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Urteil Verwaltungsgericht (SO - VSBES.2022.33)

Kopfdaten
Kanton:SO
Fallnummer:VSBES.2022.33
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Versicherungsgericht
Verwaltungsgericht Entscheid VSBES.2022.33 vom 22.12.2023 (SO)
Datum:22.12.2023
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:-
Zusammenfassung:Das Versicherungsgericht hat in einem Fall bezüglich Invalidenrente und beruflicher Massnahmen entschieden. Die Beschwerdeführerin, eine Frau namens A., hatte sich 2018 bei der IV-Stelle angemeldet, da sie unter verschiedenen gesundheitlichen Problemen litt. Nach verschiedenen Abklärungen und Gutachten lehnte die IV-Stelle im Januar 2022 den Anspruch auf berufliche Massnahmen und Invalidenrente ab. Die Beschwerdeführerin erhob daraufhin Beschwerde beim Versicherungsgericht. Es wurde eine umfangreiche medizinische Beurteilung des Falls vorgenommen, bei der unterschiedliche Gutachten und Stellungnahmen berücksichtigt wurden. Letztendlich stützte sich das Versicherungsgericht hauptsächlich auf das psychiatrische Gutachten von Dr. med. D.___, welches zu dem Schluss kam, dass die Beschwerdeführerin keine invalidisierenden psychischen Diagnosen hatte und somit zumutbar arbeitsfähig war. Die Beschwerdegegnerin, die IV-Stelle Solothurn, wurde in ihrem Entscheid bestätigt.
Schlagwörter: ähig; Arbeit; Explorandin; IV-Nr; Gutachten; Persönlichkeit; Patientin; Diagnose; Störung; Beurteilung; Gericht; Diagnosen; Arbeitsfähigkeit; Stellung; Gutachter; Verfügung; Leistung; Angst; Kriterien; Recht; ürde
Rechtsnorm: Art. 192 ZPO ;
Referenz BGE:117 V 194; 121 V 45; 125 V 351; 127 V 294; 132 V 93; 134 V 231; 135 V 465; 137 V 210; 141 V 281; 143 V 318; 144 V 210;
Kommentar:
-
Entscheid
 
Geschäftsnummer: VSBES.2022.33
Instanz: Versicherungsgericht
Entscheiddatum: 22.12.2023 
FindInfo-Nummer: O_VS.2024.9
Titel: Invalidenrente und berufliche Massnahmen

Resümee:

 

 

 

 

 

 

 


Urteil vom 22. Dezember 2023

Es wirken mit:

Präsidentin Weber-Probst

Oberrichter Flückiger

Oberrichterin Kofmel

Gerichtsschreiber Lazar

In Sachen

A.___ vertreten durch Rechtsanwalt Claude Wyssmann

Beschwerdeführerin

 

gegen

IV-Stelle Solothurn, Allmendweg 6, 4528 Zuchwil,

Beschwerdegegnerin

 

betreffend     Invalidenrente und berufliche Massnahmen (Verfügung vom 7. Januar 2022)

 


 

zieht das Versicherungsgericht in Erwägung:

I.       

 

1.

1.1     Die 1969 geborene A.___, [...] (nachfolgend: Beschwerdeführerin), meldete sich am 26. Juni 2018 bei der IV-Stelle des Kantons Solothurn (nachfolgend: Beschwerdegegnerin) zum Bezug von IV-Leistungen (berufliche Integration/Rente) an (IV-Stelle Beleg Nr. [IV-Nr.] 2). Als gesundheitliche Beeinträchtigung wurde eine Erschöpfungsdepression mit starken Kopf-, Nacken- und Rückenschmerzen, hohem Bluthochdruck (schwankend), starkem Schwindel, Konzentrationsschwierigkeiten, Schlafstörungen und Herzrhythmusstörungen, bestehend seit 2016, genannt. Weiter wurde von der Beschwerdeführerin eine Arbeitsunfähigkeit von 100 % seit 4. April 2019 angegeben. Die Beschwerdeführerin arbeitete zuletzt im Rahmen eines temporären Arbeitsverhältnisses (100 %) bei der B.___ AG, [...].

 

1.2     Im Verlauf nahm die Beschwerdegegnerin verschiedene Abklärungen in erwerblicher und medizinischer Hinsicht vor. Sie führte am 18. Juli 2019 ein Intake-Gespräch mit der Beschwerdeführerin durch (IV-Nr. 7) und holte die Bewerbungsunterlagen der Beschwerdeführerin sowie medizinische Berichte ein.

 

1.3     Die Taggeldversicherung der Beschwerdeführerin veranlasste bei Dr. med. C.___, Facharzt FMH für Psychiatrie und Psychotherapie, ein psychiatrisches Gutachten (IV-Nr. 14). Der Gutachtensbericht vom 19. September 2019 (IV-Nr. 16, S. 3 ff.) wurde an die Beschwerdegegnerin weitergeleitet.

 

1.4     Die Beschwerdegegnerin stellte der Beschwerdeführerin mit Vorbescheid vom 30. Januar 2020 die Abweisung ihrer Leistungsbegehren auf berufliche Massnahmen und eine Invalidenrente in Aussicht (IV-Nr. 21). Dagegen liess die Beschwerdeführerin am 27. Februar 2020 Einwand erheben (IV-Nr. 25), woraufhin die Beschwerdegegnerin Rücksprache mit dem Regionalen Ärztlichen Dienst (RAD) hielt (IV-Nr. 27) und weitere medizinische Berichte einholte. Nach erneuter Rücksprache mit dem RAD (IV-Nr. 34) veranlasste die Beschwerdegegnerin bei Dr. med. D.___, Fachärztin FMH für Psychiatrie und Psychotherapie, ein psychiatrisches Gutachten (IV-Nr. 37), welches am 27. Dezember 2020 erstattet wurde (IV-Nr. 42). Am 8. Februar 2021 nahm RAD-Arzt Dr. med. E.___, Facharzt FMH für Psychiatrie und Psychotherapie, Stellung zum Gutachten (IV-Nr. 47). Am 18. Februar 2021 nahm die Beschwerdeführerin Stellung zum Gutachten (IV-Nr. 54).

 

1.5     Mit Vorbescheid vom 2. Juni 2021 wurde der Beschwerdeführerin die Abweisung ihrer Leistungsbegehren auf berufliche Massnahmen und eine Invalidenrente in Aussicht gestellt (IV-Nr. 55). Dagegen liess die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 25. Juni 2021 Einwand erheben und weitere Unterlagen einreichen (IV-Nr. 58). Mit Schreiben vom 13. Juli 2021 reichte der behandelnde Psychiater der Beschwerdeführerin, Dr. med. F.___, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH, seine Stellungnahme zum psychiatrischen Administrativgutachten ein (IV-Nrn. 60 und 63). Der RAD nahm zu den neu eingereichten Berichten am 30. August 2021 Stellung (IV-Nr. 62).

 

1.6     Mit Verfügung vom 7. Januar 2022 (IV-Nr. 65; Aktenseiten [A.S.] 1 ff.) lehnte die Beschwerdegegnerin sowohl den Anspruch auf berufliche Massnahmen als auch auf eine Invalidenrente ab und nahm gleichzeitig zu den Einwendungen der Beschwerdeführerin Stellung.

 

2.       Gegen diese Verfügung lässt die Beschwerdeführerin am 9. Februar 2022 fristgerecht beim Versicherungsgericht des Kantons Solothurn (nachfolgend: Versicherungsgericht) Beschwerde erheben. Ihr Vertreter stellt und begründet folgende Rechtsbegehren (A.S. 6 ff.):

 

1. Die Verfügung der IV-Stelle Solothurn vom 7. Januar 2022 sei aufzuheben.

2. a) Es seien der Beschwerdeführerin ab wann rechtens die gesetzlichen Leistungen (berufliche Massnahmen, IV-Rente) nach Massgabe einer Erwerbsunfähigkeit von mindestens 40% zzgl. einem Verzugszins zu 5% ab wann rechtens auszurichten.

b) Eventualiter: die Beschwerdesache sei zu medizinischen und beruflich-konkreten Abklärungen an die IV-Stelle Solothurn zurückzuweisen.

c) Subeventualiter: es sei ein medizinisches Gerichtsgutachten unter Einbezug mindestens der internistischen, rheumatologischen, orthopädischen, neurologischen, neurootologischen und psychiatrischen Fachrichtung einzuholen.

3. Es sei Frau Dr. med. D.___ aufzufordern, die Dokumentation des psychopathologischen Befundes nach AMDP herauszugeben.

4. Es sei eine öffentliche Verhandlung nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK durchzuführen.

5. Alles unter Kosten- und Entschädigungsfolge zu Lasten der Beschwerdegegnerin.

 

3.       Die Beschwerdegegnerin verzichtet in ihrer Beschwerdeantwort vom 4. März 2022 unter Verweis auf die Akten und die Begründung in der angefochtenen Verfügung auf weitere Ausführungen und beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen (A.S. 24).

 

4.       Mit Eingabe vom 21. März 2022 reicht der Vertreter der Beschwerdeführerin seine Kostennote zu den Akten (A.S. 26 ff.), welche der Beschwerdegegnerin am 22. März 2022 zur Kenntnisnahme zugestellt wird (A.S. 29).

 

5.

5.1     Mit prozessleitender Verfügung vom 3. Oktober 2022 (A.S. 33 ff.) stellt das Versicherungsgericht den Parteien in Aussicht, es werde bei PD Dr. med. G.___, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH, [...], ein psychiatrisches Gerichtsgutachten einholen. Am 3. November 2022 wird der entsprechende Auftrag erteilt (A.S. 40 ff.). PD Dr. med. G.___ erstattet sein Gutachten am 24. Februar 2023 (A.S. 45 – 87).

 

5.2     Mit Eingabe vom 21. März 2023 nimmt die Beschwerdeführerin Stellung zum Gerichtsgutachten (A.S. 94 f.). Die Beschwerdegegnerin verzichtet auf eine Stellungnahme (vgl. A.S. 96). Der Vertreter der Beschwerdeführerin reicht am 17. April 2023 eine aktualisierte Honorarnote ein (A.S. 98 ff.), welche der Beschwerdegegnerin mit Verfügung vom 18. April 2023 zur Kenntnisnahme zugestellt wird (A.S. 103).

 

6.       Mit Verfügung vom 10. Oktober 2023 wurden die Parteien zu einer öffentlichen Verhandlung vorgeladen (A.S. 104 f.), welche am 13. Dezember 2023 durchgeführt wurde. Es wurde die Beschwerdeführerin als Partei befragt.

 

Rechtsanwalt Wyssmann stellte folgende Rechtsbegehren:

 

1. Die Verfügung der IV-Stelle Solothurn vom 7. Januar 2022 sei aufzuheben.

2. Der Beschwerdeführerin sei spätestens ab April 2020 eine ganze IV-Rente nach Massgabe einer Erwerbsunfähigkeit von 70 % zu gewähren.

3. Die Beschwerdegegnerin habe die Kosten des Gerichtsgutachtens zu übernehmen.

4. Alles unter Kosten- und Entschädigungsfolge zu Lasten der Beschwerdegegnerin.

 

Rechtsanwältin H.___ stellte als Vertreterin der Beschwerdegegnerin den Antrag, die Verfügung vom 7. Januar 2022 sei aufzuheben.

 

Weiter reichte der Vertreter der Beschwerdeführerin seine Honorarnote sowie weitere Beweismittel zu den Akten (Urkunde Nr. 11 bis 17). Für den Inhalt der Parteibefragung und die Ausführungen der Parteien wird auf das Protokoll der Hauptverhandlung vom 13. Dezember 2023 (A.S. 106 ff.) verwiesen.

 

7.       Auf die Ausführungen der Parteien in ihren Rechtsschriften wird im Folgenden, soweit erforderlich, eingegangen. Im Übrigen wird auf die Akten verwiesen.

 

II.

 

1.

1.1     Die Sachurteilsvoraussetzungen (Einhaltung der Frist und Form, örtliche und sachliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts) sind erfüllt. Auf die Beschwerde ist einzutreten.

 

1.2     Bei der Beurteilung des Falles ist grundsätzlich auf den Sachverhalt abzustellen, der bis zum Erlass der angefochtenen Verfügung am 7. Januar 2022 eingetreten ist (BGE 121 V 362 E. 1b S. 366).

 

1.3     Am 1. Januar 2022 trat das revidierte Bundesgesetz über die Invalidenversicherung (IVG, SR 831.20) in Kraft. Vorbehältlich besonderer übergangsrechtlicher Regelungen sind in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen materiellen Rechts-sätze massgeblich, die bei der Erfüllung des rechtlich zu ordnenden zu Rechtsfolgen führenden Tatbestands Geltung haben (statt vieler: BGE 144 V 210 E. 4.3.1 S. 213 mit Hinweisen). Dementsprechend ist der Anspruch für die Zeit bis Ende 2021 nach den Bestimmungen des IVG und denjenigen der Verordnung über die Invalidenversicherung (IVV, SR 831.201) in der bis 31. Dezember 2021 gültigen Fassung zu beurteilen.

 

2.

2.1     Invalidität ist die voraussichtlich bleibende längere Zeit dauernde ganze teilweise Erwerbsunfähigkeit (Art. 8 Abs. 1 des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts [ATSG, SR 830.1]). Sie kann Folge von Geburtsgebrechen, Krankheit Unfall sein. Die Invalidität gilt als eingetreten, sobald sie die für die Begründung des Anspruchs auf die jeweilige Leistung erforderliche Art und Schwere erreicht hat (Art. 4 IVG).

 

2.2     Gemäss Art. 28 Abs. 1 IVG (in Kraft bis 31. Dezember 2021) haben jene Versicherten Anspruch auf eine Rente, die ihre Erwerbsfähigkeit die Fähigkeit, sich im Aufgabenbereich zu betätigen, nicht durch zumutbare Eingliederungsmassnahmen wieder herstellen, erhalten verbessern können (lit. a), und die zusätzlich während eines Jahres ohne wesentlichen Unterbruch durchschnittlich mindestens 40 % arbeitsunfähig (Art. 6 ATSG) gewesen sind und nach Ablauf dieses Jahres zu mindestens 40 % invalid (Art. 8 ATSG) sind (lit. b und c). Gemäss Art. 28 Abs. 2 IVG besteht der Anspruch auf eine ganze Rente, wenn die versicherte Person mindestens 70 %, derjenige auf eine Dreiviertelsrente, wenn sie mindestens 60 % invalid ist. Bei einem Invaliditätsgrad von mindestens 50 % besteht Anspruch auf eine halbe Rente und bei einem Invaliditätsgrad von mindestens 40 % ein solcher auf eine Viertelsrente.

 

3.      

3.1     Um den Invaliditätsgrad bemessen zu können, ist die Verwaltung (und im Beschwerdefall das Gericht) auf Unterlagen angewiesen, die Ärzte und gegebenenfalls auch andere Fachleute zur Verfügung gestellt haben. Aufgabe des Arztes der Ärztin ist es, den Gesundheitszustand zu beurteilen und dazu Stellung zu nehmen, in welchem Umfang und bezüglich welcher Tätigkeiten die Versicherten arbeitsunfähig sind. Im Weiteren sind ärztliche Auskünfte eine wichtige Grundlage für die Beurteilung der Frage, welche Arbeitsleistungen den Versicherten noch zugemutet werden können (BGE 132 V 93 E. 4 S. 99 f., 125 V 256 E. 4 S. 261).

 

3.2     Das Administrativverfahren vor der IV-Stelle wie auch der kantonale Sozialversicherungsprozess sind vom Untersuchungsgrundsatz beherrscht (Art. 43 Abs. 1 und Art. 61 lit. c ATSG). Danach haben IV-Stelle und Sozialversicherungsgericht den rechtserheblichen Sachverhalt von Amtes wegen festzustellen. Diese Untersuchungspflicht dauert so lange, bis über die für die Beurteilung des streitigen Anspruchs erforderlichen Tatsachen hinreichend Klarheit besteht. Der Untersuchungsgrundsatz weist enge Bezüge zum – auf Verwaltungs- und Gerichtsstufe ebenfalls in gleicher Weise geltenden – Prinzip der freien Beweiswürdigung (Art. 61 lit. c in fine ATSG) auf (einschliesslich die antizipierte Beweiswürdigung): Führt die pflichtgemässe, umfassende und sachbezogene Beweiswürdigung den Versicherungsträger das Gericht zur Überzeugung, der Sachverhalt sei hinreichend abgeklärt, darf von weiteren Untersuchungen (Beweismassnahmen) abgesehen werden. Ergibt die Beweiswürdigung jedoch, dass erhebliche Zweifel an Vollständigkeit und/oder Richtigkeit der bisher getroffenen Tatsachenfeststellungen bestehen, ist weiter zu ermitteln, soweit von zusätzlichen Abklärungsmassnahmen noch neue wesentliche Erkenntnisse zu erwarten sind (Urteil des Bundesgerichts 8C_308/2007 vom 9. April 2008 E. 2.2.1 mit vielen Hinweisen).

 

3.3     Der im Sozialversicherungsrecht massgebende Beweisgrad ist derjenige der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 117 V 194 E. 3b S. 194 f.). Für das gesamte Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsbeschwerdeverfahren gilt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (BGE 125 V 351 E. 3a S. 352). Der Sozialversicherungsrichter hat alle Beweismittel, unabhängig davon, von wem sie stammen, objektiv zu prüfen und danach zu entscheiden, ob die verfügbaren Unterlagen eine zuverlässige Beurteilung des streitigen Rechtsanspruches gestatten. Hinsichtlich des Beweiswertes eines Arztberichtes ist entscheidend, ob der Bericht für die streitigen Belange umfassend ist, auf allseitigen Untersuchungen beruht, auch die geklagten Beschwerden berücksichtigt, in Kenntnis der Vorakten – d.h. der Anamnese – abgegeben worden ist, in der Beurteilung der medizinischen Situation einleuchtet und in seinen Schlussfolgerungen begründet ist (BGE 122 V 157 E. 1c S. 160). Ausschlaggebend für den Beweiswert ist grundsätzlich somit weder die Herkunft eines Beweismittels noch die Bezeichnung der eingereichten in Auftrag gegebenen Stellungnahme als Bericht Gutachten.

 

3.4     Bei Gerichtsgutachten weicht das Gericht nicht ohne zwingende Gründe von den Einschätzungen des medizinischen Experten ab (BGE 135 V 465 E. 4.4 S. 469 f.). Ein Abweichen ist dann angezeigt, wenn die Gerichtsexpertise widersprüchlich ist wenn ein vom Gericht eingeholtes Obergutachten in überzeugender Weise zu andern Schlussfolgerungen gelangt. Abweichende Beurteilung kann ferner gerechtfertigt sein, wenn gegensätzliche Meinungsäusserungen anderer Fachexperten dem Gericht als triftig genug erscheinen, die Schlüssigkeit des Gerichtsgutachtens in Frage zu stellen, sei es, dass er die Überprüfung durch einen Oberexperten für angezeigt hält, sei es, dass er ohne Oberexpertise vom Ergebnis des Gerichtsgutachtens abweichende Schlussfolgerungen zieht (BGE 125 V 351 E. 3b/aa S. 352 f.). Vom Versicherungsträger im Verfahren nach Art. 44 ATSG eingeholten, den Anforderungen der Rechtsprechung entsprechenden Gutachten externer Spezialärzte ist voller Beweiswert zuzuerkennen, solange nicht konkrete Indizien gegen die Zuverlässigkeit der Expertise sprechen. Auf das Ergebnis versicherungsinterner ärztlicher Abklärungen kann dagegen nicht abgestellt werden, wenn auch nur geringe Zweifel an ihrer Zuverlässigkeit und Schlüssigkeit bestehen (Urteil des Bundesgerichts 8C_336/2015 vom 25. August 2015 E. 4.3 mit Hinweisen).

 

4.

4.1     Die Beschwerdegegnerin erklärt zur Begründung ihres Entscheids, gemäss den medizinischen Abklärungen lägen keine medizinischen Diagnosen vor, welch eine lang dauernde Arbeitsunfähigkeit begründen würden. Spätestens ab 1. November 2019 sei wiederum von einer uneingeschränkten Arbeitsfähigkeit auszugehen. Eine anhaltende gesundheitliche Verschlechterung sei aus medizinischer Sicht nicht belegt. Die IV-Stelle stütze sich bei der Abklärung der medizinischen Situation auf alle im Dossier enthaltenen medizinischen Unterlagen, insbesondere aber auf das Gutachten von Dr. med. D.___ vom 27. Dezember 2020. Die Gutachterin habe die kompletten IV-Akten zur Verfügung gehabt. Es sei deshalb davon auszugehen, dass deren Inhalt in die Ergebnisse der Begutachtung miteingeflossen seien, auch wenn die Berichte nicht explizit erwähnt worden seien. Die nachgereichte Stellungnahme via WhatsApp habe die Gutachterin ausführlich in den Aktenauszug des Gutachtens übernommen. Daraus sei zu schliessen, dass diese Ausführungen in die Beurteilung des Gesundheitszustandes miteingeflossen seien. Die Schlussfolgerungen der Gutachterin seien nachvollziehbar und schlüssig. Daran ändere auch der nachträglich per WhatsApp eingereichte Bericht nichts. Zudem begründe die Gutachterin die gestellten Diagnosen und die Abweichungen zu den Diagnosen der Behandler nachvollziehbar und schlüssig. Trotz des Berichts per WhatsApp sei nicht ersichtlich, dass die Beschwerdeführerin im Rahmen der Begutachtung nicht genügend Raum gehabt hätte, die entsprechenden Äusserungen vorzunehmen. Somit entspreche dieses Gutachten den von der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien für eine beweiskräftige Expertise (vgl. BGE 134 V 231 E. 5.1 mit Hinweis). Das Gutachten sei in Kenntnis der Vorakten ergangen, beruhe auf einlässlichen Untersuchungen und berücksichtige die geklagten Beschwerden. Die Beurteilung der medizinischen Situation und die Schlussfolgerungen seien begründet worden und leuchteten ein. Daraus resultiere ein voller Beweiswert dieses Gutachtens. Der Einwand vom 25. Juni 2021 wie auch die Stellungnahme der I.___ vom 13. Juli 2021 seien dem RAD vorgelegt worden. Dieser habe am 30. August 2021 ausführlich dazu Stellung genommen. Diese Stellungnahme bilde integrierenden Bestandteil der vorliegenden Verfügung. Zusammenfassend könne festgehalten werden, dass der behandelnde Psychiater Dr. med. F.___ die von der Beschwerdeführerin geschilderten Beschwerden anders gewichte als die Gutachterin. Der RAD gehe dabei von einer anderen Einschätzung desselben Sachverhalts aus, entstanden durch die unterschiedliche Bewertung der subjektiven Angaben. Die Rechtsanwältin der Beschwerdeführerin beantrage, dass eine polydisziplinäre Begutachtung vorzunehmen sei. Dies wegen des Schwindels, der Erschöpfung und der vorhandenen Körpermissempfindungen. Dazu gelte es festzuhalten, dass es sich dabei mit überwiegender Wahrscheinlichkeit um Symptome psychosomatischer Natur handle. Dies werde auch vom behandelnden Psychiater dahingehend interpretiert. Somit wären weiterführende Begutachtungen nicht zielführend. Die vom Hausarzt Dr. med. J.___ aufgeführten Nebendiagnosen seien nicht geeignet, eine längerdauernde Invalidität zu begründen. Bezüglich der Herzrhythmusstörungen sei denn auch festzuhalten, dass diese vom Kardiologen Dr. med. K.___ am 10. Mai 2016 als ohne pathologisches Korrelat bezeichnet worden seien.

 

4.2     Die Beschwerdeführerin liess dagegen im Wesentlichen einwenden, dadurch, dass die IV-Stelle nur ein psychiatrisches Gutachten in Direktvergabe eingeholt habe, habe sie den medizinischen Sachverhalt nicht umfassend abgeklärt, wodurch auch die in BGE 137 V 210 verbürgten Verfahrensgarantien unterlaufen worden seien. Die Beschwerdeführerin habe wiederholt darauf hinweisen lassen, dass sie unter plötzlichem Bluthochdruck, Schwindel und unter starken Kopf-, Nacken-, Schulter- und Rückenschmerzen leide. Die Beschwerdegegnerin habe ausserdem die Forderung der Versicherten vom 28. Oktober 2020 nach Einholung eines solchen polydisziplinären Gutachtens ignoriert und nicht wie mit BGE 137 V 210 verlangt, eine beschwerdefähige Verfügung erlassen. Weiter könne dem psychiatrischen Gutachten von Dr. med. C.___, welches von der L.___ eingeholt worden sei, im vorliegenden Kontext kein Beweiswert beigemessen werden. Die Beschwerdegegnerin schliesse mit dem Gutachten von Dr. med. D.___ auf Beweislosigkeit. Diese habe angeblich die Beschwerden nicht objektivieren können. In der Tat müssten bei der Begutachtung von psychischen Beschwerden bei der Exploration geäusserte subjektive Beschwerden durch eine kritische Zusammenschau von Exploration, Untersuchungsbefunden, Verhaltensbeobachtung und Aktenlage validiert werden. Beweislosigkeit sei erst anzunehmen, wenn von weiteren Abklärungsmassnahmen kein relevanter Erkenntnisgewinn mehr erwartet werden könne.

 

5.       Streitig und zu prüfen ist somit, ob die Beschwerdegegnerin den Anspruch der Beschwerdeführerin auf eine Invalidenrente und weitere berufliche Eingliederungsmassnahmen zu Recht verneint hat. Hierzu bedarf es zunächst der Klärung des medizinischen Sachverhalts. Dabei sind im Wesentlichen folgende Unterlagen relevant:

 

5.1     Dr. med. K.___, Facharzt Kardiologie und Innere Medizin FMH, hielt in seinem Bericht vom 10. Mai 2016 (IV-Nr. 12, S. 7 f.) folgende Diagnosen fest:

 

-   Funktionelle Herzkreislaufbeschwerden neurovegetativ bedingt bei Stresssymptomatik

-   Banale ventrikuläre und supraventrikuläre Extrasystolie

-   Strukturell normales Herz mit

-       normalem klinischen Herzkreislaufstatus

-       normaler Echokardiographie und normalem Ruhe-EKG

-       keine Rhythmusstörungen im Langzeit-EKG über 3 Tage (nur ES)

-   Hypercholesterinämie

 

Die Beschwerdeführerin sei von der Herzkreislaufseite her bisher beschwerdefrei gewesen, allerdings mit etwas belastender FA (Bruder mit St.n. ACB im Alter von 58 Jahren). Sie fühle sich schon eine ganze Woche vermehrt stressbelastet bei ihrer Arbeit 80 % in [...] neben dem Haushalt und den üblichen Verrichtungen. Schon mehrere Jahre hätte sie gelegentlich einzelne Pulsaussetzer verspürt, diese hätten in den letzten Wochen nun massiv zugenommen, so dass sich die Beschwerdeführerin am Samstag der letzten Woche im Notfall des Spitals M.___ und am Sonntag dann nochmals im Spital N.___ vorgestellt habe. Es sei keine Pathologie erhoben worden, entsprechend auch keine Medikation. Zwischenzeitlich habe sich die Symptomatologie etwas entspannt, nach wie vor verspüre die Patientin aber eine allgemeine Schwäche und einzelne überspringende Herzschläge. Die aktuelle ergänzende kardiologische Untersuchung beinhalte eine Echokardiographie und ein Langzeit-EKG über drei Tage. Diese dokumentiere bei der Beschwerdeführerin normale Herzkreislauf-Untersuchungsbefunde mit Ausnahme einer banalen ventrikulären und supraventrikulären Extrasystolie, die von der Patientin als unangenehm wahrgenommen werde. Im Wesentlichen seien aber die Beschwerden der Patientin neurovegetativ funktionell bedingt und entsprächen einer gewissen Belastungssymptomatik. Therapeutisch sei die Patientin für drei Tage aus dem Arbeitsprozess herausgenommen und in dieser Zeit krankgeschrieben worden. Anschliessend sei eine einfache Medikation mit einem Phytotherapeutikum empfohlen worden. Von einer anxiolytischen antidepressiven Therapie sei im Moment eher noch abzusehen.

 

5.2     Dem Überweisungsschreiben des Hausarztes Dr. med. J.___, Facharzt für Allgemeine Innere Medizin, an die Privatklinik O.___ vom 26. April 2019 (IV-Nr. 12, S. 6) lässt sich die Diagnose eines Verdachts auf Burn-out mit Unwohlsein und Kraftlosigkeit seit einigen Wochen entnehmen.

 

5.3     Dem Austrittsbericht der Privatklinik O.___ vom 23. Juli 2019 (IV-Nr. 10) lässt sich entnehmen, die Beschwerdeführerin sei mit einer mittelgradig ausgeprägten depressiven Episode mit somatischem Syndrom und einer Erschöpfung (im Sinne einer sogenannten "larvierten Depression") vor dem Hintergrund einer länger andauernden mehrfachen psychosozialen Belastungssituation im beruflichen sowie im familiären Kontext zur stationären Aufnahme gekommen. Beim stationären Eintritt habe die Patientin in der Hamilton-Depressions-Skala-17 einen Punktwert von 18 verzeichnet. Im AVEM-Bogen (Arbeitsbezogene Verhaltens- und Erlebensmuster) habe bei der Patientin folgendes persönliches Profil imponiert: Eine erhöhte Verausgabungsbereitschaft und Perfektionsstreben; als Ressourcen / Stärken seien bei der Patientin eine niedrige Resignationstendenz bei Misserfolg und eine offensive Problembewältigung vorhanden. Aufgrund des vorliegenden depressiven Symptomenkomplexes sei mit der Patientin über den Sinn und die Wirkungsweise einer antidepressiven Medikation für eine Nachhaltigkeit ihres neurobiologischen Regenerationsprozesses gesprochen worden. In ihrem Einverständnis sei eine medikamentöse Einstellung auf Escitalopram erfolgt. Die Patientin sei hier zunächst sehr müde gewesen, mit sehr wenig Energie und wenig Antrieb. Sie habe auch ihre somatische Problematik mit Schwindel und Kopfschmerzen verzeichnet. Bezüglich der Kopfschmerzsymptomatik sei die Patientin hier neuraltherapeutisch mitbehandelt worden mit erstem Benefit. Im Verlaufe des Aufenthaltes sei es der Patientin gelungen, wieder einen besseren Zugang zu sich selber zu finden. Die Patientin sei in einem tendenziell gebesserten und zuversichtlicheren Zustand nach Hause entlassen worden. Die Patientin selbst habe angegeben, dass sich ihr Schlaf gebessert habe. Sie spüre sich selbst besser, sie fange an, gelassener zu werden und möchte lernen, sich zukünftig besser abzugrenzen. Insgesamt weise die Patientin noch eine reduzierte Konzentrations- und Belastbarkeitsspanne mit schneller Ermüdbarkeit und Erschöpfbarkeit auf. Sie werde im ambulanten Rahmen noch einem längeren bzw. nachhaltigen Regenerationszeitraum bedürfen. Es werde die Fortführung der Psychopharmakotherapie über mindestens sechs Monate empfohlen.

 

5.4     Am 19. September 2019 erstattete Dr. med. C.___, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH, im Auftrag der Taggeldversicherung der Beschwerdeführerin ein psychiatrisches Gutachten (IV-Nr. 16, S. 3 ff.). Dr. med. C.___ stellte darin die Diagnose eines depressiven Syndroms der vergangenen Monate, differenzialdiagnostisch könnte auch eine Anpassungsstörung mit depressiver Verstimmung (ICD-10 F43.2) vorgelegen haben. Rein medizinisch-theoretisch werde durch das zurückliegende depressive Syndrom, das sich aktuell in weitgehender Besserung, Teilremission befinde, die Arbeitsfähigkeit lediglich für ein halbes Jahr ab Anfang April 2019 medizinisch begründet. Die Versicherte habe somit zum 1. Oktober 2019 wieder Arbeit aufnehmen können. Hierbei wäre eine Zeit zum Training von vier Wochen zu 50 % nachvollziehbar. Ab 1. November 2019 wäre dann eine normale Arbeitstätigkeit zumutbar. Hätte die Versicherte nämlich noch eine gute und supportive Arbeitsstelle, dann würde sie auch wieder Arbeit ausüben. Der Umstand, sich neu orientieren zu müssen, sei keine Symptomatik einer krankheitswertigen psychischen Störung, sondern ein krankheitsfremder Faktor.

 

5.5     Dr. med. F.___, pract. med. und lic. phil. P.___, Fachpsychologin für Psychotherapie FSP, stellten in ihrem Bericht vom 20. Dezember 2019 (IV-Nr. 25, S. 15 f.) die Diagnosen einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig mittelgradig (ICD-10 F33.1), eines Burn-out-Syndroms und verausgabende Persönlichkeitsakzentuierung (ICD-10 Z73.0). Sie führten aus, das Gutachten von Dr. med. C.___ habe kurz nach dem Urlaub der Patientin stattgefunden, zu dem Zeitpunkt, wo es ihr für eine kurze Zeit besser gegangen sei, bzw. die Symptomatik sich teilremittiert gehabt habe. Kurz nach dem Eintreffen des Gutachtens sei per Email an die Taggeldversicherung L.___ darauf hingewiesen worden, dass diese Teilremission zu verfrüht als Arbeitsfähigkeit interpretiert worden sei und dass ein Krankheitsrückfall wahrscheinlich wäre, was sich jetzt bestätige. Auch die Privatklinik O.___ weise in ihrem Austrittsbericht vom 23. Juli 2019 auf eine ausserordentlich hohe Wahrscheinlichkeit eines frühzeitigen schweren Krankheitsrezidiv bei der Patientin bei zu hoher und zu rascher Belastung hin. Der Zustand der Patientin habe sich erneut verschlechtert, die depressive Symptomatik wieder verstärkt, so dass aktuell eine rezidivierende depressive Störung diagnostiziert werde. Aufgrund der aktuellen Zustandsverschlechterung reiche das ambulante psychiatrische Setting nicht mehr aus. Die Patientin werde in ein teilstationäres Setting in die Q.___ überwiesen.

 

5.6     Gemäss dem Bericht von R.___, Pflegefachfrau Psychiatrie HF, S.___, vom 12. Februar 2020 (IV-Nr. 25, S. 24) werde die Beschwerdeführerin seit zwei Monaten von der Pflegefachfrau ambulant bei ihr zu Hause und zu gemeinsamen Spaziergängen zwecks Exposition besucht. Auffallend sei ihre ausgeprägte psychische und physische Erschöpfung, sowie die schweren depressiven Symptome. Die depressive Symptomatik zeige sich durch Antriebshemmung, Anhedonie, innere Leere, starke psychische Schwankungen, Körpermissempfindungen und Entfremdungsgefühlen sich selber gegenüber. Die Schwingungsfähigkeit sei stark reduziert, der Affekt flach, die Beschwerdeführerin wirke fassadär, präsentiere sich nach Aussen auf den ersten Blick wesentlich vitaler als sie es in Wirklichkeit sei, sei wenig spürbar, affektiver Rapport sei herstellbar, sie könne lachen, zeige ein wenig Humor und distanziere sich glaubhaft von Suizidalität. Zeitweise Phasen von Hoffnungslosigkeit. Stimmung zum depressiven Pol verschoben. Die Beschwerdeführerin werde als sehr angepasste Persönlichkeit eingeschätzt, die sich über Jahre verausgabt habe für die Wünsche der pflegebedürftigen Eltern. Sie zeige sich intelligent und willig, an sich zu arbeiten, wirke sehr reflektiert, setze ihr neu gewonnenes Wissen im Umgang mit der Krankheit um. Es bestehe nach wie vor die Gefahr, dass sie zu viel mache, ihre Grenzen überschreite. Zu Hause könne sie zum Zeitpunkt nur leben, da ihre Familie Einkäufe tätige und im Haushalt mithelfe, zudem sei sie fähig, ihre Tagesstruktur umzusetzen. Ein erneuter Klinikaufenthalt mit Optimierung der Medikation wäre eine sinnvolle Massnahme. Auch in Hinsicht ihrer psychosozialen Belastung (psychisch kranke Tochter im selben Haushalt, Konflikt mit Eltern und Geschwistern) würde dies im Sinne von mehr Entspannungsmöglichkeiten Sinn machen. In den zwei Monaten habe sich noch keine Besserung gezeigt. Es müsse befürchtet werden, dass ihre Rekonvaleszenz noch viel Zeit in Anspruch nehmen werde.

 

5.7     RAD-Arzt Dr. med. E.___, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH, hielt in seiner Stellungnahme vom 28. Mai 2020 (IV-Nr. 27) fest, zusammenfassend lasse sich festhalten, dass eine vollständige Arbeitsunfähigkeit nachvollziehbar ausgewiesen sei für den Zeitraum vom 4. April 2019 bis spätestens 17. Juli 2019. Vom 18. Juli 2019 (FE-Gespräch) bis mindestens 5. September 2019 (Untersuchung durch Dr. med. C.___) sei die depressive Symptomatik teilremittiert bis knapp remittiert gewesen. Von daher lasse sich keine wesentliche Einschränkung der Arbeitsfähigkeit für diesen Zeitraum ableiten. Die von Dr. med. C.___ noch attestierte Arbeitsunfähigkeit von 50 % bis Ende Oktober 2019 könne von daher nur als kulantes Entgegenkommen im Rahmen der Leistungspflicht der Taggeldversicherung gesehen werden. Diese Einschränkung lasse sich rein vom damaligen Gesundheitszustand der Versicherten her kaum rechtfertigen. Für den Zeitraum ab Oktober 2019 lägen Berichte der Behandler vor, die kritisch zu würdigen seien. Diesbezüglich empfehle der RAD, den weiteren Verlauf abzuklären.

 

5.8     In seinem Bericht an die Beschwerdegegnerin vom 8. Juni 2020 (IV-Nr. 30, S. 2 f.) hielt Dr. med. J.___ fest, es bestehe ein protrahierter Verlauf, weiterhin stark symptomatisch und eine 100%ige Arbeitsunfähigkeit. Der Allgemeinzustand sei reduziert, die Beschwerdeführerin wirke müde, etwas aufgedunsen, emotional vermindert schwingbar. Es bestehe eine depressive Stimmungslage.

 

5.9     Dem Austrittsbericht der Klinik T.___, [...], vom 10. Juni 2020 (IV-Nr. 32) lässt sich entnehmen, dass die Beschwerdeführerin vom 12. März bis 23. April 2020 hospitalisiert war. Zur bestehenden rezidivierenden depressiven Störung (gegenwärtig mittelgradige Episode) wurde eine Panikstörung (episodisch paroxysmale Angst, ICD-10 F. 41.0) diagnostiziert. Die Beschwerdeführerin berichte, seit November 2019 unter Blutdruckentgleisungen zu leiden, weshalb sie auch schon mehrfach (seit Dezember 2019 ca. viermal) auf dem Notfall des Spitals N.___ vorstellig gewesen sei. Von Sonntag (8. März 2020) auf Montag (9. März 2020) habe sie nun einen Blutdruck von 210/118 gehabt und sei infolge dessen im N.___ hospitalisiert gewesen. Die Untersuchungen (MRI-Schädel, Labor, EKG) seien bisher alle unauffällig ausgefallen. Vom Behandlungsteam sei zu erfahren, dass der zu Hause gemessene erhöhte Blutdruck bis jetzt im Spital nicht verifiziert habe werden können. Die Beschwerdeführerin erzähle weiter, die Attacken, welche zwischen 15 und 40 Minuten andauern würden, mittlerweile täglich zu haben. Es käme dann zu Herzklopfen, Zittern, Beklemmungsgefühl, Schwindel und Hitzewallungen sowie Kälteschauer, welche besonders dann auftreten würden, wenn sie unter psychischem Druck stehe. Sie habe vor allem Angst, nie mehr gesund zu werden. Zudem leide sie seit vier Monaten unter wiederkehrenden Angstzuständen. Sie fühle sich müde, kraftlos und ihr Körper mache es ihr schwer. Sie wolle vom Kopf her mehr unternehmen, doch ihr Körper spiele nicht immer mit. Ziele und Wünsche für die Zukunft seien vorhanden (berufliche Wiedereingliederung). Die Beschwerdeführerin habe am 23. April 2020 in deutlich gebessertem Zustand sowie ohne Hinweise auf Selbst- Fremdgefährdung in die vorbestehenden Verhältnisse entlassen werden können.

 

5.10   Gemäss Bericht von Dr. med. F.___, und lic. phil. P.___ vom 27. Juli 2020 (IV-Nr. 31) persistierten Panikattacken trotz verschiedener Therapiemassnahmen (wöchentlich ambulant, stationär, medikamentös, S.___). Diese Angstzustände hätten zu einer enormen Erschöpfung geführt, so dass die Patientin kaum die Kraft habe, ihren normalen Alltag zu bewältigen wie z.B. Einkaufen zu gehen, den Haushalt zu machen in ihrer Freizeit ihren gewohnten Aktivitäten nachzugehen. Die Patientin habe eine invalidisierende Angststörung, mittlerweile chronifiziert. Ein Arbeitstraining sei aufgrund der Schwere der Symptomatik aktuell nicht zumutbar. Die Patientin sei auf dem ersten Arbeitsmarkt zu 100 % arbeitsunfähig.

 

5.11   In seiner Stellungnahme vom 14. Oktober 2020 (IV-Nr. 34) empfahl RAD-Arzt Dr. med. E.___ eine nochmalige psychiatrische Begutachtung der Beschwerdeführerin.

 

5.12   Im psychiatrischen Gutachten von Dr. med. D.___, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie FMH, vom 27. Dezember 2020 (IV-Nr. 42) wurden folgende Diagnosen gestellt:

 

-   V.a. depressive Störung, Ausprägungsgrad ggw. leicht bis mittelgradig (ICD-10 F32.0/1)

-   DD Anpassungsstörung mit ängstlich-depressiver Symptomatik (ICD-10 F 43.2)

-   V.a. Persönlichkeitsakzentuierung (ICD-10 Z73)

-   V.a. Panikstörung (ICD-10 F41.0)

 

Im Vordergrund der Beschwerdeschilderung stehe das subjektive Erklärungsmodell der Versicherten mit entsprechender Betonung ihres Leidens und dem Appell an die Gutachterin, sie ernst zu nehmen. Es sei kein klares, nachvollziehbares Bild von den tatsächlichen Beschwerden entstanden. Die Kernsymptome der depressiven Störung seien nicht klar nachvollziehbar und somit sei es nicht möglich, von den objektiven Beschwerden auf die funktionellen Einschränkungen in Bezug auf die Leistungsfähigkeit zu schliessen. Insofern hätten die von den Behandlern gestellten Diagnosen nur als Verdachtsdiagnosen aufgeführt werden können. Die gestellten Diagnosen einer mittelgradig depressiven Episode, einer Panikstörung und einer Persönlichkeitsakzentuierung seien in der Regel ohne invalidisierende Auswirkungen auf die berufliche Leistungsfähigkeit. Die angegebenen Beschwerden seien diffus, keiner bestimmten psychiatrischen Kategorie eindeutig zuzuordnen und unklar in Bezug auf die Auswirkungen auf die berufliche Leistungsfähigkeit. Die Mitwirkung in Bezug auf zumindest einen Arbeitsversuch sei mit Hinweis auf die dauerhafte Erschöpfung bisher ausgeblieben. Die Krankheitsüberzeugung der Versicherten könne in die Beurteilung der medizinisch-theoretischen Leistungsfähigkeit nicht einbezogen werden. Daher wäre – unter Ausschluss organischer Beschwerdeursachen – zumindest eine einfach strukturierte Tätigkeit in einem 80%-Pensum ab Januar 2021 denkbar. Angesichts des aktuellen Verhaltens und der durch die bisherige Therapie induzierte achtsame Schonhaltung der Versicherten sei nicht davon auszugehen, dass sie sich aktuell mit den Herausforderungen einer Integrationsmassnahme ernsthaft befassen könne. Die Abkehr von der Schonhaltung würde eine Rückkehr in die aktive Rolle, den von ihr bezeichneten «Tun-Modus» bedeuten, der sie ihrer Ansicht nach in die anfängliche psychophysische Erschöpfungs- und psychosoziale Frustrationskrise geführt habe. Damit sei gemäss Standartindikatoren eine krankheitsbedingte Therapieunfähigkeit klar zu verneinen. Für die Versicherte werde es schwierig sein, ihre Schonhaltung aufzugeben, die Belastungsgrenzen auszuweiten und sich wieder an eine externe Tagesstruktur zu gewöhnen. Aus rein versicherungspsychiatrischer Perspektive bestehe sehr wahrscheinlich eine Arbeitsfähigkeit, doch könne diese unter den gegebenen Umständen nicht plausibel beurteilt werden. Angesichts der Tatsache, dass die Diagnosen der Vorbehandler lediglich als Verdacht hätten bestätigt werden können, liege aus rein versicherungspsychiatrischer Sicht keine Diagnose vor, die einen relevanten und invalidisierenden Einfluss auf die Leistungsfähigkeit habe. Aufgrund der erschwerten Untersuchungsbedingungen könne eine psychische Erkrankung aber nicht ganz ausgeschlossen werden. Es wäre also sinnvoll, einen Arbeitsversuch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in einer Bürotätigkeit ohne regelmässigen Kundenkontakt idealerweise im Home Office durchführen zu lassen. Ein begleitendes Jobcoaching wäre hilfreich, um evtl. Krisen umgehend begleiten und lösungsorientiert zu unterstützen.

 

5.13   RAD-Arzt Dr. med. E.___ hielt in seiner Stellungnahme vom 8. Februar 2021 (IV-Nr. 47) fest, auf das Gutachten von Dr. med. D.___ könne abgestellt werden. Laut Gutachten bestünden mit überwiegender Wahrscheinlichkeit keine psychiatrischen Diagnosen mit Relevanz bezüglich Arbeitsfähigkeit. Zudem bleibe festzuhalten, dass im Vergleich mit den Angaben im Gutachten von Dr. med. C.___ vom 19. September 2019 keine gesundheitliche Verschlechterung erkennbar sei. Somit könne die damals attestierte Arbeitsfähigkeit weiterhin als gegeben betrachtet werden, auch wenn Dr. med. D.___ sich im aktuellen Gutachten nicht explizit dazu äussere. Sie halte zwar fest, dass aus versicherungspsychiatrischer Perspektive sehr wahrscheinlich eine Arbeitsfähigkeit bestehe, doch werde es für die Versicherte schwierig sein, ihre Schonhaltung aufzugeben. Eine plausible Beurteilung sei unter den gegebenen Umständen nicht möglich. Entscheidend sei jedoch aus Sicht des RAD, dass keine Verschlechterung ausgewiesen sei. Somit sei der bereits früher in den Akten dokumentierte Verlauf der Arbeitsfähigkeit weiterhin valide.

 

5.14   Gemäss dem Bericht des Spitals N.___ vom 14. Mai 2021 (IV-Nr. 58, S. 91 ff.) erfolgte eine notfallmässige Zuweisung bei dringendem Patientenwunsch einer stationären Abklärung. Bei Eintritt habe sich eine Patientin in gutem Allgemeinzustand, normoton, normokard, afebril mit suffizienter Sättigung unter Raumluft präsentiert. Im Status seien keine nennenswerten Befunde erhoben worden. Laborchemisch allseits normwertige Parameter. Zur Suche einer sekundären Hypertonieursache sei die Bestimmung der freien Metanephrine inklusive 24-Stunden-Sammelurin, Aldosteron und Renin erfolgt, welche bis auf das noch ausstehende freie Metanephrin unauffällig gewesen sei. Ein Urinstatus inklusive Begutachtung des Urinsediments durch die Kollegen der Nephrologie sei ohne Hinweise auf eine hypertensive Nephropathie aktives Sediment gewesen. Während des stationären Aufenthalts sei die Patientin stets normoton gewesen, auch wenn eine Episode mit solcher Symptomatik aufgetreten sei (einmalige Ausnahme bis Blutdruckwerte von 156/103 mmHg). Eine sekundäre Hypertonie werde deshalb als sehr unwahrscheinlich angesehen. Es sei ein psychiatrisches Konsilium erfolgt. Die Beschwerden hätten gemäss den Kollegen gut bei vor kurzem erfolgtem Therapiewechsel von Venlaflaxin auf Sertralin erklärt werden können, sei es durch eine unerwünschte Arzneimittelwirkung von Sertralin eine Entzugssymptomatik von Venlaflaxin. Eine stationäre Therapieeinstellung sei der Patientin angeboten worden, sie möchte jedoch lieber mit ihrem zuständigen Psychiater Dr. med. F.___ alles besprechen. Die Patientin sei in gutem Allgemeinzustand am 12. Mai 2021 nach Hause entlassen worden.

 

5.15   Dr. med. F.___ nahm mit Schreiben vom 13. Juli 2021 (IV-Nr. 60, S. 3 ff.) Stellung zum Vorbescheid der Beschwerdegegnerin vom 2. Juni 2021. Der behandelnde Psychiater hielt darin fest, im Vorbescheid sei nicht ersichtlich, auf welchen Faktoren der Entscheid sich begründe und warum die Patientin ab dem 1. November 2019 wieder voll arbeitsfähig sein solle. Es werde von subjektiven Wertungen ausgegangen, obwohl die behandelnden Psychiater detailliert im Bericht objektiv über die Einschränkungen der Patientin berichtet hätten, welche als invalidisierend beurteilt worden seien. Die Gutachterin Dr. med. D.___ habe keine Diagnostik angewendet und gehe von Verdachtsdiagnosen aus, ihre Begründung hätte nicht nachvollzogen werden können, deswegen seien von Seiten der behandelnden Psychiater die Mini ICF-APP und die Hamilton Angstskale nachträglich durchgeführt worden. Der Gesamtscore in der Hamilton Angst Skala habe 34 ergeben, darunter 20 bei der somatischen Angst und 12 bei der psychischen Angst. Ein Score ab 30 Punkten weise auf eine schwere Angststörung hin. Auch der Mini ICF ergebe bei der Patientin eine erhebliche Beeinträchtigung (siehe IV-Nr. 60, S. 3 f.). Weiter sei die Gutachterin in keiner Weise auf den Inhalt des Berichts der Klinik T.___ vom 10. Juni 2020 (IV-Nr. 32) eingegangen, wo aber das erste Mal eine Panikstörung klinisch diagnostiziert und eine medikamentöse Behandlung mit Escitalopram initiiert worden sei. Dies werde als Versäumnis betrachtet, welches die folgerichtige Beurteilung der Patientin verhindern könne. Die Gutachterin gestehe der Beschwerdeführerin keine Diagnose zu, welche eine Arbeitsunfähigkeit rechtfertige und schliesse eine Angst- und Panikstörung aus. Trotzdem empfehle sie eine Therapie mit Benzodiazepinen einem anderen angstlösenden Medikament, was widersprüchlich erscheine. Es bestünden invalidisierende Faktoren aufgrund der Panikstörung, welche die Patientin selbst bei ausreichender Motivation nicht dazu befähige, ein Belastbarkeitstraining zu absolvieren. Es hätten die Voraussetzungen dafür gefehlt. Der Verlauf zeige Beispiele wie in der Tagesklinik, beim Spazieren mit der S.___ und beim Einkaufen, dass die Patientin trotz vorhandener Motivation wegen der vegetativen Beschwerden und der Panikstörung es nicht schaffe, diesen Dingen Folge zu leisten. Dies sei nicht mit der passiven Schonhaltung der Patientin zu erklären, sondern allein an der Erkrankung, welche verhindere, dass sie ihre Ressourcen ausschöpfen könne. Eine passive Schonhaltung hätte die Patientin nicht dazu veranlasst, es immer wieder zu versuchen.

 

5.16   RAD-Arzt Dr. med. E.___ führte in seiner Stellungnahme vom 30. August 2021 (IV-Nr. 62) aus, mit der erneuen Stellungnahme der Behandler der Praxis I.___ vom 13. Juli 2021 würden die von der Versicherten geschilderten Beschwerden anders gewichtet und beurteilt als in den beiden fachärztlich psychiatrischen Gutachten von Dr. med. C.___ und Dr. med. D.___. Zu beachten sei hierbei, dass es sich um die Einschätzung subjektiv berichteter Symptome handle. In den Gutachten seien diese Angaben der Versicherten kritisch gewürdigt worden, da der objektive Psychostatus wenig auffällig gewesen sei, beziehungsweise das Verhalten als nicht authentisch beurteilt worden sei. Der RAD gehe von einer differierenden Einschätzung des gleichen Sachverhalts aus, entstanden durch die unterschiedliche Bewertung der subjektiven Angaben. Die versicherungsmedizinische Stellungnahme des RAD sei bei aktuell gegebener Aktenlage aufgrund einer Beurteilung des medizinischen Sachverhalts nach dem Kriterium der überwiegenden Wahrscheinlichkeit erfolgt. Eine medizinisch begründete Notwendigkeit weiterer Abklärungen ergebe sich aktuell nicht. Sollte von rechtlicher Seite aufgrund der Beweiswürdigung ein anderer Schluss resultieren, wäre aus Sicht des RAD auf den Antrag der Rechtsvertreterin der Versicherten zurückzukommen, die eventualiter eine polydisziplinäre Begutachtung fordere.

 

6.       Die Beschwerdegegnerin stützt sich in der angefochtenen Verfügung vom 7. Januar 2022 (A.S. 1 ff.) im Wesentlichen auf das psychiatrische Gutachten von Dr. med. D.___ vom 27. Dezember 2020 (IV-Nr. 42), weshalb dessen Beweiswert zu prüfen ist.

 

6.1     Dr. med. D.___ führt in ihrem Gutachten als Diagnosen V.a. depressive Störung, Ausprägungsgrad ggw. leicht bis mittelgradig (ICD-10 F32.0/1), V.a. Persönlichkeitsakzentuierung (ICD-10 Z73) und V.a. Panikstörung (ICD-10 F41.0) auf. Als Differenzialdiagnose nennt sie eine Anpassungsstörung mit ängstlich-depressiver Symptomatik (ICD-10 F.43.2). Ihre Beurteilung stützt sie auf die eigenen Untersuchungsergebnisse sowie die Vorakten. In der versicherungspsychiatrischen Schlussfolgerung (IV-Nr. 42, S. 20) führte Dr. med. D.___ aus, im Vordergrund der Beschwerdeschilderung stehe das subjektive Erklärungsmodell der Versicherten mit entsprechender Betonung ihres Leidens und dem Appell an die Gutachterin, sie ernst zu nehmen. Es sei kein klares, nachvollziehbares Bild von den tatsächlichen Beschwerden entstanden. Die Kernsymptome der depressiven Störung seien nicht klar nachvollziehbar und somit sei es nicht möglich, von den objektiven Beschwerden auf die funktionellen Einschränkungen in Bezug auf die Leistungsfähigkeit zu schliessen. Insofern hätten die von den Behandlern gestellten Diagnosen nur als Verdachtsdiagnosen aufgeführt werden können. Die an dieser Stelle vorgesehene Prüfung der Items des Mini-ICF sei nicht durchführbar, da die einzelnen Items nicht klar hätten beantwortet werden können.

 

Wie nachfolgend aufgezeigt wird, kann auf das psychiatrische Gutachten von Dr. med. D.___ nicht abgestellt werden: In Bezug auf die gestellten Diagnosen erfolgt keine Begründung anhand der Kriterien des ICD-10. Auch wird im Gutachten nicht unterschieden zwischen Diagnosen mit und Diagnosen ohne Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit. Obwohl die Gutachterin eingehend ausführt, weshalb sie keine der in den Vorberichten genannten Diagnosen bestätigen könne, erscheinen auch ihre Schlussfolgerungen zur Arbeitsfähigkeit nicht nachvollziehbar. So führte sie zur Arbeitsfähigkeit in der bisherigen Tätigkeit aus, die gestellten Diagnosen einer mittelgradig depressiven Episode, einer Panikstörung und einer Persönlichkeitsakzentuierung seien in der Regel ohne invalidisierende Auswirkungen auf die berufliche Leistungsfähigkeit. Die angegebenen Beschwerden seien diffus, keiner bestimmten psychiatrischen Kategorie eindeutig zuzuordnen und unklar in Bezug auf die Auswirkungen auf die berufliche Leistungsfähigkeit. Die Mitwirkung in Bezug auf zumindest einen Arbeitsversuch sei mit Hinweis auf die dauerhafte Erschöpfung bisher ausgeblieben. Die Krankheitsüberzeugung der Versicherten könne in die Beurteilung der medizinisch-theoretischen Leistungsfähigkeit nicht einbezogen werden. Daher wäre – unter Ausschluss organischer Beschwerdeursachen – zumindest eine einfach strukturierte Tätigkeit in einem 80%-Pensum ab Januar 2021 denkbar. Wie sich die Einschränkung von 20 % erklären lässt und was unter einer einfach strukturierten Tätigkeit zu verstehen ist resp. ob auch die angestammte Tätigkeit darunter fällt, lässt die Administrativgutachterin offen. Auch zum Verlauf der Arbeitsfähigkeit vor Januar 2021 äussert sie sich nicht. Nicht nachvollziehbar erscheinen denn auch ihre Ausführungen bezüglich einer angepassten Tätigkeit. So bestehe aus rein versicherungspsychiatrischer Perspektive sehr wahrscheinlich eine Arbeitsfähigkeit, doch könne diese unter den gegebenen Umständen nicht plausibel beurteilt werden. Angesichts der Tatsache, dass die Diagnosen der Vorbehandler lediglich als Verdacht bestätigt werden könnten, liege aus rein versicherungspsychiatrischer Sicht keine Diagnose vor, die einen relevanten und invalidisierenden Einfluss auf die Leistungsfähigkeit habe. Aufgrund der erschwerten Untersuchungsbedingungen könne eine psychische Erkrankung aber nicht ganz ausgeschlossen werden. Aus diesen Ausführungen kann nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit geschlossen werden, dass nicht doch eine relevante Arbeitsunfähigkeit vorliegen könnte.

 

6.2       Auf die Einschätzung von Dr. med. D.___ kann deshalb nicht abgestellt werden. Ausserdem erscheint eine entsprechende Rückfrage an die Gutachterin als nicht zielführend, hat die Expertin doch ausdrücklich festgehalten, die Arbeitsfähigkeit könne nicht plausibel beurteilt werden.

 

7.       Zusammenfassend war der medizinische Sachverhalt und das funktionelle Leistungsvermögen der Beschwerdeführerin durch die bei Erlass der Verfügung vom 7. Januar 2022 vorliegenden medizinischen Stellungnahmen nicht hinreichend geklärt. Um diese Abklärungslücke zu füllen, hat das Versicherungsgericht bei PD Dr. med. G.___ ein psychiatrisches Gutachten eingeholt (vgl. E. I. 5.1 hiervor).

 

8.       Wie dargelegt, weicht das Gericht von einem Gerichtsgutachten, das die allgemeinen Anforderungen erfüllt, nur dann ab, wenn zwingende Gründe für ein Abweichen vorliegen (E. II. 3.4 hiervor).

 

8.1     Das psychiatrische Gutachten von PD Dr. med. G.___ vom 24. Februar 2023 (A.S. 45 – 87) wird den allgemeinen rechtsprechungsgemässen Anforderungen an eine beweiskräftige medizinische Stellungnahme gerecht (vgl. E. II. 3.3 hiervor). Es stammt von einem unabhängigen Facharzt, welcher die Beschwerdeführerin eingehend untersucht (vgl. A.S. 52 – 62) und die Vorakten studiert hat (vgl. A.S. 48 – 51 und 62 – 69). Die Aussagen des Experten sind in allen Punkten schlüssig und nachvollziehbar (vgl. A.S. 70 ff. mit der ausführlichen fachärztlichen Beurteilung). Der Gerichtsgutachter stellt folgende Diagnosen (A.S. 69):

 

Diagnosen mit Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit:

-   Anankastische Persönlichkeitsakzentuierung (ICD-10 Z73.1)

-   Mittelgradige bis schwere depressive Episode (ICD-10 F32.1 / F32.2)

-   Schwere Neurasthenie (ICD-10 F48.0)

-   Agoraphobie mit Panikstörung (ICD-10 F40.01)

-   Somatisierungsstörung (ICD-10 F45.0)

 

Diagnosen ohne Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit:

-   Störungen durch Sedativa Hypnotika, gegenwärtiger Substanzgebrauch (ICD-10 F13.24)

 

8.2     Der Gutachter würdigt die Aktenlage und die Aussagen der Beschwerdeführerin eingehend und begründet ausführlich und nachvollziehbar – jeweils im Abgleich der erhobenen Befunde mit den jeweiligen Kriterien nach ICD-10 – die von ihm gestellten Diagnosen.

 

8.2.1  In Bezug auf die diagnostizierte anankastische Persönlichkeitsakzentuierung setzte sich der Gutachter zunächst eingehend mit der innerpsychischen Struktur der Beschwerdeführerin auseinander, indem er die Vorakten und die Angaben der Beschwerdeführerin anlässlich der Untersuchung vom 13. Februar 2023 würdigt und analysiert (siehe dazu seine Ausführungen unter A.S. 71 – 75). PD Dr. med. G.___ hält nachvollziehbar fest, aufgrund dieser diversen Beurteilungsdimensionen könne festgehalten werden, dass bei dieser Explorandin die Kardinaldefinition für eine Persönlichkeitsstörung nicht erfüllt sei, wonach ab verhältnismässig frühem Lebensalter zentrale Bereiche der privaten, sozialen und beruflichen Anamnese nachhaltig und relevant tangiert sein müssten. Dennoch sei die innerpsychische Struktur der Explorandin, wie aus obiger Gesamtschau (vgl. A.S. 71 – 75) hervorgehe, nicht vollständig bland. Während sich nicht jene in sämtlichen relevanten anamnestischen Lebensbereichen gleichmässigen Beeinträchtigungen gezeigt hätten, wie sie bei einer Persönlichkeitsstörung vorlägen, so werde aus obiger Gesamtschau ersichtlich, dass die Explorandin nicht immer ökonomisch mit ihren innerpsychischen Ressourcen habe umgehen können bzw. umgehen könne, was bedeute, dass die Abwehrmechanismen nicht ausreichend sublimiert seien, jedoch ergebe die Beleuchtung dieser diversen anamnestischen Lebensbereiche, dass die Abwehrmechanismen sublimierter seien als jene, die bei einer Persönlichkeitsstörung vorliegen würden. Diese unzureichend sublimierten Abwehrmechanismen hätten dazu geführt, dass die Explorandin dazu prädestiniere, sekundäre psychische Symptomformationen und Störungen zu entwickeln, die in den nachfolgenden Abschnitten diskutiert würden (vgl. A.S. 75 ff.). Es könne also aufgrund dieser weiterführenden Beurteilung der innerpsychischen Struktur dieser Explorandin durchaus festgehalten werden, dass hier eine Persönlichkeitsakzentuierung vorliege. Aus obiger Gesamtschau gehe hervor, dass diese Persönlichkeitsakzentuierung durch hauptsächlich anankastische Persönlichkeitszüge charakterisiert sei, wie dies aus den nachfolgend aufgeführten diagnostischen Kriterien gemäss lCD-10 deutlich werde (siehe A.S. 74 f. zu den ICD-10 Kriterien), die für eine anankastische Persönlichkeitsstörung gälten, deren Gesamtzahl aber von der Explorandin für eine erforderliche Persönlichkeitsstörung nicht erfüllt seien. So könnten aufgrund obiger Gesamtschau die nachfolgenden diagnostischen Kriterien 1, 2 und 3 als erfüllt betrachtet werden, die restlichen diagnostischen Kriterien schienen aber nicht erfüllt, insbesondere nicht die diagnostischen Kriterien 5 – 8, während das diagnostische Kriterium 4 diskutiert werden könne. Wenn dieses diagnostische Kriterium 4 als erfüllt betrachtet werde, so würde die Explorandin rein formal die Mindestzahl der erforderlichen diagnostischen Kriterien für eine regelrechte anankastische Persönlichkeitsstörung erfüllen. Wie oben aber diskutiert worden sei, hätten Hinweise dafür gefehlt, dass sich die Persönlichkeitspathologie der Explorandin in sämtlichen relevanten anamnestischen Lebensbereichen in etwa gleichermassen beeinträchtigend auswirkte, so dass dafürgehalten werde, dass hier lediglich eine Persönlichkeitsakzentuierung und nicht eine regelrechte Persönlichkeitsstörung vorliege.

 

8.2.2  Zur depressiven Episode führt der gerichtlich bestellte Gutachter aus, die Explorandin berichte in der hiesigen Begutachtung, dass sie erstmals ab Januar 2019 depressiv geworden sei. Es sei nicht auszuschliessen, dass depressive Symptome bereits zuvor bestanden hätten, nur seien sie von der Explorandin nicht bewusst erlebt worden. Ab Anfang 2019 habe sich sodann aber unter Einwirkung multipler Belastungsfaktoren eine zunehmende depressive Symptomatik entwickelt, die auch durch eine zunehmende neurasthenische, also eine Erschöpfungssymptomatik, begleitet worden sei. Die Explorandin habe längere Zeit an ihrem damaligen Arbeitsplatz interaktionelle Schwierigkeiten auszuhalten gehabt mit einer neuen Chefin, von welcher sie sich gemobbt und nicht mehr wertgeschätzt gefühlt habe. Dies dürfte bei dieser Explorandin auch deshalb zu einer psychischen Zustandsverschlechterung geführt haben, weil sie sich als eine Arbeitnehmerin beschreibe, die stets viel investiere und stets gerne arbeiten gegangen sei, so dass ein solcher interaktionelle Konflikt selbstverständlich negative Auswirkungen hätte haben müssen. Zudem habe die Explorandin während mehreren Jahren zuvor ihre schwer kranken Eltern regelmässig mitbetreut und gepflegt, die unterdessen, wie sie dies hier mitgeteilt habe, «im Sterbeprozess» seien. Es sei an dieser Stelle auch nochmals auf die Belastungen im Zusammenhang mit der älteren Tochter hinzuweisen. Die Belastung, ein Kind zu haben, welches unter einer schweren psychischen Störung leide, wie es die Schizophrenie darstelle, dürfe auf keinen Fall unterschätzt werden. Es seien hier nicht nur die lebenspraktischen und alltäglichen Belastungen von Bedeutung, sondern selbstverständlich die emotionalen Belastungen, wie das stete elterliche Mitgefühl. Die Explorandin sei ab dem 4. April 2019 100 % arbeitsunfähig geschrieben worden. Es sei zwischen Mai 2019 und Juni 2019 eine mehrwöchige erste psychiatrische Hospitalisation gefolgt, nämlich in der Privatklinik O.___ in [...]. Die Explorandin habe in der hiesigen Begutachtung mitgeteilt, dass sie seither stets depressiv geblieben sei, auch wenn diese Depressivität Schwankungen unterworfen sei. Auf Nachfrage hin habe sie mitgeteilt, dass sie zuvor nie depressiv gewesen sei, so dass hier eine erstmalige klinisch manifeste depressive Episode aufgetreten sei. Auch habe die Explorandin anhand einer Grafik mitteilen können, dass sie in den letzten Wochen und Monaten in ihrer Grundstimmung schwankte zwischen mittelgradig und schwer depressiv, und sie berichte über eine relevante Antriebsminderung, über eine rasche Erschöpfbarkeit, über eine ständige Müdigkeit, sowie über eine relevante Freud-, Interesse- und Lustlosigkeit. Mit diesen subjektiven Angaben erfülle die Explorandin die diagnostischen B-Kriterien gemäss ICD-10 für eine depressive Episode. Wenn sodann die sogenannten diagnostischen C-Kriterien ebenfalls gewürdigt werden, so könne Folgendes hierzu festgehalten werden: Wie oben erwähnt worden sei, berichte die Explorandin über Selbstzweifel und Selbstunsicherheiten, was immer Ausdruck eines darniederliegenden Selbstwertgefühles sei; Selbstvorwürfe unangemessene Schuldgefühle seien von der Explorandin spontan nicht beschrieben worden, allerdings habe er, PD Dr. med. G.___, es unterlassen, hierzu nachzufragen; sie berichte zunächst darüber, dass sie keine Suizidideen habe, weil sie Angst habe, beim Scheitern ein Pflegefall zu werden, während sie danach aber doch über Suizidphantasien und deutlich über einen fehlenden Lebenssinn berichte; sie berichte über eine Vergesslichkeit, so dass sie vieles aufschreiben müsse; sie zeige in der hiesigen Begutachtung eine psychomotorische Verlangsamung; sie berichte über Schlafstörungen; der Appetit werde von der Explorandin als intakt beschrieben. Die Explorandin erfülle also von diesen sieben C-Kriterien deren fünf. Die Summe der drei B-Kriterien und der fünf C-Kriterien ergebe acht diagnostische Kriterien, so dass die Explorandin formal gemäss ICD-10 die Kriterien für eine schwere depressive Episode erfülle, wo nämlich sämtliche diagnostischen B-Kriterien erfüllt sein müssten, und wo zusätzlich die Summe der diagnostischen B- und C-Kriterien mindestens acht Symptome ergeben müsse. Im objektiven Psychostatus zeige die Explorandin eine zunächst leichte depressive Grundstimmung, was sich aber im Verlaufe der Begutachtung ändere, so dass sie zur Hauptsache eine mittelgradige bis schwere depressive Grundstimmung im objektiven Psychostatus zeige. Es sei bereits diskutiert worden, dass dies mit einem Abwehrverhalten der Explorandin zu vereinbaren sei. Sie zeigte im Verlaufe der Begutachtung auch weitere pathologisch ausgelenkte Befunde in den affektiven Parametern. Sie zeige in den spezifischen objektiven Parametern, die sehr gut die innerpsychische Vitalität objektiv abzubilden vermochten, teilweise pathologisch ausgelenkte Befunde. Zu diesen gehörten grundsätzlich äusseres Erscheinungsbild, Psycho- und Sprachmotorik, Mimik und Gestik, Denktempo, kognitive Leistungen, Affektverarmung sowie affektive Schwingungsfähigkeit. Aus dem objektiven Psychostatus gehe also eine mittelgradige bis schwere depressive Episode hervor. Wenn die subjektiven Angaben der Explorandin zu ihren Tagesaktivitäten gewürdigt würden, so sei festzustellen, dass sie nicht gänzlich inaktiv sei, dass sie aber im Grunde eine regelrechte Vita minima eingerichtet habe, die zum Zweck habe, dass sie von äusseren Belastungen geschützt bleiben solle, was insbesondere auch mit ihrer Angststörung zu tun habe, wie im nachfolgenden Abschnitt diskutiert werde (A.S. 78). Die Explorandin könne den Haushaltstätigkeiten nachgehen, zumal offenbar der Ehemann nicht mithelfe und die Tochter nur ihre eigenen Sachen erledige. Sie könne diese Haushaltstätigkeiten aber nur in kleinen Etappen verrichten. Die Einkäufe würden durch den Ehemann erledigt, auch Administratives werde durch den Ehemann erledigt, was früher offenbar nicht der Fall gewesen sei. Die Explorandin koche nur noch einfache Mahlzeiten. Sie gehe nicht ausser Hause, sondern halte sich tagsüber fast immer zuhause auf. Sie habe sich sozial auch zurückgezogen, sie teile mit, dass es seit etwa zwei Jahren sozial «bergab» gehe. Hier seien also wie erwähnt noch teilweise erhaltene Tagesaktivitäten zu erkennen, allerdings im Rahmen einer Vita minima. Alleine der Umstand aber, dass die Explorandin diesen Tätigkeiten nachgehen könne, bedeute, dass die innerpsychische Vitalität nicht dermassen darniederliegen könne, wie dies bei einer ausschliesslich schweren depressiven Dimension der Fall wäre. Aufgrund dieser diversen Beurteilungsdimensionen könne zusammengefasst werden, dass bei dieser Explorandin eine mittelgradige bis schwere depressive Episode vorliege. Diese depressive Episode dürfte seit anfangs 2019 bestehen. Ein episodischer Verlauf liege nicht vor. Es könne also keine rezidivierende depressive Störung diagnostiziert werden.

 

8.2.3  Zur schweren Neurasthenie führt PD Dr. med. G.___ aus, es sei nicht immer möglich, eine neurasthenische von einer depressiven Symptomformation zu unterscheiden. Nicht selten löse sich eine depressive Symptomformation auf, während eine relevante Neurasthenie, also eine relevante Erschöpftheit und Erschöpfbarkeit, weiterhin bestehen bleibe. Dies sei bei dieser Explorandin nicht der Fall, denn die Depressivität bestehe weiter. Die Erschöpftheit und rasche Erschöpfbarkeit seien bei dieser Explorandin seit 2019 offenbar permanent vorhanden. Diese neurasthenische Entwicklung scheine aber deutlich früher begonnen zu haben als die depressive Entwicklung, und zwar wohl im Zusammenhang mit den Mehrfachbelastungen ab 2013, wo die Explorandin nebst ihrer Rolle als Arbeitnehmerin, Mutter und Familienmitverantwortliche auch die Verantwortung für ihre pflegebedürftigen Eltern übernommen habe. Die depressive Störung wie auch die neurasthenische Fehlentwicklung seien durch die oben im Abschnitt diskutierte Persönlichkeitsakzentuierung begünstigt worden, zumal im Rahmen dieser Persönlichkeitsakzentuierung lediglich unsublimierte Abwehrmechanismen vorlägen, so dass diese sekundären psychischen Störungen permanent hätten genährt und unterhalten werden können. Diese beiden psychischen Störungen würden aber gleichermassen auch permanent genährt und unterhalten durch die Angststörung wie auch durch die Somatisierungsstörung (siehe dazu A.S. 78 f.).

 

8.2.4  In Bezug auf die Agoraphobie mit Panikstörung lässt sich dem Gerichtsgutachten Folgendes entnehmen: die Explorandin berichte, dass sie seit ca. zwei Jahren unter agoraphobischen Ängsten leide. Sie berichte auch über Panikattacken. Die «Anfälle», über die sie berichte, und die seit 2004 bestünden, schienen äquivalente Panikattacken darzustellen, mit anderen Worten, eine Dimension dieser «Anfälle» werde mit überwiegender Wahrscheinlichkeit durch eine ängstliche Dimension definiert. Im Rahmen ihrer zunehmenden innerpsychischen Erschöpfung sei die Explorandin zunehmend prädestiniert, dass nicht nur die Frequenz dieser «Anfälle» zugenommen habe, sondern, dass sich auch eine regelrechte Angststörung im Sinne einer Agoraphobie mit Panikstörung fixiert habe, welche die Explorandin unterdessen in erheblichem Masse subjektiv belaste und auch sozial massiv einschränke. Sie teile mit, dass sie aufgrund dieser Angststörung nicht mehr alleine nach draussen gehe, woran sie mit der psychiatrischen S.___, die seit Dezember 2019 wöchentlich vorbeikomme, am Arbeiten sei.

 

8.2.5  Zur Somatisierungsstörung führt der gerichtlich bestellte Gutachter aus, die Explorandin berichte darüber, seit 2004 unter «Anfällen» zu leiden. Sie beschreibe hier sehr exakt und detailliert und nicht etwa vage über die genauen Symptomentwicklungen im Rahmen dieser «Anfälle», wo dominant wiederholt hypertensive Entgleisungen erfolgt seien, die in den Vorakten ausgedehnt dokumentiert seien, wofür gemäss den somatischen Untersuchungen aber keine somatischen Ursachen hätten gefunden werden können. Diese hypertensiven Entgleisungen seien sodann immer begleitet durch Diarrhoe-Episoden. Die Explorandin erlebe dann auch eine Kraftlosigkeit und eine Schwierigkeit zu atmen. Sie berichte auch darüber, dass besonders im Rahmen dieser «Anfälle», in etwas weniger ausgeprägter Form aber auch ausserhalb dieser «Anfälle», Körperverspannungen aufträten, die früher hauptsächlich den Nackenbereich, unterdessen aber offenbar den gesamten Körper beträfen, so dass hier sowohl somatoforme autonome Funktionsstörungen wie auch Hinweise für eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung vorlägen, die als eine Somatisierungsstörung zusammengefasst werden könnte. Diese Somatisierungsstörung sei ebenfalls mitursächlich dafür, dass die Explorandin nun seit mehreren Jahren anhaltend depressiv geblieben sei und permanent erschöpft bleibe. Die Somatisierungsstörung ihrerseits sei ebenfalls ein Sekundärphänomen der im obigen Abschnitt diskutierten Persönlichkeitspathologie.

 

8.3    

8.3.1  In Bezug auf die Arbeits(un)fähigkeit gelangt der Gutachter sodann zum Schluss, bei der Beschwerdeführerin bestehe in jeglichen beruflichen Tätigkeiten des ersten Arbeitsmarkts aus psychiatrischer Sicht eine maximale Arbeitsfähigkeit von 30 %. Dies gelte sowohl für die bisherige als auch für eine leidensangepasste Tätigkeit (A.S. 84).

 

8.3.2  Zum zeitlichen Verlauf der Arbeitsfähigkeit führt der Gutachter aus, die Explorandin sei seit dem 4. April 2019 100 % arbeitsunfähig geschrieben. Es ergäben sich aus der hiesigen gutachterlichen Beurteilung keinerlei Hinweise dafür, dass sich seither im psychischen Zustand der Explorandin eine relevante Veränderung ergeben habe. Die gutachterlichen Beurteilungen, die 2019 und 2020 durchgeführt worden seien, enthielten Mängel, auf die hingewiesen worden sei (vgl. A.S. 62 ff.), sodass auf diese nicht abgestützt werden könne. Selbstverständlich habe für die Zeiträume, wo die Explorandin psychiatrisch hospitalisiert gewesen sei, eine Arbeitsfähigkeit von 0 % bestanden. Aus den Ausführungen in den obigen Kapiteln gehe hervor, dass bei der Explorandin relevante Beeinträchtigungen in zahlreichen relevanten Funktionsfähigkeiten vorlägen. Es müsse davon ausgegangen werden, dass diese bereits zum Zeitpunkt der Anmeldung bei der IV-Stelle Solothurn vom 3. Juli 2019 vorgelegen hätten. Somit könne festgehalten werden, dass die oben attestierte maximale Arbeitsfähigkeit von 30 % für jegliche berufliche Tätigkeiten im ersten Arbeitsmarkt aus psychiatrischer Sicht seit Juli 2019 bestehe (A.S. 84 f.).

 

8.4     Gemäss dem Urteil des Bundesgerichts 8C_841/2016 vom 30. November 2017 sind sämtliche psychische Erkrankungen einem strukturierten Beweisverfahren gemäss BGE 141 V 281 zu unterziehen, welches durch den psychiatrischen Gutachter bzw. die psychiatrische Gutachterin dementsprechend zu prüfen ist. Der Beweiswert der gutachterlichen Ausführungen im psychiatrischen Gutachten setzt also im Weiteren voraus, dass die im entsprechenden Entscheid aufgestellten Kriterien abgehandelt werden. Gemäss diesem Urteil soll der Gutachter stärker darauf achten, die Diagnosen so zu begründen, dass die Rechtsanwender nachvollziehen können, ob die klassifikatorischen Vorgaben nach ICD-10 tatsächlich eingehalten sind (Urteil E. 2.1); das Augenmerk ist namentlich auch auf Ausschlussgründe wie Aggravation zu richten (E. 2.2). Bei den psychosomatischen Beschwerdebildern – wie beispielsweise bei der somatoformen Schmerzstörung – besteht zudem keine Vermutung mehr, dass solche mit einer Willensanstrengung überwunden werden können, wovon nur abgewichen werden darf, wenn die sog. Förster-Kriterien erfüllt sind. Neu wird ein strukturierter, normativer Prüfungsraster angewandt (E. 3.6). Anhand eines Kataloges von Indikatoren erfolgt eine ergebnisoffene symmetrische Beurteilung des – unter Berücksichtigung leistungshindernder äusserer Belastungsfaktoren einerseits und Kompensationspotentialen (Ressourcen) andererseits – tatsächlich erreichbaren Leistungsvermögens (E. 4.1.3):

 

1)    Kategorie «funktioneller Schweregrad» (E. 4.3)

a)    Komplex «Gesundheitsschädigung» (E. 4.3.1)

-       Ausprägung der diagnoserelevanten Befunde (E. 4.3.1.1)

-       Behandlungs- und Eingliederungserfolg -resistenz (E. 4.3.1.2)

-       Komorbiditäten (E. 4.3.1.3)

b)    Komplex «Persönlichkeit» (Persönlichkeitsdiagnostik, persönliche Ressourcen; E. 4.3.2)

c)    Komplex «Sozialer Kontext» (E. 4.3.3)

2)    Kategorie «Konsistenz» (Gesichtspunkte des Verhaltens; E. 4.4)

-       gleichmässige Einschränkung des Aktivitätenniveaus in allen vergleichbaren Lebensbereichen (E. 4.4.1)

-       behandlungs- und eingliederungsanamnestisch ausgewiesener Leidensdruck (E. 4.4.2)

 

Bei der Anspruchsprüfung nach BGE 141 V 281 ist zunächst auf die Ausprägung der diagnoserelevanten Befunde einzugehen. Diesbezüglich kann auf die gutachterlichen Ausführungen (E. II. 8.2 hiervor) verwiesen werden, woraus hervorgeht, dass insgesamt von einer mittelgradigen bis schweren Ausprägung der gestellten Diagnosen auszugehen ist.

 

Hinsichtlich des Indikators Behandlungs- und Eingliederungserfolg resp. -resistenz führt der Gutachter aus, dass die Explorandin unterdessen seit mehreren Jahren psychotherapeutisch behandelt werde. Es seien mehrere stationäre psychiatrische Behandlungen erfolgt. Sie erhalte auch seit Dezember 2019 eine Begleitung durch die psychiatrische S.___, was nachvollzogen werden könne. Es sei trotz dieser ausreichend intensiven psychiatrisch-psychotherapeutischen Interventionen nicht gelungen, eine relevante Verbesserung der psychischen Befindlichkeit der Explorandin herbeizuführen. Dies sei darauf zurückzuführen, dass die innerpsychischen Ressourcen der Explorandin seit mehreren Jahren, und zwar seit mindestens anfangs 2019, in relevanter Weise erschöpft seien, dies im Zusammenhang mit der im obigen Kapitel diskutierten schweren neurasthenischen Entwicklung. Ursächlich hierfür seien unsublimierte Abwehrmechanismen im Rahmen einer Persönlichkeitsakzentuierung, aber auch lebensgeschichtliche und die Explorandin besonders fordernde Belastungen. Es zeige sich also eine gewisse Chronifizierung, Dauerhaftigkeit und Therapieresistenz dieser sekundären psychischen Störungen, das heisse der depressiven, neurasthenischen, Angst und somatoformen Störungen. Es sei daher schwierig, weitere Behandlungsmassnahmen im Sinne von Optimierungsempfehlungen zu formulieren, weil bereits vieles, bedauerlicherweise erfolglos, unternommen worden sei. Dabei imponiere die Explorandin in der hiesigen Begutachtung jederzeit authentisch in ihrem psychischen Leiden, ebenso authentisch imponiere sie, wenn sie über ihre weiterhin bestehende Motivation berichte, wieder in den ersten Arbeitsmarkt zurückkehren zu können. Es ergäben sich keinerlei Hinweise für Inkonsistenzen, ebenso wenig für Selbstlimitierungen für Krankheitsgewinne. Es sei auf jeden Fall zu empfehlen, dass die wöchentliche ambulante Psychotherapie auf Dauer weitergeführt werde. Die psychopharmakologische Medikation müsse selbstverständlich psychiatrisch-fachärztlich begleitet werden. Hier dürften zumindest psychopharmakologisch noch Möglichkeiten vorliegen, die nicht ausgeschöpft worden seien. Berufliche Massnahmen sollten diskutiert, geplant und vorsichtig und schrittweise aufgegleist werden, vorerst in einem niedrigen Pensum im Sinne eines Arbeitstrainings. Wie erwähnt, bringe die Explorandin hierzu eine authentisch imponierende Motivation mit. Es seien nun knapp vier Jahre vergangen, seit die Explorandin letztmals im ersten Arbeitsmarkt tätig gewesen sei, so dass eine relevante Dekonditionierung eingetreten sei, weshalb berufliche Massnahmen notwendig seien. Solche hätten früher stattfinden sollen, seien aber deshalb nicht zugesprochen worden, weil auf eine gutachterliche Beurteilung abgestützt worden sei, die nach der hiesigen gutachterlichen Abklärung und Beurteilung als mangelhaft eingestuft werden müsse und wo insbesondere die schwere Neurasthenie nicht erfasst worden sei. Unter Kombination medizinischer und beruflicher Massnahmen sei prognostisch nicht auszuschliessen, dass die Explorandin im weiteren Verlauf wieder in den ersten Arbeitsmarkt integriert werden könne. Jegliche diesbezüglichen Zeitangaben könnten aber gutachterlich nicht näher definiert werden. Wenn nochmals gewürdigt werde, dass eine gewisse Chronifizierung, Dauerhaftigkeit und Therapieresistenz vorliege, so müsse damit gerechnet werden, dass eine Reintegration in den ersten Arbeitsmarkt nur in einem Teilzeitpensum möglich sein werde. Gestützt auf die gutachterlichen Ausführungen ist bei der Beschwerdeführerin sowohl eine Behandlungsresistenz als auch eine IV-relevante Eingliederungsresistenz tendenziell zu bejahen.

 

Mit Blick auf den Indikator der Komorbidität ist zu prüfen, ob und bejahendenfalls inwieweit sich diese ressourcenhemmend auf die versicherte Person auswirkt. Erforderlich ist eine Gesamtbetrachtung der Wechselwirkungen und sonstigen Bezüge der psychiatrischen Diagnosen zu sämtlichen begleitenden krankheitswertigen Störungen. Das strukturierte Beweisverfahren, wie es in BGE 141 V 281 definiert wurde, steht einer Aufteilung von Einbussen auf einzelne Leiden entgegen, da es auf einer ergebnisoffenen Gesamtbetrachtung in Berücksichtigung der Wechselwirkungen basiert. Gemäss BGE 143 V 318 ist E. 4.3.1.3 von BGE 141 V 281 so zu verstehen, dass Störungen unabhängig von ihrer Diagnose bereits dann als rechtlich bedeutsame Komorbidität in Betracht fallen, wenn ihnen im konkreten Fall ressourcenhemmende Wirkung beizumessen ist. Im Gutachten wird eine ressourcenhemmende Wirkung der Persönlichkeitsakzentuierung beschrieben und bei der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit berücksichtigt. Konkret führt PD Dr. med. G.___ aus, es sei eingehend die innerpsychische Struktur dieser Explorandin diskutiert und dabei begründet worden, weshalb eine anankastische Persönlichkeitsakzentuierung vorliege. Im Rahmen der nicht ausreichend sublimierten Abwehrmechanismen, die mit der Persönlichkeitsakzentuierung einhergingen, prädestiniere die Explorandin zur Entwicklung sekundärer psychischer Störungen, bei ihr explizit einer depressiven, einer schweren neurasthenischen, einer Angst- und einer Somatisierungsstörung. Es handle sich hierbei also um sekundäre psychische Störungen die permanent genährt und unterhalten würden durch die primäre Persönlichkeitspathologie. Gleichzeitig würden die depressive Störung, insbesondere aber auch die schwere neurasthenische Entwicklung, genährt durch die Belastungen im Zusammenhang mit der Angststörung. Auch die Somatisierungsstörung, explizit die wiederholten hypertensiven Krisen und die Verspannungen im ganzen Körper, hielten die sekundären psychischen Störungen permanent aufrecht. Die Explorandin habe unterdessen kaum ein Vertrauen in ihre körperliche und ihre psychische Gesundheit. Es sei begründet worden, weshalb eine mittelgradige bis schwere depressive Störung vorliege. Der korrekte diagnostische Begriff laute depressive Episode, womit wir nicht immer ganz glücklich sein könnten, und zwar in Situationen wie bei dieser Explorandin, wo seit mehreren Jahren eine anhaltende und relevante depressive Symptomatik vorliege, bei welcher zumindest teilweise von einer Chronifizierung, Dauerhaftigkeit und Therapieresistenz ausgegangen werden müsse, so dass wir es nicht mit einer Episode zu tun hätten, die immer impliziere, dass die Störung einmal remittieren werde, sondern mit einer eigentlichen Störung. Es sei auch diskutiert worden, dass aufgrund der unsublimierten Abwehrmechanismen primär invaliditätsfremde psychosoziale Belastungsfaktoren sekundär durchaus invaliditätsrelevant werden könnten. Es sei sodann darauf hingewiesen worden, dass keinerlei Hinweise für Inkonsistenzen, Selbstlimitierung Krankheitsgewinne vorlägen (A.S. 81 f.). Aufgrund der gutachterlichen Ausführungen ist von einer relevanten Komorbidität auszugehen.

 

Zu der Kategorie «funktioneller Schweregrad» ist unter anderem der Komplex «Persönlichkeit» (Persönlichkeitsentwicklung und -struktur, grundlegende psychische Funktionen) zu zählen. Innerhalb der Kategorie «funktioneller Schweregrad» bestimmt ferner auch der Komplex «Sozialer Kontext» mit darüber, wie sich die (kausal allein massgeblichen) Auswirkungen der Gesundheitsbeeinträchtigung konkret manifestieren. Dazu ist zweierlei festzuhalten: Soweit soziale Belastungen direkt negative funktionelle Folgen zeitigen, bleiben sie nach wie vor ausgeklammert (vgl. BGE 127 V 294 E. 5a S. 299 f.). Anderseits hält der Lebenskontext einer versicherten Person auch (mobilisierbare) Ressourcen bereit, so die Unterstützung, die ihr im sozialen Netzwerk zuteil wird. Immer ist sicherzustellen, dass gesundheitlich bedingte Erwerbsunfähigkeit zum einen (Art. 4 Abs. 1 IVG) und nicht versicherte Erwerbslosigkeit andere belastende Lebenslagen zum andern nicht ineinander aufgehen; alles andere widerspräche der klaren gesetzgeberischen Regelungsabsicht (BGE 141 V 281 E. 4.3.3 S. 303). Dazu kann zunächst auf die gutachterlichen Ausführungen zur Persönlichkeit der Beschwerdeführerin verwiesen werden (E. II. 8.2.1 hiervor). So prädestiniere die Explorandin im Rahmen der nicht ausreichend sublimierten Abwehrmechanismen, die mit der Persönlichkeitsakzentuierung einhergingen, zur Entwicklung sekundärer psychischer Störungen, bei ihr explizit einer depressiven, einer schweren neurasthenischen, einer Angst- und einer Somatisierungsstörung. Wenn die subjektiven Angaben der Explorandin zu ihren Tagesaktivitäten gewürdigt würden, so könne festgestellt werden, dass sie nicht gänzlich inaktiv sei, dass sie aber im Grunde eine regelrechte Vita minima eingerichtet habe, die zum Zweck habe, dass sie von äusseren Belastungen geschützt bleiben solle, was insbesondere auch mit ihrer Angststörung zu tun habe. Die Explorandin könne den Haushaltstätigkeiten nachgehen. Die Einkäufe würden durch den Ehemann erledigt, auch Administratives werde durch den Ehemann erledigt, was früher offenbar nicht der Fall gewesen sei. Die Explorandin koche nur noch einfache Mahlzeiten. Sie gehe nicht ausser Hause, sondern halte sich tagsüber fast immer zuhause auf. Sie habe sich sozial auch zurückgezogen, sie teile mit, dass es seit etwa zwei Jahren sozial «bergab» gehe. Es seien hier also noch teilweise erhaltene Tagesaktivitäten erkennbar, allerdings im Rahmen einer Vita minima. Zusammenfassend liegen demnach bei der Beschwerdeführerin neben gewissen positiven sozialen Ressourcen kaum persönliche Ressourcen vor.

 

Der Indikator einer gleichmässigen Einschränkung des Aktivitätenniveaus in allen vergleichbaren Lebensbereichen der Kategorie «Konsistenz» (Gesichtspunkte des Verhaltens) zielt auf die Frage ab, ob die diskutierte Einschränkung in Beruf und Erwerb (bzw. bei Nichterwerbstätigen im Aufgabenbereich) einerseits und in den sonstigen Lebensbereichen (beispielsweise Freizeitgestaltung) anderseits gleichermassen ausgeprägt ist (BGE 141 V 281 E. 4.4.1 S. 303 f.). Wie diesbezüglich im Gutachten ausgeführt wurde, sei die Fähigkeit zur Anpassung an Regeln und Routinen grundsätzlich sehr gut entwickelt, da die Explorandin eine hohe Anpassungsfähigkeit mitbringe und sich an ihren Arbeitsstellen immer besonders an die Regeln halten wollte. Allerdings sei die Durchhaltefähigkeit im Rahmen der psychischen Störungen als mittelgradig bis schwer beeinträchtigt einzustufen, sodass auch diese Fähigkeit entsprechend mittelgradig bis schwer beeinträchtigt sei. Dasselbe gelte für die Entscheidungs- und Urteilsfähigkeit, die Flexibilität und Umstellungsfähigkeit, sowie die Fähigkeit zur Planung und Strukturierung von Aufgaben. Die Explorandin habe ihren Alltag als eine regelrechte Vita minima eingerichtet, sodass sie einzig im Rahmen dieser überschaubar strukturierten Vita minima ihren Alltag planen und strukturieren könne. Auch die Selbstbehauptungsfähigkeit müsse gleichermassen als mittelgradig bis schwer beeinträchtigt beurteilt werden, wenn auch hier berücksichtigt werde, dass eine depressive Episode mittelgradigen bis schweren Ausmasses vorliege, was immer auch Auswirkungen auf den Selbstwert habe. Auch bei den qualitativen Funktionsfähigkeiten in sozialen Interaktionen müssten Beeinträchtigungen postuliert werden. Die Explorandin habe sich in den letzten zwei Jahren deutlich sozial zurückgezogen. Sie beschreibe allerdings intakte Beziehungen zu ihren Geschwistern, ihrem Ehemann und ihren Töchtern. Sie kooperiere in der hiesigen Begutachtung einwandfrei. Möglicherweise bestünden hier mittelgradige Beeinträchtigungen. Die Fähigkeit zu ausserberuflichen Aktivitäten sei gleichermassen zu beurteilen wie die Fähigkeit zur Strukturierung und zur Planung von Aufgaben. Die Fähigkeit zur Selbstversorgung sei nicht nachweislich beeinträchtigt. Die Wegefähigkeit sei beeinträchtigt. Die Explorandin berichte darüber, dass sie seit 2022 nicht mehr Auto gefahren sei, weil sie dann befürchte, ihre Anfälle zu erleiden mit hypertensiven Krisen, Durchfallepisoden und massiven Muskelverspannungen. Sie sei zur hiesigen Begutachtung durch ihren Ehemann per Auto gefahren worden. Es sei auch ihr Ehemann, der sie wöchentlich in die psychotherapeutischen Sitzungen fahre. Hier sei, was das Autofahren betreffe, möglicherweise eine mittelgradige bis schwere Beeinträchtigung vorhanden. Sie teile mit, dass sie nicht mehr in ihre Heimat zurückkehre und auch nicht mehr in die Ferien reise, weil sie hierfür keine Energie mehr besitze, was diesen Beeinträchtigungsgrad zu untermauern scheine (A.S. 82 ff.). Somit ist zusammenfassend von einer im Wesentlichen gleichmässigen Einschränkung des Aktivitätenniveaus in allen vergleichbaren Lebensbereichen auszugehen.

 

Der in die gleiche Kategorie («Konsistenz») fallende Aspekt des behandlungs- und eingliederungsanamnestisch ausgewiesenen Leidensdrucks betrifft die Frage nach der Inanspruchnahme von therapeutischen Optionen. Das Ausmass, in welchem Behandlungen wahrgenommen eben vernachlässigt werden, weist (ergänzend zum Gesichtspunkt Behandlungs- und Eingliederungserfolg -resistenz [vgl. E. 4.1.2 hiervor]) im Regelfall auf den tatsächlichen Leidensdruck hin (BGE 141 V 281 E. 4.4.2 S. 304). Diesbezüglich kann auf das vorgehend in der Kategorie «Behandlungs- und Eingliederungserfolg resp. -resistenz» Gesagte verwiesen werden. So hat die Beschwerdeführerin in den letzten Jahren häufig ambulante sowie stationäre Therapien durchgeführt. Demnach ist gestützt darauf von einem hohen Leidensdruck auszugehen.

 

8.5     Gestützt auf die obigen Erwägungen ergibt sich, dass das psychiatrische Gutachten genügend Aufschluss über die massgeblichen Indikatoren, die gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu berücksichtigen sind, gibt. Insgesamt erweisen sich die darin postulierten funktionellen Auswirkungen der medizinisch festgestellten psychischen Beeinträchtigungen damit als hinreichend ausgewiesen. Gestützt auf die einleuchtende Begründung der Diagnosestellung (s. E. II. 8.2 hiervor) und die vorgehende Indikatorenprüfung vermag auch die gutachterliche Einschätzung einer Arbeitsfähigkeit von 30 % zu überzeugen. Die attestierte Arbeitsfähigkeit von 30 % gilt für jegliche beruflichen Tätigkeiten im ersten Arbeitsmarkt seit Juli 2019 (A.S. 84 f.).

 

9.

9.1     Die für die Methodenwahl (Einkommensvergleich, gemischte Methode, Betätigungsvergleich) entscheidende Statusfrage, nämlich ob eine versicherte Person als ganztägig zeitweilig erwerbstätig als nicht erwerbstätig einzustufen ist, beurteilt sich danach, was diese bei im Übrigen unveränderten Umständen täte, wenn keine gesundheitliche Beeinträchtigung bestünde. Entscheidend ist somit nicht, welches Ausmass der Erwerbstätigkeit der versicherten Person im Gesundheitsfall zugemutet werden könnte, sondern in welchem Pensum sie hypothetisch erwerbstätig wäre. Bei im Haushalt tätigen Versicherten im Besonderen sind die persönlichen, familiären, sozialen und erwerblichen Verhältnisse ebenso wie allfällige Erziehungs- und Betreuungsaufgaben gegenüber Kindern, das Alter, die beruflichen Fähigkeiten und die Ausbildung sowie die persönlichen Neigungen und Begabungen zu berücksichtigen. Massgebend sind die Verhältnisse, wie sie sich bis zum Erlass der Verwaltungsverfügung entwickelt haben, wobei für die hypothetische Annahme einer im Gesundheitsfall ausgeübten (Teil-) Erwerbstätigkeit der im Sozialversicherungsrecht übliche Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit erforderlich ist. Dies erfordert zwangsläufig eine hypothetische Beurteilung, die auch hypothetische Willensentscheidungen der versicherten Person zu berücksichtigen hat. Derlei ist einer direkten Beweisführung wesensgemäss nicht zugänglich und muss in aller Regel aus äusseren Indizien erschlossen werden (Urteil des Bundesgerichts 9C_161/2019 vom 28. Juni 2019 E. 5.2).

 

9.2     Gemäss Aktenlage habe die Beschwerdeführerin von 1986 bis 1989 eine Anlehre als Coiffeuse absolviert, sie habe aber danach nie als Coiffeuse gearbeitet (siehe eigene Angaben im Lebenslauf, IV-Nr. 11, S. 5). Danach habe sie von 1989 bis 2000 diverse temporäre Einsätze in verschiedenen Branchen getätigt, so in der Produktion, in der Montage und Verpackungen. Von 2001 bis 2004 habe sie als Hauswartin in einem 50%-Pensum gearbeitet und von November 2003 bis Mai 2004 sei ein Einsatz (stundenweise am Abend) als Mitarbeiterin Telemarketing erfolgt. In der Zwischenzeit absolvierte sie von 2000 bis 2001 eine Ausbildung zur Kosmetikerin. In diesem Beruf habe sie unter anderem von Oktober 2005 bis September 2010 bei der Firma V.___, [...], in einem 100%-Pensum gearbeitet (IV-Nr. 11, S. 10; A.S. 54). Die berufliche Tätigkeit als Kosmetikerin musste sie gemäss eigenen Angaben aus gesundheitlichen Gründen aufgeben (A.S. 54). Zwischen 2010 und 2011 habe sie dann eine Ausbildung zur Bürofachfrau VSH erfolgreich durchlaufen (IV-Nr. 11, S. 11) und zwischen 2011 und 2012 habe sie erfolgreich die Handelsschule W.___ durchlaufen und das Handelsdiplom VSH erlangt (IV-Nr. 11, S. 12). In den darauffolgenden Jahren absolvierte sie mehrere Teil- und Vollzeitanstellungen als kaufmännische Mitarbeiterin, unter anderem von März 2013 bis März 2018 bei der X.___ AG, [...] (60%-Anstellung) und von Juli 2018 bis September 2018 bei der Y.___ AG, [...] (50%-Anstellung; A.S. 54). Die Beschwerdeführerin arbeitete zuletzt im Rahmen eines temporären Arbeitsverhältnisses (100 %) bei der B.___ AG, [...].

 

9.3     Die Beschwerdeführerin deponierte an der Hauptverhandlung vom 13. Dezember 2023 zusammengefasst folgende Beweisaussage:

 

Sie habe immer 100 % gearbeitet. Für sie sei auch immer klar gewesen, dass sie 100 % arbeiten wolle. Auch als die beiden Töchter 1991 und 1994 zur Welt gekommen seien, habe sie 100 % gearbeitet. Dies sei möglich gewesen, weil die Schwiegermutter bei ihnen gewohnt habe. Wenn sie keine Stelle gefunden habe, sei sie im Zwischenverdienst gewesen. Auch beim RAV habe sie sich stets für 100%-Stellen angemeldet. Habe sie mal keine Stelle gehabt, habe sie immer nach 100%-Stellen gesucht. Wenn sie keine Vollzeitstelle bekommen habe, dann habe sie auch Stellen im kleineren Pensum angenommen, die sich ihr angeboten hätten. Für sie sei wichtig gewesen, beschäftigt zu sein. Die 60%-Stelle bei der X.___ AG habe sie sehr gerne gehabt. Das Pensum habe aber nicht erhöht werden können, weil es für diese Stelle kein höheres Pensum gegeben habe. Sie habe bei den zuständigen Personen nachgefragt. Man habe ihre ursprüngliche Anstellung, welche 50 % betragen habe, nur auf 60 % erhöhen können. Mehr sei nicht möglich gewesen. Sie habe dort aber gut verdient, so dass sich die Suche nach einer höheren Anstellung nicht gelohnt habe. Sie habe die Stelle nur deshalb gekündigt, weil sie von der Chefin gemobbt worden sei. Danach habe sie wieder nach 100%-Stellen gesucht, in dieser Zeit aber nur eine Anstellung bei der Y.___ AG in einem Pensum von 50 % gefunden. Da sie nicht beim RAV habe bleiben wollen, habe sie sich wieder bei verschiedenen Temporärbüros angemeldet und sei daraufhin über die B.___ AG auf die 100%-Stelle bei der Z.___ AG gekommen, wo sie von September 2018 bis Juni 2019 gearbeitet habe. Dort hätte sie eine Festanstellung bekommen, wäre es nicht zum Zusammenbruch im Jahr 2019 gekommen. Zum Intake-Gespräch vom 18. Juli 2019 befragt, gab die Beschwerdeführerin an, sie könne sich nicht erinnern, zum Pensum ohne Gesundheitsschaden befragt worden zu sein. Das im Intake-Protokoll erwähnte 60%-Pensum ohne Gesundheitsschaden habe sie so nie gesagt. So habe sie sich auch beim RAV stets für 100 % angemeldet. Auch die Betreuung der Eltern sei kein Grund gewesen, nicht eine Vollzeitstelle ausüben zu wollen. Ob sie 60 % 100 % gearbeitet habe, sie hätte so so zu den Eltern geschaut. Nach ihrem Zusammenbruch hätten die Geschwister für die Eltern geschaut. Der Vater sei mittlerweile verstorben. Auch die ältere Tochter, die einige Zeit Probleme gehabt habe, sei kein Grund gewesen, nur eine Teilzeitbeschäftigung auszuüben.

 

9.4     Vorliegend gibt es Indizien, die für, als auch solche, die gegen ein Pensum von 100 % ohne Gesundheitsschaden sprechen. So steht im Protokoll des Intake-Gesprächs vom 18. Juli 2019 (IV-Nr. 7) ausdrücklich geschrieben, die Beschwerdeführerin würde ohne Gesundheitsschaden ein Pensum von 60 % (daneben Familie) ausüben. Diese Aussage der ersten Stunde, welche noch nicht von versicherungsrechtlichen Überlegungen beeinflusst war, hat grundsätzlich beweismässig mehr Gewicht als spätere Erklärungen (BGE 121 V 45 E. 2a S. 47). Ob die Beschwerdeführerin eine solche Aussage tatsächlich gemacht hat, kann aber nicht zweifelsfrei belegt werden. Gegen ein 100%-Pensum ohne Gesundheitsschaden sprechen auch die familiären Umstände (Betreuung der Eltern sowie der älteren Tochter) sowie der Umstand, dass die Beschwerdeführerin phasenweise über längere Zeiträume Teilzeit gearbeitet hatte, so auch von März 2013 bis März 2018 bei der X.___ AG, wo sie in einem Pensum von 60 % tätig war. Andererseits hatte die Beschwerdeführerin über längere Zeiträume Vollzeittätigkeiten ausgeübt, so auch von Oktober 2005 bis September 2010 bei der Firma V.___, als ihre beiden Töchter noch minderjährig waren. Zudem gab sie anlässlich der Parteibefragung an, auch nach der Geburt der beiden Töchter in den Jahren 1991 und 1994 Vollzeit gearbeitet zu haben. Für den Beweiswert dieser Aussage spricht einerseits, dass es sich um eine Beweisaussage nach Art. 192 ZPO handelt, welche nach Ermahnung zur Wahrheit und Hinweis auf die Straffolgen bei einer Falschaussage erging (A.S. 52). Andererseits hinterliess die Beschwerdeführerin an der Verhandlung einen grundsätzlich glaubwürdigen Eindruck, gab sie doch offen, sachlich und unaufgeregt Auskunft. Schliesslich gab auch die Beschwerdegegnerin in ihrem Parteivortrag anlässlich der Hauptverhandlung an, es gebe erhebliche Indizien, die dafür sprächen, dass die Beschwerdeführerin im Gesundheitsfall voll erwerbstätig wäre und beantragte die Aufhebung der angefochtenen Verfügung.

 

9.5     In Würdigung der vorstehend wiedergegebenen Dokumente und Aussagen der Beschwerdeführerin ist mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin ohne Behinderung im Umfang von 100 % erwerbstätig wäre.

 

10.    

10.1   Gestützt auf das beweiswertige psychiatrische Gutachten von PD Dr. med. G.___ vom 24. Februar 2023 ist nachfolgend ein Einkommensvergleich vorzunehmen. Aufgrund der vorstehenden Ausführungen ist davon auszugehen, dass das Wartejahr am 4. April 2019 (erstmaliger Arbeitsunfähigkeitsattest durch den Hausarzt [100%ige Arbeitsunfähigkeit], IV-Nr. 12; siehe auch A.S. 84) begonnen hat. Gemäss dem Gerichtsgutachter hätten sich aus der gutachterlichen Beurteilung keinerlei Hinweise dafür ergeben, dass sich ihr psychischer Zustand seither relevant verändert habe (A.S. 84). Das Wartejahr ist somit per 1. April 2020 abgelaufen. Die Beschwerdeführerin hat sich am 26. Juni 2019 zum Leistungsbezug angemeldet. Da das Wartejahr im April 2020 abgelaufen ist, ist die Invaliditätsberechnung auf diesen Zeitpunkt vorzunehmen.

 

10.2     Die Beschwerdeführerin hat zwar bis zum Eintritt der Arbeitsunfähigkeit in der Logistik der Z.___ AG gearbeitet. Da sie in diesem Zeitpunkt über ein Temporärbüro angestellt war, ist vorliegend beim Valideneinkommen auf einen Tabellenlohn des Bundesamtes für Statistik abzustellen. Aufgrund der bisher von der Beschwerdeführerin ausgeführten Arbeiten erscheint es korrekt, auf den Totalwert der Frauen gemäss LSE 2018, Tabelle TA1_tirage_skill_level, Niveau 1 «einfache Tätigkeit körperlicher handwerklicher Art», abzustellen.

 

10.3   Mit der gesundheitlichen Einschränkung sind der Beschwerdeführerin ebenfalls Arbeitsstellen in diesem Segment zugänglich. Es bietet sich aufgrund des Gesagten an, sowohl für die Bemessung des Valideneinkommens wie auch des Invalideneinkommens auf den Tabellenlohn LSE 2018, TA1_tirage_skill_level, Total Niveau 1 Frauen abzustellen, da dieser Tabellenlohn im Licht der bisher von der Beschwerdeführerin ausgeführten Arbeiten und der möglichen Tätigkeiten korrekt erscheint. Damit erübrigt sich eine genaue betragsmässige Ermittlung, denn der Invaliditätsgrad entspricht dem Grad der Arbeitsunfähigkeit unter Berücksichtigung eines allfälligen Abzugs vom Tabellenlohn (vgl. Urteil des Bundesgerichts 8C_358/2017 vom 4. August 2017 E. 2.2 mit Hinweisen), welcher im vorliegenden Fall nicht vorzunehmen ist. Somit ergibt sich ein Invaliditätsgrad von 70 %, der einen Anspruch auf eine ganze Rente begründet. Die Verfügung vom 7. Januar 2022 ist damit aufzuheben und die dagegen erhobene Beschwerde gutzuheissen.

 

11.    

11.1   Die Beschwerdeführerin obsiegt und hat Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 61 lit. g ATSG). Rechtsanwalt Wyssmann hat am 21. März 2022 (A.S. 27 f.) eine Honorarnote über einen Aufwand von 8,93 Stunden, am 17. April 2023 (A.S. 99 ff.) eine weitere Kostennote über einen Aufwand von 11,29 Stunden und an der Verhandlung vom 13. Dezember 2023 eine dritte Honorarnote über einen Aufwand von 11,53 Stunden eingereicht. Der zu entschädigende Zeitaufwand ist um Positionen zu reduzieren, welche praxisgemäss als Kanzleiaufwand gelten, der im Stundenansatz eines Rechtsanwalts inbegriffen ist (dazu gehören beispielsweise die Weiterleitung von Dokumenten an die Klientschaft, die Kenntnisnahme von Verfügungen, das Stellen von Fristerstreckungsgesuchen und das Einreichen der Kostennote). Der Aufwand von total 31,75 Stunden reduziert sich um Kanzleiaufwand von insgesamt 4,22 Stunden (19 Mal «Brief an Klientin» à 0,17 und 1 Mal à 0,33 Stunden; 2 x «Brief an Versicherungsgericht» à 0,33 Stunden) auf 27,53 Stunden. Die öffentliche Verhandlung vom 13. Dezember 2023 dauerte 1 Stunde und 40 Minuten, womit sich der Aufwand um weitere 20 Minuten reduziert. Der nachprozessuale Aufwand ist angesichts des Obsiegens praxisgemäss von einer Stunde auf 0,5 Stunden zu kürzen. Damit verbleibt ein Zeitaufwand von insgesamt 26,7 Stunden. Dieser Aufwand ist im Quervergleich zu ähnlich gelagerten Fällen als hoch zu bezeichnen und daher ermessensweise auf 22 Stunden zu reduzieren. Damit beträgt die Entschädigung bei einem Honoraransatz von CHF 250.00 CHF 5'500.00.

 

Bei den Auslagen sind die Kopien mit CHF 0.50 (und nicht mit CHF 1.00) zu entschädigen (§ 160 Abs. 5 des Gebührentarifs [GT], BGS 615.11). Die Fahrtspesen für die Hin- und Rückfahrt zur öffentlichen Verhandlung vom 13. Dezember 2023 von 45,4 km werden anstelle dem in der Kostennote geltend gemachten Ansatz von CHF 1.00 mit CHF 0.70 entschädigt (vgl. § 157 Abs. 3 GT i.V.m. § 161 Gesamtarbeitsvertrag [GAV, BGS 126.3]) und betragen daher CHF 31.78. Demnach belaufen sich die zu vergütenden Auslagen auf insgesamt CHF 147.60. Unter Berücksichtigung des geltend gemachten Stundenansatzes von CHF 250.00 und der Mehrwertsteuer führt dies zu einer Parteientschädigung von insgesamt CHF 6'082.45 (Honorar von CHF 5’500.00 [22 Std. à CHF 250.00], Auslagen von CHF 147.60 und MwSt. von CHF 434.85).

 

11.2   Aufgrund von Art. 69 Abs. 1bis IVG ist das Beschwerdeverfahren bei Streitigkeiten um die Bewilligung die Verweigerung von IV-Leistungen vor dem kantonalen Versicherungsgericht kostenpflichtig. Die Kosten werden nach dem Verfahrensaufwand und unabhängig vom Streitwert im Rahmen von CHF 200.00 – 1‘000.00 festgelegt. Nach dem Ausgang des vorliegenden Verfahrens hat die Beschwerdegegnerin die Verfahrenskosten von CHF 1’000.00 zu bezahlen. Folglich ist der Beschwerdeführerin der geleistete Kostenvorschuss von CHF 1’000.00 zurückzuerstatten.

 

11.3   Wie dargelegt hat die Beschwerdegegnerin den Sachverhalt unzureichend abgeklärt, weshalb das Gericht die Abklärungslücke durch ein Gerichtsgutachten schliessen musste. Die Beschwerdegegnerin hat daher die Kosten des Gutachtens von PD Dr. med. G.___ vom 24. Februar 2023 von CHF 6'000.00 zu tragen.

Demnach wird erkannt:

1.    In Gutheissung der Beschwerde wird die Verfügung der IV-Stelle des Kantons Solothurn vom 7. Januar 2022 aufgehoben. Der Beschwerdeführerin wird mit Wirkung ab 1. April 2020 eine ganze Rente der Invalidenversicherung zugesprochen.

2.    Die IV-Stelle des Kantons Solothurn hat der Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung von CHF 6'082.45 (inkl. Auslagen und MwSt) zu bezahlen.

3.    Die IV-Stelle des Kantons Solothurn hat die Verfahrenskosten von CHF 1’000.00 zu bezahlen. Der geleistete Kostenvorschuss von CHF 1’000.00 wird der Beschwerdeführerin zurückerstattet.

4.    Der Auszug aus dem Verhandlungsprotokoll vom 13. Dezember 2023 geht zur Kenntnisnahme an die Parteien.

5.    Die IV-Stelle des Kantons Solothurn hat der Gerichtskasse die Kosten des Gerichtsgutachtens von PD Dr. med. G.___ von CHF 6'000.00 zu erstatten.

Rechtsmittel

Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit der Mitteilung beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten eingereicht werden (Adresse: Bundesgericht, Schweizerhofquai 6, 6004 Luzern). Die Frist beginnt am Tag nach dem Empfang des Urteils zu laufen und wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar (vgl. Art. 39 ff., 82 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes, BGG). Bei Vor- und Zwischenentscheiden (dazu gehört auch die Rückweisung zu weiteren Abklärungen) sind die zusätzlichen Voraussetzungen nach Art. 92 93 BGG zu beachten.

 

Versicherungsgericht des Kantons Solothurn

Die Präsidentin                         Der Gerichtsschreiber

Weber-Probst                           Lazar

 



 
Quelle: https://gerichtsentscheide.so.ch/
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