Zusammenfassung des Urteils VSBES.2023.137: Verwaltungsgericht
Das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn hat in einem Fall bezüglich Kurzarbeitsentschädigung und Covid-19 entschieden. Die Beschwerdeführerin A.___ war mit der Rückforderung von CHF 22'407.80 durch die Öffentliche Arbeitslosenkasse des Kantons Solothurn konfrontiert. Das Gericht entschied, dass die Rückforderung gerechtfertigt ist, da die Bewilligungen für Kurzarbeit zurückgezogen wurden. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin wurde abgewiesen, und es wurden keine Verfahrenskosten erhoben.
Kanton: | SO |
Fallnummer: | VSBES.2023.137 |
Instanz: | Verwaltungsgericht |
Abteilung: | Versicherungsgericht |
Datum: | 26.07.2023 |
Rechtskraft: |
Leitsatz/Stichwort: | - |
Schlagwörter: | Arbeit; Urteil; Kurzarbeit; Versicherungsgericht; Amtsstelle; Rückforderung; Entscheid; Kurzarbeitsentschädigung; Solothurn; Verfügung; Einsprache; Revision; Tatsache; Kantons; Akten; Erlass; Verfahren; Bundesgericht; Recht; Tatsachen; VSBES; Vizepräsident; Einspracheentscheid; Versicherungsgerichts; Anspruch; Entscheide; Beweismittel; Urteils; Verfahrens |
Rechtsnorm: | Art. 39 AVIG;Art. 51 ATSG ;Art. 95 AVIG; |
Referenz BGE: | 129 V 110; 143 V 105; |
Kommentar: | Thomas, Basler Kommentar zum ATSG, Art. 53 ATSG, 2020 |
Geschäftsnummer: | VSBES.2023.137 |
Instanz: | Versicherungsgericht |
Entscheiddatum: | 26.07.2023 |
FindInfo-Nummer: | O_VS.2023.123 |
Titel: | Kurzarbeitsentschädigung; Covid19 |
Resümee: |
Urteil vom 26. Juli 2023 Es wirken mit: Vizepräsident Flückiger Gerichtsschreiber Haldemann In Sachen A.___ Beschwerdeführerin gegen
Beschwerdegegnerin
betreffend Kurzarbeitsentschädigung / Covid-19 (Einspracheentscheid vom 10. Mai 2023)
zieht der Vizepräsident des Versicherungsgerichts in Erwägung: I.
1. 1.1 Das Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Solothurn (fortan: Kantonale Amtsstelle) bewilligte der Arbeitgeberin A.___ (fortan: Beschwerdeführerin) am 27. April 2020 resp. 21. Januar 2021 für die Zeit vom 19. März bis 18. September 2020 sowie vom 21. Januar bis 20. April 2021 Kurzarbeit (Akten der kantonalen Amtsstelle / AWA S. 83 f. + 93 f.). Es hob diese Bewilligungen jedoch mit Verfügung vom 29. Juli 2021 wieder auf (AWA S. 69 ff.) und wies die dagegen gerichtete Einsprache mit Entscheid vom 31. August 2021 ab (AWA S. 48 ff.).
1.2 Die Öffentliche Arbeitslosenkasse des Kantons Solothurn (fortan: Beschwerdegegnerin) forderte von der Beschwerdeführerin mit Verfügung vom 3. November 2021 die für März bis Mai 2020 sowie Januar und Februar 2021 ausgerichtete Kurzarbeitsentschädigung im Gesamtbetrag von CHF 22'407.80 zurück (Akten der Beschwerdegegnerin / ALK S. 86 ff.).
1.3 Die kantonale Amtsstelle leitete am 3. Januar 2022 ein undatiertes Schreiben des Treuhänders der Beschwerdeführerin (Postaufgabe: 23. Dezember 2021, fortan: «Eingabe vom 23. Dezember 2021») an das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn (fortan: Versicherungsgericht) weiter (AWA S. 29 f.). Dieses nahm die Eingabe vom 23. Dezember 2021 als Beschwerde gegen den Einspracheentscheid der kantonalen Amtsstelle vom 31. August 2021 (E. I. 1.1 hiervor) entgegen, welche mit Urteil VSBES.2022.3 vom 17. Februar 2023 abgewiesen wurde, soweit darauf eingetreten werden konnte. Ausserdem leitete das Versicherungsgericht die Akten an die Beschwerdegegnerin weiter, damit diese die Eingabe vom 23. Dezember 2021 als Einsprache gegen die Rückforderungsverfügung vom 3. November 2021 behandle (s. AWA S. 1 ff. E. II. 1.2 / 1.3 / 3.3). Dieses Urteil blieb unangefochten und erwuchs am 28. März 2023 in Rechtskraft (ALK S. 18).
1.4 Die Beschwerdegegnerin wies die Einsprache gegen die Verfügung vom 3. November 2021 (E. I. 1.2 hiervor) mit Entscheid vom 10. Mai 2023 ab und bestätigte ihre Rückforderung von CHF 22'407.80 (Aktenseite / A.S. 1 ff.).
2. 2.1 Die Beschwerdeführerin erhebt am 30. Mai 2023 beim Versicherungsgericht Beschwerde mit dem sinngemässen Rechtsbegehren, von einer Rückforderung der ausgerichteten Kurzarbeitsentschädigung sei abzusehen (A.S. 5 f.).
2.2 Die Beschwerdegegnerin beantragt mit Beschwerdeantwort vom 19. Juni 2023, die Beschwerde sei abzuweisen und es seien weder Gerichtskosten aufzuerlegen noch sei eine Parteientschädigung auszuzahlen (A.S. 9 ff.).
2.3 Die Beschwerdeführerin hält mit Replik vom 6. Juli 2023 an ihrem Beschwerdebegehren fest (A.S. 17). II.
1. 1.1 Da die Sachurteilsvoraussetzungen (zulässiges Anfechtungsobjekt, Einhaltung von Frist und Form, örtliche, sachliche und funktionelle Zuständigkeit des angerufenen Gerichts, Legitimation) erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten, soweit sie sich gegen den Bestand der Rückforderung richtet. Sofern indes mit dem Hinweis auf die finanzielle Situation der Gesellschaft sinngemäss ein Erlass dieser Forderung verlangt wird (s. dazu Art. 25 Abs. 1 Satz 2 Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts / ATSG, SR 830.1), kann auf die Beschwerde nicht eingetreten werden. Im Beschwerdeverfahren vor dem kantonalen Versicherungsgericht sind grundsätzlich nur Rechtsverhältnisse zu überprüfen, zu denen der zuständige Versicherungsträger vorgängig verbindlich Stellung genommen hat. Ein Erlass der Rückforderung bildete jedoch nicht Gegenstand des angefochtenen Einspracheentscheides vom 10. Mai 2023, womit es am erforderlichen Anfechtungsgegenstand und damit einer Sachurteilsvoraussetzung fehlt (Urteil des Bundesgerichts 9C_709/2018 vom 8. November 2018 E. 1.3.).
1.2 Der Vizepräsident des Versicherungsgerichts beurteilt als Stellvertreter der Präsidentin sozialversicherungsrechtliche Streitigkeiten bis zu einem Streitwert von CHF 30‘000.00 als Einzelrichter (§ 54bis Abs. 1 lit. a Kantonales Gesetz über die Gerichtsorganisation / GO, BGS 125.12). Diese Grenze wird hier mit der streitigen Rückforderung von CHF 22'407.80 nicht überschritten.
2. 2.1 2.1.1 Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, deren normale Arbeitszeit verkürzt deren Arbeit ganz eingestellt ist, haben Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung, wenn kumulativ verschiedene Voraussetzungen erfüllt sind (Art. 31 Abs. 1 lit. a - d Bundesgesetz über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung / AVIG, SR 837.0). Hält die kantonale Amtsstelle eine mehrere dieser Anspruchsvoraussetzungen für nicht erfüllt, erhebt sie durch Verfügung Einspruch gegen die Ausrichtung der Entschädigung (Art. 36 Abs. 4 Satz 1 AVIG). Diesfalls darf die Arbeitslosenkasse keine Auszahlungen vornehmen (Art. 39 Abs. 2 AVIG)
2.1.2 Unrechtmässig bezogene Leistungen der Arbeitslosenversicherung sind zurückzuerstatten (Art. 95 Abs. 1 AVIG i.V.m. Art. 25 Abs. 1 Satz 1 ATSG). Für eine solche Rückforderung müssen entweder die Voraussetzungen einer Wiedererwägung (Art. 53 Abs. 2 ATSG) einer prozessualen Revision (Art. 53 Abs. 1 ATSG) erfüllt sein (BGE 130 V 318 E. 5.2 in fine S. 320). Dies gilt auch bei Leistungsabrechnungen, die gestützt auf Art. 100 Abs. 1 AVIG nicht als formelle Verfügung, sondern im formlosen Verfahren gemäss Art. 51 ATSG ergingen (BGE 129 V 110 E. 1.1).
Formell rechtskräftige Entscheide sind in Revision zu ziehen, wenn nach ihrem Erlass erhebliche neue Tatsachen entdeckt Beweismittel aufgefunden werden, deren Beibringung zuvor nicht möglich war. Neue Tatsachen liegen vor, wenn sie sich vor Erlass des zu revidierenden Entscheides verwirklicht haben, aber trotz hinreichender Sorgfalt damals nicht bekannt waren. Die neuen Tatsachen müssen zudem erheblich sein, was dann der Fall ist, wenn sie die tatbestandliche Grundlage des rechtskräftigen Entscheides so zu ändern vermögen, dass bei zutreffender rechtlicher Würdigung ein anderer Entscheid resultiert (BGE 143 V 105 E. 2.3 S. 107 f.). Die neuen Tatsachen Beweismittel sind gemäss Art. 67 Abs. 1 Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren (VwVG, SR 172.021) in Verbindung mit Art. 55 Abs. 1 ATSG innert 90 Tagen nach deren Entdeckung geltend zu machen, spätestens jedoch innert zehn Jahren nach der Eröffnung des zu revidierenden Entscheides. Praxisgemäss beginnt die relative 90tägige Revisionsfrist zu laufen, sobald bei der Partei eine sichere Kenntnis über die neue erhebliche Tatsache das entscheidende Beweismittel vorhanden ist (BGE 143 V 105 E. 2.4 S. 108).
2.2 Die kantonale Amtsstelle hatte der Beschwerdeführerin am 27. April 2020 und 21. Januar 2021 Kurzarbeit bewilligt und damit die Grundlage dafür geschaffen, dass die Beschwerdegegnerin ab 19. März 2020 resp. 21. Januar 2021 Kurzarbeitsentschädigung ausrichten konnte (E. I. 1.1 hiervor). Diese Bewilligungen wurden indes mit Verfügung vom 29. Juli 2021 in Revision gezogen und widerrufen, was sowohl der Einspracheentscheid der kantonalen Amtsstelle vom 31. August 2021 als auch das Urteil des Versicherungsgerichts VSBES.2022.3 vom 17. Februar 2023 bestätigten (s. E. I. 1.3 hiervor). Nachdem die Beschwerdeführerin es unterliess, das besagte Urteil beim Bundesgericht anzufechten, ist der Einspruch der kantonalen Amtsstelle gegen die Ausrichtung von Kurzarbeitsentschädigung rechtskräftig und im hiesigen Verfahren betreffend die Rückforderung der ausbezahlten Entschädigung verbindlich. Eine prozessuale Revision des erwähnten Urteils vom 17. Februar 2023 (s. dazu Art. 61 lit. i ATSG) fällt ausser Betracht. Dieses Urteil beruhte darauf, dass es die Beschwerdeführerin versäumt hatte, in ihrem Betrieb die Arbeitszeiten ordnungsgemäss zu erfassen, womit von vornherein kein Anspruch auf Kurzarbeit bestand (s. AWA S. 6 f. E. II. 3.1 f.). Die Beschwerdeführerin bringt im Nachgang zu diesem Urteil weder neue Tatsachen Beweismittel vor, welche die Arbeitszeiterfassung betreffen, noch macht sie die Einwirkung durch Verbrechen Vergehen auf die Urteilsfindung geltend. Die vorliegende Beschwerde kann daher nicht als Gesuch um Revision des Urteils vom 17. Februar 2023 aufgefasst werden.
Da die Kurzarbeitsbewilligungen durch die kantonale Amtsstelle nachträglich weggefallen sind, fehlt nunmehr eine Grundlage für die von der Beschwerdegegnerin für März bis Mai 2020 sowie Januar und Februar 2021 ausgerichtete Kurzarbeitsentschädigung (s. dazu E. II. 2.1.1 hiervor). Die Beschwerdegegnerin durfte deshalb ihrerseits revisionsweise auf die fraglichen Zahlungen zurückkommen und diese zurückfordern: Beim Einspruch der kantonalen Amtsstelle vom 29. Juli 2021 handelte es sich um eine neue Tatsache. Der Umstand, dass die Beschwerdegegnerin in der Verfügung vom 3. November 2021 nicht ausdrücklich von einer prozessualen Revision der Leistungsabrechnungen sprach, schadet nicht, denn es ist klar, dass eine solche stillschweigend vorgenommen wurde (vgl. dazu Urteil des Bundesgerichts 8C_677/2017 vom 23. Februar 2018 E. 5.3.3). Zudem erfolgte die Rückforderungsverfügung vom 3. November 2021 rechtzeitig. Das Urteil des Versicherungsgerichts im Beschwerdeverfahren VSBES.2022.3, welches die rückwirkende Aufhebung der erteilten Kurzarbeitsbewilligungen durch die kantonale Amtsstelle bestätigte, erwuchs erst später, am 28. März 2023, in Rechtskraft (E. I. 1.3). Sichere Kenntnis vom Wegfall der Bewilligungen bestand daher erst in diesem Zeitpunkt (s. dazu Thomas Flückiger in: Ghislaine Frésard-Fellay / Barbara Klett / Susanne Leuzinger [Hrsg.], Basler Kommentar zum ATSG, Basel 2020, Art. 53 N 50).
Die Höhe der Rückforderung wird von der Beschwerdeführerin zu Recht nicht bestritten (A.S. 5), so dass sich hier Weiterungen erübrigen.
2.3 Zusammenfassend stellt sich die Beschwerde als unbegründet heraus und ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Die Akten des vorliegenden Verfahrens werden zuständigkeitshalber zur Behandlung als Erlassgesuch an die kantonale Amtsstelle weitergeleitet (s. Art. 95 Abs. 3 AVIG und Art. 30 ATSG).
3. Bei diesem Verfahrensausgang besteht kein Anspruch auf eine Parteientschädigung.
4. In Beschwerdesachen der Arbeitslosenversicherung vor dem kantonalen Versicherungsgericht sind (abgesehen vom hier nicht interessierenden Fall einer mutwilligen leichtsinnigen Prozessführung) keine Verfahrens- kosten zu erheben, weil dies im AVIG nicht vorgesehen ist (s. Art. 61 lit. fbis ATSG).
Demnach wird erkannt: 1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann. 2. Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen. 3. Es werden keine Verfahrenskosten erhoben. 4. Die Akten werden zuständigkeitshalber zur Behandlung als Erlassgesuch an das Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Solothurn weitergeleitet.
Rechtsmittel Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit der Mitteilung beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten eingereicht werden (Adresse: Bundesgericht, Schweizerhofquai 6, 6004 Luzern). Die Frist beginnt am Tag nach dem Empfang des Urteils zu laufen und wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar (vgl. Art. 39 ff., 82 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes, BGG). Bei Vor- und Zwischenentscheiden (dazu gehört auch die Rückweisung zu weiteren Abklärungen) sind die zusätzlichen Voraussetzungen nach Art. 92 93 BGG zu beachten.
Versicherungsgericht des Kantons Solothurn Der Vizepräsident Der Gerichtsschreiber Flückiger Haldemann
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