Zusammenfassung des Urteils VSBES.2023.96: Verwaltungsgericht
Der 1958 geborene A.___ meldete sich erstmals 2011 bei der IV-Stelle an, erhielt aber 2013 keine Leistungen. Nach einer erneuten Anmeldung 2020 wurde ihm eine ganze Invalidenrente zugesprochen, aber später wieder entzogen. A.___ erhob Beschwerde, die vom Versicherungsgericht gutgeheissen wurde. Es wurde festgestellt, dass A.___'s Restarbeitsfähigkeit nicht verwertbar war, weshalb ihm ab April 2021 eine ganze Invalidenrente zugesprochen wurde. Die Beschwerdegegnerin muss A.___ eine Parteientschädigung von CHF 771.45 zahlen und die Verfahrenskosten von CHF 600.00 übernehmen.
Kanton: | SO |
Fallnummer: | VSBES.2023.96 |
Instanz: | Verwaltungsgericht |
Abteilung: | Versicherungsgericht |
Datum: | 09.02.2024 |
Rechtskraft: |
Leitsatz/Stichwort: | - |
Schlagwörter: | ähig; IV-Nr; Arbeitsfähigkeit; Recht; Verfügung; Verwertbarkeit; Beschwerdeführers; Bericht; Bundesgericht; Urteil; Tätigkeiten; Beweiswürdigung; Bundesgerichts; Alter; Versicherungsgericht; Akten; Verfahren; Leistung; Verwaltung; Beurteilung; Sachverhalt; Zumutbar; Restarbeitsfähigkeit; Invalidenrente; IV-Stelle; Gericht; RAD-Bericht; Stunden |
Rechtsnorm: | Art. 29 BV ;Art. 49 ATSG ; |
Referenz BGE: | 104 V 212; 117 V 194; 122 V 160; 125 V 352; 125 V 353; 132 V 99; 138 V 457; 145 V 2; |
Kommentar: | - |
Geschäftsnummer: | VSBES.2023.96 |
Instanz: | Versicherungsgericht |
Entscheiddatum: | 09.02.2024 |
FindInfo-Nummer: | O_VS.2024.36 |
Titel: | Invalidenrente |
Resümee: |
Urteil vom 9. Februar 2024 Es wirken mit: Oberrichter Thomann Oberrichterin Kofmel Gerichtsschreiberin Studer In Sachen A.___ vertreten durch Gewerkschaft syndicom Beschwerdeführer
B.___, Vorsorgestiftung Beigeladene
gegen IV-Stelle Solothurn, Allmendweg 6, 4528 Zuchwil, Beschwerdegegnerin
betreffend Invalidenrente (Verfügung vom 6. März 2023)
zieht das Versicherungsgericht in Erwägung: I.
1. 1.1 Der 1958 geborene A.___ (nachfolgend: Beschwerdeführer) meldete sich am 26. Juni 2011 erstmals bei der IV-Stelle des Kantons Solothurn (nachfolgend: Beschwerdegegnerin) zum Leistungsbezug an (IV-Nr. 7). Nach Gewährung verschiedener beruflicher Massnahmen wies die Beschwerdegegnerin weitere Ansprüche mit Verfügung vom 17. Mai 2013 (IV-Nr. 53) ab. Diese Verfügung erwuchs unangefochten in Rechtskraft.
1.2 Im Oktober 2020 meldete sich der Beschwerdeführer erneut bei der Beschwerdegegnerin zum Leistungsbezug an (IV-Nr. 55). Dabei machte er geltend, seit April 2020 wegen einer Depression und eines Bandscheibenvorfalls gesundheitlich beeinträchtigt zu sein. Nach diversen Abklärungen stellte die Beschwerdegegnerin dem Beschwerdeführer mit Vorbescheid vom 28. September 2021 eine ganze Invalidenrente ab 1. April 2021 in Aussicht (IV-Nr. 78). Dabei ging sie von einer seit 1. März 2021 wiedererlangten Arbeitsfähigkeit in angepasster Tätigkeit aus, erachtete diese jedoch unter Berücksichtigung der persönlichen und beruflichen Gegebenheiten als nicht mehr verwertbar. Am 28. Oktober 2021 schickte die Beschwerdegegnerin den Vorbescheid zudem an die B.___ Vorsorgestiftung (IV-Nr. 83), woraufhin diese Einwände geltend machte (IV-Nr. 84). Die Beschwerdegegnerin beschied dem Beschwerdeführer daraufhin in einem neuen Vorbescheid vom 22. Dezember 2022, sein Leistungsgesuch nunmehr verfügungsweise abzuweisen (IV-Nr. 91). Dabei ging sie von derselben Einschätzung der Arbeitsfähigkeit wie bis anhin aus, beurteilte jedoch die Verwertbarkeit der Resterwerbsfähigkeit anders. Mit diesem Vorbescheid war der Beschwerdeführer nicht einverstanden und liess Einwände erheben (IV-Nr. 94 und 96). Am 6. März 2023 verfügte die Beschwerdegegnerin im Sinne des Vorbescheids vom 22. Dezember 2022 (Aktenseite [A.S.] 1 ff.).
2. Gegen die Verfügung vom 6. März 2023 lässt der Beschwerdeführer am 20. April 2023 beim Versicherungsgericht des Kantons Solothurn (nachfolgend: Versicherungsgericht) Beschwerde erheben mit folgenden Rechtsbegehren (A.S. 15 ff.):
1. Die Verfügung vom 6. März 2023 sei aufzuheben. 2. Es sei dem Beschwerdeführer ab dem 1. April 2021 eine ganze IV-Rente zuzusprechen.
3. Mit Schreiben vom 12. Juni 2023 verzichtet die Beschwerdegegnerin auf das Einreichen einer Beschwerdeantwort (A.S. 34).
4. Der Vertreter des Beschwerdeführers reicht am 26. Juni 2023 eine Kostennote zu den Akten (A.S. 36).
5. Mit Verfügung vom 5. Januar 2024 wird die B.___ Vorsorgestiftung (nachfolgend: Beigeladene) im Verfahren beigeladen und ihr Frist gesetzt, sich bis zum 25. Januar 2024 zur Sache zu äussern (A.S. 38). Nachdem sich die Beigeladene nicht innert Frist nicht hat vernehmen lassen, wird am 31. Januar 2024 verfügungsweise deren Verzicht auf eine Stellungnahme festgestellt (A.S. 41).
II.
1. Die Sachurteilsvoraussetzungen (zulässiges Anfechtungsobjekt, Einhaltung von Frist und Form, örtliche, sachliche und funktionelle Zuständigkeit des angerufenen Gerichts, Legitimation) sind erfüllt. Auf die Beschwerde ist einzutreten.
2. Am 1. Januar 2022 trat das revidierte Bundesgesetz über die Invalidenversicherung (IVG, SR 831.20) in Kraft. Vorbehältlich besonderer übergangsrechtlicher Regelungen sind in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen materiellen Rechtssätze massgeblich, die bei der Erfüllung des rechtlich zu ordnenden zu Rechtsfolgen führenden Tatbestands Geltung haben (statt vieler: BGE 144 V 210 E. 4.3.1 m. H.). Dementsprechend ist der Anspruch für die Zeit bis Ende 2021 nach denjenigen materiell-rechtlichen Normen zu beurteilen, die damals in Kraft standen, auch wenn die entsprechende Verfügung der Beschwerdegegnerin erst nach dem 1. Januar 2022 erging.
3. Invalidität ist die voraussichtlich bleibende längere Zeit dauernde ganze teilweise Erwerbsunfähigkeit (Art. 8 Abs. 1 des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts [ATSG; SR 830.1]). Sie kann Folge von Geburtsgebrechen, Krankheit Unfall sein. Die Invalidität gilt als eingetreten, sobald sie die für die Begründung des Anspruchs auf die jeweilige Leistung erforderliche Art und Schwere erreicht hat (Art. 4 IVG).
3.1 Um den Invaliditätsgrad bemessen zu können, ist die Verwaltung (und im Beschwerdefall das Gericht) auf ärztliche Unterlagen angewiesen. Aufgabe des Arztes der Ärztin ist es, den Gesundheitszustand zu beurteilen und dazu Stellung zu nehmen, in welchem Umfang und bezüglich welcher Tätigkeiten die Versicherten arbeitsunfähig sind. Im Weiteren sind ärztliche Auskünfte eine wichtige Grundlage für die Beurteilung der Frage, welche Arbeitsleistungen den Versicherten noch zugemutet werden können (BGE 132 V 99 E. 4, 125 V 261 E. 4).
3.2 Das Administrativverfahren vor der IV-Stelle wie auch der kantonale Sozialversicherungsprozess sind vom Untersuchungsgrundsatz beherrscht (Art. 43 Abs. 1, Art. 61 lit. c ATSG). Danach haben die IV-Stelle und das Sozialversicherungsgericht den rechtserheblichen Sachverhalt von Amtes wegen festzustellen. Diese Untersuchungspflicht dauert so lange, bis über die für die Beurteilung des streitigen Anspruchs erforderlichen Tatsachen hinreichende Klarheit besteht. Der Untersuchungsgrundsatz weist enge Bezüge zum – auf Verwaltungs- und Gerichtsstufe ebenfalls in gleicher Weise geltenden – Prinzip der freien Beweiswürdigung (Art. 61 lit. c in fine ATSG) auf (einschliesslich die antizipierte Beweiswürdigung): Führt die pflichtgemässe, umfassende und sachbezogene Beweiswürdigung den Versicherungsträger das Gericht zur Überzeugung, der Sachverhalt sei hinreichend abgeklärt, darf von weiteren Untersuchungen (Beweismassnahmen) abgesehen werden. Ergibt die Beweiswürdigung jedoch, dass erhebliche Zweifel an Vollständigkeit und/oder Richtigkeit der bisher getroffenen Tatsachenfeststellungen bestehen, ist weiter zu ermitteln, soweit von zusätzlichen Abklärungsmassnahmen noch neue wesentliche Erkenntnisse zu erwarten sind (Urteil des Bundesgerichts vom 9. April 2008, 8C_308/2007, E. 2.2.1 m. w. H.).
3.3 Der im Sozialversicherungsrecht massgebende Beweisgrad ist derjenige der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 117 V 194 E. 3b). Das Bundesrecht schreibt nicht vor, wie die einzelnen Beweismittel zu würdigen sind. Für das gesamte Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsbeschwerdeverfahren gilt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (BGE 125 V 352 E. 3a). Das Sozialversicherungsgericht hat alle Beweismittel, unabhängig davon, von wem sie stammen, objektiv zu prüfen und danach zu entscheiden, ob die verfügbaren Unterlagen eine zuverlässige Beurteilung des streitigen Rechtsanspruches gestatten. Insbesondere darf es bei einander widersprechenden medizinischen Berichten den Prozess nicht erledigen, ohne das gesamte Beweismaterial zu würdigen und die Gründe anzugeben, warum es auf die eine und nicht auf die andere medizinische These abstellt. Hinsichtlich des Beweiswertes eines Arztberichtes ist entscheidend, ob der Bericht für die streitigen Belange umfassend ist, auf allseitigen Untersuchungen beruht, auch die geklagten Beschwerden berücksichtigt, in Kenntnis der Vorakten (Anamnese) abgegeben worden ist, in der Beurteilung der medizinischen Situation einleuchtet und in seinen Schlussfolgerungen begründet ist (BGE 122 V 160). Ausschlaggebend für den Beweiswert ist somit grundsätzlich weder die Herkunft eines Beweismittels, noch die Bezeichnung der eingereichten in Auftrag gegebenen Stellungnahme als Bericht Gutachten. Die Rechtsprechung erachtet es jedoch als mit dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung vereinbar, in Bezug auf bestimmte Formen medizinischer Berichte und Gutachten Richtlinien für die Beweiswürdigung aufzustellen (BGE 125 V 352 ff. E. 3b). So ist einem im Rahmen des Verwaltungsverfahrens eingeholten medizinischen Gutachten, welches auf Grund eingehender Beobachtungen und Untersuchungen sowie nach Einsicht in die Akten erstellt wurde und bei der Erörterung der Befunde zu schlüssigen Ergebnissen gelangt, in der Beweiswürdigung volle Beweiskraft zuzuerkennen, solange nicht konkrete Indizien gegen die Zuverlässigkeit der Expertise sprechen (BGE 104 V 212). Andererseits ist der Erfahrungstatsache Rechnung zu tragen, dass behandelnde Ärzte im Hinblick auf ihre auftragsrechtliche Vertrauensstellung in Zweifelsfällen mitunter eher zu Gunsten ihrer Patienten aussagen (BGE 125 V 353).
4. Die Beschwerdegegnerin stützt sich in ihrer Verfügung vom 6. März 2023 im Wesentlichen auf den RAD-Bericht vom 13. August 2021 (IV-Nr. 74). Die Einschätzungen des RAD-Arztes, Dr. med. C.___ (Praktischer Arzt), sind in medizinischer Hinsicht unbestritten und stimmen mit den übrigen medizinischen Akten überein, weshalb darauf abgestellt werden kann. Im RAD-Bericht wurden gestützt auf die medizinischen Vorakten folgende Diagnosen gestellt:
Diagnosen mit Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit: 1. Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode mit somatischem Syndrom, teils remittiert. 2. Persönlichkeitsakzentuierung mit narzisstischen Anteilen 3. Konflikt am Arbeitsplatz 4. Chronische unspezifische tieflumbale Rückenschmerzen mit/bei - Zustand nach mikrochirurgischer selektiver Dekompression L4/5 rechts und Sequestrektomie am 12. Juni 2020 bei - Sequestrierter Diskushernie L4/5 rechts nach kranial mit konsekutiver hochgradiger Spinalkanalstenose hochgradiger Fussheberparese rechts M 0-1, Grosszehenheber- und Zehenheberparese rechts M 3-4 sowie Fusssenkerparese rechts M 4-5
Diagnosen ohne Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit: - Tendovaginitis stenosans («Schnappfinger») rechter Daumen (dominant) mit/bei - Status nach Depot-Steroidinfiltration A1-Ringband am 1. März 2021 - Status nach Ringbandspaltung bei Tendovaginitis stenosans («Schnappfinger») des A1-Ringband des rechten Kleinfingers, 15. Mai 2020 - Status nach Karpaltunnelsyndrom-OP rechts am 15. Mai 2020 - Beginnende Rhizarthrose links (Daumensattelgelenksarthrose) - Asthma bronchiale - Arterielle Hypertonie - Adipositas (BMI 30.3 kg/m2 am 2. September 2020)
Weiter führte Dr. med. C.___ aus, als funktionelle Einschränkung bestehe eine verminderte Belastbarkeit der Lendenwirbelsäule sowie möglicherweise eine verminderte Feinmotorik der Finger wegen rezidivierender «Schnappfinger». Zumutbar seien körperlich leichte bis ausnahmsweise mittelschwere wechselbelastende Tätigkeiten ganztags über 8.5 Stunden ohne zusätzliche Leistungsminderung. Zu vermeiden seien Zwangshaltungen des Oberkörpers (beispielsweise längeres Verharren in vornüber geneigter Haltung, ob stehend sitzend), Arbeiten mit repetitiven Rotationsbewegungen des Oberkörpers, Rotation des Oberkörpers im Sitzen/Stehen unter Gewichtsbelastung, das Heben von Lasten körperfern, repetitives Heben von Lasten über Brusthöhe, Überkopfarbeiten, das Besteigen von Leitern, repetitives Kauern, Bücken Tätigkeiten in nach vorne geneigter Haltung sowie repetitive, stereotype Bewegungsabläufe im Bereich der LWS sowie Tätigkeiten, die ausgeprägte feinmotorische Fertigkeiten der Finger erfordern. In Ausnahmefällen und in nicht repetitiver Weise könnten Gewichte von 10 bis 15 kg gehoben und getragen werden. Zu vermeiden seien Tätigkeiten bei Nässe, Kälte Zugluft sowie Exposition gegenüber Staub und atemwegreizender Stoffe (Rauch, Aerosole, Dämpfe und Gase). Zum Verlauf der Arbeitsfähigkeit äusserte sich Dr. med. C.___ wie folgt: Seit 19. März 2020 bestehe eine – voraussichtlich dauerhafte – Arbeitsunfähigkeit von 100 % in der angestammten Tätigkeit, da das Anforderungsprofil als Offsetdrucker nicht mehr dem aktuellen Zumutbarkeitsprofil des Beschwerdeführers entspreche. In einer Verweistätigkeit habe vom 19. März 2020 bis 31. Januar 2021 ebenfalls eine vollumfängliche Arbeitsunfähigkeit bestanden. Vom 1. Februar 2021 bis 28. Februar 2021 sei der Beschwerdeführer zu 40 % arbeitsfähig gewesen. Seit 1. März 2021 bestehe bei Einhaltung des Zumutbarkeitsprofils eine Arbeitsfähigkeit von 100 % (IV-Nr. 74 S. 4 f.).
5. Der Beschwerdeführer stellt sich auf den Standpunkt, aufgrund seines fortgeschrittenen Alters habe er seine verbleibende Arbeitsfähigkeit nicht mehr verwerten können. Streitig und zu prüfen ist somit, ob die Beschwerdegegnerin zu Recht davon ausging, die Anstellungschancen des Beschwerdeführers seien intakt gewesen und es sei von einer Verwertbarkeit der Restarbeitsfähigkeit auszugehen.
5.1 Vorweg ist auf die Rüge des Beschwerdeführers einzugehen, wonach die Beschwerdegegnerin ihre Begründungspflicht und mithin das rechtliche Gehör des Beschwerdeführers verletzt habe (A.S. 22). Diesbezüglich ist festzuhalten, dass die aus dem Gehörsanspruch (Art. 29 Abs. 2 BV, Art. 42 Satz 1 ATSG) abgeleitete Begründungspflicht (vgl. Art. 49 Abs. 3 ATSG) nicht erfordert, dass sich die Verwaltung mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzt und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegt. Vielmehr darf sich die Begründung auf die für den Entscheid wesentlichen Aspekte beschränken, so dass dieser sachbezogen angefochten werden kann (vgl. Urteil des Bundesgerichts 9C_550/2019 vom 19. Februar 2020 m. H.). Diesen Anforderungen genügt die Verfügung vom 6. März 2023 ohne Weiteres. So legte die Beschwerdegegnerin in ihrer achtseitigen Verfügung ausführlich dar, welche Überlegungen ihrem Entscheid zugrunde liegen. Auch nahm sie zu den Ausführungen des Beschwerdeführers hinreichend Stellung. Gestützt darauf war eine sachbezogene Anfechtung des Entscheids möglich. Nach Gesagtem ist keine Gehörsverletzung auszumachen, weshalb sich die diesbezügliche Rüge als unbegründet erweist.
5.2 5.2.1 Für die Beurteilung der Verwertbarkeit der verbleibenden Arbeitsfähigkeit ist gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung der ausgeglichene Arbeitsmarkt massgeblich. Dieser ist durch ein gewisses Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage nach Arbeitskräften gekennzeichnet und weist einen Fächer verschiedenster Tätigkeiten auf. Das gilt sowohl bezüglich der dafür verlangten beruflichen und intellektuellen Voraussetzungen wie auch hinsichtlich des körperlichen Einsatzes. Dabei ist nicht von realitätsfremden Einsatzmöglichkeiten auszugehen. An die Konkretisierung von Arbeitsgelegenheiten und Verdienstaussichten sind jedoch keine übermässigen Anforderungen zu stellen. Je restriktiver indessen das medizinische Anforderungsprofil umschrieben ist, desto eingehender ist in der Regel die Verwertbarkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt abzuklären und nachzuweisen. Von einer Arbeitsgelegenheit kann dann nicht mehr gesprochen werden, wenn die zumutbare Tätigkeit nur mehr in so eingeschränkter Form möglich ist, dass sie der ausgeglichene Arbeitsmarkt praktisch nicht kennt sie nur unter nicht realistischem Entgegenkommen eines durchschnittlichen Arbeitgebers möglich wäre und das Finden einer entsprechenden Stelle daher von vornherein als ausgeschlossen erscheint (vgl. Urteile des Bundesgerichts 8C_202/2021 vom 17. Dezember 2021 E. 5.1, 8C_95/2020 vom 14. Mai 2020 E. 5.2.2 und 9C_473/2019 vom 25. Februar 2020 E. 5.1.1, je mit Hinweisen). Fehlt es an einer wirtschaftlich verwertbaren Resterwerbsfähigkeit, liegt eine vollständige Erwerbsunfähigkeit vor, die einen Anspruch auf eine ganze Invalidenrente begründet (BGE 138 V 457 E. 3.1 mit weiteren Hinweisen).
5.2.2 Die Rechtsprechung anerkennt, dass das (vorgerückte) Alter zusammen mit weiteren persönlichen und beruflichen Gegebenheiten dazu führen kann, dass die verbliebene Resterwerbsfähigkeit auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt realistischerweise nicht mehr nachgefragt wird. Massgebend sind die Umstände des konkreten Falles, etwa die Art und Beschaffenheit des Gesundheitsschadens und dessen Folgen, der absehbare Umstellungs- und Einarbeitungsaufwand und in diesem Zusammenhang auch Persönlichkeitsstruktur, vorhandene Begabungen und Fertigkeiten, Ausbildung, beruflicher Werdegang Anwendbarkeit von Berufserfahrung aus dem angestammten Bereich. Für den Zeitpunkt, in welchem die Frage nach der Verwertbarkeit der (Rest-) Arbeitsfähigkeit bei vorgerücktem Alter beantwortet wird, ist auf das Feststehen der medizinischen Zumutbarkeit einer (Teil-) Erwerbstätigkeit abzustellen (BGE 145 V 2 E. 5.3.1, 138 V 457 E. 3; Urteil des Bundesgerichts 9C_702/2020, 9C_703/2020 vom 1. Februar 2021 E. 3.3 mit Hinweis).
5.2.3 In einer neueren Publikation wurde die aktuelle Praxis zur Verwertbarkeit der Restarbeitsfähigkeit in fortgeschrittenem Alter analysiert (Thomas Gächter/Philipp Egli/Michael Meier/Martina Filippo, Grundprobleme der Invaliditätsbemessung in der Invalidenversicherung, Rechtsgutachten zuhanden der Coop Rechtsschutz AG, Zürich/Winterthur 2021 [abrufbar unter www.wesym.ch], S. 45 N 154 f.). Demnach wird dem Kriterium «fortgeschrittenes Alter» bei Männern ab dem 61. Altersjahr eine mögliche Relevanz zuerkannt. Als allein ausschlaggebendes Kriterium gilt das Alter aber erst ab dem 64. Altersjahr. Wenn die verbleibende Erwerbsdauer nur noch einige Monate beträgt, wird die Verwertbarkeit einzig aufgrund des Alters definitiv verneint. Bei Männern über 60 Jahre geht die Rechtsprechung dann von einer Unverwertbarkeit der Restarbeitsfähigkeit aus, wenn sie nur noch zwei bis drei Jahre Aktivitätszeit vor sich haben, ihre Arbeitsfähigkeit im bisherigen Tätigkeitsbereich stark eingeschränkt ist, ein grosser Umschulungs- Einarbeitungsaufwand anfallen würde und kaum mit einer gewissen Anpassungsfähigkeit gerechnet werden darf.
5.3 Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, dass die Verwertbarkeit der verbliebenen Arbeitsfähigkeit nicht zuletzt davon abhängt, welcher Zeitraum für eine berufliche Tätigkeit und vor allem für einen allfälligen Berufswechsel noch zur Verfügung steht. Massgebend ist der Zeitpunkt, in welchem die medizinische Zumutbarkeit einer (Teil-) Erwerbstätigkeit feststeht (BGE 138 V 457 E. 3.3). Dies ist gegeben, sobald die medizinischen Unterlagen diesbezüglich eine zuverlässige Sachverhaltsfeststellung erlauben (Urteil des Bundesgerichts 8C_36/2018 vom 6. Juni 2018 E. 4.1). Wie oben erwähnt, stützte sich die Beschwerdegegnerin zur Beurteilung des medizinischen Sachverhalts auf den RAD-Bericht vom 13. August 2021 (IV-Nr. 74). Massgeblich für den Beginn des für eine berufliche Tätigkeit noch zur Verfügung stehenden Zeitraums erachtet sie indes nicht diesen Bericht, sondern den orthopädischen Sprechstundenbericht von Dr. med. E.___ vom 4. März 2021 (IV-Nr. 87 S. 46 f.), weil es sich dabei um das aktuellste medizinische Dokument handle, das dem RAD vorgelegt worden sei (A.S. 4). Dieser Sichtweise kann nicht gefolgt werden. So ging es im fraglichen Sprechstundenbericht um die Behandlung einer Tendovaginitis, die gemäss RAD-Bericht die Arbeitsfähigkeit zwar insofern beeinflusst, als sie die Feinmotorik der Finger vermindert, der Diagnoseliste im RAD-Bericht sind allerdings mehrere weitere Beschwerden zu entnehmen, die für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit ebenso relevant sind (vgl. E. II. 4 hiervor). Diese sind somatischer und psychischer Natur, wobei aus somatischer Sicht die Rückenproblematik im Vordergrund steht. Erst der RAD-Bericht vom 13. August 2021 gab – nach der Neuanmeldung im Jahr 2020 – erstmals umfassend darüber Aufschluss, inwiefern sich die verschiedenen Beschwerden qualitativ auf die Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers auswirken. Gestützt auf die Aktenlage verfasste Dr. med. C.___ ein präzises Zumutbarkeitsprofil, auf das die Beschwerdegegnerin in der Folge abstellte. Erst diese Aktenbeurteilung verschaffte genügend Klarheit über die Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers und bildete mithin die medizinische Grundlage für den Rentenentscheid. Das Datum dieses Berichts stellt deshalb zugleich den Zeitpunkt dar, in welchem die medizinischen Unterlagen eine zuverlässige Sachverhaltsfeststellung erlaubten.
5.4 Der Bericht des RAD datiert vom 13. August 2021. An diesem Tag war der am 7. Februar 1958 geborene Beschwerdeführer 63,5 Jahre alt. Ihm verblieben zu diesem Zeitpunkt noch eineinhalb – und nicht, wie von der Beschwerdegegnerin angenommen, knapp zwei – Jahre bis zur ordentlichen Pensionierung. Zwar ist die Aktivitätsdauer von eineinhalb Jahren gemäss oben dargelegter Rechtsprechung bei der Verwertbarkeit der verbleibenden Arbeitsfähigkeit kein allein ausschlaggebendes Kriterium, trotzdem wird dem Alter in dieser Konstellation praxisgemäss eine gewisse Relevanz zuerkannt (vgl. E. II. 5.2 hiervor). So kam das Bundesgericht zum Schluss, dass bei dieser Aktivitätsdauer und minimaler (Aus-)Bildung von einer geringen Anpassungsfähigkeit an eine neue Tätigkeit auszugehen sei. Es verneinte deshalb die Verwertbarkeit der Restarbeitsfähigkeit bei einer am Fliessband tätig gewesenen Montagearbeiterin, obwohl gemäss Gutachten eine leidensangepasste Tätigkeit vollumfänglich zumutbar gewesen wäre (Urteil des Bundesgerichts 9C_416/2016 vom 14. Oktober 2016). Der vorliegend zu beurteilende Fall ist, wie in der Beschwerde zu Recht vorgebracht wird (A.S. 10 f.), mit dem im Urteil des Bundesgerichts geschilderten Sachverhalt durchaus vergleichbar. So war auch der Beschwerdeführer in der angestammten Tätigkeit dauerhaft arbeitsunfähig, in einer angepassten Tätigkeit indes vollumfänglich arbeitsfähig. Das Zumutbarkeitsprofil des Beschwerdeführers war in verschiedener Weise eingeschränkt, indem es neben bestimmten Bewegungsabläufen und gewissen repetitiven Tätigkeiten sowohl schwere und mittelschwere körperliche Arbeiten als auch feinmotorische Tätigkeiten ausschloss und von gewissen Expositionen am Arbeitsplatz (u. a. gegenüber Staub, Rauch, Dämpfen, Kälte und Nässe) ausdrücklich abriet (vgl. IV-Nr. 74 S. 4). Dadurch war die Verwertbarkeit der Arbeitsfähigkeit deutlich geschmälert. Sodann fällt ins Gewicht, dass der Beschwerdeführer fast das ganze Berufsleben lang als Drucker tätig gewesen war (vgl. IV-Nr. 3 S. 1 f.) und somit für die Verwertbarkeit der Restarbeitsfähigkeit kaum auf andere Berufserfahrungen hätte zurückgreifen können. Dennoch ging die Beschwerdegegnerin von einer gewissen beruflichen Anpassungsfähigkeit des Beschwerdeführers aus, da er zwischen 2007 und 2011 als Einrichter an Stanzautomaten tätig gewesen war (A.S. 5). Dabei liess sie unerwähnt, dass sich der Beschwerdeführer eigenen Angaben zufolge mehrfach über die dortigen Arbeitsbedingungen beklagt hatte (siehe Intake-Protokoll, IV-Nr. 4) und ihm – angeblich wegen grober Fehler, die eine Werkzeugschädigung mit Produktionsverzögerung zur Folge gehabt hatten – am 2. März 2011 gekündigt wurde (IV-Nr. 3 S. 4), woraufhin er wegen Depression vorübergehend arbeitsunfähig war. Im Rahmen von beruflichen Massnahmen der IV-Stelle konnte der Beschwerdeführer damals zwar das Pensum wieder auf 100 % steigern, er sei aber mit dem Versuch, sich eine neue berufliche Perspektive aufzubauen (IV-Nr. 18), überfordert gewesen (vgl. IV-Nr. 29, 34, 51). Gestützt auf die entsprechenden Akten aus dem ersten IV-Verfahren ist deshalb davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer gerade nicht über die nötige Anpassungsfähigkeit verfügte. Eine Verwertbarkeit der Restarbeitsfähigkeit erscheint im vorliegenden Fall daher unrealistisch. Zu diesem Schluss kam im Übrigen auch der zuständige Eingliederungsfachmann der IV-Stelle, der in seiner Stellungnahme vom 23. September 2021 berufliche Massnahmen als wenig sinnvoll erachtete (IV-Nr. 75).
6. 6.1 Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass die Restarbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers im relevanten Zeitpunkt nicht mehr verwertbar war. Der Beschwerdeführer wurde im März 2020 arbeitsunfähig (vgl. E. II. 4 hiervor). Das Wartejahr nach Art. 28 Abs. 1 lit. b IVG endete somit im März 2021. Da sich der Beschwerdeführer im Oktober 2020 zum Leistungsbezug angemeldet hatte, entstand der Rentenanspruch gleichzeitig mit Beendigung des Wartejahres, mithin also ab 1. April 2021 (vgl. Art. 29 Abs. 1 IVG i. V. m. Art. 29 Abs. 1 ATSG). In Gutheissung der Beschwerde ist dem Beschwerdeführer daher ab diesem Zeitpunkt eine ganze Invalidenrente zuzusprechen.
7. 7.1 Bei diesem Verfahrensausgang hat der Beschwerdeführer Anspruch auf eine Parteientschädigung, die von der Beschwerdegegnerin zu bezahlen ist. Diese Entschädigung bemisst sich ohne Rücksicht auf den Streitwert nach dem zu beurteilenden Sachverhalt sowie der Schwierigkeit des Prozesses (Art. 61 lit. g ATSG). Laut Beschluss der Gerichtsverwaltungskommission des Kantons Solothurn vom 19. Dezember 2022 gelten seit 1. Januar 2023 für anwaltliche Vertretungen Stundenansätze von CHF 250.00 bis 350.00, davor haben solche von CHF 230.00 bis 330.00 gegolten (§ 161 i.V.m. § 160 Abs. 2 des Gebührentarifs, BGS 615.11). Gemäss Praxis des Versicherungsgerichts werden fachlich besonders qualifizierte Personen ohne Anwaltspatent – als solche gelten unter anderem lic. iur. bzw. MLaw – mit dem hälftigen Stundenansatz einer anwaltlichen Vertretung entschädigt. Im vorliegenden Fall wurde der Beschwerdeführer durch MLaw D.___ vertreten, weshalb die diesbezüglichen Aufwände im genannten Rahmen zu entschädigen sind. Der Vertreter des Beschwerdeführers macht mit Kostennote vom 26. Juni 2023 (A.S. 36) einen zeitlichen Aufwand von insgesamt 14 Stunden geltend. Davon ist ein Aufwand von 8 Stunden im Verwaltungsverfahren, mithin vorprozessual entstanden. Die Kostennote ist um diesen Aufwand zu kürzen. Ebenfalls zu kürzen ist dementsprechend die Spesenpauschale von CHF 50.00 auf CHF 21.45 (= 50:14 x 6). Demnach resultiert eine Parteientschädigung von CHF 771.45 (6 Stunden zu CHF 125.00 zuzüglich Spesenpauschale). Diesen Betrag hat die Beschwerdegegnerin dem Beschwerdeführer als Parteientschädigung zu bezahlen.
7.2 Aufgrund von Art. 69 Abs. 1bis IVG ist das Beschwerdeverfahren bei Streitigkeiten um die Bewilligung die Verweigerung von IV-Leistungen vor dem kantonalen Versicherungsgericht kostenpflichtig. Die Kosten werden nach dem Verfahrensaufwand und unabhängig vom Streitwert im Rahmen von CHF 200.00 bis CHF 1´000.00 festgelegt. Nach dem Ausgang des vorliegenden Verfahrens hat die Beschwerdegegnerin die Verfahrenskosten von CHF 600.00 zu bezahlen. Dem Beschwerdeführer ist der geleistete Kostenvorschuss von CHF 600.00 zurückzuerstatten. Demnach wird erkannt: 1. In Gutheissung der Beschwerde wird die Verfügung der Beschwerdegegnerin vom 6. März 2023 aufgehoben und dem Beschwerdeführer ab 1. April 2021 eine ganze Invalidenrente zugesprochen. 2. Die Beschwerdegegnerin hat dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung in der Höhe von CHF 771.45 zu bezahlen. 3. Die Beschwerdegegnerin hat die Verfahrenskosten von CHF 600.00 zu bezahlen. Der geleistete Kostenvorschuss von CHF 600.00 wird dem Beschwerdeführer zurückerstattet. Rechtsmittel Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit der Mitteilung beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten eingereicht werden (Adresse: Bundesgericht, Schweizerhofquai 6, 6004 Luzern). Die Frist beginnt am Tag nach dem Empfang des Urteils zu laufen und wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar (vgl. Art. 39 ff., 82 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes, BGG). Bei Vor- und Zwischenentscheiden (dazu gehört auch die Rückweisung zu weiteren Abklärungen) sind die zusätzlichen Voraussetzungen nach Art. 92 93 BGG zu beachten. Versicherungsgericht des Kantons Solothurn Die Präsidentin Die Gerichtsschreiberin Weber-Probst Studer |
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
Hier geht es zurück zur Suchmaschine.