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Urteil Verwaltungsgericht (SO - VSBES.2023.63)

Zusammenfassung des Urteils VSBES.2023.63: Verwaltungsgericht

Das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn hat entschieden, dass die Beschwerdeführerin A.___ für 33 Tage in der Anspruchsberechtigung auf Arbeitslosenentschädigung eingestellt wird, nachdem sie eine zumutbare Arbeit abgelehnt hat. Das Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Solothurn hatte sie zuvor für dieses Verhalten gerügt. Die Beschwerdegegnerin, das Amt für Wirtschaft und Arbeit, hatte die Einsprache der Beschwerdeführerin abgewiesen. Der Richter, Vizepräsident Flückiger, hat das Urteil am 10. August 2023 gefällt. Die Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts VSBES.2023.63

Kanton:SO
Fallnummer:VSBES.2023.63
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Versicherungsgericht
Verwaltungsgericht Entscheid VSBES.2023.63 vom 10.08.2023 (SO)
Datum:10.08.2023
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:-
Schlagwörter: Arbeit; Person; Bewerbung; Bundesgericht; Tochter; Urteil; Bundesgerichts; Verschulden; Einstellung; Anspruchsberechtigung; Versicherungsgericht; Verhalten; Einsprache; Einstelldauer; Arbeitslosenversicherung; Arbeitgeber; Firma; Kinder; Schaden; Solothurn; Kantons; Traber; Ferien; Fragen
Rechtsnorm: Art. 16 AVIG;Art. 30 AVIG;
Referenz BGE:-
Kommentar:
-

Entscheid des Verwaltungsgerichts VSBES.2023.63

 
Geschäftsnummer: VSBES.2023.63
Instanz: Versicherungsgericht
Entscheiddatum: 10.08.2023 
FindInfo-Nummer: O_VS.2023.129
Titel: Einstellung in der Anspruchsberechtigung

Resümee:

 

 

 

Urteil vom 10. August 2023

Es wirken mit:

Vizepräsident Flückiger

Gerichtsschreiber Haldemann

In Sachen

A.___

Beschwerdeführerin

gegen

 

Amt für Wirtschaft und Arbeit, Kantonale Amtsstelle, Juristische Dienstleistungen, Rathausgasse 16, 4509 Solothurn,

Beschwerdegegnerin

 

betreffend       Einstellung in der Anspruchsberechtigung (Einspracheentscheid vom 13. Februar 2023)

 


zieht der Vizepräsident des Versicherungsgerichts in Erwägung:

I.

 

1.       Das Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Solothurn (fortan: Beschwerdegegnerin) stellte die Versicherte A.___ (fortan: Beschwerdeführerin) mit Verfügung vom 7. Dezember 2022 ab 15. Oktober 2022 für 38 Tage in der Anspruchsberechtigung auf Arbeitslosenentschädigung ein. Zur Begründung gab die Beschwerdegegnerin an, die Beschwerdeführerin habe durch ihr Verhalten eine zumutbare Stelle bei der B.___ GmbH abgelehnt resp. vereitelt (Akten der Beschwerdegegnerin / AWA S. 94 ff.). Die dagegen gerichtete Einsprache (AWA S. 68) wurde mit Entscheid vom 13. Februar 2023 abgewiesen (Aktenseite / A.S. 1 ff.).

 

2.

2.1     Die Beschwerdeführerin gelangt mit einem undatierten Schreiben (Postaufgabe: 8. März 2023) an die Beschwerdegegnerin, worin sie sinngemäss begehrt, es sei von einer Einstellung abzusehen resp. die Einstelldauer zu reduzieren (A.S. 4). Diese Eingabe wird zuständigkeitshalber an das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn (fortan: Versicherungsgericht) weitergeleitet und dort als Beschwerde entgegengenommen (A.S. 5).

 

2.2     Die Beschwerdegegnerin beantragt mit Beschwerdeantwort vom 20. März 2023, die Beschwerde sei abzuweisen und es seien keine Gerichtskosten aufzuerlegen (A.S. 7 ff.).

 

2.3     Die Beschwerdeführerin verzichtet mit einer weiteren undatierten Eingabe (Postaufgabe: 28. März 2023) auf eine ausführliche Replik und hält an ihrer Beschwerde fest (A.S. 16).

 

II.

 

1.

1.1     Da die Sachurteilsvoraussetzungen (zulässiges Anfechtungsobjekt, Einhaltung von Frist und Form, örtliche, sachliche und funktionelle Zuständigkeit des angerufenen Gerichts, Legitimation) erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten.

 

1.2     Sozialversicherungsrechtliche Streitigkeiten fallen bis zu einem Streitwert von CHF 30‘000.00 in die Präsidialkompetenz (§ 54bis Abs. 1 lit. a Kantonales Gesetz über die Gerichtsorganisation [GO, BGS 125.12]). Der versicherte Verdienst der Beschwerdeführerin ist aus den Akten nicht ersichtlich. Bei 38 streitigen Anspruchstagen müsste das Taggeld, um die Grenze von CHF 30‘000.00 zu erreichen, CHF 789.47 betragen. Dies liegt indes über dem Höchstbetrag des versicherten Verdienstes von CHF 406.00 pro Tag (s. dazu Art. 23 Abs. 1 Bundesgesetz über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung [AVIG, SR 837.0] i.V.m. Art. 22 Abs. 1 Verordnung über die Unfallversicherung [UVV, SR 832.202]). Der Vizepräsident des Versicherungsgerichts ist deshalb (als Stellvertreter der Präsidentin) zur Beurteilung der Angelegenheit als Einzelrichter zuständig.

 

2.

2.1     Die versicherte Person muss zur Schadensminderung grundsätzlich jede zumutbare Arbeit unverzüglich annehmen (Art. 16 Abs. 1 und 2 AVIG). Sobald sie sich zur Arbeitsvermittlung angemeldet hat, ist sie verpflichtet, die Kontrollvorschriften zu befolgen (Art. 17 Abs. 2 AVIG) und eine ihr vermittelte zumutbare Arbeit anzunehmen (Art. 17 Abs. 3 Satz 1 AVIG).

 

2.2     Die versicherte Person ist in der Anspruchsberechtigung auf Arbeitslosenentschädigung einzustellen, wenn sie die Kontrollvorschriften Weisungen der zuständigen Amtsstelle nicht befolgt, namentlich eine zumutbare Arbeit nicht annimmt (Art. 30 Abs. 1 lit. d AVIG). Damit werden auch Weisungen erfasst, welche die versicherte Person auffordern, sich für eine bestimmte Arbeit zu bewerben (s. Boris Rubin: Commentaire de la loi sur l’assurance-chômage, Genf 2014, Art. 30 N 58 + 61). Art. 30 Abs. 1 lit. d AVIG stellt einen Auffangtatbestand dar, der sämtliche vorwerfbaren Verletzungen der Kontrollvorschriften und Weisungen der zuständigen Amtsstelle erfasst, welche nicht durch einen eigenen Einstellungstatbestand geregelt werden (Dejan Simic, Die Einstellung in der Anspruchsberechtigung nach Art. 30 AVIG, Zürich 2023, S. 53 Ziff. 3; Urteil des Bundesgerichts 8C_339/2016 vom 29. Juni 2016 E. 4.2 mit Hinweisen). Sanktioniert wird mit anderen Worten grundsätzlich jedes Verhalten, welches das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses scheitern lässt (Urteil des Bundesgerichts 8C_24/2021 vom 10. Juni 2021 E. 3.1). Dazu gehört auch ein Verhalten, welches bewirkt, dass es gar nicht erst zu Vertragsverhandlungen mit dem potentiellen Arbeitgeber kommt (s. Urteil des Bundesgerichts 8C_468/2020 vom 27. Oktober 2020 E. 5.2), z.B. weil die versicherte Person auf eine Bewerbung verzichtet (Melissa Traber, Die schuldhafte Ablehnung einer zumutbaren Arbeit in der Arbeitslosenversicherung, in: SZS 2022 S. 158 Ziff. 3).

 

3.

3.1

3.1.1  Das Regionale Arbeitsvermittlungszentrum (fortan: RAV) forderte die Beschwerdeführerin am 12. Oktober 2022 auf, sich bis 14. Oktober 2022 bei der B.___ GmbH elektronisch für eine offene Stelle als Sachbearbeiterin Einkauf / Verkaufsinnendienst zu bewerben (AWA S. 133 f.). Es handelte sich dabei um eine Vollzeitstelle, welche sofort hätte angetreten werden können. Die Beschwerdeführerin bewarb sich daraufhin am 14. Oktober 2022 per E-Mail bei dieser Firma (AWA S. 131 f.), welche gleichentags wie folgt antwortete (AWA S. 131):

Herzlichen Dank für Ihre Bewerbung und dem Interesse an der inserierten Stelle. Diese Vakanz ist im 100%-Pensum zu besetzen. Wäre das für Sie möglich? Als Anhang sende ich Ihnen gerne die Stellenbeschreibung zu der entsprechenden Stelle. Gerne dürfen Sie mir mitteilen, ob dies für Sie spannend ist.

 

Am 17. Oktober 2022 teilte die B.___ GmbH dem RAV mit, die Beschwerdeführerin habe sich nach dieser Rückfrage nicht mehr gemeldet. Die Stelle sei noch offen (AWA S. 129).

 

3.1.2  Auf die Nachfrage des RAV vom 27. Oktober 2022 hin (AWA S. 123) erklärte die Beschwerdeführerin, sie habe vom 3. bis 16. Oktober 2022 Ferien gehabt, aber trotzdem wie verlangt ihre Bewerbung abgeschickt. Die Rückantwort sei nur per Mail erfolgt, das Unternehmen habe sie nie angerufen. Sie habe auf die E-Mail später antworten wollen. Zu diesem Zeitpunkt sei ihre Tochter jedoch sehr krank gewesen, so dass man den Notfall habe aufsuchen müssen. Der Tochter sei es danach ziemlich lange nicht gut gegangen und sie habe sie pflegen müssen. Dann sei auch ihre erste Tochter erkrankt (AWA S. 124). Die Beschwerdeführerin legte folgende Schreiben bei:

·      Bestätigung des Kantonsspitals [...] vom 28. Oktober 2022 (AWA S. 125): Die Beschwerdeführerin stellte ihre Tochter C.___ am 10. Oktober 2022 im Kindernotfall vor.

·      Arztzeugnis von Dr. med. [...] vom 3. November 2022 (AWA S. 126): Die Beschwerdeführerin suchte die Praxis am 24. Oktober 2022 wegen einer Erkrankung ihrer Tochter D.___ auf.

 

3.1.3  Die B.___ GmbH gab am 22. November 2022 an, es handle sich um eine unbefristete Festanstellung. Die Stelle sei noch nicht besetzt worden. Die Beschwerdeführerin habe sich auch nach dem 17. Oktober 2022 nicht mehr gemeldet. Man habe sie gefragt, ob sie vollzeitlich verfügbar sei, weil sie zwei Kinder habe (AWA S. 113 f.).

 

3.1.4  Interne Abklärungen der Beschwerdegegnerin ergaben, dass die Beschwerdeführerin vom 3. bis 14. Oktober 2022 Ferien bezogen hatte (AWA S. 107 ff.).

 

3.1.5  In ihrer Einsprache vom 13. Dezember 2022 (AWA S. 68) gab die Beschwerdeführerin zusammengefasst an, sie habe sich während ihrer Ferienzeit beworben und die Stelle nicht abgelehnt. Die B.___ GmbH habe ihr mit einer Datei im Anhang geantwortet. Da sie wegen ihrer sehr kranken Tochter gestresst gewesen sei, habe sie später antworten wollen. Dies sei dann aber bei ihr untergegangen; erst als sie zur Stellungnahme aufgefordert worden sei, sei es ihr wieder in den Sinn gekommen. Ihre RAV-Beraterin habe daraufhin gesagt, dass sie während der Ferien keine Bewerbungen machen müsste. Bei der fraglichen Stelle sei es mehrheitlich um Einkauf gegangen, worin sie über keine richtige Erfahrung verfüge. Zudem komme sie nicht aus der Chemiebranche. Sie habe die Firma angerufen und gefragt, ob die Stelle noch frei sei, doch sei diese gerade vergeben worden. Im Formular «Angaben der versicherten Personen für den Monat Oktober 2022» habe sie nichts angegeben, weil sich der Notfall in ihren Ferien ereignet habe und die drei Tage damit vorbei gewesen seien. Sie habe diesen Monat abgestillt und sei nicht mehr gebunden. Es handle sich um ein erstmaliges Fehlverhalten, bis jetzt habe sie immer alles richtig gemacht.

 

3.1.6  Am 16. Januar 2023 ergänzte die Beschwerdeführerin unter Beilage eines Screenshots, dass sie am 13. Dezember 2022 mit der B.___ GmbH telefoniert habe (AWA S. 51 + 53). Weiter erklärte sie am 24. Januar 2023 (AWA S. 41 ff.), ihre Tochter C.___ sei vom 7. bis 19. Oktober 2022 und D.___ vom 19. bis 27. Oktober 2022 krank gewesen. Sie habe sich um C.___ gekümmert, welche sie habe stillen müssen, und ihre Schwiegermutter um D.___. Die Schwiegermutter hätte nach den beiden Kindern geschaut, wenn sie, die Beschwerdeführerin, nach dem 14. Oktober 2022 eine Arbeit hätte antreten können. Nach der Aufforderung zur Stellungnahme habe sie gedacht, dass die Stelle bereits vergeben sei, erst mit dem zweiten Brief habe sie erfahren, dass diese noch frei sei. Als sie noch gestillt habe, habe sie grosse Schwierigkeiten gehabt, weil fast jeder Arbeitgeber, auch die Temporärbüros, dagegen gewesen sei.

 

3.1.7  Im Beschwerdeverfahren bekräftigt die Beschwerdeführerin im Wesentlichen ihre früheren Angaben. Sie gibt namentlich an, die E-Mail der B.___ GmbH gesehen zu haben. Es sei ihre Absicht gewesen, den Anhang dazu später anzuschauen und dann zu antworten, doch habe sie es wegen ihrer schwer kranken Tochter vergessen; es sei nachvollziehbar, dass man ein einjähriges Kind mit Atemnot nicht nach drei Tagen einfach loslasse. Als sie gestillt habe, habe ihr kein Arbeitgeber eine Stelle angeboten, aber nach dem Abstillen habe sie plötzlich mehrere Zusagen erhalten. Es liege kein schweres Verschulden vor. Zusätzlich beanstandet die Beschwerdeführerin, dass das RAV sie bereits zur Stellungnahme aufgefordert habe, als die Stelle noch offen gewesen sei und die B.___ GmbH auf ihre Antwort gewartet habe (A.S. 4 + 16).

 

3.2    

3.2.1  Aus den Akten geht hervor, dass sich die Beschwerdeführerin am 14. Oktober 2022 bei der B.___ GmbH für eine offene Stelle bewarb und damit der Aufforderung des RAV vom 12. Oktober 2022 nachkam. Weiter ist erstellt, dass die Firma der Beschwerdeführerin noch am gleichen Tag den Stellenbeschrieb zukommen liess und um Rückmeldung bat, ob ihr diese Arbeit zusage und ob sie eine Vollzeitstelle ausfüllen könne (E. II. 3.1.1 hiervor). Die Beschwerdeführerin räumt ein, dass sie diese Mailnachricht zur Kenntnis nahm, sich jedoch nicht umgehend bei der B.___ GmbH meldete, sondern erst zwei Monate später, am 13. Dezember 2022 (E. II. 3.1.5 bis 3.1.7 hiervor).

 

3.2.2  Die versicherte Person ist im Rahmen einer hängigen Bewerbung gehalten, durchgehend Interesse an der offenen Stelle zu bekunden (vgl. Traber, a.a.O., S. 158 Ziff. 3). Richtet der Arbeitgeber nach dem Eingang einer Bewerbung Fragen an die versicherte Person, so gebietet die Schadenminderungspflicht eine zeitnahe Antwort, da sonst beim Arbeitgeber der Eindruck entsteht, dass kein Interesse an der Stelle (mehr) vorhanden ist. Indem die Beschwerdeführerin nicht sofort auf die Rückfrage der B.___ GmbH reagierte, sondern erst zwei Monate später, nahm sie in Kauf, dass die ausgeschriebene Stelle anderweitig besetzt wurde, und liess so eine potentielle Gelegenheit, zu Arbeit zu kommen, ungenutzt (s. Urteil des Bundesgerichts 8C_339/2016 vom 29. Juni 2016 E. 4.5.3). Eine Einstellung in der Anspruchsberechtigung setzt im Übrigen nicht (zwingend) den Nachweis eines Kausalzusammenhangs zwischen dem Verhalten der Beschwerdeführerin und der Verlängerung der Arbeitslosigkeit, mithin dem der Arbeitslosenversicherung entstandenen Schaden, voraus. Es genügt bereits, dass die Beschwerdeführerin mit ihrem Verhalten das Risiko eines möglichen Schadens herbeiführte, ohne dass das Ausmass des Schadenrisikos entscheidend wäre (Traber, a.a.O., S. 159 Ziff. 4 mit Hinweis; Urteil des Bundesgerichts 8C_339/2016 vom 29. Juni 2016 E. 4.5.3).

 

3.2.3  Die Beschwerdeführerin wendet ein, sie habe sich wegen ihrer kranken Kinder in einer Stresssituation befunden und daher vergessen, sofort auf die Rückfrage der B.___ GmbH vom 14. Oktober 2022 zu antworten. Damit dringt sie indes nicht durch. Die Erkrankung der Kinder und die daraus resultierende Belastung für die Beschwerdeführerin sollen keineswegs verharmlost werden. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Tochter C.___ bereits am 10. Oktober 2022 in den Notfall gebracht worden war (E. II. 3.1.2 hiervor) und ihre Erkrankung die Beschwerdeführerin nicht daran hinderte, sich am 14. Oktober 2022 bei der B.___ GmbH zu bewerben. Die Tochter D.___ wiederum erkrankte erst einige Tage später, am 19. Oktober 2022 (E. II. 3.1.6 hiervor). Vor diesem Hintergrund lässt es sich nicht mit dem Gesundheitszustand der Töchter rechtfertigen, dass die Beschwerdeführerin die Fragen der Firma nicht umgehend beantwortete und diese Obliegenheit in der Folge vergass. Letzteres hätte im Übrigen durch entsprechende Vorkehrungen, z.B. das Setzen einer elektronischen Erinnerung, leicht verhindert werden können.

 

3.2.4  Richtig ist, dass die Beschwerdeführerin vom 3. bis 14. Oktober 2022 kontrollfreie Tage bezog (E. II. 3.1.4 hiervor), weshalb sie in diesem Zeitraum nicht vermittlungsfähig sein musste (Art. 27 Abs. 1 Verordnung über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung [AVIV, SR 837.02]) und von der Pflicht entbunden war, sich persönlich um Arbeit zu bemühen (Barbara Kupfer Bucher in: Rechtsprechung des Bundesgerichts zum AVIG, 5. Aufl., Zürich 2019, S. 136). Das RAV übersah diesen Umstand, als es die Beschwerdeführerin am 12. Oktober 2022 aufforderte, sich bis 14. Oktober 2022 zu bewerben. Dies ändert jedoch nichts daran, dass die Beschwerdeführerin nach der Stellenzuweisung nicht etwa mit dem RAV Kontakt aufnahm, sondern sich wie verlangt am Freitag, den 14. Oktober 2022 bewarb. Nachdem sie diesen Schritt unternommen hatte, war sie gehalten, die Rückfrage der B.___ GmbH zu beantworten. Sie hat dies aber auch am Montag, den 17. Oktober 2022, d.h. am ersten Werktag nach den kontrollfreien Tagen, nicht getan, obwohl sie dazu, wie bereits dargelegt, in der Lage gewesen wäre (E. II. 3.2.3 hiervor).

 

3.2.5  Die Beschwerdeführerin macht nicht geltend, die zugewiesene Stelle wäre lohnmässig und vom Arbeitsweg her nicht zumutbar gewesen. Sie beruft sich lediglich darauf, dass es ihr an der Erfahrung für die fragliche Arbeit gefehlt habe. Dies ist jedoch unbehelflich. Unzumutbar ist eine Arbeit, die nicht angemessen auf die Fähigkeiten auf die bisherige Tätigkeit der versicherten Person Rücksicht nimmt (Art. 16 Abs. 1 lit. b AVIG). Damit soll u.a. verhindert werden, dass die versicherte Person auf Grund ihrer fachlichen Fertigkeiten und Kenntnisse überfordert ist. Sie muss vielmehr in der Lage sein, die Arbeitstätigkeit sachgerecht auszuüben (Traber, a.a.O., S. 157 lit. c/aa und Fn 27). Wie gross die praktischen Erfahrungen der Beschwerdeführerin im Bereich Einkauf und Verkauf Innendienst sind, kann jedoch offen bleiben. Mit ihrer kaufmännischen Ausbildung und der anschliessenden Berufstätigkeit (AWA S. 173 ff.) kam sie für die zugewiesene Stelle als Sachbearbeiterin grundsätzlich in Frage. Dies muss umso mehr gelten, als sich die B.___ GmbH an ihrer Bewerbung interessiert zeigte und zusätzliche Fragen stellte, was die Firma schwerlich getan hätte, wenn sie die Beschwerdeführerin von vornherein als ungeeignet betrachtet hätte. Es mag durchaus sein, dass die B.___ GmbH auch dann, wenn die Beschwerdeführerin ihre Fragen zeitnah beantwortet hätte, eine andere Kandidatin mit einer grösseren fachspezifischen Erfahrung ausgewählt hätte. Die Erfolgsaussichten einer Bewerbung sind jedoch nicht entscheidend (Traber, a.a.O., S. 159 Ziff. 4 in fine). Es genügt, dass die Bewerbung nicht schlechthin aussichtslos ist, sondern, wie es hier zutrifft, eine Chance auf eine Anstellung besteht, und sei es auch nur eine geringe (vgl. Urteil des Bundesgerichts 8C_339/2016 vom 29. Juni 2016 E. 4.5.3). Die gleiche Überlegung gilt hinsichtlich des Umstands, dass die Beschwerdeführerin damals noch stillte. Auch dies mag die Erfolgsaussichten einer Bewerbung beeinträchtigt haben, aber es war nicht von Anfang an ausgeschlossen, einen Arbeitgeber zu finden, der Verständnis für diese – zeitlich begrenzte – Situation aufbringt. Ob es sich bei der B.___ GmbH so verhalten würde nicht, konnte die Beschwerdeführerin erst dann sicher wissen, wenn die Bewerbung erfolglos blieb. Das Stillen hätte gerade in der Antwort auf die Fragen der Firma thematisiert werden können.

 

3.2.6  Da die Beschwerdeführerin durch ein vorwerfbares und vermeidbares Verhalten das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses verhinderte, obwohl die fragliche Stelle zumutbar gewesen wäre, ist der Tatbestand von Art. 30 Abs. 1 lit. d AVIG erfüllt. Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin folglich zu Recht in der Anspruchsberechtigung auf Arbeitslosenentschädigung eingestellt.

 

3.3

3.3.1  Die Dauer der Einstellung bemisst sich nach dem Grad des Verschuldens (Art. 30 Abs. 3 Satz 3 AVIG), wobei folgende Abstufung gilt (Art. 45 Abs. 3 AVIV):

-      leichtes Verschulden: 1 – 15 Tage

-      mittelschweres Verschulden: 16 – 30 Tage

-      schweres Verschulden: 31 – 60 Tage

 

Ein schweres Verschulden liegt vor, wenn die versicherte Person ohne entschuldbaren Grund eine zumutbare Arbeit ablehnt (Art. 45 Abs. 4 lit. b AVIV). Entschuldbare Gründe sind Umstände, die das Verschulden als mittelschwer leicht erscheinen lassen. Diese im konkreten Einzelfall liegenden Gründe können die subjektive Situation der betroffenen Person (z.B. gesundheitliche Probleme) eine objektive Gegebenheit (z.B. die Befristung einer Stelle) beschlagen (BGE 130 V 125 E. 3.5 S. 131). Die Verwaltungsweisung des SECO sieht bei der erstmaligen Ablehnung einer unbefristeten Stelle resp. eines Zwischenverdienstes eine Einstelldauer von 31 bis 45 Tagen vor (s. AVIG-Praxis ALE D79 Ziff. 2.B/1, in der ab 1. Januar 2017 geltenden Fassung). Die Festlegung der Einstellungsdauer stellt eine typische Ermessensfrage dar (Urteil des Bundesgerichts 8C_40/2019 vom 30. Juli 2019 E. 5.6). Bei der Überprüfung darf das Sozialversicherungsgericht sein Ermessen nicht ohne triftigen Grund an die Stelle desjenigen der Verwaltung setzen; es muss sich vielmehr auf Gegebenheiten stützen können, welche seine abweichende Ermessensausübung als naheliegender erscheinen lassen (s. Rubin, a.a.O., Art. 30 N 110).

 

3.3.2  Die Beschwerdegegnerin ordnete das Verhalten der Beschwerdeführerin zutreffend im Bereich des schweren Verschuldens ein, wobei sie 38 Einstelltage als Grundlage nahm, d.h. den Mittelwert des Rahmens, den die SECO-Weisung für die vorliegende Konstellation vorgibt (s. E. II. 3.3.1 hiervor). In ihrer Beschwerdeantwort hält die Beschwerdegegnerin fest, die Einsprache der Beschwerdeführerin sei teilweise gutgeheissen und die Einstelldauer auf 33 Tage reduziert worden (A.S. 8 f. / A.S. 11 Ziff. 12). Dies trifft nicht zu, denn die Einsprache wurde am 13. Februar 2023 abgewiesen (A.S. 3). Die Auffassung der Beschwerdegegnerin, eine Einstelldauer von 38 Tagen sei zu hoch, verdient jedoch Zustimmung. Einerseits befand sich die Beschwerdeführerin damals mit ihren kranken Kindern in einer nicht einfachen Situation (E. II. 3.1.5 – 3.1.7 hiervor), was zwar ihr Versäumnis nicht zu rechtfertigen vermag, aber doch in einem etwas milderen Licht erscheinen lässt. Andererseits meldete sich die Beschwerdeführerin nach zwei Monaten dann doch noch bei der B.___ GmbH. Dies stellt offenkundig keine zeitnahe Reaktion mehr dar, macht aber immerhin deutlich, dass der Beschwerdeführerin die Schadenminderungspflicht nicht völlig gleichgültig war. Vor diesem Hintergrund erscheint, in Einklang mit der Beschwerdegegnerin, eine moderate Reduktion der Einstelldauer um fünf Tage auf 33 Tage als angezeigt, aber auch ausreichend. Weitere Umstände, welche für eine zusätzliche Reduktion in den Bereich des mittelschweren gar leichten Verschuldens sprechen würden, sind nicht ersichtlich. Der Einwand der Beschwerdeführerin, sie habe sich bisher gegenüber der Arbeitslosenversicherung nichts zu Schulden kommen lassen, führt zu keiner anderen Beurteilung. Die Beschwerdegegnerin hat dem bereits durch die Anwendung des Einstellrahmens für ein erstmaliges Fehlverhalten Rechnung getragen (s. E. II. 3.3.1 hiervor).

 

3.4     Zusammenfassend ist die Beschwerde insoweit teilweise gutzuheissen, als der angefochtene Einspracheentscheid aufgehoben und die Einstelldauer von 38 auf 33 Tage herabgesetzt wird. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.

 

4.       In Beschwerdesachen der Arbeitslosenversicherung vor dem kantonalen Versicherungsgericht sind (abgesehen vom hier nicht interessierenden Fall einer mutwilligen leichtsinnigen Prozessführung) keine Verfahrenskos-

ten zu erheben, weil dies im AVIG nicht vorgesehen ist (s. Art. 61 lit. fbis Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts [ATSG, SR 830.1]).

 

Demnach wird erkannt:

1.    Der Einspracheentscheid des Amts für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Solothurn vom 13. Februar 2023 wird in teilweiser Gutheissung der Beschwerde aufgehoben und die Beschwerdeführerin A.___ ab 15. Oktober 2022 für 33 Tage in der Anspruchsberechtigung auf Arbeitslosenentschädigung eingestellt. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.

2.    Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.

Rechtsmittel

Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit der Mitteilung beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten eingereicht werden (Adresse: Bundesgericht, Schweizerhofquai 6, 6004 Luzern). Die Frist beginnt am Tag nach dem Empfang des Urteils zu laufen und wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar (vgl. Art. 39 ff., 82 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes, BGG). Bei Vor- und Zwischenentscheiden (dazu gehört auch die Rückweisung zu weiteren Abklärungen) sind die zusätzlichen Voraussetzungen nach Art. 92 93 BGG zu beachten.

 

Versicherungsgericht des Kantons Solothurn

Der Vizepräsident                     Der Gerichtsschreiber

Flückiger                                   Haldemann

 



 
Quelle: https://gerichtsentscheide.so.ch/
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