Zusammenfassung des Urteils VSBES.2023.166: Verwaltungsgericht
Die Beschwerdeführerin A., vertreten durch B. und Rechtsanwalt Thomas Grieder, hat gegen die Helsana Versicherungen AG geklagt, um die Kostenübernahme für eine kieferorthopädische Behandlung zu erwirken. Nach mehreren Ablehnungen und Einsprüchen wurde die Beschwerde beim Versicherungsgericht eingereicht. Es wurde festgestellt, dass die medizinische Beurteilung uneinheitlich war und weitere Abklärungen notwendig sind. Das Gericht entschied zugunsten der Beschwerdeführerin und wies den Fall zur weiteren Untersuchung an die Beschwerdegegnerin zurück. Die Beschwerdeführerin hat Anspruch auf eine Parteientschädigung in Höhe von CHF 1'811.40.
Kanton: | SO |
Fallnummer: | VSBES.2023.166 |
Instanz: | Verwaltungsgericht |
Abteilung: | Versicherungsgericht |
Datum: | 12.03.2024 |
Rechtskraft: |
Leitsatz/Stichwort: | - |
Schlagwörter: | Behandlung; Krankheit; Krankheitswert; Versicherung; Wurzel; Beurteilung; Zahnes; Versicherungsgericht; Urteil; Erkrankung; Kausystem; Durchbruch; Krankenpflegeversicherung; Bundesgericht; Wurzelresorption; Krankenversicherung; Akten; Kostenübernahme; Vertrauensarzt; Leistungen; Kausystems; Allgemeinerkrankung; Massnahme; Gutachten; Sinne |
Rechtsnorm: | Art. 31 KVG ;Art. 33 KVG ;Art. 57 KVG ; |
Referenz BGE: | 104 V 211; 125 V 353; 127 V 328; 127 V 391; 130 V 454; 135 V 465; 139 V 225; |
Kommentar: | - |
Geschäftsnummer: | VSBES.2023.166 |
Instanz: | Versicherungsgericht |
Entscheiddatum: | 12.03.2024 |
FindInfo-Nummer: | O_VS.2024.58 |
Titel: | Krankenversicherung KVG |
Resümee: |
Urteil vom 12. März 2024 Es wirken mit: Vizepräsident Flückiger Gerichtsschreiber Isch In Sachen A.___ gesetzlich vertreten durch B.___ hier vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Grieder Beschwerdeführerin
gegen Beschwerdegegnerin
betreffend Krankenversicherung KVG (Einspracheentscheid vom 5. Juni 2023)
zieht der Vizepräsident des Versicherungsgerichts in Erwägung: I.
1. 1.1 A.___ (nachfolgend Beschwerdeführerin), geb. 2007, ist bei der Helsana Versicherungen AG (nachfolgend Beschwerdegegnerin) in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung versichert. Mit Schreiben vom 11. Januar 2022 (HA [Akten der Helsana]) beantragte Dr. med. dent. C.___, Facharzt für Kieferorthopädie, die Kostenübernahme im Betrag von CHF 13'000.00 für eine chirurgische Anschlingung und kieferorthopädische Einreihung des palatinal verlagerten Zahns 23 der Beschwerdeführerin. In der Folge qualifizierte die Beschwerdegegnerin diese kieferorthopädische Behandlung nicht als Pflichtleistung und lehnte das Kostengutsprachegesuch mit formlosem Schreiben vom 22. Februar 2022 ab (HA 3).
1.2 Mit Wiedererwägungsschreiben vom 28. Februar 2022 (HA 4) verlangte Dr. med. dent. C.___ erneut die Kostenübernahme für die vorgenannte Behandlung. Hierauf legte die Beschwerdegegnerin die Akten ihrem Vertrauensarzt, Dr. med. dent. D.___, Facharzt für Kieferorthopädie, zur Beurteilung vor. Gestützt auf dessen Stellungnahme vom 20. März 2022 (HA 5) lehnte die Beschwerdegegnerin das Kostengutsprachegesuch mit formlosem Schreiben vom 24. März 2022 (HA 6) wiederum ab.
1.3 Mit Schreiben vom 30. März 2022 (HA 7) ersuchte der Vater der Beschwerdeführerin die Beschwerdegegnerin erneut um Wiedererwägung der abgelehnten Kostenübernahme, welche diese mit Schreiben vom 4. April 2022 wiederum ablehnte (HA 8). In der Folge erhob der Rechtsvertreter am 1. Juli 2022 (HA 11) Einwände gegen die Ablehnung der Kostenübernahme. Hierauf legte die Beschwerdegegnerin die Akten noch einmal ihrem Vertrauensarzt zur Beurteilung vor (HA 12) und verneinte gestützt darauf mit Verfügung vom 5. August 2022 (HA 13) den Anspruch der Beschwerdeführerin auf Kostenübernahme. Die dagegen am 14. September 2022 erhobene Einsprache (HA 16) wies die Beschwerdegegnerin mit Entscheid vom 5. Juni 2023 (A.S. [Akten-Seite] 1 ff.) ab.
2. Dagegen lässt die Beschwerdeführerin am 6. Juli 2023 Beschwerde beim Versicherungsgericht erheben (A.S. 9 ff.) und stellt folgende Rechtsbegehren:
1. Die Verfügung vom 5. August 2022 sowie der Einspracheentscheid vom 5. Juni 2023 seien aufzuheben. 2. Es seien im Zusammenhang mit der Behandlung Zahn 23 die Versicherungsleistungen aus der OKP zu übernehmen. 3. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zulasten der Beschwerdegegnerin.
3. Mit Beschwerdeantwort vom 29. September 2023 (A.S. 26 ff.) schliesst die Beschwerdegegnerin auf Abweisung der Beschwerde.
4. Mit Replik vom 20. Oktober 2023 (A.S. 32 ff.) und Duplik vom 14. November 2023 (HA 38 ff.) lassen sich die Parteien abschliessend vernehmen.
5. Auf die Ausführungen der Parteien in ihren Rechtsschriften wird nachfolgend, soweit notwendig, eingegangen.
I.
1. Die Sachurteilsvoraussetzungen (Einhaltung von Frist und Form, örtliche und sachliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts) sind erfüllt. Auf die Beschwerde ist einzutreten.
2. Die Präsidentin des Versicherungsgerichts beurteilt sozialversicherungsrechtliche Streitigkeiten bis zu einem Streitwert von CHF 30'000.00 als Einzelrichter (§ 54bis Abs. 1 lit. a Kantonales Gesetz über die Gerichtsorganisation / GO, BGS 125.12). Im vorliegenden Fall sind Behandlungskosten von CHF 13'000.00 strittig (vgl. HA 1), weshalb die Angelegenheit vom Vizepräsidenten des Versicherungsgerichts als Vertreter der Präsidentin als Einzelrichter zu beurteilen ist.
3. 3.1 Die Leistungen, deren Kosten von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung bei Krankheit zu übernehmen sind, werden in Art. 25 des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (KVG) in allgemeiner Weise umschrieben. Im Vordergrund stehen die Leistungen der Ärzte und Ärztinnen, dann aber auch der Chiropraktoren und Chiropraktorinnen sowie der Personen, die im Auftrag von Ärzten und Ärztinnen Leistungen erbringen.
Die Leistungen der Zahnärzte und Zahnärztinnen sind in der genannten Bestimmung nicht aufgeführt. Die Kosten dieser Leistungen sollen im Krankheitsfalle der obligatorischen Krankenpflegeversicherung nur in eingeschränktem Masse überbunden werden, nämlich wenn die zahnärztliche Behandlung durch eine schwere, nicht vermeidbare Erkrankung des Kausystems (Art. 31 Abs. 1 lit. a KVG) durch eine schwere Allgemeinerkrankung ihre Folgen bedingt (Art. 31 Abs. 1 lit. b KVG) zur Behandlung einer schweren Allgemeinerkrankung ihrer Folgen notwendig ist (Art. 31 Abs. 1 lit. c KVG).
3.2 Gestützt auf Art. 33 Abs. 2 und 5 KVG in Verbindung mit Art. 33 lit. d der Verordnung über die Krankenversicherung (KVV) hat das Departement in der Verordnung über Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (Krankenpflege-Leistungsverordnung [KLV]) zu jedem der erwähnten Unterabsätze von Art. 31 Abs. 1 KVG einen eigenen Artikel erlassen, nämlich zu lit. a den Art. 17 KLV, zu lit. b den Art. 18 KLV und zu lit. c den Art. 19 KLV. In Art. 17 KLV werden die schweren, nicht vermeidbaren Erkrankungen des Kausystems aufgezählt, bei denen daraus resultierende zahnärztliche Behandlungen von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu übernehmen sind. In Art. 18 KLV werden die schweren Allgemeinerkrankungen und ihre Folgen aufgelistet, die zu zahnärztlicher Behandlung führen können und deren Kosten von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu tragen sind. In Art. 19 KLV schliesslich hat das Departement die schweren Allgemeinerkrankungen aufgezählt, bei denen die zahnärztliche Massnahme notwendigen Bestandteil der Behandlung darstellt.
3.3 Eine Leistungspflicht ist nur bei nicht vermeidbaren Erkrankungen des Kausystems gegeben. Nicht die schwere Allgemeinerkrankung, sondern die Kausystemerkrankung muss unvermeidbar gewesen sein. Zudem soll die versicherte Person von den Kosten der zahnärztlichen Behandlung nur dann befreit werden, wenn sie an einer nicht vermeidbaren Erkrankung des Kausystems leidet, die durch eine schwere Allgemeinerkrankung ihre Folgen bedingt ist. Der betreffenden Auslegung liegt somit der Gedanke zu Grunde, dass von einer versicherten Person eine genügende Mundhygiene erwartet wird.
3.4 Vertrauensärzte und Vertrauensärztinnen gemäss Art. 57 KVG sind ein Organ der sozialen Krankenversicherung und beraten die Krankenkassen in medizinischen Fachfragen sowie in Fragen der Vergütung und der Tarifanwendung. Sie überprüfen insbesondere die Voraussetzungen der Leistungspflicht des Versicherers (Art. 57 Abs. 4 KVG). Die Leistungserbringer müssen dabei den Vertrauensärzten die zur Erfüllung ihrer Aufgaben notwendigen Angaben liefern. Ist es nicht möglich, diese Angaben anders zu erlangen, so können Vertrauensärzte Versicherte auch persönlich untersuchen; sie müssen den behandelnden Arzt vorher benachrichtigen und nach der Untersuchung über das Ergebnis informieren (Art. 57 Abs. 6 KVG). Weder Versicherer noch Leistungserbringer deren Verbände können Vertrauensärzten und Vertrauensärztinnen Weisungen erteilen. Sie sind in ihrem Urteil unabhängig. Die Berichte und Gutachten ständiger Vertrauensärzte und Vertrauensärztinnen haben in beweisrechtlicher Hinsicht grundsätzlich den gleichen Stellenwert wie die verwaltungsinternen Arztberichte und Gutachten der UVG-Versicherer. Diesen wiederum kann Beweiswert beigemessen werden, sofern sie als schlüssig erscheinen, nachvollziehbar begründet sowie in sich widerspruchsfrei sind und keine Indizien gegen ihre Zuverlässigkeit bestehen (BGE 104 V 211 E. c; RKUV 1991 Nr. U 133 S. 313 E. 1b). Soll ein Versicherungsfall jedoch ohne Einholung eines externen Gutachtens entschieden werden, so sind an die Beweiswürdigung strenge Anforderungen zu stellen. Bestehen auch nur geringe Zweifel an der Zuverlässigkeit und Schlüssigkeit der versicherungsinternen ärztlichen Feststellungen, so sind ergänzende Abklärungen vorzunehmen (BGE 135 V 465 E. 4.4 S. 470 mit Hinweisen).
4. Vorliegend ist strittig und zu prüfen, ob die Beschwerdegegnerin die von der Beschwerdeführerin beantragte Kostenübernahme für die Behandlung des Zahns 23 zurecht verneint hat.
4.1 In Art. 17 KLV werden die schweren, nicht vermeidbaren Erkrankungen des Kausystems aufgezählt, bei denen daraus resultierende zahnärztliche Behandlungen von der obligatorischen Krankenversicherung zu übernehmen sind, vorausgesetzt, dass das Leiden Krankheitswert erreicht; die Behandlung ist nur so weit von der Versicherung zu übernehmen, wie es der Krankheitswert des Leidens notwendig macht. Art. 17 lit. a Ziff. 2 KLV im Speziellen regelt die Verlagerung und Überzahl von Zähnen und Zahnkeimen mit Krankheitswert (z. B. Abszess, Zyste). Beim Krankheitswert gemäss Art. 17 lit. a KLV handelt es sich um einen qualifizierten Krankheitswert mit einer Pathologie, die zu einer Gefährdung des Lebens einer Beeinträchtigung der Gesundheit führen kann. Der qualifizierte Krankheitswert ist jedoch erst dann ausgewiesen, wenn entweder die Entfernung des Zahnes wegen besonderen Verhältnissen aussergewöhnlich schwierig ist, die Behandlung der Pathologie aufwendig und schwierig ist. Wird eine Pathologie, wie beispielsweise eine Zyste ein Abszess durch die Entfernung des Zahns behoben der verlagerte Zahn ohne besondere Schwierigkeiten und Komplikationen entfernt, handelt es sich nicht um eine aufwendige und schwierige Massnahme und macht die Entfernung des Zahns nicht zu einer schweren Erkrankung des Kausystems im Sinne von Art. 31 Abs. 1 lit. a KVG i. V. m. Art. 17 lit. a Ziffer 2 KLV (Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts [EVG; heute Bundesgericht] vom 20. Januar 2005 K 148/02).
4.2 Gemäss dem Atlas der Erkrankungen mit Auswirkungen auf das Kausystem (herausgegeben von der Schweizerischen Zahnärzte-Gesellschaft SSO, 3. Aufl., Bern 2008, 21 f., Art. 17 a KLV) wird der Krankheitswert bezüglich Art. 17 lit. a Ziff. 2 KLV (Verlagerung und Überzahl von Zähnen und Zahnkeimen mit Krankheitswert (z. B. Abszess, Zyste) wie folgt definiert: «Ein Krankheitswert besteht nur in Zusammenhang mit einer Begleiterkrankung (Abszess, Zyste, Tumor) anderen gravierenden pathologischen Begleiterscheinungen wie z.B. offensichtlicher Gefährdung benachbarter Strukturen.» Als entsprechende Begleitpathologien, welche den Krankheitswert definieren, werden im SSO-Atlas u.a. die Verdrängung von Nachbarstrukturen, Wurzelresorptionen und Störung der Okklusion deren Entwicklung genannt. Weiter darin ausgeführt: «Der retinierte / halbretinierte Weisheitszahn kann nicht als schwere Erkrankung im Sinne der Verordnung bezeichnet werden, ebensowenig die meisten anderen retinierten Zähne, falls ein Durchbruch möglich erscheint (Röntgenbild) bzw. mit geringem Aufwand ermöglicht werden kann.» Weiter wird mit Verweis auf die Rechtsprechung angeführt: «Der qualifizierte Krankheitswert besteht bei einer Dentition in Entwicklung in der Behinderung einer geordneten Gebissentwicklung in einem pathologischen Geschehen, aber erst dann, wenn einfache Massnahmen nicht ausreichen (BGE 127 V 391 E. 3c/aa und BGE 127 V 328 E. 6a/aa; BGE 130 V 454 E. 3.2; 21. Dezember 2001 K 12/01 E. 3c/aa.» Zudem ist der Krankheitswert verlagerter Zähne bei der Dentition in Entwicklung gemäss Urteil des ehemaligen Eidgenössischen Versicherungsgerichts K 93/01 vom 4. Dezember 2001 E. 8a unter anderem dann anzunehmen, wenn die Resorption Verdrängung benachbarter Zähne bereits eingetreten unmittelbar drohend ist, z.B. bei radiologisch festgestelltem Kontakt zum Nachbarzahn [….]).
4.3 Somit ist nachfolgend zu prüfen, ob bei der Beschwerdeführerin aufgrund der Stellung des Zahnes 23 eine Wurzelresoption des Zahnes 22 droht und ob dem Zahn 23 mit einfachen Behandlungsmassnahmen zum Durchbruch verholfen werden kann. Die Beschwerdegegnerin stützt sich im angefochtenen Entscheid auf die Beurteilungen ihres Vertrauensarztes, Dr. med. dent. D.___, 20. März 2022 (HA 5) und 31. Juli 2022 (HA 12), weshalb deren Beweiswert zu prüfen ist. Dr. med. dent. D.___ führte in seinen Stellungnahmen grundsätzlich nachvollziehbar aus, Zahn 23 habe sich innerhalb eines Jahres sehr günstig entwickelt. Dieser liege deutlich tiefer und es habe keinen Knochen mehr über der Krone in Richtung Kauebene. Der Vergleich zwischen der OPT von 2020 und der OPT von 2021 zeige, dass sich der Zahn 23 in dieser Zeit deutlich nach distal abgelöst habe und deutlich tiefer liege. Das DVT zeige, dass noch immer etwas zu wenig Platz für einen schnellen Durchbruch des Zahns 23 bestehe. Rein biologisch habe sich der Zahn 23 praktisch positiv entwickelt. Das DVT zeige eine topografische Relation zwischen den Zähnen 22 und 22 wie auch 23 und 24. Es seien keine makroskopischen Resorptionen im DVT sichtbar. Zahn 23 befinde sich aktuell so tief, dass Resorptionen immer unwahrscheinlicher würden. Zahn 23 liege leicht palatial im Vergleich mit anderen Eckzähnen, aber in sehr günstiger Position. Insofern Dr. med. dent. D.___ sodann ausführte, soweit im 2D-Röntgen beurteilbar sei, seien keine relevanten Wurzelresorptionen am Zahn 22 auszumachen, ist aber hinzuzufügen, dass es zur Bejahung des Krankheitswert eben ausreicht, dass eine Wurzelresoption eines benachbarten Zahnes unmittelbar droht, ohne dass diese bereits eingetreten ist. Zudem setzte sich Dr. med. dent. D.___ kaum mit den seinen Stellungnahmen entgegenstehenden Berichten des behandelnden Kieferorthopäden, Dr. med. dent. C.___, vom 30. Mai 2022 (HA 11) und 18. August 2022 (HA 16) auseinander, welche grundsätzlich ebenfalls einleuchtend erscheinen. So setzte sich der behandelnde Kieferorthopäde, Dr. med. C.___, in seinen Berichten eingehend mit der Zahnproblematik auseinander und legte nachvollziehbar dar, auf der DVT (digitale Volumentomographie) vom 26. Oktober 2021 sei zu sehen, dass sich die Krone von Zahn 23 und das coronale Wurzeldrittel des Zahnes 22 berührten. Es bestehe also ein Zahnkontakt. Aus der Literatur und Rechtsprechung gehe hervor, dass nicht zwingend eine Wurzelresorption ersichtlich sein müsse, es reiche aus, wenn diese drohe einzutreffen, um den Krankheitswert zu erfüllen. Wie von Dr. med. dent. D.___ korrekt beschrieben, habe sich die Krone des Zahnes 23 auf dem Bild vom 26. Oktober 2021 nach distal aufgerichtet und stehe etwas tiefer. Dies sei ein Zeichen, dass der Zahn den Durchbruch suche und sich bewege. Die Röntgenbilder lägen knapp 11 Monate auseinander, das Ausmass der Zahnbewegung liege in der Norm. Es sei richtig, dass in der DVT vom 26. Oktober 2021 keine Wurzelresorption an Zahn 22 zu erkennen sei. Es sei aber zu erkennen, dass sich die Krone des Zahnes 23 und die Wurzel des Zahnes 22 berührten. Somit drohe eine Wurzelresorption. Gestützt auf diese sich widersprechenden und grundsätzlich nachvollziehbaren Ausführungen kann vorliegend nicht entschieden werden, ob von einer drohenden Wurzelresoption im Sinne der Rechtsprechung auszugehen ist, welche als Kriterium für die Bejahung des Krankheitswertes vorliegen müsste.
Ebenso kann aufgrund der Akten nicht abschliessend beurteilt werden, ob dem Zahn 23 mit einfachen Behandlungsmassnahmen zum Durchbruch verholfen werden kann, wie dies der Vertrauensarzt der Beschwerdegegnerin, Dr. med. D.___, vertritt. Er schlug zwar Behandlungsmassnahmen vor und führte aus, dem Zahn könne mit einfachen Mitteln zum Spontandurchbruch verholfen werden. Die Lücke 23 müsse nun dringend geöffnet werden. Der Zahn 22 müsse dabei mit Antiartistik nach mesial bewegt werden. Zahn 23 werde dann mit überwiegender Wahrscheinlichkeit durchbrechen. Eventuell sei eine Fensterung notwendig. Zu der vom behandelnden Arzt, Dr. med. C.___, als Behandlung vorgeschlagenen Anschlingung hielt Dr. med. dent. D.___ dagegen lediglich fest, diese sei nicht indiziert, ohne dies zu begründen. Dagegen legte Dr. med. dent. C.___ in seinen Berichten ausführlich dar, die von Dr. med. dent. D.___ vorgeschlagene Lückenöffnung mit Antiartistik führe zu einer ungünstigen Position des Zahnes 22 und Nebenwirkungen, welche anschliessend mit einer fixen Multibracket-Apparatur wieder ausgebessert werden müssten. Eine Schleimhautkappen-Exzision als einfache Massnahme könne einen Zahndurchbruch begünstigen. Da aber bereits Zahnkontakt bestehe, würde eine solche Massnahme den verlagerten Zahn 23 nicht sofort aktiv vom Zahn 22 wegbewegen, sondern nur den Durchbruch begünstigen. Im schlechtesten Fall entstehe trotzdem eine Wurzelresorption. Da die Krone des Zahnes 23 tendenziell palatinal (gaumenwärts) verlagert sei, resultiere bei Durchbruch, ohne kieferorthopädische Gegenmassnahme (Anschlingung und kieferorthopädlsche Einreihung), wahrscheinlich eine Kreuzbisssituation. Auch diese Situation müsste anschliessend mit einer kieferorthopädischen Multibracket-Apparatur korrigiert werden. Man könnte also sagen, die vorgeschlagenen weiteren einfachen Massnahmen führten zu einer Zeitverzögerung (erhöhtes Risiko für eine Wurzelresorption) und vielleicht dazu, dass der Zahn 23 gaumenwärts durchbreche. Anschliessend benötigt es aber trotzdem eine volle kieferorthopädische Behandlung mit Multibracketapparatur im Oberkiefer. Zusammenfassend liegen somit auch bezüglich der Frage, ob dem Zahn 23 mit einfachen Behandlungsmassnahmen zum Durchbruch verholfen werden kann, sich widersprechende Beurteilungen vor, gestützt auf welche der vorliegende medizinische Sachverhalt nicht abschliessend beurteilt werden kann.
Wie bereits ausgeführt, geht der Vertrauensarzt der Beschwerdegegnerin in seinen Stellungnahmen zudem nur bedingt auf die Beurteilungen des behandelnden Kieferorthopäden ein und begründet seine Ansicht, wonach zusätzliche einfache Behandlungen zum Behandlungsziel führten, eher rudimentär. In dieser Konstellation sind konkrete und differenzierte Einwände des behandelnden Facharztes – wie sie mit den Beurteilungen von Dr. med. dent. C.___ vorliegen – geeignet, zumindest geringe Zweifel an der Schlüssigkeit der Beurteilung des Kreisarztes zu wecken. Bei dieser Ausgangslage hätte nicht erneut eine versicherungsinterne Beurteilung eingeholt werden müssen, sondern vielmehr ein externes medizinisches Gutachten (vgl. Urteil des Bundesgerichts 8C_800/2011 vom 31. Januar 2012 E. 3.3). Es kann aber auch nicht alleine auf die Berichte des behandelnden Kieferorthopäden, Dr. med. C.___, abgestellt werden. Dr. med. C.___ legt zwar grundsätzlich nachvollziehbar dar, dass Zahn 23 den benachbarten Zahn 22 berührt und damit die Möglichkeit einer Resorption der benachbarten Zahnwurzel besteht. Wie unmittelbar eine solche Resorption droht, geht aber aus den Berichten von Dr. med. C.___ nicht hervor, zumal die blosse Möglichkeit einer Resorption nicht ausreicht. Zudem ist in diesem Zusammenhang der Erfahrungstatsache Rechnung zu tragen, dass behandelnde Ärzte im Hinblick auf ihre auftragsrechtliche Vertrauensstellung in Zweifelsfällen mitunter eher zu Gunsten ihrer Patienten aussagen (BGE 125 V 353). Die Berichte von Dr. med. C.___ reichen aber wie dargelegt aus, geringe Zweifel an der Beurteilung des Vertrauensarztes der Beschwerdegegnerin zu wecken, weshalb rechtsprechungsgemäss ergänzende Abklärungen vorzunehmen sind (BGE 139 V 225 E. 5.2 S. 229, 135 V 465 E. 4.4 S. 470). Bei dieser Ausgangslage hätte nicht erneut eine versicherungsinterne Beurteilung eingeholt werden müssen, sondern vielmehr ein externes Gutachten (vgl. Urteil des Bundesgerichts 8C_800/2011 vom 31. Januar 2012 E. 3.3). Zudem kann angesichts der erheblich divergierenden medizinischen Aktenstücke auch nicht im Sinne einer antizipierenden Beweiswürdigung gesagt werden, von einer zusätzlichen, nachvollziehbar und schlüssig begründeten zahnmedizinischen Beurteilung seien keine verwertbaren entscheidrelevanten Erkenntnisse zu erwarten (vgl. SVR 2009 UV Nr. 3 S. 9, Urteil des Bundesgerichts 8C_354/2007 vom 4. August 2008 E. 8.3).
Demnach ist die vorliegende Beschwerdesache gutzuheissen und an die Beschwerdegegnerin zurückzuweisen, damit sie ein neutrales fachärztliches Gutachten veranlasst. Danach hat die Beschwerdegegnerin über die Vergütung der Kosten der strittigen Zahnbehandlung durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung neu zu verfügen.
5. 5.1 Bei diesem Verfahrensausgang hat die Beschwerdeführerin Anspruch auf eine ordentliche Parteientschädigung, welche von der Beschwerdegegnerin zu bezahlen ist. In Anbetracht von Aufwand und Schwierigkeit des Prozesses ist die Kostenforderung – wie in der eingereichten Kostennote vom 29. November 2023 verlangt – auf CHF 1'811.40 festzusetzen (6.65 Stunden zu CHF 250.00, zuzügl. Auslagen von CHF 19.40 und MwSt).
5.2 Grundsätzlich ist das Verfahren kostenlos. Von diesem Grundsatz abzuweichen, besteht im vorliegenden Fall kein Anlass. Demnach wird erkannt: 1. Die Beschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der Einspracheentscheid der Beschwerdegegnerin vom 5. Juni 2023 aufgehoben und die Sache zur Vornahme weiterer Abklärungen im Sinne der Erwägungen und nachfolgendem Neuentscheid an die Beschwerdegegnerin zurückgewiesen wird. 2. Die Helsana Versicherungen AG hat der Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung von CHF 1'811.40 (inkl. Auslagen und MwSt.) zu bezahlen. 3. Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.
Rechtsmittel Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit der Mitteilung beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten eingereicht werden (Adresse: Bundesgericht, Schweizerhofquai 6, 6004 Luzern). Die Frist beginnt am Tag nach dem Empfang des Urteils zu laufen und wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar (vgl. Art. 39 ff., 82 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes, BGG). Bei Vor- und Zwischenentscheiden (dazu gehört auch die Rückweisung zu weiteren Abklärungen) sind die zusätzlichen Voraussetzungen nach Art. 92 93 BGG zu beachten.
Versicherungsgericht des Kantons Solothurn Der Vizepräsident Der Gerichtsschreiber Flückiger Isch
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