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Urteil Verwaltungsgericht (SO - VSBES.2023.211)

Kopfdaten
Kanton:SO
Fallnummer:VSBES.2023.211
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Versicherungsgericht
Verwaltungsgericht Entscheid VSBES.2023.211 vom 19.04.2024 (SO)
Datum:19.04.2024
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:-
Zusammenfassung:Der 1983 geborene A.___ hat sich aufgrund von Hüftproblemen bei der IV-Stelle des Kantons Solothurn angemeldet. Nach verschiedenen Abklärungen wurde festgestellt, dass er in einer angepassten Verweistätigkeit 100 % arbeitsfähig ist. Trotz weiterer Eingliederungsmassnahmen wurde nur ein Pensum von 50 % erreicht. Die IV-Stelle lehnte sein Leistungsbegehren ab, woraufhin A.___ Beschwerde einreichte. Das Versicherungsgericht bewilligte ihm die unentgeltliche Rechtspflege. Die Beschwerdegegnerin verzichtete auf eine begründete Antwort, und das Gericht wies die Beschwerde ab, da keine aussergewöhnlichen Schwierigkeiten vorlagen, die eine anwaltliche Vertretung erfordert hätten. A.___ wurde keine Parteientschädigung zugesprochen, aber die Kosten für seinen unentgeltlichen Rechtsbeistand wurden festgesetzt.
Schlagwörter: Recht; Verfahren; IV-Nr; Verbeiständung; Verwaltung; Urteil; Verwaltungsverfahren; Rechtsbeistand; Bundesgericht; Gutachten; Vertretung; Versicherungsgericht; Eingliederung; Verfügung; Bundesgerichts; Schwierigkeit; Gericht; Rechtsanwalt; Beschwerdeführers; Notwendigkeit; Anspruch; Komplexität; Gewährung; Rechtspflege; Akten; Kanton; Solothurn; Person
Rechtsnorm: Art. 123 ZPO ; Art. 37 ATSG ; Art. 43 ATSG ;
Referenz BGE:125 V 32; 125 V 351; 132 V 200; 139 V 600;
Kommentar:
-
Entscheid
 
Geschäftsnummer: VSBES.2023.211
Instanz: Versicherungsgericht
Entscheiddatum: 19.04.2024 
FindInfo-Nummer: O_VS.2024.88
Titel: Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege

Resümee:

 

 

 

 

 

 

 


Urteil vom 19. April 2024

Es wirken mit:

Präsidentin Weber-Probst

Gerichtsschreiberin Yalcin

In Sachen

A.___, vertreten durch Rechtsanwalt Josef Flury

Beschwerdeführer

 

gegen

IV-Stelle Solothurn, Allmendweg 6, 4528 Zuchwil,

Beschwerdegegnerin

betreffend     Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege (Verfügung vom 7. Juli 2023)

 


 

zieht die Präsidentin des Versicherungsgerichts in Erwägung:

I.        

 

1.      Der 1983 geborene A.___ (nachfolgend: Beschwerdeführer) meldete sich am 26. September 2016 unter Hinweis auf Hüftprobleme aufgrund eines Hüftdistorsionstraumas bei der IV-Stelle des Kantons Solothurn (nachfolgend: Beschwerdegegnerin) zum Leistungsbezug an (Akten der IV-Stelle [IV-Nr. 2). Die Beschwerdegegnerin traf in der Folge verschiedene medizinische sowie erwerbliche Abklärungen und veranlasste berufliche Eingliederungsmassnahmen. Mit Abschlussbericht vom 15. Oktober 2019 (IV-Nr. 39) hielt die Eingliederungsfachperson der Beschwerdegegnerin fest, der Beschwerdeführer sei gemäss der Mitteilung der Unfallversicherung vom 9. Oktober 2019 in einer angepassten Verweistätigkeit 100 % arbeitsfähig. Die Eingliederungsfachperson habe den Eindruck, dass der Beschwerdeführer viel mehr leisten könne und er subjektiv von seiner Krankschreibung überzeugt sei. Zwischendurch habe die Eingliederungsfachperson auch den Eindruck gehabt, dass seitens des Beschwerdeführers eine Aggravation vorhanden sei. Nach der Stagnation der IV-Massnahme, der Vernetzung mit dem RAV und der Stellungnahme der Unfallversicherung, schliesse die Eingliederung den Fall ab. Nach Rücksprache mit dem Regionalen Ärztlichen Dienst (RAD; vgl. Stellungnahme vom 26. April 2021 [IV-Nr. 68]) liess die Beschwerdegegnerin den Beschwerdeführer bei der Begutachtungsstelle B.___ (nachfolgend: B.___) in den Fachrichtungen Allgemeine Innere Medizin, Orthopädie, Neurologie und Psychiatrie begutachten. Das polydisziplinäre Gutachten wurde am 7. Dezember 2021 erstattet (IV-Nrn. 92.1 – 92.4). Nachdem der Beschwerdeführer erneut einen Antrag für berufliche Eingliederungsmassnahmen gestellt hatte (vgl. IV-Nr. 94), veranlasste die Beschwerdegegnerin in der Folge ein Aufbautraining sowie ein Arbeitstraining (vgl. IV-Nrn. 105, 113, 127). Mit Abschlussbericht vom 25. November 2022 (IV-Nr. 133) hielt die Eingliederungsfachperson der Beschwerdegegnerin fest, nach polydisziplinärer Begutachtung im Dezember 2021 (100%ige Arbeitsfähigkeit in angepasster Tätigkeit) und danach folgenden weiteren Eingliederungsmassnahmen sei lediglich ein Pensum von 50 % erreicht worden. Weitere berufliche Massnahmen erschienen nicht zielführend; die berufliche Eingliederung könne abgeschlossen werden. Nach Vorlage des Dossiers an den RAD (IV-Nr. 137) stellte die Beschwerdegegnerin dem Beschwerdeführer mit Vorbescheid vom 16. März 2023 (IV-Nr. 144) gestützt auf einen Invaliditätsgrad von 7 % die Abweisung seiner Leistungsbegehren in Aussicht. Dagegen liess der Beschwerdeführer am 5. Mai 2023 Einwand erheben (IV-Nr. 148); zudem wurde für das Einwandverfahren um Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung ersucht (vgl. auch IV-Nr. 147). Mit Verfügung vom 26. Juni 2023 (IV-Nr. 153) wies die Beschwerdegegnerin das Leistungsbegehren des Beschwerdeführers ab. Mit Verfügung vom 7. Juli 2023 (IV-Nr. 154; Aktenseiten [A.S.] 1 ff.) wies sie sodann das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtsverbeiständung im Verwaltungsverfahren wegen fehlender Notwendigkeit ab.

 

2.      Gegen die Verfügung vom 7. Juli 2023 lässt der Beschwerdeführer mit Eingabe vom 8. September 2023 beim Versicherungsgericht des Kantons Solothurn (nachfolgend: Versicherungsgericht) fristgerecht Beschwerde erheben und folgende Rechtsbegehren stellen:

 

1.        Die Verfügung vom 7. Juli 2023 sei aufzuheben.

2.        Die Beschwerdegegnerin sei zu verpflichten, dem Beschwerdeführer im vorinstanzlichen Verfahren die vollumfängliche unentgeltliche Rechtspflege unter Beigabe des unterzeichneten Rechtsanwaltes zu gewähren.

3.        Dem Beschwerdeführer sei im Verfahren vor dem Versicherungsgericht die vollumfängliche unentgeltliche Rechtspflege unter Beigabe des unterzeichneten Rechtsanwaltes zu gewähren.

4.        Unter Kosten- und Entschädigungsfolge zulasten der Beschwerdegegnerin.

 

3.      Mit Eingabe vom 25. Oktober 2023 (A.S. 23) verzichtet die Beschwerdegegnerin auf Einreichung einer begründeten Beschwerdeantwort und schliesst auf Abweisung der Beschwerde.

 

4.      Die Präsidentin des Versicherungsgerichts bewilligt dem Beschwerdeführer mit Verfügung vom 26. Oktober 2023 (A.S. 24 f.) im vorliegenden Verfahren ab Prozessbeginn die unentgeltliche Rechtspflege (Befreiung von sämtlichen Gerichtskosten und der Kostenvorschusspflicht) mit Rechtsanwalt Josef Flury als unentgeltlichen Rechtsbeistand.

 

5.      Der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers reicht am 17. November 2023 seine Kostennote ein (A.S. 27 ff.), welche der Beschwerdegegnerin am 20. November 2023 zur Kenntnisnahme zugestellt wird (A.S. 29).

 

6.      Auf die Ausführungen in den Rechtsschriften der Parteien wird, soweit erforderlich, in den folgenden Erwägungen eingegangen. Im Übrigen wird auf die Akten verwiesen.

 

II.       

 

1.     

1.1    Die Sachurteilsvoraussetzungen (Einhaltung der Frist und Form, örtliche und sachliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts) sind erfüllt. Auf die Beschwerde ist einzutreten.

 

1.2    Streitig und zu prüfen ist, ob die Beschwerdegegnerin das Gesuch des Beschwerdeführers um Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes im Verwaltungs- bzw. Vorbescheidverfahren zu Recht abgewiesen hat.

 

1.3    Die Beurteilung von Beschwerden gegen Zwischenverfügungen eines Sozialversicherungsträgers fällt in die Präsidialkompetenz (§ 54bis Abs. 1 lit. a Kantonales Gesetz über die Gerichtsorganisation / GO, BGS 125.12). Die angefochtene Verfügung vom 7. Juli 2023, die den Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung im Verwaltungsverfahren betrifft, ist eine solche Zwischenverfügung (BGE 139 V 600 E. 2.2 S. 602), womit die Präsidentin des Versicherungsgerichts für den Entscheid in dieser Angelegenheit als Einzelrichterin zuständig ist.

 

2.

2.1    Der versicherten Person wird im verwaltungsinternen Sozialversicherungsverfahren ein unentgeltlicher Rechtsbeistand bewilligt, sofern es die Verhältnisse erfordern (Art. 37 Abs. 4 Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts / ATSG, SR 830.1). Die unentgeltliche Verbeiständung setzt kumulativ voraus, dass die versicherte Person bedürftig ist, ihre Begehren nicht aussichtslos sind und die Vertretung sachlich geboten ist (Franziska Martha Betschart in: Ghislaine Frésard-Fellay / Barbara Klett / Susanne Leuzinger [Hrsg.], Basler Kommentar zum ATSG, Basel 2020, Art. 37 N 37). Im verwaltungsinternen Verfahren gelten somit strengere Anforderungen für die unentgeltliche Verbeiständung als im Beschwerdeverfahren vor dem kantonalen Versicherungsgericht, wo ein unentgeltlicher Rechtsbeistand nicht bloss bewilligt wird, wenn er notwendig ist, sondern bereits dann, wenn die Verhältnisse es «rechtfertigen» (Art. 61 lit. f Satz 2 ATSG; Betschart, a.a.O., Art. 37 N 46). Zeitlich lässt sich der Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung im verwaltungsinternen Verfahren nicht generell, d.h. auf ein bestimmtes Verfahrensstadium, beschränken (BGE 125 V 32 E. 4c S. 36).

 

2.2    Ob die Vertretung im verwaltungsinternen Verfahren erforderlich ist, richtet sich nach den Umständen des konkreten Einzelfalls. Dabei sind neben der Komplexität der Rechtsfragen und der Unübersichtlichkeit des Sachverhalts auch in der versicherten Person liegende Gründe in Betracht zu ziehen, wie etwa deren Fähigkeit, sich im Verfahren zurechtzufinden (BGE 125 V 32 E. 4b S. 35; Urteil des Bundesgerichts 9C_565/2020 vom 17. März 2021 E. 3.1.1). Der im verwaltungsinternen Verfahren geltende Untersuchungsgrundsatz (s. dazu Art. 43 Abs. 1 ATSG) rechtfertigt es, an die Voraussetzungen, unter denen eine anwaltliche Verbeiständung sachlich geboten ist, einen strengen Massstab anzulegen (BGE 125 V 32 E. 4b S. 36; Betschart, a.a.O., Art. 37 N 48). Die anwaltliche Vertretung im Verwaltungsverfahren drängt sich mit anderen Worten nur in Ausnahmefällen auf, d.h. wenn die Angelegenheit rechtlich tatsächlich schwierig ist und eine gehörige Interessenwahrung durch Verbandsvertreter, Fürsorger andere Fach- und Vertrauensleute sozialer Institutionen ausser Betracht fällt. Grundsätzlich geboten ist die Verbeiständung auch, falls ein besonders starker Eingriff in die Rechtsstellung der versicherten Person droht, andernfalls bloss, wenn zur relativen Schwere des Falls besondere tatsächliche rechtliche Schwierigkeiten hinzukommen, denen die versicherte Person auf sich alleine gestellt nicht gewachsen ist (BGE 132 V 200 E. 4.1 S. 201; Urteil des Bundesgerichts 9C_565/2020 vom 17. März 2021 E. 3.1.1). Die Stellungnahme zu einem medizinischen Gutachten erfordert zwar regelmässig gewisse medizinische Kenntnisse und einen gewissen juristischen Sachverstand, um Schwachstellen einer fachärztlichen Expertise und deren rechtliche Relevanz zu erkennen. Die hohe Bedeutung medizinischer Gutachten vermag aber für sich allein genommen keine Notwendigkeit einer anwaltlichen Vertretung zu begründen. Die gegenteilige Auffassung liefe darauf hinaus, dass der Anspruch auf unentgeltliche Rechtsverbeiständung im Verwaltungsverfahren kaum verneint werden könnte, wenn ein medizinisches Gutachten zur Diskussion steht, was der Konzeption von Art. 37 Abs. 4 ATSG als einer Ausnahmeregelung widerspräche (Urteil des Bundesgerichts 8C_149/2021 vom 18. Mai 2021 E. 5.2; Betschart, a.a.O., Art. 37 N 48 + 52). Weiter stehen in der Invalidenversicherung zwar regelmässig finanzielle Leistungen von erheblicher Bedeutung zur Diskussion. Das Abstellen auf das finanzielle Moment hätte indes zur Folge, dass der Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung in praktisch allen zumindest den meisten Verfahren bejaht werden müsste, was einem generellen Anspruch auf einen unentgeltlichen anwaltlichen Vertreter im Verwaltungsverfahren gleichkäme (Urteil des Bundesgerichts 9C_559/2012 vom 27. November 2012 E. 6.2).

 

Die Notwendigkeit einer anwaltlichen Vertretung ist zwar prospektiv zu beurteilen. Dies bedeutet aber nicht, dass alle erdenklichen Entwicklungen, welche künftig allenfalls eine Verbeiständung begründen könnten, zu berücksichtigen wären, solange es an konkreten Anzeichen für deren Verwirklichung fehlt (Betschart, a.a.O., Art. 37 N 50).

 

3.

3.1    Nach dem in E. II. 2. hiervor Gesagten setzt das Gewähren der unentgeltlichen Verbeiständung im Verwaltungsverfahren in der Regel voraus, dass der Fall wesentlich grössere Schwierigkeiten rechtlicher tatsächlicher Art aufweist als ein invalidenversicherungsrechtlicher «Durchschnittsfall». Es ist daher zu prüfen, ob die vorliegende Angelegenheit besondere Schwierigkeiten aufweist beim Beschwerdeführer ein besonderer Unterstützungsbedarf vorliegt, der nur durch eine anwaltliche (und nicht durch eine anderweitige) Vertretung abgedeckt werden kann.

 

3.2

3.2.1 Eine besondere rechtliche tatsächliche Schwierigkeit ergibt sich nicht bereits daraus, dass Themen zur Diskussion stehen, mit welchen die versicherte Person nicht vertraut ist. Erforderlich ist vielmehr, dass der Fall Aspekte aufweist, die diesen deutlich komplexer schwieriger erscheinen lassen als einen invalidenversicherungsrechtlichen «Durchschnittsfall». Besondere Schwierigkeiten können beispielsweise aus der verfahrensrechtlichen Ausgangslage resultieren. Diese präsentiert sich hier jedoch vergleichsweise einfach: Es geht darum, ob der Beschwerdeführer einen Anspruch auf Leistungen der Invalidenversicherung hat. Dabei handelt es sich um eine Erstanmeldung und die Beschwerdegegnerin hat, nachdem berufliche Eingliederungsversuche, die nach dem Unfall unternommen wurden, erfolglos geblieben waren, im Rahmen ihrer Abklärungen ein medizinisches Gutachten veranlasst, um den rechtserheblichen medizinischen Sachverhalt zu ermitteln. Gestützt auf das eingeholte Gutachten gelangt sie zum Schluss, das Leistungsbegehren abzuweisen (vgl. auch E. I. 1 hiervor). Eine überdurchschnittliche verfahrensmässige Schwierigkeit Komplexität liegt damit nicht vor. Eine solche kann beispielsweise vorliegen, wenn die Angelegenheit wiederholt durch das Gericht an die Verwaltung zurückgewiesen wird, wenn gravierende Verfahrensfehler zur Diskussion stehen. So verhält es sich hier indes nicht.

 

3.2.2 Inhaltlich steht die Würdigung der medizinischen Unterlagen, insbesondere des polydisziplinären Gutachtens der Begutachtungsstelle B.___ vom 7. Dezember 2021, im Vordergrund. Die Rechtsprechung anerkennt zwar, dass das Erkennen von Schwachstellen einer fachärztlichen Expertise aufgrund der diesbezüglich massgebenden Grundsätze (vgl. BGE 125 V 351 E. 3a S. 352) in der Regel gewisse medizinische Kenntnisse und juristischen Sachverstand erfordert. Solche Fragestellungen begründen aber nicht ohne Weiteres eine Komplexität, die eine anwaltliche Verbeiständung erfordern würde. Das Bundesgericht führt dazu in E. 5.2 seines Urteils 9C_908/2012 vom 22. Februar 2013 aus, die hohe Bedeutung medizinischer Gutachten vermöge ebenso wenig wie die Anforderungen an die Unbefangenheit der Sachverständigen für sich allein genommen die Notwendigkeit einer anwaltlichen Vertretung zu begründen. Es bedürfe mithin weiterer Umstände, welche die Sache als nicht (mehr) einfach und eine anwaltliche Vertretung als notwendig erscheinen liessen (Urteile des Bundesgerichts 9C_676/2012 vom 21. November 2012 E. 3.2.2, 9C_908/2012 vom 22. Februar 2013 E. 5.2, 9C_993/2012 vom 16. April 2013 E. 4.1). Solche Umstände können etwa vorliegen, wenn heikle Abgrenzungen zwischen psychischer Störung, Suchtleiden und psychosozialen sowie soziokulturellen Belastungsfaktoren im Vordergrund stehen (vgl. Urteil des Bundesgerichts 9C_29/2017 vom 9. April 2017 E. 3.2). Denkbar ist beispielsweise auch, dass eine aussergewöhnliche Komplexität vorliegt, weil der Sachverhalt unübersichtlich und die Aktenlage lückenhaft ist (vgl. Urteil des Bundesgerichts 9C_680/2016 vom 14. Juni 2017 E. 4.4).

 

Derartige vergleichbare, eine besondere Komplexität Schwierigkeit begründende Umstände sind im vorliegenden Verfahren nicht ersichtlich. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ergeben sie sich namentlich nicht bereits daraus, dass sich ein medizinisches Gutachten allenfalls widersprüchlich und nicht als vollständig erweisen und sich gegebenenfalls die Frage nach der Notwendigkeit weiterer Abklärungen stellen könnte. Denn derartige Konstellationen bilden durchaus keine Seltenheit und es kann daraus auch nicht auf einen derart unübersichtlichen Sachverhalt geschlossen werden, dass dies eine aussergewöhnliche Komplexität zu begründen vermöchte. Was den Einwand des Beschwerdeführers anbelangt, das IV-Dossier umfasse zwischenzeitlich über 1'300 Seiten, so ist er darauf hinzuweisen, dass ein grosser Teil der Aktenmenge von der Unfallversicherung im parallellaufenden UVG-Verfahren eingeholt wurde. Diese Unterlagen enthalten neben den Berichten der behandelnden Ärzte Beurteilungen der Suva-Kreisärzte. Mittlerweile liegt aus unfallversicherungsrechtlicher Sicht mit dem Urteil des Versicherungsgerichts VSBES.2020.222 vom 30. Juni 2021 bereits eine rechtskräftige Beurteilung vor.

 

3.2.3 Zusammenfassend weist das Verwaltungsverfahren keine Elemente auf, welche geeignet wären, eine aussergewöhnliche Schwierigkeit Komplexität zu begründen. Es handelt sich – auch unter Berücksichtigung der Verfahrensdauer – um einen «normalen» Erstanmeldungsfall mit Veranlassung einer medizinischen Begutachtung. Im Vordergrund steht die Würdigung des eingeholten polydisziplinären Gutachtens, auf das sich der Vorbescheid vom 16. März 2023 (IV-Nr. 144) bzw. die Verfügung vom 26. Juni 2023 (IV-Nr. 153) im Wesentlichen stützen. Es stellen sich dabei Fragen, welche in invalidenversicherungsrechtlichen Verfahren üblich sind. Der Fall hebt sich nicht wesentlich von anderen Dossiers ab. Wie die Beschwerdegegnerin zudem richtigerweise festhält, stellen sich vorliegend auch keine komplexen Fragen koordinationsrechtlicher Art. Unter dem Aspekt der besonderen Schwierigkeit Komplexität lässt sich daher die Notwendigkeit einer anwaltlichen Verbeiständung nicht begründen.

 

3.3    Zu keinem anderen Ergebnis führt der Hinweis, der Beschwerdeführer sei mit seinem bildungsmässigen Hintergrund nicht in der Lage, den medizinisch und juristisch in casu relevanten Sachverhalt in genügender Weise zu erfassen. Denn die aus solchen ähnlichen Gründen auf Unterstützung angewiesenen Rechtsuchenden haben sich in einem – wie vorliegend gegeben – sachverhaltlich und rechtlich nicht aussergewöhnlich komplexen Verwaltungsverfahren mit dem Beizug von Fach- und Vertrauensleuten sozialer Institutionen unentgeltlichen Rechtsberatungen zu behelfen (vgl. Urteile des Bundesgerichts 8C_240/2018 vom 3. Mai 2018 E. 3.2, 8C_760/2016 vom 3. März 2017 E. 4.2.3, 9C_315/2009 vom 18. September 2009 E. 2.2). Dass dies objektiv nicht möglich gewesen wäre, ist auch nicht ersichtlich. Wie sodann aus den Akten ersichtlich ist, wird der Beschwerdeführer durch die Sozialen Dienste unterstützt, deren Aufgabe grundsätzlich auch die Beratung in Bezug auf Sozialversicherungsleistungen umfasst, was im Regelfall die Notwendigkeit einer anwaltlichen Vertretung ausschliesst. Es ist zwar gerichtsnotorisch, dass die Fachpersonen auf einem Sozialdienst, welche über eine Ausbildung als Sozialarbeiterin Sozialarbeiter verfügen, in der Regel zwar Kenntnisse des materiellen Sozialversicherungsrechts aufweisen, bei verfahrensrechtlichen Fragen aber rasch an Grenzen stossen. Ähnliches gilt auch für die übrigen von der Rechtsprechung erwähnten Verbandsvertreter, Fürsorger andere Fach- und Vertrauensleute sozialer Institutionen (vgl. E. II. 2.2 hiervor). Die hier gegebene Konstellation weist keine Besonderheiten auf, deren Handhabung mit den fachlichen Kenntnissen, welche bei Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern üblicherweise vorausgesetzt werden können, nicht gewährleistet ist. Auch vor diesem Hintergrund kann die Verbeiständung durch einen Rechtsanwalt nicht als erforderlich gelten.

 

Ausserdem ist festzuhalten, dass sich aus den Akten keine Hinweise ergeben, dass der Beschwerdeführer aus gesundheitlicher Sicht nicht in der Lage gewesen sein sollte, die Tragweite des Verwaltungsverfahrens abzuschätzen sich darin zurecht zu finden. Aus den Protokolleinträgen geht denn auch hervor, dass der Beschwerdeführer bei Unklarheiten Rücksprache mit der Beschwerdegegnerin nahm. So lässt sich den Einträgen vom 9. April und 8. Oktober 2020 entnehmen, dass sich der Beschwerdeführer nach dem Verfahrensstand erkundigt habe. Gemäss Protokolleintrag vom 9. Juni 2021 habe sich der Beschwerdeführer bei der Beschwerdegegnerin erneut nach dem Verfahrensstand erkundigt; sie hätten für Unterstützung bei beruflichen Massnahmen angefragt. Die Beschwerdegegnerin habe ihm mitgeteilt, dass eine Begutachtung notwendig sei. Er würde dafür eine schriftliche Information erhalten. Gemäss Protokolleinträgen vom 15. Juni und 18. Juli 2022 habe sich der Beschwerdeführer bei der Beschwerdegegnerin nach ausstehenden Spesen erkundigt. Sodann lässt sich dem Eintrag vom 28. November 2022 entnehmen, dass er sich wiederum nach dem Verfahrensstand erkundigt habe. Die Beschwerdegegnerin habe ihm mitgeteilt, dass sie nach Abschluss der beruflichen Massnahmen noch den Anspruch auf eine Teilrente prüfen werde. Gemäss Protokolleintrag vom 20. Januar 2023 habe sich der Beschwerdeführer schliesslich bei der Beschwerdegegnerin erkundigt, wie es weiter gehen solle, da er keine Leistungen von der Arbeitslosenversicherung erhalte. Die Beschwerdegegnerin habe ihm erklärt, dass er sich an die Sozialhilfe wenden solle, sofern er mittellos sei.

 

3.4    Zusammenfassend stellen sich im vorliegenden Fall weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht aussergewöhnlich schwierige Fragen, welche den Beizug eines Anwalts notwendig erscheinen liessen. Würde hier die Notwendigkeit einer anwaltlichen Verbeiständung bejaht, wäre kaum mehr ein Fall denkbar, in welchem diese verweigert werden könnte, wenn ein medizinisches Gutachten eingeholt und in der Folge mit dem Vorbescheid die Ablehnung des Leistungsgesuchs in Aussicht gestellt wurde. Ein solches Ergebnis stünde im Widerspruch zur dargelegten Rechtslage, wonach von einem «strengen Massstab» auszugehen ist und ein eigentlicher Ausnahmefall vorliegen muss.

 

4.

4.1    Da die Erforderlichkeit einer anwaltlichen Vertretung zu verneinen ist, ist nicht zu beanstanden, dass die Beschwerdegegnerin auf die Überprüfung der weiteren Voraussetzungen (fehlende Aussichtslosigkeit und Bedürftigkeit) verzichtet hat. Für eine allfällige Gewährung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes im Verwaltungsverfahren müssten sämtliche drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein.

 

4.2    Nach dem Gesagten ist die Verfügung der Beschwerdegegnerin vom 7. Juli 2023, worin das Gesuch des Beschwerdeführers um Gewährung der unentgeltlichen Rechtsverbeiständung im Vorbescheid- bzw. Verwaltungsverfahren abgewiesen wurde, nicht zu beanstanden. Die dagegen gerichtete Beschwerde ist somit abzuweisen.

 

5.

5.1    Ausgangsgemäss besteht kein Anspruch des Beschwerdeführers auf Zusprechung einer Parteientschädigung (Art. 61 lit. g ATSG).

 

5.2    Dem Beschwerdeführer wurde die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und es wurde ihm für das Beschwerdeverfahren Rechtsanwalt Josef Flury als unentgeltlicher Rechtsbeistand beigeordnet (vgl. E. I. 4. hiervor). Die Kostenforderung ist bei Unterliegen der Partei mit unentgeltlichem Rechtsbeistand vom Gericht festzusetzen. Der Kanton entschädigt die unentgeltliche Rechtsbeiständin den unentgeltlichen Rechtsbeistand angemessen (Art. 122 Abs. 1 lit. a Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO, SR 272]). Zu entschädigen ist der Aufwand, welcher für eine sorgfältige und pflichtgemässe Vertretung erforderlich ist (§ 160 Abs. 1 i.V.m. § 161 Gebührentarif [GT, BGS 615.11]). Rechtsanwalt Flury hat am 17. November 2023 eine Kostennote eingereicht (A.S. 27 f.), worin er ein volles Honorar von insgesamt CHF 1'442.10 (Stundenansatz CHF 250.00) geltend macht. Der geltend gemachte Zeitaufwand von total 5.20 Stunden kann als angemessen gelten. Mit einem Stundenansatz von CHF 180.00 (§ 161 i.V.m. § 160 Abs. 3 GT) ergibt sich damit eine Entschädigung von CHF 1'050.10 (5.20 Std. x CHF 180.00 zuzgl. Auslagen von CHF 39.00 sowie 7.7 % MwSt.), zahlbar durch die Zentrale Gerichtskasse des Kantons Solothurn. Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während zehn Jahren, wenn A.___ zur Nachzahlung in der Lage ist (§ 123 ZPO).

 

Vorbehalten bleibt auch der Nachforderungsanspruch des unentgeltlichen Rechtsbeistandes (zum Stundenansatz von CHF 230.00) im Umfang von CHF 280.00 (Differenz zum vollen Honorar in Höhe von CHF 1'330.10), wenn der Beschwerdeführer zur Nachzahlung in der Lage ist (Art. 123 ZPO). Zum Nachzahlungsanspruch des unentgeltlichen Rechtsbeistandes ist anzufügen, dass hier von einem Stundenansatz von CHF 230.00 auszugehen ist. Praxisgemäss wird dieser vom Gericht in dieser Höhe festgesetzt (vgl. § 160 Abs. 2 GT), wenn wie vorliegend keine Honorarvereinbarung mit dem Klienten vorgelegt wird, in der ein höherer Ansatz vereinbart worden ist.

 

5.3    Bei Streitigkeiten über Sozialversicherungsleistungen ist das kantonale Beschwerdeverfahren kostenpflichtig, wenn dies im jeweiligen Einzelgesetz vorgesehen ist (Art. 61 lit. fbis ATSG). Eine solche Kostenpflicht besteht in der Invalidenversicherung für Streitigkeiten betreffend die Bewilligung Verweigerung von Leistungen (Art. 69 Abs. 1bis Bundesgesetz über die Invalidenversicherung / IVG, SR 831.20). Da aber im vorliegenden Verfahren keine solchen Leistungen streitig sind, sondern die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege im Verwaltungsverfahren, sind keine Verfahrenskosten zu erheben.

Demnach wird erkannt:

1.     Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.     Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.

3.     Die Kostenforderung des unentgeltlichen Rechtsbeistandes, Rechtsanwalt Josef Flury, wird auf CHF 1'050.10 (inkl. Auslagen und MwSt) festgesetzt, zahlbar durch die Zentrale Gerichtskasse des Kantons Solothurn. Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während zehn Jahren sowie der Nachzahlungsanspruch des unentgeltlichen Rechtsbeistands im Betrag von CHF 280.00, wenn A.___ zur Nachzahlung in der Lage ist (Art. 123 ZPO).

4.     Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.

Rechtsmittel

Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit der Mitteilung beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten eingereicht werden (Adresse: Bundesgericht, Schweizerhofquai 6, 6004 Luzern). Die Frist beginnt am Tag nach dem Empfang des Urteils zu laufen und wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar (vgl. Art. 39 ff., 82 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes, BGG). Bei Vor- und Zwischenentscheiden (dazu gehört auch die Rückweisung zu weiteren Abklärungen) sind die zusätzlichen Voraussetzungen nach Art. 92 93 BGG zu beachten.

 

Versicherungsgericht des Kantons Solothurn

Die Präsidentin                         Die Gerichtsschreiberin

Weber-Probst                           Yalcin

 



 
Quelle: https://gerichtsentscheide.so.ch/
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