Zusammenfassung des Urteils VSBES.2023.302: Verwaltungsgericht
Die Beschwerdeführerin beantragte Arbeitslosenentschädigung, wurde aber vom Amt für Wirtschaft und Arbeit als nicht vermittlungsfähig eingestuft. Die Beschwerdegegnerin forderte die erhaltenen Leistungen zurück, die Beschwerde wurde abgelehnt. Die Beschwerdeführerin legte beim Versicherungsgericht Beschwerde ein, die Beschwerdegegnerin verzichtete auf eine ausführliche Antwort. Das Gericht entschied, dass die Rückforderung rechtens ist und wies die Beschwerde ab.
Kanton: | SO |
Fallnummer: | VSBES.2023.302 |
Instanz: | Verwaltungsgericht |
Abteilung: | Versicherungsgericht |
Datum: | 22.02.2024 |
Rechtskraft: |
Leitsatz/Stichwort: | - |
Schlagwörter: | Arbeit; Verfügung; Entscheid; Vermittlungsfähigkeit; Versicherungsgericht; Arbeitslosenentschädigung; Einsprache; Recht; Frist; Kanton; Revision; Tatsache; Präsidentin; Solothurn; Rückforderung; Verfahren; Akten; Gericht; Arbeitslosenversicherung; Amtsstelle; Entscheide; Erlass; Tatsachen; Verfahrens; Bundesgericht; Urteil; Versicherungsgerichts; Arbeitslosenkasse; Apos; |
Rechtsnorm: | Art. 51 ATSG ;Art. 95 AVIG; |
Referenz BGE: | 126 V 399; 128 V 133; 129 V 110; 143 V 105; |
Kommentar: | - |
Geschäftsnummer: | VSBES.2023.302 |
Instanz: | Versicherungsgericht |
Entscheiddatum: | 22.02.2024 |
FindInfo-Nummer: | O_VS.2024.45 |
Titel: | Vermittlungsfähigkeit |
Resümee: |
Urteil vom 22. Februar 2024 Es wirken mit: Gerichtsschreiber Haldemann In Sachen A.___ Beschwerdeführerin gegen
Beschwerdegegnerin
betreffend Vermittlungsfähigkeit (Einspracheentscheid vom 21. November 2023)
zieht die Präsidentin des Versicherungsgerichts in Erwägung: I.
1. 1.1 Die Versicherte A.___ (fortan: Beschwerdeführerin) beantragte bei der B.___ Arbeitslosenkasse (fortan: Beschwerdegegnerin) per 1. Dezember 2022 Arbeitslosenentschädigung (Akten der Beschwerdegegnerin / B.___ S. 163 ff.). In der Folge erhielt die Beschwerdeführerin für Dezember 2022 und März 2023 insgesamt CHF 2'747.00 an Taggeldern (s. Abrechnungen vom 28. Dezember 2022 und 3. April 2023, B.___ S. 107 + 136).
1.2 Nachdem ihm die Angelegenheit überwiesen worden war (B.___ S. 102 f.), erliess das Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Solothurn (fortan: AWA) am 5. Juni 2023 eine Verfügung, wonach die Beschwerdeführerin vom 1. Dezember 2022 bis zu ihrer Rückkehr aus dem Ausland am 5. April 2023 nicht vermittlungsfähig gewesen sei (B.___ S. 85 ff.).
1.3 Die Beschwerdegegnerin forderte von der Beschwerdeführerin mit Verfügung vom 3. August 2023 die ausgerichtete Arbeitslosenentschädigung im Betrag von CHF 2'747.00 zurück (B.___ S. 68 f.). Die dagegen erhobene Einsprache (B.___ S. 63 f.) wies die Beschwerdegegnerin mit Entscheid vom 21. November 2023 ab (Aktenseite / A.S. 1 ff.).
2. 2.1 Die Beschwerdeführerin erhebt mit Schreiben vom 6. Dezember 2023 (Postaufgabe: 11. Dezember 2023) beim Versicherungsgericht des Kantons Solothurn (fortan: Versicherungsgericht) Beschwerde mit dem Rechtsbegehren, der Einspracheentscheid sei aufzuheben und die Vermittlungsfähigkeit für den Zeitraum vom 1. Dezember 2022 bis 5. April 2023 anzuerkennen (A.S. 6 f.).
2.2 Die Beschwerdegegnerin verzichtet am 9. Januar 2024 auf eine ausführliche Beschwerdeantwort und beantragt die Abweisung der Beschwerde, unter Kosten- und Entschädigungsfolge zulasten der Beschwerdeführerin (A.S. 11).
2.3 Auf Nachfrage des Gerichts hin (A.S. 12 f.) teilt das AWA am 16. Januar 2024 mit, seine Verfügung vom 5. Juni 2023 sei der Beschwerdeführerin am 7. Juni 2023 zugestellt worden, ohne dass diese in der Folge Einsprache erhoben hätte (A.S. 14).
2.4 Die Präsidentin des Versicherungsgerichts setzt der Beschwerdeführerin mit Verfügung vom 17. Januar 2024 Frist bis 5. Februar 2024, um allfällige Bemerkungen zur Auskunft des AWA einzureichen (A.S. 17 f.). Am letzten Tag der Frist teilt der Ehemann der Beschwerdeführerin telefonisch mit, dass sie sich nicht mehr äussern wolle (A.S. 19). In der Folge geht denn auch beim Gericht keine Stellungnahme der Beschwerdeführerin ein.
II.
1. 1.1 Da die Sachurteilsvoraussetzungen (zulässiges Anfechtungsobjekt, Einhaltung von Frist und Form, örtliche, sachliche und funktionelle Zuständigkeit des angerufenen Gerichts, Legitimation) erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten, soweit sie die Rückforderung der Beschwerdegegnerin zum Gegenstand hat. Soweit sich die Beschwerde indes gegen die Feststellung des AWA richtet, die Beschwerdeführerin sei ab Dezember 2022 vermittlungsunfähig gewesen, kann darauf nicht eingetreten werden, da die besagte Verfügung rechtskräftig ist und die Beschwerdegegnerin bindet (s. E.I. 1.2 hiervor sowie E. II. 2.1.2 + 3.1 hiernach).
1.2 Die Präsidentin des Versicherungsgerichts beurteilt sozialversicherungsrechtliche Streitigkeiten bis zu einem Streitwert von CHF 30‘000.00 als Einzelrichterin (§ 54bis Abs. 1 lit. a Kantonales Gesetz über die Gerichtsorganisation / GO, BGS 125.12). Diese Grenze wird hier mit der streitigen Rückforderung von CHF 2'747.00 nicht überschritten.
2. 2.1 2.1.1 Der Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung setzt u.a. Vermittlungsfähigkeit voraus (Art. 8 Abs. 1 lit. f Bundesgesetz über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung / AVIG, SR 837.0). Eine arbeitslose Person ist vermittlungsfähig, wenn sie bereit, in der Lage und berechtigt ist, eine zumutbare Arbeit anzunehmen und an Eingliederungsmassnahmen teilzunehmen (Art. 15 Abs. 1 AVIG).
2.1.2 Bestehen Zweifel, ob eine versicherte Person anspruchsberechtigt ist, so kann die Arbeitslosenkasse den Fall der kantonalen Amtsstelle (d.h. im Kanton Solothurn dem AWA) zum Entscheid unterbreiten (Art. 81 Abs. 2 lit. a und Art. 85 Abs. 1 lit. e AVIG). Dies umfasst gegebenenfalls auch die Überprüfung der Vermittlungsfähigkeit (Art. 85 Abs. 1 lit. d AVIG). Hält die Amtsstelle eine versicherte Person nicht nur teilweise für vermittlungsfähig, so gibt sie dies der Kasse bekannt, wobei sie über den Grad der Vermittlungsfähigkeit eine Feststellungsverfügung erlässt (Art. 24 Abs. 1 und 2 Verordnung über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung / AVIV, SR 837.02). Erwächst diese Verfügung in Rechtskraft, so ist der Entscheid der Amtsstelle über die Vermittlungsfähigkeit für die Kasse bindend (BGE 126 V 399 E. 2b/cc S. 401; Boris Rubin in: Commentaire de la loi sur l’assurance-chômage, Genf 2014, Art. 85 N 11).
2.2 2.2.1 Unrechtmässig bezogene Leistungen der Arbeitslosenversicherung sind zurückzuerstatten (Art. 95 Abs. 1 AVIG i.V.m. Art. 25 Abs. 1 Satz 1 Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts / ATSG, SR 830.1). Für eine solche Rückforderung müssen entweder die Voraussetzungen einer Wiedererwägung (Art. 53 Abs. 2 ATSG) einer prozessualen Revision (Art. 53 Abs. 1 ATSG) erfüllt sein (BGE 130 V 318 E. 5.2 in fine S. 320). Dies gilt auch bei Leistungsabrechnungen, die gestützt auf Art. 100 Abs. 1 AVIG nicht als formelle Verfügung, sondern im formlosen Verfahren gemäss Art. 51 ATSG ergingen (s. BGE 129 V 110 E. 1.1).
2.2.2 Formell rechtskräftige Entscheide und Verfügungen sind in Revision zu ziehen, wenn nach ihrem Erlass erhebliche neue Tatsachen entdeckt Beweismittel aufgefunden werden, deren Beibringung zuvor nicht möglich war. Neue Tatsachen liegen vor, wenn sie sich vor Erlass des zu revidierenden Entscheides verwirklicht haben, aber trotz hinreichender Sorgfalt damals nicht bekannt waren. Die neuen Tatsachen müssen zudem erheblich sein, was dann der Fall ist, wenn sie die tatbestandliche Grundlage des rechtskräftigen Entscheides so zu ändern vermögen, dass bei zutreffender rechtlicher Würdigung ein anderer Entscheid resultiert (BGE 143 V 105 E. 2.3 S. 107 f.). Die neuen Tatsachen Beweismittel sind innert 90 Tagen nach deren Entdeckung geltend zu machen, spätestens jedoch innert zehn Jahren nach der Eröffnung des zu revidierenden Entscheides (Art. 67 Abs. 1 Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren / VwVG, SR 172.021, in Verbindung mit Art. 55 Abs. 1 ATSG). Praxisgemäss beginnt die relative 90tägige Revisionsfrist zu laufen, sobald bei der Partei eine sichere Kenntnis über die neue erhebliche Tatsache das entscheidende Beweismittel vorhanden ist (BGE 143 V 105 E. 2.4 S. 108). Die Arbeitslosenkasse kann indes während eines Zeitraums, welcher der (30tägigen) Rechtsmittelfrist bei formellen Verfügungen entspricht, voraussetzungslos, d.h. ohne Rechtstitel, auf die ausgerichtete Arbeitslosenentschädigung zurückkommen (s. BGE 129 V 110 E. 1.2.1 S. 111).
3. 3.1 Die eingereichten Zustellbelege bestätigen, dass die eingeschrieben verschickte Verfügung des AWA vom 5. Juni 2023 in Sachen Vermittlungsfähigkeit der Beschwerdeführerin am 7. Juni 2023 eröffnet wurde (A.S. 15 f.), was denn auch unbestritten blieb (s. A.S. 17 +19). Die 30tägige Einsprachefrist fing am folgenden Tag zu laufen an und endete folglich mangels Fristenstillstand am Freitag, den 7. Juli 2023 (s. dazu Art. 38 Abs. 1, 3 und 4 sowie Art. 52 Abs. 1 ATSG), ohne dass bis dahin Einsprache erhoben worden wäre (A.S. 14); die Einsprache gegen die Verfügung der Beschwerdegegnerin vom 3. August 2023 wiederum, worin die Beschwerdeführerin namentlich geltend machte, sie sei durchaus vermittlungsfähig gewesen, erfolgte erst am 16. August 2023 und damit im Hinblick auf die Verfügung des AWA verspätet (B.___ S. 63 f.). Diese Verfügung, wonach die Beschwerdeführerin vom 1. Dezember 2022 bis 5. April 2023 nicht vermittlungsfähig war, ist demnach in Rechtskraft erwachsen und für die Beschwerdegegnerin verbindlich (s. dazu E. II. 2.1.2 hiervor).
3.2 Die Beschwerdegegnerin durfte revisionsweise auf die im Dezember 2022 und März 2023 ausbezahlte Arbeitslosenentschädigung zurückkommen. Einerseits handelte es sich bei der Verfügung des AWA vom 5. Juni 2023 um eine entscheidrelevante neue Tatsache, entfiel doch mit der Verneinung der Vermittlungsfähigkeit für die Zeit vom 1. Dezember 2022 bis 5. April 2023 nachträglich eine der Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug der Arbeitslosenentschädigung im Dezember 2022 und März 2023 (s. E. II. 2.1.1 hiervor). Der Umstand, dass die Beschwerdegegnerin in ihrer Rückforderungsverfügung vom 3. August 2023 nicht ausdrücklich von einer prozessualen Revision sprach, schadet nicht, denn es ist klar, dass eine solche stillschweigend vorgenommen wurde (vgl. Urteil des Bundesgerichts 8C_677/2017 vom 23. Februar 2018 E. 5.3.3). Andererseits erfolgte die Revision vom 3. August 2023 auf jeden Fall rechtzeitig, waren doch seit der Verfügung des AWA vom 5. Juni 2023, welche die Vermittlungsunfähigkeit feststellte, weniger als 90 Tage verstrichen. Ist aber die Beschwerdegegnerin berechtigt (und verpflichtet), die Auszahlung von Arbeitslosenentschädigung für Dezember 2022 und März 2023 in Revision zu ziehen, dann müssen diese Bezüge als unrechtmässig gelten, weil keine rechtliche Grundlage mehr für sie besteht, und von der Beschwerdeführerin zurückgefordert werden, wie es die Beschwerdegegnerin entschieden hat. Gegen die Höhe dieser Rückforderung erhebt die Beschwerdeführerin im Übrigen zu Recht keine Einwände.
3.3 Zusammenfassend stellt sich die Beschwerde als unbegründet heraus und ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Die Akten des vorliegenden Verfahrens werden zuständigkeitshalber zur Behandlung als Erlassgesuch an das AWA als kantonale Amtsstelle (Art. 95 Abs. 3 AVIG) weitergeleitet (Art. 30 ATSG).
4. Bei diesem Verfahrensausgang steht der Beschwerdeführerin keine Parteientschädigung zu. Die Beschwerdegegnerin wiederum hat als mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betraute Organisation – abgesehen von hier nicht interessierenden Ausnahmen – keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung (vgl. etwa BGE 128 V 133 E. 5b, 126 V 150 E. 4a).
5. In Beschwerdesachen der Arbeitslosenversicherung vor dem kantonalen Versicherungsgericht sind (abgesehen vom hier nicht interessierenden Fall einer mutwilligen leichtsinnigen Prozessführung) keine Verfahrenskosten zu erheben, weil dies im AVIG nicht vorgesehen ist (s. Art. 61 lit. fbis ATSG).
Demnach wird erkannt: 1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird. 2. Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen und keine Verfahrenskosten erhoben. 3. Die Akten werden zuständigkeitshalber zur Behandlung als Erlassgesuch an das Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kanton Solothurn weitergeleitet. Rechtsmittel Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit der Mitteilung beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten eingereicht werden (Adresse: Bundesgericht, Schweizerhofquai 6, 6004 Luzern). Die Frist beginnt am Tag nach dem Empfang des Urteils zu laufen und wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar (vgl. Art. 39 ff., 82 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes, BGG). Bei Vor- und Zwischenentscheiden (dazu gehört auch die Rückweisung zu weiteren Abklärungen) sind die zusätzlichen Voraussetzungen nach Art. 92 93 BGG zu beachten.
Versicherungsgericht des Kantons Solothurn Die Präsidentin Der Gerichtsschreiber Weber-Probst Haldemann |
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