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Urteil Verwaltungsgericht (SO - VSBES.2022.3)

Zusammenfassung des Urteils VSBES.2022.3: Verwaltungsgericht

Das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn hat in einem Fall bezüglich Kurzarbeitsentschädigung und Covid-19 entschieden. Die Beschwerdeführerin, die A.___ GmbH, hatte Kurzarbeit bewilligt bekommen, aber die Beschwerdegegnerin, das Amt für Wirtschaft und Arbeit, hob diese Bewilligungen später auf. Die Öffentliche Arbeitslosenkasse forderte daraufhin eine Rückzahlung der zu viel ausgezahlten Beträge. Die Treuhand der Beschwerdeführerin legte Einspruch ein, der jedoch abgelehnt wurde. Das Gericht entschied, dass die Beschwerde abzuweisen ist, da keine ausreichende Erfassung der Arbeitszeiten vorlag, was den Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung entfallen liess.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts VSBES.2022.3

Kanton:SO
Fallnummer:VSBES.2022.3
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Versicherungsgericht
Verwaltungsgericht Entscheid VSBES.2022.3 vom 17.02.2023 (SO)
Datum:17.02.2023
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:-
Schlagwörter: Arbeit; Kurzarbeit; Einsprache; Treuhand; Arbeitszeit; Entscheid; Einspracheentscheid; Gericht; Versicherung; Versicherungsgericht; Kurzarbeitsentschädigung; Verfügung; Eingabe; Frist; Revision; Tatsache; Recht; Solothurn; Anspruch; Arbeitsausfall; Kanton; Covid; AWA-Nr; Entscheide; Beweismittel; Arbeitszeiterfassung; Arbeitslosenversicherung; Tatsachen; Zeiterfassung; Covid-
Rechtsnorm: Art. 30 ATSG ;Art. 38 ATSG ;Art. 55 ATSG ;
Referenz BGE:131 V 9; 143 V 105;
Kommentar:
-

Entscheid des Verwaltungsgerichts VSBES.2022.3

 
Geschäftsnummer: VSBES.2022.3
Instanz: Versicherungsgericht
Entscheiddatum: 17.02.2023 
FindInfo-Nummer: O_VS.2023.25
Titel: Kurzarbeitsentschädigung; Covid19

Resümee:

 

 

 

 

 

 

 


Urteil vom 17. Februar 2023

Es wirken mit:

Präsidentin Weber-Probst

Oberrichter Flückiger

Oberrichterin Hunkeler

Gerichtsschreiber Haldemann

In Sachen

A.___ GmbH

Beschwerdeführerin

gegen

 

Amt für Wirtschaft und Arbeit, Kantonale Amtsstelle, Juristische Dienstleistungen, Rathausgasse 16, 4509 Solothurn,

Beschwerdegegnerin

 

betreffend     Kurzarbeitsentschädigung / Covid-19 (Einspracheentscheid vom 31. August 2021)

 


 

zieht das Versicherungsgericht in Erwägung:

I.       

 

1.

1.1     Das Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Solothurn (fortan: Beschwerdegegnerin) bewilligte der Arbeitgeberin A.___ GmbH (fortan: Beschwerdeführerin) am 27. April 2020 resp. 21. Januar 2021 für die Zeit vom 19. März bis 18. September 2020 sowie vom 21. Januar bis 20. April 2021 Kurzarbeit (Akten der Beschwerdegegnerin / AWA-Nr. 4 + 6).

 

1.2     Am 29. Juli 2021 erliess die Beschwerdegegnerin eine als «Wiedererwägung» betitelte Verfügung, worin sie die mit den Verfügungen vom 27. April 2020 und 21. Januar 2021 erteilten Kurzarbeitsbewilligungen aufhob und dies in den Erwägungen als «Revision» bezeichnete (AWA-Nr. 1). Die dagegen gerichtete Einsprache (AWA-Nr. 10) wies die Beschwerdegegnerin mit Entscheid vom 31. August 2021 ab (Aktenseite / A.S. 1 ff.).

 

1.3     Die Öffentliche Arbeitslosenkasse des Kantons Solothurn (fortan: ALK) forderte von der Beschwerdeführerin mit Verfügung vom 3. November 2021 die von März bis Mai 2020 sowie im Januar und Februar 2021 zu viel ausgerichtete Kurzarbeitsentschädigung im Gesamtbetrag von CHF 22'407.80 zurück (ALK S. 6 ff.). Daraufhin ging bei der ALK ein Schreiben der B.___ Treuhand (fortan: Treuhand) vom 24. November 2021 mit dem Betreff «A.___ GmbH» ein, das folgende Ausführungen enthielt (ALK S. 4):

Wir beziehen uns auf Ihr Schreiben vom 3. November 2021 und müssen Ihnen mitteilen, dass wir Ihr Schreiben vom 31. August 2021 nie gesehen haben. Könnten Sie uns dies nochmals zustellen […]

 

Die ALK liess der Treuhand in der Folge mit E-Mail vom 26. November 2021 den Einspracheentscheid der Beschwerdegegnerin vom 31. August 2021 sowie deren Verfügung vom 29. Juli 2021 zukommen (ALK S. 2).

 

1.4     Die Treuhand gelangte mit einem undatierten Schreiben (Postaufgabe: 23. Dezember 2021, fortan: «Eingabe vom 23. Dezember 2021») an die Beschwerdegegnerin (A.S. 4):

Wir beziehen uns auf die diverse[n] Korrespondenzen bzw. Ihre diversen Entscheide und sind mit Ihrer Darlegung nicht einverstanden.

Gemäss Beilage sehen Sie die Abnahme des Umsatzes, welcher sicher nicht als Geschäftsrisiko bezeichnet werden kann. Aus diesem Grund ist Ihr Entscheid nicht begründet und aufzuheben.

 

Die Beschwerdegegnerin leitet diese Eingabe am 3. Januar 2022 zusammen mit dem Einspracheentscheid vom 31. August 2021 an das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn (fortan: Versicherungsgericht) weiter (A.S. 5).

 

2.

2.1     Der damalige Präsident des Versicherungsgerichts verfügt am 5. Januar 2022, die Beschwerdeführerin habe dem Gericht bis 17. Januar 2022 mitzuteilen, ob die Eingabe der Treuhand vom 23. Dezember 2021 als Beschwerde gegen den Einspracheentscheid der Beschwerdegegnerin vom 31. August 2021 zu verstehen sei. Gegebenenfalls habe die Beschwerdeführerin die Beschwerde innerhalb derselben Frist mit einer gedrängten Darstellung des Sachverhalts und einer kurzen Begründung zu versehen sowie für das Beschwerdeverfahren eine Vollmacht für die Treuhand einzureichen. Widrigenfalls werde auf die Beschwerde nicht eingetreten (A.S. 6 f.). Die Treuhand reicht daraufhin am 17. Januar 2022 eine Vollmacht der Beschwerdeführerin (A.S. 10) sowie ein Schreiben ein, welches folgende Einleitung enthält (A.S. 8 f.):

Auf Grund unseres Antrages wurde von der [ALK] Kurzarbeitsentschädigung von CHF 22'407.80 ausbezahlt. Mit Schreiben vom 3. November 2021 wurde dieser Betrag wieder zurückgefordert mit der Begründung, dass keine Berechtigung für Kurzarbeitsentschädigung vorliege, da dies auf Geschäftsrisiko basiere. Mit Schreiben, leider ohne Datum, haben wir diesbezüglich Einspruch erhoben und als Beweismittel die erzielten Umsätze der letzten Jahre beigelegt. Leider wurde unsere Einsprache abgelehnt und an das Versicherungsgericht weitergeleitet.

 

2.2     Die Beschwerdegegnerin stellt mit Beschwerdeantwort vom 22. Februar 2022 folgende Anträge (A.S. 16 ff.):

1.    Auf die Beschwerde sei nicht einzutreten.

2.    Gerichtskosten seien keine aufzuerlegen.

3.    Eine Parteientschädigung sei nicht auszurichten.

 

Die Beschwerdegegnerin hält dafür, die Beschwerdefrist habe am 1. September 2021, d.h. am Tag nach der Zustellung des Einspracheentscheides vom 31. August 2021, zu laufen begonnen. Die am 3. Januar 2022 bei ihr eingegangene Eingabe vom 23. Dezember 2021 sei somit nicht innert der Beschwerdefrist erfolgt (A.S. 17). Ausserdem wäre die Beschwerde angesichts der unzureichenden Arbeitszeiterfassung ohnehin abzuweisen (A.S. 20). Auf Nachfrage des Gerichts hin erklärte die Beschwerdegegnerin am 1. April 2022, der Einspracheentscheid vom 31. August 2021 sei mit gewöhnlicher A-Post verschickt worden (A.S. 26).

 

2.3     Die Beschwerdeführerin gibt innert der Frist bis 16. März 2022 keine Replik ab (s. A.S. 22 + 24).

 

2.4     Die Treuhand teilt am 24. März 2022, dass sie die Beschwerdeführerin nicht mehr vertrete (A.S. 25). Die telefonische Rückfrage bei der Beschwerdeführerin ergibt gleichentags, dass sie einen Rechtsanwalt kontaktiert hat (a.a.O.). Eine entsprechende Mandatsanzeige geht indes beim Gericht nie ein.

 

2.5     Am 13. Mai 2022 reicht die Treuhand unaufgefordert ein Schreiben ein, in dem sie sich inhaltlich zur Beschwerdesache äussert (A.S. 31).

 

2.6     Die Beschwerdegegnerin stellt am 24. Mai 2022 neu folgende Anträge (A.S. 33 ff.):

1.    Die Beschwerde gegen den Einspracheentscheid vom 31. August 2021 sei wegen Gegenstandslosigkeit abzuschreiben.

2.    Gerichtskosten seien keine aufzuerlegen.

 

2.7     Die Beschwerdeführerin teilt am 28. Juli 2022 mit, sie könne sich keinen Anwalt leisten. Ausserdem reicht sie nochmals die Vollmacht für die Treuhand vom 17. Januar 2022 ein (A.S. 39 f.).

 

2.8     Am 16. August 2022 gelangt die Treuhand unter Beilage der bekannten Vollmacht vom 17. Januar 2022 an das Gericht und äussert sich nochmals zur Sache (A.S. 41 f.).

 

II.

 

1.       Vorab ist zu prüfen, wogegen sich die Beschwerde richtet und inwieweit darauf eingetreten werden kann.

 

1.1     Gegen Einspracheentscheide eines Sozialversicherungsträgers kann innert 30 Tagen ab Eröffnung beim kantonalen Versicherungsgericht Beschwerde erhoben werden (Art. 56 Abs. 1 und Art. 60 Abs. 1 Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts / ATSG, SR 830.1). Diese Frist beginnt am Tag nach der Eröffnung des Entscheides zu laufen (Art. 60 Abs. 2 i.V.m. Art. 38 Abs. 1 ATSG). Die Beschwerde muss spätestens am letzten Tag der Frist beim Gericht eingereicht zu dessen Handen der Schweizerischen Post (resp. einer schweizerischen diplomatischen konsularischen Vertretung) übergeben werden (Art. 60 Abs. 2 i.V.m. Art. 39 Abs. 1 ATSG).

 

1.2     Aus der Beschwerdeverbesserung vom 17. Januar 2022 geht hervor, dass die an das Versicherungsgericht weitergeleitete Eingabe der Treuhand vom 23. Dezember 2021 eine Einsprache gegen die Rückforderungsverfügung der ALK vom 3. November 2021 darstellt (s. E. I. 2.1 hiervor). Auf eine Beschwerde gegen diese Verfügung könnte denn auch gar nicht eingetreten werden, da es an einem Einspracheentscheid in dieser Sache und damit an einem zulässigen Anfechtungsobjekt fehlt. Die Angelegenheit ist daher insoweit zuständigkeitshalber an die ALK weiterzuleiten, damit diese die Eingabe vom 23. Dezember 2021 als Einsprache gegen die Verfügung vom 3. November 2021 behandelt (s. Art. 30 ATSG).

 

1.3     Die Eingabe vom 23. Dezember 2021 kann sinngemäss auch als Beschwerde gegen den Einspracheentscheid vom 31. August 2021 aufgefasst werden, in dem der Widerruf der Kurzarbeitsbewilligung bestätigt wurde, macht die Beschwerdeführerin doch geltend, ihr sei seinerzeit zu Recht Kurzarbeit bewilligt worden. Diesfalls stellt sich die Frage, ob die Beschwerdefrist eingehalten wurde. Die Beschwerdegegnerin vermag angesichts der gewählten Versandart nicht nachzuweisen, dass und gegebenenfalls wann der Einspracheentscheid der Beschwerdeführerin zugestellt wurde. Die Treuhand wiederum machte in ihrem Schreiben vom 24. November 2021 seitens der Beschwerdeführerin geltend, man habe den fraglichen Entscheid gar nie erhalten. Wie es sich damit verhält, muss indes nicht geklärt werden, da eine Beschwerde gegen den Widerruf der Kurzarbeitsbewilligung ohnehin abzuweisen wäre.

 

2.

2.1     Arbeitnehmende, deren normale Arbeitszeit verkürzt deren Arbeit ganz eingestellt ist, haben Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung (Art. 31 Abs. 1 Bundesgesetz über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung / AVIG, SR 837.0), wenn (kumulativ)

·      sie für die Versicherung beitragspflichtig sind das Mindestalter für die Beitragspflicht noch nicht erreicht haben (lit. a),

·      der Arbeitsausfall anrechenbar ist (lit. b),

·      das Arbeitsverhältnis nicht gekündigt ist (lit. c),

·      der Arbeitsausfall voraussichtlich vorübergehend ist und erwartet werden darf, dass durch Kurzarbeit ihre Arbeitsplätze erhalten werden können (lit. d).

 

2.2.   

2.2.1  Keinen Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung haben Arbeitnehmende, deren Arbeitszeit nicht ausreichend kontrollierbar ist (Art. 31 Abs. 3 lit. a AVIG). Die genügende Kontrollierbarkeit des Arbeitsausfalls setzt eine betriebliche Arbeitszeitkontrolle voraus (Art. 46b Abs. 1 Verordnung über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung / AVIV, SR 837.02). Der Arbeitszeitausfall ist nur dann kontrollierbar, wenn eine fortlaufende tägliche Arbeitszeiterfassung erfolgt. Dafür braucht es ein Zeiterfassungssystem wie z.B. Stempelkarten Stundenrapporte, aus dem hervorgeht, wann ein Arbeitnehmer die Arbeit effektiv aufnimmt und wann er sie wieder beendet. Dies gilt auch für kleine Betriebe (Barbara Kupfer Bucher, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum AVIG, 5. Aufl., Zürich 2019, S. 260 + 261).

 

2.2.2  Die Prüfung der betrieblichen Arbeitszeitkontrolle ist nicht Sache der Kantonalen Amtsstelle (d.h. der Beschwerdegegnerin) der Arbeitslosenkasse (AVIG-Praxis KAE B35), sondern erfolgt stichprobenweise durch die Ausgleichsstelle und die von ihr beauftragten Treuhandstellen (Art. 110 Abs. 4 AVIV, AVIG-Praxis KAE B36). Stellt sich nachträglich heraus, dass die genügende Kontrollierbarkeit des Arbeitsausfalls mangels einer geeigneten betrieblichen Arbeitszeitkontrolle verneint werden muss, wird die zu Unrecht ausbezahlte Kurzarbeitsentschädigung zurückgefordert (AVIG-Praxis KAE B36).

 

2.2.3  Sowohl die bundesrätliche Verordnung vom 20. März 2020 über Massnahmen im Bereich der Arbeitslosenversicherung im Zusammenhang mit dem Coronavirus (Covid-19-Verordnung Arbeitslosenversicherung, SR 837.033) als auch das Bundesgesetz über die gesetzlichen Grundlagen für Verordnungen des Bundesrates zur Bewältigung der Covid-19-Epidemie vom 25. September 2020 (Covid-19-Gesetz, SR 818.102) enthielten resp. enthalten abweichende Bestimmungen zur Kurzarbeit. Keine davon betrifft jedoch die Arbeitszeiterfassung, womit die entsprechende Regelung im AVIG und in der AVIV massgeblich bleibt.

 

2.3     Formell rechtskräftige Verfügungen und Einspracheentscheide sind in Revision zu ziehen, wenn nach ihrem Erlass erhebliche neue Tatsachen entdeckt Beweismittel aufgefunden werden, deren Beibringung zuvor nicht möglich war (Art. 53 Abs. 1 ATSG). Neue Tatsachen liegen vor, wenn sie sich vor Erlass des zu revidierenden Entscheides verwirklicht haben, aber trotz hinreichender Sorgfalt damals nicht bekannt waren. Die neuen Tatsachen müssen zudem erheblich sein, was dann der Fall ist, wenn sie die tatbestandliche Grundlage des rechtskräftigen Entscheides so zu ändern vermögen, dass bei zutreffender rechtlicher Würdigung ein anderer Entscheid resultiert (BGE 143 V 105 E. 2.3 S. 107 f.). Die neuen Tatsachen Beweismittel sind innert 90 Tagen nach deren Entdeckung geltend zu machen, spätestens jedoch innert zehn Jahren nach der Eröffnung des zu revidierenden Entscheides (Art. 67 Abs. 1 Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren [VwVG, SR 172.021] i.V.m. Art. 55 Abs. 1 ATSG). Praxisgemäss beginnt die relative 90tägige Revisionsfrist zu laufen, sobald bei der Partei eine sichere Kenntnis über die neue erhebliche Tatsache das entscheidende Beweismittel vorhanden ist. Blosse Vermutungen genügen dagegen nicht (BGE 143 V 105 E. 2.4 S. 108). Ergeben sich aus den neu entdeckten Tatsachen und Beweismitteln (lediglich) gewichtige Indizien für das Vorliegen eines prozessualen Revisionsgrundes, so hat die Verwaltung innert angemessener Frist die erforderlichen Abklärungen durchzuführen. Die relative Revisionsfrist beginnt diesfalls erst zu laufen, sobald es die Unterlagen erlauben, die Erheblichkeit des geltend gemachten Revisionsgrundes zu prüfen (a.a.O. E. 2.4 S. 109).

 

3.

3.1     Weder in den Akten der Beschwerdegegnerin und der ALK noch in den Unterlagen, welche die Beschwerdeführerin resp. die Treuhand im Beschwerdeverfahren beigebracht haben, finden sich Belege, aus denen eine detaillierte und echtzeitliche Erfassung der Arbeitszeiten hervorgeht. Vorhanden sind lediglich einige Lohnabrechnungen (ALK S. 17 / 37 f. / 63 ff. / 69 ff.) sowie nachträgliche Zusammenstellungen der Arbeitszeiten am Monatsende (ALK S. 18 / 22 f. / 51 f. / 56 f. / 75 f. / 85 f. / 98 f.). Beides eignet sich nicht als gesetzeskonforme Zeiterfassung (Kupfer Bucher, a.a.O., S. 261). Der Einwand, die Beschwerdeführerin habe keine Gelegenheit gehabt, fehlende Unterlagen nachzureichen, trifft nicht zu. Die Beschwerdegegnerin forderte die Beschwerdeführerin nämlich nach der Überweisung durch die ALK am 23. Juni 2021 auf, die gearbeitete Zeit mit geeigneten Mitteln zu belegen (AWA-Nr. 9).

 

Fehlt es aber im Zeitraum, für den Kurzarbeit bewilligt wurde, an einer zuverlässigen Erfassung der Arbeitszeit, so entfällt schon deshalb ein Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung (E. II. 2.2.1 hiervor). Es erübrigt sich folglich, auf die weiteren Vorbringen der Beschwerdegegnerin einzugehen. Die Rechtsanwendung von Amtes wegen schliesst die Substitution der Motive ein, d.h. das Gericht darf einen angefochtenen Entscheid mit anderen rechtlichen Überlegungen bestätigen (s. BGE 122 V 34 E. 2b S. 36 f.). Das rechtliche Gehör ist dann zu gewähren, wenn das Gericht beabsichtigt, seinen Entscheid mit Rechtsnormen zu begründen, die im bisherigen Verfahren nicht herangezogen wurden, auf die sich die beteiligten Parteien nicht berufen haben und mit deren Erheblichkeit sie im konkreten Fall nicht rechnen konnten (BGE 131 V 9 E. 5.4.1 S. 26). Im vorliegenden Fall machte die Beschwerdegegnerin in der Beschwerdeantwort auch eine mangelhafte Erfassung der Arbeitszeit im Betrieb der Beschwerdeführerin geltend (A.S. 20). Diese hätte im Anschluss Gelegenheit gehabt, eine Replik abzugeben und sich zu diesem Punkt zu äussern, worauf sie indes verzichtete (E. I. 2.3 hiervor). Die spätere Stellungnahme der Beschwerdeführerin vom 28. Juli 2022 (A.S. 39) sowie die Eingaben der Treuhand vom 13. Mai und 16. August 2022 (A.S. 31 + 41) gehen ebenfalls nicht auf die Zeiterfassung ein, obwohl jeweils die Möglichkeit dazu bestanden hätte. Dem Anspruch auf rechtliches Gehör ist damit Genüge getan. Das Gericht ist folglich befugt, die ungenügende Zeiterfassung in seinen Erwägungen zu berücksichtigen, ohne die Beschwerdeführerin zuvor noch einmal anhören zu müssen.

 

3.2     Lässt sich der Arbeitsausfall im Betrieb der Beschwerdeführerin nicht ordnungsgemäss belegen, so erhielt sie zu Unrecht für die Zeit vom 19. März bis 31. August 2020 sowie vom 21. Januar bis 20. April 2021 Kurzarbeit bewilligt. Die Beschwerdegegnerin war berechtigt, auf die beiden rechtskräftigen Verfügungen vom 27. April 2020 und 21. Januar 2021 zurückzukommen und den Anspruch auf Kurzarbeit rückwirkend neu zu beurteilen, sind doch die Voraussetzungen einer prozessualen Revision erfüllt (vgl. E. II. 2.3 hiervor): Die Tatsache, dass eine ordnungsgemässe Erfassung der Arbeitszeit unterblieb, ist offenkundig entscheidrelevant, führt sie doch dazu, dass der Anspruch auf Kurzarbeit entfällt. Als die Beschwerdegegnerin die Kurzarbeit bewilligte, war ihr die fehlende Arbeitszeiterfassung noch nicht bekannt. Sie war damals auch nicht gehalten, die Zeiterfassung durch die Beschwerdeführerin zu überprüfen (s. dazu E. II. 2.2.2 hiervor), weshalb man ihr keine mangelnde Sorgfalt bei der Bearbeitung der Voranmeldungen von Kurzarbeit vorwerfen kann. Die von der Beschwerdeführerin unterlassene Arbeitszeiterfassung gelangte der Beschwerdegegnerin vielmehr erst zur Kenntnis, nachdem die Arbeitslosenkasse die Angelegenheit am 2. Juni 2021 an die Beschwerdegegnerin überwiesen hatte, da ihr Zweifel an der Plausibilität des geltend gemachten Arbeitsausfalls gekommen waren (AWA-Nr. 7). Die Revisionsverfügung vom 29. Juli 2021 erging somit auf jeden Fall innert der Frist von 90 Tagen ab Kenntnis der neuen Tatsache.

 

3.3     Zusammenfassend hat die Beschwerdegegnerin ihre beiden Bewilligungen für Kurzarbeit vom 27. April 2020 und 21. Januar 2021 zu Recht wieder aufgehoben. Die Beschwerde stellt sich folglich in dieser Hinsicht als unbegründet heraus und ist abzuweisen, soweit darauf überhaupt eingetreten werden kann.

 

4.       In Beschwerdesachen der Arbeitslosenversicherung vor dem kantonalen Versicherungsgericht sind (abgesehen vom hier nicht interessierenden Fall einer mutwilligen leichtsinnigen Prozessführung) keine Verfahrenskos-

ten zu erheben, weil dies im AVIG nicht vorgesehen ist (s. Art. 61 lit. fbis ATSG).

 

Demnach wird erkannt:

1.    Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann.

2.    Die Akten werden im Sinne der Erwägungen zuständigkeitshalber zur Behandlung als Einsprache an die Öffentliche Arbeitslosenkasse des Kanton Solothurn weitergeleitet.

3.    Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.

Rechtsmittel

Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit der Mitteilung beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten eingereicht werden (Adresse: Bundesgericht, Schweizerhofquai 6, 6004 Luzern). Die Frist beginnt am Tag nach dem Empfang des Urteils zu laufen und wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar (vgl. Art. 39 ff., 82 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes, BGG). Bei Vor- und Zwischenentscheiden (dazu gehört auch die Rückweisung zu weiteren Abklärungen) sind die zusätzlichen Voraussetzungen nach Art. 92 93 BGG zu beachten.

 

Versicherungsgericht des Kantons Solothurn

Die Präsidentin                         Der Gerichtsschreiber

Weber-Probst                           Haldemann



 
Quelle: https://gerichtsentscheide.so.ch/
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