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Urteil Verwaltungsgericht (SO - VSBES.2022.229)

Zusammenfassung des Urteils VSBES.2022.229: Verwaltungsgericht

Die Beschwerdeführerin hat Klage gegen die IV-Stelle Solothurn eingereicht, da diese ihre Invalidenrente nicht erhöht hat. Die IV-Stelle hatte der Beschwerdeführerin zuvor eine halbe Invalidenrente zugesprochen, basierend auf einem psychiatrischen Gutachten. Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass sich ihr Gesundheitszustand verschlechtert habe, was zu häufigen Migräneattacken und einer Verschlechterung der psychischen Situation geführt habe. Die IV-Stelle führte daraufhin ein Revisionsverfahren durch, bei dem festgestellt wurde, dass keine rentenrelevante Veränderung vorliege und die Beschwerdeführerin weiterhin Anspruch auf die bisherige Viertelsrente habe. Die Beschwerdeführerin legte Beschwerde ein und forderte eine Erhöhung der Rente auf mindestens 50 %. Nach einer öffentlichen Verhandlung entschied das Versicherungsgericht, dass keine rentenrelevante Veränderung vorliege und wies die Beschwerde ab.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts VSBES.2022.229

Kanton:SO
Fallnummer:VSBES.2022.229
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Versicherungsgericht
Verwaltungsgericht Entscheid VSBES.2022.229 vom 23.01.2024 (SO)
Datum:23.01.2024
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:-
Schlagwörter: Arbeit; IV-Nr; Gutachten; Gutachter; Migräne; Recht; Persönlichkeit; Diagnose; Borderline; Stunden; Persönlichkeitsstörung; Arbeitsfähigkeit; Akten; Bericht; Behandlung; Rente; Beurteilung; Hinweis; Verfügung; Sicht; Migräneattacken
Rechtsnorm: Art. 123 ZPO ;Art. 36 ATSG ;Art. 44 ATSG ;Art. 6 ATSG ;Art. 8 ATSG ;
Referenz BGE:117 V 194; 122 V 157; 125 V 351; 127 V 294; 132 V 376; 137 V 210; 141 V 281; 141 V 9; 143 V 124; 143 V 318; 144 V 210; 144 V 224;
Kommentar:
-

Entscheid des Verwaltungsgerichts VSBES.2022.229

 
Geschäftsnummer: VSBES.2022.229
Instanz: Versicherungsgericht
Entscheiddatum: 23.01.2024 
FindInfo-Nummer: O_VS.2024.32
Titel: Invalidenrente

Resümee:

 

 

 

 

 

 

 


Urteil vom 23. Januar 2024

Es wirken mit:

Vizepräsident Flückiger

Oberrichterin Kofmel

Oberrichter Thomann

Gerichtsschreiber Lazar

In Sachen

A.___ vertreten durch Rechtsanwalt Claude Wyssmann

Beschwerdeführerin

 

gegen

IV-Stelle Solothurn, Allmendweg 6, 4528 Zuchwil,

Beschwerdegegnerin

 

betreffend     Invalidenrente (Verfügung vom 5. Oktober 2022)

 


 

zieht das Versicherungsgericht in Erwägung:

I.       

 

1.       Mit Verfügung vom 27. September 2011 (IV-Nr. 37) sprach die IV-Stelle des Kantons Bern der 1979 geborenen A.___ (nachfolgend: Beschwerdeführerin) eine halbe Invalidenrente mit Wirkung ab 1. September 2008 und eine Viertelsrente mit Wirkung ab 1. November 2009 zu. Sie stützte sich dabei auf das psychiatrische Gutachten von Dr. med. B.___, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH, vom 26. Dezember 2010 (IV-Nr. 27), welcher eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Typus Borderline (ICD-10 F60.31) und Zwangsgedanken und Handlungen gemischt (ICD-10 F42.2) diagnostizierte.

 

2.

2.1     Mit Schreiben vom 3. Dezember 2020 (IV-Nr. 48) liess die Beschwerdeführerin durch ihre Hausärztin Dr. med. C.___, Fachärztin für Allgemeine Innere Medizin FMH, eine Verschlechterung ihres gesundheitlichen Zustandes geltend machen. Dr. med. C.___ gab an, in den letzten Jahren sei es zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes gekommen mit sehr häufigen Migräneattacken und auch einer Verschlechterung der psychischen Situation, was insgesamt häufig Arbeitsunfähigkeiten nach sich ziehe.

 

2.2     In der Folge eröffnete die Beschwerdegegnerin ein Revisionsverfahren (IV-Nr. 50) und holte medizinische Berichte sowie einen Arbeitgeberbericht der Arbeitgeberin D.___ (nachfolgend: D.___; IV-Nr. 61) ein. Nach Rücksprache mit dem Regionalen Ärztlichen Dienst (RAD; vgl. IV-Nr. 55) liess die Beschwerdegegnerin die Beschwerdeführerin bidisziplinär begutachten (Fachdisziplinen Psychiatrie und Neurologie). Dieses Gutachten wurde durch Dr. med. E.___ und Dr. med. F.___, Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie sowie für Neurologie, beide von der G.___, am 6. Juli 2022 erstattet (IV-Nr. 70).

 

2.3     Nach Rücksprache mit dem RAD (vgl. IV-Nr. 74) und durchgeführtem Vorbescheidverfahren (vgl. IV-Nr. 75) kam die Beschwerdegegnerin mit Verfügung vom 5. Oktober 2022 (IV-Nr. 78; Aktenseiten [A.S.] 1 f.) zum Ergebnis, dass keine rentenrelevante Veränderung vorliege und wies eine Rentenerhöhung ab. Sie hielt fest, die Beschwerdeführerin habe weiterhin Anspruch auf die bisherige Viertelsrente.

 

3.       Gegen die Verfügung vom 5. Oktober 2022 lässt die Beschwerdeführerin am 7. November 2022 beim Versicherungsgericht des Kantons Solothurn (nachfolgend: Versicherungsgericht) fristgerecht Beschwerde erheben und folgende Rechtsbegehren stellen (A.S. 3 ff.):

 

1.   Die Verfügung der IV-Stelle vom 5. Oktober 2022 sei aufzuheben.

2.   a) Es sei der Beschwerdeführerin ab wann rechtens eine IV-Rente nach Massgabe eines IV-Grades von mindestens 50 % zuzusprechen, zzgl. Verzugszins zu 5 % ab wann rechtens.

b) Eventualiter: die Beschwerdesache sei zur Einholung eines medizinischen Gutachtens unter Einbezug mindestens der psychiatrischen und neurologischen Fachrichtungen an die Beschwerdegegnerin zurückzuweisen.

c) Subeventualiter: es sei ein Gerichtsgutachten einzuholen.

3.   Es sei eine öffentliche Verhandlung nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK durchzuführen.

4.   Der Beschwerdeführerin sei die volle unentgeltliche Rechtspflege und Rechtsverbeiständung unter gleichzeitiger Einsetzung des unterzeichneten Rechtsanwalts als unentgeltlicher Rechtsbeistand zu gewähren.

5.   Alles unter Kosten- und Entschädigungsfolge zu Lasten der Beschwerdegegnerin.

 

4.       Die Beschwerdegegnerin beantragt mit Eingabe vom 16. Januar 2023 (A.S. 35), die Beschwerde sei abzuweisen.

 

5.       Mit Eingabe vom 10. März 2023 (A.S. 39 ff.) reicht der Vertreter der Beschwerdeführerin seine Kostennote zu den Akten.

 

6.       Mit Verfügung vom 25. April 2023 (A.S. 44 f.) wird der Beschwerdeführerin ab Prozessbeginn die unentgeltliche Rechtspflege bewilligt und Rechtsanwalt Claude Wyssmann, [...], als unentgeltlicher Rechtsbeistand bestellt.

 

7.       Am 23. Januar 2024 findet die von der Beschwerdeführerin beantragte öffentliche Verhandlung statt. Die Beschwerdeführerin hält an ihren in der Beschwerde gestellten Rechtsbegehren fest und das Versicherungsgericht nimmt den anlässlich der Verhandlung abgegebenen Vergleich der Schlichtungsbehörde vom 7. Juni 2023 zu den Akten. Zudem gibt Rechtsanwalt Wyssmann anlässlich der Verhandlung eine aktualisierte Kostennote zu den Akten (A.S. 55). Im Übrigen wird für den Verlauf der Verhandlung auf das Protokoll verwiesen (A.S. 52 ff.).

 

8.       Auf die weiteren Ausführungen in den Rechtsschriften der Parteien wird, soweit erforderlich, in den folgenden Erwägungen eingegangen. Im Übrigen wird auf die Akten verwiesen.

 

II.      

 

1.

1.1     Die Sachurteilsvoraussetzungen (Einhaltung von Frist und Form, örtliche und sachliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts) sind erfüllt. Auf die Beschwerde ist einzutreten.

 

1.2     Für die Beurteilung eines Falles hat das Sozialversicherungsgericht grundsätzlich auf den bis zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Verfügung (hier: 5. Oktober 2022) eingetretenen Sachverhalt abzustellen (BGE 144 V 224 E. 6.1.1 S. 232, 131 V 242 E. 2.1 S. 243).

 

1.3.    Am 1. Januar 2022 trat das revidierte Bundesgesetz über die Invalidenversicherung (IVG, SR 831.20) in Kraft. Vorbehältlich besonderer übergangsrechtlicher Regelungen sind in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen materiellen Rechts-sätze massgeblich, die bei der Erfüllung des rechtlich zu ordnenden zu Rechtsfolgen führenden Tatbestands Geltung haben (statt vieler: BGE 144 V 210 E. 4.3.1 S. 213 mit Hinweisen). Dementsprechend ist der Anspruch für die Zeit bis Ende 2021 nach denjenigen materiellrechtlichen Normen zu beurteilen, welche damals in Kraft standen. Für Rentenbezügerinnen und -bezüger, deren Rentenanspruch vor dem 1. Januar 2022 entstanden ist und die zu diesem Zeitpunkt das 55. Altersjahr noch nicht vollendet haben, bleibt der bisherige Rentenanspruch auch ab dem 1. Januar 2022 so lange bestehen, bis sich der Invaliditätsgrad nach Art. 17 Abs. 1 des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG, SR 830.1) ändert (vgl. IVG, Übergangsbestimmungen zur Änderung vom 19. Juni 2020 [Weiterentwicklung der IV], lit. b Abs. 1).

 

2.       Seit der ab 1. Januar 2012 geltenden Rechtslage (6. IV-Revision) haben nach Art. 28 Abs. 1 IVG jene Versicherten Anspruch auf eine Rente, die ihre Erwerbsfähigkeit die Fähigkeit, sich im Aufgabenbereich zu betätigen, nicht durch zumutbare Eingliederungsmassnahmen wieder herstellen, erhalten verbessern können (lit. a), und die zusätzlich während eines Jahres ohne wesentlichen Unterbruch durchschnittlich mindestens 40 % arbeitsunfähig (Art. 6 ATSG) gewesen sind und nach Ablauf dieses Jahres zu mindestens 40 % invalid (Art. 8 ATSG) sind (lit. b und c). Gemäss Art. 28 Abs. 2 IVG besteht der Anspruch auf eine ganze Rente, wenn die versicherte Person mindestens 70 %, derjenige auf eine Dreiviertelsrente, wenn sie mindestens 60 % invalid ist. Bei einem Invaliditätsgrad von mindestens 50 % besteht Anspruch auf eine halbe Rente und bei einem Invaliditätsgrad von mindestens 40 % ein solcher auf eine Viertelsrente.

 

3.       Ändert sich der Invaliditätsgrad eines Rentenbezügers erheblich, so wird die Rente von Amtes wegen auf Gesuch hin für die Zukunft entsprechend erhöht, herabgesetzt aufgehoben (Art. 17 Abs. 1 ATSG). Anlass zur Rentenrevision gibt jede wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen seit Zusprechung der Rente, die geeignet ist, den Invaliditätsgrad und damit den Anspruch zu beeinflussen. Insbesondere ist die Rente bei einer wesentlichen Änderung des Gesundheitszustandes revidierbar. Hingegen ist die lediglich unterschiedliche Beurteilung eines im Wesentlichen gleich gebliebenen Sachverhalts im revisionsrechtlichen Kontext unbeachtlich (BGE 141 V 9 E. 2.3 S. 10 f. mit Hinweisen). Weder eine im Vergleich zu früheren ärztlichen Einschätzungen ungleich attestierte Arbeitsunfähigkeit noch eine unterschiedliche diagnostische Einordnung des geltend gemachten Leidens genügt somit per se, um auf einen verbesserten verschlechterten Gesundheitszustand zu schliessen; notwendig ist in diesem Zusammenhang vielmehr eine veränderte Befundlage (Urteil des Bundesgerichts 9C_541/2020 vom 1. März 2021 E. 2.1 mit weiteren Hinweisen). Liegt in diesem Sinne ein Revisionsgrund vor, ist der Rentenanspruch in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht umfassend («allseitig») zu prüfen, wobei keine Bindung an frühere Beurteilungen besteht (BGE 141 V 9 E. 2.3 S. 10 f. mit weiteren Hinweisen).

 

4.

4.1     Das Administrativverfahren vor der IV-Stelle wie auch der kantonale Sozialversicherungsprozess sind vom Untersuchungsgrundsatz beherrscht (Art. 43 Abs. 1 und Art. 61 lit. c ATSG). Danach haben IV-Stelle und Sozialversicherungsgericht den rechtserheblichen Sachverhalt von Amtes wegen festzustellen. Diese Untersuchungspflicht dauert so lange, bis über die für die Beurteilung des streitigen Anspruchs erforderlichen Tatsachen hinreichend Klarheit besteht. Der Untersuchungsgrundsatz weist enge Bezüge zum – auf Verwaltungs- und Gerichtsstufe ebenfalls in gleicher Weise geltenden – Prinzip der freien Beweiswürdigung (Art. 61 lit. c in fine ATSG) auf (einschliesslich die antizipierte Beweiswürdigung): Führt die pflichtgemässe, umfassende und sachbezogene Beweiswürdigung den Versicherungsträger das Gericht zur Überzeugung, der Sachverhalt sei hinreichend abgeklärt, darf von weiteren Untersuchungen (Beweismassnahmen) abgesehen werden. Ergibt die Beweiswürdigung jedoch, dass erhebliche Zweifel an Vollständigkeit und / oder Richtigkeit der bisher getroffenen Tatsachenfeststellungen bestehen, ist weiter zu ermitteln, soweit von zusätzlichen Abklärungsmassnahmen noch neue wesentliche Erkenntnisse zu erwarten sind (Urteil des Bundesgerichts 8C_308/2007 vom 9. April 2008 E. 2.2.1 mit vielen Hinweisen).

 

4.2     Versicherungsträger und Sozialversicherungsrichter haben die Beweise frei, d.h. ohne Bindung an förmliche Beweisregeln, sowie umfassend und pflichtgemäss zu würdigen (Art. 61 lit. c ATSG; BGE 125 V 351 E. 3a S. 352; Urteil des Bundesgerichts 9C_888/2011 vom 13. Juni 2012 E. 4.2). Für das Beschwerdeverfahren bedeutet dies, dass der Sozialversicherungsrichter alle Beweismittel, unabhängig davon, von wem sie stammen, objektiv zu prüfen und danach zu entscheiden hat, ob die verfügbaren Unterlagen eine zuverlässige Beurteilung des streitigen Rechtsanspruches gestatten. Insbesondere darf er bei einander widersprechenden medizinischen Berichten den Prozess nicht erledigen, ohne das gesamte Beweismaterial zu würdigen und die Gründe anzugeben, warum er auf die eine und nicht auf die andere medizinische These abstellt. Der Beweiswert eines ärztlichen Berichts hängt davon ab, ob der Bericht für die streitigen Belange umfassend ist, auf allseitigen Untersuchungen beruht, auch die geklagten Beschwerden berücksichtigt, in Kenntnis der Vorakten (Anamnese) abgegeben worden ist, in der Darlegung der medizinischen Zusammenhänge und in der Beurteilung der medizinischen Situation einleuchtet und ob die Schlussfolgerungen begründet sind (BGE 143 V 124 E. 2.2.2 S. 126 f., 134 V 231 E. 5.1 S. 232, 125 V 351 E. 3a S. 352).

 

Der im Sozialversicherungsrecht massgebende Beweisgrad ist derjenige der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 117 V 194 E. 3b S. 194 f.).

 

4.3     In Revisionsfällen ist zusätzlich zu beachten, dass sich eine medizinische Beurteilung, welche von einer früheren ärztlichen Einschätzung abweicht, hinreichend darüber aussprechen muss, inwiefern eine effektive Veränderung des Gesundheitszustandes stattgefunden hat. Die Feststellung einer Veränderung erfolgt durch eine Gegenüberstellung eines vergangenen und des aktuellen Zustandes. Der Beweiswert eines zwecks Rentenrevision erstellten Gutachtens hängt also wesentlich davon ab, ob es sich ausreichend auf das Beweisthema der erheblichen Änderung des Sachverhalts bezieht. Einer für sich allein betrachtet vollständigen, nachvollziehbaren und schlüssigen medizinischen Stellungnahme, die im Hinblick auf eine erstmalige Beurteilung der Rentenberechtigung tauglich wäre, mangelt es daher in der Regel am rechtlich erforderlichen Beweiswert, wenn sich die von einer früheren abweichenden ärztlichen Einschätzung nicht hinreichend darüber ausspricht, inwiefern eine effektive Veränderung des Gesundheitszustandes eingetreten ist. Vorbehalten bleiben Sachlagen, in denen es evident ist, dass die gesundheitlichen Verhältnisse sich verändert haben (Urteil des Bundesgerichts 8C_38/2013 vom 2. September 2013 E. 4.4.3). Ist eine anspruchserhebliche Änderung des Sachverhalts nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erstellt, bleibt es nach dem Grundsatz der materiellen Beweislast beim bisherigen Rechtszustand (a.a.O., E. 2.4).

 

5.      

5.1     In der angefochtenen Verfügung vom 5. Oktober 2022 wird mit Blick auf das Administrativgutachten vom 6. Juli 2022 festgestellt, dass sich keine rentenrelevante Veränderung der gesundheitlichen Situation der Beschwerdeführerin ergeben habe, welche sich auf die Arbeitsfähigkeit auswirke. Aus diesem Grund werde die Rentenerhöhung abgewiesen. Die Beschwerdeführerin habe weiterhin Anspruch auf die bisherige Viertelsrente.

 

5.2     Die Beschwerdeführerin lässt demgegenüber vorbringen, die Beschwerdegegnerin habe der Beschwerdeführerin vorgängig nicht die Namen der Experten mitgeteilt und somit sei auch der Hinweis unterblieben, dass sie Einwendungen gegen eine der beiden Gutachterpersonen resp. Gegenvorschläge innert zehn Tagen einreichen könne. Das Administrativgutachten vom 6. Juli 2022 könne beweisrechtlich nicht verwertet werden, weil die Beschwerdegegnerin die elementarsten Mitwirkungsrechte der Versicherten verletzt habe und somit eine schwere Gehörsverletzung vorliege. Das Administrativgutachten erfülle darüber hinaus auch die materiellen Anforderungen an die Beweistauglichkeit versicherungsexterner Gutachten nicht. So sei dem Gutachten nicht zu entnehmen, weshalb die Beschwerdeführerin in einer Anstellung im ersten Arbeitsmarkt, z.B. als Pferdepflegerin, weniger Stress empfinden sollte als in der gescheiterten geschützten Tätigkeit bei der D.___. In Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes wäre die Beschwerdegegnerin bei der vorliegend zu beurteilenden psychischen Störung gehalten gewesen, genaue Abklärungen zu den interpersonellen Anforderungen des geschützten Arbeitsplatzes, zu den Gründen der Auflösung des Arbeitsverhältnisses bei der D.___, aber auch zur konkreten Leistungsfähigkeit und zum (Arbeits-)Verhalten während der Dauer des dortigen Arbeitsverhältnisses einzuholen. Es müsse auch darauf hingewiesen werden, dass ohnehin zu wenig Informationsquellen bestanden hätten, zumal der psychiatrische Gutachter sich nur mit einem einzigen Interview begnügt habe und eine Fremdanamnese weder bezüglich des familiären Umfelds noch des Arbeitsumfelds betrieben worden sei und vom Gutachter selbst eingeräumt worden sei, dass er zwischen 2014 und 2020 über keine Vorberichte verfügt habe. Das psychiatrische Gutachten erweise sich auch sonst nicht als überzeugend. Schliesslich fehle im psychiatrischen Gutachten auch eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Bericht von Dr. med. H.___ vom 7. Oktober 2021.

 

6.       Formell bemängelt die Beschwerdeführerin, die Beschwerdegegnerin habe ihr vorgängig der Begutachtung nicht die Namen der Experten mitgeteilt, womit auch der Hinweis unterblieben sei, dass sie Einwendungen gegen eine beide Gutachtenspersonen resp. Gegenvorschläge innert zehn Tagen einreichen könne.

 

6.1     Gemäss den vorliegenden Akten wurde der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 2. Februar 2022 mitgeteilt, dass eine umfassende medizinische Untersuchung in den Fachdisziplinen Neurologie und Psychiatrie geplant sei (IV-Nr. 63). Die Beschwerdeführerin wurde darauf hingewiesen, dass die Wahl des Sachverständigen-Zweierteams nach dem Zufallsprinzip erfolge und sie über die an der Abklärung beteiligten Gutachterpersonen informiert werde, sobald diesen bekannt seien. Auch wurde sie darüber informiert, dass sie Gelegenheit erhalten werde, gegen diese Gutachterpersonen Ausstandsgründe schriftlich geltend zu machen. In der Folge wurde für die Begutachtung der Beschwerdeführerin zunächst die Gutachterstelle I.___ ausgelost (vgl. IV-Nr. 64). Der Auftrag wurde jedoch auf Bitten der Gutachterstelle annulliert (IV-Nr. 65) und daraufhin wurde die Gutachterstelle G.___, [...], ausgelost (IV-Nr. 66). Zu welchem Zeitpunkt die Beschwerdeführerin über die Namen der Gutachter informiert wurde, lässt sich den Akten nicht entnehmen.

 

6.2     Muss der Versicherungsträger zur Abklärung des Sachverhaltes ein Gutachten bei einem mehreren unabhängigen Sachverständigen einholen, so gibt er der Partei deren Namen bekannt. Diese kann innert zehn Tagen aus den Gründen nach Art. 36 Abs. 1 ATSG Sachverständige ablehnen und Gegenvorschläge machen (Art. 44 Abs. 2 ATSG, in der ab 1. Januar 2022 geltenden und hier massgeblichen Fassung).

 

6.3     Bezüglich der Zusammensetzung des Gutachterteams trifft es zu, dass dieses der versicherten Person gestützt auf Art. 44 ATSG bekannt zu geben ist. Diese Bestimmung regelt den Zeitpunkt der Bekanntgabe der Namen der sachverständigen Personen nicht ausdrücklich. Vom Normzweck her ist jedoch von einer vorgängigen Mitteilung auszugehen. Denn nur so wird gewährleistet, dass die Mitwirkungsrechte ihre Funktion erfüllen. Die Bestimmung fordert indessen nicht, dass die Namensnennung gleichzeitig mit der Anordnung der IV-Stelle über die durchzuführende Begutachtung zu erfolgen hat. Ein Zusammenlegen der beiden Mitteilungen ist zwar zweckmässig und rationell, jedoch im Rahmen der Begutachtung durch eine MEDAS aus sachlichen Gründen oftmals nicht praktikabel. Es muss daher genügen, wenn die Namen der Gutachter der versicherten Person erst zu einem späteren Zeitpunkt eröffnet werden. In jedem Fall muss dies aber frühzeitig genug erfolgen, damit sie in der Lage ist, noch vor der eigentlichen Begutachtung ihre Mitwirkungsrechte wahrzunehmen (BGE 132 V 376 E. 8.4).

 

6.4     Es ist aufgrund der Akten davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin höchstens kurz vor der eigentlichen Untersuchung in der G.___, nicht aber vorgängig im Sinne von BGE 132 V 376 E. 8.4 erfahren hat, von welchen Gutachtern Gutachterinnen die notwendigen Abklärungen durchgeführt werden. Zwar hat die Beschwerdeführerin vorliegend erst anlässlich der Begutachtung Kenntnis der einzelnen Begutachtungspersonen erlangt, doch hat sie diesbezüglich keine Ausstandsgründe geltend gemacht. Auch im Rahmen des Beschwerdeverfahrens wurden keinerlei Einwände gegen die jeweiligen Gutachter geltend gemacht. Unter diesen Umständen ist der Mangel der unterbliebenen Mitteilung jedenfalls als geheilt zu betrachten, ergeben sich doch auch aus den Akten keinerlei Gründe, welche die Gutachter als befangen erscheinen lassen.

 

7.       In materieller Hinsicht ist vorliegend streitig und vom Versicherungsgericht zu prüfen, ob die Beschwerdegegnerin die mit Verfügung der IV-Stelle Bern vom 27. September 2011 zugesprochene Viertelsrente zu Recht nicht mit Verfügung vom 5. Oktober 2022 erhöht hat. Diese Frage wird durch Vergleich des Sachverhaltes, wie er im Zeitpunkt der letztmaligen materiellen Rentenprüfung und demjenigen, wie er zur Zeit der streitigen Revisionsverfügung vom 5. Oktober 2022 bestanden hat, beurteilt (BGE 130 V 73 E. 3.1 mit Hinweisen; AHI 1999 S. 84 E. 1b).

 

7.1     Zum Zeitpunkt der letztmaligen umfassenden Rentenprüfung stellte die IV-Stelle Bern zur Klärung des medizinischen Sachverhalts im Wesentlichen auf das psychiatrische Gutachten von Dr. med. B.___, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH, vom 26. Dezember 2010 (IV-Nr. 27) ab. Demgemäss lagen bei der Beschwerdeführerin folgende Diagnosen vor:

 

1. Emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Typus Borderline (ICD-10 F60.31)

2. Zwangsgedanken und Handlungen gemischt (ICD-10 F42.2)

 

Aufgrund der Beschwerden von Seiten der emotional instabilen Persönlichkeitsstörung des Typus Borderline, insbesondere der affektiven Instabilität, der zeitweiligen Kontrollverluste über ihre Aggressionen, der Kränkbarkeit, der ausgeprägten Selbstwertproblematik, der Versagensängste, der Konflikthaftigkeit in Beziehung mit Mitmenschen, der Frustrationsintoleranz sowie, allerdings in geringem Ausmass, aufgrund der Zwangshandlungen sei die Arbeitsfähigkeit der Explorandin in ihrer aktuellen wie in medizinisch-theoretischer Hinsicht auch in einer alternativen Tätigkeit als zu 40 % eingeschränkt zu beurteilen. Eine zusätzliche Verminderung der Leistungsfähigkeit bestehe nicht. Wie bereits erwähnt worden sei, liessen sich bei der Explorandin auch Ressourcen und weitgehend intakte Coping-Strategien feststellen, auf welche sie sich bei der Ausübung ihrer Restarbeitsfähigkeit stützen könne. Die 40%ige Einschränkung bestehe seit einem Jahr. Zuvor sei von einer 50%igen Einschränkung der Arbeitsfähigkeit auszugehen gewesen seit dem Jahre 2004. Vor einem Jahr sei es zu einer Verbesserung sowohl der affektiven Instabilität wie auch des Selbstverletzungsverhaltens gekommen.

 

7.2     Im Zeitpunkt der angefochtenen Verfügung vom 5. Oktober 2022 lagen folgende Unterlagen zum medizinischen Sachverhalt vor:

 

7.2.1  Im Bericht der Hausärztin Dr. med. C.___, Fachärztin für Allgemeine Innere Medizin FMH, an die Beschwerdegegnerin vom 8. Januar 2021 (IV-Nr. 51) wurden folgende Diagnosen mit Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit genannt:

 

-   Starke Migräne (ICD-10 G43)

-   Depression (ICD-10 F33) mit Borderline-Störung (ICD-10 F60.6)

-   Panikstörung (ICD-10 F41.0)

 

Diagnosen ohne Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit:

 

-   Arterielle Hypertonie

-   St. n. Morbus Basedow, St. n. Therapie mit Neo-Mercazol 06/16 – 12/16

-   Leichte AC-Gelenksarthrose rechts

 

Die Patientin leide seit der Kindheit an rezidivierenden Migräne-Anfällen. Sie sei in dieser Zeit auch neurologisch untersucht worden. Exazerbiert sei die Situation nach plötzlichem Versterben ihres Vaters (47-jährig, 1998), was zu wiederholten depressiven Episoden und Panikattacken geführt habe und auch rezidivierend psychiatrische ambulante Behandlungen nötig gemacht habe und immer noch notwendig seien. Die Patientin habe auch mehrfach Suizidversuche hinter sich. Im Verlauf Diagnose einer Borderline-Störung. Am aktuellen Arbeitsplatz leide die Patientin mehrtägig wöchentlich unter Migräne-Anfällen, was die psychische Situation zusätzlich verschlechtere. Leider sei ihr behandelnder Psychiater Dr. med. J.___ 2018 unerwartet verstorben, danach habe bisher leider kein Psychiater/In mehr gefunden werden können, welcher ihr habe helfen können. Bisher sei sie bei Dr. med. K.___ in Behandlung, wo sie aber schlussendlich nicht weitergekommen sei bzw. schlussendlich eine Arbeitsplatzproblematik vorliege, welche nicht gelöst werden könne. Aktuell sei die Patientin zu 100 % krankgeschrieben. Dadurch gehe es ihr besser, leide maximal noch einmal im Monat an Migräneanfällen, was die Abhängigkeit derselben vom Arbeitsplatz deutlich mache. Aufgrund der psychiatrischen Diagnose habe die Patientin keine Chancen im ersten Arbeitsmarkt.

 

7.2.2  Dem Bericht des Spitals L.___, Klinik für Neurologie, vom 17. Februar 2021 (IV-Nr. 60) lässt sich die Diagnose einer Chronischen Migräne (ICD-10 G43.0) entnehmen. Die Patientin habe seit der Kindheit eine klassische Migräne ohne Aura, die initial gut auf Panadol angesprochen habe. Über die letzten Jahre berichte sie über einen zunehmenden Schmerzmittelkonsum, der mit einer Zunahme von Kopfschmerztagen parallel verlaufen sei, so dass aktuell vor allem ein Medikamentenübergebrauch-Kopfschmerz gesehen werde, DD chronisch Migräne.

 

7.2.3  Dem Bericht der Praxis M.___ vom 18. Februar 2020 (recte: 2021; IV-Nr. 53) lässt sich entnehmen, dass die Beschwerdeführerin vom 25. März 2019 bis 4. August 2020 bei Dr. med. J.___ (verstorben) in psychiatrischer Behandlung gewesen sei. Als Diagnosen mit Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit wurden eine Borderlinestörung sowie ein Verdacht auf kombinierte Persönlichkeitsstörung mit emotional instabilen, ängstlich-vermeidenden und abhängigen Anteilen (ICD-10 F61.0) genannt. Als Diagnose ohne Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit wurde Migräne genannt. Im Verlaufe ihrer Psychotherapie sei der Arbeitsort der Beschwerdeführerin immer ein Thema gewesen. Damals habe sie in einer Verteilstelle der […] gearbeitet. Die Patientin habe sich überfordert gefühlt, habe grosse Schwierigkeiten gehabt, sich einzugliedern und habe oft an Migräneanfällen gelitten, die zu Absenzen am Arbeitsplatz geführt hätten. Als sie während der ersten Welle der Pandemie mehrere Monate zu Hause gewesen sei (Risikopatientin), seien all ihre Probleme plötzlich verschwunden gewesen. Sie habe in den Therapiesitzungen viel ausgeglichener und gelassener gewirkt. Dies habe zur Schlussfolgerung geführt, dass sie eigentlich in Psychotherapie sei, um den Druck und die Überforderung am Arbeitsplatz aufzuarbeiten. Die Prognose zur Eingliederung sei eher schlecht. Die Patientin zeige klare Anzeichen einer ausgeprägten Borderlinestörung. Das Problem sei, dass sie diese Diagnose nicht anerkennen wolle und somit eine Therapie wenig bringe, wenn es an Krankheitseinsicht fehle. Die Patientin zeige eigentlich zwei Verhaltensauffälligkeiten: Wenn sie sich im therapeutischen Prozess einfühlsam und wohlwollend begleitet fühle, dann wirke sie eher ängstlich-vermeidend und abhängig. Sie erfülle dabei auch viele der im ICD-10 genannten Diagnosekriterien beider Persönlichkeitsstörungen. Wenn im therapeutischen Prozess aber Dinge gefordert angesprochen worden seien, die nicht ihren Bedürfnissen Wünschen entsprächen, dann reagiere sie stark emotional, manipulativ, fordernd und unangepasst. Sie neige in solchen Situationen zu vorschnellen Beziehungsabbrüchen. Beide Verhaltensauffälligkeiten wiesen auf eine ungesunde und instabile Form der Bindung mit tiefem Selbstwert hin. Die Beschwerdeführerin befinde sich nicht mehr in der Praxis in Therapie.

 

7.2.4  Gemäss Bericht der behandelnden Psychiaterin Dr. med. H.___, Fachärztin FMH für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 7. Oktober 2021 (IV-Nr. 59) befinde sich die Beschwerdeführerin seit 24. Juni 2021 bei ihr in Behandlung. Als Diagnosen mit Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit wurden eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F60.31) mit deutlich gesunkenem Funktionsniveau sowie schweres Migräneleiden genannt. Die Patientin zeige deutliche Züge einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung. Sie sei sehr eingeschränkt in ihrer Fähigkeit, mit veränderten Situationen umzugehen. Bei Konflikten versage sie völlig und gerate in eine unerträgliche innere Anspannung, was zu Migräneanfällen bzw. auch selbstverletzendem Verhalten führe. Sie habe wenig Ressourcen, mit Konflikten umzugehen. Sie könne sich nicht in eine Gruppe einfügen bzw. in einer sozial adäquaten Art interagieren. Die ständigen Konflikte mit anderen bestätigten ihr stets, dass sie «komisch» sei und mit anderen Menschen nicht auskomme, obwohl sie sich aus ihrer Sicht immer bemühe. Je häufiger sie eine solche Erfahrung mache, desto negativer sei sie in der Interaktion mit anderen Menschen eingestellt und erwarte schon Konflikte. Sie neige zum Perfektionismus und könne kaum Kompromisse eingehen. Sie sei psychisch nicht belastbar und habe ein geringes Durchhaltevermögen. Sie befinde sich ständig in einem Nähe-Distanzkonflikt. Menschen kämen ihr schnell zu nah, sie fühle sich von ihnen nicht ernstgenommen, wenn sie zu sehr distanziert seien. Diese innerpsychischen Konflikte kosteten sie sehr viel Kraft und reduzierten sie in ihrer Leistungsfähigkeit. Sie sei schnell erschöpft und setze sich nur ungern mit Menschen auseinander. Die Patientin sei derzeit krankgeschrieben, weil sie dem Druck bzw. den Konflikten in der geschützten Werkstätte in der D.___ nicht mehr standgehalten habe. Derzeit sei die Patientin nicht eingliederungsfähig. Auch seien ihr derzeit keine Tätigkeiten zumutbar. Die Prognose sei sehr schlecht.

 

7.2.5  Im bidisziplinären neurologisch-psychiatrischen Gutachten von Dr. med. E.___ und Dr. med. F.___, Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie sowie für Neurologie, beide von der G.___, vom 6. Juli 2022 wurden folgende Diagnosen gestellt (IV-Nr. 70):

 

-   Mischkopfschmerz: Migräne ohne Aura und stress-assoziierte Spannungskopfschmerzen, ggw. mit niedrigerer Frequenz und Intensität

-   Emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typus (ICD-10 F60.30/31)

-   Zwangsstörung mit Zwangsgedanken und Zwangshandlungen gemischt (ICD-10 F42.2)

-   Rezidivierende depressive Störung, aktuell remittiert (ICD-10 F33.0)

 

Aufgrund der Mischkopfschmerzen ergäben sich aktuell keine Anknüpfungspunkte mehr für eine diesbezügliche funktionelle Einschränkung, allenfalls sporadisch. An psychischen Funktionsstörungen bestünden bei der Versicherten leichtere agoraphobische, soziophobische und klaustrophobische Symptome sowie aufgrund der Borderline-Erkrankung erhebliche Schwierigkeiten im Sozialkontakt, insbesondere Letzteres werde auch von der Versicherten in der Selbsteinschätzung so gesehen und reflektiere sich durchgängig in der Aktenlage, insbesondere auch in den Berichten zu Wiedereingliederungsversuchen. Die Versicherte sei aufgrund ihrer Persönlichkeit leicht kränkbar und neige bei Konflikten, insbesondere am Arbeitsplatz, zu emotionaler Instabilität und habe angegeben, dass sich dann häufig vermehrt Migräne-Attacken entwickeln würden. Diese Kombination aus seelischen und körperlichen Reaktionen auf interaktionelle Schwierigkeiten reduzierten das psychophysische Restleistungsvermögen bei der Versicherten. Aus psychiatrischer Sicht könne aufgrund der Befundlücke zwischen 2010 und 2020 über die fernere Vergangenheit keine genauere Aussage gemacht werden. Ab 2020 sei die Arbeitsfähigkeit aus psychiatrischer Sicht in der bisherigen Tätigkeit 60 % bezogen auf ein 100%-Pensum. Aus neurologischer Sicht ergäben sich keine Anknüpfungspunkte dahingehend, dass die berufliche Leistungsfähigkeit aufgrund von Kopfschmerzen längerdauernd dauerhaft reduziert worden sei. Aus psychiatrischer Sicht stelle die Tätigkeit als Pferdepflegerin für die Versicherte eine optimal angepasste Tätigkeit dar. In dieser Tätigkeit gebe es nach gutachterlichem Verständnis weniger Potential für interaktionelle Konflikte, wie sie zum Beispiel bei Tätigkeiten mit schwierigem konfrontativem Publikumsverkehr bei Tätigkeiten, die ausgesprochene Teamfähigkeit und Flexibilität erforderten, aufträten. Aus neurologischer Sicht stelle die Tätigkeit als Pferdepflegerin ebenfalls eine optimal angepasste Tätigkeit dar, da diese nicht mit erheblichen Zeitdruck Stress verbunden sei.

 

7.2.6  RAD-Ärztin Dr. med. N.___, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie sowie für Neurologie, schliesst sich in ihrer Stellungnahme vom 14. Juli 2022 (IV-Nr. 74) den Beurteilungen der beiden Gutachter an.

 

8.       Die Beschwerdegegnerin stützt sich in ihrem ablehnenden Entscheid im Wesentlichen auf das bidisziplinäre neurologisch-psychiatrische Gutachten von Dr. med. E.___ und Dr. med. F.___ vom 6. Juli 2022 (IV-Nr. 70), weshalb vorweg dessen Beweiswert zu prüfen ist:

 

8.1     Das bidisziplinäre Gutachten wird den allgemeinen rechtsprechungsgemässen Anforderungen gerecht. Es stammt von unabhängigen Fachärzten, welche die Beschwerdeführerin eingehend untersucht und die Anamnese erhoben haben (IV-Nr. 70, S. 13 ff. und 35 ff.). Wie das Aufführen und Zusammenfassen der Akten in chronologischer Reihenfolge erkennen lässt, wurde das Gutachten zudem in Kenntnis der Vorakten (Anamnese) erstellt (IV-Nr. 70, S. 54 ff.). Das Gutachten erfüllt die grundsätzlichen Anforderungen an eine beweiskräftige Expertise.

 

8.2     Weiter ist zu prüfen, ob das Gutachten auch den übrigen beweisrechtlichen Anforderungen genügt:

 

8.2.1  Dem psychiatrischen Gutachten (IV-Nr. 70, S. 12 ff.) liegt eine umfangreiche Befund- und Anamneseerhebung zugrunde. Dr. med. E.___ beschäftigte sich in seiner medizinischen Beurteilung eingehend mit den Vorakten und den von der Beschwerdeführerin beklagten Beschwerden. Seine Schlussfolgerungen sind ausführlich und nachvollziehbar (IV-Nr. 70, S. 24 ff.): Abgestützt auf die Eigenanamnese, die Aktenlage und den klinischen Befund sei die Diagnose einer Borderline-Persönlichkeitsstörung bei der Versicherten schlüssig. Des Weiteren sei die Diagnose einer Zwangserkrankung mit Zwangsgedanken und Zwangshandlungen in leichtgradiger Ausprägung plausibel. Hinweise auf eine Borderline-Persönlichkeitsstörung ergäben sich aus der Eigenanamnese der Versicherten mit berichteter affektiver Instabilität, Schwierigkeiten in der Aufrechterhaltung längerer zwischenmenschlicher Beziehung und einer Neigung zu instabilen Beziehungen, dem selbstberichteten Gefühl innerer Leere und den wiederholten Selbstverletzungen durch Ritzen in Anspannungssituationen. Ziehe man die Aktenlage hinzu, so gebe es erste Berichte über eine psychische Erkrankung von der Allgemeinärztin Dr. med. O.___ aus dem Jahre 2009. Diese berichtete über eine Vorbehandlung im Jahr 2005 vom Psychiatriezentrum im P.___. Damals habe die Versicherte sechs Monate medikamentöse antidepressive Therapie erhalten. Des Weiteren berichtete Dr. med. O.___ über eine medikamentöse Vorbehandlung mit dem Antidepressivum Venlafaxin 75 mg, die gegen Depression gegeben worden seien. Das P.___ habe die Diagnose eines Borderlinesyndroms gestellt. Die Psychiaterin Dr. med. Q.___ habe 2009/2010 die Diagnosen emotional-instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typus sowie Zwangsstörung gemischt gestellt, die angesichts ihres Berichtes plausibel seien. Ausführlichste Unterlage sei das psychiatrische Gutachten für die IV von Dr. med. B.___ von Ende 2010. In diesem habe er eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typus sowie Zwangsgedanken und Zwangshandlungen gemischt diagnostiziert, was, abgestützt auf sein Gutachten, schlüssig sei. Zwischen 2010 und 2020 finde sich punktuell nur ein Befund aus 2014 von dem Psychiater Dr. med. J.___ ohne verwertbare Informationen, sodass in der Summe zwischen 2010 und 2020 keinerlei psychiatrische Unterlagen vorlägen. Per Februar 2020 sei im R.___ die Diagnose einer Borderline-Persönlichkeitsstörung gestellt und differentialdiagnostisch eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit emotional instabilen, ängstlich-vermeidenden und abhängigen Anteilen vermutet worden. Es finde sich dann der Befund von Dr. med. H.___ vom Oktober 2021, in dem diese die Diagnose einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung gestellt habe, die Diagnose einer Zwangserkrankung sei nicht gestellt worden. In der Summe sei die Diagnose einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typus sicher zu stellen. Die Diagnose Zwangshandlung und Zwangsgedanken gemischt sei aus psychiatrischer Sicht plausibel, allerdings seien die Zwangssymptome bei der Versicherten nur sehr leichtgradig ausgeprägt und hätten nicht zu relevanten Funktionsstörungen Funktionseinschränkungen im sozialen beruflichen Alltag geführt. Zu diskutieren sei die Diagnose einer rezidivierenden depressiven Störung. Im aktuellen psychiatrischen Querschnittsbefund habe es keine Hinweise auf eine relevante depressive Symptomatik gegeben, die von der Versicherten eigenanamnestisch beschriebenen Beschwerden und auch im Befund feststellbaren Auffälligkeiten seien unter die Borderline-Persönlichkeitsstörung zu subsumieren. Eine Depression sei eine sehr häufige Komorbidität bei Borderline-Persönlichkeitsstörungen. Somit sei es plausibel, dass in der Vergangenheit relevante depressive Episoden aufgetreten seien, insbesondere unter Berücksichtigung der Angaben von Dr. med. O.___ über frühere depressive Episoden, die auch psychiatrisch und medikamentös behandelt worden seien. Dies passe auch zur Eigenanamnese der Versicherten, die über depressive Phasen in der Vergangenheit berichtet habe. Somit sei aus gutachterlicher Sicht die Diagnose einer rezidivierenden depressiven Störung zu stellen, aktuell remittiert. Wie weiter oben angegeben, seien aktuell vorhandene einzelne Symptome wie Grübeln und andere unter die Borderline-Persönlichkeitsstörung zu subsumieren, in jedem Fall liege bei der Versicherten derzeit keine gravierende depressive Symptomatik vor. Dabei fänden sich bei der Versicherten eigenanamnestisch und anhand der Aktenlage Hinweise, die rein formal klassifikatorisch dem impulsiven Typ zuzuschreiben seien, wie die emotionale Instabilität und teilweise auch dem Borderline-Typ mit z.B. Neigung zu unbeständigen Beziehungen. In der erweiterten psychiatrischen Differentialdiagnostik gebe es keine Hinweise auf ein ADHS eine posttraumatische Belastungsstörung. Es gebe keinen Hinweis auf eine bipolare Störung, eine Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis, eine Essstörung, somatoforme Störung, Somatisierungsstörung Abhängigkeitserkrankung.

 

8.2.2  In Bezug auf die Arbeits(un)fähigkeit gelangt der Gutachter sodann zum Schluss, es bestünden bei der Versicherten plausiblerweise aufgrund der Borderline-Persönlichkeitsstörung und der leichtgradigen Zwangserkrankung Funktions- und Fähigkeitsstörungen, die das Restleistungsvermögen in der angestammten Tätigkeit reduzierten, das Restleistungsvermögen sei jedoch nicht vollständig aufgehoben. Die emotionale Instabilität, die leichte Kränkbarkeit, sowie die Schwierigkeiten der Versicherten im interaktionellen Bereich führten zusammen mit der leichtgradigen Zwangssymptomatik dazu, dass die Versicherte mehr psychische Ressourcen aufbringen müsse, um ihre psychische Stabilität aufrecht zu erhalten, was insgesamt das psychophysische Restleistungsvermögen und die Dauerbelastbarkeit vermindere. Die angestammte Tätigkeit werde angegeben mit Pferdepflegerin im 60%-Pensum. Aus psychiatrischer Sicht könne die Versicherte diese Tätigkeit noch weiter fünf Stunden am Tag ausüben. Es bestünden keine Einschränkungen der Leistung während der Anwesenheitszeit (IV-Nr. 70, S. 30). Die Tätigkeit als Pferdepflegerin stelle für die Versicherte eine optimal angepasste Tätigkeit dar. In dieser Tätigkeit gebe es nach dem Verständnis des Gutachters weniger Potential für interaktionelle Konflikte, wie sie zum Beispiel bei Tätigkeiten mit schwierigem konfrontativem Publikumsverkehr bei Tätigkeiten, die ausgesprochene Teamfähigkeit und Flexibilität erforderten, aufträten (IV-Nr. 70, S. 31).

 

Zum zeitlichen Verlauf der Arbeitsfähigkeit führte der Gutachter aus, aufgrund einer psychiatrischen Befundlücke zwischen 2010 und 2020 könne über die fernere Vergangenheit keine genauere Aussage gemacht werden. Ab 2020 sei die Arbeitsfähigkeit mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf 60 % bezogen auf ein 100 % Pensum einzuschätzen (IV-Nr. 30 f.). Auf die Frage der Beschwerdegegnerin hin, ob sich im Vergleich zur medizinischen Aktenlage, die der Verfügung vom 27. September 2011 zugrunde lag, eine Veränderung des Gesundheitszustandes ergeben habe, antwortete Dr. med. E.___ mit Nein. Abgestützt auf die im Gutachten von Dr. med. B.___ vom 26. Dezember 2010 (IV-Nr. 27; E. II. 7.1 hiervor) erhobenen Befunde und Diagnosen gebe es bei der Versicherten keine Hinweise auf eine durchgreifende Veränderung des Gesundheitszustandes auf psychiatrischem Fachgebiet (IV-Nr. 70, S. 32).

 

8.2.3  Gemäss dem Urteil des Bundesgerichts 8C_841/2016 vom 30. November 2017 sind sämtliche psychische Erkrankungen einem strukturierten Beweisverfahren gemäss BGE 141 V 281 zu unterziehen, welches durch den psychiatrischen Gutachter bzw. die psychiatrische Gutachterin dementsprechend zu prüfen ist. Der Beweiswert der gutachterlichen Ausführungen im psychiatrischen Gutachten setzt also im Weiteren voraus, dass die im entsprechenden Entscheid aufgestellten Kriterien abgehandelt werden. Gemäss diesem Urteil soll der Gutachter stärker darauf achten, die Diagnosen so zu begründen, dass die Rechtsanwender nachvollziehen können, ob die klassifikatorischen Vorgaben nach ICD-10 tatsächlich eingehalten sind (Urteil E. 2.1); das Augenmerk ist namentlich auch auf Ausschlussgründe wie Aggravation zu richten (E. 2.2). Bei den psychosomatischen Beschwerdebildern – wie beispielsweise bei der somatoformen Schmerzstörung – besteht zudem keine Vermutung mehr, dass solche mit einer Willensanstrengung überwunden werden können, wovon nur abgewichen werden darf, wenn die sog. Förster-Kriterien erfüllt sind. Neu wird ein strukturierter, normativer Prüfungsraster angewandt (E. 3.6). Anhand eines Kataloges von Indikatoren erfolgt eine ergebnisoffene symmetrische Beurteilung des – unter Berücksichtigung leistungshindernder äusserer Belastungsfaktoren einerseits und Kompensationspotentialen (Ressourcen) andererseits – tatsächlich erreichbaren Leistungsvermögens (E. 4.1.3):

 

1)    Kategorie «funktioneller Schweregrad» (E. 4.3)

a)    Komplex «Gesundheitsschädigung» (E. 4.3.1)

-       Ausprägung der diagnoserelevanten Befunde (E. 4.3.1.1)

-       Behandlungs- und Eingliederungserfolg -resistenz (E. 4.3.1.2)

-       Komorbiditäten (E. 4.3.1.3)

b)    Komplex «Persönlichkeit» (Persönlichkeitsdiagnostik, persönliche Ressourcen; E. 4.3.2)

c)    Komplex «Sozialer Kontext» (E. 4.3.3)

2)    Kategorie «Konsistenz» (Gesichtspunkte des Verhaltens; E. 4.4)

-       gleichmässige Einschränkung des Aktivitätenniveaus in allen vergleichbaren Lebensbereichen (E. 4.4.1)

-       behandlungs- und eingliederungsanamnestisch ausgewiesener Leidensdruck (E. 4.4.2)

 

Bei der Anspruchsprüfung nach BGE 141 V 281 ist zunächst auf die Ausprägung der diagnoserelevanten Befunde einzugehen. Diesbezüglich kann auf die gutachterlichen Ausführungen (E. II. 8.2.1 und 8.2.2 hiervor) verwiesen werden, woraus hervorgeht, dass die Beschwerdeführerin vor allem aufgrund der Borderline-Persönlichkeitsstörung mittelgradig bis schwer eingeschränkt ist.

 

Hinsichtlich des Indikators Behandlungs- und Eingliederungserfolg resp. -resistenz führt der Gutachter aus, dass zwischen 2010 und 2020 keine psychiatrische Behandlung stattgefunden zu haben scheine. Die Versicherte sei ab ca. 2013 durchgehend tätig gewesen an einem geschützten Arbeitsplatz in der D.___. Klare Hinweise auf Kooperationsprobleme gebe es nicht, allerdings beschreibe die Versicherte ein ungenügendes therapeutisches Bündnis mit ihrer Psychiaterin. Eine störungsspezifische Richtlinienpsychotherapie erfolge nicht. Es erfolge keine leitliniengerechte psychopharmakologische Behandlung, somit sei das Behandlungspotential bei der Versicherten bei Weitem nicht ausgeschöpft. An Behandlungsoptionen bestünden die Aufnahme einer störungsspezifischen Richtlinienpsychotherapie, konkret im Fall der Versicherten in Anlehnung an die dialektisch behaviorale Therapie (DBT), mit ggf. zusätzlichen Elementen nach Massgabe des ambulant behandelnden Psychotherapeuten. Des Weiteren bestehe die Möglichkeit einer psychopharmakologischen Unterstützung zur symptomatischen Behandlung von einzelnen Symptomen. Aus Sicht des Gutachters bestehe bei der Versicherten ein gutes Eingliederungspotenzial (IV-Nr. 70, S. 28 f.). Die Arbeitsfähigkeit der Versicherten könne noch verbessert werden durch die Aufnahme der genannten Massnahmen. Hierunter sei es medizintheoretisch möglich, dass sich das Restleistungsvermögen der Versicherten innerhalb von 12 Monaten auf geschätzt sechs Stunden verbessere. Aufgrund der langjährigen Krankheitsgeschichte und einer wohl fehlenden Therapie zwischen 2010 und 2020 und der Tatsache, dass die Versicherte seit nahezu 10 Jahren nicht mehr vollschichtig gearbeitet habe und somit eine erhebliche Dekonditionierung vorliege, sei auch bei optimaler Behandlung nicht zu erwarten, dass das Restleistungsvermögen auf acht Stunden pro Tag gesteigert werden könne (IV-Nr. 70, S. 32). Gestützt auf diese Ausführungen kann somit weder von einer Behandlungsresistenz noch von einer definitiven Eingliederungsresistenz ausgegangen werden.

 

Mit Blick auf den Indikator der Komorbidität ist zu prüfen, ob und bejahendenfalls inwieweit sich diese ressourcenhemmend auf die versicherte Person auswirkt. Erforderlich ist eine Gesamtbetrachtung der Wechselwirkungen und sonstigen Bezüge der psychiatrischen Diagnosen zu sämtlichen begleitenden krankheitswertigen Störungen. Das strukturierte Beweisverfahren, wie es in BGE 141 V 281 definiert wurde, steht einer Aufteilung von Einbussen auf einzelne Leiden entgegen, da es auf einer ergebnisoffenen Gesamtbetrachtung in Berücksichtigung der Wechselwirkungen basiert. Gemäss BGE 143 V 318 ist E. 4.3.1.3 von BGE 141 V 281 so zu verstehen, dass Störungen unabhängig von ihrer Diagnose bereits dann als rechtlich bedeutsame Komorbidität in Betracht fallen, wenn ihnen im konkreten Fall ressourcenhemmende Wirkung beizumessen ist. Im Gutachten wird eine ressourcenhemmende Wirkung der Borderline-Persönlichkeitsstörung beschrieben und bei der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit berücksichtigt. Konkret führte Dr. med. E.___ aus, es bestünden bei der Versicherten plausiblerweise aufgrund der Borderline-Persönlichkeitsstörung und der leichtgradigen Zwangserkrankung Funktions- und Fähigkeitsstörungen, die das Restleistungsvermögen in der angestammten Tätigkeit reduzierten, das Restleistungsvermögen sei jedoch nicht vollständig aufgehoben. Die emotionale Instabilität, leichte Kränkbarkeit, sowie die Schwierigkeiten der Versicherten im interaktionellen Bereich führten zusammen mit der leichtgradigen Zwangssymptomatik dazu, dass die Versicherte mehr psychische Ressourcen aufbringen müsse, um ihre psychische Stabilität aufrecht zu erhalten, was insgesamt das psychophysische Restleistungsvermögen und die Dauerbelastbarkeit verminderten (IV-Nr. 70, S. 30). Aufgrund der gutachterlichen Ausführungen ist von einer relevanten Komorbidität auszugehen.

 

Zu der Kategorie «funktioneller Schweregrad» ist unter anderem der Komplex «Persönlichkeit» (Persönlichkeitsentwicklung und -struktur, grundlegende psychische Funktionen) zu zählen. Innerhalb der Kategorie «funktioneller Schweregrad» bestimmt ferner auch der Komplex «Sozialer Kontext» mit darüber, wie sich die (kausal allein massgeblichen) Auswirkungen der Gesundheitsbeeinträchtigung konkret manifestieren. Dazu ist zweierlei festzuhalten: Soweit soziale Belastungen direkt negative funktionelle Folgen zeitigen, bleiben sie nach wie vor ausgeklammert (vgl. BGE 127 V 294 E. 5a S. 299 f.). Anderseits hält der Lebenskontext einer versicherten Person auch (mobilisierbare) Ressourcen bereit, so die Unterstützung, die ihr im sozialen Netzwerk zuteil wird. Immer ist sicherzustellen, dass gesundheitlich bedingte Erwerbsunfähigkeit zum einen (Art. 4 Abs. 1 IVG) und nicht versicherte Erwerbslosigkeit andere belastende Lebenslagen zum andern nicht ineinander aufgehen; alles andere widerspräche der klaren gesetzgeberischen Regelungsabsicht (BGE 141 V 281 E. 4.3.3 S. 303). Dazu kann zunächst auf die gutachterlichen Ausführungen zur Borderline-Persönlichkeitsstörung der Beschwerdeführerin verwiesen werden (E. II. 8.2.1 hiervor). Von der Persönlichkeit her scheine die Versicherte, abgestützt auf die eigenanamnestischen Angaben, leicht kränkbar mit verminderter Frustrationstoleranz. Die Versicherte habe eigenanamnestisch Schwierigkeiten mit sozialen Kontakten, anamnestisch zeige sich ein Muster instabiler Beziehungen. Die Versicherte berichtete über wiederholte Schwierigkeiten am Arbeitsplatz in der Interaktion mit Kollegen (IV-Nr. 70, S. 25). An Ressourcen bestünden bei der Versicherten eine nach ihren Angaben stützende Partnerschaft, ein Hund und ein Pferd, es bestehe ein guter Kontakt zur Mutter. Besondere psychosoziale Belastungsfaktoren seien nicht zu eruieren, die Versicherte habe nach Eigenangaben keine Schulden, es gebe keine laufenden Gerichtsverfahren pflegebedürftige Angehörige (IV-Nr. 70, S. 29). Zusammenfassend liegen demnach bei der Beschwerdeführerin neben gewissen positiven sozialen Ressourcen nur wenige persönliche Ressourcen vor.

 

Der Indikator einer gleichmässigen Einschränkung des Aktivitätenniveaus in allen vergleichbaren Lebensbereichen der Kategorie «Konsistenz» (Gesichtspunkte des Verhaltens) zielt auf die Frage ab, ob die diskutierte Einschränkung in Beruf und Erwerb (bzw. bei Nichterwerbstätigen im Aufgabenbereich) einerseits und in den sonstigen Lebensbereichen (beispielsweise Freizeitgestaltung) anderseits gleichermassen ausgeprägt ist (BGE 141 V 281 E. 4.4.1 S. 303 f.). Dazu wird im psychiatrischen Gutachten von Dr. med. E.___ festgehalten, an Funktionsstörungen bestünden bei der Versicherten leichtere agoraphobische, soziophobische und klaustrophobische Symptome sowie aufgrund der Borderline-Erkrankung erhebliche Schwierigkeiten im Sozialkontakt, insbesondere Letzteres werde auch von der Versicherten in der Selbsteinschätzung so gesehen und reflektiere sich durchgängig in der Aktenlage, insbesondere auch in den Berichten zu Wiedereingliederungsversuchen. Die Versicherte sei aufgrund ihrer Persönlichkeit leicht kränkbar und neige bei Konflikten, insbesondere am Arbeitsplatz zu emotionaler Instabilität und gebe an, dass sich dann häufig vermehrt Migräne-Attacken entwickeln würden. Diese Kombination aus seelischen und körperlichen Reaktionen auf interaktionelle Schwierigkeiten reduzierten das psychophysische Restleistungsvermögen bei der Versicherten. Bezüglich der seelischen Fähigkeitsstörung bestehe aus psychiatrischer Sicht noch ein sehr grosses, bisher kaum ausgeschöpftes Therapiepotenzial. Somit ist zusammenfassend von einer im Wesentlichen gleichmässigen Einschränkung des Aktivitätenniveaus in allen vergleichbaren Lebensbereichen auszugehen.

 

Der in die gleiche Kategorie («Konsistenz») fallende Aspekt des behandlungs- und eingliederungsanamnestisch ausgewiesenen Leidensdrucks betrifft die Frage nach der Inanspruchnahme von therapeutischen Optionen. Das Ausmass, in welchem Behandlungen wahrgenommen eben vernachlässigt werden, weist (ergänzend zum Gesichtspunkt Behandlungs- und Eingliederungserfolg -resistenz [vgl. E. 4.1.2 hiervor]) im Regelfall auf den tatsächlichen Leidensdruck hin (BGE 141 V 281 E. 4.4.2 S. 304). Diesbezüglich kann auf das vorgehend in der Kategorie «Behandlungs- und Eingliederungserfolg resp. -resistenz» Gesagte verwiesen werden. So sei die psychiatrische Befundlage insgesamt lückenhaft. Zwischen 2014 und 2020 lägen keine psychiatrischen Berichte vor. Ab 2020 lägen psychiatrische Berichte vor, wobei ein von der Versicherten initiierter Psychiaterwechsel stattgefunden habe. Eine störungsspezifische Richtlinienpsychotherapie finde nicht statt, eine lege artis psychopharmakologische Behandlung finde ebenfalls nicht statt. Dies weise nicht unmittelbar auf einen sehr hohen Leidensdruck bei der Versicherten hin und auch nicht darauf, dass von Seiten der Behandler hier ein dringender Interventions- bzw. Behandlungsbedarf, sei es psychotherapeutisch durch eine störungsspezifische Richtlinienpsychotherapie psychopharmakologisch, gesehen worden sei (IV-Nr. 70, S. 25 f.). Demnach ist gestützt darauf nicht von einem hohen Leidensdruck auszugehen.

 

8.2.4  Gestützt auf die obigen Erwägungen ergibt sich, dass das psychiatrische Gutachten genügend Aufschluss über die massgeblichen Indikatoren, die gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu berücksichtigen sind, gibt. Insgesamt erweisen sich die darin postulierten funktionellen Auswirkungen der medizinisch festgestellten psychischen Beeinträchtigungen damit als hinreichend ausgewiesen. Gestützt auf die einleuchtende Begründung der Diagnosestellung (s. E. II. 8.2.1 hiervor) und die vorgehende Indikatorenprüfung vermag auch die gutachterliche Einschätzung einer Arbeitsunfähigkeit von 40 % zu überzeugen. Im Vergleich zur medizinischen Aktenlage zum Zeitpunkt der Verfügung vom 27. September 2011 hat sich keine Veränderung des Gesundheitszustandes in psychiatrischer Hinsicht ergeben.

 

8.3    

8.3.1  Dem neurologischen Gutachten (IV-Nr. 70, S. 34 ff.) liegt eine umfangreiche Befund- und Anamneseerhebung zugrunde. Für die Beurteilung führte Dr. med. F.___ zusätzlich zur klinischen Untersuchung (IV-Nr. 70, S. 45 f.) keine zusätzlichen Testuntersuchungen durch. Er beschäftigte sich aber eingehend mit den vorhandenen Berichten, der Vorgeschichte sowie den von der Beschwerdeführerin beklagten Beschwerden. Seine Schlussfolgerungen sind schlüssig und nachvollziehbar (IV-Nr. 70, S. 46 ff.): Anamnestisch bestünden seit der Kindheit Ängste, Stimmungsschwankungen und Kopfschmerzen. Darüber hinaus berichte die Versicherte, dass während der Schulzeit die Diagnose einer Dyskalkulie gestellt worden sei. Die Versicherte berichte, dass sie aufgrund von Migräneattacken in der Schule häufig gefehlt habe. Die 4-jährige Lehre zur Tierarzthelferin habe sie wegen häufigen Fehlzeiten beinahe abgebrochen, dann aber doch beenden können. Wiederkehrende Fehlzeiten aufgrund von Migräneattacken seien dann auch im späteren Berufsleben – neben psychischen Problemen – ein Grund für Kündigungen gewesen. Neurologische Berichte lägen ab 2008 vor. Genannt werde eine Migräne ohne Aura vor dem Hintergrund einer familiären Belastung. Ein symptomatischer Kopfschmerz sei ausgeschlossen worden. Die Kopfschmerzfrequenz sei damals mit zwei bis drei Attacken pro Monat angegeben worden. Als Auslöser seien Wetterwechsel, Aufregung und Belastung genannt worden. Begleitend seien Übelkeit, gelegentliches Erbrechen, starke Müdigkeit sowie Licht- und Lärmempfindlichkeit angegeben worden, Anfallsdauer einige Stunden bis zwei Tage. Begleitend seien Verspannungen im Nacken-Schulter-Bereich angegeben worden. Es seien therapeutische Empfehlungen gemacht worden. Im Zeitraum 2009 – 2020 lägen keine neurologischen Berichte vor, was sich offensichtlich damit begründe, dass die Behandlung der Migräne hausärztlich fortgeführt worden sei. Die Hausärztin Dr. med. C.___ berichte im Dezember 2020 über eine Verschlechterung des Gesundheitszustands mit häufigen Migräneattacken und Arbeitsunfähigkeitszeiten. Daraus ergebe sich in der Folge eine Überweisung zur Optimierung der Therapie im L.___. Die Abklärung habe im Februar 2021 stattgefunden. Berichte über den Verlauf der Häufigkeit der Migräneattacken und zum Benefit der therapeutischen Empfehlungen lägen nicht vor. Die Versicherte berichte in der aktuellen Untersuchung, dass die Migräneattacken seit der Krankschreibung Ende 2020 deutlich zurückgegangen seien. Gegenwärtig nehme sie selten Zornig [Triptan, Migränemedikament] bei Migräneattacken, aber noch alle zwei Tage Panadol wegen Spannungskopfschmerzen. In der aktuellen Untersuchung werde erkennbar, dass die Versicherte psychisch unter Druck stehe und Angst davor habe, dass sie wieder arbeiten müsse. Gleichzeitig werde erkennbar, dass die Versicherte sich Gedanken bezüglich einer möglichen beruflichen Tätigkeit gemacht und gedanklich sogar eine Selbstständigkeit in Erwägung gezogen habe. Anamnestisch berichte die Versicherte, seit 2020 in einer Partnerschaft zu sein. Erhebliche Einschränkungen im Aktivitätsniveau seien aktuell nicht erkennbar.

 

In seiner Beurteilung von Konsistenz und Plausibilität (IV-Nr. 70, S. 47 f.) führte der neurologische Gutachter aus, offensichtlich seien gehäufte Fehlzeiten infolge von Migräneattacken unter anderem ein wiederkehrender Grund für Kündigungen gewesen. Andererseits werde erkennbar, dass die Versicherte auch langjährig gearbeitet habe, zum Beispiel als Pferdepflegerin in einem Privatstall in [...]. Möglicherweise seien die wiederkehrenden Fehlzeiten aufgrund von Migräneattacken auch dort ein Grund für Konflikte gewesen, die von der Versicherten aufgrund von psychischen Problemen wahrscheinlich nicht adäquat hätten aufgelöst werden können. In der Zusammenschau werde erkennbar, dass die Fehlzeiten aufgrund von Migräneattacken offensichtlich immer wieder ein Auslöser für Konflikte und Kündigungen gewesen seien. Erhebliche Auswirkungen auf die berufliche Leistungsfähigkeit seien insgesamt bis Dezember 2020 aber nicht erkennbar, zumal in der Vergangenheit auch keine diesbezüglichen weiteren Abklärungen respektive Optimierungen der Behandlungen stattgefunden hätten, respektive durchgeführt worden seien. Die therapeutischen Empfehlungen im Bericht des L.___ vom 17. Februar 2021 seien im Sinne der Bedarfsmedikation mit Zornig, der Prophylaxe mit Candesartan sowie Umsetzung einer psychologischen Behandlung durchgeführt worden. Soweit erkennbar seien keine Entspannungsübungen eintrainiert, aber regelmässige Spaziergänge mit dem Hund im Sinne der Verbesserung der Fitness gemacht worden. Insgesamt ergebe sich somit eine Konsistenz bezüglich des Leidensdrucks seit Ende 2020. Gleichzeitig zeige sich aber auch ein Rückgang der Beschwerdelast seit der Krankschreibung und Umsetzung der oben genannten therapeutischen Massnahmen. Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustands respektive des Aktivitätsniveaus zeichne sich somit insgesamt aus neurologischer Sicht im Vergleich zum Zeitpunkt der Zusprache der Rente ggw. und in den zurückliegenden Monaten nicht ab.

 

Die Diagnosen einer Migräne ohne Aura und eines begleitenden stress-assoziierten Spannungskopfschmerzes könne auf der Grundlage der vorliegenden Informationsebenen (Akten, Anamnese, Befund) mit überwiegender Wahrscheinlichkeit hergeleitet werden. Unklar bleibe die Möglichkeit eines in der Vergangenheit vorhandenen medikamenteninduzierten Kopfschmerzes aufgrund der persistierenden Einnahme von Panadol, was derzeit aber nicht von Bedeutung sei. Initial sei bereits im Vorfeld ein symptomatischer Kopfschmerz ausgeschlossen worden. Es ergebe sich auch aus der aktuellen Anamnese und Befunderhebung kein Hinweis für eine andere Ursache. Es werde erkennbar, dass die Migräneattacken und Spannungskopfschmerzen verstärkt unter Stress aufträten und mit einer reduzierten Resilienz / Stressresistenz assoziiert seien.

 

8.3.2  Daraus resultierend kommt der neurologische Gutachter zum nachvollziehbaren Schluss, dass sowohl in der bisherigen Tätigkeit als Pferdepflegerin, welche gleichzeitig auch eine optimal angepasste Tätigkeit darstelle, eine Arbeitsfähigkeit von 90 % bestehe (IV-Nr. 70, S. 51). Bezüglich der Einschränkungen hielt Dr. med. F.___ fest, dass die Versicherte mit ihrem letzten Einsatz in der […] aus psychischer Sicht überfordert gewesen sei, so dass die beruflichen Rahmenbedingungen Stress und in der Konsequenz vermehrte Kopfschmerzen / Migräneattacken ausgelöst hätten. Von einer andauernden Erhöhung der Migräneattacken respektive stärkeren Ausprägung könne nicht gesprochen werden. Die Spannungskopfschmerzen hätten zu keiner Beeinträchtigung hinsichtlich einer angepassten beruflichen Tätigkeit geführt.

 

Zum zeitlichen Verlauf der Arbeitsfähigkeit führte der Gutachter aus, die Arbeitsfähigkeit sei prozentual und im zeitlichen Verlauf aus retrospektiver Sicht schwer einzuschätzen, da keine neurologischen Verlaufsberichte nach Februar 2021 vorlägen. Überwiegend wahrscheinlich liege die Arbeitsfähigkeit im Verlauf von 2021 wieder bei 90 %, bezogen auf ein 100%-Pensum.

 

8.4     Gestützt auf die beiden schlüssigen Gutachten vermag schliesslich auch die interdisziplinäre Gesamtbeurteilung von Dr. med. E.___ und Dr. med. F.___ zu überzeugen (vgl. IV-Nr. 70, S. 2 ff.). Aus psychiatrischer Sicht sei die Arbeitsfähigkeit auf 60 % einzuschätzen, entsprechend einer Arbeitsunfähigkeit von 40 % bezogen auf ein 100%-Pensum. Aus neurologischer Sicht betrage die Arbeitsfähigkeit 90 %, entsprechend einer Arbeitsunfähigkeit von 10 % bezogen auf ein 100%-Pensum. Aus psychiatrischer Sicht gebe es abgestützt auf das Gutachten von Dr. B.___ bei der Versicherten keine Hinweise auf eine durchgreifende Veränderung des Gesundheitszustandes auf psychiatrischem Fachgebiet. Neurologischerseits habe sich allenfalls vorübergehend eine Verschlechterung mit vermehrten Migräneattacken infolge einer psychischen Stresssituation ergeben, aber keine dauerhafte Veränderung.

 

8.5     Gestützt auf die obigen Ausführungen ist das von der Beschwerdegegnerin eingeholte bidisziplinäre neurologisch-psychiatrische Gutachten von Dr. med. E.___ und Dr. med. F.___ grundsätzlich als beweiskräftig zu erachten. Daran vermögen auch die Rügen der Beschwerdeführerin nichts zu ändern:

 

8.5.1  Die Beschwerdeführerin lässt vorbringen, das Administrativgutachten erfülle nicht die materiellen Anforderungen an die Beweistauglichkeit versicherungsexterner Gutachten. So sei dem Gutachten nicht zu entnehmen, weshalb die Beschwerdeführerin in einer Anstellung im ersten Arbeitsmarkt, z.B. als Pferdepflegerin, weniger Stress empfinden sollte als in der gescheiterten geschützten Tätigkeit bei der D.___. Dazu ist festzuhalten, dass gemäss den beweiskräftigen Ausführungen der Administrativgutachter eine Veränderung des Gesundheitszustands der Beschwerdeführerin im Vergleich zum Zeitpunkt der gutachterlichen Untersuchung bei Dr. med. B.___ (Gutachten vom 26. Dezember 2010) nicht stattgefunden hat. Bereits damals hat die Beschwerdeführerin schon mehrere Jahre in einem Pensum von 50 % als Pferdepflegerin gearbeitet. Es ist somit nicht zu beanstanden, wenn die Administrativgutachter in ihrem Gutachten davon ausgehen, dass der Beschwerdeführerin die Tätigkeit als Pferdepflegerin zumutbar sei. Des Weiteren kann allein aus der Kündigung der Anstellung im geschützten Rahmen bei der D.___ nicht zwangsläufig geschlossen werden, dass die Beschwerdeführerin nicht eine andere Tätigkeit im ersten Arbeitsmarkt ausüben könnte. So lässt sich den Angaben der Beschwerdeführerin anlässlich der Begutachtung entnehmen, dass es ihr bei der D.___ vor allem aufgrund der dort zu verrichtenden Arbeit sowie wegen der anderen Mitarbeiter nicht gefallen habe und dieser Umstand zu Migräneattacken geführt habe. So habe es ihr bei der D.___ im Bereich Lebensmittel nicht gefallen, da dort – wie sie sagt – «andere Behinderte» seien. Sie habe mit ihnen nicht reden können. Auch sei die Arbeit langweilig gewesen. Sie habe dann häufiger Migräneanfälle gehabt, sich dann nicht mehr wohl gefühlt und sei in andere Bereiche gewechselt. Die Arbeit im Bereich Mechatronik habe sie als sehr eintönig empfunden. Im Bereich Post bei der D.___ sei sie gepiesackt worden. Da seien auch zu viele Leute gewesen, da habe sie sehr viel Migräne gehabt (IV-Nr. 70, S. 18 f.). Die Ausführungen der Beschwerdeführerin deuten darauf hin, dass es sich bei der Stelle bei der D.___ – obwohl im geschützten Rahmen – nicht um eine den Leiden der Beschwerdeführerin angepasste Tätigkeit handelte. So kam Dr. med. E.___ in seinem psychiatrischen Gutachten zum Ergebnis, dass bei der Versicherten leichtere agoraphobische, soziophobische und klaustrophobische Symptome sowie aufgrund der Borderline-Erkrankung erhebliche Schwierigkeiten im Sozialkontakt bestünden, insbesondere Letzteres werde auch von der Versicherten in der Selbsteinschätzung so gesehen und reflektiere sich durchgängig in der Aktenlage, insbesondere auch in den Berichten zu Wiedereingliederungsversuchen. Die Versicherte sei aufgrund ihrer Persönlichkeit leicht kränkbar und neige bei Konflikten, insbesondere am Arbeitsplatz, zu emotionaler Instabilität und gebe an, dass sich dann häufig vermehrt Migräne-Attacken entwickeln würden. Diese Kombination aus seelischen und körperlichen Reaktionen auf interaktionelle Schwierigkeiten reduzierten das psychophysische Restleistungsvermögen bei der Versicherten (IV-Nr. 70. S. 29). Der Gutachter würdigte dies auch in seiner Beschreibung des Arbeitsfähigkeitsprofils. Er gab an, dass in der Tätigkeit als Pferdepflegerin, welche er für die Beschwerdeführerin als optimal angepasste Tätigkeit sehe, weniger Potential für interaktionelle Konflikte bestünden, wie sie zum Beispiel bei Tätigkeiten mit schwierigem konfrotativem Publikumsverkehr bei Tätigkeiten, die ausgesprochene Teamfähigkeit und Flexibilität erforderten, aufträten (IV-Nr. 70, S. 31). Die gutachterliche Einschätzung erscheint nachvollziehbar. Dafür spricht auch der Umstand, dass die Beschwerdeführerin ihren Beruf als Pferdepflegerin zehn Jahre lang ausübte, bevor es zu einer Konfliktsituation mit der Chefin kam, was schliesslich zu vermehrten gesundheitlichen Ausfällen bis hin zur Kündigung führte (vgl. IV-Nr. 70, S. 18). So gab die Beschwerdeführerin denn auch selbst an, dass sie «Probleme mit der Autorität» habe. Es ist daher entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin nicht abwegig, wenn die beiden Gutachter zum Schluss kamen, dass die Tätigkeit als Pferdehelferin für die Beschwerdeführerin eine optimal angepasste Tätigkeit darstellt. Damit haben die beiden Administrativgutachter auch die in der Beschwerdeschrift aufgeworfenen Frage beantwortet, inwiefern eine andere Stelle auf dem Arbeitsmarkt zu weniger Migräneattacken und Kopfschmerzen führen könnte. Andererseits würdigten sie auch, dass die Leistungsfähigkeit auch in einer optimal angepassten Tätigkeit nicht vollständig gegeben ist. Konkret führten die Gutachter dazu aus, es ergäben sich vor allem in psychischer Hinsicht Einschränkungen des Leistungsvermögens, die das Restleistungsvermögen zwar reduzierten, nicht aber vollständig aufhoben, dies aufgrund der Borderline-Persönlichkeitsstörung und der leichten Zwangserkrankung. Die emotionale Instabilität, leichte Kränkbarkeit, sowie die Schwierigkeiten der Versicherten im interaktionellen Bereich führten zusammen mit der leichtgradigen Zwangssymptomatik dazu, dass die Versicherte mehr psychische Ressourcen aufbringen müsse, um ihre psychische Stabilität aufrecht zu erhalten, was insgesamt das psychophysische Restleistungsvermögen und die Dauerbelastbarkeit verminderten (IV-Nr. 70, S. 7). Es ist aufgrund des Gesagten nachvollziehbar, wenn die Administrativgutachter zum Ergebnis gelangten, dass die Beschwerdeführerin eine Tätigkeit, welche weniger Potential für interaktionelle Konflikte aufweist, wie sie zum Beispiel bei Tätigkeiten mit schwierigem konfrontativem Publikumsverkehr bei Tätigkeiten, die ausgesprochene Teamfähigkeit und Flexibilität erfordern, zu 60 % ausüben könnte. Die Tätigkeit bei der D.___ fand zwar im geschützten Rahmen statt, die Arbeitsbedingungen resp. der ständige Kontakt mit Mitarbeitern und Vorgesetzten entsprachen aber nicht den Anforderungen an das Arbeitsfähigkeitsprofil der Beschwerdeführerin. Es kommt hinzu, dass die Beschwerdeführerin die Arbeit bei der D.___ als monoton und langweilig empfand, was ihre Situation zusätzlich erschwerte. Dies stellt jedoch wie oben gesagt keinen Grund dar, anzunehmen, dass sie nicht in der Lage wäre, eine ideal angepasste Tätigkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt auszuüben.

 

8.5.2  Ferner kann nicht behauptet werden, die Beschwerdegegnerin habe im Zusammenhang mit der Anstellung bei der D.___ zu wenig Abklärungen getroffen, holte sie doch einen Arbeitgeberbericht ein (IV-Nr. 61), welcher auch den Administrativgutachtern zur Verfügung gestellt wurde und von diesen auch gewürdigt wurde (vgl. den Aktenzusammenzug, IV-Nr. 70, S. 70). Wie oben ausgeführt, wurden im Gutachten entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin die geistigen und psychischen Ressourcen nachvollziehbar dargelegt und gewürdigt. Dass zu wenig Informationsquellen bestanden hätten, so wie es die Beschwerdeführerin behauptet, hat mit dem Umstand zu tun, dass seit dem Zeitpunkt der Zusprache der Viertelsrente bis zum Zeitpunkt der angefochtenen Verfügung vom 5. Oktober 2022 in einer Zeitpanne von mehreren Jahren keine psychiatrischen Behandlungen stattgefunden haben (siehe E. II. 8.2.2 hiervor). Dies kann weder der Beschwerdegegnerin noch den Administrativgutachtern zur Last gelegt werden.

 

8.5.3  Weiter lässt die Beschwerdeführerin vorbringen, das psychiatrische Gutachten erweise sich nicht als überzeugend. So sei an einer Stelle eine Arbeitsfähigkeit von 50 % genannt worden, an anderer Stelle habe sich das Quantitativ ohne jede Begründung auf 60 % erhöht. Der psychiatrische Gutachter gab in der Tat an einer Stelle in seinem Gutachten an, die geschätzte Arbeitsfähigkeit in der bisherigen Tätigkeit werde auf 50 % bezogen auf ein 100%-Pensum geschätzt. Es handelt sich dabei aber offensichtlich um einen Schreibfehler, zumal der Gutachter sowohl in den Abschnitten davor und danach (vgl. IV-Nr. 70, S. 30 f.) als auch in der Gesamtbeurteilung (vgl. IV-Nr. 70, S. 7 f.), welcher er zugestimmt hat, eine geschätzte Arbeitsfähigkeit von 60 % angab. Nichts zu ihren Gunsten ableiten kann die Beschwerdeführerin aus ihren Ausführungen über die Voraussetzungen des Berufs als Pferdefachfrau EFZ, hat sie doch diese Ausbildung gemäss den vorliegenden Akten selber nie absolviert und diese Tätigkeit auch nie ausgeübt.

 

8.5.4  Weiter lässt die Beschwerdeführerin geltend machen, im psychiatrischen Gutachten fehle eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den divergierenden Vorberichten, insbesondere mit dem Bericht von Dr. med. H.___ vom 7. Oktober 2021. Der Beweiswert einer Expertise setzt voraus, dass die Vorakten Berücksichtigung finden. Der Gutachter hat sich im Rahmen seiner eigenen Beurteilung mit den wesentlichen Vorakten zu befassen, soweit die betreffenden Stellungnahmen – abhängig von ihrem Entstehungskontext – hinreichend substantiiert und nicht unter einem anderen Aspekt offenkundig vernachlässigbar sind. Dass und inwiefern der Sachverständige die Vorakten bei der Untersuchung in seine Überlegungen einbezieht, muss im Text des Gutachtens zum Ausdruck kommen. Die Ausführungen müssen umso ausführlicher ausfallen, je grösser allfällige Divergenzen sind und je unmittelbarer sie für die zu klärenden Belange bedeutsam sind (BGE 137 V 210 E. 6.2.4 S. 270). Dazu ist festzuhalten, dass sowohl der erwähnte Bericht von Dr. med. H.___ als auch die anderen relevanten psychiatrischen Vorberichte im fachübergreifenden Aktenauszug im Gutachten (IV-Nr. 70, S. 54 ff.) wiedergegeben wurden und folglich den Administrativgutachtern bekannt waren. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin setzte sich der psychiatrische Gutachter auch inhaltlich mit den Vorberichten, insbesondere auch mit dem Bericht von Dr. med. H.___, auseinander (IV-Nr. 70, S. 26 ff.). Es ist darauf hinzuweisen, dass die psychiatrische Exploration von der Natur der Sache her nicht ermessensfrei erfolgen kann und die Rechtsprechung der begutachtenden Person deshalb praktisch einen gewissen Spielraum gewährt, innerhalb dessen verschiedene medizinische Interpretationen möglich, zulässig und zu respektieren sind, sofern dabei lege artis vorgegangen worden ist. Behandelnde und begutachtende Psychiater können, mit der gleichen Person als Patientin Explorandin in verschiedenen Zeitpunkten und Situationen konfrontiert, zu ganz unterschiedlichen Beurteilungen der psychischen Beeinträchtigungen und – invalidenversicherungsrechtlich entscheidend – deren Schweregrades mitsamt den sich daraus ergebenden Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit gelangen. Diese in der Natur der Sache begründete, weitgehend fehlende Validierbarkeit («Reliabilität») psychiatrischer Diagnosen, namentlich im depressiven Formenkreis sowie bei den neurotischen, Belastungs- und somatoformen Störungen gemäss ICD-10, kann nicht automatisch zu Beweisweiterungen bei sich widersprechenden psychiatrischen Berichten und Expertisen führen (Urteil des Bundesgerichts 9C_661/2009 vom 29. September 2009 E. 3.2). Ferner ist darauf hinzuweisen, dass im Bericht von Dr. med. H.___ vom 7. Oktober 2021 keine objektiv feststellbaren Gesichtspunkte vorgebracht werden, die im Rahmen der psychiatrischen Begutachtung unerkannt geblieben und geeignet wären, zu einer abweichenden Beurteilung zu führen. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die Sitzungen bei Dr. med. H.___ gemäss Angaben der Beschwerdeführerin an der Begutachtung bei Dr. med. E.___ nur einmal monatlich stattfinden. Auf die Frage des Gutachters, wie es bei Dr. med. H.___ laufe, antwortete die Beschwerdeführerin mit «Die hilft mir nicht». Sie (Dr. med. H.___) sei nett und alles, aber sie (die Beschwerdeführerin) würde aus der Praxis rausgehen wie reingehen (IV-Nr. 70, S. 21). Wie der psychiatrische Gutachter zutreffend festhielt, lässt dies auf ein ungenügendes therapeutisches Bündnis mit Dr. med. H.___ schliessen. Sodann gilt es zu berücksichtigen, dass das Gericht in Bezug auf Atteste von behandelnden Ärzten der Erfahrungstatsache Rechnung tragen darf und soll, wonach diese mitunter im Hinblick auf ihre auftragsrechtliche Vertrauensstellung in Zweifelsfällen eher zugunsten ihrer Patienten aussagen (BGE 125 V 353 E. 3b cc, 122 V 160 E. 1c); dies gilt nicht nur für den allgemein praktizierenden Hausarzt, sondern ebenso für die behandelnden Spezialärzte (Urteil des Bundesgerichts 9C_794/2012 vom 4. März 2013 E. 2.1 mit Hinweisen).

 

8.5.5  Schliesslich vermögen auch die anlässlich der Verhandlung vom 23. Januar 2024 geltend gemachten Mängel am Administrativgutachten nichts an dessen Beweiswert zu ändern. Die Beschwerdeführerin bringt vor, die Tonaufnahmen der gutachterlichen Untersuchungen seien nicht im Gutachten protokolliert worden und als Anamnese- und Beschwerdedokumente aufgenommen worden. So sei nicht ersichtlich, ob die Tonaufnahmen des psychiatrischen Gutachters dem neurologischen Gutachter zur Verfügung gestanden hätten und umgekehrt. Dies stelle einen Mangel dar. Inwiefern dieser Umstand einen Mangel darstellen soll, ist nicht ersichtlich. Zumindest ergeben sich aus dem Administrativgutachten keine Hinweise darauf, dass die beiden Gutachter nicht über die entsprechenden Berichte des jeweils anderen verfügt hätten resp. nicht in der Lage gewesen wären, eine Konsensbeurteilung durchzuführen. Was die fehlenden Unterschriften anbelangt, so ist der Beschwerdeführerin insofern darin zuzustimmen, dass es sich hierbei grundsätzlich um einen formellen Mangel handelt, welcher aber durch die Einholung einer nachträglichen Bestätigung, wonach die beiden Gutachter ihren Bericht vom 6. Juli 2022 eigenhändig verfasst haben, geheilt werden kann (siehe Urteile des Bundesgerichts 9C_525/2020 vom 29. April 2021 E. 5.1 und 8C_252/2014 vom 5. August 2014 E. 3.3). Auf Anfrage des Versicherungsgerichts bestätigten Dr. med. E.___ und Dr. med. F.___ mit nachträglich angefügter Unterschrift auf der Kopie ihres Gutachtens vom 6. Juli 2022, dass sie dieses eigenhändig verfasst haben. Dass ihre Unterschriften auf der Originalausfertigung des Gutachtens fehlen, stellt demnach keinen erheblichen Mangel am Gutachten dar. 

 

8.6     Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass Dr. med. E.___ und Dr. med. F.___ zu klaren, schlüssigen Ergebnissen gelangt sind, welche nachvollziehbar und überzeugend begründet werden. Das bidisziplinäre Gutachten leuchtet in der Darlegung der medizinischen Zusammenhänge sowie in der Beurteilung der medizinischen Situation ein. Des Weiteren sind die Schlussfolgerungen der Experten begründet. Damit ist diesem Gutachten auch unter Berücksichtigung der Vorbringen der Beschwerdeführerin voller Beweiswert zuzumessen.

 

9.       Bei dieser Beweislage ist mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erstellt, dass sich der Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin seit der Beurteilung vom 27. September 2011 nicht geändert hat. Die Beschwerde stellt sich zusammenfassend als unbegründet heraus und ist abzuweisen.

 

Im Übrigen ist betreffend weiterer Beweismassnahmen auf die Praxis zum Umfang der Beweisabnahmepflicht hinzuweisen, wonach der Richter auf die Abnahme weiterer Beweise verzichten kann, wenn er auf Grund pflichtgemässer Beweiswürdigung zur Überzeugung gelangt, dass ein bestimmter Sachverhalt als überwiegend wahrscheinlich zu betrachten ist und dass weitere Beweismassnahmen an diesem feststehenden Ergebnis nichts mehr ändern können (BGE 122 V 157 E. 1d S. 162, 104 V 209 E. a S. 211; Urteil des Bundesgerichts 8C_364/2011 vom 11. Oktober 2011 E. 3.1). Da von der durch die Beschwerdeführerin beantragte Erstellung eines Gerichtsgutachtens keine weiterführenden Erkenntnisse zu erwarten sind, ist davon abzusehen.

 

10.

10.1   Da die Beschwerdeführerin nicht obsiegt, hat sie grundsätzlich keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 61 lit. g ATSG).

 

10.2   Die Beschwerdeführerin steht ab Prozessbeginn im Genuss der unentgeltlichen Rechtspflege (Verfügung vom 25. April 2023; A.S. 44 f.; vgl. E. I. 6 hiervor). Die Kostenforderung ist bei Unterliegen der Partei mit unentgeltlichem Rechtsbeistand vom Gericht festzusetzen. Der Kanton entschädigt die unentgeltliche Rechtsbeiständin den unentgeltlichen Rechtsbeistand angemessen (Art. 122 Abs. 1 lit. a ZPO). Der Stundenansatz für die unentgeltliche Vertretung beträgt gemäss § 161 i. V. m § 160 Abs. 3 des Gebührentarifs (GT; BGS 615.11) für das Jahr 2022 CHF 180.00. Ab Januar 2023 beträgt dieser aufgrund eines Beschlusses der Gerichtsverwaltungskommission vom 19. Dezember 2022 CHF 190.00. Am 1. Januar 2024 wurde zudem die Mehrwertsteuer von bisher 7.7 % auf 8.1 % erhöht. Da das Verfahren seit November 2022 hängig war und die Verhandlung im Jahr 2024 stattgefunden hatte, sind die Aufwände infolge des per 1. Januar 2023 erhöhten Stundenansatzes und des erhöhten Mehrwertsteuersatzes nachfolgend jeweils für jedes Jahr separat festzusetzen. Dasselbe gilt zudem für die nach dem 1. Januar 2024 veranschlagten Auslagen, auf welche der veränderte Mehrwertsteuersatz Anwendung findet. Rechtsanwalt Wyssmann hat am 10. März 2023 (A.S. 41 ff.) eine Honorarnote über einen Aufwand von 11.85 Stunden, am 15. November 2023 (A.S. 48) eine weitere Honorarnote über einen Aufwand von 1.18 Stunden und an der Verhandlung vom 23. Januar 2024 (A.S. 55) eine dritte Honorarnote über einen Aufwand von 4.10 Stunden eingereicht.

 

10.2.1  Aus der Honorarnote vom 10. März 2023 ergibt sich für das Jahr 2022 ein Aufwand von total 9.85 Stunden. Dieser reduziert sich um Kanzleiaufwand von insgesamt 0.68 Stunden (4 Mal «Brief an Klientin» à 0,17 Stunden; mangels näherer Bezeichnung ist praxisgemäss von Orientierungskopien auszugehen, welche als Kanzleiaufwand gelten und nicht gesondert entschädigt werden) auf 9.17 Stunden.

 

10.2.2  Für das Jahr 2023 ergibt sich aus den drei eingereichten Honorarnoten ein Aufwand von total 2.43 Stunden. Dieser reduziert sich ebenfalls um Kanzleiaufwand von insgesamt 0.68 Stunden (4 Mal «Brief an Klientin» à 0,17 Stunden) auf 1.75 Stunden.

 

10.2.3  Für das Jahr 2024 ergibt sich aus der ergänzenden Kostennote vom 23. Januar 2024 ein Aufwand von total 3.85 Stunden. Die Positionen dieser Kostennote für das Jahr 2024 sind nicht zu beanstanden. Unter Hinzurechnung des nachprozessualen Aufwandes (geltend gemacht mit Honorarnote vom 10. März 2023) im Umfang von 1 Stunde resultiert für das Jahr 2024 ein Aufwand von 4.85 Stunden.

 

10.2.4  Wie dargelegt sind für das Jahr 2022 Aufwände von insgesamt 9.17 Stunden zu entschädigen, entsprechend CHF 1'777.70 (Honorar von CHF 1'650.60 [9.17 Stunden à CHF 180.00] + 7.7 % MwSt). Betreffend das Jahr 2023 sind Aufwände von 1.75 Stunden zu vergüten, was – unter Berücksichtigung des per 1. Januar 2023 erhöhten Stundenansatzes für die unentgeltliche Vertretung von CHF 190.00 – einem Honorar von CHF 358.10 (Honorar von CHF 332.50 [1.75 Stunden à CHF 190.00] + 7.7 % MwSt) entspricht. Auf das Jahr 2024 fallen zu entschädigende Aufwände von 4.85 Stunden, was ein Honorar von CHF 996.15 (Honorar von CHF 921.50 [4.85 Stunden à CHF 190.00] + 8.1 % MwSt) ergibt. Insgesamt resultiert damit ein zu vergütendes Honorar von CHF 3'131.95 inkl. MwSt (CHF 1'777.70 + CHF 358.10 + CHF 996.15).

 

10.2.5  Der Vertreter der Beschwerdeführerin macht in der Kostennote vom 10. März 2023 CHF 95.00, in jener vom 15. November 2023 CHF 4.00 und in jener vom 23. Januar 2024 CHF 1.00 für total 100 Kopien (alle in den Jahren 2022 und 2023 anfallend) geltend. Kopien werden mit CHF 0.50 entschädigt, weshalb diese Kostenpositionen um die Hälfte zu reduzieren sind. Die zu entschädigenden Auslagen für Kopien betragen somit CHF 50.00 (100 Kopien à CHF 0.50). Unter Hinzurechnung von CHF 36.40 für die restlichen in den Jahren 2022 und 2023 angefallenen Auslagen (Portokosten) ergibt sich ein zu entschädigender Auslagenersatz von CHF 86.40 exkl. MwSt bzw. CHF 93.00 inkl. 7.7 % MwSt für die Jahre 2022 und 2023. Die Fahrtspesen für die Hin- und Rückfahrt zur öffentlichen Verhandlung vom 23. Januar 2024 von 45,4 km werden anstelle dem in der Kostennote geltend gemachten Ansatz von CHF 1.00 mit CHF 0.70 entschädigt (vgl. § 157 Abs. 3 GT i.V.m. § 161 Gesamtarbeitsvertrag [GAV, BGS 126.3]) und betragen daher CHF 31.78 exkl. MwSt bzw. CHF 34.35 inkl. 8.1 % MwSt, womit ein zu entschädigender Auslagenersatz in Höhe von CHF 127.35 inkl. MwSt (CHF 93.00 + CHF 34.35) resultiert.

 

10.2.6  Insgesamt sind damit Aufwände und Auslagen in Höhe von Total CHF 3'259.30 inkl. MwSt (CHF 3'131.95 + CHF 127.35) zu vergüten. Dieser Betrag ist von der Zentralen Gerichtskasse des Kantons Solothurn zu bezahlen. Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während zehn Jahren, wenn die Beschwerdeführerin zur Rückzahlung in der Lage ist (Art. 123 ZPO). Im Weiteren besteht ein Nachzahlungsanspruch des unentgeltlichen Rechtsvertreters gegenüber der Beschwerdeführerin im Umfang von CHF 1'552.75 (Differenz zum vollen Honorar von CHF 4'812.05), wenn die Beschwerdeführerin zur Nachzahlung in der Lage ist (Art. 123 ZPO). Der Nachzahlungsanspruch des unentgeltlichen Rechtsbeistandes richtet sich dabei nach einem Stundenansatz von CHF 250.00, wie er in der Kostennote geltend gemacht wird.

 

10.3   Aufgrund von Art. 69 Abs. 1bis IVG ist das Beschwerdeverfahren bei Streitigkeiten um die Bewilligung die Verweigerung von IV-Leistungen vor dem kantonalen Versicherungsgericht kostenpflichtig. Die Kosten werden nach dem Verfahrensaufwand und unabhängig vom Streitwert im Rahmen von CHF 200.00 – 1´000.00 festgelegt. Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdeführerin an die gesamten Verfahrenskosten einen Betrag von CHF 1’000.00 zu bezahlen, die jedoch infolge Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege durch den Kanton Solothurn zu übernehmen sind (Art. 122 Abs. 1 lit. b ZPO). Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während zehn Jahren, wenn A.___ zur Nachzahlung in der Lage ist (Art. 123 ZPO).

Demnach wird erkannt:

1.    Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.    Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.

3.    Die Kostenforderung des unentgeltlichen Rechtsbeistands, Rechtsanwalt Claude Wyssmann, wird auf CHF 3'259.30 (inkl. Auslagen und MwSt) festgesetzt, zahlbar durch die Zentrale Gerichtskasse des Kantons Solothurn. Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während zehn Jahren sowie der Nachzahlungsanspruch des unentgeltlichen Rechtsbeistandes im Umfang von CHF 1'552.75, wenn A.___ zur Nachzahlung in der Lage ist (Art. 123 ZPO).

4.    Die Beschwerdeführerin hat die Verfahrenskosten von CHF 1’000.00 zu bezahlen, die infolge Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege durch den Staat Solothurn zu übernehmen sind. Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während zehn Jahren, wenn A.___ zur Nachzahlung in der Lage ist (Art. 123 ZPO).

5.    Das Doppel der an der Verhandlung vom 23. Januar 2024 eingereichten Kostennote sowie eine Kopie des eingereichten Vergleichs der Schlichtungsbehörde vom 7. Juni 2023 gehen zur Kenntnisnahme an die Beschwerdegegnerin.

6.    Eine Kopie des unterzeichneten Gutachtens von Dr. med. E.___ und Dr. med. F.___ geht zur Kenntnisnahme an die Parteien.

7.    Der Auszug aus dem Verhandlungsprotokoll vom 23. Januar 2024 geht zur Kenntnisnahme an die Parteien.

Rechtsmittel

Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit der Mitteilung beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten eingereicht werden (Adresse: Bundesgericht, Schweizerhofquai 6, 6004 Luzern). Die Frist beginnt am Tag nach dem Empfang des Urteils zu laufen und wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar (vgl. Art. 39 ff., 82 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes, BGG). Bei Vor- und Zwischenentscheiden (dazu gehört auch die Rückweisung zu weiteren Abklärungen) sind die zusätzlichen Voraussetzungen nach Art. 92 93 BGG zu beachten.

Versicherungsgericht des Kantons Solothurn

Der Vizepräsident                     Der Gerichtsschreiber

Flückiger                                   Lazar



 
Quelle: https://gerichtsentscheide.so.ch/
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