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Urteil Verwaltungsgericht (SO - VSBES.2022.39)

Zusammenfassung des Urteils VSBES.2022.39: Verwaltungsgericht

Die Beschwerdeführerin war seit 1986 als Sekretariatsleitung angestellt und war bei der AXA Versicherungen AG obligatorisch unfallversichert. Sie erlitt am 21. März 2019 einen Unfall, bei dem sie sich eine komplizierte Sprunggelenksfraktur zuzog. Die Beschwerdegegnerin sprach ihr eine Integritätsentschädigung von CHF 14'280.00 zu, die die Beschwerdeführerin anfechtete und eine Erhöhung auf 20 % beantragte. Das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn wies die Einsprache ab, worauf die Beschwerdeführerin Beschwerde einreichte. Die Beschwerdegegnerin schloss auf Abweisung der Beschwerde. Das Gericht beurteilte den Fall und stellte fest, dass die Beschwerdeführerin an Osteopenie leidet, jedoch keine Osteoporose vorliegt. Das Gericht entschied, dass die Kürzung der Integritätsentschädigung von 20 % auf 10 % aufgrund unfallfremder Faktoren nicht gerechtfertigt war.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts VSBES.2022.39

Kanton:SO
Fallnummer:VSBES.2022.39
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Versicherungsgericht
Verwaltungsgericht Entscheid VSBES.2022.39 vom 21.12.2022 (SO)
Datum:21.12.2022
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:-
Schlagwörter: Integrität; Knochen; Osteoporose; Fraktur; Axa-Nr; Unfall; Integritätsentschädigung; Arthrodese; Integritätsschaden; Operation; Knochendichte; Untersuchung; Verlauf; Einsprache; Knochenqualität; Wahrscheinlichkeit; Akten; Parteien; Anspruch; Recht; Gericht; Polyneuropathie; Versicherungsgericht; Osteopenie; Verdacht
Rechtsnorm: Art. 16 UVG ;Art. 19 UVG ;Art. 24 UVG ;Art. 25 UVG ;Art. 36 UVG ;Art. 6 UVG ;
Referenz BGE:113 V 54; 117 V 261; 121 V 326; 124 V 32; 131 V 107; 132 V 393; 134 V 109;
Kommentar:
-

Entscheid des Verwaltungsgerichts VSBES.2022.39

 
Geschäftsnummer: VSBES.2022.39
Instanz: Versicherungsgericht
Entscheiddatum: 21.12.2022 
FindInfo-Nummer: O_VS.2022.186
Titel: Unfallversicherung; Integritätsentschädigung

Resümee:

 

 

 

Urteil vom 21. Dezember 2022

Es wirken mit:

Vizepräsident Flückiger

Gerichtsschreiber Lazar

In Sachen

A.___ vertreten durch Rechtsanwalt Ivo Baumann

Beschwerdeführerin

 

gegen

AXA Versicherungen AG

Beschwerdegegnerin

 

betreffend       Unfallversicherung; Integritätsentschädigung (Einspracheentscheid vom 21. Januar 2022)

 


zieht der Vizepräsident des Versicherungsgerichts in Erwägung:

I.

 

1.      

1.1     Die 1956 geborene A.___ (nachfolgend: Beschwerdeführerin) war seit 1986 als Sekretariatsleitung in einem Rechtsanwaltsbüro angestellt und dadurch bei der AXA Versicherungen AG (nachfolgend: Beschwerdegegnerin) obligatorisch unfallversichert. Mit Unfallmeldung UVG vom 22. März 2019 teilte der Arbeitgeber der Beschwerdegegnerin mit, die Beschwerdeführerin habe am 21. März 2019 einen Unfall erlitten. Sie sei beim Betreten eines S-Bahnzugs rückwärts auf das Perron gestürzt. Die Türflügel hätten sich trotz der Lichtschranke geschlossen und die Beschwerdeführerin erfasst, weshalb sie umgefallen sei. Dabei habe sie sich eine komplizierte Sprunggelenksfraktur rechts zugezogen (Akten der Beschwerdegegnerin [Axa-Nr.] A1).

 

1.2     Die Beschwerdegegnerin anerkannte ihre Leistungspflicht (Axa-Nr. A3). In der Folge kam sie für die unfallbedingte Heilbehandlung auf und richtete Taggelder aus. Mit Verfügung vom 30. April 2021 stellte sie die Pflegeleistungen und Kostenvergütungen ein und sprach der Beschwerdeführerin eine Integritätsentschädigung von CHF 14'280.00, entsprechend einer Integritätseinbusse von 10 %, zu (Axa-Nr. A33).

 

1.3     Die Beschwerdeführerin liess am 20. Mai 2021 Einsprache gegen die Verfügung vom 30. April 2021 und die Zusprechung einer Integritätsentschädigung von 20 % (anstelle von 10 %) beantragen (Axa-Nr. A36). Die Einsprache wurde am 1. Juni 2021 ergänzend begründet (Axa-Nr. A38).

 

1.4     Mit Einspracheentscheid vom 21. Januar 2022 wies die Beschwerdegegnerin die Einsprache ab (Axa-Nr. A45; Aktenseiten [A.S.] 1 ff.).

 

2.       Mit Zuschrift vom 23. Februar 2022 lässt die Beschwerdeführerin beim Versicherungsgericht des Kantons Solothurn Beschwerde gegen den Einspracheentscheid vom 21. Januar 2022 erheben. Sie stellt den Antrag, der Einspracheentscheid sei aufzuheben und ihr seien «die gesetzlichen Leistungen auszurichten». Aus der Begründung wird deutlich, dass einzig eine Erhöhung der Integritätsentschädigung von 10 % auf 20 % verlangt wird (A.S. 9 ff.). Die Beschwerde wird am 15. März 2022 ergänzend begründet (A.S. 17 f.).

 

3.       Die Beschwerdegegnerin schliesst in ihrer Vernehmlassung vom 27. April 2022 auf Abweisung der Beschwerde (A.S. 23 ff.).

 

4.       Die Beschwerdeführerin hält mit Replik vom 10. Mai 2022 an ihren Rechtsbegehren fest (A.S. 30 f.). Die Beschwerdegegnerin verzichtet in der Folge auf eine Duplik (A.S. 34).

 

5.       Der Vertreter der Beschwerdeführerin reicht innert der Frist bis 2. Juni 2022 keine Kostennote ein (s. A.S. 35 f.).

 

6.       Auf die Ausführungen in den Rechtsschriften der Parteien wird im Folgenden, soweit erforderlich, eingegangen. Im Übrigen wird auf die Akten verwiesen.

 

II.

 

1.

1.1     Die Sachurteilsvoraussetzungen (Einhaltung von Frist und Form, örtliche und sachliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts) sind erfüllt. Auf die Beschwerde ist einzutreten.

 

1.2     Die Parteien stimmen darin überein, dass die Beschwerdeführerin wegen der am 5. November 2019 erfolgten Repositionsarthrodese OSG und USG rechts einen Anspruch auf eine Integritätsentschädigung hat. Unbestritten ist auch, dass der gesamte Integritätsschaden einer Integritätseinbusse von 20 % entspricht. Umstritten ist dagegen, ob die Beschwerdegegnerin die Integritätsentseinbusse zu Recht wegen mitwirkender anderer Ursachen um die Hälfte, entsprechend einer Integritätsentschädigung von CHF 14'280.00, auf 10 % gekürzt hat.

 

1.3     Der Präsident des Versicherungsgerichts beurteilt Streitigkeiten in Sozialversicherungssachen mit einem Streitwert bis CHF 30'000.00 als Einzelrichter (§ 54bis Abs. 1 lit. a Kantonales Gesetz über die Gerichtorganisation / GO, BGS 125.12). Diese Grenze wird im vorliegenden Fall nicht überschritten. Die Angelegenheit ist daher durch den Vizepräsidenten des Versicherungsgerichts – als Stellvertreter der Präsidentin – als Einzelrichter zu beurteilen.

 

2.

2.1     Soweit das Bundesgesetz über die Unfallversicherung (UVG, SR 832.20) nichts anderes bestimmt, werden die Versicherungsleistungen bei Berufsunfällen, Nichtberufsunfällen und Berufskrankheiten gewährt (Art. 6 Abs. 1 UVG). Die versicherte Person hat u.a. Anspruch auf die zweckmässige Behandlung der Unfallfolgen (Art. 10 Abs. 1 UVG) sowie auf ein Taggeld, sofern sie infolge des Unfalles voll teilweise arbeitsunfähig ist (Art. 16 Abs. 1 UVG). Dabei handelt es sich um vorübergehende Leistungen, die – wie aus Art. 19 Abs. 1 UVG erhellt – nur solange zu gewähren sind, als von der Fortsetzung der ärztlichen Behandlung noch eine namhafte Besserung des Gesundheitszustandes (d.h. eine Wiederherstellung bedeutende Steigerung der Arbeitsfähigkeit, s. BGE 134 V 109 E. 4.3 S. 115) erwartet werden kann, wobei nur der unfallbedingt, und nicht aber der krankheitshalber geschädigte Gesundheitszustand zu berücksichtigen ist (Alexandra Rumo-Jungo / André Pierre Holzer: Rechtsprechung des Bundesgerichts zum UVG, 4. Aufl., Zürich 2012, S. 101). Sobald dies nicht mehr der Fall ist (und allfällige Eingliederungsmassnahmen der Invalidenversicherung abgeschlossen sind), erfolgt der Fallabschluss mit Einstellung der vorübergehenden Leistungen bei gleichzeitiger Prüfung des Anspruchs auf eine Invalidenrente sowie auf eine Integritätsentschädigung (BGE 134 V 109 E. 4.1 S. 114).

 

2.2     Nach Art. 24 Abs. 1 UVG hat die versicherte Person Anspruch auf eine angemessene Integritätsentschädigung, wenn sie durch den Unfall eine dauernde erhebliche Schädigung der körperlichen geistigen Integrität erleidet. Die Integritätsentschädigung wird in Form einer Kapitalleistung gewährt. Sie darf den am Unfalltag geltenden Höchstbetrag des versicherten Jahresverdienstes nicht übersteigen und wird entsprechend der Schwere des Integritätsschadens abgestuft (Art. 25 Abs. 1 UVG). Gemäss Art. 25 Abs. 2 UVG regelt der Bundesrat die Bemessung der Entschädigung. Von dieser Befugnis hat er in Art. 36 der Verordnung über die Unfallversicherung (UVV, SR.832.202) Gebrauch gemacht. Abs. 1 dieser Vorschrift bestimmt, dass ein Integritätsschaden als dauernd gilt, wenn er voraussichtlich während des ganzen Lebens mindestens in gleichem Umfang besteht. Er ist erheblich, wenn die körperliche geistige Integrität, unabhängig von der Erwerbsfähigkeit, augenfällig stark beeinträchtigt wird. Gemäss Abs. 2 gelten für die Bemessung der Integritätsentschädigung die Richtlinien des Anhanges 3. Der Bundesrat hat in diesem Anhang Richtlinien für die Bemessung der Integritätsschäden aufgestellt und in einer als gesetzmässig erkannten, nicht abschliessenden Skala (BGE 124 V 29 E. 1b S. 32 mit Hinweisen) wichtige und typische Schäden prozentual gewichtet. Für spezielle nicht aufgeführte Integritätsschäden wird die Entschädigung nach dem Grad der Schwere vom Skalenwert abgeleitet (Ziff. 1 Abs. 2 der Richtlinien im Anhang 3, ferner Art. 25 Abs. 1 UVG). Die Liste der Integritätsschäden sieht von allen individuellen Besonderheiten der Auswirkung ab und gibt eine abstrakte Schätzung für einen Durchschnittsmenschen. Es wird somit nur jene «Schwere» berücksichtigt, die einem Integritätsschaden solcher Art bei einem Durchschnittsmenschen beigemessen werden kann (Gilg/Zollinger, Die Integritätsentschädigung nach dem Bundesgesetz über die Unfallversicherung, S. 36 ff. und 45 ff.). Die Schätzung der Beeinträchtigung der Integrität obliegt in erster Linie den Ärzten (Gilg/Zollinger, a.a.O., S. 100 f), welche auf Grund ihrer Kenntnisse und Erfahrungen fähig sind, einerseits die konkreten Befunde der Unfallfolgen festzuhalten und anderseits die sachgemässe Einstufung im Rahmen der erwähnten Liste vorzunehmen (vgl. dazu die Mitteilungen der Medizinischen Abteilung der Suva, Heft 57, November 1984, S. 18 bis 31).

 

Die Medizinische Abteilung der Suva hat in Weiterentwicklung der bundesrätlichen Skala weitere Bemessungsgrundlagen in tabellarischer Form (sog. Feinraster) erarbeitet (Mitteilungen der Medizinischen Abteilung der Suva Nr. 57 bis 59, Tabellen 1 – 22). Diese von der Verwaltung herausgegebenen Tabellen stellen zwar keine Rechtssätze dar und sind für die Parteien nicht verbindlich, umso mehr als Ziffer 1 vom Anhang 3 zur UVV bestimmt, dass der in der Skala angegebene Prozentsatz des Integritätsschadens für den Regelfall gilt, welcher im Einzelfall Abweichungen nach unten wie nach oben ermöglicht. Soweit sie jedoch lediglich Richtwerte enthalten, mit denen die Gleichbehandlung aller Versicherten gewährleistet werden soll, sind sie mit Anhang 3 zur UVV vereinbar (BGE 124 V 32 E. 1c mit Hinweis).

 

Ist eine Integritätsentschädigung weder in der Skala in Anhang 3 UVV noch in den Tabellen der Suva enthalten, ist gemäss Ziff. 1 Abs. 2 Anhang 3 UVV eine Schätzung im Vergleich mit anderen Schäden vorzunehmen.

 

2.3     Nach Art. 36 Abs. 2 UVG werden die Invalidenrenten, Integritätsentschädigungen und die Hinterlassenenrenten angemessen gekürzt, wenn die Gesundheitsschädigung nur teilweise die Folge eines Unfalls ist. Gesundheitsschädigungen vor dem Unfall, die zu keiner Verminderung der Erwerbsfähigkeit geführt haben, werden dabei nicht berücksichtigt. Wie das Eidgenössische Versicherungsgericht (seit 1. Januar 2007: sozialrechtliche Abteilungen des Bundesgerichts) in BGE 113 V 54 E. 2 in fine ausgeführt hat, ist der soeben zitierte Satz 2 dieser Bestimmung auf Integritätsentschädigungen nicht anwendbar, weil er dem Wortlaut nach nur die Renten beschlägt, kann sich doch das dort verwendete Kriterium der "Erwerbsfähigkeit" lediglich auf die Invalidenrenten beziehen (Bestätigung in BGE 131 V 107 E. 3.1). Damit übereinstimmend hat das Gericht in BGE 116 V 156 E. 3c festgestellt, dass beim Zusammentreffen mehrerer, teils versicherter, teils nicht versicherter Ereignisse (Vorzustand, nicht versicherter Unfall), welche einen einzigen Integritätsschaden verursachen, der Integritätsschaden gesamthaft zu bemessen ist und in einem zweiten Schritt die Entschädigung nach Massgabe von Art. 36 Abs. 2 UVG entsprechend dem Kausalanteil der nicht versicherten Ereignisse am gesamten Integritätsschaden zu kürzen ist. Anlass zu einer Kürzung geben nicht nur Vorzustände, sondern sämtliche unfallfremden Einwirkungen, insbesondere auch interkurrente Erkrankungen (BGE 121 V 326 E. 3a; Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom 11. September 2002, U 344/01; vgl. auch Thomas Frei, Die Integritätsentschädigung nach Art. 24 und 25 des Bundesgesetzes über die Unfallversicherung, Diss. 1997, Freiburg 1998, S. 125 ff.)

 

3.       Sowohl das Verwaltungsverfahren wie auch der kantonale Sozialversicherungsprozess sind vom Untersuchungsgrundsatz beherrscht (Art. 43 Abs. 1 und Art. 61 lit. c Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts / ATSG, SR 830.1). Danach haben Verwaltung und Sozialversicherungsgericht den rechtserheblichen Sachverhalt von Amtes wegen festzustellen. Diese Untersuchungspflicht dauert so lange, bis über die für die Beurteilung des streitigen Anspruchs erforderlichen Tatsachen hinreichende Klarheit besteht. Der Untersuchungsgrundsatz weist enge Bezüge zum – auf Verwaltungs- und Gerichtsstufe geltenden – Grundsatz der freien Beweiswürdigung auf. Führen die im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes von Amtes wegen vorzunehmenden Abklärungen den Versicherungsträger das Gericht bei umfassender, sorgfältiger, objektiver und inhaltsbezogener Beweiswürdigung (BGE 132 V 393 E. 4.1 S. 400) zur Überzeugung, ein bestimmter Sachverhalt sei als überwiegend wahrscheinlich zu betrachten und es könnten weitere Beweismassnahmen an diesem feststehenden Ergebnis nichts mehr ändern, so liegt im Verzicht auf die Abnahme weiterer Beweise keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (antizipierte Beweiswürdigung; BGE 134 I 140 E. 5.3 S. 148, 124 V 90 E. 4b S. 94). Bleiben jedoch erhebliche Zweifel an Vollständigkeit und / Richtigkeit der bisher getroffenen Tatsachenfeststellung bestehen, ist weiter zu ermitteln, soweit von zusätzlichen Abklärungsmassnahmen noch neue wesentliche Erkenntnisse zu erwarten sind (Urteile des Bundesgerichts 8C_101/2010 vom 3. Mai 2010 E. 4.1, 8C_1021/2009 vom 3. November 2010 E. 4.2 und 8C_956/2011 vom 20. Juni 2012 E. 5.1).

 

Der Untersuchungsgrundsatz schliesst die Beweislast im Sinne einer Beweisführungslast begriffsnotwendig aus. Im Sozialversicherungsprozess tragen mithin die Parteien in der Regel die Beweislast nur insofern, als im Falle der Beweislosigkeit der Entscheid zu Ungunsten jener Partei ausfällt, die aus dem unbewiesen gebliebenen Sachverhalt Rechte ableiten wollte. Diese Beweisregel greift allerdings erst Platz, wenn es sich als unmöglich erweist, im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes auf Grund einer Beweiswürdigung einen Sachverhalt zu ermitteln, der zumindest die Wahrscheinlichkeit für sich hat, der Wirklichkeit zu entsprechen (BGE 117 V 261 E. 3b S. 264, mit Hinweis).

 

4.      

4.1     Die Beschwerdegegnerin legt im angefochtenen Einspracheentscheid (A.S. 1 ff.) dar, nach Lage der Akten habe bereits vor dem Unfallereignis vom 21. März 2019 eine verminderte Knochendichte (Osteopenie) infolge der Diabeteserkrankung bestanden. Sodann habe die Beschwerdeführerin infolge einer konservativ behandelten Fraktur des MT1 am rechten Fuss vom 18. Dezember 2018 noch einen Gips getragen, weshalb ebenfalls ohne weiteres davon ausgegangen werden könne, dass im rechten Fussgelenk auch deswegen bereits ein erhöhtes Frakturrisiko bestanden habe. Dr. med. B.___ zufolge sei es aufgrund der schlechten Knochenqualität am 5. November 2019 zur Arthrodese von OSG und USG gekommen, was bei einer guten Knochenqualität nicht der Fall gewesen wäre. Unter Einbezug der vorbestehenden Krankheitsbilder habe Dr. med. B.___ den gesamten Integritätsschaden auf 20 % bemessen und den unfallfremden und unfallkausalen Anteil auf je 50 % beurteilt, was letztlich einen unfallkausalen Anteil am Integritätsschaden von 10 % ergebe. Die Beschwerdeführerin habe in ihrer Einsprache den Antrag gestellt, es sei ihr die volle, ungekürzte Integritätsentschädigung auszurichten und habe als Begründung angeführt, dass die Knochendichtemessung keine Osteoporose ergeben habe. Der erhobene Befund einer Osteopenie belege aber hinreichend, dass die Knochendichte bei der Beschwerdeführerin gegenüber dem Normwert herabgesetzt gewesen sei. Die in der Einsprache vorgebrachte Begründung, der Verdacht einer Osteoporose habe sich nicht bestätigt, vermöge vor diesem Hintergrund nicht zu überzeugen. Wenn die Beschwerdeführerin die Aussage von Dr. med. C.___ vom 30. Juli 2019 zitiere, wonach keine typischen osteoporotischen Frakturen vorlägen, beweise dies lediglich, dass die Dexa-Werte keine Osteoporose bestätigt hätten. Sie beweise indessen nicht, dass ein Normalbefund vorliege. Dies umso weniger, weil Prof. D.___ zufolge aufgrund der sich präsentierenden Gesamtkonstellation – wie bereits zuvor Dr. med. E.___ – eine Medikation mit Biphosphonat für indiziert gehalten habe. Diese Indikation würde sich bei einer unauffälligen Knochendichte nicht ergeben. Wie von Dr. med. B.___ ausgeführt und auch von Dr. med. C.___ klar bestätigt worden sei, bestehe bei der an Diabetes leidenden Beschwerdeführerin unabhängig davon, ob eine Osteoporose habe erhoben werden können nicht, ein erhöhtes Frakturrisiko. Zum Zeitpunkt des Sturzes vom 21. März 2019 habe zusätzlich eine erhöhte Vulnerabilität bestanden, da die Beschwerdeführerin am rechten Fuss noch einen Gips getragen habe. In Würdigung der gesamten Akten sei deshalb mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass zum Zeitpunkt des Unfallereignisses vom 21. März 2020 (recte: 2019) die Knochenstruktur des rechten Fussgelenks durch das diabetesbedingte erhöhte Frakturrisiko, aber auch durch die vorgängig erfolgte Arthrodese vom 24. September 2018 geschwächt gewesen sei, was auch Dr. med. B.___ in seiner Stellungnahme vom 1. September 2020 klar festgehalten habe. Die Argumentation der Beschwerdeführerin beschränke sich einzig auf die isolierte Betrachtung der Dexa-Werte, was angesichts des nachgewiesenen, durch mannigfaltige Erkrankungen beeinträchtigten Gesundheitszustandes und der klar belegten herabgesetzten Knochenqualität nicht überzeuge. Die von Dr. med. B.___ vorgenommene Aufteilung der Integritätseinbusse von je 50 % (von 20 %) sei nach dem Gesagten nicht zu beanstanden.

 

4.2     Der Beschwerde (A.S. 9 ff.) lässt sich entnehmen, die von der Beschwerdegegnerin vertretene Ansicht, dass die Knochenqualität der Beschwerdeführerin herabgesetzt sei, sei nicht nachvollziehbar. Im Einspracheverfahren sei dargelegt worden, dass sich der Verdacht einer Osteoporose eben gerade nicht bestätigt habe. Zum definitiven Ausschluss der Osteoporose sei auf Verordnung der behandelnden Endokrinologin Dr. med. E.___ und in Absprache mit der Rheumatologie des Spitals F.___ eine radiologische Untersuchung in der Klinik G.___ veranlasst worden. Auch diese Untersuchung habe keine Hinweise auf eine Osteoporose ergeben. Insbesondere hätten keine Frakturen der Wirbelsäule festgestellt werden können. Schliesslich habe auch die Second opinion von Dr. med. C.___ ergeben, dass keine typischen osteoporotischen Frakturen vorlägen und das erlittene Trauma als adäquat erscheine. An dieser Stelle sei darauf hinzuweisen, dass die Beschwerdeführerin nicht einen simplen Stolpersturz erlitten habe, sondern dass ihr rechter Fuss, der im Zusammenhang mit einer Vorfussoperation noch in einem Gips gesteckt habe, der fast bis zum Knie gereicht habe, beim Sturz so unglücklich mit voller Wucht in den Spalt zwischen Perron und nicht ausgefahrener Rampe hineingepresst worden sei, dass der Fuss samt Gips nach rechts verdreht worden sei. Nicht nur das Sprunggelenk sei dabei gebrochen, sondern auch der Gips, der von den Sanitätern zuerst habe geradegedreht werden müssen, bevor er habe abgenommen werden können. Eine angeblich „erhöhte Vulnerabilität" würde bei diesem Ereignis an jeglicher Bedeutung verlieren. Jeder noch so harte Knochen wäre dabei geborsten. Die angeblich schlechte Knochenqualität, wie im Spital F.___ verlautet worden sei, lasse sich durch nichts begründen. Sie sei lediglich als Vorwand für das schlechte und revisionsbedürftige Operationsergebnis herangezogen worden. Dass Dr. med. H.___ zusammen mit einem gewissen Dr. med. D.___, der die Beschwerdeführerin gar nie gesehen untersucht habe, der behandelnden Endokrinologin empfohlen habe, trotz negativer Osteoporose-Diagnose eine entsprechende Therapie einzuleiten, um die Patientin «nicht zu verwirren», sei dann doch sehr unverständlich. Diese Intervention lasse sich nur durch eine genauere Analyse der Abläufe im Spital F.___ einordnen. Es bleibe darauf hinzuweisen, dass anlässlich der Revisionsoperation in der Klinik G.___ vom 5. November 2019 schliesslich kein schlechtes Knochenmaterial vorgelegen habe, mithin der Eingriff erfolgreich habe durchgeführt werden können. Zusammenfassend sei festzuhalten, dass weder eine Osteoporose noch eine Osteopenie noch eine Polyneuropathie einen Abzug des Integritätsschadens von 50 % rechtfertigten. Eine Beteiligung von unfallfremden Faktoren liege nicht vor.

 

5.       Die jeweiligen Standpunkte der Parteien werden durch die folgenden ärztlichen Stellungnahmen gestützt:

 

5.1     Der Aktenbeurteilung von Dr. med. B.___, Facharzt Orthopädische Chirurgie und Traumatologie des Bewegungsapparates, beratender Arzt der Beschwerdegegnerin, vom 1. September 2020 (Axa-Nr. M34) lässt sich zum medizinischen Sachverhalt entnehmen, es bestehe eine Hüftdysplasie links mit Beinverkürzung von 4 cm auf dieser Seite. Zudem ein Diabetes mellitus mit einer Polyneuropathie. Im Jahr 2017 sei eine Vorfusskorrektur links erfolgt. Besonderheiten über den Verlauf seien in den Akten nicht erwähnt. Am 24. September 2018 sei die Vorfusskorrektur rechts mit TMT I- und MTP I-Arthrodese, Korrekturen an den Kleinzehen und den zugehörigen Metatarsalia erfolgt. Nach zunächst ungestörtem Verlauf sei am 31. Januar 2019 eine Metatarsale I-Schaftfraktur gefunden worden, die seit Mitte Dezember (vorherige Röntgenkontrolle) aufgetreten sei. Die Behandlung sei konservativ mit Gips erfolgt. Am 21. März 2019 sei die Versicherte gestürzt; der Gips, den sie am Unterschenkel rechts getragen habe, sei gebrochen, zusätzlich sei es zu einer Trimalleolarluxationsfraktur rechts gekommen. Am Unfalltag sei wegen Schwellung ein Fixateur externe angebracht worden. Es sei eine Osteosynthese medial und lateral am 29. März 2019 erfolgt, eine Versorgung des Volkmann-Dreiecks sei nicht nötig gewesen. Bei der Operation sei aufgefallen, dass der Knochen sehr weich gewesen sei. Bis August ordentlicher Verlauf, am 8. August 2019 sei eine Beweglichkeit dorsal / plantar von 5-0-30° gemessen worden. In der Folge zunehmende Schwellung und Schmerzen, am 31. Oktober 2019 sei eine Talusluxation mit Sintern der Knochen im Sprunggelenksbereich festgestellt worden. Am 5. November 2019 seien eine Arthrodese von OSG und USG und eine Resektion der distalen Fibula erfolgt. In der Folge habe es einen günstigen Verlauf gegeben, zunehmende Konsolidation der Arthrodesen, die Metatarsale I-Fraktur sei in der Zwischenzeit konsolidiert gewesen. Am 21. Juli 2020 befriedigender Zustand, etwas Schwellungsneigung. Deswegen seien Lymphdrainage und Kompressionsstrümpfe empfohlen worden, die Versorgung mit zugerichtetem Schuhwerk sei am Laufen gewesen. Deshalb könne angenommen werden, dass der rechte Fuss voll belastbar gewesen sei.

 

Die beklagten Beschwerden / Symptome stünden mit überwiegender Wahrscheinlichkeit (>50 %) im Zusammenhang mit dem gemeldeten Ereignis. Wegen der Malleolarfraktur sei die Osteosynthese nötig gewesen. Wegen schlechter Knochenqualität und Diabetes mit Polyneuropathie habe es einen komplizierten Verlauf gegeben mit Sinterung, was zur Arthrodese von OSG und USG geführt habe. Die Gesundheit der Versicherten sei schon vor dem Ereignis in stummer manifester Weise beeinträchtigt gewesen. Von Bedeutung für die aktuelle Situation seien die schlechte Knochenqualität und der Diabetes mellitus mit Polyneuropathie. Das Ereignis habe mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu einer dauernden / richtungsgebenden Verschlimmerung geführt. Die Fraktur habe die Kaskade mit Sinterung im Frakturbereich ausgelöst. Der medizinische Endzustand sei noch nicht erreicht. Eine Prognose dazu sei möglich. Der Zeitraum von einem Jahr ab Arthrodese sollte abgewartet werden. Voraussichtlich noch Schuhanpassung und Abgabe von Kompressionsstrümpfen und ev. Applikation von Lymphdrainage. Von diesen Massnahmen könne mindestens mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine namhafte Besserung des unfallbedingten Gesundheitszustandes erwartet werden. Die ungefähre Therapiedauer betrage 26 Wochen. Es bestehe als Folge des Ereignisses eine dauernde und erhebliche Schädigung der körperlichen, geistigen psychischen Integrität. Die Integritätsentschädigung betrage 10 % gemäss Suva Tabellen Nr. 5. Die Arthrodese von OSG und USG bedinge eine Integritätseinbusse von 20 %. Im aktuellen Fall seien mit Osteoporose und Polyneuropathie unfallfremde Faktoren entscheidend mitbeteiligt, ohne diese wäre es nicht zum Sintern im Sprunggelenksbereich gekommen. Die Bedeutung dieser Elemente sei mit 50 % zu bewerten, die Integritätseinbusse netto betrage 10 %.

 

5.2     Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens liess die Beschwerdeführerin eine Stellungnahme von Dr. med. I.___, Leiter Fusschirurgie, Klinik G.___, vom 11. März 2022 einreichen (Urkunde Nr. 4 der Beschwerdeführerin). Dr. med. I.___ beantwortete darin die vorgängig vom Vertreter der Beschwerdeführerin gestellten Fragen (siehe Urkunde Nr. 3 der Beschwerdeführerin). Der Fusschirurg führt aus, er teile die Einschätzung von Dr. med. B.___ in seinem Bericht vom 1. September 2020 (Mitwirkung von unfallfremden Faktoren, welche zum Sintern geführt hätten) nicht. Sowohl die DEXA-Messung als auch die intraoperative Knochenqualität und auch das komplikationslose Heilen der Arthrodese hätten auf einen guten Knochenstoffwechsel hingewiesen. Vielmehr sei davon auszugehen, dass die Art und Weise der Frakturversorgung nicht ganz üblich sei. Insbesondere scheine die Sprengung der Malleolengabel und sehr wahrscheinliche Mitbeteiligung der Syndesmose ursächlich für das Abkippen im Talus, da die ossäre Führung nicht stabil sei. Dies zeige sich auch in den postoperativen Röntgenbildern. Nach Ansicht von Dr. med. I.___ hätte zumindest eine Stellschraube mit grösster Wahrscheinlichkeit die Luxation verhindert. Des Weiteren könne es auch im Rahmen des Unfalls zu einer Nekrose des Talus gekommen sein durch verletzte Blutgefässe. Die Osteoporose alleinig für das schlechte Ergebnis schuldig zu machen, erscheine nicht richtig. Die Integritätsentschädigung werde auf mindestens 20 % geschätzt.

 

6.       Wie erwähnt, ist die Beurteilung des Integritätsschadens (Arthrodese von OSG und USG rechts, 20 %) unter den Parteien unbestritten und denn auch nicht zu beanstanden. So lässt sich der genannte Integritätsschaden direkt der entsprechenden Suva-Tabelle Nr. 5 (Integritätsschaden bei Arthrosen) entnehmen. Strittig ist dagegen die vom beratenden Arzt der Beschwerdegegnerin vorgenommene Kürzung des Integritätsschadens von 20 % auf 10 %. Dr. med. B.___ begründet die Kürzung um 50 % damit, dass mit der Osteoporose und dem Diabetes mit Polyneuropathie unfallfremde Faktoren entscheidend mitbeteiligt seien, da es ohne diese nicht zum Sintern im Sprunggelenksbereich gekommen wäre (Axa-Nr. M34, S. 4).

 

6.1     Die Akten enthalten zu diesen Aspekten insbesondere die folgenden Informationen:

 

6.1.1  Bereits vor dem Unfallereignis vom 21. März 2019 bestand bei der Beschwerdeführerin eine ausgeprägte Fussproblematik beidseits. Aus diversen ärztlichen Berichten geht hervor, dass die Beschwerdeführerin unter einer diabetischen Polyneuropathie als eine Folge von Diabetes mellitus Typ 1 leidet (Axa-Nr. M37). Die Polyneuropathie führte zu einer ausgeprägten Vorfussdeformität beidseits, welche trotz Massschuhen und regelmässiger Podologie zu einem diabetischen Fusssyndrom geführt hatte, so dass in der Folge Fussoperationen an beiden Füssen durchgeführt wurden (Axa-Nr. M37, S. 5 f.). Die Operation am rechten Fuss führte Dr. med. I.___, Leiter Fusschirurgie, Klinik G.___, aufgrund der ausgeprägten Vorfussdeformität am 24. September 2018 durch (korrigierende MTP I- und TMT I-Arthrodese; Köpfchen-Resektion Os metatarsale II und Maceira-Osteotomie Os metatarsale III; Hohmann Dig. II/III; Strecksehnenrelease I-III; Axa-Nr. M15). Im Verlauf kam es hier zu einer Fraktur des Metatarsale I und es erfolgte erneut die Gipsruhigstellung und Teilbelastung an Gehstöcken (Axa-Nr. M12). In der Röntgenuntersuchung des rechten Fusses vom 31. Januar 2019 zeigte sich ein osteopener Knochenaspekt (Axa-Nr. M5). Am 21. März 2019 erlitt die Beschwerdeführerin eine Trimalleolarluxationsfraktur rechts, als sie sich den rechten Fuss mit Gips zwischen einem stehenden Zug und dem Perron einklemmte. Am gleichen Tag folgte eine geschlossene Reposition und Anlage eines sprunggelenküberbrückenden Fixateurs externe, durchgeführt von Dr. med. J.___, Assistenzarzt, und Dr. med. H.___, Facharzt für Allgemeinchirurgie und Traumatologie, Leitender Arzt, Spital F.___ (siehe Operationsbericht vom 21. März 2019, Axa-Nr. M18). Die beiden Ärzte äusserten in ihrem Bericht einen klaren Verdacht auf Osteoporose angesichts der Knochenqualität. Auch anlässlich der Operation vom 29. März 2019 (Offene Reposition bimalleolär, Zugschrauben-Osteosynthese respektive Miniplättchen-Zugschrauben-Osteosynthese 2.4 bimalleolär rechts) beschrieb Dr. med. H.___ eine typische osteoporotische, schräge Schuppenfraktur mit kleinen Zwischenfragmentchen gen dorsal und stellte die Diagnose eines Verdachts auf Osteoporosefraktur (fragile fracture; Axa-Nr. M17).

 

6.1.2  Am 2. Juli 2019 fand eine Osteomineralometrie (Knochendichtemessung) mittels DXA statt. Diese ergab Folgendes: An der LWS gemittelt über L1-L3 liege die BMD [bone mineral density] im Normbereich [-0.7]; am rechten Schenkelhals liege die BMD in der Messregion Neck im osteopenischen Bereich [-1.7] und in der Totalregion im Normbereich [-0.8]; am rechten Unterarm liege die BMD in der Messregion 1/3 Radius und Ulna im Normbereich [0.1] (Axa-Nr. M38). Am 30. Juli 2019 wandte sich die Endokrinologin und Diabetologin Dr. med. E.___ vom Spital F.___ in Bezug auf eine allfällige Osteoporosetherapie an Dr. med. C.___, Fachärztin für Endokrinologie und Diabetologie, mit den Fragen, ob die Trimalleolarluxationsfraktur als low trauma zu klassifizieren sei, ob der Umstand, dass die Beschwerdeführerin wegen der Fussoperation ihren Fuss seit September 2018 nicht mehr belastet habe, nicht zu einem Abbau des Knochens geführt haben könnte, und ob sie (Dr. med. C.___) mit einer Biphosphat-Therapie starten würde (siehe Verlaufseintrag vom 30. Juli 2019, Axa-Nr. M37, S. 5 f.). Dr. med. C.___ antwortete gleichentags, vorliegend seien es definitiv keine typisch osteoporotischen Frakturen und das Trauma scheine adäquat. Bei guten Dexa-Werten sei keine Therapie indiziert. Es gelte aber zu beachten, dass bei Diabetikern das Frakturrisiko erhöht sei trotz guten Dexa-Werten. Das spiele aber bei der Beschwerdeführerin mit Diabetes erst seit neun Jahren eher keine Rolle. Gemäss dem Berechnungssystem Frax (Fracture Assessment Tool der Weltgesundheitsorganisation WHO, vgl. https://frax.shef.ac.uk/FRAX/charts/Chart_CA_ost_wom_bmd.pdf, zuletzt besucht am 20. Dezember 2022) resultiere ein Risiko (10-Jahres-Wahrscheinlichkeit einer osteoporotischen Fraktur) von 8.9 %. Da die Wirbelsäule sowieso gut sei, empfehle sie, nur Kalzium und Vitamin D3 zu optimieren und in einigen Jahren wieder zu messen (Axa-Nr. M37, S. 5). Der Chirurg Dr. med. H.___, der die Operationen vom 21. und 29. März 2019 durchgeführt hatte, hielt demgegenüber in seinem Bericht vom 8. August 2019 (Axa-Nr. M20) fest, ebenfalls am 30. Juli 2019 habe der Prof. D.___ aufgrund von «FRAX-Befund etc.» eine Therapie mittels z.B. Biphosphonat empfohlen (eine Stellungnahme eines Prof. D.___ findet sich in den Akten allerdings nicht). Dr. med. E.___ (wie Dr. med. H.___ am Spital F.___ tätig) werde gebeten, hier eine entsprechende Abwägung der Vor- und Nachteile zu machen, um die Patientin nicht zu sehr zu verwirren.

 

6.1.3  Am 26. September 2019 erfolgte eine weitere Untersuchung in der Klinik G.___. Dr. med. I.___ führte in seinem Bericht vom 30. September 2019 (Axa-Nr. M21) aus, aufgrund weiterhin bestehender ausgeprägter Schwellung sowie bildmorphologisch sichtbarer Destruktion des Talus bestehe der Verdacht auf eine Charcot-Neuroosteoarthropathie im Akutstadium. Geplant sei u.a. eine weitere Bildgebung mittels CT. Am 31. Oktober 2019 wurde bei der Beschwerdeführerin schliesslich eine Talusluxation rechts festgestellt. Dr. med. I.___ stellte daraufhin die Indikation zur Arthrodese. Am 5. November 2019 erfolgte deshalb eine weitere Operation am rechten Fuss. Unter anderem wurde eine offene Repositionsarthrodese OSG und USG rechts durchgeführt (siehe Operationsbericht vom 5. November 2019, Axa-Nr. M24). Der Operateur Dr. med. I.___ beschrieb unter anderem ein sichtbares atrophes nekrotisches Knochenstück, am ehesten vom Talus ausgehend, welches reseziert worden sei. Zur Knochenqualität äussert sich der Operationsbericht nicht. Im Austrittsbericht von Dr. med. I.___ vom 14. November 2019 (Axa-Nr. M23) sowie in den nachfolgenden Verlaufskontrollen (Axa-Nrn. M25, M26, M28, M29, M31 und M32) wurde die Verdachtsdiagnose einer Charcot-Neuroosteoarthropathie nicht mehr gestellt. Die radiologische Untersuchung der Wirbelsäule vom 31. Oktober 2019, die mit der Fragestellung nach Osteoporose-typischen Frakturen im Bereich der BWS LWS veranlasst wurde, ergab keine solchen Frakturen; der Bericht enthält den Hinweis auf eine osteopene Knochenstruktur (Axa-Nr. M38, S. 4). In weiteren Verlaufsberichten nach der Operation vom 5. November 2019 konnte Dr. med. I.___ einen positiven Verlauf festhalten. Am 8. Oktober 2021 wurde schliesslich das Osteosynthesematerial entfernt. Laut Bericht vom 25. November 2021 war die Patientin beschwerdefrei und die Behandlung konnte abgeschlossen werden (Axa-Nr. M39).

 

6.2     Wie sich aus den vorstehend wiedergegebenen Berichten ergibt, wurde der von Dr. med. H.___ geäusserte Verdacht einer Osteoporosefraktur nicht bestätigt. Dass die Trimalleolarluxationsfraktur rechts am 21. März 2019 auf eine Osteoporose zurückzuführen wäre, wird von keinem der später mit der Sache befassten Ärzte angenommen. Dr. med. B.___, der beratende Arzt der Beschwerdegegnerin, geht davon aus, eine Osteoporose habe entscheidend zum ungünstigen Verlauf nach der Operation vom 29. März 2019 beigetragen; er vertritt aber nicht die Auffassung, sie habe bereits die Fraktur vom 21. März 2019 bewirkt. Die Knochendichtemessung vom 2. Juli 2019 ergab eindeutig keine Osteoporose, sondern (im Bereich der Messung am rechten Schenkelhals in der Messregion Neck) eine Osteoponie. Die zwecks weiterer Klärung veranlasste radiologische Untersuchung der Wirbelsäule vom 31. Oktober 2019 ergab ebenfalls keine Hinweise auf Osteoporose, insbesondere nicht auf entsprechende Frakturen. Dr. med. C.___ äusserte sich in Bezug auf die Trimalleolarluxationsfraktur rechts vom 21. März 2019 dahingehend, dass vorliegend definitiv keine typisch osteoporotischen Frakturen vorhanden seien und das Trauma adäquat scheine (vgl. E. II. 6.1.2 hiervor). Schliesslich führte auch Dr. med. I.___, welcher die Beschwerdeführerin zuletzt am rechten Fuss operierte, in seinem Bericht vom 11. März 2022 (Urkunde Nr. 4 der Beschwerdeführerin) aus, dass sowohl die DEXA-Messung, als auch die intraoperative Knochenqualität und auch das komplikationslose Heilen der Arthrodese auf einen guten Knochenstoffwechsel hindeuteten. Aus diesen Stellungnahmen ergibt sich, dass keine Osteoporose im engeren Sinne, sondern lediglich eine Osteoponie vorliegt und dass diese jedenfalls für die Fraktur vom 21. März 2019 nicht relevant war. Dies gilt auch für das Argument der Beschwerdegegnerin, es habe zum Zeitpunkt des Sturzes vom 21. März 2019 eine erhöhte Vulnerabilität bestanden, da die Beschwerdeführerin noch einen Gips getragen habe (A.S. 7). Den vorhandenen Arztberichten lässt sich nicht entnehmen, dass durch diesen Umstand die Folgen des Unfalls verschlimmert werden. Vielmehr gehen die beteiligten Fachpersonen davon aus, dass die starke Einwirkung, die mit dem Ereignis vom 21. März 2019 verbunden war, für sich allein die Trimalleolarfraktur bewirkt hat, was mit Blick auf den geschilderten Ablauf auch einleuchtet.

 

6.3     Die Beschwerdeführerin leidet hingegen im Bereich des rechten Fusses an Osteopenie. Nach Auffassung der Beschwerdegegnerin belege dies hinreichend, dass die Knochendichte bei der Beschwerdeführerin gegenüber dem Normwert herabgesetzt gewesen sei und sich die Einschätzung von Dr. med. B.___ daher als korrekt erweise. Die bei der Beschwerdeführerin diagnostizierte Osteopenie steht für eine altersbedingte Minderung der Knochendichte. Eine verminderte Knochendichte führt aber gemäss medizinischer Lehre erst ab einem gewissen Prozentsatz an Dichteverlust zu einer erhöhten Frakturgefährdung. Die einzige Möglichkeit, ein erhöhtes Frakturrisiko zu erfassen, bietet die Osteodensitometrie, wobei die Knochendichte überwiegend mit der Dual-Energie-Absorpotiometrie (DEXA resp. DXA) gemessen wird. Üblicherweise wird das Messergebnis als T-score angegeben, d.h. als Standardabweichung (SD = standard deviation) von der Knochendichte eines standardisierten Referenzkollektivs. Ein Verlust der Knochendichte von 10 - 25 % (T-score zwischen -1 SD und -2.5 SD) entspricht einem altersassoziierten Knochenmassenverlust resp. einer Osteopenie. Erst ab einem Verlust der Knochendichte von über 25 % (T-score bei unter -2.5 SD) spricht man von einer präklinischen Osteoporose mit potentieller Frakturgefährdung (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage 2017, S. 471 f.). Wie oben festgehalten (E. II. 6.1.2 hiervor), wurde bei der Beschwerdeführerin eine solche Knochendichtemessung durchgeführt, welche keine Osteoporose, aber eine Osteopenie ergab. Eine Osteopenie führt im Gegensatz zu einer Osteoporose gemäss den obigen Erläuterungen nicht zwingend zu einer deutlich erhöhten Frakturgefährdung. Hier ergaben die Berechnungen der Fachärztinnen Dr. med. E.___ und Dr. med. C.___ eine Zehn-Jahres-Wahrscheinlichkeit für eine Fraktur von 8.9 % (vgl. E. II. 6.1.2 hiervor). Diese Wahrscheinlichkeit ist nicht derart erheblich, dass sie für sich allein genommen einen Grund für eine Reduktion der Integritätsentschädigung darstellen könnte. Andernfalls wäre ein Grossteil der Versicherten im Alter der Beschwerdeführerin von einer solchen Kürzung betroffen, was mit Blick auf den Charakter der obligatorischen Unfallversicherung als Sozialversicherung für alle Erwerbstätigen abzulehnen ist.

 

6.4     Dr. med. B.___ argumentiert konkret, die von ihm angenommene Osteoporose, welche genauer als Osteoponie zu bezeichnen sei, und die Polyneuropathie hätten bewirkt, dass es nach der Operation vom 29. März 2019 im weiteren Verlauf zu einem Sintern im Sprunggelenksbereich gekommen sei, welche ihrerseits die erneute Operation vom 5. November 2019 und die dort vorgenommene Arthrodese erforderlich gemacht habe. Dieser Standpunkt kann nach der Aktenlage nicht als mit hinreichender (d.h. überwiegender) Wahrscheinlichkeit ausgewiesen gelten. So legt Dr. med. B.___ Wert auf die Feststellung, anlässlich der Operation vom 29. März 2019 sei aufgefallen, dass der Knochen sehr weich gewesen sei. Der vom damaligen Operateur Dr. med. H.___ geäusserte «klare Verdacht» auf Osteoporose bestätigte sich jedoch in der Folge nicht. Schon die Röntgenaufnahmen des rechten Fusses vom 31. Januar 2019 hatten einen osteopenen Knochenaspekt, aber keine Osteoporose ergeben, und dieser Befund bestätigte sich in den späteren Untersuchungen. Die These, der Verlauf nach der Operation vom 29. März 2019 sei massgebend durch den Vorzustand geprägt gewesen, wird von Dr. med. B.___ nicht näher begründet und er diskutiert auch keine anderen Möglichkeiten. Der Operateur Dr. med. I.___ hält dazu in seiner Stellungnahme vom 11. März 2022 fest, sowohl die DEXA-Messung als auch die intraoperative Knochenqualität und auch das komplikationslose Heilen der Arthrodese wiesen auf einen guten Knochenstoffwechsel hin. Als Ursache für das Abkippen des Talus sieht er stattdessen den Umstand, dass die Art und Weise der Frakturversorgung «nicht ganz üblich» sei, was er unter Bezugnahme auf die postoperativen Röntgenbilder näher erläutert. Diese Ausführungen sind inhaltlich nachvollziehbar und plausibel. Sie basieren, anders als jene des beratenden Arztes Dr. med. B.___, auf persönlichen Untersuchungen und insbesondere der Kenntnis der intraoperativen Befunde. Damit bilden sie, obwohl sie von einem behandelnden Arzt stammen, in der hier gegebenen Konstellation eine genügende Grundlage für die Anspruchsbeurteilung. Dass die These von Dr. med. B.___ zutrifft, ist vor diesem Hintergrund zwar nicht ausgeschlossen, aber nicht überwiegend wahrscheinlich. Von ergänzenden Abklärungen ist abzusehen; sie wären nicht geeignet, die Kontroverse abschliessend zu klären, zumal sie sich wegen der zwischenzeitlichen Entwicklung mit weiteren operativen Eingriffen nicht mehr auf eigene Untersuchungen stützen könnten. Damit bleibt es bei der Feststellung, dass die Arthrodese an USG und OSG des rechten Fusses eine Folge des Unfalls vom 21. März 2019 bildet, während eine erhebliche Mitwirkung des Vorzustands nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erstellt ist. Damit besteht keine Grundlage für eine Kürzung der Integritätsentschädigung. Die Beschwerdeführerin hat daher Anspruch auf die volle, dem Listenwert entsprechende Integritätsentschädigung von 20 %. Die Beschwerde ist gutzuheissen.

 

7.      

7.1     Da die Beschwerdeführerin obsiegt, steht ihr eine ordentliche Parteientschädigung zu, die von der Beschwerdegegnerin zu bezahlen ist. Diese Entschädigung bemisst sich ohne Rücksicht auf den Streitwert nach dem zu beurteilenden Sachverhalt sowie der Schwierigkeit des Prozesses (Art. 61 lit. g ATSG). Da der Vertreter der Beschwerdeführerin keine Kostennote eingereicht hat, wird die Parteientschädigung ermessensweise auf pauschal CHF 1'600.00 (inkl. Auslagen und Mehrwertsteuer) festgesetzt.

 

7.2     Bei Streitigkeiten über Leistungen ist das Verfahren kostenpflichtig, wenn dies im jeweiligen Einzelgesetz vorgesehen ist; sieht das Einzelgesetz keine Kostenpflicht bei solchen Streitigkeiten vor, so kann das Gericht einer Partei, die sich mutwillig leichtsinnig verhält, Gerichtskosten auferlegen (Art. 61 lit. fbis ATSG). Weil das UVG keine Kostenpflicht vorsieht und weder mutwillige noch leichtsinnige Beschwerdeführung vorliegt, sind keine Gerichtskosten zu erheben.

 

Demnach wird erkannt:

1.    Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Einspracheentscheid der Beschwerdegegnerin vom 21. Januar 2022 wird aufgehoben. Die Beschwerdeführerin hat Anspruch auf eine Integritätsentschädigung von 20 %.

2.    Die Beschwerdegegnerin hat der Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung von CHF 1'600.00 (inkl. Auslagen und MwSt) zu bezahlen.

3.    Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.

Rechtsmittel

Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit der Mitteilung beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten eingereicht werden (Adresse: Bundesgericht, Schweizerhofquai 6, 6004 Luzern). Die Frist beginnt am Tag nach dem Empfang des Urteils zu laufen und wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar (vgl. Art. 39 ff., 82 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes, BGG). Bei Vor- und Zwischenentscheiden (dazu gehört auch die Rückweisung zu weiteren Abklärungen) sind die zusätzlichen Voraussetzungen nach Art. 92 93 BGG zu beachten.

 

Versicherungsgericht des Kantons Solothurn

Der Vizepräsident                     Der Gerichtsschreiber

Flückiger                                   Lazar



 
Quelle: https://gerichtsentscheide.so.ch/
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