E-MailWeiterleiten
LinkedInLinkedIn

Urteil Verwaltungsgericht (SO - VSBES.2023.275)

Kopfdaten
Kanton:SO
Fallnummer:VSBES.2023.275
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Versicherungsgericht
Verwaltungsgericht Entscheid VSBES.2023.275 vom 16.07.2024 (SO)
Datum:16.07.2024
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:-
Zusammenfassung:Das Versicherungsgericht hat in einem Urteil vom 16. Juli 2024 über den Fall von A.___ entschieden. A.___ hatte einen Unfall und erhielt eine Integritätsentschädigung, aber keine Rente. Die IV-Stelle des Kantons Solothurn lehnte einen Rentenanspruch ab, da der Invaliditätsgrad nicht hoch genug war. A.___ erhob Beschwerde beim Versicherungsgericht und stellte verschiedene Rechtsbegehren, die jedoch abgewiesen wurden. Die IV-Stelle behielt ihre Entscheidung bei und das Versicherungsgericht trat nicht auf die Beschwerde ein. Das Gericht stellte fest, dass die Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt waren und entschied, dass A.___ keinen Anspruch auf Rente oder berufliche Massnahmen hat. Der Richter in diesem Fall war Vizepräsident Flückiger. Die Gerichtskosten betrugen CHF 5000.
Schlagwörter: Arbeit; IV-Nr; Arbeitsfähigkeit; Leistung; Bundesgericht; Urteil; Gutachten; Bericht; Beurteilung; Bundesgerichts; Verfügung; Beschwerdeführers; Rente; Arbeitsunfähigkeit; Person; Schulter; Vorbescheid; Recht; Einschränkung
Rechtsnorm: Art. 29 ATSG ; Art. 6 ATSG ;
Referenz BGE:117 V 194; 122 V 157; 125 V 193; 125 V 351; 126 V 353; 126 V 75; 128 V 133; 134 I 140; 134 V 97; 135 V 297; 137 V 210; 138 V 457; 141 V 281; 144 V 210; 148 V 174;
Kommentar:
Ueli Kieser, ATSG- 4. Aufl., Zürich, 2023
Entscheid
 
Geschäftsnummer: VSBES.2023.275
Instanz: Versicherungsgericht
Entscheiddatum: 16.07.2024 
FindInfo-Nummer: O_VS.2024.154
Titel: berufliche Massnahmen und Invalidenrente

Resümee:

 

 

 

 

 

 

 


Urteil vom 16. Juli 2024

 

Es wirken mit:

Vizepräsident Flückiger

Oberrichter Thomann

Oberrichterin Kofmel

Gerichtsschreiber Haldemann

In Sachen

A.___ vertreten durch Rechtsanwalt Claude Wyssmann

Beschwerdeführer

gegen


IV-Stelle Solothurn,
Allmendweg 6, 4528 Zuchwil,

Beschwerdegegnerin

 

betreffend     berufliche Massnahmen und Invalidenrente (Verfügung vom 9. Oktober 2023)

 


 

zieht das Versicherungsgericht in Erwägung:

I.       

 

1.

1.1     Der Versicherte A.___ (fortan: Beschwerdeführer), geb. […], erlitt am 2. Mai 2018 einen Unfall, bei dem er sich das rechte Handgelenk verdrehte (IV-Akten / IV-Nr. 4.42). Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt Suva schloss den Fall per 30. September 2020 ab und sprach dem Beschwerdeführer mit Verfügung vom 1. September 2020 resp. Einspracheentscheid vom 1. Juni 2021 eine Integritätsentschädigung von 7 % zu, verneinte aber einen Rentenanspruch, da der Invaliditätsgrad nur 9,32 % erreiche. Das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn (fortan: Versicherungsgericht) schützte dies mit Urteil VSBES.2021.113 vom 14. Dezember 2021 (IV-Nr. 119.3). Das Bundesgericht trat auf die dagegen gerichtete Beschwerde am 7. April 2022 nicht ein (IV-Nr. 119.2).

 

1.2     Der Beschwerdeführer meldete sich am 6. November 2018 bei der IV-Stelle des Kantons Solothurn (fortan: Beschwerdegegnerin) zum Leistungsbezug an (IV-Nr. 2). Diese stellte ihm mit Vorbescheid vom 16. April 2021 für die Zeit von Mai 2019 bis März 2020 eine befristete ganze Rente in Aussicht (IV-Nr. 59 S. 2 ff.), holte aber nach dem Einwand des Beschwerdeführers bei der Gutachterstelle B.___ ein polydisziplinäres Gutachten ein, welches vom 17. August 2022 datiert (IV-Nr. 94.1 ff.). Gestützt darauf ging die Beschwerdegegnerin im neuen Vorbescheid vom 8. November 2022 davon aus, dass bei einem IV-Grad von 29 % nie ein Rentenanspruch bestanden habe (IV-Nr. 96 S. 2 ff.). Daran hielt sie mit Verfügung vom 9. Oktober 2023 fest, wobei sie neu per 1. Mai 2019 einen IV-Grad von 36 % und per 1. Januar 2020 von 18 % berechnete (Aktenseite / A.S. 1 ff.).

 

2.

2.1     Der Beschwerdeführer lässt am 10. November 2023 beim Versicherungsgericht Beschwerde erheben und folgende Rechtsbegehren stellen (A.S. 18 ff.):

1.      Die Verfügung der [Beschwerdegegnerin] vom 9. Oktober 2023 sei aufzuheben.

2.      a) Es sei die Beschwerdesache zur korrekten Durchführung des Vorbescheidverfahrens an die [Beschwerdegegnerin] zurückzuweisen.

b) Eventualiter: Es seien dem Beschwerdeführer die versicherten IV-Leistungen (berufliche Massnahmen, Invalidenrente) nach Massgabe einer Erwerbsunfähigkeit von mindestens 40 % zuzüglich einem Verzugszins zu 5 % ab wann rechtens auszurichten.

c) Subeventualiter: Es sei die Beschwerdesache zu weiteren medizinischen und beruflich-erwerbsbezogenen Abklärungen an die [Beschwerdegegnerin] zurückzuweisen.

d) Subsubeventualiter: Es sei ein medizinisches Gerichtsgutachten einzuholen.

3.      Es sei eine öffentliche Verhandlung nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK durchzuführen.

4.      Alles unter Kosten- und Entschädigungsfolge zu Lasten der Beschwerdegegnerin.

 

2.2     Die Beschwerdegegnerin beantragt in ihrer Beschwerdeantwort vom 8.  Dezember 2023 die Abweisung der Beschwerde (A.S. 36 f.). In der Folge gibt der Beschwerdeführer am 8. Januar 2024 einen weiteren Beleg zu den Akten (A.S. 38 f.).

 

2.3     Der Vizepräsident des Versicherungsgerichts teilt den Parteien am 7. Juni 2024 mit, es sei beabsichtigt, das Beweisverfahren zu schliessen. Der Beschwerdeführer erhält Gelegenheit, bis 28. Juni 2024 allfällige Beweismittel einzureichen (A.S. 45 f.), lässt diese Frist aber ungenutzt verstreichen.

 

2.4     Am 16. Juli 2024 findet vor dem Versicherungsgericht die beantragte öffentliche Verhandlung statt. Der Vertreter des Beschwerdeführers stellt keine weiteren Beweisanträge. In seinem Parteivortrag begründet er die folgenden angepassten Rechtsbegehren (s. Protokoll, A.S. 50 f.):

1.      Die Verfügung der IV-Stelle Solothurn vom 9. Oktober 2023 sei aufzuheben.

2.      a) Es seien dem Beschwerdeführer die versicherten IV-Leistungen (berufliche Massnahmen, Invalidenrente) nach Massgabe einer Erwerbsunfähigkeit von mindestens 40 % zuzüglich einem Verzugszins zu 5 % ab wann rechtens auszurichten.

b) Eventualiter: Es sei die Beschwerdesache zu beruflich-erwerbsbezogenen Abklärungen an die IV-Stelle Solothurn zurückzuweisen unter weiterer Ausrichtung der Leistungen.

c) Subeventualiter: Es sei die Beschwerdesache zu weiteren medizinischen Abklärungen an die IV-Stelle Solothurn zurückzuweisen.

d) Subsubeventualiter: Es sei ein medizinisches Gerichtsgutachten einzuholen.

3.      Alles unter Kosten- und Entschädigungsfolge zu Lasten der Beschwerdegegnerin.

 

Ausserdem gibt der Vertreter eine Kostennote zu den Akten (A.S. 48 f.). Die Beschwerdegegnerin, der das Erscheinen freigestellt worden ist (A.S. 42), hat sich vorgängig entschuldigt und nimmt an der Verhandlung nicht teil (A.S. 50).

 

II.

 

1.       Da die Sachurteilsvoraussetzungen (zulässiges Anfechtungsobjekt, Einhaltung von Frist und Form, örtliche, sachliche und funktionelle Zuständigkeit des angerufenen Gerichts, Legitimation) erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten. Streitig ist gemäss Beschwerdebegehren der Anspruch des Beschwerdeführers auf eine Rente sowie auf berufliche Massnahmen (s. E. I. 2.1 hiervor). Bei der Beurteilung des Falles ist grundsätzlich auf den Sachverhalt abzustellen, der bis zum Erlass der angefochtenen Verfügung am 9. Oktober 2023 eingetreten ist (Ueli Kieser in: ATSG-Kommentar, 4. Aufl., Zürich 2020, Art. 61 N 109).

 

2.

2.1     Am 1. Januar 2022 trat das revidierte Bundesgesetz über die Invalidenversicherung (IVG, SR 831.20) in Kraft. Vorbehältlich besonderer übergangsrechtlicher Regelungen sind in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen materiellen Rechtssätze massgeblich, die bei der Erfüllung des rechtlich zu ordnenden zu Rechtsfolgen führenden Tatbestands Geltung haben (BGE 144 V 210 E. 4.3.1 S. 213 mit Hinweisen). Im vorliegenden Fall könnte ein allfälliger Rentenanspruch frühestens im Mai 2019 entstehen (s. dazu E. II. 2.2.3.2 hiernach). Dementsprechend ist der Anspruch für die Zeit bis Ende 2021 nach denjenigen materiellrechtlichen Normen zu beurteilen, welche damals in Kraft standen, obwohl die entsprechende Verfügung der Beschwerdegegnerin erst nach dem 1. Januar 2022 erging.

 

2.2

2.2.1  Anspruch auf eine Invalidenrente haben versicherte Personen, die ihre Erwerbsfähigkeit die Fähigkeit, sich im Aufgabenbereich zu betätigen, nicht durch zumutbare Eingliederungsmassnahmen wieder herstellen, erhalten verbessern können, während eines Jahres ohne wesentlichen Unterbruch durchschnittlich mindestens 40 % arbeitsunfähig gewesen sind und nach Ablauf dieses Jahres zu mindestens 40 % invalid sind (Art. 28 Abs. 1 IVG). Nach dem hier massgeblichen bisherigen Recht (s. E. II. 2.1 hiervor) besteht bei einem Invaliditätsgrad ab 40 % Anspruch auf eine Viertelsrente, ab 50 % auf eine halbe Rente, ab 60 % auf eine Dreiviertelsrente sowie ab 70 % auf eine ganze Rente (Art. 28 Abs. 2 IVG, in Kraft bis 31. Dezember 2021).

 

2.2.2  Als Invalidität gilt die voraussichtlich bleibende längere Zeit andauernde ganze teilweise Erwerbsunfähigkeit (Art. 8 Abs. 1 Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts / ATSG, SR 830.1). Sie kann Folge von Geburtsgebrechen, Krankheit Unfall sein (Art. 4 Abs. 1 IVG). Erwerbsunfähigkeit ist der durch Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen psychischen Gesundheit verursachte und nach zumutbarer Behandlung und Eingliederung verbleibende ganze teilweise Verlust der Erwerbsmöglichkeiten auf dem in Betracht kommenden ausgeglichenen Arbeitsmarkt (Art. 7 Abs. 1 ATSG). Für die Beurteilung, ob eine Erwerbsunfähigkeit vorliegt, sind ausschliesslich die Folgen der gesundheitlichen Beeinträchtigung zu berücksichtigen. Eine Erwerbsunfähigkeit liegt zudem nur dann vor, wenn sie aus objektiver Sicht nicht überwindbar ist (Art. 7 Abs. 2 ATSG).

 

2.2.3

2.2.3.1 Arbeitsunfähigkeit ist die durch eine Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen psychischen Gesundheit bedingte, volle teilweise Unfähigkeit, im bisherigen Beruf Aufgabenbereich zumutbare Arbeit zu leisten (Art. 6 Abs. 1 ATSG). Ob ein psychisches Leiden zu einer ganzen teilweisen Arbeitsunfähigkeit führt, beurteilt sich grundsätzlich bei allen solchen Erkrankungen nach einem normativen Prüfungsraster, dem sog. strukturierten Beweisverfahren gemäss BGE 141 V 281 (BGE 143 V 418 E. 7.2 S. 429 sowie 143 V 409 E. 4.5.2 S. 416 f.). Anhand eines Kataloges von Indikatoren, welche sich auf den funktionellen Schweregrad des Leidens und die Konsistenz des Verhaltens beziehen, erfolgt eine ergebnisoffene symmetrische Beurteilung des (unter Berücksichtigung leistungshindernder äusserer Belastungsfaktoren einerseits und Kompensationspotentialen (Ressourcen) andererseits) tatsächlich erreichbaren Leistungsvermögens (BGE 141 V 281 E. 3.6 S. 294 f. und E. 4.1.3 S. 297).

 

2.2.3.2 Das einem Rentenanspruch vorausgehende Wartejahr gemäss Art. 28 Abs. 1 IVG (E. II. 2.2.1 hiervor) gilt als eröffnet, sobald eine Arbeitsunfähigkeit von mindestens 20 % eingetreten ist (Amanda Wittwer in: Der Begriff der Arbeitsunfähigkeit im schweizerischen Sozialversicherungsrecht, Zürich 2017, S. 109 Fn 615). Der Beschwerdeführer war nach seinem Unfall am 2. Mai 2018 arbeitsunfähig geschrieben. Sollte diese Arbeitsunfähigkeit in der Folge angehalten haben, was nachfolgend zu klären sein wird, so hätte die Wartezeit im Mai 2019 geendet. Der Rentenanspruch wiederum könnte frühestens sechs Monate nach Geltendmachung des Leistungsanspruchs im Sinne von Art. 29 Abs. 1 ATSG entstehen (s. Art. 29 Abs. 1 IVG). Dies wäre hier angesichts der Anmeldung vom 6. November 2018 (s. E. I. 1.2 hiervor) ebenfalls im Mai 2019 der Fall gewesen.

 

2.3     Um den Invaliditätsgrad bemessen zu können, ist die Verwaltung auf Unterlagen angewiesen, die Arztpersonen und gegebenenfalls auch andere Fachleute zur Verfügung gestellt haben. Aufgabe des Arztes ist es, den Gesundheitszustand zu beurteilen und dazu Stellung zu nehmen, in welchem Umfang und bezüglich welcher Tätigkeiten die versicherte Person arbeitsunfähig ist. Im Weiteren bilden die ärztlichen Auskünfte eine wichtige Grundlage für die Beurteilung der Frage, welche Arbeitsleistungen der versicherten Person noch zugemutet werden können (BGE 140 V 193 E. 3.2 S. 196, 105 V 156 E. 1 S. 158 f.).

 

Der im Sozialversicherungsrecht massgebende Beweisgrad ist derjenige der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 117 V 194 f. E. 3.b). Weiter gilt für das gesamte Verwaltungs- und gerichtliche Beschwerdeverfahren der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (BGE 125 V 351 E. 3a S. 352). Der Sozialversicherungsrichter hat alle Beweismittel, unabhängig davon, von wem sie stammen, objektiv zu prüfen und danach zu entscheiden, ob die verfügbaren Unterlagen eine zuverlässige Beurteilung des streitigen Rechtsanspruches gestatten. Insbesondere darf er bei einander widersprechenden medizinischen Berichten den Prozess nicht erledigen, ohne das gesamte Beweismaterial zu würdigen und die Gründe anzugeben, warum er auf die eine und nicht auf die andere medizinische These abstellt. Hinsichtlich des Beweiswertes eines Arztberichtes ist entscheidend, ob der Bericht für die streitigen Belange umfassend ist, auf allseitigen Untersuchungen beruht, auch die geklagten Beschwerden berücksichtigt, in Kenntnis der Vorakten – d.h. der Anamnese – abgegeben worden ist, in der Beurteilung der medizinischen Situation einleuchtet und in seinen Schlussfolgerungen begründet ist. Ausschlaggebend für den Beweiswert ist grundsätzlich somit weder die Herkunft eines Beweismittels noch die Bezeichnung der eingereichten resp. in Auftrag gegebenen Stellungnahme als Bericht Gutachten (a.a.O.; BGE 122 V 157 E. 1c S. 160). Die Rechtsprechung erachtet es jedoch als mit dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung vereinbar, in Bezug auf bestimmte Formen medizinischer Berichte und Gutachten Richtlinien für die Beweiswürdigung aufzustellen (BGE 125 V 351 E. 3b S. 352). So ist einem im Rahmen des Verwaltungsverfahrens eingeholten medizinischen Gutachten durch externe Spezialärzte, welches auf Grund eingehender Beobachtungen und Untersuchungen sowie nach Einsicht in die Akten erstellt wurde und bei der Erörterung der Befunde zu schlüssigen Ergebnissen gelangt, in der Beweiswürdigung volle Beweiskraft zuzuerkennen, solange nicht konkrete Indizien gegen die Zuverlässigkeit der Expertise sprechen (BGE 137 V 210 E. 2.2.2 S. 232, 125 V 351 E. 3b/bb S. 353). Andererseits ist der Erfahrungstatsache Rechnung zu tragen, dass behandelnde Ärzte im Hinblick auf ihre auftragsrechtliche Vertrauensstellung in Zweifelsfällen mitunter eher zu Gunsten ihrer Patienten aussagen (BGE 125 V 351 E. 3b/cc S. 353).

 

2.4     Im Sozialversicherungsverfahren gilt der Untersuchungsgrundsatz, d.h. die Verwaltung resp. das Gericht haben von sich aus für die richtige und vollständige Abklärung des rechtserheblichen Sachverhalts zu sorgen (Art. 43 Abs. 1 und Art. 61 lit. c ATSG). Diese Untersuchungspflicht dauert so lange, bis über die für die Beurteilung des streitigen Anspruchs erforderlichen Tatsachen hinreichende Klarheit besteht. Der Grundsatz gilt jedoch nicht uneingeschränkt, sondern wird durch die Mitwirkungspflichten des Versicherten relativiert (BGE 125 V 193 E. 2 S. 195, 122 V 157 E. 1a S. 158). Ein Teilgehalt der Mitwirkungspflicht besteht in der Teilnahme am Beweisverfahren (Kieser, a.a.O., Art. 43 N 96).

 

Der Untersuchungsgrundsatz schliesst die Beweislast im Sinne einer Beweisführungslast begriffsnotwendig aus. Die Parteien tragen mithin im Sozialversicherungsverfahren in der Regel eine Beweislast nur insofern, als im Falle der Beweislosigkeit der Entscheid zu Ungunsten jener Partei ausfällt, die aus dem unbewiesen gebliebenen Sachverhalt Rechte ableiten wollte. Diese Beweisregel greift allerdings erst Platz, wenn es sich als unmöglich erweist, im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes auf dem Wege der Beweiserhebung einen Sachverhalt zu ermitteln, der zumindest die Wahrscheinlichkeit für sich hat, der Wirklichkeit zu entsprechen (BGE 117 V 261 E. 3b S. 264). Führen die von Amtes wegen vorzunehmenden Abklärungen die Verwaltung das Gericht bei pflichtgemässer Beweiswürdigung zur Überzeugung, ein bestimmter Sachverhalt sei als überwiegend wahrscheinlich zu betrachten und es könnten weitere Beweismassnahmen an diesem feststehenden Ergebnis nichts mehr ändern, so ist auf die Abnahme weiterer Beweise zu verzichten. Gleiches gilt, wenn der Sachverhalt, den eine Partei beweisen will, nicht rechtserheblich erscheint (BGE 126 V 353 E. 5b S. 360, 125 V 193 E. 2 S. 195, 122 V 157 E. 1d S. 162). In einer solchen antizipierten Beweiswürdigung liegt kein Verstoss gegen das verfassungsmässig gewährleistete rechtliche Gehör (BGE 134 I 140 E. 5.3 S. 148, 124 V 90 E. 4b S. 94). Bleiben jedoch erhebliche Zweifel an der Vollständigkeit und / Richtigkeit der bisher getroffenen Tatsachenfeststellung bestehen, ist weiter zu ermitteln, soweit von zusätzlichen Abklärungsmassnahmen noch neue wesentliche Erkenntnisse zu erwarten sind (Urteil des Bundesgerichts 9C_407/2015 vom 22. April 2016 E. 3.1).

 

3.

3.1

3.1.1  Der Beschwerdeführer macht vorab eine schwere Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend. Die Beschwerdegegnerin habe in der angefochtenen Verfügung eine neue Invaliditätsbemessung vorgenommen, ohne ihm dies vorgängig zur Stellungnahme zu unterbreiten resp. einen neuen Vorbescheid zu erlassen. Weil die Beschwerdegegnerin systematisch so vorgehe, müsse die Sache zur korrekten Durchführung des Verfahrens an sie zurückgewiesen werden (A.S. 22 Ziff. 5).

 

3.1.2  Die IV-Stelle teilt der versicherten Person den vorgesehenen Endentscheid über ein Leistungsbegehren, den Entzug die Herabsetzung einer bisher gewährten Leistung sowie den vorgesehenen Entscheid über die vorsorgliche Einstellung von Leistungen mittels Vorbescheid mit. Die versicherte Person hat Anspruch auf rechtliches Gehör im Sinne von Artikel 42 ATSG (Art. 57a Abs. 1 IVG). Gegen einen solchen Vorbescheid können innerhalb einer Frist von 30 Tagen Einwände vorgebracht werden (Art. 57a Abs. 3 IVG). Das Vorbescheidverfahren geht über den verfassungsrechtlichen Mindestanspruch auf rechtliches Gehör hinaus, indem es Gelegenheit gibt, sich nicht nur zur Sache, sondern auch zum vorgesehenen Entscheid zu äussern (BGE 134 V 97 E. 2.8.2 S. 107 mit Hinweisen). Weicht die IV-Stelle in der nachfolgenden Verfügung zuungunsten der versicherten Person vom Vorbescheid ab, so verstösst dies auch ohne Änderung der Verhältnisse grundsätzlich nicht gegen Treu und Glauben. Ob die IV-Stelle, wenn sie nach dem Einwand der versicherten Person gegen den Vorbescheid weitere Abklärungen vornimmt, nochmals ein Vorbescheidverfahren durchzuführen hat, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab (Ulrich Meyer / Marco Reichmuth in: Hans-Ulrich Stauffer / Basile Cardinaux [Hrsg], Rechtsprechung des Bundesgerichts zum IVG, 4. Aufl., Zürich 2022, S. 548).

 

3.1.3  Die Beschwerdegegnerin berechnete im Vorbescheid vom 8. November 2022 per 2019 einen IV-Grad von 29 %, der keinen Rentenanspruch begründete (IV-Nr. 96 S. 2 f.). Nach dem Einwand des Beschwerdeführers ging sie in der angefochtenen Verfügung neu per 1. Mai 2019 von einem IV-Grad von 36 % und per 1. Januar 2020 von 18 % aus, ohne den Beschwerdeführer vorher noch einmal anzuhören. Darin liegt jedoch entgegen seiner Auffassung keine Missachtung des rechtlichen Gehörs. Einerseits änderte sich durch die abgestufte Neuberechnung des IV-Grades nichts am Ergebnis, war doch auch so keine Rente zuzusprechen. Andererseits gingen sowohl der besagte Vorbescheid als auch die angefochtene Verfügung gestützt auf das B.___-Gutachten vom gleichen Sachverhalt aus, nämlich dass die bisherige Arbeit dem Beschwerdeführer nicht länger zumutbar sei, während eine angepasste Tätigkeit seit Februar 2019 zu 75 % und seit 1. Januar 2020 zu 100 % in Frage komme; lediglich vom 6. Juni bis 31. Juli 2019 sei auch eine Verweistätigkeit ausgeschlossen gewesen (IV-Nr. 96 S. 2 f. und A.S. 1 f.). Die Beschwerdegegnerin berücksichtigte mit anderen Worten in der angefochtenen Verfügung keine Tatsachen, welche nicht bereits im Vorbescheid vom 8. November 2022 zur Sprache gekommen waren.

 

3.2

3.2.1  Der Beschwerdeführer war seit 2006 bei der C.___ AG als Gipser ohne EFZ tätig. Nachdem er sich bei einem Unfall am 2. Mai 2018 das rechte Handgelenk verletzt hatte, erschien er ab dem 9. Mai 2018 nicht mehr zur Arbeit. Am 9. Juli 2018 erfolgte ein operativer Eingriff am Handgelenk (IV-Nr. 4.42 / Nr. 6 S. 3 f. / Nr. 9 S. 1 f.).

 

3.2.2  Die Beschwerdegegnerin stützte sich in der angefochtenen Verfügung – wie bereits erwähnt – auf das polydisziplinäre Gutachten der B.___ vom 17. August 2022 (IV-Nr. 94.1 ff.), welches die folgenden Diagnosen enthielt (IV-Nr. 94.1 S. 6 f.):

Mit Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit:

1.      Deutliche Kraft- und Funktionseinschränkung der dominanten rechten Hand und des Handgelenkes bei Status nach Resektion der proximalen Handwurzelreihe und Radiusstyloid-Ektomie vom 9. Juli 2018.

2.      Residuelle gering- bis mässiggradige Bewegungseinschränkung des rechten Schultergelenkes nach Frozen Shoulder.

Ohne Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit:

1.      Degenerativ bedingte Bewegungseinschränkung des Kopfes.

2.      Geringgradige Retropatellararthrose des linken Kniegelenkes.

3.      Leichtes Carpaltunnelsyndrom rechts

4.      Adipositas (BMI 30 kg/m2)

5.      Dringender Verdacht auf arterielle Hypertonie

6.      Geringe Varikositas beider Beine

 

3.2.2.1 Das internistische Teilgutachten von Prof. Dr. med. univ. D.___, Facharzt für Allgemeine Innere Medizin, Endokrinologie-Diabetologie und Kardiologie (IV-Nr. 94.4), attestierte sowohl für die bisherige als auch eine angepasste Tätigkeit eine Arbeitsfähigkeit von 100 %. Aus internistischer Sicht habe zu keinem Zeitpunkt eine längerfristige Einschränkung der Arbeitsfähigkeit bestanden (S. 8 f.). Der Beschwerdeführer gebe an, dass er eigentlich nur mit der rechten Hand Schwierigkeiten habe. Diese sei seit der Operation im Jahr 2018 nicht mehr frei beweglich. Wegen der sehr starken Einschränkung könne er nicht mehr arbeiten (S. 3). Im Haushalt und im Alltag helfe vor allem ein Sohn, gelegentlich auch eine Schwester (S. 4).

 

3.2.2.2 Gemäss dem orthopädischen Teilgutachten von Dr. med. E.___, Fachärztin für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie des Bewegungsapparates (IV-Nr. 94.3), gab der Beschwerdeführer an, seine rechte Hand weise seit dem Unfall resp. der Operation eine Bewegungseinschränkung auf und sei immer geschwollen. Die Finger könne er nur leicht beugen. Im Verlauf seien die Beschwerden viel besser geworden (S. 3). In Haushalt und Alltag benötige er Hilfe beim Kartoffelschälen, Büchsenöffnen, Bügeln Schneiden der Zehennägel (S. 5).

 

Die Expertin hielt fest, die spontanen Bewegungen beim An- und Ausziehen seien ohne Einschränkungen. Das Ent- und Bekleiden des Oberkörpers erfolge mit beiden Armen über dem Kopf unter Schonung des rechten Armes (S. 6). Für die immer noch in sämtlichen Bewegungsrichtungen mässig eingeschränkte Beweglichkeit des rechten Schultergelenkes bestünden von orthopädisch-traumatologischer Seite keine pathologischen Korrelate. Das positive Zeichen nach Neer sowie die radiologisch lediglich mässigen Degenerationen des klinisch reizlosen rechten Akromioklavikulargelenkes erklärten die Bewegungseinschränkung des rechten Schultergelenkes nicht. Allerdings belege die mässige Atrophie der rechten Ober- und Unterarmmuskulatur eine vermehrte Schonung der rechten oberen Extremität im Alltag. Wenn der Beschwerdeführer sich keine Tätigkeit vorstellen könne, so stehe dies in einer Diskrepanz zu den fehlenden Einschränkungen der Aktivitätenniveaus in den vergleichbaren Lebensbereichen Freizeit und Haushalt. Der Beschwerdeführer sei körperlich in der Lage, seinen Haushalt zu führen, einzukaufen und spazieren zu gehen, Verkehrsmittel zu benutzen sowie in den Urlaub zu fliegen (S. 10).

 

An der dominanten rechten Hand zeige sich eine in sämtlichen Bewegungsrichtungen eingeschränkte Beweglichkeit des Handgelenks sowie eine geringe Atrophie der Handbinnenmuskulatur. Während die grobe Kraft der linken Hand sehr kräftig dargeboten werde, erfolge mit der rechten Hand nur eine kaum spürbare Muskelanspannung. Der Faustschluss und die Fingerstreckung seien rechts inkomplett, während der Schlüsselgriff vollständig gelinge. In den aktuellen Röntgenaufnahmen des rechten Handgelenkes vom 24. Mai 2022 zeige sich ein entsprechender postoperativer Befund nach Resektion des Os navikulare, lunatum sowie triquetrum und eine mässige Arthrose radiokarpal sowie zwischen dem Os trapezoideum und dem Metakarpale II. Aufgrund der durchgeführten Resektionsarthroplastik des rechten Handgelenkes mit konsekutiver Verkürzung der Handwurzel seien der postoperativ persistierende deutliche Kraftverlust und die Bewegungseinschränkung der rechten Hand plausibel und nachvollziehbar. Eine Verbesserung der Kraft und der Fingerbeweglichkeit sei mehr als vier Jahre postoperativ nicht mehr zu erwarten (S. 12 + 14). Die auffällige starke Bewegungseinschränkung des Kopfes in der Untersuchung lasse sich mit den radiologischen Befunden (Streckhaltung, ausgeprägte Osteochondrose C5/6, weniger auch C6/7 mit ventral betonter Spondylosis sowie mässige Spondylarthrosen der gesamten Halswirbelsäule) erklären (S. 12). Weiter bestehe eine im Seitenvergleich gering eingeschränkte Beugung des linken Kniegelenkes mit geringen tastbaren retropatellaren Krepitationen sowie radiologisch Ausziehungen im Bereich der Eminentia intercondylica und einem leicht verschmälertes Femoropatellargelenk mit Osteophyten (S. 13).

 

Aufgrund der Kraft- und Funktionseinschränkung der rechten Hand und des Handgelenkes, der Bewegungseinschränkung des rechten Schultergelenkes sowie der degenerativen Veränderungen der Halswirbelsäule und des linken Kniegelenkes sei die bisherige Tätigkeit seit dem 2. Mai 2018 dauerhaft nicht mehr möglich (S. 15 f.). Sämtliche leichten bis mittelschweren Tätigkeiten ohne Zwangshaltungen der Halswirbelsäule, häufiges Knien Hocken, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten sowie Über-Kopf-Arbeiten mit dem rechten Arm kämen 8,5 Stunden am Tag ohne Leistungseinbusse in Frage. Mit der rechten Hand sollten nur leichte grobmotorische Arbeiten ohne notwendigen kraftvollen Einsatz erfolgen (S. 15 + 16). Was den zeitlichen Verlauf dieser Arbeitsfähigkeit angehe, so sei eine vollständige Arbeitsunfähigkeit vom 2. Mai bis Ende Dezember 2018 angesichts der verzögerten postoperativen Heilung nachvollziehbar. Ab Januar 2019 hingegen werde aufgrund der schmerzbedingt verminderten Leistungsfähigkeit von einer Arbeitsfähigkeit von 50 % sowie ab Februar 2019 von 75 % ausgegangen. Während für die Dauer der stationären Rehabilitation vom 6. Juni bis 31. Juli 2019 keine Arbeitsfähigkeit bestanden habe, sei ab dem 1. August 2019 bis Ende Jahr wieder von einer Arbeitsfähigkeit von 75 % auszugehen (S. 16). Die einmalige glenohumerale Infiltration des rechten Schultergelenkes am 18. November 2019 habe eine deutliche Linderung der Schmerzen und eine mässige Verbesserung der Beweglichkeit bewirkt, so dass ab dem 1. Januar 2020 in einer leidensadaptierten Tätigkeit eine Arbeitsfähigkeit von 100 % erreicht worden sei (S. 17).

 

3.2.2.3 Nach dem neurologischen Teilgutachten von Dr. med. F.___, Facharzt für Neurologie (IV-Nr. 94.6), gab der Beschwerdeführer an, seit dem Unfall habe er ständige handschuhförmige Schmerzen im Bereich der rechten Hand mit Ausbreitung in die Schulter-Arm-Partien rechts. Bei warmen Aussentemperaturen sei die rechte Hand geschwollen, wenn es draussen kalt sei, habe er vermehrt Schmerzen. Nachts erwache er mehrmals, ab 4:00 bis 5:00 Uhr morgens könne er nicht mehr schlafen. Intermittierend trete auch eine Nackensteife auf und es komme zu Kopfschmerzen. Bei längerem Sitzen habe er vermehrt Beschwerden (S. 3). Der Sohn die Schwester besorgten den Haushalt, er allein schaffe das nicht (S. 4). Der Experte nannte als Inkonsistenz die bewusstseinsnahe Fehlinnervation im Bereich der rechten oberen Extremität, insbesondere der Handmuskulatur (S. 6). Die protrahierte Heilung nach der Verletzung der rechten Hand mit Resektion der proximalen Karpalreihe rechts und Radiusstyloid-Ektomie sei aus neurologsicher Sicht nicht erklärbar. Die Kriterien für ein CRPS 1 2 seien nicht erfüllt, eine periphere Nervenverletzung habe zu keinem Zeitpunkt vorgelegen. Für einen früher diskutierten algodystrophen Verlauf hätten sich schon während den Nachkontrollen keine Anhaltspunkte mehr ergeben. Das elektroneurographisch nachgewiesene leichte Karpaltunnelsyndrom rechts lasse sich nicht für das Beschwerdebild verantwortlich machen. Aufgrund der Fehlinnervation an der rechten oberen Extremität müsse von einem dysfunktionalen Umgang mit den Beschwerden ausgegangen werden. Eine verminderte Teilnahme am Alltagsleben sei nicht zu eruieren (S. 7). Sowohl die bisherige als auch eine angepasste Tätigkeit seien zu 100 % ohne Leistungseinschränkung möglich (S. 7 f.). Auf der neurologischen Ebene habe zu keinem Zeitpunkt eine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit bestanden (S. 8).

 

Im Rahmen der neuropsychologischen Untersuchung gelangte Dr. phil. G.___, Psychologischer Psychotherapeut und Fachpsychologe für Neuropsychologie FSP (IV-Nr. 94.6 S. 11 ff.), zum Schluss, es hätten sich Auffälligkeiten ergeben, die überwiegend wahrscheinlich auf eine negative Antwortverzerrung hinwiesen. Die erbrachten Leistungen stimmten nicht durchgängig mit dem eigentlichen Leistungspotenzial überein. Hinweise auf ein suboptimales Leistungsverhalten ergäben sich aus den durchgeführten Beschwerdevalidierungsverfahren sowie den Diskrepanzen zwischen den Testleistungen in verschiedenen Testverfahren und den bekannten Mustern von Hirnleistungen und Hirnleistungsstörungen. Da eine zuverlässige Interpretation der Resultate so nicht möglich sei, fehle es an objektivierbaren und reproduzierbaren Befunden, die eine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit valide begründen könnten (S. 16 f.).

 

3.2.2.4 Das psychiatrische Teilgutachten von H.___, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie (IV-Nr. 94.5), hielt fest, der Beschwerdeführer klage über Schmerzen an der rechten Hand, Vergesslichkeit, schmerzbedingte Schlafstörungen sowie tagsüber innerliche Aufregung und ein Schweregefühl (S. 2 f.). Haushalt und Alltag bewältige er meist allein, aber z.B. Bügeln, Öffnen von Konserven sowie Pedi- und Maniküre seien nicht mehr möglich (S. 4).

 

Der Beschwerdeführer sei auf dem Patientenstuhl bis zum Ende ohne zwischenzeitliches Aufstehen Herumgehen sitzen geblieben. Aufmerksamkeit und Langzeitgedächtnis schienen nicht gestört, während Merkfähigkeit und Kurzzeitgedächtnis beeinträchtigt seien. Der Beschwerdeführer sei wach, bewusstseinsklar und vollständig orientiert. Er spreche mit gut modulierter Stimme in adäquater Geschwindigkeit. Der formale Gedankengang scheine geordnet, wobei eine deutliche Grübelneigung hinsichtlich der Hand sowie des seinerzeitigen Betrugs durch die Ehefrau angegeben werde. In der Untersuchung zeigten sich keine Wahngedanken, Halluzinationen eine illusionäre Verkennung. Auch anamnestisch ergäben sich keine Hinweise für psychopathologische Auffälligkeiten. Eine Ich-Störung liege nicht vor. Das Intelligenzniveau imponiere, passend zur Schulbildung und zum beruflichen Werdegang, als durchschnittlich. Der Antrieb werde als leicht reduziert beschrieben, ohne Ambivalenz Ambitendenz. Stimmung und Affekt würden synthym unterstrichen. Psychomotorisch wirke der Beschwerdeführer zu Beginn angespannt, dann im Verlauf sichtlich entspannt (S. 5). Insgesamt präsentiere er sich euthym ohne Affektstarre, Interessenlosigkeit Anhedonie. Zwänge Hinweise auf ein agoraphobisches Vermeidungsverhalten fehlten. Für eine klinische relevante Persönlichkeitsakzentuierung resp. Persönlichkeitsstörung paranoide Denkinhalte fänden sich keine Anhaltspunkte. Was die Motivation angehe, so würde der Beschwerdeführer gerne wieder mehr arbeiten, sehe sich aber dazu derzeit nicht in der Lage. Die Libido sei vermindert und der Schlaf schmerzbedingt gestört. Mangels einer klinisch relevanten psychiatrischen Symptomatik habe man auf eine Psychometrie verzichtet (S. 6).

 

Klinisch stünden seit mehreren Jahren Schmerzen und Einschränkungen der rechten Hand im Vordergrund, die ihren Ausgangspunkt in physiologischen Prozessen hätten. Auch wenn mit einer deutlichen Schonhaltung sowie Problemen im Beruf zwei psychische Faktoren mit wesentlicher Bedeutung für Schweregrad, Exazerbation und Aufrechterhaltung vorlägen, könne im Hinblick auf die deutlich auffällige neuropsychologische Beschwerdevalidierung der Verdacht eines deutlichen Rentenbegehrens bei sekundärem Krankheitsgewinn nicht ausgeschlossen werden. Da dies als Ausschlusskriterium für eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren zu werten sei, könne diese Diagnose grundsätzlich nicht vergeben werden. Die Kriterien einer affektiven Störung wiederum würden bei einer nur leichten Antriebsminderung nicht erfüllt. Auch bleibe fraglich, ob eine Anpassungsstörung vorliege dies lediglich die Folge des eher monotonen Alltags des Beschwerdeführers darstelle. Die Angst in Menschenmengen mit innerlicher Unruhe als einziges Symptom einer leichten psychovegetativen Reaktion erfülle die Kriterien einer Agoraphobie nach ICD-10 ebenfalls nicht. Es fehle somit an einer psychiatrischen Diagnose. Bislang habe noch keine längerfristige psychiatrische psychotherapeutische Behandlung stattgefunden (S. 8). Sowohl die bisherige als auch eine andere Tätigkeit seien zu 100 % ohne Leistungseinbusse möglich. Auch im Verlauf habe keine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit aus psychiatrischen Gründen vorgelegen (S. 9 f.).

 

3.2.2.5 Die Sachverständigen stimmten in der interdisziplinären Beurteilung überein, dass die bisherige Arbeit seit dem 2. Mai 2018 nicht mehr in Frage komme, während eine angepasste Tätigkeit, welche den von der orthopädischen Expertin umschriebenen Anforderungen entspreche, seit dem 1. Januar 2020 vollzeitlich ohne Leistungseinbusse möglich sei (IV-Nr. 94.1 S. 8 f.). Zuvor sei der Beschwerdeführer vom 2. Mai bis 31. Dezember 2018 zu 100 %, im Januar 2019 zu 50 %, vom 1. Februar bis 5. Juni 2019 zu 25 %, vom 6. Juni bis 31. Juli 2019 zu 100 % sowie vom 1. August bis 31. Dezember 2019 zu 25 % arbeitsunfähig gewesen (S. 9).

 

3.2.3  Das B.___-Gutachten geniesst vollen Beweiswert, entspricht es doch sämtlichen Anforderungen der Rechtsprechung (s. dazu E. II. 2.3 hiervor): Es stammt von unabhängigen Fachärzten der einschlägigen medizinischen Disziplinen, welche fachlich qualifiziert sind, die gesundheitliche Situation und die Leistungsfähigkeit des Beschwerdeführers zu beurteilen. Weiter haben die Sachverständigen den Beschwerdeführer zu seinen subjektiven Beschwerden, seinen Lebensumständen sowie seiner Vorgeschichte befragt (IV-Nr. 94.3 S. 3 ff. / Nr. 94.4 S. 2 ff. / Nr. 94.5 S. 2 ff. / Nr. 94.6 S. 2 ff. und S. 11 f.), die objektiven Befunde erhoben (IV-Nr. 94.3 S. 6 ff. / Nr. 94.4 S. 5 f. / Nr. 94.5 S. 4 ff. / Nr. 94.6 S. 5 und S. 13 ff.) und die wesentlichen Akten zur Kenntnis genommen (IV-Nr. 94.2). Auf dieser Grundlage befassten sich die einzelnen Sachverständigen mit dem Gesundheitszustand und der Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers (IV-Nr. 94.3 S. 9 ff. / Nr. 94.4 S. 6 ff. / Nr. 94.5 S. 7 ff. / Nr. 94.6 S. 6 ff. und S. 16 f.). In der interdisziplinären Besprechung gelangten sie sodann zu einer gemeinsamen Beurteilung (IV-Nr. 94.1 S. 5 ff.), welche vor dem Hintergrund der objektivierbaren Befunde nachvollziehbar ist. Was gegen das Gutachten vorgebracht wird, dringt – wie nachfolgend zu zeigen ist – nicht durch.

 

3.2.3.1 Der Beschwerdeführer beruft sich einmal auf den Bericht der I.___ AG vom 5. Dezember 2022 (IV-Nr. 99 S. 16), dessen Erkenntnisse dem Gutachten widersprächen (A.S. 24 f. Ziff. 7). Die I.___ AG ist laut ihren eigenen Angaben eine selbstständige, nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten geführte Firma die Personen, welche von der öffentlichen Hand unterstützt und zugewiesen werden, eine Arbeitsintegrationsstruktur mit einfachen Arbeitsleistungen für regionale Betriebe bietet. Gemäss diesem Bericht war der Beschwerdeführer seit dem 6. April 2021 in der «Beschäftigung 1» angemeldet, wobei er aktuell im Industriebereich eingesetzt wurde:

·      Verarbeitung von einfachen Industrieaufträgen mittels manueller Tätigkeit

·      Einfache, repetitive Montagearbeiten

·      Allgemeine Nacharbeiten an mechanischen Bauteilen

Dem Beschwerdeführer sei es von Beginn an schwergefallen, sein Pensum von 50 % einzuhalten. Er habe sich immer wieder wegen Schmerzen im Arm abgemeldet resp. den Einsatz öfters frühzeitig beenden müssen. Für diese Ausfälle seien stets Arbeitsunfähigkeitszeugnisse vorgelegt worden. Um sich während der Ausfallzeiten nicht völlig zu Hause zu isolieren, habe der Beschwerdeführer zum Teil kurze Einsätze von ca. einer Stunde absolviert. Er zeige trotz der vielen krankheitsbedingten Absenzen Interesse und Motivation, doch würden seine gesundheitlichen Voraussetzungen ihn immer wieder zurückbinden. Seine Situation, verbunden mit den Schmerzen, belaste seine psychische Gesundheit stark, wie im Gespräch mit ihm immer wieder zum Ausdruck komme. Die Einschränkung seitens der rechten Hand erschwere die Arbeitsmöglichkeiten. Der Beschwerdeführer könne nur einarmig arbeiten. Für die beeinträchtigte Hand benötige er während der Arbeit stets eine Möglichkeit, diese geeignet und bequem aufzulegen. Sein Einsatzplatz werde dementsprechend eingerichtet. Dazu müssten oft Geräte zusätzlich fixiert und Konstruktionen zum Ablegen der Hand vorgenommen werden.

 

Nach der Rechtsprechung obliegt die abschliessende Beurteilung der sich aus einem Gesundheitsschaden ergebenden funktionellen Leistungsfähigkeit in der Hauptsache den ärztlichen Fachkräften. Allerdings darf den Ergebnissen leistungsorientierter beruflicher Abklärungen nicht jegliche Aussagekraft für die Beurteilung der Restarbeitsfähigkeit abgesprochen werden. Es wäre aber andererseits auch nicht sachgemäss, allein auf diese Evaluationen abzustellen, weil sie in der Regel auf berufspraktischen Beobachtungen beruhen, welche in erster Linie die dabei erhobene subjektive Arbeitsleistung der versicherten Person wiedergeben. Steht indessen eine medizinische Einschätzung der Leistungsfähigkeit in offensichtlicher und erheblicher Diskrepanz zu einer Leistung, wie sie während einer ausführlichen beruflichen Abklärung bei einwandfreiem Arbeitsverhalten und -einsatz der versicherten Person effektiv realisiert wurde und gemäss Einschätzung der Berufsfachleute objektiv realisierbar ist, vermag dies ernsthafte Zweifel an den ärztlichen Annahmen zu begründen und ist die Einholung einer klärenden medizinischen Stellungnahme grundsätzlich unabdingbar (Urteil 8C_217/2023 vom 1. September 2023 E. 4.1.1).

Der Bericht der I.___ AG ist ziemlich knapp ausgefallen. Er enthält namentlich keine näheren Angaben zum Umfang der gesundheitsbedingten Absenzen, zur Arbeitsleistung, welche während der Anwesenheit effektiv erbracht wurde, sowie zu den Anforderungen der verschiedenen Arbeitsplätze und den dort vorgenommenen Anpassungen. Dieser Bericht reicht daher nicht aus, um eine objektive gesundheitsbedingte Leistungseinbusse zu belegen, welche über die im ausführlichen ärztlichen Gutachten beschriebenen Einschränkungen hinausgeht. Bei der I.___ AG ging man vielmehr davon aus, dass der Beschwerdeführer durch die Schmerzen im rechten Arm beeinträchtigt sei, d.h. man stellte allein auf die subjektiven Angaben des Beschwerdeführers ab, ohne diese kritisch zu würdigen, was nicht angeht (s. dazu Meyer / Reichmuth, a.a.O., Art. 28a N 236). Wenn im Bericht lapidar von einer funktionellen Einarmigkeit die Rede ist, so ist festzuhalten, dass das Gutachten die Befunde und Beschwerden am rechten Arm resp. an der rechten Hand keineswegs ignoriert, sondern ihnen auf schlüssige Weise Rechnung trägt, indem nur leichte grobmotorische Verrichtungen ohne grossen Krafteinsatz in Frage kommen (E. II. 3.2.2.2 hiervor). Im Übrigen fällt auf, dass der Beschwerdeführer gegenüber den Sachverständigen der Gutachterstelle widersprüchliche Angaben zu seiner Arbeitstätigkeit machte. Bei der psychiatrischen Exploration am 16. Juni 2022 gab er an, dass er über den Sozialdienst im Sinne eines Beschäftigungsprogramms zwei Stunden in einer Fabrik arbeite (IV-Nr. 94.5 S. 3). Gegenüber dem neurologischen Experten erklärte der Beschwerdeführer am 29. Juni 2022 zunächst, er habe die vom Sozialamt zugewiesene Arbeit aufgrund vermehrter Beschwerden nicht ausführen können (IV-Nr. 94.6 S. 3), führte dann aber aus, von Montag bis Freitag übe er von 7:45 bis 9:45 Uhr in einer sozialen Institution verschiedene Tätigkeiten aus (S. 4). Anlässlich der internistischen Begutachtung vom 30. Mai 2022 wiederum erwähnte der Beschwerdeführer keinerlei Arbeitstätigkeit, sondern gab an, er verbringe den Tag zuhause, wenn er nicht einkaufe, Spaziergänge mache seine Schwester besuche (IV-Nr. 94.4 S. 4). Dies widerspricht jedoch dem Bericht der I.___ AG vom 5. Dezember 2022, wonach der Beschwerdeführer weiterhin bei ihr beschäftigt war, wenn auch mit wiederholten Arbeitsausfällen. Bei der orthopädischen Expertin schliesslich liess der Beschwerdeführer am 24. Mai 2022 verlauten, bislang habe kein Arbeitstraining stattgefunden. Er sei von einer Sozialstelle irgendwohin geschickt worden, aber er könne nicht so lange sitzen und den Kopf drehen. Die Konzentration sei schlecht gewesen, er habe sich nicht wohlgefühlt und nicht so gut sehen können (IV-Nr. 94.3 S. 4). Damit liegt ein Widerspruch zum I.___-Bericht vor, der die reduzierte Arbeitsleistung allein mit den Schmerzen in der rechten Hand und am rechten Arm begründet. Betrachtet man indes diese inkohärenten und eher vagen Aussagen des Beschwerdeführers, dann besteht umso mehr Anlass, seine Schmerzangaben und seine Arbeitsausfälle zu hinterfragen, was die Aussagekraft des I.___-Berichts noch zusätzlich mindert.

 

3.2.3.2 Der Beschwerdeführer rügt weiter, seit der Begutachtung seien anderthalb Jahre verstrichen (A.S. 23 Ziff. 6). Der Umstand, dass zwischen einem Gutachten und der Verfügung der IV-Stelle ein längerer Zeitraum liegt, bedeutet aber nicht, dass ein weiteres Gutachten einzuholen wäre, sofern keine Anhaltspunkte für eingetretene Änderungen vorliegen (Meyer / Reichmuth, a.a.O., Art. 28a N 194 unter Hinweis auf das Urteil des Bundesgerichts 9C_114/2017 vom 21. August 2017 E. 7.3.3, wo etwas mehr als zwei Jahre vergangen waren). Der Beschwerdeführer weist in diesem Zusammenhang auf den Bericht von Dr. med. J.___ (Facharzt für Orthopädische Chirurgie, Interventionelle Schmerztherapie und Sportmedizin) vom 27. Februar 2023 (IV-Nr. 111) hin, woraus eine Verschlechterung seit der Begutachtung hervorgehe (A.S. 23 f. Ziff. 6). Dieser Bericht diagnostizierte eine deutliche Kraft- und Funktionseinschränkung der rechten oberen Extremität, insbesondere der dominanten rechten Hand und des Handgelenkes mit / bei Status nach Resektion der proximalen Handwurzelreihe und Radius-Styloid-Ektomie vom 9. Juli 2018. Der Beschwerdeführer berichte, er habe keine Kraft in der rechten Hand. Bei Wärme schwelle diese an. Seit dem Unfall habe keine Arbeitsfähigkeit bestanden und die Therapie habe keine Besserung der Beschwerden bewirkt. Nun seien linksseitige Schulter- und Rückenschmerzen dazugekommen. Nachts erwache er aufgrund der Schmerzen und der Kribbelparästhesien der Handfläche. Klinisch bestehe eine deutliche Schwellung der gesamten rechten Hand, die druckdolent und überwärmt sei. Insgesamt zeigten sich sämtliche metacarpalia druckdolent. Es bestünden deutliche myofasciale Befunde und eine Druckdolenz der Gelenkskapsel in den Grundwirbelgelenken sowie auch in der Handwurzel. Das Bewegungsspiel der Hand sei deutlich eingeschränkt. Die Schulterbeweglichkeit sei beidseits nur bis zur Horizontalen möglich. Insgesamt bestehe sicherlich eine Arbeitsunfähigkeit im ungelernten Berufsbild des Maurers sowie für gröbere Arbeiten auf Baustellen. Weiterhin liege auch im Alltag eine deutliche Einschränkung in der Haushaltsführung vor, wobei der Beschwerdeführer angebe, bei genügendem Zeithorizont sämtliche Arbeit verrichten zu können.

 

In Bezug auf die rechte Hand stimmt die Diagnose von Dr. med. J.___ mit derjenigen im B.___-Gutachten überein, so dass sich insoweit keine relevante Veränderung ergibt. Richtig ist, dass Dr. med. J.___ eine Schwellung der rechten Hand festgestellt hat, welche bei der Begutachtung zwar geklagt worden war, aber damals klinisch nicht bestätigt werden konnte. Daraus vermag der Beschwerdeführer aber nichts zu seinen Gunsten abzuleiten. Es ist davon auszugehen, dass das gutachterliche Zumutbarkeitsprofil auch eine solche Symptomatik abdecken würde, schliesst es doch Verrichtungen aus, welche über einen limitierten Gebrauch der rechten Hand hinausgehen (s. E. II. 3.2.2.2 hiervor). Was die Schmerzen und Einschränkungen am Rücken und an der linken Schulter angeht, welche neu aufgetreten sein sollen, unternimmt Dr. med. J.___ keinen Versuch, diese diagnostisch einzuordnen und zu plausibilisieren, z.B. indem er radiologische Aufnahmen einbezieht prüft, ob das beobachtete Verhalten des Beschwerdeführers konsistent ist. In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, dass die Berichte behandelnder Ärzte mit Vorbehalt zu würdigen sind, da diese mitunter dazu neigen können, die (Schmerz-)Angaben ihrer Patienten zu unkritisch zu übernehmen (s. E. II. 2.3 in fine hiervor). Im Übrigen äussert sich Dr. med. J.___ nur zur bisherigen Tätigkeit und vergleichbaren Arbeiten auf Baustellen, welche er in Einklang mit dem Gutachten als nicht mehr zumutbar ansieht. Auf die Arbeitsfähigkeit in einer angepassten Tätigkeit geht er demgegenüber nicht ein. Insbesondere behauptet er nicht, diese Arbeitsfähigkeit sei mittlerweile stärker eingeschränkt als im B.___-Gutachten festgestellt worden war. Gegen eine Verschlimmerung spricht, dass der Beschwerdeführer nun angab, mit genügend Zeit könne er alle Haushaltsarbeiten erledigen, während er bei der Begutachtung noch erklärt hatte, gewisse Verrichtungen seien ihm nicht mehr möglich (E. II. 3.2.2.2 hiervor). Vor diesem Hintergrund ist der Bericht von Dr. med. J.___ nicht geeignet, eine gesundheitliche Verschlechterung im Nachgang zur Begutachtung zu belegen.

 

3.2.3.3 Der Beschwerdeführer bringt sodann vor, er habe nach der Begutachtung erstmals eine psychiatrische Behandlung aufgenommen (A.S. 24 + 38 f.). Aus dem Bericht des Zentrums für Psychiatrie und Psychotherapie K.___ vom 23. Oktober 2023 (A.S. 40 f.) erhellt, dass der Beschwerdeführer seit dem 26. April 2023 von einem Psychologen behandelt wurde. In der Regel finde eine Sitzung pro Monat statt, in Krisenzeiten hingegen ein bis zwei pro Woche. Ein Gespräch mit einem Psychiater sei einmalig am 5. Juli 2023 erfolgt. Es liege eine schwere depressive Episode vor (ICD-10 F32.2) nebst einiger Z-Kodierungen wie Arbeitslosigkeit. Gegenwärtig stelle man eine erhöhte Stressanfälligkeit, eine Ermüdbarkeit und eine verminderte Konzentration fest. Man gehe von der Hypothese aus, dass die Inaktivität und die soziale Isolation schädlich für die psychische Gesundheit seien. Eine Unterstützung durch die Invalidenversicherung wäre geeignet, die Lebensqualität deutlich zu verbessern.

 

Nachdem im B.___-Gutachten keine psychischen Leiden festgestellt worden waren, würde die neue Diagnose einer schweren depressiven Episode in der Tat eine bedeutsame Verschlechterung darstellen. Der Bericht des Zentrums K.___ vermag jedoch nicht zu überzeugen. Er ist recht knapp, enthält keinen ausführlichen Psychostatus und geht weder auf die Ausprägung der erfassten Symptome noch auf die spezifischen Kriterien einer schweren depressiven Episode gemäss dem Diagnosemanual ICD-10 ein, obwohl die dortige Kodierung F32.2 angegeben wird. Die fragliche Diagnose ist daher mangels einer ausreichenden Herleitung für das Gericht nicht nachvollziehbar; dies umso mehr, als eine schwere depressive Episode nicht mit den im Bericht erwähnten wenigen Befunden korrespondiert. Gegen eine schwere psychische Erkrankung spricht einerseits, dass mit in der Regel monatlichen Therapiesitzungen von einer engmaschigen und intensiven Behandlung einer Depression keine Rede sein kann (vgl. Urteil des Bundesgerichts 8C_814/2016 vom 3. April 2017 E. 5.3.2 sowie Urteil des Bundesverwaltungsgerichts C-4248/2019 vom 27. Juli 2021 E. 6.4.2.2); wie oft es zu Krisensituationen mit häufigeren Terminen kommt, wird nicht gesagt, ebenso wie unklar bleibt, was die Gespräche beinhalten und wie die Behandlung bisher verlaufen ist. Andererseits lässt sich dem Bericht nicht entnehmen, dass dem Beschwerdeführer Psychopharmaka verschrieben worden wären, was ebenfalls auf keinen grossen Leidensdruck hindeutet. Hinzu kommt, dass die psychologische Behandlung erst nach dem Vorbescheid vom 8. November 2022 angetreten worden war. Dies erweckt im Rahmen des Gesamtbilds den Eindruck, dass der Entscheid zur fraglichen Behandlung durch das laufende Versicherungsverfahren beeinflusst worden war und damit nicht als Indiz für einen tatsächlichen Leidensdruck gelten kann (Urteil des Bundesgerichts 8C_104/2021 vom 27. Juni 2022 E. 5.1.5). Im Übrigen ist auch hier zu berücksichtigen, dass Berichte behandelnder Ärzte mit Zurückhaltung zu würdigen sind (E. II. 2.3 in fine hiervor).

 

3.2.3.4 Schliesslich macht der Beschwerdeführer geltend, die rückwirkende Beurteilung der Arbeitsfähigkeit in einer angepassten Tätigkeit durch die orthopädische B.___-Gutachterin (E. II. 3.2.2.2 in fine hiervor) überzeuge nicht. Beim Ablauf des Wartejahrs im Mai 2019 habe eine Arbeitsunfähigkeit bestanden, wie auch der stationäre Aufenthalt in der Rehaklinik L.___ vom 6. Juni bis 31. Juli 2019 zeige, weshalb zumindest eine befristete Rente zu gewähren sei (A.S. 28 f. Ziff. 11). In den Akten finden sich jedoch keine echtzeitlichen Arztberichte, welche ab Januar 2019 in einer adaptierten Tätigkeit eine weitergehende Arbeitsunfähigkeit als das B.___-Gutachten attestieren. Der Austrittsbericht der Rehaklinik L.___ vom 23. August 2019 ging davon aus, dass leichte bis mittelschwere Arbeiten ganztags möglich seien. Ausgeschlossen seien Tätigkeiten, die hohe Anforderungen an die Fein- und Zielmotorik der dominanten rechten Hand stellen und einen festen Faustschluss erfordern würden, sowie Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten (IV-Nr. 41 S. 5 unten). Dies deckt sich im Grundsatz mit dem im B.___-Gutachten formulierten Zumutbarkeitsprofil, wonach nur leichte grobmotorische Arbeiten ohne einen kraftvollen Einsatz der rechten Hand in Frage kommen (E. II. 3.2.2.2 in fine hiervor). Was die Zeit bis Ende Juli 2019 angeht, so gelangte der Suva-Kreisarzt Dr. med. M.___, Facharzt für Chirurgie, nach der Untersuchung vom 8. Mai 2019 zum Schluss, aktuell sei eine angepasste leichte bis mittelschwere, vorzugsweise wechselbelastende Arbeit prinzipiell mit einer ganztägigen Arbeitsplatzpräsenz zumutbar. Die rechte Hand könne dabei lediglich ohne Kraft als Hilfshand eingesetzt werden, ein kraftvoller Gebrauch mit kräftigem Zupacken komme nicht in Frage. Auch feinmotorische Tätigkeiten mit der rechten Hand seien derzeit noch nicht möglich. Nicht zumutbar seien sodann Tätigkeiten mit dem Einsatz der rechten Hand über Schulterniveau (IV-Nr. 35.2 S. 8). Es trifft zwar zu, dass der Kreisarzt im gleichen Bericht festhielt, es könnte Kostengutsprache für eine berufsorientierte Rehabilitation in L.___ während sechs bis acht Wochen erteilt werden (S. 8 unten). Ob eine Rückkehr in die bisherige Tätigkeit möglich sein werde, lasse sich gegenwärtig nicht abschliessend beurteilen, sei insgesamt aber mehr als fraglich (S. 9 oben). Daraus ergibt sich indes nichts für den Beschwerdeführer. Dr. med. M.___ machte die Arbeitsfähigkeit in einer angepassten Tätigkeit nicht von einer vorhergehenden Behandlung abhängig. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer in der Folge in der Rehaklinik L.___ behandelt wurde, bedeutet entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht, dass eine umfassende Arbeitsunfähigkeit bestanden haben muss; da seinerzeit noch offen war, ob die Arbeitsfähigkeit in der bisherigen Tätigkeit wiederhergestellt werden kann nicht, machte ein Rehabilitationsversuch unabhängig davon Sinn, ob auch in einer Alternativbeschäftigung eine Arbeitsunfähigkeit bestand. Während seines Aufenthalts in L.___ wurde der Beschwerdeführer vom Handchirurgen PD Dr. med. N.___ untersucht, welcher am 11. Juli 2019 festhielt, eine Beurteilung der Arbeitsfähigkeit könne erst nach dem Abschluss der Behandlung erfolgen (IV-Nr. 41 S. 4 f.). Daraus vermag der Beschwerdeführer aber nichts für sich abzuleiten. PD Dr. med. N.___ äusserte sich nicht konkret zu einer Verweistätigkeit. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Suva den Fall des Beschwerdeführers damals noch nicht abgeschlossen hatte und ihm Taggelder der Unfallversicherung ausrichtete. Dieser Leistungsanspruch setzt eine volle teilweise Arbeitsunfähigkeit im Sinne von Art. 6 ATSG voraus (Art. 16 Abs. 1 Bundesgesetz über die Unfallversicherung / UVG, SR 832.20), d.h. grundsätzlich eine Arbeitsunfähigkeit im bisherigen Beruf (Art. 6 Abs. 1 ATSG). Die zumutbare Tätigkeit in einem anderen Beruf wird erst bei einer langen Dauer der Arbeitsunfähigkeit in der bisherigen Tätigkeit berücksichtigt (Art. 6 Satz 2 ATSG); diesfalls ist die versicherte Person unter Einräumung einer angemessenen Übergangsfrist zu einem Berufswechsel aufzufordern (Urteil des Bundesgerichts 8C_489/2021 vom 8. Februar 2022 E. 5), was hier nicht geschehen ist. Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, dass sich PD Dr. med. N.___ auf die damals interessierende Arbeitsfähigkeit in der bisherigen Tätigkeit bezog. Seine Bemerkung vom 11. Juli 2019, die Handgelenksbeweglichkeit sollte noch nicht forciert werden (IV-Nr. 41 S. 4), heisst nicht, dass die im B.___-Gutachten attestierte Arbeitsfähigkeit in einer adaptierten Tätigkeit für den damaligen Zeitraum unzutreffend ist. Da das gutachterliche Zumutbarkeitsprofil den Einsatz der rechten Hand in Übereinstimmung mit dem Kreisarzt ohnehin nur in einem beschränkten Rahmen vorsieht, wurde der reduzierten Beweglichkeit bereits Rechnung getragen.

 

Der Beschwerdeführer wendet ein, die B.___-Gutachterin begründe ihre Beurteilung der Arbeitsfähigkeit nicht, sondern übernehme einfach die Auffassung des Kreisarztes, welcher sich allein auf das rechte Handgelenk beziehe, nicht aber auf die geschädigte rechte Schulter. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden. Der Kreisarzt diagnostizierte einerseits eine frozen shoulder, stellte die eingeschränkte Beweglichkeit des rechten Schultergelenks fest und schloss Verrichtungen über Schulterhöhe aus (IV-Nr. 35.2 S. 7 + 8). Im Vordergrund steht jedoch, dass die orthopädische Gutachterin ausdrücklich die Beschwerden des rechten Schultergelenks, der Halswirbelsäule sowie des linken Kniegelenks in ihre Beurteilung der Arbeitsfähigkeit einbezog. Entgegen der Darstellung des Beschwerdeführers schloss sie sich keineswegs ohne eigene Prüfung dem Kreisarzt an. Die Gutachterin wich vielmehr von dessen Beurteilung insoweit ab, als sie nicht schon vor dem Rehabilitationsaufenthalt ab 6. Juni 2019 eine volle Arbeitsfähigkeit in einer angepassten Tätigkeit attestierte; stattdessen nahm sie unter Hinweis auf die Schmerzen des Beschwerdeführers eine differenzierte Würdigung vor, indem sie ab 1. Januar 2019 eine teilweise Arbeitsfähigkeit von 50 % bescheinigte, welche sich im weiteren Verlauf (abgesehen vom Aufenthalt in L.___) auf 75 % erhöhte. Erst nach der erfolgreichen Schulterinfiltration ging die Gutachterin davon aus, dass eine adaptierte Arbeit ab Januar 2020 ohne Einschränkung möglich ist. Diese Abstufung der Arbeitsfähigkeit erscheint als plausibel und nachvollziehbar. In diesem Zusammenhang darf nicht übersehen werden, dass die medizinische Folgenabschätzung notgedrungen eine hohe Variabilität aufweist und unausweichlich Ermessenszüge trägt (Urteil des Bundesgerichts 8C_537/2023 vom 17. April 2024 E. 3.3.2 in fine). Gerade eine retrospektive Beurteilung von Gesundheitszustand und Arbeitsfähigkeit ist naturgemäss mit Unsicherheiten behaftet. Gleichwohl kann auf solche Beurteilungen abgestellt werden, wenn diese wie hier genügend begründet sind (vgl. Urteil des Bundesgerichts 9C_452/2022 vom 10. Januar 2023 E. 4.1). Somit besteht auch unter diesem Blickwinkel kein Anlass, von der retrospektiven Beurteilung der Arbeitsfähigkeit im B.___-Gutachten abzuweichen.

 

3.3     Nach dem Beweisergebnis ist mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erstellt, dass der Beschwerdeführer zwar seine angestammte Tätigkeit als Gipser seit dem 2. Mai 2018 nicht mehr ausüben kann. Im Hinblick auf eine den Leiden am Bewegungsapparat angepasste Tätigkeit war er demgegenüber wie folgt arbeitsfähig:

·      2. Mai bis 31. Dezember 2018:                            0 %

·      1. bis 31. Januar 2019:                                      50 %

·      1. Februar bis 5. Juni 2019:                               75 %

·      6. Juni bis 31. Juli 2019:                                      0 %

·      1. August bis 31. Dezember 2019:                    75 %

·      ab 1. Januar 2020:                                           100 %

 

4.       Für die Bestimmung des Invaliditätsgrades wird das Erwerbseinkommen, das die versicherte Person nach Eintritt der Invalidität und nach Durchführung der medizinischen Behandlung und allfälliger Eingliederungsmassnahmen durch eine ihr zumutbare Tätigkeit bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage erzielen könnte (Invalideneinkommen) in Beziehung gesetzt zum Erwerbseinkommen, das sie erzielen könnte, wenn sie nicht invalid geworden wäre (Valideneinkommen, Art. 16 ATSG). Dieser Einkommensvergleich hat in der Regel in der Weise zu erfolgen, dass die beiden hypothetischen Erwerbseinkommen ziffernmässig möglichst genau ermittelt und einander gegenübergestellt werden, worauf sich aus der Einkommensdifferenz der Invaliditätsgrad ergibt (Urteil des Bundesgerichts 9C_354/2021 vom 3. November 2021 E. 4.1). Massgebend sind die Verhältnisse im Zeitpunkt des Rentenbeginns, hier also der 1. Mai 2019 (E. II. 2.2.3.2 hiervor), wobei die Vergleichseinkommen auf zeitidentischer Grundlage zu erheben sind (Urteil des Bundesgerichts 8C_450/2020 vom 15. September 2020 E. 4.2.5)

 

4.1     Die Beschwerdegegnerin setzte das Valideneinkommen in der angefochtenen Verfügung per 1. Mai 2019 auf CHF 71'721.00 und per 1. Januar 2020 (als sich die Arbeitsfähigkeit verbesserte, s. E. II. 3.3 hiervor) auf CHF 72'170.00 fest (A.S. 2), wobei sie richtigerweise an die Lohnangaben der Arbeitgeberin C.___ AG anknüpfte. Dagegen erhebt der Beschwerdeführer keine Einwände.

 

4.2

4.2.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, in seinem Fall wäre die Verwertbarkeit einer Arbeitsfähigkeit fraglich. Ob es für ihn angepasste Hilfsarbeiten gebe, könne erst nach beruflichen Abklärungen gesagt werden, welche die Beschwerdegegnerin versäumt habe (A.S. 25 f. Ziff. 8).

 

Das trotz der gesundheitlichen Beeinträchtigung zumutbarerweise erzielbare Invalideneinkommen ist bezogen auf einen ausgeglichenen Arbeitsmarkt zu ermitteln, wobei an die Konkretisierung von Arbeitsgelegenheiten und Verdienstaussichten keine übermässigen Anforderungen zu stellen sind (BGE 138 V 457 E. 3.1 S. 459 f.). Massgeblich ist mit anderen Worten ein von den konjunkturellen Verhältnissen abstrahierter Arbeitsmarkt, der ein gewisses Gleich-gewicht zwischen Angebot und Nachfrage an Stellen beinhaltet und einen Fächer verschiedenartiger, auch körperlich leichter und intellektuell weniger anspruchsvoller Arbeitsplätze bereithält. Dabei darf nicht von realitätsfremden Einsatzmöglichkeiten ausgegangen werden; der ausgeglichene Arbeitsmarkt umfasst indes auch sogenannte Nischenarbeitsplätze, also Stellenangebote, bei denen Behinderte mit einem sozialen Entgegenkommen von Seiten des Arbeitgebers rechnen können (Urteil des Bundesgerichts 8C_458/2018 vom 23. Oktober 2018 E. 4.2). Da es sich beim ausgeglichenen Arbeitsmarkt um eine theoretische Grösse handelt, kann eine Unverwertbarkeit der verbliebenen Leistungsfähigkeit nicht leichthin angenommen werden (Urteil des Bundesgerichts 9C_366/2021 vom 3. Januar 2022 E. 4.2). Ob es für die versicherte Person im Einzelfall schwierig gar unmöglich ist, auf dem tatsächlichen Arbeitsmarkt eine entsprechende Stelle zu finden, ist unerheblich (Urteil des Bundesgerichts 9C_39/2022 vom 24. März 2022 E. 4.2). Von einer verwertbaren Arbeitsfähigkeit kann aber dort nicht gesprochen werden, wo die zumutbare Tätigkeit nur in so eingeschränkter Form möglich ist, dass sie der ausgeglichene Arbeitsmarkt praktisch nicht kennt sie nur unter nicht realistischem Entgegenkommen eines durchschnittlichen Arbeitgebers möglich und das Finden einer entsprechenden Stelle daher zum vorneherein als ausgeschlossen erscheint (Urteil des Bundesgerichts 9C_366/2021 vom 3. Januar 2022 E. 4.2). Die Rechtsprechung geht davon aus, dass der ausgeglichene Arbeitsmarkt auch für funktionell einarmige Personen ausreichend realistische Beschäftigungsmöglichkeiten bietet, etwa Prüf- und Kontrolltätigkeiten die Bedienung und Überwachung von automatischen Maschinen und Produktionseinheiten, die mit keinerlei körperlicher Anstrengung verbunden sind (Urteile des Bundesgerichts 9C_39/2022 vom 24. März 2022 E. 4.2 und 8C_495/2019 vom 11. Dezember 2019 E. 4.2.2; Meyer / Reichmuth, a.a.O., Art. 28a N 138). Vor diesem Hintergrund darf auch ohne zusätzliche Erhebungen davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer in der Lage ist, seine Restarbeitsfähigkeit zu verwerten.

 

4.2.2  Die Beschwerdegegnerin zog für das Invalideneinkommen die statistischen Durchschnittslöhne der Lohnstrukturerhebung des Bundesamtes für Statistik (LSE) heran, was der Beschwerdeführer im Grundsatz nicht beanstandet. Gestützt auf die Tabelle TA1_tirage_skill_level, Kompetenzniveau 1 (einfache Tätigkeiten körperlicher handwerklicher Art), bezogen auf den gesamten privaten Sektor (s. dazu Meyer / Reichmuth, a.a.O., Art. 28a N 101), berechnete die Beschwerdegegnerin per 2019 – bei einer Arbeitsfähigkeit von 75 % – ein Einkommen von CHF 51'260.00 sowie per 2020 – bei einer vollen Arbeitsfähigkeit – von CHF 65'815.00 (A.S. 2). Diesbezüglich wendet der Beschwerdeführer ein, bei ihm würden alle produktionsnahen Tätigkeiten ausser Betracht fallen (A.S. 28 Ziff. 10). Er ist jedoch entgegen dieser Auffassung durchaus in der Lage, in der Produktion zu arbeiten, wo er Prüf- und Kontrolltätigkeiten ausführen und automatische Maschinen bedienen könnte (s. E. II. 4.2.1 in fine hiervor). Damit besteht kein Anlass, nur den Durchschnittslohn im Dienstleistungssektor zu berücksichtigen. Weiter verlangt der Beschwerdeführer, es sei die LSE 2020 zu verwenden. Bei der Berechnung per 1. Januar 2020 hat die Beschwerdegegnerin dies jedoch bereits getan, während es selbstverständlich nicht angeht, für die Berechnung per 1. Mai 2019 statistische Werte heranzuziehen, die sich auf ein späteres Jahr beziehen.

 

4.2.3 Praxisgemäss ist es beim Invalideneinkommen zulässig, vom nach Tabellenwerten ermittelten Durchschnittslohn Abzüge von bis zu 25 % vorzunehmen. Damit soll der Tatsache Rechnung getragen werden, dass persönliche und berufliche Merkmale (wie Art und Ausmass der Behinderung, Lebensalter, Dienstjahre, Nationalität Aufenthaltskategorie und Beschäftigungsgrad) Auswirkungen auf die Lohnhöhe haben können und die versicherte Person ihre verbliebene Arbeitsfähigkeit deswegen auch auf einem ausgeglichenen Arbeitsmarkt nur mit unterdurchschnittlichem erwerblichem Erfolg verwerten kann (BGE 135 V 297 E. 5.2 S. 301, 126 V 75 E. 5a/cc S. 78, E. 5b S. 79 und E. 5b/aa in fine S. 80). Dem Abzug kommt demnach als Korrekturinstrument bei der Festsetzung eines möglichst konkreten Invalideneinkommens überragende Bedeutung zu (BGE 148 V 174 E. 9.2.2 und E. 9.2.3 S. 190 ff.). Er soll aber nicht automatisch erfolgen. Der Abzug ist vielmehr unter Würdigung der Umstände im Einzelfall nach pflichtgemässem Ermessen gesamthaft zu schätzen (BGE 126 V 75 E. 5b/bb + cc S. 80). Dabei können grundsätzlich nur Umstände berücksichtigt werden, die auch auf einem ausgeglichenen Arbeitsmarkt als ausserordentlich zu bezeichnen sind (Urteil des Bundesgerichts 8C_495/2019 vom 11. Dezember 2019 E. 4.2.2).

 

Die Beschwerdegegnerin nahm in der angefochtenen Verfügung einen Abzug von 10 % vom Tabellenlohn vor (A.S. 2). Der Beschwerdeführer hält demgegenüber den Maximalabzug von 25 % für angemessen, da er faktisch einhändig sei (A.S. 27). Das Bundesgericht hat indes selbst bei einer funktionellen Einarmigkeit Einhändigkeit auch schon Abzüge von (nur) 10 15 % als angemessen bezeichnet (Urteile des Bundesgerichts 8C_706/2022 vom 5. Dezember 2023 E. 6.3.2.1 und 8C_383/2020 vom 21. September 2020 E. 4.2.2). Die fehlende Ausbildung und die fehlenden Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers wiederum wirken sich auf dem Kompetenzniveau 1 nicht lohnmindernd aus (Urteil des Bundesgerichts 8C_192/2022 vom 7. Juli 2022 E. 7.2.2 und 8C_627/2021 vom 25. November 2021 E. 7.2). Hingegen trifft es zu, dass Ausländer ohne Kaderfunktion mit der Niederlassungsbewilligung C, wie es beim Beschwerdeführer der Fall ist (s. IV-Nr. 3), im Medianwert mit CHF 5'764.00 resp. 5'899.00 weniger verdienen als Schweizer und Ausländer zusammen mit CHF 5'941.00 resp. 6'032.00 (TA12, https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/kataloge-datenbanken/tabellen.assetdetail.21224990.html, Website zuletzt besucht am 16. Juli 2024). Die Beschwerdegegnerin hält dafür, dieser Umstand sei mit dem Abzug von 10 % berücksichtigt worden (A.S. 4). Man könnte sich zwar fragen, ob nicht ein Abzug von insgesamt 15 % angezeigt wäre. Daraus würde sich aber nichts für den Beschwerdeführer ergeben, da mit einem Invaliditätsgrad von 39,42 % per 1. Mai 2019 resp. 22,48 % per 1. Januar 2020 nach wie vor kein Rentenanspruch bestünde.

 

5.       Zusammenfassend stellt sich die Beschwerde als unbegründet heraus und ist abzuweisen.

 

6.       Bei diesem Verfahrensausgang steht dem Beschwerdeführer keine Parteientschädigung zu. Die Beschwerdegegnerin wiederum hat als mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betraute Organisation – abgesehen von hier nicht interessierenden Ausnahmen – keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung (vgl. etwa BGE 128 V 133 E. 5b, 126 V 150 E. 4a).

 

7.       Das Beschwerdeverfahren vor dem Versicherungsgericht ist kostenpflichtig, sofern es sich wie hier um Streitigkeiten betreffend die Bewilligung Verweigerung von Leistungen der Invalidenversicherung handelt. Die Kosten werden nach dem Verfahrensaufwand und unabhängig vom Streitwert im Rahmen von CHF 200.00 bis 1‘000.00 festgelegt (Art. 69 Abs. 1bis IVG). Im vorliegenden Fall hat der unterlegene Beschwerdeführer die Verfahrenskosten von CHF 1’000.00 zu bezahlen, welche mit dem geleisteten Kostenvorschuss in gleicher Höhe verrechnet werden.

Demnach wird erkannt:

1.    Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.    Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen.

3.    Der Beschwerdeführer hat die Verfahrenskosten von CHF 1'000.00 zu bezahlen. Dieser Betrag wird mit dem geleisteten Kostenvorschuss in Höhe von CHF 1'000.00 verrechnet.

4.    Je eine Kopie des Protokolls der Verhandlung vom 16. Juli 2024 geht zur Kenntnisnahme an die Parteien.

5.    Das Doppel der Kostennote des Vertreters des Beschwerdeführers vom 16. Juli 2024 geht zur Kenntnisnahme an die Beschwerdegegnerin.

Rechtsmittel

Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit der Mitteilung beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten eingereicht werden (Adresse: Bundesgericht, Schweizerhofquai 6, 6004 Luzern). Die Frist beginnt am Tag nach dem Empfang des Urteils zu laufen und wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar (vgl. Art. 39 ff., 82 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes, BGG). Bei Vor- und Zwischenentscheiden (dazu gehört auch die Rückweisung zu weiteren Abklärungen) sind die zusätzlichen Voraussetzungen nach Art. 92 93 BGG zu beachten.

 

Versicherungsgericht des Kantons Solothurn

Der Vizepräsident                     Der Gerichtsschreiber

Flückiger                                   Haldemann



 
Quelle: https://gerichtsentscheide.so.ch/
Wollen Sie werbefrei und mehr Einträge sehen? Hier geht es zur Registrierung.

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

Hier geht es zurück zur Suchmaschine.