa, A. femoralis communis und proximalen A. femoralis superficialis rechts, Rekonstruktion mit Perikardpatchplastik

-        Temporäre Durchtrennung der linken Nierenvene mit Reanastomosierung End-zu-End

-        Argon-Beamer-Koagulation bei akzidenteller kleiner Leberlazeration

 

Dr. C.___ hält in seinem Bericht weiter fest, dass die Operation gut verlaufen und der Beschwerdeführer extubiert und kreislaufstabil auf die Intensivstation verlegt worden sei.

 

5.1.4    Im Sprechstundenbericht von Dr. C.___ vom 26. August 2021 (IV-Nr. 25 S. 13 – 15) hält dieser fest, dass sich in der heutigen klinischen, oszillographischen und duplexsonographischen Verlaufskontrolle ein einwandfreies postoperatives Resultat mit uneingeschränkter arterieller Perfusion der unteren Extremitäten beidseits zeige. Das körperliche Aufbautraining könne nun sukzessive gestartet werden mit jedoch nach wie vor Schonung der Bauchdecke für insgesamt drei Monate postoperativ. Bis dahin bestehe auch eine 100%ige Arbeitsunfähigkeit, anschliessend könne eine stufenweise Integration in den Arbeitsprozess erfolgen.

 

5.1.5    Im Sprechstundenbericht von Dr. C.___ vom 5. Oktober 2021 (IV-Nr. 27 S. 17 – 18) stellt dieser erstmals die Diagnose des Verdachts auf postischämische Neuropathie Bein rechts. Dr. C.___ hält hierzu fest, dass sich der Beschwerdeführer aufgrund einer persistierender Schmerzsymptomatik mit Belastungsintoleranz im Bereich des Vorfusses rechts selbst vorgestellt habe. In der Zusammenschau der Befunde bestehe beim Beschwerdeführer eine postischämische Neuropathie am rechten Fuss. Der Beschwerdeführer sei deshalb von der Neurologie aufzubieten.

 

5.1.6    Im Sprechstundenbericht von Dr. med. F.___, Facharzt für Anästhesiologie, vom 23. November 2021 (IV-Nr. 34 S. 7 – 10) werden folgende Diagnosen gestellt:

 

1.      Neuropathische Beschwerden rechtes Bein, vor allem Vorfuss, im Rahmen von Diagnose 2

-        Sensibilitätsstörung Oberschenkelvorderseite und verminderte Kraft im Versorgungsgebiet des N. femoralis

-        Sensibilitätsstörung, Schmerzen und eingeschränkte Beweglichkeit Vorfuss rechts

-        Neurologische Standortbestimmung geplant für den 02.12.2021

-        psychosoziale Belastungen (u.a. finanzielle Einbussen bei Arbeitsunfähigkeit, Schlafstörung)

2.      St. n. subakuter kritischer Beinischämie, Stadium Ila nach Rutherford beidseits bei aortobiiliacalem Gefässverschluss (Leriche-Syndrom)

-        Vorbestehende PAVK mit

-        Rechts: 2011 Stent PTA der A. iliaca communis (Omnilink 7x39 mm)

-        Links: 2011 PTA und Stenting der A. iliaca communis (Omnilink 6x59 mm)

-        09.07.2021 Komplexe aorto-iliacale Revaskularisationsoperation mit Anlage eines aorto-biiliacalen Bypasses (18x9mm Dacron Y- Prothese) auf A. iliaca externa beidseits via medianer Laparotomie und suprainguinalen Zugängen beidseits. Suprarenale Aortenklemmung mit Nierenischämie beidseits von 23 Minuten. Thrombektomie des renalen Aortensegments. Langstreckige TEA der distalen A. iliaca externa, A. femoralis communis und proximalen A. femoralis superficialis rechts, Rekonstruktion mit Perikardpatchplastik. Temporäre Durchtrennung der linken Nierenvene mit Reanastomosierung End-zu-End

3.      Chronischer Nikotinabusus

-        Zigarettenkonsum sistiert seit Operation 07/21

-        persistierender Marihuanakonsum ca. 1x/Tag (mit wenig Zigarettentabak)

 

Dr. F.___ führt in seinem Bericht aus, dass der Beschwerdeführer neuropathische Missempfindungen vor allem im Vorfuss rechts beschreibe. Diese Beschwerden bezeichne er zwar nicht primär als Schmerzen, er sei jedoch klar in der Funktion eingeschränkt, das Auftreten mit den Fussballen scheine durchaus schmerzhaft zu sein, weshalb er den Fuss auch schone. Interessant sei die Abnahme der Beschwerden bei Tiefhalten des Fusses. Dies passe im Prinzip zu einer limitierten Perfusion des Fusses in horizontaler Lage. Die Oszillographie Anfang Oktober habe normale Messwerte ergeben. Somit seien die Beschwerden am ehesten im Rahmen einer Dysregulation der peripheren Nerven zu verstehen. Möglich sei eine sympathische Komponente der Schmerzen. Zu einer besseren Beurteilung der peripheren Nerven sei eine Konsultation in der Neurologie geplant. Mit dem Beschwerdeführer sei folgendes Vorgehen besprochen worden: 1. Lidocain topisch (Gel 10 %) auf den rechten Vorfuss, 2. fünf Tropfen Trimipramin (= 5 mg) zur Nacht, bei guter Verträglich, aber ungenügender Wirkung schrittweise Steigerung bis 25 mg, 3. alternativ Duloxetin auch zusätzlich Gabapentin Pregabalin sowie 4. Physiotherapie (Muskelaufbau, Koordination), falls sich der Beschwerdeführer hierzu überzeugen lasse.

 

5.1.7    Im Sprechstunden- und Elektrophysiologiebericht von Dr. med. G.___, Facharzt für Neurologie, vom 10. Dezember 2021 (IV-Nr. 36 S. 5 – 7) werden folgende Diagnosen gestellt:

 

1.    Postischämische Fussschmerzen rechts und Sensibilitätsminderung Oberschenkel Vorderseite im Versorgungsgebiet des N. femoralis rechts

-        • Leichtgradige axonale motorische Polyneuropathie im rechten Bein, links Normalbefund

-        Akzentuiert im Rahmen einer Belastungssituation (u.a. finanzielle Einbussen bei Arbeitsunfähigkeit, Insomnie)

2.      St. n. subakuter kritischer Beinischämie, Stadium Ila nach Rutherford beidseits bei aortobiiliacalem Gefässverschluss (Leriche-Syndrom)

-        Vorbestehende PAVK mit

-        Rechts: 2011 Stent PTA der A. iliaca communis (Omnilink 7x39 mm)

-        Links: 2011 PTA und Stenting der A. iliaca communis (Omnilink 6x59 mm)

-        09.07.2021 Komplexe aorto-iliacale Revaskularisationsoperation mit Anlage eines aorto-biiliacalen Bypasses (18x9mm Dacron Y- Prothese) auf A. iliaca externa beidseits via medianer Laparotomie und suprainguinalen Zugängen beidseits. Suprarenale Aortenklemmung mit Nierenischämie beidseits von 23 Minuten. Thrombektomie des renalen Aortensegments. Langstreckige TEA der distalen A. iliaca externa, A. femoralis communis und proximalen A. femoralis superficialis rechts, Rekonstruktion mit Perikardpatchplastik. Temporäre Durchtrennung der linken Nierenvene mit Reanastomosierung End-zu-End

3.      Chronischer Nikotinabusus

-        Nikotin und Marihuana

 

Dr. G.___ führt zu den Diagnosen aus, dass klinisch weiterhin der Verdacht auf eine Reizung des N. femoralis rechts durch eine verminderte Sensibilitätswahrnehmung am rechten Oberschenkel bestehe. Die Suralis-Neurographie als Hinweis für eine sensible Neuropathie sei normal. Differentialdiagnostisch könnte es sich am rechten Fuss auch um eine Small-Fiber-Neuropathie, postischämisch, handeln. Dr.  könne sich den therapeutischen Empfehlungen von Dr. F.___ gemäss Bericht vom 23. November 2021 nur anschliessen. Der Beschwerdeführer lehne diese jedoch ab.

 

5.1.8    Im Formulararztbericht von Dr. D.___ vom 8. Februar 2023 (IV-Nr. 45) wird die Diagnose einer postischämischen Neuropathie am rechten Bein gestellt. Zur Frage, welche Funktionseinschränkungen bestünden und wie sich diese auf die bisherige Tätigkeit auswirkten, hält Dr. D.___ fest, dass der Beschwerdeführer nicht länger als 5 min auf den Beinen stehen und gehen könne und bei Kälte vermehrte Schmerzen spüre. Der Beschwerdeführer wünsche sich eine berufliche Wiedereingliederung, den medizinischen Möglichkeiten entsprechend jedoch in einer sitzenden Tätigkeit ohne Stehen Gehen zu müssen.

 

5.2    

5.2.1    Der Beschwerdeführer hat mit seiner Beschwerde vom 16. Januar 2024 (A.S. 9 ff.) insbesondere folgende Arztberichte eingereicht:

 

5.2.2    Gemäss Sprechstundenbericht des E.___ vom 2. August 2023 wurde in der gleichentags durchgeführten Konsultation ein Verschluss des Y-Prothesenschenkels links diagnostiziert. Klinisch wie oszillographisch habe sich eine eingeschränkte Ruheperfusion links gezeigt. Für die weitere Abklärung sei eine zeitnahe CT-Angiographie des Abdomen-, Becken- und Beinbereichs mit anschliessender Besprechung geplant.

 

5.2.3    Gemäss Sprechstundenbericht von Dr. med. H.___, Facharzt für Chirurgie und Gefässchirurgie, sowie Dr. C.___ vom 11. August 2023 wurde die Diagnose des Verschlusses des Y-Prothesenschenkels links im Rahmen der gleichentags vorgenommenen CT-Angiographie bestätigt. Ursache des Verschlusses dürfte nach der Einschätzung von Dr. H.___ und Dr. C.___ am ehesten eine noch vorhandene Arteriosklerose im Bereich der Femoralgabel sein. Entsprechend sei nun eine Leistenrevision links mit TEA und Patchplastik sowie Graft-Thrombektomie mit anschliessender Angiographie geplant. Gegebenenfalls sei eine Erweiterung des Eingriffes mittels PTA und/oder femoropoplitealem Bypass notwendig.

 

5.2.4    Laut Operationsbericht von Dr. H.___ und Dr. C.___ vom 18. August 2023 wurde gleichentags folgende Operation beim Beschwerdeführer vorgenommen:

 

1.      Anastomosenrevision und Thrombendarteriektomie iliacal extern sowie Femoralgabel links

-      Gefässverschluss mittels Rinderperikardpatchplastik

2.      Graftthrombektomie, Angiographie und PTA des linken Graftschenkels der aortoiliacalen Y-Prothese

 

Dr. H.___ und Dr. C.___ halten in ihrem Bericht weiter fest, dass die Operation gut verlaufen und der Beschwerdeführer extubiert und kreislaufstabil auf die Intensivstation verlegt worden sei.

 

5.2.5    Im Sprechstundenbericht von Dr. C.___ vom 20. Dezember 2023 werden folgende Diagnosen gestellt:

 

Hauptdiagnosen

 

1.      PAVK vom aorto-iliakalen Typ (Leriche-Syndrom)

-        Vorbestende PAVK mit

-        Rechts: 2011 Stent PTA der A. iliaca communis (Omnilink 7 x 39 mm)

-        Links: 2011 PTA und Stenting der A. iliaca communis (Omnilink 6 x 59 mm)

-        09.07.2021 Komplexe aorto-iliakale Revaskularisätionsoperation mit Anlage eines aorto-biiliakalen Bypasses (18 x 9 mm Dacron Y- Prothese) auf A. iliaca externa beidseits via medianer Laparotomie und suprainguinalen Zugängen beidseits. Suprarenale Aortenklemmung mit Nierenischämie beidseits von 23 Minuten. Thrombektomie des renalen Aortensegments. Langstreckige TEA der distalen A. iliaca externa, A. femoralis communis und proximalen A. femoralis superficialis rechts, Rekonstruktion mit Perikardpatchplastik. Temporäre Durchtrennung der linken Nierenvene mit Reanastomosierung End-zu-End bei subakuter kritischer Beinischämie rechtsbetont

-        18.08.2023 Hybridoperationstechnik im Hybridoperationssaal:

-        Anastomosenrevision und Thrombarteriektomie iliakal extern und femoral/Femoralgabel links, Gefässverschluss mittel Rinderperikardpatchplastik

-        Embolektomie, Angiographie und PTA des linken Graftschenkels der aortoiliakalen Y-Prothese

-        St. n. relativ ausgeprägter luminaler Wandthrombosierung im Bereich des Prothesenhauptkörpers

-        unter etablierter oraler Antikoagulation mit Xarelto nahezu vollständig regredient

-        NOAK ad vitam

2.      Postischämische Fussschmerzen rechts und Sensibilitätsminderung Oberschenkel Vorderseite im Versorgungsgebiet des N. femoralis rechts

-        Leichtgradige axonale motorische Polyneuropathie im rechten Bein, links Normalbefund

-        Akzentuiert im Rahmen einer Belastungssituation (u.a. finanzielle Einbussen bei Arbeitsunfähigkeit, Insomnie)

3.      Neuropathische Beschwerden rechtes Bein, vor allem Vorfuss, im Rahmen der Diagnosen 1/2

-        Sensibilitätsstörung Oberschenkelvorderseite und verminderte Kraft im Versorgungsgebiet des N. femoralis

-        Sensibilitätsstörung, Schmerzen und eingeschränkte Beweglichkeit Vorfuss rechts

-        Neurologische Standortbestimmung geplant für den 02.12.2021

-        Psychosoziale Belastungen (u.a. finanzielle Einbussen bei Arbeitsunfähigkeit, Schlafstörung)

 

Nebendiagnosen

 

4.      St. n. Nikotinabusus (sistiert seit der Operation vom 09.07.2021)

-        Nikotin und Marihuana

5.      Status nach dislozierter Fraktur der 5. Rippe links anterolateral nach Sturz 10/2020

 

Dr. C.___ hält in seinem Bericht fest, dass sich klinisch und CT-morphologisch ein sehr gutes Resultat zeige. Unter der etablierten oralen Antikoagulation sei es nahezu zur vervollständigen Regredienz der doch ausgeprägten Wandthrombosierung im Bereich des Prothesenhauptkörpers gekommen. Anamnestisch seien keine relevanten Blutungskomplikationen unter der oralen Antikoagulation aufgetreten, sodass es wohl sinnvoll sei, diese unter regelmässiger Evaluation des Blutungsrisikos ad vitam fortzuführen.

 

5.3

5.3.1    Bezugsgrösse für den entscheidrelevanten Sachverhalt ist nach ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung der Zeitraum bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens (Urteil des Bundesgerichts 8C_505/2020 vom 6. Oktober 2020 E. 5.1). Das heisst, dass die Rechtmässigkeit der Verfügung der Beschwerdegegnerin nach demjenigen Sachverhalt zu beurteilen ist, der im Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung am 19. Dezember 2023 bestand (vgl. BGE 121 V 362 E. 1b m.w.H.).

 

5.3.2    Die Beschwerdegegnerin stützt sich bei der Begründung ihrer leistungsablehnenden Verfügung vom 19. Dezember 2023 (A.S. 1 ff.) im Wesentlichen auf die Stellungnahmen des RAD vom 26. August 2022 (IV-Nr. 39) und 9. Mai 2023 (IV-Nr. 49). Der RAD hält in seiner Stellungnahme vom 26. August 2022 fest, dass die aktuellsten Befunde inzwischen acht Monate alt seien. Gemäss den Befunden von November / Dezember 2021 – siehe Ziff. 5.1.6 und 5.1.7 – sei der Beschwerdeführer ab Januar 2022 in wechselbelastenden angepassten Tätigkeiten leicht bis mittelschwer, ohne längere Gehstrecken über 30 min am Stück und ohne längeres Stehen über 30 min am Stück, wieder zu 100 % einsetzbar. In seiner Stellungnahme vom 9. Mai 2023 (IV-Nr. 49) gelangt der RAD zum Schluss, dass das Zumutbarkeitsprofil des Beschwerdeführers aufgrund des Formulararztberichtes des damaligen Hausarztes des Beschwerdeführers, Dr. D.___, vom 8. Februar 2023 (IV-Nr. 45) und der mit diesem eingereichten umfassenden medizinischen Dokumentation (IV-Nr. 47) – diese reicht in zeitlicher Hinsicht vom 29. Juni 2017 bis 20. Dezember 2021 – dahingehend angepasst werden müsse, als dem Beschwerdeführer seit Januar 2022 überwiegend sitzende Tätigkeiten mit der Möglichkeit zum Aufstehen und Durchbewegen in Vollzeit möglich sein sollten. Für die Zeit vom 8. Februar bis 19. Dezember 2023 finden sich mit Ausnahme des von Dr. D.___ ausgestellten Arztzeugnisses vom 20. Juni 2023 (IV-Nr. 56), wonach der Beschwerdeführer wegen Krankheit vom 1. Juni bis 31. Juli 2023 arbeitsunfähig sei, keine medizinischen Unterlagen in den IV-Akten. Zwischen dem letzten ärztlichen Bericht und der Verfügung der Beschwerdegegnerin lagen somit zehn Monate. In diesen zehn Monaten erlitt der Beschwerdeführer, wie aus den seiner Beschwerde beiliegenden Arztberichten hervorgeht – siehe Ziff. 5.2 oben –, einen Verschluss des linken Schenkels der im Juni 2021 aufgrund des Verschlusses der infrarenalen Aorta operativ eingesetzten Y-Prothese mit klinisch und messtechnisch kritischer Beinischämie, so dass eine neuerliche Operation notwendig war. Diese fand am 18. August 2023 statt und verlief gemäss Operationsbericht – siehe Ziff. 5.2.4 oben – komplikationslos. Gemäss Sprechstundenbericht vom 20. Dezember 2023 – siehe Ziff. 5.2.5 oben – zeigte sich anlässlich der gleichentags durchgeführten Kontrolle ein regulärer Verlauf, wobei der Beschwerdeführer aktuell von einem unveränderten Beschwerdebild mit vor allem neuropathischen invalidisierenden Fussschmerzen beidseits berichte. Ob und inwiefern sich der Verschluss des Y-Prothesenschenkels links und dessen operative Beseitigung im August 2023 auf die Gesundheit und somit auf die Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers auswirken, bedarf der ärztlichen Beurteilung (vgl. Urteil des Bundesgerichts 8C_516/2016 vom 27. Oktober 2016 E. 4.1.2). Eine solche hat im vorinstanzlichen Verfahren nicht stattgefunden. Nachdem der Beschwerdeführer bereits mehrfach wegen Gefässverschlüssen operiert werden musste und seit Juli 2021 durchgehend über Schmerzen und Funktionseinschränkungen in den Beinen und Füssen klagt, kann vorliegend nicht in antizipierter Beweiswürdigung davon ausgegangen werden, dass sich die neuerliche Operation von August 2023 nicht auf das Beweisergebnis auswirkt. Die Beschwerdegegnerin hat den Sachverhalt somit unvollständig festgestellt. Hierin ist eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes zu erkennen.

 

5.4     Das Versicherungsgericht hat in der Regel ein Gerichtsgutachten einzuholen, wenn es im Rahmen der Beweiswürdigung zum Schluss gelangt, ein bereits erhobener medizinischer Sachverhalt müsse (insgesamt in wesentlichen Teilen) noch gutachterlich geklärt werden eine Administrativexpertise sei in einem rechtserheblichen Punkt nicht beweiskräftig. Eine Rückweisung an die IV-Stelle ist hingegen zulässig, wenn es darum geht, zu einer bisher vollständig ungeklärten Frage ein Gutachten einzuholen, wenn nur eine Klarstellung, Präzisierung Ergänzung von gutachterlichen Ausführungen erforderlich ist (Urteil des Bundesgerichts 9C_354/2020 vom 8. September 2020 E. 2.1 m.w.H). Wie aus den Erwägungen unter Ziff. 5.3 oben hervorgeht, wurde der medizinische Sachverhalt im Zusammenhang mit dem Verschluss des Y-Prothesenschenkels links und dessen operative Beseitigung im August 2023 im vorinstanzlichen Verfahren überhaupt nicht erhoben. Ungeklärt ist infolgedessen auch die Frage, ob und inwiefern sich hieraus Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers ergeben. Damit liegen Umstände vor, die eine Rückweisung der Sache an die Beschwerdegegnerin rechtfertigen. Die Beschwerdegegnerin wird die Sachverhaltslücken schliessen und anschliessend über die Leistungsansprüche des Beschwerdeführers neu entscheiden müssen. Entsprechend ist die Beschwerde gutzuheissen, die angefochtene Verfügung aufzuheben und die Sache im Sinne vorstehender Erwägungen an die Beschwerdegegnerin zurückzuweisen.

 

6.      

6.1     Gemäss Art. 69 Abs. 1bis IVG ist das Beschwerdeverfahren bei Streitigkeiten um die Bewilligung die Verweigerung von IV-Leistungen vor dem kantonalen Versicherungsgericht kostenpflichtig. Die Kosten werden nach dem Verfahrensaufwand und unabhängig vom Streitwert im Rahmen von CHF 200.00 – 1´000.00 festgelegt. Die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zu weiterer Abklärung gilt für die Frage der Auferlegung der Gerichtskosten als vollständiges Obsiegen des Beschwerdeführers (vgl. BGE 137 V 210 E. 7.1). Vorliegend sind die Verfahrenskosten in Höhe von CHF 600.00 somit von der Beschwerdegegnerin zu tragen. Eine Parteientschädigung steht dem Beschwerdeführer mangels einer rechtlichen Vertretung nicht zu.

 

6.2     Nachdem der Beschwerdeführer vollständig obsiegt hat, erübrigt sich ein Entscheid über das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege. Der entsprechende Antrag ist obsolet.

Demnach wird erkannt:

1.    In Gutheissung der Beschwerde wird die Verfügung der Beschwerdegegnerin vom 19. Dezember 2023 aufgehoben. Die Sache wird an die Beschwerdegegnerin zurückgewiesen, damit diese die erforderlichen Abklärungen im Sinne vorstehender Erwägungen vornehme und anschlies-

send über den Leistungsanspruch des Beschwerdeführers neu entscheide.

2.    Die Beschwerdegegnerin hat die Verfahrenskosten von CHF 600.00 zu bezahlen.

3.    Das Doppel der Beschwerdeantwort vom 13. März 2024 geht zur Kenntnisnahme an den Beschwerdeführer.

Rechtsmittel

Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit der Mitteilung beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten eingereicht werden (Adresse: Bundesgericht, Schweizerhofquai 6, 6004 Luzern). Die Frist beginnt am Tag nach dem Empfang des Urteils zu laufen und wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar (vgl. Art. 39 ff., 82 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes, BGG). Bei Vor- und Zwischenentscheiden (dazu gehört auch die Rückweisung zu weiteren Abklärungen) sind die zusätzlichen Voraussetzungen nach Art. 92 93 BGG zu beachten.

 

Versicherungsgericht des Kantons Solothurn

Die Präsidentin                         Der Gerichtsschreiber

Weber-Probst                           Penon



 
Quelle: https://gerichtsentscheide.so.ch/
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