Kanton: | SO |
Fallnummer: | VSBES.2022.54 |
Instanz: | Verwaltungsgericht |
Abteilung: | Versicherungsgericht |
Datum: | 17.05.2022 |
Rechtskraft: |
Leitsatz/Stichwort: | - |
Zusammenfassung: | Das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn hat am 17. Mai 2022 entschieden, dass die Beschwerdeführerin, eine niederländische Staatsangehörige, nicht von der obligatorischen Krankenversicherungspflicht in der Schweiz befreit wird. Ihr Gesuch wurde zuvor vom Departement des Innern des Kantons Solothurn abgelehnt. Obwohl die Beschwerdeführerin die Frist für den Einspruch verpasst hatte, wurde ihr aufgrund eines fehlerhaften Einspracheentscheids die Möglichkeit eingeräumt, ihre Situation zu erklären. Letztendlich wurde ihr Gesuch um Wiederherstellung der Einsprachefrist abgelehnt, da kein unverschuldetes Hindernis vorlag. Das Gericht wies die Beschwerde ab und sprach keine Parteientschädigung zu. Es wurden auch keine Verfahrenskosten erhoben. |
Schlagwörter: | Frist; Einsprache; Gesuch; Wiederherstellung; Verfügung; Versicherung; Krankenversicherung; Rechtsmittel; Versicherungsgericht; Krankenversicherungspflicht; Solothurn; Schweiz; AD-Nr; Bundesgericht; Befreiung; Urteil; Departement; Einspracheentscheid; Kantons; Hindernis; Verfahren; Akten; Rechtsmittelbelehrung; Fristwiederherstellung; Bundesgerichts; Verfahrens; Innern; Sicherheit; Tochter |
Rechtsnorm: | Art. 41 ATSG ; Art. 52 ATSG ; Art. 58 ATSG ; Art. 60 ATSG ; |
Referenz BGE: | 134 I 199; |
Kommentar: | Waldmann, Weissenberger, Praxis Verwaltungsverfahrensgesetz, Art. 24 VwVG, 2016 |
Geschäftsnummer: | VSBES.2022.54 |
Instanz: | Versicherungsgericht |
Entscheiddatum: | 17.05.2022 |
FindInfo-Nummer: | O_VS.2022.64 |
Titel: | Befreiung von der obligatorischen Krankenversicherungspflicht |
Resümee: |
Urteil vom 17. Mai 2022 Es wirken mit: Oberrichterin Weber-Probst Oberrichter von Felten Gerichtsschreiber Isch In Sachen A.___ Beschwerdeführerin
gegen Departement des Innern, Ambassadorenhof, 4500 Solothurn Beschwerdegegner
betreffend Befreiung von der obligatorischen Krankenversicherungspflicht (Einspracheentscheid vom 28. Februar 2022)
zieht das Versicherungsgericht in Erwägung: I.
1. Die niederländische Staatsangehörige A.___ (nachfolgend Beschwerdeführerin) ist in der Schweiz […] erwerbstätig, hat ihren Wohnsitz jedoch in den Niederlanden und ist als Grenzgängerin in der Schweiz gemeldet (Grenzgängerbewilligung G; vgl. AD-Nr. [Akten des Departements] 13). Am 2. September 2020 reichte die Beschwerdeführerin beim Amt für soziale Sicherheit des Kantons Solothurn ein Gesuch um Befreiung von der obligatorischen Krankenversicherungspflicht in der Schweiz für sich und ihre ebenfalls in den Niederlanden wohnhafte Tochter ein (AD-Nr. 4). Das Departement des Innern des Kantons Solothurn lehnte dieses Gesuch mit Verfügung vom 27. Juli 2021 (AD-Nr. 3) ab. Auf die dagegen am 24. Oktober 2021 erhobene Einsprache (AD-Nr. 2) trat das Departement aufgrund verpasster Einsprachefrist mit Einspracheentscheid vom 28. Februar 2022 (A.S. [Akten-Seite] 1 f.) nicht ein.
2. Dagegen erhebt die Beschwerdeführerin beim Amt für soziale Sicherheit am 17. März 2022 (Datum Postaufgabe) Beschwerde (A.S. 4), welche vom Amt zuständigkeitshalber an das Versicherungsgericht weitergeleitet wird. In der Beschwerde verlangt die Beschwerdeführerin sinngemäss, sie und ihre Tochter seien von der Krankenversicherungspflicht nach KVG zu befreien.
3. Mit Eingabe 11. April 2022 (A.S. 9) verzichtet die Beschwerdegegnerin auf Einreichung einer begründeten Stellungnahme und schliesst auf Abweisung der Beschwerde.
II.
1. Die Sachurteilsvoraussetzungen (Einhaltung von Frist und Form, örtliche und sachliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts) sind erfüllt. Auf die Beschwerde ist einzutreten.
2. Zwar wurde der vorliegend angefochtene Einspracheentscheid vom 28. Februar 2022 mit der falschen Rechtsmittelbelehrung versehen. So wurde darin festgehalten, es könne dagegen innert 30 Tagen seit der Eröffnung beim Departement des Innern, Gesundheitsamt, Einsprache erhoben werden. Stattdessen hätte die Rechtsmittelbelehrung als Beschwerdeinstanz das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn nennen müssen (vgl. Art. 56 Abs. 1 i.V.m. Art. 58 Abs. 1 ATSG). Es entspricht einem prozessualen, aus Treu und Glauben abgeleiteten Grundsatz, dass den Parteien aus einer falsche Rechtsmittelbelehrung keine Nachteile erwachsen dürfen («falsa demonstratio non nocet»; vgl. BGE 134 I 199 E. 1.3.1 S. 202 f.) und eine Frist auch als eingehalten gilt, wenn die Eingabe bei einer unzuständigen Behörde erfolgt (vgl. § 6 und § 9 Abs. 2 VRG). Da die Beschwerdeführerin innert der 30-tägigen Frist Beschwerde beim Amt für soziale Sicherheit des Kantons Solothurn erhoben und das Gesundheitsamt die Beschwerde zuständigkeitshalber an das Versicherungsgericht weitergeleitet hat, gereichte der Beschwerdeführerin die falsche Rechtsmittelbelehrung nicht zum Nachteil. Somit besteht kein Anlass, den Einspracheentscheid aus diesem Grund aufzuheben.
3. Gegen Verfügungen kann innerhalb von 30 Tagen bei der verfügenden Stelle Einsprache erhoben werden (Art. 52 Abs. 1 ATSG). Aus den Akten ist zwar nicht ersichtlich, wann die Verfügung vom 27. Juli 2021 der Beschwerdeführerin zuging. Jedoch besteht aufgrund des langen Zeitraums zwischen Erlass der Verfügung vom 27. Juli 2021 und der Einspracheerhebung vom 24. Oktober 2021 kein Zweifel und wird von der Beschwerdeführerin auch nicht bestritten, dass mit der Einsprache vom 24. Oktober 2021 (AD-Nr. 2) die 30-tägige Rechtsmittelfrist verpasst wurde. Demnach ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, dass die Beschwerdegegnerin mit Einspracheentscheid vom 28. Februar 2022 auf die Einsprache nicht eintrat.
4. 4.1 Die Beschwerdeführerin macht jedoch geltend, sie habe die Verfügung vom 27. Juli 2021 nicht richtig gelesen und diese so verstanden, dass ihr die Befreiung von der obligatorischen Krankenversicherungspflicht bewilligt worden sei. Erst als ihr die Gemeinde […] ein Schreiben habe zukommen lassen, in welchem diese sie um Bekanntgabe ihrer schweizerischen Versicherung gebeten habe, habe sie ihren Fehler bemerkt. Da sei die Frist schon abgelaufen gewesen. Somit ist im Folgenden zu prüfen, ob die Beschwerdeführerin im Sinne von Art. 41 ATSG unverschuldet davon abgehalten worden ist, innert Frist zu handeln.
4.2 Ist die einsprechende Person ihre Vertretung unverschuldeterweise abgehalten worden, binnen Frist zu handeln, so wird diese auf Gesuch hin wieder hergestellt, sofern sie unter Angabe des Grundes innert 30 Tagen nach Wegfall des Hindernisses darum ersucht und die versäumte Rechtshandlung nachholt (Art. 41 ATSG).
Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdeführerin nicht explizit die Wiederherstellung der Rechtsmittelfrist verlangt. Sie macht aber erstmals in der vorliegenden Beschwerde vom 17. März 2022 geltend, sie habe die Verfügung vom 27. Juli 2021 nicht richtig gelesen und diese so verstanden, dass ihr die Befreiung von der obligatorischen Krankenversicherungspflicht bewilligt worden sei. Der Wegfall des potentiellen Hindernisses – nämlich die Unkenntnis des korrekten Inhalts der Verfügung vom 27. Juli 2021 – ist gestützt auf die Angaben der Beschwerdeführerin bereits mit dem Erhalt des Schreibens der Gemeinde […] anzunehmen (s. E. II. 4.1 hiervor). Zwar wird von der Beschwerdeführerin nicht angegeben, wann sie dieses Schreiben angegeben hat. Aufgrund des Verfahrensablaufs ist aber davon auszugehen, dass sie das Schreiben vor der verspätet erhobenen Einsprache vom 24. Oktober 2021 erhalten haben muss. Damit ist das erstmals mit Beschwerde vom 17. März 2022 gestellte sinngemässe Gesuch um Wiederherstellung der Frist nicht innert 30 Tagen nach Wegfall des Hindernisses gestellt worden, weshalb auf dieses Gesuch nicht einzutreten ist.
4.3 Selbst wenn auf das vorliegende Gesuch um Wiederherstellung der Frist eingetreten werden könnte, müsste dieses Gesuch abgewiesen werden, wie nachfolgend darzulegen ist.
4.3.1 Bei der Fristwiederherstellung handelt es sich um einen speziellen Rechtsbehelf, der im Sozialversicherungsverfahren in Art. 41 i.V.m. Art. 60 Abs. 2 ATSG geregelt ist. Zuständig für die Behandlung des Wiederherstellungsbegehrens ist jene Instanz, welche bei Gewährung der Wiederherstellung über die nachgeholte Parteihandlung respektive Rechtsvorkehr entscheiden muss (PATRICIA EGLI, in: Waldmann/Weissenberger [Hrsg.], Praxiskommentar Verwaltungsverfahrensgesetz, 2016, Art. 24 N. 6). Da das Versicherungsgericht im Hauptverfahren zuständig ist, ist es auch für die Behandlung des vorliegenden Fristwiederherstellungsgesuchs zuständig.
4.3.2 Art. 41 ATSG lässt die Fristwiederherstellung nur zu, wenn ein Verschulden am Versäumnis nicht besteht («unverschuldeterweise»). Die Hinderung kann auf einen objektiven auf einen subjektiven Grund zurückzuführen sein. Objektiv ist ein Hindernis, wenn es der gesuchstellenden Person ihrer Vertretung infolge eines von ihrem Willen unabhängigen Umstands objektiv unmöglich war, die Frist zu wahren (KÖLZ/HÄNER, Verwaltungsverfahren, 2. Auflage, Zürich 1998, N 345). Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Fristwiederherstellung zulässig ist, besteht eine reichhaltige Rechtsprechung. Eine Wiederherstellung wurde etwa zugelassen bei schweren Krankheiten (Urteil des Bundesgerichts vom 3. September 2007, 8C_464/2007; BGE 112 V 255), bei einer Rechtsänderung, deren Tragweite nicht ohne Weiteres absehbar war (Urteil des Bundesgerichts vom 18. April 2006, U 435/05; SVR 1998 UV Nr. 10) in engen Grenzen bei sprachlichen Schwierigkeiten (LGVE 1977 II Nr. 52), bei Unglücks- Todesfall in der Familie, Militärdienst und nicht voraussehbarer Landesabwesenheit, aber auch weitere in der Regel subjektive Gründe, welche die objektiv nicht unausweichliche Fristversäumnis als entschuldbar erscheinen lassen. Eine Ablehnung erfolgte demgegenüber etwa bei Krankheiten, welche eine Wahrung der Frist nicht völlig ausschlossen (Urteil des Bundesgerichts vom 12. Januar 2006, 7B.221/2005; BGE 112 V 256).
Überdies können auch subjektive Umstände eine Wiederherstellung rechtfertigen. Vorwerfbar ist in diesen Fällen eine Säumnis, wenn es der Pflichtige an der zumutbaren Aufmerksamkeit hat fehlen lassen. Im Interesse der Rechtssicherheit und eines geordneten Verfahrens darf ein Hinderungsgrund nicht leichthin angenommen werden. Als unverschuldet kann ein Versäumnis nur dann gelten, wenn dafür objektive Gründe vorliegen und der Partei respektive der Vertretung keine Nachlässigkeit vorgeworfen werden kann. Als erheblich sind mit anderen Worten nur solche Gründe zu betrachten, welche der Partei auch bei Aufwendung der üblichen Sorgfalt die Wahrung ihrer Interessen verunmöglicht unzumutbar erschwert hätten.
4.3.3 Vorliegend ist nicht von einem unverschuldeten Hindernis auszugehen. Im Dispositiv der Verfügung vom 27. Juli 2021 wurde unmissverständlich festgehalten, dass dem Gesuch um Ausnahme von der Krankenversicherungspflicht bis 31. Oktober 2021 stattgegeben werde (Ziff. 5.2 des Dispositivs), die Beschwerdeführerin und ihre Tochter aber aufgefordert würden, sich ab 1. November 2021 umgehend einer in der Schweiz anerkannten Krankenversicherung nach KVG anzuschliessen (Ziff. 5.4 des Dispositivs). Wie die Beschwerdeführerin denn auch selber einräumt, hat sie die Verfügung nicht richtig gelesen. Damit hat es ihr an der zumutbaren Aufmerksamkeit gefehlt. Des Weiteren kann vorliegend auch nicht von sprachlichen Schwierigkeiten ausgegangen werden, welche eine Wiederherstellung der Rechtsmittelfrist rechtfertigen würden. Wie aus den Akten ersichtlich ist, war die Beschwerdeführerin bereits im Jahr 2009 für längere Zeit in der Schweiz arbeitstätig (s. AD-Nr. 20) und in ihren Rechtsschriften sind ebenfalls keine sprachlichen Verständigungsschwierigkeiten erkennbar.
5. Gestützt auf die obigen Erwägungen ist auf das Gesuch um Wiederherstellung der Einsprachefrist nicht einzutreten. Die Beschwerde ist abzuweisen.
5.1 Bei diesem Verfahrensausgang besteht kein Anspruch auf eine Parteientschädigung.
5.2 Grundsätzlich ist das Verfahren kostenlos. Von diesem Grundsatz abzuweichen, besteht im vorliegenden Fall kein Anlass.
Demnach wird erkannt: 1. Auf das Gesuch um Wiederherstellung der Einsprachefrist wird nicht eingetreten. 2. Die Beschwerde wird abgewiesen. 3. Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen. 4. Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.
Rechtsmittel Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit der Mitteilung beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten eingereicht werden (Adresse: Bundesgericht, Schweizerhofquai 6, 6004 Luzern). Die Frist beginnt am Tag nach dem Empfang des Urteils zu laufen und wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar (vgl. Art. 39 ff., 82 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes, BGG). Bei Vor- und Zwischenentscheiden (dazu gehört auch die Rückweisung zu weiteren Abklärungen) sind die zusätzlichen Voraussetzungen nach Art. 92 93 BGG zu beachten.
Versicherungsgericht des Kantons Solothurn Der Präsident Der Gerichtsschreiber Flückiger Isch |
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