Kanton: | SO |
Fallnummer: | VSBES.2023.162 |
Instanz: | Verwaltungsgericht |
Abteilung: | Versicherungsgericht |
Datum: | 27.11.2023 |
Rechtskraft: |
Leitsatz/Stichwort: | - |
Zusammenfassung: | Der Beschwerdeführer A.___ hat mehrere Anträge auf Leistungsbezug bei der IV-Stelle gestellt, die jedoch abgelehnt wurden. Nach einer erneuten Anmeldung im Jahr 2021 wurde ihm die unentgeltliche Rechtsverbeiständung im Verwaltungsverfahren verweigert. Das Versicherungsgericht hob diese Entscheidung auf und wies die Angelegenheit zur weiteren Abklärung zurück an die IV-Stelle. Der Beschwerdeführer beantragte daraufhin erneut die unentgeltliche Rechtsverbeiständung, die ihm schliesslich gewährt wurde. Die IV-Stelle muss nun über die Bedürftigkeit und Aussichtslosigkeit des Antrags entscheiden. Die Beschwerdegegnerin muss dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung von CHF 1'829.70 zahlen. |
Schlagwörter: | IV-Nr; Verfahren; Urteil; Bundesgericht; Bundesgerichts; Verbeiständung; Verfügung; Versicherungsgericht; Verwaltung; Anspruch; Verwaltungsverfahren; Vertretung; Rückweisung; Rechtsverbeiständung; Rechtsanwalt; IV-Stelle; Solothurn; Rechtspflege; Person; Gutachten; Sachverhalt; Verfahrens; Stunden; Präsidentin; Kantons; Beschwerdeführers; Beschwerdeverfahren; Betschart |
Rechtsnorm: | Art. 37 ATSG ; Art. 43 ATSG ; |
Referenz BGE: | 125 V 32; 137 V 210; 139 V 600; 143 V 409; |
Kommentar: | - |
Geschäftsnummer: | VSBES.2023.162 |
Instanz: | Versicherungsgericht |
Entscheiddatum: | 27.11.2023 |
FindInfo-Nummer: | O_VS.2023.197 |
Titel: | unentgeltliche Rechtsverbeiständung im IV-Verwaltungsverfahren |
Resümee: |
Urteil vom 27. November 2023 Es wirken mit: Gerichtsschreiber Haldemann In Sachen A.___ vertreten durch Rechtsanwalt Claude Wyssmann Beschwerdeführer gegen
Beschwerdegegnerin
betreffend unentgeltliche Rechtsverbeiständung im IV-Verwaltungsverfahren (Verfügung vom 30. Mai 2023)
zieht die Präsidentin des Versicherungsgerichts in Erwägung: I.
1. 1.1 Nach dem abschlägigen Bescheid vom 30. März 1994 meldete sich der Versicherte A.___ (fortan: Beschwerdeführer) am 4. Juli 2002 ein zweites Mal bei der IV-Stelle des Kantons Solothurn (fortan: Beschwerdegegnerin) zum Leistungsbezug an (IV-Akten / IV-Nr. 2). Die Beschwerdegegnerin verneinte mit Verfügung vom 6. Januar 2004 resp. Einspracheentscheid vom 13. Februar 2004 einen Rentenanspruch, da der Invaliditätsgrad nur bei 24,93 % liege (IV-Nrn. 24 + 31), was das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn (fortan: Versicherungsgericht) am 16. November 2004 bestätigte (IV-Nr. 36 S. 3 ff.). Ein drittes Leistungsbegehren vom 20. März 2008 (IV-Nr. 38) wies die Beschwerdegegnerin am 15. Juli 2008 ebenfalls ab, da sich der Beschwerdeführer Eingliederungsmassnahmen widersetzt hatte (IV-Nr. 51).
1.2 Am 5. Januar 2021 meldete sich der Beschwerdeführer erneut zum Leistungsbezug an (IV-Nr. 55). Die Beschwerdegegnerin verneinte daraufhin mit Verfügung vom 17. August 2021 einen Anspruch auf berufliche Massnahmen sowie auf eine Rente, da seit der letzten Begutachtung im Jahr 2003 keine für die Arbeitsfähigkeit relevante Änderung des Gesundheitszustandes eingetreten sei (IV-Nr. 73). Dagegen liess der Beschwerdeführer durch Rechtsanwalt Claude Wyssmann Beschwerde erheben. Das Versicherungsgericht hob daraufhin die besagte Verfügung mit Urteil VSBES.2021.154 vom 9. Januar 2023 auf und wies die Angelegenheit zurück an die Beschwerdegegnerin, damit sie bei den Dres. B.___ und C.___ jeweils einen aktuellen Arztbericht einhole und sodann, falls erforderlich, weitere Abklärungen durchführe, bevor sie neu über den Leistungsanspruch des Beschwerdeführers befinde (IV-Nr. 86 S. 2 ff.).
1.3 Der Beschwerdeführer liess am 19. Januar 2023 für das Verfahren bei der Beschwerdegegnerin die unentgeltliche Rechtsverbeiständung beantragen (IV-Nr. 88). Die Beschwerdegegnerin wies dieses Gesuch mit Verfügung vom 30. Mai 2023 ab, da eine anwaltliche Vertretung im verwaltungsinternen Verfahren nicht notwendig sei (Aktenseite / A.S. 1 f.).
1.4 Auf Empfehlung des Regionalen Ärztlichen Dienstes der Invalidenversicherung (RAD) hin (s. IV-Nr. 95 S. 2 f.) kündigte die Beschwerdegegnerin dem Beschwerdeführer am 27. April 2023 an, dass eine polydisziplinäre Begutachtung erforderlich sei (IV-Nr. 96). Nachdem via SuisseMED@P die Gutachterstelle D.___ ausgelost worden war (IV-Nr. 99 f.), gab die Beschwerdegegnerin dem Beschwerdeführer mit den Schreiben vom 16. und 31. Mai 2023 Gelegenheit, innert zehn Tagen Einwände gegen die vorgesehenen Gutachterpersonen zu erheben (IV-Nrn. 101 + 105).
2. 2.1 Am 3. Juli 2023 lässt der Beschwerdeführer beim Versicherungsgericht Beschwerde erheben und folgende Rechtsbegehren stellen (A.S. 3 ff.): 1. Die Verfügung der [Beschwerdegegnerin] vom 30. Mai 2023 sei vollumfänglich aufzuheben. 2. a) Es sei dem Beschwerdeführer für das IV-Verwaltungsverfahren die unentgeltliche Rechtsverbeiständung zu bewilligen. b) Eventualiter: Es sei die Beschwerdesache zur Prüfung der weiteren Voraussetzungen (finanzielle Bedürftigkeit, Prozessaussichten) an die Beschwerdegegnerin zurückzuweisen. 3. Es sei eine öffentliche Verhandlung nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK mit Publikums- und Presseanwesenheit durchzuführen. 4. Dem Beschwerdeführer sei für das vorliegende Beschwerdeverfahren die integrale unentgeltliche Rechtspflege und Rechtsverbeiständung unter gleichzeitiger Einsetzung des unter- zeichneten Rechtsanwalts als unentgeltlicher Rechtsbeistand zu gewähren. 5. Alles unter Kosten- und Entschädigungsfolge zu Lasten der Beschwerdegegnerin.
2.2 Die Beschwerdegegnerin verzichtet am 11. September 2023 auf eine Beschwerdeantwort und beantragt die Abweisung der Beschwerde (A.S. 26).
2.3 Die Präsidentin des Versicherungsgerichts bewilligt dem Beschwerdeführer mit Verfügung vom 14. September 2023 im Beschwerdeverfahren ab Prozessbeginn die unentgeltliche Rechtspflege mit Rechtsanwalt Claude Wyssmann als unentgeltlicher Rechtsbeistand (A.S. 27 f.).
2.4 Der Vertreter des Beschwerdeführers reicht am 18. September 2023 eine Kostennote ein (A.S. 29 ff.). Diese geht am 19. September 2023 zur Kenntnisnahme an die Beschwerdegegnerin (A.S. 33), welche sich in der Folge nicht dazu äussert.
II.
1. 1.1 Da die Sachurteilsvoraussetzungen (Einhaltung von Frist und Form, örtliche, sachliche und funktionelle Zuständigkeit des angerufenen Gerichts, Legitimation) erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten.
1.2 Die Beurteilung von Beschwerden gegen Zwischenverfügungen eines Sozialversicherungsträgers fällt in die Präsidialkompetenz (§ 54bis Abs. 1 lit. abis Kantonales Gesetz über die Gerichtsorganisation / GO, BGS 125.12). Die angefochtene Verfügung vom 30. Mai 2023, die den Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung im Verwaltungsverfahren betrifft, ist eine solche Zwischenverfügung (BGE 139 V 600 E. 2.2 S. 602), womit die Präsidentin des Versicherungsgerichts für den Entscheid in dieser Angelegenheit als Einzelrichterin zuständig ist.
2. 2.1 Der versicherten Person wird im verwaltungsinternen Sozialversicherungsverfahren ein unentgeltlicher Rechtsbeistand bewilligt, sofern es die Verhältnisse erfordern (Art. 37 Abs. 4 Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts / ATSG, SR 830.1). Die unentgeltliche Verbeiständung setzt kumulativ voraus, dass die versicherte Person bedürftig ist, ihre Begehren nicht aussichtslos sind und die Vertretung sachlich geboten ist (Franziska Martha Betschart in: Ghislaine Frésard-Fellay / Barbara Klett / Susanne Leuzinger [Hrsg.], Basler Kommentar zum ATSG, Basel 2020, Art. 37 N 37). Im verwaltungsinternen Verfahren gelten somit strengere Anforderungen für die unentgeltliche Verbeiständung als im Beschwerdeverfahren vor dem kantonalen Versicherungsgericht, wo ein unentgeltlicher Rechtsbeistand nicht bloss bewilligt wird, wenn er notwendig ist, sondern bereits dann, wenn die Verhältnisse es «rechtfertigen» (Art. 61 lit. f Satz 2 ATSG; Betschart, a.a.O., Art. 37 N 46). Zeitlich lässt sich der Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung im verwaltungsinternen Verfahren nicht generell, d.h. auf ein bestimmtes Verfahrensstadium, beschränken (BGE 125 V 32 E. 4c S. 36).
2.2 Ob die Vertretung im verwaltungsinternen Verfahren erforderlich ist, richtet sich nach den Umständen des konkreten Einzelfalls. Dabei sind neben der Komplexität der Rechtsfragen und der Unübersichtlichkeit des Sachverhalts auch in der versicherten Person liegende Gründe in Betracht zu ziehen, wie etwa deren Fähigkeit, sich im Verfahren zurechtzufinden (BGE 125 V 32 E. 4b S. 35; Urteil des Bundesgerichts 9C_565/2020 vom 17. März 2021 E. 3.1.1). Der im verwaltungsinternen Verfahren geltende Untersuchungsgrundsatz (s. dazu Art. 43 Abs. 1 ATSG) rechtfertigt es, an die Voraussetzungen, unter denen eine anwaltliche Verbeiständung sachlich geboten ist, einen strengen Massstab anzulegen (BGE 125 V 32 E. 4b S. 36; Betschart, a.a.O., Art. 37 N 48). Die anwaltliche Vertretung im Verwaltungsverfahren drängt sich mit anderen Worten nur in Ausnahmefällen auf, d.h. wenn die Angelegenheit rechtlich tatsächlich schwierig ist und eine gehörige Interessenwahrung durch Verbandsvertreter, Fürsorger andere Fach- und Vertrauensleute sozialer Institutionen ausser Betracht fällt. Grundsätzlich geboten ist die Verbeiständung auch, falls ein besonders starker Eingriff in die Rechtsstellung der versicherten Person droht, andernfalls bloss, wenn zur relativen Schwere des Falls besondere tatsächliche rechtliche Schwierigkeiten hinzukommen, denen die versicherte Person auf sich alleine gestellt nicht gewachsen ist (BGE 132 V 200 E. 4.1 S. 201; Urteil des Bundesgerichts 9C_565/2020 vom 17. März 2021 E. 3.1.1). Die Stellungnahme zu einem medizinischen Gutachten erfordert zwar regelmässig gewisse medizinische Kenntnisse und einen gewissen juristischen Sachverstand, um Schwachstellen einer fachärztlichen Expertise und deren rechtliche Relevanz zu erkennen. Die hohe Bedeutung medizinischer Gutachten vermag aber für sich allein genommen keine Notwendigkeit einer anwaltlichen Vertretung zu begründen. Die gegenteilige Auffassung liefe darauf hinaus, dass der Anspruch auf unentgeltliche Rechtsverbeiständung im Verwaltungsverfahren kaum verneint werden könnte, wenn ein medizinisches Gutachten zur Diskussion steht, was der Konzeption von Art. 37 Abs. 4 ATSG als einer Ausnahmeregelung widerspräche (Urteil des Bundesgerichts 8C_149/2021 vom 18. Mai 2021 E. 5.2; Betschart, a.a.O., Art. 37 N 48 + 52). Weiter stehen in der Invalidenversicherung zwar regelmässig finanzielle Leistungen von erheblicher Bedeutung zur Diskussion. Das Abstellen auf das finanzielle Moment hätte indes zur Folge, dass der Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung in praktisch allen zumindest den meisten Verfahren bejaht werden müsste, was einem generellen Anspruch auf einen unentgeltlichen anwaltlichen Vertreter im Verwaltungsverfahren gleichkäme (Urteil des Bundesgerichts 9C_559/2012 vom 27. November 2012 E. 6.2).
Eine Rückweisung an die IV-Stelle zur weiteren Sachverhaltsabklärung führt ebenfalls nicht zwingend zu einem Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege im Administrativverfahren. Dies setzt vielmehr zusätzliche, besondere Umstände voraus, z.B. wenn die Verwaltung nicht bloss einzelne rechtsverbindliche Anweisungen gemäss Rückweisungsentscheid ohne eigenen Ermessensspielraum konkret umzusetzen hat, sondern das kantonale Gericht die Sache zur umfassenden medizinischen Abklärung und Veranlassung eines polydisziplinären Gutachtens an die IV-Stelle zurückweist und ein komplexer Sachverhalt vorliegt. Besondere Umstände können weiter dann gegeben sein, wenn die Rückweisung an die Verwaltung zur monodisziplinären Begutachtung erfolgt, weil in diesem Kontext die zufallsbasierte Zuweisung einer Gutachterstelle entfällt, so dass den übrigen Verfahrensgarantien im Sinn von BGE 137 V 210 umso grössere Bedeutung zukommt. Ferner können auch besondere Vorgaben rechtlicher Natur, etwa eine Rückweisung nicht nur zur umfassenden Neubeurteilung des Gesundheitszustands, sondern auch zur Überprüfung des Einkommensvergleichs, die Verbeiständung erforderlich machen (Urteil des Bundesgerichts 8C_149/2021 vom 18. Mai 2021 E. 5.3.1).
Die Notwendigkeit einer anwaltlichen Vertretung ist zwar prospektiv zu beurteilen. Dies bedeutet aber nicht, dass alle erdenklichen Entwicklungen, welche künftig allenfalls eine Verbeiständung begründen könnten, zu berücksichtigen wären, solange es an konkreten Anzeichen für deren Verwirklichung fehlt (Betschart, a.a.O., Art. 37 N 50).
3. 3.1 Im vorliegenden Fall sind die folgenden Umstände zu berücksichtigen:
3.1.1 Der Beschwerdeführer wird im laufenden verwaltungsinternen Verfahren vom selben Rechtsanwalt vertreten wie im vorhergehenden Beschwerdeverfahren VSBES.2021.154, das zur Rückweisung der Sache an die Beschwerdegegnerin führte (s. E. I. 1.2 hiervor). Dieser Umstand spricht für die Erforderlichkeit der Vertretung (Urteil des Bundesgerichts 8C_149/2021 vom 18. Mai 2021 E. 5.4).
3.1.2 Das Rückweisungsurteil vom 9. Januar 2023 verhielt die Beschwerdegegnerin dazu, in einem ersten Schritt aktuelle Berichte der behandelnden Ärzte Dr. med. B.___ und Dr. med. C.___ einzuholen. Insoweit lag eine präzise Anweisung zur Sachverhaltsabklärung vor, welche die Beschwerdegegnerin ohne weiteres zu befolgen hatte. Sodann musste sie laut Urteil in einem zweiten Schritt prüfen, ob zusätzliche Abklärungen erforderlich waren, und diese gegebenenfalls durchführen. Von diesem Moment an gab es seitens des Gerichts keine festen Vorgaben zum weiteren Vorgehen mehr. Der Beschwerdegegnerin tat sich damit ein Handlungsspielraum auf, namentlich ob ein mono-, bi- polydisziplinäres Gutachten einzuholen sei. Unter diesem Blickwinkel scheint eine Verbeiständung ebenfalls als erforderlich (Urteil des Bundesgerichts 8C_669/2016 vom 7. April 2017 E. 3.3.1 + 3.3.3); dies allerdings erst, als sich zeigte, dass die aktuellen Berichte der Dres. B.___ und C.___ nicht ausreichten, um den Leistungsanspruch des Beschwerdeführers zu beurteilen, d.h. ab der Stellungnahme des RAD vom 27. April 2023, welche eine polydisziplinäre Begutachtung empfahl (IV-Nr. 95 S. 2 f.).
3.1.3 Richtig ist, dass die im Rahmen der aktuellen Neuanmeldung relevanten Akten nicht aussergewöhnlich umfangreich unübersichtlich sind. Weiter trifft zu, dass der Vergleich, der zwischen dem Sachverhalt am 13. Februar 2004, dem Zeitpunkt der letzten materiellen Beurteilung der Angelegenheit (s. IV-Nr. 86 S. 5 E. 3.1), und dem aktuellen Zustand anzustellen ist, nicht zwingend bedeutet, dass ein schwieriger Fall vorliegt. Es ist allerdings zu beachten, dass die Beschwerdegegnerin seinerzeit auf das E.___-Gutachten vom 23. Oktober 2003 abstellte. Dieses hielt als Diagnose mit Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit eine persistierende Müdigkeit bei Benzodiazepin-Abhängigkeit fest, während der emotional instabilen Persönlichkeitsstörung kein Einfluss beigemessen wurde (IV-Nr. 23 S. 17). Im Rahmen der Neuanmeldung vom 5. Januar 2021 sprach der behandelnde Psychiater Dr. med. C.___ in seinen Berichten vom 22. November 2020 und 12. Januar 2021 ebenfalls von einer Benzodiazepin-Abhängigkeit und einer Persönlichkeitsstörung vom aggressiv-impulsiven Typ sowie zusätzlich von einer rezidivierenden depressiven Störung, wobei er den Beschwerdeführer als höchstens zu 20 % arbeitsfähig betrachtete (IV-Nr. 59 S. 1 ff. + 6 f.). In seinem letzten Bericht vom 1. Februar 2023 wiederum attestierte Dr. med. C.___ eine Arbeitsunfähigkeit von 100 %, welche er auf kombinierte und andere Persönlichkeitsstörungen zurückführte, während er die depressive Störung als gegenwärtig remittiert ansah und dem Abhängigkeitssyndrom keine Bedeutung für die Arbeitsfähigkeit beimass (IV-Nr. 89 S. 3 ff.). Seit dem massgeblichen Vergleichszeitpunkt am 13. Februar 2004 hat sich indes die Rechtsprechung geändert, indem neu bei sämtlichen psychischen Erkrankungen einschliesslich der Abhängigkeitssyndrome nach dem strukturierten Beweisverfahren zu ermitteln ist, ob und gegebenenfalls inwieweit sich ein fachärztlich diagnostiziertes Leiden im Einzelfall auf die Arbeitsfähigkeit der versicherten Person auswirkt (s. BGE 143 V 409, 143 V 418 und 145 V 215). Angesichts dessen kann nicht mehr von einem sachverhaltsmässig und rechtlich einfachen, durchschnittlichen Fall ausgegangen werden (Urteil des Bundesgerichts 8C_149/2021 vom 18. Mai 2021 E. 5.4).
3.1.4 Was die konkreten subjektiven Verhältnisse des Beschwerdeführers angeht, so ist einmal dem nur fünfjährigen Schulbesuch und der fehlenden beruflichen Ausbildung (IV-Nr. 23 S. 5 Ziff. 3.2.2 / S. 12) Rechnung zu tragen (s. Urteil des Bundesgerichts 8C_149/2021 vom 18. Mai 2021 E. 5.4). Hinzu kommt, dass Dr. med. C.___ den Beschwerdeführer als kognitiv einfach strukturiert und ungebildet beschreibt sowie festhält, bei Frustrationen bestehe die Gefahr von Impulsivität und Aggressivität (IV-Nr. 59 S. 6 Ziff. 1.2 / Nr. 89 S. 4). Auch dies deutet darauf hin, dass der Beschwerdeführer den Herausforderungen des verwaltungsinternen Verfahrens nicht ohne weiteres gewachsen ist.
3.1.5 Da die sich stellenden Fragen nicht mehr einfach sind, kann man dem Beschwerdeführer auch nicht entgegengehalten, er hätte sich mit dem Beizug von Fach- und Vertrauensleuten sozialer Institutionen unentgeltlicher Rechtsberatungsstellen behelfen müssen (Urteil des Bundesgerichts 8C_149/2021 vom 18. Mai 2021 E. 5.5).
3.2 Die Gesamtwürdigung der konkreten Umstände ergibt, dass sich der vorliegende Fall nicht länger in einem durchschnittlich komplexen Rahmen bewegt, wie er regelmässig vorkommt. Die Verbeiständung durch einen Rechtsanwalt ist vielmehr ab 27. April 2023 sachlich geboten. Die Beschwerde wird insoweit teilweise gutgeheissen, als die angefochtene Verfügung aufgehoben und die Angelegenheit zurück an die Beschwerdegegnerin gewiesen wird. Diese hat die (in der angefochtenen Verfügung nicht behandelten) weiteren Voraussetzungen der Bedürftigkeit sowie der fehlenden Aussichtslosigkeit zu prüfen und sodann zu entscheiden, ob dem Beschwerdeführer ab 27. April 2023 die unentgeltliche Verbeiständung im verwaltungsinternen Verfahren zu gewähren ist.
Auf eine öffentliche Verhandlung besteht kein Anspruch, da die Verfahrensgarantien gemäss Art. 6 Ziff. 1 EMRK auf Streitigkeiten prozessrechtlicher Natur nicht anwendbar sind. Dazu gehören auch Verfahren, in denen es wie hier um die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege geht (s. Urteil des Bundesgerichts 5P.460/2001 vom 8. Mai 2002 E. 4.1).
4. 4.1 Da der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer teilweise obsiegt hat, steht ihm eine Parteientschädigung zu. Diese bemisst sich ohne Rücksicht auf den Streitwert nach dem zu beurteilenden Sachverhalt sowie der Schwierigkeit des Prozesses und ist in einer Pauschalsumme festzusetzen (Art. 61 lit. g ATSG). Der anwaltliche Stundenansatz bewegt sich bei Verrichtungen ab 1. Januar 2023, wie sie hier einzig in Frage stehen, in einem Rahmen von CHF 250.00 bis 350.00 (s. § 160 Abs. 4 Kantonaler Gebührentarif [GT, BGS 615.11] i.V.m. Beschluss der Gerichtsverwaltungskommission GVB.2022.111). Bei teilweisem Obsiegen ist die Parteientschädigung insoweit zu reduzieren, als das Rechtsbegehren, welches über die Gutheissung hinausgeht, den Prozessaufwand erhöht hat (Urteil des Bundesgerichts 9C_995/2012 vom 17. Januar 2013 E. 3 mit Hinweisen). Dies trifft hier indes nicht zu, denn wenn sich der Vertreter darauf beschränkt hätte, die unentgeltliche Rechtspflege erst ab 27. April 2023 zu beantragen, wäre sein Aufwand kaum wesentlich tiefer ausgefallen.
4.2 Die vom Vertreter des Beschwerdeführers eingereichte Kostennote vom 18. September 2023 (A.S. 30 f.) weist einen Zeitaufwand von 7,94 Stunden aus. Darin ist jedoch auch reiner Kanzleiaufwand enthalten, der im Stundenansatz eines Anwaltes bereits inbegriffen und nicht separat zu vergüten ist. Dies betrifft die Klientenbriefe («Brief an Klientin») sowie die Briefe an die [...] vom 3. und 6. Juli sowie 18. September 2023, bei denen mangels eindeutiger Bezeichnung praxisgemäss von Orientierungskopien u.ä. auszugehen ist (6 x 0,17 = 1,02 Stunden), sowie die Einreichung der Kostennote (0,33 Stunden). Anzurechnen ist folglich ein Aufwand von insgesamt 6,59 Stunden, woraus sich mit dem beantragten Ansatz von CHF 250.00 eine Entschädigung von CHF 1'647.50 ergibt. Was die Auslagen über CHF 83.40 betrifft, so sind die 64 Kopien pro Stück nur mit CHF 0.50 zu vergüten (§ 161 i.V.m. § 160 Abs. 5 GT) und nicht mit CHF 1.00, wie in der Kostennote geltend gemacht wird. Die Auslagen reduzieren sich so auf CHF 51.40. Einschliesslich CHF 130.80 Mehrwertsteuer (7,7 %) beläuft sich die Parteientschädigung demnach auf CHF 1'829.70.
5. Bei Streitigkeiten über Sozialversicherungsleistungen ist das kantonale Beschwerdeverfahren kostenpflichtig, wenn dies im jeweiligen Einzelgesetz vorgesehen ist (Art. 61 lit. fbis ATSG). Eine solche Kostenpflicht besteht in der Invalidenversicherung für Streitigkeiten betreffend die Bewilligung Verweigerung von Leistungen (Art. 69 Abs. 1bis Bundesgesetz über die Invalidenversicherung / IVG, SR 831.20). Da aber im vorliegenden Verfahren keine solchen Leistungen streitig sind, sondern die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege im Verwaltungsverfahren, sind keine Verfahrenskosten zu erheben.
Demnach wird erkannt: 1. Die Beschwerde wird in dem Sinne teilweise gutgeheissen, als die Verfügung der IV-Stelle des Kantons Solothurn vom 30. Mai 2023 aufgehoben und die Angelegenheit zurück an die Be- schwerdegegnerin gewiesen wird, damit diese im Sinne der Erwägungen verfährt. 2. Die IV-Stelle des Kantons Solothurn hat dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung von CHF 1'829.70 (inkl. Auslagen und Mehrwertsteuer) zu bezahlen. 3. Es werden keine Verfahrenskosten erhoben. Rechtsmittel Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit der Mitteilung beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten eingereicht werden (Adresse: Bundesgericht, Schweizerhofquai 6, 6004 Luzern). Die Frist beginnt am Tag nach dem Empfang des Urteils zu laufen und wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar (vgl. Art. 39 ff., 82 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes, BGG). Bei Vor- und Zwischenentscheiden (dazu gehört auch die Rückweisung zu weiteren Abklärungen) sind die zusätzlichen Voraussetzungen nach Art. 92 93 BGG zu beachten.
Versicherungsgericht des Kantons Solothurn Die Präsidentin Der Gerichtsschreiber Weber-Probst Haldemann |
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