Zusammenfassung des Urteils VSBES.2021.58: Verwaltungsgericht
Die Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Rémy Wyssmann, klagte gegen die IV-Stelle Solothurn bezüglich der Invalidenrente. Nach medizinischen Gutachten und Abklärungen sprach die IV-Stelle der Beschwerdeführerin ab September 2020 eine halbe Rente zu. Die Beschwerdeführerin erhob Beschwerde und forderte eine rückwirkende halbe Rente ab Oktober 2019. Es wurde festgestellt, dass die Beschwerdeführerin aufgrund der Scheidung ab August 2019 einem Vollzeitpensum nachgehen müsste. Die Beschwerdegegnerin argumentierte, dass die Beschwerdeführerin bereits ab November 2019 eine halbe Rente hätte erhalten müssen. Die medizinische Bewertung ergab eine Arbeitsfähigkeit von 50 %. Die strittige Frage war, ob die Beschwerdeführerin ab November 2019 Anspruch auf eine halbe Rente hatte. Die medizinischen Gutachten zeigten eine Arbeitsfähigkeit von 50 %, während die Beschwerdeführerin aufgrund der finanziellen Situation einem Vollzeitpensum nachgehen müsste.
Kanton: | SO |
Fallnummer: | VSBES.2021.58 |
Instanz: | Verwaltungsgericht |
Abteilung: | Versicherungsgericht |
Datum: | 01.06.2022 |
Rechtskraft: |
Leitsatz/Stichwort: | - |
Schlagwörter: | Kinder; Apos; Unterhalt; Unterhalts; Arbeit; Scheidung; Invalidität; IV-Nr; Haushalt; Alimente; Abklärung; Rente; Betreuungsunterhalt; Recht; Verfügung; Invaliditätsgrad; Kindern; Unterhaltsbeiträge; Barunterhalt; Arbeitsfähigkeit; Umzug; Woche; ührt |
Rechtsnorm: | Art. 125 ZGB ;Art. 129 ZGB ;Art. 16 ATSG ;Art. 277 ZGB ; |
Referenz BGE: | 117 V 261; 121 V 45; 125 V 193; 126 V 353; 130 V 393; 132 V 215; 134 I 140; |
Kommentar: | Ueli Kieser, Kommentar zum ATSG, Art. 43 ATSG, 2020 |
Geschäftsnummer: | VSBES.2021.58 |
Instanz: | Versicherungsgericht |
Entscheiddatum: | 01.06.2022 |
FindInfo-Nummer: | O_VS.2022.76 |
Titel: | Invalidenrente |
Resümee: |
Urteil vom 1. Juni 2022 Es wirken mit: Vizepräsidentin Weber-Probst Gerichtsschreiber Isch In Sachen A.___ vertreten durch Rechtsanwalt Rémy Wyssmann Beschwerdeführerin
gegen
IV-Stelle Solothurn, Allmendweg 6, 4528 Zuchwil, Beschwerdegegnerin
betreffend Invalidenrente (Verfügung vom 16. März 2021)
zieht die Vizepräsidentin des Versicherungsgerichts in Erwägung: I.
1. Am 6. Februar 2017 meldete sich A.___ (nachfolgend: Beschwerdeführerin), geb. 1979, bei der IV-Stelle des Kantons Solothurn (nachfolgend: Beschwerdegegnerin) mit dem Hinweis auf eine Handinfektion und ein Guillain-Barré-Syndrom (GBS) zum Leistungsbezug an (Akte der V-Stelle Nr. [IV-Nr.] 5). In der Folge holte die Beschwerdegegnerin medizinische Unterlagen ein und veranlasste bei der B.___, [...], ein polydisziplinäres Gutachten in den Fachrichtungen Neurologie, Gastroenterologie, Innere Medizin, Psychiatrie und Orthopädie. Im Gutachtensbericht vom 27. Dezember 2018 kamen die Gutachter zum Schluss, ab dem 20. Januar 2016 bis Ende Mai 2016 sei eine 100%ige Arbeitsunfähigkeit der Versicherten aufgrund der Einschränkungen der rechten Hand nachvollziehbar. Von März 2016 bis August 2017 sei die Versicherte wegen dem GBS zu 100 % arbeitsunfähig gewesen. Ab September 2017 bestehe wegen der psychischen Symptomatik eine Arbeitsfähigkeit von 80 %.
Sodann liess die Beschwerdeführerin ein psychiatrisches Privatgutachten von Prof. Dr. med. C.___ vom 6. März 2019 (IV-Nr. 45, S. 6) einreichen, worin bei der Beschwerdeführerin eine schwere depressive Episode (ICD-10 F32.2), eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit abhängigen Anteilen und emotionaler Instabilität mit Störungen der Impulskontrolle sowie Depersonalisationserleben (ICD-10 F61.0) sowie eine atypische Bulimia nervosa diagnostiziert wurden und eine 100%ige Arbeitsunfähigkeit attestiert wurde. Des Weiteren wurde der Beschwerdeführerin im eingereichten Austrittsbericht der D.___, [...], vom 12. Juli 2019 (IV-Nr. 49) aus psychiatrischer Sicht ebenfalls eine 100%ige Arbeitsunfähigkeit attestiert. Diesen Bericht legte die Beschwerdegegnerin den B.___-Gutachtern zur Stellungnahme vor. Diese hielten diesbezüglich im Bericht vom 13. Dezember 2019 (IV-Nr. 74) fest, in der Zwischenzeit sei es seit der Begutachtung 10/2018 zu einer Verschlechterung der psychischen Verfassung bei der Versicherten gekommen, woraus eine Arbeitsunfähigkeit von 50 % resultiere.
Sodann veranlasste die Beschwerdegegnerin eine Haushaltsabklärung bei der Beschwerdeführerin an ihrem Wohnort. Im diesbezüglichen Abklärungsbericht vom 19. August 2020 (IV-Nr. 93) kam die Fachspezialistin des Abklärungsdienstes zum Schluss, es könne mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass die Beschwerdeführerin aufgrund der Scheidung aus finanziellen Gründen einem 100 % ausserhäuslichen Pensum nachgehen würde resp. müsste. Die zu Hause lebenden Kinder unterstützten die Versicherte heute im Haushalt und würden dies auch tun, wenn die Beschwerdeführerin erwerbstätig wäre. Damit sei sie bei der Methodenwahl seit 1. September 2020 als 100 % Erwerbstätige zu betrachten.
Gestützt auf diese Abklärungen sprach die Beschwerdegegnerin der Beschwerdeführerin nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren (IV-Nr. 102) mit Verfügung vom 16. März 2021 (A.S. [Akten-Seite] 1 ff.) berufliche Massnahmen sowie ab 1. September 2020 eine halbe Rente zu.
2. Dagegen lässt die Beschwerdeführerin am 9. April 2021 (A.S. 9 ff.) Beschwerde erheben und folgende Rechtsbegehren stellen:
1. Die Verfügung der IV-Stelle Kanton Solothurn vom 16. März 2021 sei abzuändern und es sei der Beschwerdeführerin auch für den Zeitraum vom 1. Oktober 2019 bis 31. August 2020 eine halbe Invalidenrente nach Massgabe eines Invaliditätsgrades von 50 % zzgl. eines Verzugszinses zu 5 % seit wann rechtens zuzusprechen. 2. Die Beschwerdeführerin sei gerichtlich protokollarisch zur Frage des Zeitpunkts des Auszugs aus dem ehelichen Haushalt und zur Frage der finanziellen Notwendigkeit eines Vollzeitpensums zu befragen (Beweisthema: Frage des Zeitraumes der Anwendbarkeit der gemischten Methode). 3. Es sei gestützt auf Art. 6 Ziff. 1 EMRK eine öffentliche Gerichtsverhandlung mit Publikums- und Presseanwesenheit anzusetzen und durchzuführen. 4. Es sei dem Unterzeichneten Rechtsanwalt vor Eröffnung des materiellen Entscheids eine Frist zur Einreichung einer detaillierten Kostennote zwecks Geltendmachung einer Parteientschädigung anzusetzen. 5. Alles unter Kosten- und Entschädigungsfolge zu Lasten der Beschwerdegegnerin.
3. Mit Eingabe vom 21. Juni 2021 (A.S. 26) verzichtet die Beschwerdegegnerin auf Einreichung einer begründeten Beschwerdeantwort und schliesst auf Abweisung der Beschwerde.
4. Mit Verfügung vom 22. November 2021 (A.S. 37 f.) setzt die Vizepräsidentin der Beschwerdeführerin Frist, Belege über die seit der Trennung im Januar 2017 erhaltenen Alimente, bzw. über eine eventuelle Alimentenbevorschussung sowie das Scheidungsurteil und die definitiven Steuerveranlagungen seit der Trennung im Jahr 2017 einzureichen. Zudem werden die Parteien zur Instruktionsverhandlung mit Parteibefragung der Beschwerdeführerin (Thema: Statusfrage) vorgeladen.
5. Mit Eingabe vom 6. Dezember 2021 (A.S. 40 f.) lässt die Beschwerdeführerin verschiedene Unterlagen einreichen.
6. Am 1. Februar 2022 findet vor der Vizepräsidentin des Versicherungsgerichts eine Instruktionsverhandlung statt.
7. Mit Verfügung vom 1. Februar 2022 (A.S. 44) werden im vorliegenden Verfahren beim Richteramt [...] die Akten betreffend das Ehescheidungsverfahren TGZPR.[…] der Beschwerdeführerin eingeholt.
8. Mit Eingabe vom 16. März 2022 (A.S. 61 f.) reicht die Beschwerdeführerin eine Stellungnahme ein.
9. Mit Schreiben vom 21. April 2022 (A.S. 69 f.) stellt die Beschwerdeführerin den Antrag, das vorliegende Verfahren sei zu sistieren, bis die Diskrepanzen bezüglich der Unterhaltszahlungen in den Steuerunterlagen durch das Steueramt [...] berichtigt worden seien.
Mit Verfügung vom 27. April 2022 (A.S. 73 f.) weist die Vizepräsidentin diesen Sistierungsantrag ab.
10. Mit Eingabe vom 11. Mai 2022 modifiziert der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin Ziff. 1 seiner Rechtsbegehren wie folgt:
Die Verfügung der IV-Stelle Kanton Solothurn vom 16. März 2021 sei abzuändern und es sei der Beschwerdeführerin auch für den Zeitraum vom 1. November 2019 bis 31. August 2020 eine halbe Invalidenrente nach Massgabe eines Invaliditätsgrades von 50 % zzgl. eines Verzugszinses zu 5 % seit wann rechtens zuzusprechen.
11. Auf die Ausführungen in den Rechtsschriften der Parteien wird, soweit erforderlich, in den folgenden Erwägungen eingegangen. Im Übrigen wird auf die Akten verwiesen.
II.
1. 1.1 Die Sachurteilsvoraussetzungen (zulässiges Anfechtungsobjekt, Einhaltung von Frist und Form, örtliche, sachliche und funktionelle Zuständigkeit des angerufenen Gerichts, Legitimation) sind erfüllt. Auf die Beschwerde ist einzutreten.
1.2 Im vorliegenden Fall fordert die Beschwerdeführerin, ihr sei auch für den Zeitraum vom 1. November 2019 bis 31. August 2020 eine halbe Invalidenrente nach Massgabe eines Invaliditätsgrades von 50 % zzgl. eines Verzugszinses zu 5 % seit wann rechtens zuzusprechen. Wie aus der angefochtenen Verfügung vom 16. März 2021 ersichtlich ist, beträgt der ab 1. September 2020 festgelegte Rentenbetrag total CHF 2'311.00 pro Monat. Es ist davon auszugehen, dass auch die nachgeforderten monatlichen Rentenbeträge in der Zeit vom 1. November 2019 bis 31. August 2020 ähnlich hoch ausfallen dürften. Damit liegt der Streitwert (10 Monate à ca. CHF 2'311.00) unter CHF 30'000.00, weshalb die Vizepräsidentin des Versicherungsgerichts die Angelegenheit gemäss § 54bis Abs. 1 lit. a GO als Einzelrichterin beurteilt.
2. 2.1 In zeitlicher Hinsicht sind – vorbehältlich besonderer übergangsrechtlicher Regelungen – grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgeblich, die bei der Erfüllung des rechtlich zu ordnenden zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes Geltung haben (BGE 132 V 215 E. 3.1.1 S. 220). Am 1. Januar 2022 trat das revidierte Bundesgesetz über die Invalidenversicherung (IVG, SR 831.20) in Kraft. Die angefochtene Verfügung erging vor dem 1. Januar 2022. Zudem steht eine Rentenzusprechung vom 1. November 2019 bis 31. August 2020 zur Debatte. Nach den allgemeinen Grundsätzen des intertemporalen Rechts und des zeitlich massgebenden Sachverhalts sind daher die Bestimmungen des IVG und diejenigen der Verordnung über die Invalidenversicherung (IVV, SR 831.201) in der bis 31. Dezember 2021 gültig gewesenen Fassung anwendbar (Urteil des Bundesgerichts 8C_787/2021 vom 23. März 2022 E. 2.1 mit Hinweisen).
2.2 2.2.1 Als Invalidität gilt die voraussichtlich bleibende längere Zeit andauernde ganze teilweise Erwerbsunfähigkeit (Art. 8 Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts / ATSG, SR 830.1). Bei einem Invaliditätsgrad ab 40 % besteht Anspruch auf eine Viertelsrente, ab 50 % auf eine halbe Rente, ab 60 % auf eine Dreiviertelsrente sowie ab 70 % auf eine ganze Rente (Art. 28 Abs. 2 Bundesgesetz über die Invalidenversicherung / IVG, SR 831.20).
2.2.2 Für die Bestimmung des Invaliditätsgrades wird das Erwerbseinkommen, das die versicherte Person nach Eintritt der Invalidität und nach Durchführung der medizinischen Behandlung und allfälliger Eingliederungsmassnahmen durch eine ihr zumutbare Tätigkeit bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage erzielen könnte (Invalideneinkommen) in Beziehung gesetzt zum Erwerbseinkommen, das sie erzielen könnte, wenn sie nicht invalid geworden wäre (Valideneinkommen, Art. 16 ATSG).
2.2.3 2.2.3.1 Bei versicherten Person, die nur zum Teil erwerbstätig sind (oder unentgeltlich im Betrieb des Ehegatten der Ehegattin mitarbeiten), wird die Invalidität für diesen Teil durch einen Einkommensvergleich nach Art. 16 ATSG festgelegt (Art. 28a Abs. 3 IVG). Waren diese Personen daneben auch im Aufgabenbereich tätig, so wird für diese Tätigkeit bei der Bemessung der Invalidität in Abweichung von Art.16 ATSG darauf abgestellt, in welchem Masse sie unfähig sind, sich im Aufgabenbereich zu betätigen (Art. 28a Abs. 2 IVG). In diesem Fall sind der Anteil der Erwerbstätigkeit (oder der unentgeltlichen Mitarbeit im Betrieb des Ehegatten der Ehegattin) und der Anteil der Tätigkeit im Aufgabenbereich festzulegen und der Invaliditätsgrad in beiden Bereichen zu bemessen (sog. gemischte Methode; vgl. BGE 130 V 393 E. 3.3 S. 396). Seit dem 1. Januar 2018 gilt für die gemischte Methode die folgende ergänzende Regelung (Art. 27bis IVV): Ist bei Versicherten, die nur zum Teil erwerbstätig sind die unentgeltlich im Betrieb des Ehegatten der Ehegattin mitarbeiten, anzunehmen, dass sie im Zeitpunkt der Prüfung des Rentenanspruchs ohne Gesundheitsschaden ganztägig erwerbstätig wären, so ist die Invaliditätsbemessung ausschliesslich nach den Grundsätzen für Erwerbstätige zu bemessen (Abs. 1). Bei Teilerwerbstätigen, die sich zusätzlich im Aufgabenbereich nach Art. 7 Abs. 2 IVG betätigen, werden für die Bestimmung des Invaliditätsgrads folgende Invaliditätsgrade summiert: a. der Invaliditätsgrad in Bezug auf die Erwerbstätigkeit; b. der Invaliditätsgrad in Bezug auf die Betätigung im Aufgabenbereich (Abs. 2). Die Berechnung des Invaliditätsgrads in Bezug auf die Erwerbstätigkeit richtet sich nach Artikel 16 ATSG, wobei (Abs. 3): a. das Erwerbseinkommen, das die versicherte Person durch die Teilerwerbstätigkeit erzielen könnte, wenn sie nicht invalid geworden wäre, auf eine Vollerwerbstätigkeit hochgerechnet wird; und b. die prozentuale Erwerbseinbusse anhand des Beschäftigungsgrads, den die Person hätte, wenn sie nicht invalid geworden wäre, gewichtet wird. Für die Berechnung des Invaliditätsgrads in Bezug auf die Betätigung im Aufgabenbereich wird der prozentuale Anteil der Einschränkungen bei der Betätigung im Aufgabenbereich im Vergleich zur Situation, wenn die versicherte Person nicht invalid geworden wäre, ermittelt. Der Anteil wird anhand der Differenz zwischen dem Beschäftigungsgrad nach Absatz 3 Buchstabe b und einer Vollerwerbstätigkeit gewichtet (Abs. 4). Inhaltlich neu ist insbesondere Art. 27bis Abs. 3 lit. a IVV, wonach das Erwerbseinkommen, das die versicherte Person durch die teilzeitliche Erwerbstätigkeit erzielen würde, auf ein Vollzeitpensum hochgerechnet wird.
2.2.3.2 Die für die Methodenwahl (Einkommensvergleich, gemischte Methode, Betätigungsvergleich) entscheidende Statusfrage, nämlich ob eine versicherte Person als ganztägig, zeitweilig gar nicht erwerbstätig einzustufen ist, beurteilt sich danach, was diese bei im Übrigen unveränderten Umständen täte, wenn keine gesundheitliche Beeinträchtigung bestünde. Entscheidend ist somit nicht, welches Ausmass der Erwerbstätigkeit der versicherten Person im Gesundheitsfall zugemutet werden könnte, sondern in welchem Pensum sie hypothetisch erwerbstätig wäre. Bei im Haushalt tätigen Versicherten im Besonderen sind die persönlichen, familiären, sozialen und erwerblichen Verhältnisse ebenso wie allfällige Erziehungs- und Betreuungsaufgaben gegenüber Kindern, das Alter, die beruflichen Fähigkeiten und die Ausbildung sowie die persönlichen Neigungen und Begabungen zu berücksichtigen. Massgebend sind die Verhältnisse, wie sie sich bis zum Erlass der Verwaltungsverfügung entwickelt haben, wobei für die hypothetische Annahme einer im Gesundheitsfall ausgeübten (Teil-) Erwerbstätigkeit der im Sozialversicherungsrecht übliche Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit erforderlich ist. Dies erfordert zwangsläufig eine hypothetische Beurteilung, die auch hypothetische Willensentscheidungen der versicherten Person zu berücksichtigen hat. Derlei ist einer direkten Beweisführung wesensgemäss nicht zugänglich und muss in aller Regel aus äusseren Indizien erschlossen werden (Urteil des Bundesgerichts 9C_161/2019 vom 28. Juni 2019 E. 5.2).
3. Im Sozialversicherungsverfahren gilt der Untersuchungsgrundsatz, d.h. die Verwaltung resp. das Gericht haben von sich aus für die richtige und vollständige Abklärung des rechtserheblichen Sachverhalts zu sorgen (Art. 43 Abs. 1 und Art. 61 lit. c ATSG). Diese Untersuchungspflicht dauert so lange, bis über die für die Beurteilung des streitigen Anspruchs erforderlichen Tatsachen hinreichende Klarheit besteht. Der Grundsatz gilt jedoch nicht uneingeschränkt, sondern wird durch die Mitwirkungspflichten des Versicherten relativiert (BGE 125 V 193 E. 2 S. 195, 122 V 157 E. 1a S. 158). Ein Teilgehalt der Mitwirkungspflicht besteht in der Teilnahme am Beweisverfahren (Ueli Kieser in: Kommentar zum ATSG, 4. Aufl., Zürich 2020, Art. 43 N 96).
Der Untersuchungsgrundsatz schliesst die Beweislast im Sinne einer Beweisführungslast begriffsnotwendig aus. Die Parteien tragen mithin im Sozialversicherungsverfahren in der Regel eine Beweislast nur insofern, als im Falle der Beweislosigkeit der Entscheid zu Ungunsten jener Partei ausfällt, die aus dem unbewiesen gebliebenen Sachverhalt Rechte ableiten wollte. Diese Beweisregel greift allerdings erst Platz, wenn es sich als unmöglich erweist, im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes auf dem Wege der Beweiserhebung einen Sachverhalt zu ermitteln, der zumindest die Wahrscheinlichkeit für sich hat, der Wirklichkeit zu entsprechen (BGE 117 V 261 E. 3b S. 264).
Führen die von Amtes wegen vorzunehmenden Abklärungen die Verwaltung das Gericht bei pflichtgemässer Beweiswürdigung zur Überzeugung, ein bestimmter Sachverhalt sei als überwiegend wahrscheinlich zu betrachten und es könnten weitere Beweismassnahmen an diesem feststehenden Ergebnis nichts mehr ändern, so ist auf die Abnahme weiterer Beweise zu verzichten. Gleiches gilt, wenn der Sachverhalt, den eine Partei beweisen will, nicht rechtserheblich erscheint (BGE 126 V 353 E. 5b S. 360, 125 V 193 E. 2 S. 195, 122 V 157 E. 1d S. 162). In einer solchen antizipierten Beweiswürdigung liegt kein Verstoss gegen das verfassungsmässig gewährleistete rechtliche Gehör (BGE 134 I 140 E. 5.3 S. 148, 124 V 90 E. 4b S. 94). Bleiben jedoch erhebliche Zweifel an der Vollständigkeit und / Richtigkeit der bisher getroffenen Tatsachenfeststellung bestehen, ist weiter zu ermitteln, soweit von zusätzlichen Abklärungsmassnahmen noch neue wesentliche Erkenntnisse zu erwarten sind (Urteil des Bundesgerichts 9C_407/2015 vom 22. April 2016 E. 3.1).
4. Gemäss den Ausführungen der Beschwerdeführerin gehe die Beschwerdegegnerin in der angefochtenen Verfügung davon aus, dass sie erst auf Grund der Scheidung im Juni 2020 aus finanziellen Gründen einem Vollzeitpensum von 100 % habe nachgehen müssen, weshalb bis dahin unter Anwendung der gemischten Methode ein Invaliditätsgrad von 25 % resultiere, was zu keinem Rentenanspruch führe. Im IV-Abklärungsbericht vom 19. August 2020 stehe jedoch im Widerspruch dazu auf Seite 3 (Ziff. 2.4), dass die Beschwerdeführerin seit dem Umzug nach [...] mit einem 100%-Pensum hätte arbeiten müssen, also nicht erst seit der Scheidung im Juni 2020. Auf Seite 1 des gleichen Berichts (Ziff. 1.2) stehe, dass die Beschwerdeführerin bereits per 1. August 2019 nach [...] umgezogen sei und dass sie seit dem 8. Januar 2017 von ihrem Ehemann getrennt lebe, was zutreffe. Der Sachverhalt sei also von der Beschwerdegegnerin aktenwidrig, falsch und willkürlich festgestellt worden. Spätestens seit dem 1. August 2019 dürfe somit bei der Beschwerdeführerin die gemischte Methode keine Anwendung mehr finden und ihr sei für den ganzen Zeitraum eine halbe Rente zuzusprechen und nicht erst seit 1. September 2020. Sodann bestätige die Beschwerdeführerin ihre anlässlich der gerichtlichen Befragung vom 1. Februar 2022 gemachte Aussage, dass sie selber keine Unterhaltszahlungen erhalten habe. Sie habe auch keinen Liegenschaftsgewinn erzielt, da sie ja ausgezogen sei und zusätzlich zur Liegenschaftshypothek auch eine Wohnungsmiete bezahlt habe. Die Zahlen in den Steuerunterlagen würden deshalb nicht stimmen. Dies sei auch so vom Treuhänder bestätigt worden.
Demgegenüber vertritt die Beschwerdegegnerin die Ansicht, der Situationsbericht des Abklärungsfachmannes der IV-Stelle habe ergeben, dass der Beschwerdeführerin eine ausserhäusliche Tätigkeit im Pensum von 50 % zumutbar wäre. Die restlichen 50 % fielen in den Aufgabenbereich Haushalt. Den medizinischen Akten sei zu entnehmen, dass sie im Zeitpunkt ab 20. Januar 2016 bis 31. Mai 2016 nach einer Handverletzung vorübergehend arbeitsunfähig gewesen sei. Im weiteren Verlauf habe sich ihre gesundheitliche Situation wieder stabilisiert respektive verbessert. Das durchgeführte polydisziplinäre Gutachten habe ergeben, dass der Beschwerdeführerin sämtliche ausserhäuslichen Tätigkeiten, sowie alle im Haushalt anfallenden Arbeiten wieder vollumfänglich zumutbar seien. Eine langandauernde Arbeitsunfähigkeit sei nicht ausgewiesen gewesen. Es sei ihr möglich und zumutbar gewesen – vor Ablauf des gesetzlichen Wartejahres – mit einer entsprechenden Tätigkeit ein Renten ausschliessende Einkommen zu erwirtschaften. Aufgrund der Scheidung im Juni 2020 sei davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin auch aus finanziellen Gründen einem Vollzeitpensum (100 Prozent) nachgehen müsste.
Strittig und zu prüfen ist demnach, ob die Beschwerdegegnerin der Beschwerdeführerin bereits ab 1. November 2019 eine halbe Rente hätte zusprechen müssen.
5. Aus medizinischer Sicht ist der Sachverhalt sowohl bezüglich der Diagnostik als auch der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit unbestritten. Die Beschwerdegegnerin stellt in ihrer Verfügung vom 16. März 2021 auf das B.___-Gutachten vom 27. Januar 2018 (IV-Nr. 37.1) sowie auf die B.___-Stellungnahme vom 28. April 2019 (IV-Nr. 74) ab. Im B.___-Gutachten vom 27. Januar 2018 wurden folgende Diagnosen gestellt:
Diagnosen mit Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit (letzte Tätigkeit) 1. Unspezifische psychische Störung (ICD-10: F99)
Diagnosen ohne Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit (letzte Tätigkeit) 1. Guillain-Barré-Syndrom (März 2016) 2. Colon irritabile bei abdominellen Voroperationen, Status nach Bauchwandhernienoperation 2011, Status nach Cholezystektomie und Appendektomie 2012 3. Status nach Adipositas permagna, Gewichtsreduktion unter Diät von 145 kg auf 73 kg 2007 bis 2011 4. Atypische Bulimie (ICD-10: F 50.3) 5. Lumbago ohne radikuläre Reizung 6. Senk-Spreiz-Plattfuss beidseits
Zur Beurteilung ist dem B.___-Gutachten zu entnehmen, die Beschwerdeführerin leide unter Beschwerden und zeige Symptome, die nicht gänzlich als normalpsychologische Reaktionen auf ihre Lebensbiografie und die beschriebenen Demütigungen und das Leiden im Zusammenhang mit ihrer 20-jährigen Ehe zu interpretieren seien. Die meisten von ihnen besässen mindestens einen krankheitswertigen Anteil, manche seien ausschliesslich krankheitswertig (z.B. selbstverletzende Verhaltensweisen). Dass der psychopathologische Befund nicht viele pathologische Symptome aufweise, sei darin begründet, dass viele der krankheitswertigen Beschwerden der Versicherten sich auf der kognitiven und Verhaltensebene bewegten, was ein solcher Befund nicht ausreichend abbilden könne. In ihrem Zusammenspiel seien die Beschwerden und Symptome für die Funktionsfähigkeit im privaten und beruflichen Alltag durchaus relevant, da sie zu einer erhöhen psychischen Vulnerabilität führten. Ausserdem seien die psychomentale Ausdauer und Belastbarkeit nach unten verschoben. Andererseits müssten die intakten Funktionen der Versicherten berücksichtigt werden, insbesondere die Ausübung ihrer Rolle als mehrfache Mutter und Hausfrau. Daher lasse sich in der Zusammenschau aller Funktionsstörungen und Ressourcen eine Abnahme der Arbeitsfähigkeit allenfalls um 20 % ableiten, was einer Arbeitsfähigkeit von 80 % entspreche. Hinsichtlich des zeitlichen Verlaufs der Arbeitsfähigkeit führten die Gutachter aus, ab dem 20. Januar 2016 bis Ende Mai 2016 sei eine 100%ige Arbeitsunfähigkeit der Versicherten aufgrund der Einschränkungen der rechten Hand nachvollziehbar. Von März 2016 bis August 2017 sei die Versicherte wegen dem GBS zu 100 % arbeitsunfähig gewesen. Ab September 2017 bestehe wegen der psychischen Symptomatik eine Arbeitsfähigkeit von 80 % bis heute. Sodann holte die Beschwerdegegnerin bei den B.___-Gutachtern die obenerwähnte Stellungnahme ein, wobei sie den Gutachtern den Austrittsbericht der D.___, [...], vom 12. Juli 2019 (IV-Nr. 49) vorlegte, worin bei der Beschwerdeführerin aus psychiatrischer Sicht eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome, eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit abhängigen und emotional-instabilen Anteilen sowie eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert wurden sowie eine 100%ige Arbeitsunfähigkeit attestiert wurde. In ihrer Stellungnahme vom 13. Dezember 2019 (IV-Nr. 74) führten die B.___-Gutachter in diesem Zusammenhang im Wesentlichen aus, über die Diagnose «schwere depressive Episode» könne sicherlich fachlich kontrovers diskutiert werden. Nach Durchsicht des Austrittsberichts und unter besonderer Berücksichtigung des psychopathologischen Befundes erscheine das angegebene Ausmass der Diagnose nicht gänzlich nachvollziehbar. Besonders fehle – für psychiatrische Austrittsberichte typisch – eine differenzierte Auseinandersetzung mit denjenigen Anteilen der psychischen Verfassung, die als normalpsychologische Reaktionen zu verstehen wären. Psychosoziale Belastungsfaktoren würden auch im Austrittsbericht beschrieben. Aus versicherungsmedizinischer Sicht handle es sich bei den Folgen dieses Anteils der psychischen Beeinträchtigungen um medizinisch nicht begründete Funktionsstörungen. Es sei auch schwer vorstellbar, dass eine Patientin mit zwei schwerwiegenden psychiatrischen Erkrankungen inklusive einer schweren Depression (mit zu erwartender schwerer Antriebsstörung) regelmässig und uneingeschränkt an «psychotherapeutischen Einzelgesprächen, Gruppentherapien, Bezugspflegegesprächen, Beratungen durch den Sozialdienst, Ergotherapien, Gestaltungstherapien, physiotherapeutische Therapien zur Aktivierung, körperlichen Kräftigung und Spannungsreduktion» habe teilnehmen können. Würde man die abschliessenden Aussagen im Bericht zu Grunde legen, wonach die Versicherte nur in einem wenig verbesserten psychischen Zustand aus der Klinik ausgetreten sei, müsste sie somit weiterhin mit einer schweren Depression entlassen worden sein, was keinen Sinn machen würde. In der Summe dürfte es sich somit eher um eine mittelgradige depressive Episode gehandelt haben. Hierbei würde es sich um eine prinzipiell gut behandelbare Erkrankung handeln. Sie könne also langfristig für die Frage der Arbeitsfähigkeit nicht von Relevanz sein, allenfalls einige Monate (Austritt bereits im Frühsommer). Zusammenfassend sei es in der Zwischenzeit seit der Begutachtung 10/2018 zu einer Verschlechterung der psychischen Verfassung bei der Versicherten gekommen. Aus medizinisch-gutachterlicher Sicht hätten sich aus dem zu grossen Teilen anlässlich der Begutachtung noch unklaren klinischen Bild genauere Krankheitsbilder herauskristallisiert. Von diesen sei die «komplexe posttraumatische Belastungsstörung» für die Frage der quantitativen Arbeitsfähigkeit auch langfristig von Relevanz. Eine Abnahme der Stress- und Frustrationstoleranz, verminderte Coping-Strategien und eine insgesamt reduzierte psychomentale Ausdauer und Belastbarkeit liessen sich daraus ableiten, diese wiederum begründeten in ihrem Zusammenspiel eine Abnahme der Arbeitsfähigkeit um 50 %. Mit anderen Worten betrage die Arbeitsfähigkeit aus psychiatrischer Sicht 50 %.
In der Folge hielt die RAD-Ärztin, Dr. med. E.___, Fachärztin für Allgemeinmedizin und Arbeitsmedizin, mit Stellungnahme vom 12. Februar 2020 (IV-Nr. 80) fest, somit sei seit der Begutachtung ab Oktober 2018 für jedwede Tätigkeit eine 50%ige Arbeitsunfähigkeit anzusetzen, was gestützt auf die vorerwähnten nachvollziehbaren Beurteilungen der B.___-Gutachter nicht zu beanstanden ist und denn auch nicht bestritten wird.
6. Strittig ist dagegen, ob die Beschwerdegegnerin den Status der Beschwerdeführerin – also ob diese als ganztägig, zeitweilig gar nicht erwerbstätig einzustufen ist – im Zeitraum von November 2019 bis August 2020 mit der Annahme einer im Gesundheitsfall ausgeübten 50%igen ausserhäuslichen Tätigkeit korrekt festgelegt hat. Unbestritten ist hingegen, dass die Beschwerdeführerin im Gesundheitsfall spätestens ab September 2020 zu 100 % ausserhäuslich tätig wäre.
6.1 Im Zusammenhang mit der strittigen Statusfrage sind im Wesentlichen folgende Unterlagen von Belang:
6.1.1 Im Intake-Gespräch vom 2. Februar 2017 gab die Beschwerdeführerin an, sie habe von 1996 bis 1999 eine Ausbildung zur Landwirtin und von 1999 bis 2000 eine Ausbildung zur Agrokauffrau absolviert. Dann sei das 1. von 6 Kindern auf die Welt gekommen und sie sei Mutter und Hausfrau gewesen. Ab Oktober 2013 habe sie im Service gearbeitet. Sie habe freitags, samstags und sonntags gearbeitet und saisonal. Das seien etwa 5 – 6 Stunden gewesen pro Abend. Etwa 15 Stunden in der Woche. Ihre Kinder seien zwischen 6 und 16-jährig. Sie würde jetzt mit der bevorstehenden Scheidung 50 % arbeiten, wenn jemand zu den Kindern schauen würde. Im Moment habe sie kein Geld für eine Kinderbetreuung und Familie Freunde / Kollegen seien entweder nicht in der Nähe (Eltern) nicht mehr vorhanden (Freund / Kollegen). Sie sei verheiratet und sie hätten sich vor 3 Wochen getrennt. Die 6 Kinder seien alle bei ihr. Sie wohne in einem alten grossen Bauernhaus mit zu bearbeitendem Umschwung mit 1300 m2, mit Gemüse und Obstbaumbestand. Die älteren Kinder würden mithelfen, aber es hänge eigentlich alles an ihr. Ihre Eltern seien in der Innerschweiz und der Kontakt zu ihnen sei durchzogen. Zu den Schwiegereltern sei der Kontakt nicht gut. Sie habe keine Kollegen mehr, weil diese von ihrem Mann systematisch demontiert worden seien. Bis zur Trennung mit ihrem Mann habe dieser ihr im Haushalt und mit der Kinderbetreuung geholfen und eine Frau vom Schweizerischen Roten Kreuz habe auch geholfen. Der Ex-Mann müsste eigentlich für die Kinder Unterhalt zahlen und sie habe deshalb einen Anwalt. Sie wisse nicht wieviel Schulden sie hätten, aber sie wisse, dass solche bestünden.
6.1.2 Im Eheschutzurteil des Amtsgerichtspräsidenten des Richteramtes [...] vom 12. Juni 2017 (IV-Nr. 20) wurden folgende, durch den damaligen Ehemann der Beschwerdeführerin und Vater der Kinder zu zahlende Unterhaltsbeiträge festgelegt:
a) F.___: CHF 650.00 (Barunterhalt CHF 420.00; Betreuungsunterhalt CHF 230.00) b) G.___: CHF 650.00 (Barunterhalt CHF 420.00; Betreuungsunterhalt CHF 230.00) c) H.___: CHF 620.00 (Barunterhalt CHF 390.00; Betreuungsunterhalt CHF 230.00) d) I.___: CHF 670.00 (Barunterhalt CHF 440.00; Betreuungsunterhalt CHF 230.00) e) J.___: CHF 700.00 (Barunterhalt CHF 240.00; Betreuungsunterhalt CHF 460.00) f) K.___: CHF 700.00 (Barunterhalt CHF 240.00; Betreuungsunterhalt CHF 460.00) Weiter wurde im Urteil festgehalten, die Kinderzulagen seien in diesen Beiträgen nicht inbegriffen; sie sollten den Kindern jedoch zusätzlich zukommen. Mit den festgesetzten Unterhaltsbeiträgen sei der gebührende Unterhalt für die Kinder jedoch nicht gedeckt. Zur Deckung des gebührenden Unterhalts fehlten für F.___, G.___, H.___ und I.___ je CHF 80.00 (Betreuungsunterhalt) und für J.___ und K.___ je CHF 160.00 (Betreuungsunterhalt).
6.1.3 Mit Stellungnahme vom 16. August 2017 (IV-Nr. 18) führte der Abklärungsfachmann des Abklärungsdienstes aus, die Versicherte, seit Januar 2017 getrennt lebend vom Ehegatten, sei Mutter von sechs Kindern (2001 [m], 2003 [m], 2005 [w], 2006 [w], 2008 [w], 2010 [m]). Die Versicherte, ausgebildete Landwirtin und Agrokauffrau, habe vor der Heirat 2001 nur eine kurze Zeit gearbeitet und habe seither, nebst der Kinder- und Familienbetreuung mit dem Ehegatten den Hof bewirtschaftet. Nebenbei sei sie noch seit 2010 selbständigerwerbend gewesen (gemäss IK-Zusammenruf nicht in der Landwirtschaft) und habe damit rund CHF 9'300.00 abgerechnet. Daneben habe sie an den Wochenenden, in der Regel von Freitag- bis Sonntagabend, in der bekannten «L.___» in [...] gearbeitet und damit 2015 ein Einkommen von CHF 13'268.00 generiert, was in etwa einem Pensum von 15 Stunden pro Woche entsprochen habe. Im Intakegespräch habe sie angegeben, im Gesundheitsfall heute zu 50 % erwerbstätig zu sein, wenn jemand zu den Kindern schauen würde. Sie verfüge aktuell jedoch nicht über die notwendigen finanziellen Mittel, um jemanden zu beauftragen. Unter dem Aspekt, dass die Versicherte im Gesundheitsfall weiterhin tagsüber den Hof bewirtschaften müsste und grundsätzlich eher abends und an den Wochenenden, wie bis anhin einer Nebenerwerbstätigkeit nachgehen müsste (aus finanziellen Gründen), sei eine 50-prozentige Erwerbstätigkeit realistisch. Der ältere Sohn habe eine Lehre als Forstwart begonnen. Ihm, dem jüngeren Bruder, wobei dieser eine Selbstbewusstseinsstörung habe, sowie der ältesten, bald 12 3/4-jährigen Tochter könne zugemutet werden, abends auf die jüngeren Geschwister aufzupassen, falls die Mutter einer Erwerbstätigkeit nachginge. Dies sei auch in ähnlich gelagerten familiären Verhältnissen, insbesondere in der Landwirtschaft, üblich. Im Haushalt bestehe aktuell, ausser bei Klinikaufenthalten sowie während der damit verbundenen Rekonvaleszenz, keine Einschränkung.
6.1.4 Wie aus den eingereichten Kontoauszügen ersichtlich ist, wurden der Beschwerdeführerin von ihrem damaligen Ehemann von Juni 2017 bis Dezember 2018 monatlich Unterhaltsbeiträge von CHF 4'000.00 überwiesen (Beschwerdebeilagen 8 und 9).
6.1.5 Gemäss dem von der Beschwerdeführerin eingereichten Kontoauszügen (Beschwerdebeilage 7) sind der Beschwerdeführerin die im Scheidungsurteil vom 12. Juni 2020 (s. E. II. 6.1.6 hiernach) gerichtlich festgelegten Unterhaltsbeiträge von CHF 5'100.00 (September – Dezember 2019) sowie von CHF 4'220.00 (Januar 2020 – November 2021) überwiesen worden. Des Weiteren wurden gemäss den eingereichten Bankauszügen im Jahr 2019 folgende Unterhaltsbeiträge überwiesen: August 2019 CHF 3'990.00; Januar bis Juli 2019 CHF 4'000.00 pro Monat.
6.1.6 Im Ehescheidungsurteil des Amtsgerichtspräsidenten des Richteramtes [...] vom 12. Juni 2020 wurde unter anderem Folgendes festgelegt: Die gemeinsamen Kinder – G.___, geb. [...] 2003, H.___, geb. [...] 2005, I.___, geb. [...] 2006, J.___, [...] 2008 und K.___, geb. [...] 2010, würden unter der gemeinsamen elterlichen Sorge belassen. Sie würden unter die alleinige Obhut der Mutter gestellt, mit Wohnsitz der Kinder bei der Mutter. Über das Besuchs- und Ferienrecht des Vaters einigten sich die Parteien unter Berücksichtigung der Wünsche der Kinder grundsätzlich direkt und frei. Komme keine Einigung zustande, gelte folgende Minimalregelung: Der Vater habe das Recht, die Kinder I.___, J.___ und K.___ jedes zweite Wochenende von Samstag, 09.00 Uhr, bis Sonntag, 19.00 Uhr, zu sich auf Besuch zu nehmen. Ausserdem stehe dem Vater das Recht zu, die Kinder I.___, J.___ und K.___ einmal jährlich während der Schulferien für 14 Tage ferienhalber zu sich zu nehmen. Der Vater der Kinder habe für die Kinder folgende monatlich vorauszahlbaren Unterhaltsbeiträge zu leisten: - ab 1. September 2019 bis 31. Dezember 2019: CHF 5'100.00 zzgl. Kinderzulagen. - ab 1. Januar 2020: a) für G.___: CHF 290.00 (Barunterhalt CHF 290.00; Betreuungsunterhalt CHF 00.00) b) für H.___: CHF 950.00 (Barunterhalt CHF 580.00; Betreuungsunterhalt CHF 370.00) c) für I.___: CHF 960.00 (Barunterhalt CHF 590.00; Betreuungsunterhalt CHF 370.00) d) für J.___: CHF 1'020.00 (Barunterhalt CHF 650.00; Betreuungsunterhalt CHF 370.00) e) für K.___: CHF 1'000.00 (Barunterhalt CHF 630.00; Betreuungsunterhalt CHF 370.00)
Total habe der Vater Unterhaltsbeiträge von CHF 4'220.00 zu bezahlen. Der Betreuungsunterhalt pro Kind entfalle jeweils mit dem 16. Geburtstag des Kindes. Gleichzeitig erhöhe sich der Barunterhalt für das jeweilige Kind bis zur Volljährigkeit auf CHF 700.00 und der restliche Betrag solle der Ehefrau als nachehelicher Unterhaltsbeitrag im Sinne von Art. 125 ZGB zukommen. Dasselbe gelte in der Folge beim Wegfall des jeweiligen Barunterhalts für das jeweilige Kind, welcher ebenfalls der Ehefrau als nachehelicher Unterhalt zukomme. Der nacheheliche Unterhaltsbeitrag der Ehefrau sei auf den Betrag von CHF 3'800.00 begrenzt. Die Kinderzulagen seien in diesen Beiträgen nicht inbegriffen; sie sollten den Kindern jedoch zusätzlich zukommen. Die Unterhaltspflicht gegenüber den Kindern dauere bis zu ihrer wirtschaftlichen Selbständigkeit, längstens jedoch bis zur Volljährigkeit. Art. 277 Abs. 2 ZGB sei vorbehalten. Die Ehegatten nähmen zur Kenntnis, dass mit dem festgelegten Unterhaltsbeitrag der gebührende Unterhalt der Ehefrau von CHF 3'800.00 im Sinne von Art. 129 Abs. 3 ZGB nicht gedeckt sei. Die monatliche Unterdeckung betrage CHF 2'320.00. Die Unterdeckung reduziere sich im Umfang der Erhöhung des Unterhaltes der Ehefrau gemäss den vorgehenden Ausführungen.
6.1.7 Im Haushaltsabklärungsbericht vom 19. August 2020 (IV-Nr. 93) hielt die Fachspezialistin fest, die Beschwerdeführerin, ihr Partner und alle sechs Kinder seien am Abklärungstermin anwesend. Sie sei per 1. August 2019 nach [...] umgezogen. Um die Auswirkungen der gesundheitlichen Einschränkungen auf den Teilaufgabenbereich Haushalt seit August 2019 festzustellen, unter gleichzeitiger Überprüfung der Statusfrage, ebenfalls ab August 2019, sei eine Haushaltabklärung an Ort und Stelle angezeigt. Sodann gab die Beschwerdeführerin an (s. Ziff. 1.2 und 2.4 des Abklärungsberichts), zum Glück seien ihre Kinder bereits alle ziemlich selbständig. Der älteste Sohn lebe beim Vater und komme nur noch an den Wochenenden auf Besuch. Der Zweitälteste sei in Ausbildung zum Landwirt. Er habe ein Zimmer beim Lehrmeister und komme daher auch nur noch jedes 2. Wochenende nach Hause. Eine der Töchter sei im Praktikum zur Pferdehelferin. Sie befinde sich ebenfalls 4 Tage pro Woche ausser Haus. Sie erhalte Alimente für die Kinder. Seit dem Umzug nach [...] müsste sie in einem 100%-Pensum ausserhäuslich arbeiten. Dies weil für zwei der Kinder die Alimente weggefallen seien. Eigene Unterhaltszahlungen bekomme sie keine. Die KESB habe die Auflage gemacht, dass jedes Kind ein eigenes Zimmer haben müsse. Das heisse, eine Tochter und ein Sohn dürften sich nicht ein gemeinsames Zimmer teilen. Von der Sozialhilfe habe sie die Auflage, dass sie, weil die beiden älteren Söhne nur noch an den Wochenenden anwesend seien, in eine kleinere Wohnung umziehen müsse, weil sie sonst keinen Anspruch auf Sozialhilfe habe. In die Zukunft denkend würden die Alimente sowieso nach und nach wegfallen. Da die Kinder mittlerweile selbständig und nicht mehr auf eine Fremdbetreuung angewiesen seien, würde sie aus finanziellen Gründen einem 100%-Pensum nachgehen. Sie würde in der heutigen Situation wahrscheinlich einen Bürojob suchen. Aufgrund ihrer jetzigen gesundheitlichen Situation habe sie sich aber um keine Stellen bemüht. Sie schaffe kaum den Haushalt. Im Weiteren hielt die Fachspezialistin zur Beurteilung fest (s. Ziff. 2.5 des Abklärungsberichts), die Beschwerdeführerin bekomme gemäss ihrer Aussage vor Ort keine persönlichen Unterhaltszahlungen. Die Kinder erhielten nur bis zum 18. Altersjahr Alimente. Die Alimente für die beiden älteren Söhne seien deshalb bereits entfallen. Sie erhalte CHF 850.00 für H.___, CHF 960.00 für I.___, CHF 1'020.00 für J.___ und CHF 1'000.00 für K.___ was ein Total von CHF 3'830.00 ergebe. Davon müsse sie leben, was äusserst knapp bemessen sei. Sozialhilfe bekomme sie erst nach einem Umzug in eine kleinere Wohnung, wobei sie dann nicht mehr alle Kinder zum Übernachten an den Wochenenden zu sich nehmen könnte. Die Alimente gehörten den Kindern obwohl sie heute auch von diesem Geld leben müsse. Die Versicherte habe nebst Kindererziehung und Mitarbeit in der Landwirtschaft zugleich in Teilzeit im Service gearbeitet. Als die Kinder noch kleiner gewesen seien, habe sie ein Einkommen mit Verkauf von M.___ und Werbung Babykoffer für N.___ erzielt. Es könne daher mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass die Versicherte aufgrund der Scheidung, aus finanziellen Gründen, einem 100%-Pensum nachgehen würde resp. müsste. Die zu Hause lebenden Kinder unterstützten die Versicherte heute im Haushalt und würden dies auch tun, wenn die Beschwerdeführerin erwerbstätig wäre. Somit sei die Beschwerdeführerin für die Methodenwahl seit 1. September 2020 als 100 % Erwerbstätige anzusehen. Sodann führte die Fachspezialistin hinsichtlich der Auswirkungen der gesundheitlichen Einschränkungen der Beschwerdeführerin auf den Teilaufgabenbereich Haushalt aus, aufgrund des Einkommensvergleichs sei auf eine Prozentualisierung allfälliger Einschränkungen im Haushalt verzichtet worden.
6.2 Anlässlich der Instruktionsverhandlung vom 1. Februar 2022 machte die Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit der vorliegend strittigen Statusfrage im Wesentlichen folgende Beweisaussagen:
Ihre finanzielle Situation vom Zeitpunkt der Trennung Anfang 2017 bis zum Umzug nach [...] im August 2019 sei sehr prekär gewesen. Sie habe jeden 5-Räppler zählen müssen. Das Problem sei gewesen, dass ihr Ex-Mann am Anfang nicht bezahlt habe. Im Eheschutzurteil vom 12. Juni 2017 seien dann Unterhaltsbeiträge für die Kinder festgelegt worden. Für sich selber habe sie keine Unterhaltsbeiträge erhalten. Dies sei vom Richter so festgelegt worden. Aus der Hofbewirtschaftung habe kein Einkommen resultiert. Dies sei nur für den Eigenbedarf gewesen. In der Zeit bis zum Umzug nach [...] habe sie auch nach Stellen gesucht. Sie sei beim RAV gewesen und dort habe man während drei Monaten versucht, eine Stelle für sie zu finden. Aber da sie ja 100 % arbeitsunfähig sei, sei das RAV zum Schluss gekommen, dass sie gar nicht vermittelbar sei. Hinsichtlich der damaligen Betreuungssituation der Kinder gab die Beschwerdeführerin zu Protokoll, als sie begonnen habe zu arbeiten, habe sie in der Nacht gearbeitet. Damals seien die Kinder durch ihren Mann betreut worden. Als dieser am Abend nachhause gekommen sei, sei sie zur Arbeit gegangen. Da sie im Jahr 2017 erkrankt sei, sei sie danach immer zuhause gewesen. Es sei denn, sie habe unerwartete Spitalaufenthalte gehabt. Aber in diesen Zeitpunkten habe sie eine Art Ersatzgrossmutter aus dem Dorf gehabt, die zu den Kindern geschaut habe. Des Weiteren führte die Beschwerdeführerin aus, im August 2019 sei der Umzug nach [...] erfolgt. Der Umzug sei deshalb notwendig geworden, weil sie die Arbeit auf dem Hof – das Haus, der Umschwung – aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr habe stemmen können. Zudem habe ihr Ex-Mann vorher noch mit dem Umbau des Hofes begonnen, diese Arbeiten seien aber nicht fertig gewesen. Das Haus sei nicht mehr wirklich bewohnbar gewesen. Die Scheidung sei im Sommer 2020 vollzogen worden. Dadurch habe sich bezüglich der Kinderunterhaltsbeiträge aber nichts geändert. Ihr Ex-Mann habe ein Defizit bei den Alimenten und wisse auch, dass er eigentlich mehr Alimente zahlen müsste, da sein Grundbedarf kleiner geworden sei. Es komme hinzu, dass sie die Hauskosten seit dem Auszug des Ex-Mannes selber habe bezahlen müssen. Ihr Ex-Mann habe die Hälfte von seinem Anteil am Haus nie bezahlt. Dies sei bei der Scheidung nicht berücksichtigt worden. Seit dem 1. Juni 2021 wohne sie in [...], aber die Miete betrage unverändert total CHF 2'200.00, inklusive Parkplatz. Sie wohne dort mit ihren Kindern zusammen, sonst wohne niemand anderes im gleichen Haushalt. Aktuell wohnten noch vier Kinder zuhause. Im Jahr 2019 sei aber auch noch der zweitälteste Sohn G.___ zuhause gewesen. Er habe damals noch Landwirt gelernt und die Landwirtschaftsschule sei nur 10 Minuten entfernt gewesen. Wenn er Blockunterricht gehabt habe, habe er teileweise bis fünf Monate am Stück bei ihr gewohnt. Letztes Jahr habe er die Lehre beendet und sei ausgezogen. Sie bekomme nur die Kinderalimente. Sie lebe von den Kindern. Ab dem 16. Altersjahr würden die Alimente pro Kind reduziert und ab dem 18. Altersjahr gebe es keine Alimente mehr, unabhängig davon, ob sich das Kind in diesem Zeitpunkt noch in der Ausbildung befinde. In der Zeit ab August 2019 sei sie keiner ausserhäuslichen Tätigkeit nachgegangen. Sie habe zwar Sozialhilfe beantragt, aber bislang nie solche erhalten. Auf Nachfrage der Instruktionsrichterin, ob sich die Beschwerdeführerin seit dem Umzug nach [...] und bis zur Scheidung um Stellen bemüht habe, gab die Beschwerdeführerin zu Protokoll, sie habe sich mehrere Male mit einem Mitarbeiter der IV und einem Coach getroffen. Aber zu einem Bewerbungsschreiben sei es schlussendlich nicht gekommen, da sich der Coach und ihr IV-Betreuer einig gewesen seien, dass es keine Stelle gebe, die für sie angesichts ihres Gesundheitszustandes und der Kinderbetreuung geeignet wäre. Der Coach habe ihr im Voraus gesagt, dass sie so kein Arbeitgeber einstellen würde. Um finanziell durchzukommen, müsste sie 100 % arbeiten. Wenn sie gesund wäre, würde sie eine Tätigkeit in der Natur als Landwirtin ausüben, so wie sie es gelernt habe. Eine körperliche Tätigkeit mit den Händen. Auf Nachfrage der Instruktionsrichterin, wonach aus den Steuerveranlagungen 2018 und 2019 ersichtlich sei, dass neben dem Kinderunterhalt auch Unterhalt für die Beschwerdeführerin bezahlt worden sei, führte sie aus, das sei gar nicht möglich. Da ihr Ex-Mann im Minus sei, könne er höchstens für die Kinder bezahlen. Das sei auf Jahre hinaus so festgelegt worden. Wenn die Alimente der älteren Kinder mit der Zeit wegfielen, könne er höchstens die bisher nicht gedeckten Alimentenanteile für die jüngeren Kinder bezahlen. Aber für sie selber zahle er keine Alimente. Es sei so gerechnet worden, dass die Deckung der jüngeren Kinder aufgestockt werden könne. Als sie noch in [...] gewohnt habe, habe eine Frau aus [...] ihre Steuererklärung gemacht, deren Namen ihr entfallen sei. Im Jahr 2019 sei die Steuererklärung von einem Treuhänder ausgefüllt worden. Sie habe zu wenig Sachkenntnis, um die Steuererklärung selbst zu machen. Der Treuhänder habe von ihr einen Unterhaltsbeitrag angenommen, obwohl dies nirgendwo geschrieben stehe. Er habe einfach angenommen, dass sie den Unterhaltsbeitrag erhalte. Damit sei die ganze Steuererklärung verfälscht worden. Der Treuhänder habe sowohl die Steuererklärungen für die Beschwerdeführerin als auch die für ihren Ex-Mann gemacht. Aus den Bankauszügen seien ja nur die Kinderalimente von CHF 4'220.00 ersichtlich. Aus der Berechnungsgrundlage des Scheidungsrichters ergebe sich ebenfalls, dass sie für sich keine Alimente erhalte.
6.3 Gestützt auf die vorstehend aufgeführten Unterlagen sowie die anlässlich der Instruktionsverhandlung gemachten Angaben der Beschwerdeführerin ist Folgendes festzuhalten: Aus den eingeholten Scheidungsakten sowie den eingereichten Kontoauszügen ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin im Zeitraum seit ihrer Trennung im Jahr 2017 bis heute als einziges Einkommen die Unterhaltsbeiträge ihres Ex-Mannes zu verzeichnen hatte, welche dieser für seine Kinder bezahlte. In Übereinstimmung mit dem Eheschutzurteil vom 12. Juni 2017, dem Scheidungsurteil vom 12. Juni 2020 sowie den Kontoauszügen (s. E. II. 6.1.4 und 6.1.5 hiervor) waren dies folgende monatliche Beträge: Von Juni 2017 bis August 2019 CHF 4'000.00, von September bis Dezember 2019 CHF 5’1000.00 sowie ab Januar 2020 CHF 4'220.00. Diesen Zahlen steht zwar entgegen, dass in den eingereichten Veranlagungsverfügungen der Jahre 2017 – 2019 (Beschwerdebeilagen 4 – 6) auch Unterhaltszahlungen zu Gunsten der Beschwerdeführerin ausgewiesen wurden (2017: CHF 8'247.00, 2018: 5'080.00, 2019: CHF 8'620.00). Gestützt auf die glaubhaften Aussagen der Beschwerdeführerin anlässlich der Instruktionsverhandlung sowie der vorgenannten übereinstimmenden Scheidungsunterlagen und Kontoauszügen erscheint es aber nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Beschwerdeführerin tatsächlich Unterhaltszahlungen für sich erhalten hat, zumal im Scheidungsurteil vom 12. Juni 2020 eine monatliche Unterdeckung der Beschwerdeführerin von CHF 2'320.00 festgehalten wurde. Es kann in diesem Zusammenhang offengelassen werden, aus welchen Gründen in den Steuererklärungen Alimentenzahlungen an die Beschwerdeführerin aufgeführt wurden, welche de facto gar nicht bezahlt wurden. Diesbezüglich ist anzumerken, dass die Steuererklärungen der Beschwerdeführerin sowie diejenigen ihres Ex-Mannes gemäss Angaben der Beschwerdeführerin vom selben Treuhänder ausgefüllt wurden, womit allenfalls steuerrechtliche Überlegungen eine Rolle gespielt haben könnten. Insgesamt ergibt sich somit aus den aufgeführten Unterhaltszahlungen, dass die finanziellen Verhältnisse der Beschwerdeführerin seit dem Jahr 2017 im Wesentlichen unverändert geblieben sind. Zwar wurden gestützt auf das Eheschutzurteil vom 12. Juni 2017 damals noch Unterhaltsbeiträge für den Sohn F.___ bezahlt, während dieser bei den im Scheidungsurteil vom 12. Juni 2020 neu berechneten Unterhaltsbeiträgen nicht mehr berücksichtigt wurde. Dennoch blieben die Unterhaltsbeiträge von 2017 – 2021 und damit die finanziellen Verhältnisse der Beschwerdeführerin – abgesehen von einem kurzen Zeitraum von September – Dezember 2019 – praktisch unverändert. Die Schlussfolgerung der Fachspezialistin im Haushaltsabklärungsbericht vom 19. August 2020 (IV-Nr. 93), wonach die Beschwerdeführerin erst ab Scheidungsdatum (Scheidungsurteil vom 12. Juni 2020) aus finanziellen Gründen einem 100%-Pensum nachgehen würde resp. müsste, ist demnach nicht nachvollziehbar. Wie die Beschwerdeführerin zu Recht geltend macht, haben sich ihre finanziellen Verhältnisse die Ausgabenseite betreffend bereits mit dem Umzug nach [...] per 1. August 2019 erheblich verschlechtert – dies nicht zuletzt auch aufgrund der höheren Wohnkosten nach dem Umzug vom eigenen Bauernhof in eine Mietwohnung in [...]. Die finanzielle Notwendigkeit, einer ausserhäuslichen Tätigkeit in einem 100%-Pensum nachzugehen, ist somit bereits ab diesem Datum mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erstellt. Zwar ergeben sich aus der bisherigen Erwerbsbiographie der Beschwerdeführerin (s. IK-Auszug, IV-Nr. 9) nur wenig konkrete Anhaltspunkte dafür, dass sie auch im Gesundheitsfall in einem 100%-Pensum ausserhäuslich tätig wäre. Dies darf jedoch nicht zu ihren Ungunsten ausgelegt werden, da die Beschwerdeführerin von 1996 bis 1999 eine Ausbildung zur Landwirtin und von 1999 bis 2000 eine Ausbildung zur Agrokauffrau absolvierte und ab 2001 als Hausfrau und Mutter tätig war (vgl. Intake-Gespräch vom 2. Februar 2017; IV-Nr. 8). Die Beschwerdeführerin hat im Intake-Gespräch vom 2. Februar 2017 ein ausserhäusliches Wunschpensum von 50 % angegeben. Bei dieser spontanen «Aussage der ersten Stunde», der grundsätzlich grösseres Gewicht zukommt als späteren Darstellungen, die bewusst unbewusst von nachträglichen Überlegungen versicherungsrechtlicher anderer Art beeinflusst sein können (s. dazu BGE 121 V 45 E. 2a S. 47), ist jedoch zu berücksichtigen, dass damals die Verhältnisse anders waren, als im vorliegend strittigen Zeitraum vom November 2019 – August 2020. Zum einen waren ihre Kinder damals noch jünger. Zum anderen bewohnte die Beschwerdeführerin zur Zeit des Intake-Gesprächs noch den Bauernhof, mit einem zu bearbeitenden Umschwung von 1’300 m2, mit Gemüse und Obstbaumbestand (vgl. E. II. 6.1.1 hiervor). Den in der Stellungnahme des Abklärungsfachmanns des Abklärungsdienstes vom 16. August 2017 (IV-Nr. 18) gemachten Ausführungen, wonach die Versicherte im Gesundheitsfall weiterhin tagsüber den Hof bewirtschaften müsste und grundsätzlich eher abends und an den Wochenenden, wie bis anhin, einer Nebenerwerbstätigkeit nachgehen müsste (aus finanziellen Gründen), weshalb eine 50-prozentige Erwerbstätigkeit realistisch sei, kann für den damaligen Zeitpunkt somit durchaus zugestimmt werden. Mit dem Umzug in eine Mietwohnung nach [...] per 1. August 2019 (vgl. E. II. 6.1.7 hiervor) hat sich die diesbezügliche Situation aber grundlegend geändert. Zudem erscheint es auch aufgrund des Alters der Kinder (9, 11, 13, 14, und 16 Jahre) im Jahr 2019 realistisch, dass die Beschwerdeführerin mit dem Umzug nach [...] eine vollzeitige ausserhäusliche Tätigkeit aufgenommen hätte, zumal es den älteren Kindern zuzumuten ist, bezüglich ihrer jüngeren Geschwistern Betreuungsaufgaben zu übernehmen.
Zusammenfassend ist demnach per 1. August 2019 von einer Statusänderung auszugehen und die Beschwerdeführerin ab diesem Datum als zu 100 % ausserhäuslich erwerbstätige Person anzusehen.
7. Gestützt auf die nicht bestrittene und auch nicht zu beanstandende Invaliditätsberechnung der Beschwerdegegnerin in der angefochtenen Verfügung hat die Beschwerdeführerin somit – in Anwendung der Dreimonatsregel gemäss Art. 88a IVV – ab 1. November 2019 Anspruch auf eine halbe Rente der Invalidenversicherung. Demnach ist die Beschwerde gutzuheissen.
8. 8.1 Bei diesem Verfahrensausgang steht der Beschwerdeführerin eine ordentliche Parteientschädigung zu, die von der Beschwerdegegnerin zu bezahlen ist. In Anbetracht von Aufwand und Schwierigkeit des Prozesses ist die Parteientschädigung auf CHF 4'944.95 festzusetzen (17.8 Stunden zu CHF 250.00 [§ 160 Abs. 2 GT], zuzügl. Auslagen von CHF 141.40 und MwSt).
Im Vergleich zu den eingereichten Kostennoten vom 24. August 2021 und 11. Mai 2022 sind vorweg verschiedene der geltend gemachten Positionen zu streichen: Mehrere Positionen stellen Kanzleiaufwand dar (Orientierungskopien, Fristerstreckungsgesuche; Einreichung der Kostennote), der bereits im Stundenansatz enthalten ist und nicht gesondert entschädigt wird. Sodann werden diverse Positionen geltend gemacht, die nicht direkt mit dem vorliegenden Verfahren zusammenhängen und demnach nicht zu vergüten sind. Dies gilt für sämtliche Positionen im Zusammenhang mit der AXA-ARAG Rechtsschutz AG. Des Weiteren sind Kopien pro Stück nur mit 50 Rappen zu vergüten (§ 158 Abs. 3 Gebührentarif) und nicht mit CHF 1.00, wie in der Kostennote geltend gemacht wird. Zudem beträgt der Ansatz für die Vergütung von Fahrtspesen 70 Rappen pro Kilometer (§ 157 Abs. 3 Gebührentarif i.V.m. 161 lit. a GAV) und nicht CHF 1.00, wie beantragt.
8.2 Aufgrund von Art. 69 Abs. 1bis IVG ist das Beschwerdeverfahren bei Streitigkeiten um die Bewilligung die Verweigerung von IV-Leistungen vor dem kantonalen Versicherungsgericht kostenpflichtig. Die Kosten werden nach dem Verfahrensaufwand und unabhängig vom Streitwert im Rahmen von CHF 200.00 – 1'000.00 festgelegt. Nach dem Ausgang des vorliegenden Verfahrens hat die IV-Stelle die Verfahrenskosten von CHF 1'000.00 zu bezahlen. Folglich ist der Beschwerdeführerin der geleistete Kostenvorschuss von CHF 1'000.00 zurückzuerstatten.
9. Nachdem die Beschwerdeführerin obsiegt, erübrigt sich die Durchführung einer Hauptverhandlung. Der diesbezügliche Antrag ist obsolet.
Demnach wird erkannt: 1. In Gutheissung der Beschwerde wird die Verfügung der IV-Stelle des Kantons Solothurn vom 16. März 2021, soweit den Beginn des Rentenanspruchs betreffend, abgeändert. 2. Die Beschwerdeführerin hat ab 1. November 2019 Anspruch auf eine halbe Rente. 3. Der Beschwerdegegnerin werden die Akten zwecks Prüfung eines Anspruchs auf Verzugszins auf der Rentennachzahlung im Sinne der Erwägungen zugestellt. 4. Die IV-Stelle des Kantons Solothurn hat der Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung von CHF 4'944.95 (inkl. Auslagen und MwSt) zu bezahlen. 5. Die IV-Stelle des Kantons Solothurn hat die Verfahrenskosten von CHF 1’000.00 zu bezahlen. Der geleistete Kostenvorschuss von CHF 1'000.00 wird der Beschwerdeführerin zurückerstattet.
Rechtsmittel Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit der Mitteilung beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten eingereicht werden (Adresse: Bundesgericht, Schweizerhofquai 6, 6004 Luzern). Die Frist beginnt am Tag nach dem Empfang des Urteils zu laufen und wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar (vgl. Art. 39 ff., 82 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes, BGG). Bei Vor- und Zwischenentscheiden (dazu gehört auch die Rückweisung zu weiteren Abklärungen) sind die zusätzlichen Voraussetzungen nach Art. 92 93 BGG zu beachten.
Versicherungsgericht des Kantons Solothurn Die Vizepräsidentin Der Gerichtsschreiber Weber-Probst Isch
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