E-MailWeiterleiten
LinkedInLinkedIn

Urteil Verwaltungsgericht (SO - VSBES.2021.45)

Zusammenfassung des Urteils VSBES.2021.45: Verwaltungsgericht

Das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn entschied am 10. Juni 2021 über den Fall betreffend Spitexleistungen gemäss KVG für A.___, der bei der Atupri Gesundheitsversicherung versichert ist. A.___ erhob Einspruch gegen die Kostengutsprachen der Beschwerdegegnerin bezüglich Hilfe beim Essen. Das Gericht prüfte die medizinische Notwendigkeit der Personenhilfe und kam zu dem Schluss, dass keine somatische oder psychische Erkrankung vorliegt, die eine solche Hilfe rechtfertigen würde. Daher wies das Gericht die Beschwerde ab, ohne eine Parteientschädigung zu gewähren.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts VSBES.2021.45

Kanton:SO
Fallnummer:VSBES.2021.45
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Versicherungsgericht
Verwaltungsgericht Entscheid VSBES.2021.45 vom 10.06.2021 (SO)
Datum:10.06.2021
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:-
Schlagwörter: Essen; Spitex; Hilfe; Pflege; Nahrung; Leistung; Person; Bericht; Frühstück; Personen; Nahrungsaufnahme; Akten; Leistungen; Erkrankung; Pflichtleistung; Sinne; Grundpflege; Pflegeplanung; Kategorie; Kunde; Mahlzeit; Massnahme
Rechtsnorm: Art. 24 KVG ;Art. 25a KVG ;Art. 32 KVG ;Art. 39 KVG ;
Referenz BGE:131 V 178; 136 V 172; 136 V 178;
Kommentar:
-

Entscheid des Verwaltungsgerichts VSBES.2021.45

 
Geschäftsnummer: VSBES.2021.45
Instanz: Versicherungsgericht
Entscheiddatum: 10.06.2021 
FindInfo-Nummer: O_VS.2021.115
Titel: Spitexleistungen KVG

Resümee:

 

 

 

 

 

 

 


Urteil vom 10. Juni 2021

Es wirken mit:

Präsident Flückiger

Vizepräsidentin Weber-Probst 

Oberrichterin Hunkeler

Gerichtsschreiber Isch

In Sachen

A.___ vertreten durch Fürsprecher Herbert Bracher

Beschwerdeführer

 

gegen

Atupri Gesundheitsversicherung

Beschwerdegegnerin

 

betreffend     Spitexleistungen KVG (Einspracheentscheid vom 8. Februar 2021)

 


 

zieht das Versicherungsgericht in Erwägung:

I.       

 

1.      

1.1     A.___ (nachfolgend Beschwerdeführer), geb. 1926, ist bei der Atupri Gesundheitsversicherung (nachfolgend Beschwerdegegnerin) in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung versichert.

 

1.2     Mit Kostengutsprache vom 30. April 2020 (AA [Akten der Atupri] 1.1) nahm die Beschwerdegegnerin zum Bedarfsmeldeformular der Spitex B.___ vom 16. März 2020 für Spitexleistungen zu Gunsten des Beschwerdeführers vom 16. März 2020 bis 13. Mai 2020 Stellung und hielt unter anderem fest, die Position 10302 «beim Essen helfen» habe sie vollumfänglich gestrichen. Eine Motivation zum Essen sei keine Pflichtleistung. An dieser Ansicht hielt die Beschwerdegegnerin auch in der Kostengutsprache vom 15. Juli 2020 (AA 1.2) für Spitex-Leistungen vom 14. Mai bis 13. November 2020 sowie mit Verfügung vom 14. Oktober 2020 (AA 1.4) fest.

 

Dagegen liess der Beschwerdeführer am 5. Januar 2021 (AA 1.7) Einsprache erheben, welche die Beschwerdegegnerin mit Entscheid vom 8. Februar 2021 (A.S. [Akten-Seite] 1 ff.) abwies.

 

2.       Am 10. März 2021 lässt der Beschwerdeführer dagegen fristgerecht Beschwerde beim Versicherungsgericht des Kantons Solothurn erheben (A.S. 4 ff.) und stellt folgende Rechtsbegehren:

 

1.    Der Einspracheentscheid vom 8. Februar 2021 sei aufzuheben und Herrn A.___ sei die krankheitsbedingt medizinisch notwendig gewordene Personenhilfe für das Frühstück zuzusprechen.

2.    Unter Kosten- und Entschädigungsfolge.

 

3.       Mit Beschwerdeantwort vom 8. April 2021 (A.S. 10 ff.) schliesst die Beschwerdegegnerin auf Abweisung der Beschwerde.

 

4.       Mit Replik vom 3. Mai 2021 (A.S. 16 ff.) lässt sich der Beschwerdeführer abschliessend vernehmen und stellt den Beweisantrag, es sei von der Spitex B.___ ein Mitbericht einzuholen, worin diese begründe, warum sie dem Beschwerdeführer bei der Einnahme des Frühstücks behilflich sei und worin diese Hilfe bestehe.

 

5.       Auf die weiteren Ausführungen der Parteien in ihren Rechtsschriften wird nachfolgend, soweit notwendig, eingegangen.

 

II.

 

1.       Die Sachurteilsvoraussetzungen (Einhaltung der Frist und Form, örtliche und sachliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts) sind erfüllt. Auf die Beschwerde ist einzutreten.

 

2.      

2.1     Die obligatorische Krankenversicherung übernimmt nach Art. 24 KVG die Kosten für die Leistungen gemäss Art. 25 – 31 KVG nach Massgabe der in Art. 32 – 34 festgelegten Voraussetzungen. Die Leistungen umfassen u.a. die Untersuchungen, Behandlungen und Pflegemassnahmen, die ambulant, bei Hausbesuchen, stationär, teilstationär in einem Pflegeheim durchgeführt werden von Ärzten, Chiropraktoren und Personen, die im Auftrag eines Arztes einer Ärztin Leistungen erbringen (Art. 25 Abs. 2 lit. a KVG), die ärztlich durchgeführten angeordneten Massnahmen der medizinischen Rehabilitation (Art. 25 Abs. 2 lit. d KVG) und den Aufenthalt in der allgemeinen Abteilung eines Spitals (Art. 25 Abs. 2 lit. e KVG).

 

2.2     Art. 32 Abs. 1 KVG setzt für eine Übernahme der Kosten bei sämtlichen der im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu erbringenden Leistungen (Art. 25 bis 31 KVG) voraus, dass diese wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich sind (Satz 1). Die Wirksamkeit muss nach wissenschaftlichen Methoden nachgewiesen werden (Satz 2), wobei sie – ebenso wie die Zweckmässigkeit und die Wirtschaftlichkeit der Leistungen – periodisch überprüft wird (Art. 32 Abs. 2 KVG).

 

2.3     Das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) bezeichnet nach Anhören der zuständigen Kommission die nicht von Ärzten und Ärztinnen Chiropraktoren und Chiropraktorinnen erbrachten Leistungen nach den Artikeln 25 Absatz 2 und 25a Absätze 1 und 2 des Gesetzes (Art. 33 lit. b KVV).

 

Gemäss Art. 7 Abs. 1 KLV gelten als Leistungen nach Art. 33 lit. b KVV Untersuchungen, Behandlungen und Pflegemassnahmen, die aufgrund der Bedarfsabklärung nach Abs. 2 lit. a und nach Art. 8 auf ärztliche Anordnung hin im ärztlichen Auftrag erbracht werden:

a. von Pflegefachfrauen und Pflegefachmännern (Art. 49 KVV);

b. von Organisationen der Krankenpflege und Hilfe zu Hause (Art. 51 KVV);

c. von Pflegeheimen (Art. 39 Abs. 3 KVG).

 

Leistungen im Sinne von Art. 7 Abs. 1 KLV sind Massnahmen der Grundpflege. Dies umfasst unter anderem gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. c Ziff. 1 KLV die allgemeine Grundpflege bei Patienten Patientinnen, welche die Tätigkeiten nicht selber ausführen können, wie Beine einbinden, Kompressionsstrümpfe anlegen; Betten, Lagern; Bewegungsübungen, Mobilisieren; Dekubitusprophylaxe, Massnahmen zur Verhütung Behebung von behandlungsbedingten Schädigungen der Haut; Hilfe bei der Mund- und Körperpflege, beim An- und Auskleiden, beim Essen und Trinken,

 

3.       Gemäss den Ausführungen des Beschwerdeführers werde er aus medizinischen Gründen durch die Spitex B.___ betreut. Auf Seite 4 der Pflegeplanung vom 5. Februar 2020 halte die Spitex bezüglich seiner Ernährung fest: «Mangelernährung / Ursachen psychologische Faktoren / Symptome Schwäche der Schluck- und Kaumuskulatur / Bericht über Nahrungszufuhr, die unter der empfohlenen täglichen Menge liegt / Ressourcen Kunde kann Essen sst. zu sich nehmen / Ziele Nahrungsaufnahme ist gewährleistet. / 10302 beim Essen helfen Kunde zum Frühstück motivieren ... Auch zum Kaffee motivieren.» Analoges werde in der Beobachtungsperiode ab dem 16. März 2020 festgehalten, worin mitgeteilt werde, dass der Beschwerdeführer für die Mahlzeiten der Aufsicht, Überwachung, Anleitung und Ermunterung bedürfe (S. 3). Gestützt auf Art. 7 Abs. 2 lit. c Ziff. 1 KLV gehöre die Hilfe zur Nahrungsaufnahme dann zur Grundpflege gemäss KVG und sei durch die zuständige Krankenkasse zu vergüten, wenn sie krankheitsbedingt sei und es sich zudem um Massnahmen der Personenhilfe («Hilfe zur Selbsthilfe») und nicht der Sachhilfe (insbesondere Haushaltshilfe) handle. In Ihrem Schreiben vom 4. Mai 2020 habe die Spitex einlässlich erläutert, warum der Beschwerdeführer auf die Motivation und Ermunterung der Spitex angewiesen sei, damit er im Sinne der Hilfe zur Selbsthilfe genügend Nahrung zu sich nehme. In diesem Sinne sei der Beschwerdeführer altersbedingt aufgrund seines körperlichen und geistigen Abbaus auf die Personenhilfe der Spitex für seine Ernährung angewiesen. Dies werde nicht nur aus dem Brief vom 4. Mai 2020, sondern insgesamt aus den Pflegeakten der Spitex ersichtlich. Wenn die Beschwerdegegnerin die Hilfestellung der Spitex als Haushalthilfe taxiere, werde sie den medizinischen Gegebenheiten und dem damit gegebenen rechtserheblichen Sachverhalt nicht gerecht und verweigere so dem Beschwerdeführer rechtsfehlerhaft sein Recht. Zudem widerspreche die Beschwerdegegnerin dem in der Beschwerde dargelegten Sachverhalt vollumfänglich. Der rechtserhebliche Sachverhalt sei daher weitergehend abzuklären und es werde der Beweisantrag gestellt, dass von der Spitex B.___ ein Mitbericht einzuholen sei, worin diese begründe, warum sie dem Beschwerdeführer bei der Einnahme des Frühstücks behilflich sei und worin diese Hilfe bestehe.

 

Demgegenüber vertritt die Beschwerdegegnerin die Ansicht, die Differenz zwischen den Kostengutsprachen und den Bedarfsmeldungen der Spitex liege in der Position «Beim Essen helfen» (täglich 10 Minuten für die Zeit ab dem 16. März 2020, täglich 15 Minuten für die Zeit ab dem 14. Mai 2020). Die Spitexorganisation gebe dazu in der Pflegeplanung an, dass es sich um eine Mangelernährung aufgrund psychologischer Faktoren handle. Der Kunde nehme das Essen selbständig zu sich. Die Leistung der Spitex bestehe darin, «Kunden zum Frühstück motivieren. Brot ist im Schrank links neben Mikrowelle. Auch zum Kaffee motivieren» (s. Akten-Nr. 3.6, Seite 4 von 6 oben). «Hilfe beim Essen» könne in verschiedenen Ausprägungen eine Pflichtleistung der Krankenversicherung darstellen. Bei somatisch beeinträchtigten Personen könne eine Pflichtleistung in der Zudienung beim Essen (Verkleinern, Hilfsmittel bereitstellen, Hände waschen) bis hin zur vollständigen Eingabe des Essens bestehen. Der somatisch Beeinträchtigte sei aufgrund seiner Erkrankung (z.B. aufgrund eines Schlaganfalls) nicht mehr in der Lage, diese alltägliche Lebensverrichtung selbständig durchzuführen. Eine derartige somatische Erkrankung, welche eine aktive Hilfe bei der Nahrungszunahme erfordern würde, sei vorliegend nicht dokumentiert. Der Beschwerdeführer könne das Essen selbständig zu sich nehmen (s. Akten-Nr. 3.6, Seite 4 von 6 oben). Das MDS-HC zeige unter dem Punkt der Funktionsfähigkeit bei den instrumentellen Aktivitäten im Alltag (IADL) eine leichte Abhängigkeit bei der Mahlzeitenzubereitung (Akten-Nr. 3.5, Bereich H, Seite 3/6). Dies sei in Anbetracht des Alters des Beschwerdeführers wie bei den übrigen Punkten dieser Beurteilung (allgemeine Hausarbeiten, Geld verwalten) jedoch nicht ungewöhnlich. Sodann könne bei psychisch beeinträchtigten Personen die «Hilfe beim Essen» darin bestehen, die Person an die Nahrungsaufnahme zu erinnern dafür zu motivieren. Die psychisch beeinträchtigte Person sei aufgrund der Erkrankung (z. B. Demenz, Psychose, Suchterkrankung) nicht mehr in der Lage, die Notwendigkeit einer Nahrungsaufnahme zu erkennen verweigere diese. Vorliegend sei keine psychische Diagnose dokumentiert. Gegenteilig zeige die Spitexdokumentation in den Bereichen B (kognitive Fähigkeiten) und E (Stimmungslage) keinerlei Anzeichen einer psychischen Beeinträchtigung (s. Akten-Nr. 3.5, Seiten 1 und 2 von 6). Auch der Bereich L (Ernährungs- und Flüssigkeitsstatus) des MDS-HC (s. Akten-Nr. 3.5, Seite 4 ganz unten resp. Seite 5 von 6 oben) zeige keinerlei Notwendigkeit für eine «Hilfe beim Essen». Als Zwischenfazit könne festgehalten werden, dass keine somatische Erkrankung dokumentiert sei, welche dem Patienten eine selbstständige Nahrungsaufnahme verunmöglichen würde. Ebenfalls bestehe weder eine fehlende Einsicht zur Nahrungsaufnahme eine Verweigerung derselben aufgrund eines psychiatrischen Grundes mit Krankheitswert. Wie in der Beschwerde selbst zutreffend festgehalten sei, sei der Beschwerdeführer nicht krankheitsbedingt, sondern vielmehr altersbedingt auf die Hilfe der Spitex angewiesen. Insbesondere ergebe sich vorliegend auch aus den Pflegerapporten der Spitex, dass die Spitex die geplante Leistung nach Tagesstruktur entweder nicht durchgeführt habe, dass die Leistung darin bestanden habe, eine Mahlzeit zuzubereiten zu servieren (Akten-Nr. 3.8, z.B. Tageseinträge vom 18. März 2021, 22. März 2021, 26. März 2021, 27. März 2021, 29. März 2021). Die Zubereitung einer Mahlzeit sei keine Pflichtleistung der OKP, sondern eine nichtpflichtige Betreuungs- / Haushaltshilfeleistung.

 

4.       Strittig und zu prüfen ist somit, ob die Beschwerdegegnerin die Kostenübernahme für die Position «beim Essen helfen» zu Recht verweigert hat. In diesem Zusammenhang sind im Wesentlichen folgende Unterlagen von Belang:

 

4.1     Im Bericht betreffend Pflegeplanung wurde am 19. November 2019 festgehalten (AA 3.6): «10302 Beim Essen helfen. Kunde zum Frühstück motivieren. Brot ist im Schrank links neben Mikrowelle. Auch zum Kaffee motivieren.»

 

4.2     Im Bericht betreffend Pflegeplanung wurde am 5. Februar 2020 unter dem Titel «Mangelernährung» festgehalten (AA 3.6): «Ursachen: Psychologische Faktoren; Symptome: Schwäche der Schluck- und Kaumuskulatur, Bericht über Nahrungszufuhr, die unter der empfohlenen täglichen Menge liegt; Ressourcen: Kunde kann Essen sst. zu sich nehmen.»

 

4.3     Auf dem Leistungsplanungsblatt der Spitex B.___ vom 16. März 2020 (AA 3.1, S. 2) wurde bei der Position Nr. 10302 «Beim Essen helfen» betreffend den Beschwerdeführer ein zeitlicher Bedarf von 15 Minuten pro Tag an sieben Tagen die Woche (t7) angegeben.

 

4.4     Im Pflegebericht betreffend den Zeitraum vom 16. März 2020 bis 20. April 2020 (AA 3.8) wurden folgende Einträge im Zusammenhang mit der Hilfe beim Essen notiert:

16. März 2020: «Medis abgegeben und Frühstück zubereitet.»

18. März 2020: «Frühstück gemacht.»

22. März 2020: «Nach dem Gehtraining helfe ich ihn umkleiden sowie das Abendessen servieren (2 Joghurt hat er gegessen)».

23. März 2020: «Habe ihm Jogurt zum Znacht hingestellt.»

25. März 2020: «Zum Morgenessen motiviert.»

26. März 2020: «Frühstück zubereitet.» «Abendessen Cervelat mit Brot serviert.»

27. März 2020: «Ku will nur 1 Jogurt zum Nachtessen.»

29. März 2020: «Frühstück gemacht.» «Auf die angeschnittenen Früchte im Kühlschrank hingewiesen.»

30. März 2020: «Beim Morgenessen unterstützt. Kunde isst 3 Stk. Brot.»

2. April 2020: «Frühstück macht Sohn.»

4. April 2020, 17.51 Uhr: «Er hatte das Mittagessen noch nicht gegessen, in der Mikrowelle aufgewärmt.»

7. April 2020: «Morgenessen zubereitet.»

 

4.5     Auf dem Formular RAI-HC Schweiz – MDS-HC (RAI-HC = Resident Assessment Instrument – Home Care; MDS-HC = Minimum Data Set – Home Care) vom 20. April 2020 (AA 3.5) wurden betreffend den Beschwerdeführer unter anderem folgende Angaben gemacht: Gedächtnis und Kurzzeitgedächtnis: regelrecht, kognitive Fähigkeiten für alltägliche Entscheidungen: 1 = teilweise abhängig, einige Schwierigkeiten in neuen, unbekannten Situationen (0 = unabhängig, 4 = schwere Beeinträchtigung). Sehen: 0 = gut. Stimmungslage und Verhalten: 0. Reduktion der sozialen Aktivitäten: 2 = Reduktion mit Bedauern. Mahlzeitenzubereitung: 1 = Aufsicht-Überwachung, Anleitung, Ermunterung. BADL-Leistung (Einfache Aktivitäten des täglichen Lebens; Basic Activities of Daily Living): Essen/Trinken: 2 = Begrenzte Abhängigkeit – Klient beteiligte sich viel, bekam leichte Hilfe. Als gegenwärtige pflege- und betreuungsrelevante Diagnosen wurden Ischämie Basalganglien CVI 2018 und Niereninsuffizienz genannt. Fehlender Appetit: 0 = nicht vorhanden. Bei der Kategorie Flüssigkeitsaufnahme / Essen wurden alle relevanten Kategorien (u.a. Flüssigkeitsaufnahme, Essen, Schlucken, Mund-/Zahnstatus, Gewichtsverlust) mit 0 = keine Probleme bewertet. Abschliessend wurde festgehalten, die Selbständigkeiten habe sich in den letzten 90 Tagen verschlechtert.

 

4.6     Mit Schreiben vom 4. Mai 2020 (Einsprache zur Kostengutsprache vom 30. April 2020) führte C.___ von der Spitex B.___ im Wesentlichen aus, soweit die Beschwerdegegnerin der Ansicht sei, eine Motivation zum Essen sei keine Pflichtleistung, sei ihr entgegenzuhalten, dass gemäss dem RAI-HC Schweiz-Handbuch eine Ermunterung zum Essen ausdrücklich eine Pflichtleistung sei. Der Beschwerdeführer würde sich ohne die Hilfe der Spitex nicht ausreichend ernähren können. Er sei stark sturzgefährdet und sei nicht in der Lage, die Esswaren auf dem Tisch bereitzustellen. Ohne Ermunterung / Motivation durch Pflegepersonen zum Essen, könne beim Beschwerdeführer keine ausgewogene Ernährung gewährleistet werden. Er würde kaum Nahrung zu sich nehmen. Dadurch würde es zu einer Mangelernährung kommen, was wiederum mehr Kosten verursachen würde.

 

4.7     Auf dem Leistungsplanungsblatt der Spitex B.___ vom 14. Mai 2020 (AA 3.2, S. 2) wurde bei der Position Nr. 10302 «Beim Essen helfen» betreffend den Beschwerdeführer ein zeitlicher Bedarf von 10 Minuten pro Tag an sieben Tage die Woche angegeben.

 

4.8     Auf dem Leistungsplanungsblatt der Spitex B.___ vom 14. November 2020 (AA 3.3, S. 2) wurde bei der Position Nr. 10302 «Beim Essen helfen» betreffend den Beschwerdeführer ein zeitlicher Bedarf von 10 Minuten pro Tag an sieben Tage die Woche angegeben.

 

5.      

5.1     Die Grundpflege im Sinne von Art. 7 Abs. 2 lit. c Ziff. 1 KLV – wie beispielsweise die Hilfe beim Essen – kann in verschiedenen Formen gewährt werden, so als Unterstützung, als teilweise vollständige Übernahme der Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens als Beaufsichtigung sowie Anleitung mit dem Ziel der eigenständigen Übernahme dieser Verrichtungen (Gebhard Eugster, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum KVG, 2. Aufl. 2018, Rz. 10 zu Art. 25a KVG). In der Hauptsache sind unter Grundpflegeleistungen jene Handreichungen und Handlungen zu verstehen, welche die versicherte Person selbst ohne Unterstützung vornehmen würde, wenn sie über die nötige Kraft, den Willen das Wissen verfügte. Verrichtungen, bei welchen es hauptsächlich darum geht, den Patienten zu begleiten anzuleiten, ihre persönlichen Fähigkeiten zu entwickeln soziale Kontakte zu knüpfen, sind keine Leistungen nach Art. 7 KLV (BRE RKUV 1998 KV 27 161 E. 11/8.2, psychiatrische Grundpflege partiell vorbehalten; siehe Rz373). Einen Patienten von seinem Pflegeheimzimmer in den Speisesaal zu führen ist keine Massnahme der Grundpflege, weder Hilfe beim Essen noch Mobilisieren Bewegungsübung im Sinne von Art. 7 Abs. 2 lit. c Ziff. 1 KLV (Eugster, Krankenversicherung, in: Meyer [Hrsg.], Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Band XIV, Soziale Sicherheit, 3. Auflage, 2016, Rz. 372; BGE 136 V 178 E. 5.3.3 f.).

 

Gestützt auf Art. 7 Abs. 2 lit. c Ziff. 1 KLV gehört die Hilfe zur Nahrungsaufnahme dann zur Grundpflege gemäss KVG und ist durch die zuständige Krankenkasse zu vergüten, wenn sie krankheitsbedingt ist und es sich zudem um Massnahmen der Personenhilfe («Hilfe zur Selbsthilfe») und nicht der Sachhilfe (insbesondere Haushaltshilfe) handelt (vgl. dazu BGE 131 V 178 E. 2.2.3, Seite 187 dort zu psychisch erkrankten Menschen). Pflege nach Art. 7 KLV ist Personenhilfe und von der Sachhilfe bei der Wirtschafts- und Lebensführung, zu welcher namentlich die Haushalthilfe zählt, abzugrenzen (BGE 131 V 178 E. 2.2.3; EVG K 97/03 E. 3.2.3=RKUV 2005 KV 328 186; BRE RKUV 1997 KV 9247 E. 11/4.1). Das Vorbereiten und Servieren des Essens ist keine Pflichtleistung (BGE 136 V 172 E. 5.3.2; BRE RKUV 1998 KV 28 180 E. 11/3), dagegen die Hilfe beim Essen und Trinken (Eugster, a.a.O., Rz. 374; Art. 7 Abs. 2 lit. c Ziff. 1 KLV; RKUV 1996 S.84).

 

5.2     Wie die Beschwerdegegnerin nachvollziehbar darlegt, kann bei somatisch beeinträchtigten Personen eine Pflichtleistung im vorgenannten Sinne unter anderem in der Zudienung beim Essen (Verkleinern, Hilfsmittel bereitstellen, Hände waschen) bis hin zur vollständigen Eingabe des Essens bestehen. Der somatisch Beeinträchtigte muss aufgrund seiner Erkrankung nicht mehr in der Lage sein, diese alltägliche Lebensverrichtung selbständig durchzuführen. Eine derartige somatische Erkrankung, welche eine aktive Hilfe bei der Nahrungszunahme erfordern würde, ist beim Beschwerdeführer vorliegend jedoch nicht erstellt. Im Bericht betreffend Pflegeplanung wurde am 5. Februar 2020 unter der Kategorie «Mangelernährung» als Symptome zwar Schwäche der Schluck- und Kaumuskulatur genannt. Dies widerspricht aber dem umfassenden RAI-Bericht vom 20. April 2020, in welchem bei der Kategorie Flüssigkeitsaufnahme / Essen alle relevanten Kategorien (u.a. Flüssigkeitsaufnahme, Essen, Schlucken, Mund- / Zahnstatus, Gewichtsverlust) mit «0 = keine Probleme» bewertet wurden. Zudem wurde im erstgenannten Bericht betreffend Pflegeplanung ausdrücklich festgehalten, der Beschwerdeführer könne das Essen selbständig zu sich nehmen. Bezüglich der kognitiven Fähigkeiten wurde im RAI-Bericht das Gedächtnis und Kurzzeitgedächtnis als regelrecht bezeichnet und betreffend die kognitiven Fähigkeiten für alltägliche Entscheidungen eine leichte Abhängigkeit festgestellt bzw. Schwierigkeiten in neuen, unbekannten Situationen, woraus aber für die Essenseinnahme keine krankheitsbedingte Hilfsbedürftigkeit abgeleitet werden kann. Das Gleiche gilt auch für die im RAI-Bericht festgestellte leichte Abhängigkeit bei der Mahlzeitenzubereitung, welche mit «1 = Aufsicht-Überwachung, Anleitung, Ermunterung» bewertet wurde. Wie die Beschwerdegegnerin hierzu zudem korrekt einwandte, ist dies in Anbetracht des Alters des Beschwerdeführers nicht als ungewöhnlich und insbesondere auch nicht als krankheitswertig anzusehen. Zudem wurde die Kategorie «Fehlender Appetit» mit «0 = nicht vorhanden» bewertet. In der Kategorie «Essen / Trinken» wurde im RAI-Bericht zwar eine begrenzte Abhängigkeit des Beschwerdeführers attestiert (2 = Klient beteiligt sich viel, bekommt leichte Hilfe). Aber auch eine solche lässt sich gestützt auf die vorliegenden Akten nicht auf eine somatische Erkrankung zurückführen.

Sodann kann, wie die Beschwerdegegnerin weiter korrekt ausführt, bei psychisch beeinträchtigten Personen die «Hilfe beim Essen» darin bestehen, die Person an die Nahrungsaufnahme zu erinnern dafür zu motivieren. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn die psychisch beeinträchtigte Person aufgrund der Erkrankung nicht mehr in der Lage ist, die Notwendigkeit einer Nahrungsaufnahme zu erkennen diese verweigert. Erforderlich ist, dass die Hilfs- und Überwachungsbedürftigkeit direkte Folge der psychischen Erkrankung ist und sich die Massnahmen auf eine Unterstützung und Überwachung (Personen- und nicht Sachhilfe) beschränken. Im Bericht betreffend Pflegeplanung vom 5. Februar 2020 wurden unter der Kategorie «Mangelernährung» als Ursachen zwar «Psychologische Faktoren» genannt. Vorliegend ist beim Beschwerdeführer jedoch keine psychiatrische Diagnose dokumentiert. Dem RAI-Bericht sind in den Bereichen B (kognitive Fähigkeiten) und E (Stimmungslage) zudem keinerlei Anzeichen einer psychischen Beeinträchtigung zu entnehmen. Sodann wurde im Bericht betreffend Pflegeplanung vom 5. Februar 2020 erwähnt, es werde berichtet, dass die Nahrungszufuhr unter der empfohlenen täglichen Menge liege. Aber auch dies wurde im RAI-Bericht vom 20. April 2020 nicht bestätigt. So ergab der Bereich L (Ernährungs- und Flüssigkeitsstatus), wie vorstehend ausgeführt, durchgehend regelrechte Verhältnisse.

Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass weder eine somatische Erkrankung dokumentiert ist, welche dem Beschwerdeführer eine selbstständige Nahrungsaufnahme verunmöglichen würde, noch besteht nach Lage der Akten eine fehlende Einsicht zur Nahrungsaufnahme eine Verweigerung derselben aufgrund einer psychiatrischen Ursache mit Krankheitswert. Wie der Pflegebericht betreffend den Zeitraum 16. März 2020 bis 20. April 2020 zudem zeigt, wurde der Beschwerdeführer offenbar nur an drei Tagen zum Essen motiviert bzw. hatte an einem Abend sein Mittagessen noch nicht eingenommen. An den übrigen Tagen bestand die Leistung der Spitex im Zusammenhang mit dem Essen darin, eine Mahlzeit zuzubereiten zu servieren. Hierbei handelt es sich aber nicht um eine Personenhilfe im Sinne von Art. 7 KLV, sondern um eine nichtpflichtige Betreuungs- / Haushaltshilfeleistung bzw. eine Sachhilfe (s. E. II. 5.1 hiervor). Das Vorbringen von C.___, Spitex B.___, im Schreiben vom 4. Mai 2020, wonach sich der Beschwerdeführer ohne die Hilfe der Spitex nicht ausreichend ernähren könne, wird somit durch die umfangreichen Abklärungsberichte und Dokumentationen der Spitex nicht bestätigt. In diesem Sinne kann auch auf die beantragte Beweismassnahme, es sei von der Spitex B.___ ein Mitbericht einzuholen, worin diese begründe, warum sie dem Beschwerdeführer bei der Einnahme des Frühstücks behilflich sei und worin diese Hilfe bestehe, in antizipierter Beweiswürdigung verzichtet werden.

 

6.

6.1     Demnach ist die Beschwerde abzuweisen.

 

6.2     Bei diesem Verfahrensausgang besteht kein Anspruch auf eine Parteientschädigung.

 

6.3     Grundsätzlich ist das Verfahren kostenlos. Von diesem Grundsatz abzuweichen, besteht im vorliegenden Fall kein Anlass.

 

Demnach wird erkannt:

1.    Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.    Es werden weder eine Parteientschädigung zugesprochen noch Verfahrenskosten erhoben.

 

Rechtsmittel

Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit der Mitteilung beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten eingereicht werden (Adresse: Bundesgericht, Schweizerhofquai 6, 6004 Luzern). Die Frist beginnt am Tag nach dem Empfang des Urteils zu laufen und wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar (vgl. Art. 39 ff., 82 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes, BGG). Bei Vor- und Zwischenentscheiden (dazu gehört auch die Rückweisung zu weiteren Abklärungen) sind die zusätzlichen Voraussetzungen nach Art. 92 93 BGG zu beachten.

 

Versicherungsgericht des Kantons Solothurn

Der Präsident                           Der Gerichtsschreiber

Flückiger                                   Isch

 



 
Quelle: https://gerichtsentscheide.so.ch/
Wollen Sie werbefrei und mehr Einträge sehen? Hier geht es zur Registrierung.

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

Hier geht es zurück zur Suchmaschine.