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Urteil Verwaltungsgericht (SO - VSBES.2022.79)

Zusammenfassung des Urteils VSBES.2022.79: Verwaltungsgericht

Die Beschwerdeführerin A.___ AG hat bei der Öffentlichen Arbeitslosenkasse des Kantons Solothurn Kurzarbeitsentschädigung für Februar 2021 beantragt. Nach verschiedenen Einreichungen und Korrekturen verneinte die Beschwerdegegnerin einen höheren Anspruch und wies die Einsprache ab. Die Beschwerdeführerin zog daraufhin vor das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn und verlangte eine höhere Entschädigung. Das Gericht entschied, dass die Beschwerde abzuweisen ist, da die Frist für den Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung nicht eingehalten wurde. Es wurden keine Parteientschädigungen zugesprochen und keine Verfahrenskosten erhoben.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts VSBES.2022.79

Kanton:SO
Fallnummer:VSBES.2022.79
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Versicherungsgericht
Verwaltungsgericht Entscheid VSBES.2022.79 vom 18.07.2023 (SO)
Datum:18.07.2023
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:-
Schlagwörter: Verfügung; Kurzarbeit; Abrechnung; Apos; Wiedererwägung; Kurzarbeitsentschädigung; Recht; Covid; Anspruch; Arbeitnehmende; Covid-; Entschädigung; Einsprache; Einspracheentscheid; Abrechnungsperiode; Frist; Arbeitslosenversicherung; Verfügungen; Voraussetzung; Versicherungsgericht; Voraussetzungen; Verordnung; Verfahren; Verwaltung; Arbeitnehmenden; Bundesgericht; Entscheid; Person; Anzahl
Rechtsnorm: Art. 39 AVIG;Art. 41 ATSG ;Art. 49 ATSG ;Art. 51 ATSG ;Art. 53 ATSG ;Art. 59c AVIG;
Referenz BGE:117 V 8; 119 V 475; 125 V 383; 128 V 133; 129 V 110; 146 V 364;
Kommentar:
-

Entscheid des Verwaltungsgerichts VSBES.2022.79

 
Geschäftsnummer: VSBES.2022.79
Instanz: Versicherungsgericht
Entscheiddatum: 18.07.2023 
FindInfo-Nummer: O_VS.2023.112
Titel: Kurzarbeitsentschädigung; Covid19

Resümee:

 

 

Urteil vom 18. Juli 2023

Es wirken mit:

Vizepräsident Flückiger

Oberrichter Marti

Oberrichterin Kofmel

Gerichtsschreiber Haldemann

In Sachen

A.___ vertreten durch Rechtsanwalt Marc Aebi

Beschwerdeführerin

gegen


Öffentliche Arbeitslosenkasse des Kantons Solothurn,
Juristische Dienstleistungen, Rathausgasse 16, 4509 Solothurn,

Beschwerdegegnerin

 

betreffend       Kurzarbeitsentschädigung / Covid-19 (Einspracheentscheid vom 6. April 2022)

 


zieht das Versicherungsgericht in Erwägung:

I.

 

1.

1.1     Die Arbeitgeberin A.___ AG (fortan: Beschwerdeführerin) reichte der Öffentlichen Arbeitslosenkasse des Kantons Solothurn (fortan: Beschwerdegegnerin) am 6. April 2021 das Formular «Antrag und Abrechnung von Kurzarbeitsentschädigung» für die Abrechnungsperiode Februar 2021 ein und machte eine Entschädigung von CHF 377'342.60 geltend (Akten der Beschwerdegegnerin Ordner 1 / ALK S. 81 ff.).

 

1.2     Am 23. April 2021 legte die Beschwerdeführerin der Beschwerdegegnerin nochmals ein Formular für Februar 2021 vor, worin sie eine geringfügig tiefere Kurzarbeitsentschädigung von CHF 377'313.40 berechnete (ALK S. 76 ff.). Die Beschwerdegegnerin zahlte der Beschwerdeführerin daraufhin am 26. April 2021 diesen Betrag aus (Akten der Beschwerdegegnerin Ordner 4, Urkunde 77).

 

1.3     Die Beschwerdeführerin reichte am 23. Dezember 2021 (Datum der Postaufgabe) erneut ein Formular mit einer korrigierten Abrechnung ein, worin sie für Februar 2021 eine Kurzarbeitsentschädigung von CHF 573'371.40 verlangte (ALK S. 33 ff.). Sie erklärte dazu, bei der Jahreskontrolle sei in der Lohnbuchhaltung festgestellt worden, dass die Abrechnung für Februar nicht stimme (ALK S. 36).

 

1.4     Die Beschwerdegegnerin verneinte mit Verfügung vom 8. Februar 2022 einen über den bereits ausgerichteten Betrag von CHF 377'313.40 hinausgehenden Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung für Februar 2021. Sie begründete dies damit, dass die gesetzliche Einreichefrist für die Abrechnungsperiode Februar 2021 am 31. Mai 2021 abgelaufen sei und die Voraussetzungen für eine Wiedererwägung sowie eine prozessuale Revision nicht erfüllt seien (ALK S. 28 ff.). Die gegen diese Verfügung gerichtete Einsprache (ALK S. 13 ff.) wies die Beschwerdegegnerin mit Entscheid vom 6. April 2022 ab (Aktenseite / A.S. 1 ff.).

 

2.

2.1     Die Beschwerdeführerin lässt am 9. Mai 2022 beim Versicherungsgericht des Kantons Solothurn (fortan: Versicherungsgericht) Beschwerde erheben und folgende Rechtsbegehren stellen (A.S. 8 ff.):

1.    Der Einspracheentscheid vom 6. April 2022 und die Verfügung vom 8. Februar 2022 seien aufzuheben, und es sei der [Beschwerdeführerin] für den Monat Februar 2021 eine Entschädigung von total CHF 573'371.40 ab-

züglich bereits für diesen Monat geleisteter Beträge (CHF 377’313.40) zu bezahlen.

2.    Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen.

 

2.2     Die Beschwerdegegnerin beantragt mit Beschwerdeantwort vom 21. Juni 2022, die Beschwerde sei abzuweisen und es seien weder Gerichtskosten aufzuerlegen noch sei eine Parteientschädigung auszuzahlen (A.S. 27 ff.).

 

2.3     Die Beschwerdeführerin hält mit Replik vom 5. August 2022 an ihren Rechtsbegehren fest (A.S. 39 ff.), während die Beschwerdegegnerin innert Frist keine Duplik einreicht (s. A.S. 50).

 

2.4     Der Vertreter der Beschwerdeführerin reicht am 19. September 2022 eine Kostennote ein (A.S. 52 ff.).

 

II.

 

1.       Da die Sachurteilsvoraussetzungen (zulässiges Anfechtungsobjekt, Einhaltung von Frist und Form, örtliche, sachliche und funktionelle Zuständigkeit des angerufenen Gerichts, Legitimation) erfüllt sind, ist auf die Beschwerde grundsätzlich einzutreten.

 

2.

2.1

2.1.1  Der Arbeitgeber macht den Anspruch seiner Arbeitnehmer auf Kurzarbeitsentschädigung innert dreier Monate nach Ablauf jeder Abrechnungsperiode gesamthaft für den Betrieb bei der von ihm bezeichneten Kasse geltend (Art. 38 Abs. 1 Bundesgesetz über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenz-entschädigung / AVIG, SR 837.0). Die Abrechnungsperiode beträgt einen Monat, wenn die Löhne wie hier monatlich ausgerichtet werden (Art. 53 Abs. 1 Verordnung über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung / AVIV, SR 837.02). Die Frist für die Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs beginnt mit dem ersten Tag nach der Abrechnungsperiode (Art. 61 AVIV). Es handelt sich um eine Verwirkungsfrist, deren Nichtwahrung das Erlöschen des Anspruchs auf Kurzarbeitsentschädigung zur Folge hat (s. Art. 39 Abs. 3 AVIG sowie Barbara Kupfer Bucher in: Rechtsprechung des Bundesgerichts zum AVIG, 5. Aufl., Zürich 2019, S. 292).

 

2.1.2  Während der Coronapandemie wurde die Kurzarbeit teilweise abweichend von den Bestimmungen im AVIG und in der AVIV geregelt. Dies geschah einerseits in der bundesrätlichen Verordnung vom 20. März 2020 über Massnahmen im Bereich der Arbeitslosenversicherung im Zusammenhang mit dem Coronavirus (Covid-19-Verordnung Arbeitslosenversicherung, SR 837.033) sowie andererseits im Bundesgesetz über die gesetzlichen Grundlagen für Verordnungen des Bundesrates zur Bewältigung der Covid-19-Epidemie vom 25. September 2020 (Covid-19-Gesetz, SR 818.102). Beide Erlasse wurden im Verlauf der Pandemie mehrmals geändert. Die Covid-19-Verordnung Arbeitslosenversicherung enthielt indes zu keinem Zeitpunkt eine von Art. 38 Abs. 1 AVIG Art. 61 AVIV abweichende Frist für die Geltendmachung des Anspruchs auf Kurzarbeitsentschädigung; Art. 7 und Art. 8i Abs. 1 der Verordnung (beide in Kraft bis 31. März 2022) bezogen sich lediglich auf Art. 38 Abs. 3 AVIG, d.h. die Unterlagen, welche innert der Frist zur Geltendmachung einzureichen waren. Das Covid-19-Gesetz wiederum wurde am 19. März 2021 um Art. 17b ergänzt, wobei dessen Absätze 2 und 3 per 20. März 2021 in Kraft gesetzt wurden, Absatz 1 hingegen rückwirkend auf den 1. September 2020. Gemäss Art. 17b Abs. 3 Covid-19-Gesetz waren neu entstandene Entschädigungsansprüche nach den Absätzen 1 und 2 in Abweichung von Art. 38 Abs. 1 AVIG bis zum 30. April 2021 bei der zuständigen Arbeitslosenkasse geltend zu machen. Dies betraf aber lediglich die Anpassung einer bestehenden Voranmeldung von Kurzarbeit, da seit dem 1. September 2020 keine Voranmeldefrist mehr einzuhalten war (Art. 17b Abs. 1 Covid-19-Gesetz), sowie rückwirkende Bewilligungen von Kurzarbeit ab dem Inkrafttreten der behördlichen Massnahmen, die seit dem 18. Dezember 2020 beschlossen wurden (Abs. 2). Beides ist hier nicht einschlägig.

 

2.2

2.2.1  Der Sozialversicherungsträger hat über Leistungen, Forderungen und Anordnungen, die erheblich sind mit denen die betroffene Person nicht einverstanden ist, schriftlich Verfügungen zu erlassen, welche mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen sowie, wenn sie den Begehren der Parteien nicht voll entsprechen, zu begründen sind (Art. 49 Abs. 1 und 3 Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts / ATSG, SR 830.1). Leistungen, Forderungen und Anordnungen, die nicht unter Art. 49 Abs. 1 ATSG fallen, können in einem formlosen Verfahren behandelt werden (Art. 51 Abs. 1 ATSG), wobei die betroffene Person das Recht hat, den Erlass einer Verfügung zu verlangen (Art. 51 Abs. 2 ATSG).

 

In der Arbeitslosenversicherung besteht insoweit eine von Art. 49 Abs. 1 ATSG abweichende Regelung, als Verfügungen lediglich in den Fällen nach Art. 36 Abs. 4, Art. 45 Abs. 4 und Art. 59c AVIG sowie in den besonders bezeichneten Fällen für Ersatzansprüche zu erlassen sind, was hier aber alles nicht zutrifft. Im Übrigen gelangt das formlose Verfahren nach Art. 51 ATSG zur Anwendung, ausser in den Fällen, in denen dem Ersuchen des Betroffenen nicht nicht vollumfänglich entsprochen wird (Art. 100 Abs. 1 AVIG). Einer Leistungsabrechnung der Arbeitslosenkasse kommt angesichts dessen materiell Verfügungscharakter zu, weil sie eine behördliche Anordnung darstellt, durch welche die der betroffenen Person zustehenden Leistungen verbindlich festgelegt werden (Kupfer Bucher, a.a.O., S. 448 betr. Arbeitslosenentschädigung; Urteil des Bundesgerichts 8C_554/2015 vom 19. Oktober 2015 E. 3.4, unter Hinweis auf BGE 129 V 110 E. 1.2 S. 111). Will die betroffene Person eine formelle Verfügung verlangen, so hat dies praxisgemäss vor Ablauf eines Jahres ab Zustellung der Abrechnung zu geschehen, wenn das formlose Verfahren zu Unrecht Anwendung fand, resp. innert 90 Tagen, wenn die Abrechnung zu Recht formlos eröffnet wurde (Susanne Genner in: Ghislaine Frésard-Fellay / Barbara Klett / Susanne Leuzinger [Hrsg.], Basler Kommentar zum ATSG, Basel 2020, Art. 51 N 7). Wird diese Überlegungs- und Prüfungsfrist versäumt, so wird die «formlose» resp. «faktische» Verfügung – besondere Umstände vorbehalten – rechtsbeständig (Kupfer Bucher, a.a.O., S. 448 f.).

 

2.2.2  Formell rechtskräftige Verfügungen und Einspracheentscheide sind in Revision zu ziehen, wenn nach ihrem Erlass erhebliche neue Tatsachen entdeckt Beweismittel aufgefunden werden, deren Beibringung zuvor nicht möglich war (Art. 53 Abs. 1 ATSG). Neue Tatsachen liegen vor, wenn sie sich vor Erlass des zu revidierenden Entscheides verwirklicht haben, aber trotz hinreichender Sorgfalt damals nicht bekannt waren (BGE 143 V 105 E. 2.3 S. 107).

 

2.2.3  Der Versicherungsträger kann auf formell rechtskräftige Verfügungen Einspracheentscheide zurückkommen, wenn diese zweifellos unrichtig sind und ihre Berichtigung von erheblicher Bedeutung ist (Art. 53 Abs. 2 ATSG). Eine solche Wiedererwägung dient der nachträglichen Korrektur einer ursprünglich unrichtigen Rechtsanwendung (unter Einschluss der unrichtigen Sachverhaltswürdigung) durch die Verwaltung (BGE 117 V 8 E. 2c S. 17). Bei der Beurteilung, ob eine Wiedererwägung wegen zweifelloser Unrichtigkeit zulässig ist, muss von der Sach- und Rechtslage ausgegangen werden, wie sie im Zeitpunkt des Verfügungserlasses bestanden hat (BGE 125 V 383 E. 3 S. 389 f., 117 V 8 E. 2c S. 17; vgl. auch BGE 119 V 475 E. 1b/cc S. 479).

 

3.

3.1     Die Beschwerdeführerin rügt vorab, die Verfügung vom 8. Februar 2022 sei ebenso wie der angefochtene Einspracheentscheid nicht unterzeichnet worden, was an sich zutrifft. Verfügungen müssen indes nicht eigenhändig unterschrieben werden, unabhängig davon ob es sich um Massen- individuelle Verfügungen handelt (Urteil des Bundesgerichts 8C_665/2022 vom 15. Dezember 2022 E. 3.3; Genner, a.a.O., Art. 49 N 33). Im Bereich der Arbeitslosenversicherung gilt dies, wenn die Verfügung den Vermerk «Dieses Dokument ist ohne Unterschrift gültig» beinhaltet sowie die verfügende Vollzugsbehörde und die verfügende Person erkennbar sind (AVIG-Praxis ALE E60), was hier beides der Fall ist (ALK S. 29 f.). Zum Einspracheentscheid ist festzuhalten, dass offen bleiben kann, inwieweit eine Unterzeichnungspflicht besteht, denn die fehlende Unterschrift stellt – bei ansonsten korrekter Eröffnung – auf jeden Fall für sich allein genommen keinen derart gravierenden Mangel dar, dass von einer Nichtigkeit auszugehen wäre. Die Verfasserin ist aus dem Entscheid namentlich ersichtlich (A.S. 7). Zudem wurde durch die handschriftliche Unterzeichnung der Beschwerdeantwort (A.S. 32) bezeugt, dass der Einspracheentscheid dem tatsächlichen Willen der Beschwerdegegnerin entspricht. Jedenfalls bestehen keine Anhaltspunkte, welche an der Identität und Echtheit des im Streit liegenden Entscheids Zweifel aufkommen liessen. Im Übrigen ist nicht ersichtlich, welche nachteilige Konsequenzen der Beschwerdeführerin aus der fehlenden Unterzeichnung erwachsen sein sollen (Urteil des Bundesgerichts 8C_665/2022 vom 15. Dezember 2022 E. 3.5).

 

3.2     Der Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung für Februar 2021 war innert drei Monaten und damit bis 31. Mai 2021 geltend zu machen (s. dazu E. II. 2.1.1 hiervor). Bis dahin reichte die Beschwerdeführerin die Abrechnungen vom 7. und 23. April 2021 ein, wobei sie in der Letzteren eine Entschädigung von CHF 377'313.40 berechnete. Die dritte Abrechnung mit einer höheren Entschädigung von CHF 573'371.40 erging demgegenüber erst im Dezember 2021 und damit lange nach Fristablauf. Die Beschwerdeführerin bringt nicht vor, sie resp. die für den Antrag auf Kurzarbeitsentschädigung zuständigen Personen seien unverschuldeterweise abgehalten worden, binnen Frist zu handeln, so dass auch eine Wiederherstellung der Dreimonatsfrist (gemäss Art. 41 ATSG) entfällt.

 

3.3     Die Beschwerdegegnerin wandte zu Recht das formlose Verfahren an, als sie der Beschwerdeführerin am 26. April 2021 Kurzarbeitsentschädigung in der Höhe von CHF 377'313.40 ausbezahlte, entsprach doch dieser Betrag vollumfänglich der im Antragsformular vom 23. April 2021 geltend gemachten Entschädigung. Die Abrechnung zu dieser Auszahlung hat materiellen Verfügungscharakter, da die Beschwerdegegnerin damit den Leistungsanspruch der Beschwerdeführerin für die Abrechnungsperiode Februar 2021 behördlich festlegte (s. dazu E. II. 2.2.1 hiervor). Die Beschwerdeführerin hatte in der Folge Gelegenheit, innert 90 Tagen, d.h. bis im Juli 2021, eine anfechtbare formelle Verfügung zu verlangen, was jedoch unterblieb. Die formlos festgesetzte Kurzarbeitsentschädigung von CHF 377'313.40 kann daher nur noch korrigiert werden, wenn ein Rückkommenstitel vorliegt. Eine Verlängerung der besagten Überlegungs- und Prüfungsfrist ist weder in der Covid-19-Verordnung Arbeitslosenversicherung noch im Covid-19-Gesetz vorgesehen, weshalb der Hinweis der Beschwerdeführerin auf die besonderen Umstände während der Pandemie unbehelflich ist.

 

3.4

3.4.1  Die Beschwerdeführerin berechnete im Formular vom 23. April 2021 gestützt auf folgende Zahlen eine Kurzarbeitsentschädigung von CHF 377'313.40 (ALK S. 76):

 

Anzahl anspruchsberechtigte Arbeitnehmende

1'582

Anzahl von Kurzarbeit betroffene Arbeitnehmende

620

Sollstunden aller anspruchsberechtigten Arbeitnehmenden

99’011.77 Std.

Wirtschaftlich bedingte Ausfallstunden aller von Kurzarbeit betroffenen Arbeitnehmenden

 

16’818.44 Std.

Prozentualer wirtschaftlich bedingter Arbeitsausfall

16,99 %

AHV-pflichtige Lohnsumme aller anspruchsberechtigten Arbeitnehmenden

CHF 2’580’857.78

Lohnsumme für ausgefallene Stunden (Prozentsatz wirtschaftlich bedingter Arbeitsausfall)

CHF 399’371.15

Entschädigung der Lohnsumme für ausgefallene Stunden

CHF 351'753.63

(plus Arbeitgeberbeiträge von CHF 25'559.75 = CHF 377'313.40

 

Dieser Abrechnung lag eine Tabelle mit 57 Kadermitarbeitern bei, wovon 25 von Kurzarbeit betroffen waren (ALK S. 80). Im «Zusatzformular zur Einstufung der Lohnkategorien» wurde demgegenüber die Anzahl der von Kurzarbeit betroffenen Kadermitarbeiter mit null angegeben (ALK S. 79).

 

3.4.2  In der zweiten korrigierten Abrechnung vom 23. Dezember 2021 berechnete die Beschwerdeführerin eine Kurzarbeitsentschädigung von CHF 573'371.40 (ALK S. 33):

 

Anzahl anspruchsberechtigte Arbeitnehmende

1'582

Anzahl von Kurzarbeit betroffene Arbeitnehmende

643

Sollstunden aller anspruchsberechtigten Arbeitnehmenden

96’847.42 Std.

Wirtschaftlich bedingte Ausfallstunden aller von Kurzarbeit betroffenen Arbeitnehmenden

 

24’930.37 Std.

Prozentualer wirtschaftlich bedingter Arbeitsausfall

25,74 %

AHV-pflichtige Lohnsumme aller anspruchsberechtigten Arbeitnehmenden

CHF 2'501'928.36

Lohnsumme für ausgefallene Stunden (Prozentsatz wirtschaftlich bedingter Arbeitsausfall)

CHF 612'764.95

Entschädigung der Lohnsumme für ausgefallene Stunden

CHF 534’154.44

(plus Arbeitgeberbeiträge von CHF 39’216.95 = CHF 573'371.40)

 

Nun wurden im Zusatzformular auch die 25 von Kurzarbeit betroffenen Kadermitglieder ausgewiesen. Darüber hinaus erfolgte eine Reihe weiterer Änderungen, so dass sich die Zahl der Ausfallstunden insgesamt um mehr als 8'000 fast 50 % erhöhte (ALK S. 37).

 

3.4.3  Die Voraussetzungen einer prozessualen Revision der Abrechnung vom 26. April 2021 sind nicht erfüllt, da nach dem Eintritt der Rechtskraft weder neue Tatsachen bekannt noch neue Beweismittel beigebracht wurden (s. dazu E. II. 2.2.2 hiervor). Der Umstand, dass die Beschwerdeführerin bei ihrer Berechnung vom 23. April 2021 die Anzahl der von Kurzarbeit betroffenen Arbeitnehmenden nicht korrekt von der Tabelle in das Formular übertragen hatte (s. E. II. 3.4.1 hiervor), ging vielmehr schon aus den damals eingereichten Unterlagen hervor.

 

3.4.4

3.4.4.1 Der Sozialversicherungsrichter kann die Verwaltung nicht zu einer Wiedererwägung verhalten, d.h. es besteht kein gerichtlich durchsetzbarer Anspruch auf Wiedererwägung. Verfügungen, mit denen das Eintreten auf ein Wiedererwägungsgesuch abgelehnt wird, sind somit grundsätzlich nicht anfechtbar. Wenn die Verwaltung hingegen auf ein Wiedererwägungsgesuch eintritt, die Wiedererwägungsvoraussetzungen prüft und anschliessend einen erneut ablehnenden Sachentscheid trifft, ist dieser beschwerdeweise anfechtbar. Die nachfolgende gerichtliche Überprüfung hat sich in einem solchen Falle indessen auf die Frage zu beschränken, ob die Voraussetzungen für eine Wiedererwägung der bestätigten Verfügung gegeben sind. Prozessthema ist also diesfalls, ob die Verwaltung zu Recht die ursprüngliche, rechtskräftige Verfügung nicht als zweifellos unrichtig und / ihre Korrektur nicht als von erheblicher Bedeutung qualifizierte (BGE 117 V 8 E. 2a S. 13).

 

3.4.4.2 Die Beschwerdegegnerin leitete ihre Verfügung vom 8. Februar 2022 wie folgt ein (ALK S. 28):

Wir verneinen die Anspruchsberechtigung auf die korrigierte Eingabe der Kurzarbeitsentschädigung für die Abrechnungsperiode Februar 2021 vom 23. Dezember 2021, weil der Antrag verspätet eingereicht worden ist.

 

Die Zusammenfassung am Ende der Verfügung wiederum lautete folgendermassen (ALK S. 29 unten):

Die gesetzliche Einreichefrist für die Abrechnungsperiode Februar 2021 ist am 31. Mai 2021 abgelaufen. Da die korrigierte Abrechnung für den Monat Februar 2021 am 23. Dezember 2021 und somit zu spät eingereicht wurde und die Voraussetzungen für eine prozessuale Revision nicht erfüllt sind, muss der Anspruch auf die korrigierte Kurzarbeitsentschädigung für die Abrechnungsperiode Februar 2021 verneint werden.

 

In der Begründung ging die Verfügung auch auf die Frage einer Wiedererwägung der faktischen Verfügung vom 26. April 2021 ein, was sich indes – abgesehen von einem allgemeinen Textbaustein – auf die Feststellung beschränkte, die Voraussetzungen dafür seien nicht erfüllt, da der Verwaltung kein Rechtsanwendungsfehler unterlaufen sei (ALK S. 29). Im Einspracheentscheid vom 6. April 2022 finden sich demgegenüber diese Ausführungen der Beschwerdegegnerin (A.S. 5):

Die rechtskräftige formlose Zusprechung der Kurzarbeitsentschädigung 26. April 2021 ist jedoch nicht zweifellos unrichtig gewesen. Der [Beschwerdegegnerin] ist im Zeitpunkt der Auszahlung weder bei der Feststellung des Sachverhaltes noch in der Rechtsanwendung ein Fehler unterlaufen […]. Sie haben mitgeteilt, dass die Auszahlung fehlerhaft gewesen sei, weil diese sich auf falsche Eingaben der [Beschwerdeführerin] bezogen haben. Damit eine (faktische) Verfügung in Wiederwägung gezogen werden kann, ist nicht relevant, ob diese zu Lasten zu Gunsten der Anspruchsberechtigten geht und können so nicht einfach als gewährt gelten, nur weil es zu Gunsten der Anspruchsberechtigten geht. Die Abrechnung ist zu dem damaligen Zeitpunkt für die Verwaltung nicht zweifellos unrichtig gewesen und es wäre für die [Beschwerdegegnerin] auch nicht ersichtlich gewesen, dass diese unrichtig sein könnte, auch wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass die Abrechnung durch die Bezügerin falsch eingereicht worden ist. Aus diesen Gründen kann keine Wiederwägung der Abrechnung vom 26. April 2021 […] erfolgen.

 

3.4.4.3 In der Verfügung vom 8. Februar 2022 heisst es nirgends, dass auf das Wiedererwägungsgesuch der Beschwerdeführerin nicht eingetreten werde. Dies allein ist jedoch nicht ausschlaggebend, vielmehr ist zu prüfen, ob eine Wiedererwägung materiell geprüft wurde nicht. Ein Nichteintreten kann namentlich auch bei einer summarischen Prüfung vorliegen, in der die Verwaltung die für die seinerzeitige Verfügung ausschlaggebend gewesenen Gründe wiederholt (BGE 117 V 8 S. 14). Vor diesem Hintergrund handelt es sich hier, soweit es die Verfügung vom 8. Februar 2022 angeht, der Sache nach um ein Nichteintreten, kann doch von einer richtigen Prüfung der Wiedererwägungsvoraussetzungen keine Rede sein. Im Einspracheentscheid wird etwas ausführlicher darauf eingegangen, warum keine Wiedererwägung in Frage kommt. Ob damit auf das Wiedererwägungsgesuch eingetreten wurde, womit die Beschwerde an das Versicherungsgericht zulässig wäre, kann indes offen bleiben, da die Voraussetzungen einer Wiedererwägung ohnehin nicht erfüllt wären: Die Beschwerdeführerin bringt vor, für eine Wiedererwägung sei es nicht notwendig, dass die Beschwerdegegnerin einen Fehler begangen habe, als sie am 26. April 2021 die Kurzarbeitsentschädigung für Februar 2021 ausbezahlt habe (s. A.S. 16 Ziff. 9). Diese Auffassung ist jedoch unzutreffend, dient die Wiedererwägung doch der Korrektur von Verfügungen, die auf einer anfänglichen fehlerhaften Rechtsanwendung beruhen (BGE 146 V 364 E 4.2 S. 366 f.). Ein Rechtsanwendungsfehler der Behörde ist mit anderen Worten sehr wohl Voraussetzung einer Wiedererwägung. Einen solchen Fehler macht die Beschwerdeführerin indes, wie gesagt, gar nicht geltend. Die Beschwerdegegnerin hätte folglich eine Wiedererwägung zu Recht abgelehnt, falls man denn von einem Eintreten ausgehen würde.

 

3.5     Zusammenfassend stellt sich die Beschwerde als unbegründet heraus und ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.

 

4.       Bei diesem Verfahrensausgang steht der Beschwerdeführerin keine Parteientschädigung zu. Die Beschwerdegegnerin wiederum hat als mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betraute Organisation – abgesehen von hier nicht interessierenden Ausnahmen – keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung (vgl. etwa BGE 128 V 133 E. 5b, 126 V 150 E. 4a).

 

5.       In Beschwerdesachen der Arbeitslosenversicherung vor dem kantonalen Versicherungsgericht sind – abgesehen vom hier nicht interessierenden Fall einer mutwilligen leichtsinnigen Prozessführung – keine Verfahrens-

kosten zu erheben, weil dies im AVIG nicht vorgesehen ist (s. Art. 61 lit. fbis ATSG).

 

Demnach wird erkannt:

1.    Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.    Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen und keine Verfahrenskosten erhoben.

Rechtsmittel

Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit der Mitteilung beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten eingereicht werden (Adresse: Bundesgericht, Schweizerhofquai 6, 6004 Luzern). Die Frist beginnt am Tag nach dem Empfang des Urteils zu laufen und wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar (vgl. Art. 39 ff., 82 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes, BGG). Bei Vor- und Zwischenentscheiden (dazu gehört auch die Rückweisung zu weiteren Abklärungen) sind die zusätzlichen Voraussetzungen nach Art. 92 93 BGG zu beachten.

 

Versicherungsgericht des Kantons Solothurn

Der Vizepräsident                     Der Gerichtsschreiber

Flückiger                                   Haldemann



 
Quelle: https://gerichtsentscheide.so.ch/
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