Zusammenfassung des Urteils VSBES.2021.179: Verwaltungsgericht
Das Versicherungsgericht hat entschieden, dass die Beschwerdegegnerin A.___ der Beschwerdeführerin B.___ zu Unrecht CHF 1'211.35 ausbezahlt hat und diese Summe zurückgezahlt werden muss. Die Beschwerdeführerin hatte Einspruch erhoben, der jedoch abgelehnt wurde. Der Präsident des Versicherungsgerichts hat entschieden, dass die Rückforderung gerechtfertigt ist, da die Voraussetzungen für die Auszahlung nicht erfüllt waren. Der Betrag muss daher von der Beschwerdeführerin zurückgezahlt werden. Das Gericht hat die Beschwerde abgewiesen und keine Verfahrenskosten erhoben.
Kanton: | SO |
Fallnummer: | VSBES.2021.179 |
Instanz: | Verwaltungsgericht |
Abteilung: | Versicherungsgericht |
Datum: | 11.11.2021 |
Rechtskraft: |
Leitsatz/Stichwort: | - |
Schlagwörter: | Apos; Betrag; Zahlung; Einsprache; Taggelder; Rückforderung; Vorschussleistung; Versicherungsgericht; Einspracheentscheid; Verfügung; Arbeitslosenversicherung; Höhe; Vorschussleistungen; Zeitraum; Sozialhilfe; Präsident; Leistung; Recht; Verwaltung; Verrechnung; Arbeitslosenentschädigung; Kongruenz; Verwaltungsweisung; Verfahrens; Leistungen; Akten; Frist; Anspruch |
Rechtsnorm: | Art. 25 ATSG ;Art. 94 AVIG;Art. 95 AVIG; |
Referenz BGE: | 147 V 79; |
Kommentar: | - |
Geschäftsnummer: | VSBES.2021.179 |
Instanz: | Versicherungsgericht |
Entscheiddatum: | 11.11.2021 |
FindInfo-Nummer: | O_VS.2021.198 |
Titel: | Rückforderung Arbeitslosengelder |
Resümee: |
Urteil vom 11. November 2021 Es wirken mit: Gerichtsschreiber Haldemann In Sachen A.___ Beschwerdeführerin gegen Beschwerdegegnerin
betreffend Rückforderung Arbeitslosengelder für C.___ (Einspracheentscheid vom 30. September 2021)
zieht der Präsident des Versicherungsgerichts in Erwägung: I.
1. Mit Verfügung vom 11. August 2021 verpflichtete die [Arbeitslosenkasse] B.___ (nachfolgend: Beschwerdegegnerin) die A.___ (nachfolgend: Beschwerdeführerin) zur Rückerstattung von Leistungen der Arbeitslosenversicherung in der Höhe von CHF 1'211.35 (Akten der Beschwerdegegnerin [nachfolgend: B.___] S. 39 ff.). Zur Begründung wurde erklärt, die Beschwerdegegnerin habe der Beschwerdeführerin zur Verrechnung mit erbrachten Sozialhilfeleistungen einen Betrag von CHF 1'329.70 ausbezahlt, korrekterweise hätte sich die Zahlung aber auf CHF 118.35 beschränken müssen. Die Differenz sei zurückzuerstatten.
2. Am 19. August 2021 erhob die Beschwerdeführerin Einsprache gegen die Verfügung vom 11. August 2021 (B.___ S. 37 f.). Zur Begründung wurde erklärt, die Beschwerdeführerin habe Vorschussleistungen im Umfang der gesamten CHF 1'329.70 erbracht, welche zeitlich kongruent zur späteren Nachzahlung der Beschwerdegegnerin seien.
3. Mit Einspracheentscheid vom 30. September 2021 (Aktenseiten [A.S.] 1 ff.) wies die Beschwerdegegnerin die Einsprache ab.
4. Mit Zuschrift vom 26. Oktober 2021 (A.S. 8 f.) erhebt die Beschwerdeführerin beim Versicherungsgericht des Kantons Solothurn (nachfolgend: Versicherungsgericht) Beschwerde gegen den Einspracheentscheid vom 30. September 2021. Sie stellt den Antrag, der Einspracheentscheid und die darin bestätigte Rückforderung von CHF 1'211.35 seien aufzuheben.
5. Die Verfahrensakten der Beschwerdegegnerin wurden eingeholt. Ein Schriftenwechsel wurde nicht durchgeführt (A.S. 10 f. + 13).
II.
1. 1.1 Die Sachurteilsvoraussetzungen (zulässiges Anfechtungsobjekt, Einhaltung von Frist und Form, örtliche, sachliche und funktionelle Zuständigkeit des angerufenen Gerichts, Legitimation) sind erfüllt. Auf die Beschwerde ist daher einzutreten.
1.2 Der Präsident des Versicherungsgerichts beurteilt sozialversicherungsrechtliche Streitigkeiten bis zu einem Streitwert von CHF 30‘000.00 als Einzelrichter (§ 54bis Abs. 1 lit. a Kantonales Gesetz über die Gerichtsorganisation [GO, BGS 125.12]). Diese Grenze wird mit der Rückforderung von CHF 1'211.35 nicht überschritten, weshalb der Präsident zur Beurteilung der Angelegenheit als Einzelrichter zuständig ist.
2. 2.1 Haben öffentliche private Fürsorgestellen für einen Zeitraum, für den rückwirkend Taggelder ausgerichtet werden, Vorschussleistungen für den Lebensunterhalt erbracht, so können sie die Nachzahlung bis zur Höhe ihrer Vorschussleistungen beanspruchen. In diesem Umfang ist der Anspruch auf Taggelder der Zwangsvollstreckung entzogen (Art. 94 Abs. 3 Bundesgesetz über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung [AVIG, SR 837.0]).
2.2 Gemäss Art. 95 Abs. 1 AVIG richtet sich die Rückforderung von Leistungen der Arbeitslosenversicherung – mit Ausnahme der hier nicht interessierenden Fälle von Art. 55 und Art. 59cbis Abs. 4 AVIG – nach Art. 25 Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG, SR 830.1). Absatz 1 dieser Bestimmung sieht vor, dass unrechtmässig bezogene Leistungen zurückzuerstatten sind. Rückerstattungspflichtig sind u.a. Behörden, an welche die unrechtmässig gewährte Leistung nachbezahlt wurde (Art. 2 Abs. 1 lit. c Verordnung über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts [ATSV, SR 830.11]).
2.3 Die Rückforderung einer erbrachten Leistung setzt voraus, dass diese unrechtmässig bezogen wurde. Dies trifft hier zu, falls die Beschwerdegegnerin der Beschwerdeführerin gestützt auf den zitierten Art. 94 Abs. 3 AVIG einen Betrag von CHF 1'329.70 ausbezahlt hat, obwohl die Voraussetzungen für eine Drittauszahlung nur für einen Betrag von CHF 118.35 erfüllt waren. Falls es sich so verhält wurde die Differenz von CHF 1'211.35 zu Recht von der Beschwerdeführerin zurückverlangt.
3. 3.1 Den Akten und den Rechtsschriften der Parteien lässt sich der folgende Sachverhalt entnehmen: Der Versicherte C.___ meldete sich am 17. April 2020 bei der Beschwerdegegnerin zur Arbeitsvermittlung an (B.___ S. 265) und machte gleichentags einen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung geltend (B.___ S. 242). Am 31. Mai 2020 meldete er sich wieder von der Arbeitsvermittlung ab (vgl. B.___ S. 220). In der Folge wurde der Beschwerdegegnerin eine Abtretungserklärung vom 2. Juni 2020 eingereicht, mit welcher der Versicherte seine Ansprüche auf Arbeitslosentaggelder zwecks Verrechnung mit Sozialhilfeleistungen an die Beschwerdeführerin abtrat (B.___ S. 219).
3.2 Am 23. Dezember 2020 zahlte die Beschwerdegegnerin – nach einem vorangegangenen Einspracheverfahren – Arbeitslosenentschädigung in der Höhe von CHF 645.20 für April 2020 und CHF 2'342.00 für Mai 2020 an den Versicherten aus (vgl. B.___ S. 178 f.; Beschwerdebeilagen / BB-Nrn. 4 und 5).
3.3 Am 12. Juli 2021 forderte die Beschwerdeführerin die Beschwerdegegnerin auf, ihr mitzuteilen, ob und an wen Arbeitslosentaggelder für die Monate April 2020 und Mai 2020 ausbezahlt worden seien. Weiter verlangte sie die Auszahlung eines Betrags von CHF 1'329.70 dessen Ablehnung mittels Verfügung (B.___ S. 66). Am 16. Juli 2021 teilte die Beschwerdeführerin der Beschwerdegegnerin mit, der Versicherte habe in den Monaten Mai und Juni 2020 Sozialhilfe in der Höhe von insgesamt CHF 1'329.70 bezogen, und verlangte gestützt auf die eingereichte Abtretungserklärung die Überweisung dieses Betrags (B.___ S. 54). Dem Auszug aus dem Klientenkonto lässt sich entnehmen, dass auf Mai 2020 ein Betrag von CHF 118.35 und auf Juni 2020 ein solcher von CHF 1'211.35 entfiel (vgl. B.___ S. 60 f.; BB-Nrn. 1 und 2).
3.4 Mit Abrechnung vom 21. Juli 2021 brachte die Beschwerdegegnerin vom Arbeitslosentaggeld des – inzwischen wieder bei der Arbeitslosenversicherung angemeldeten – Versicherten für die Kontrollperiode Juli 2021 den Betrag von CHF 1'329.70 in Abzug (B.___ S. 53) und zahlte diese Summe an die Beschwerdeführerin aus. Nach einer entsprechenden Intervention wurde dem Versicherten für die Kontrollperiode Juli 2021 ein Betrag von CHF 1'211.35 nachbezahlt (vgl. B.___ S. 49).
3.5 Mit der bereits erwähnten Verfügung vom 11. August 2021 (B.___ S. 39 ff.) und dem diese bestätigenden Einspracheentscheid vom 30. September 2021 wurde der Betrag von CHF 1'211.35 bei der Beschwerdeführerin zurückgefordert.
4. 4.1 Zusammenfassend ergibt sich, dass die Beschwerdegegnerin dem Versicherten Taggelder der Arbeitslosenversicherung in der Höhe von total CH 645.20 für April 2020 und von total CHF 2'342.00 für Mai 2020 ausbezahlt hat. Die Beschwerdeführerin richtete an den Versicherten Sozialhilfe in der Höhe von CHF 118.35 im Mai 2020 und von CHF 1'211.35 im Juni 2020 aus. Diese Beträge sind ebenso unbestritten wie der Umstand, dass die Beschwerdegegnerin der Beschwerdeführerin eine Summe von CHF 1'329.70 ausbezahlt hat.
4.2 Die Voraussetzungen einer Drittauszahlung von Arbeitslosenentschädigung an die Beschwerdeführerin gemäss Art. 94 Abs. 3 AVIG (E. II. 2.1 hiervor) sind grundsätzlich erfüllt. Die Bestimmung lässt die Drittauszahlung zu, wenn die Vorschussleistungen erbracht wurden «für einen Zeitraum, für den rückwirkend Taggelder ausgerichtet werden», und verlangt damit eine zeitliche Kongruenz von Vorschussleistungen und Taggeldern. Umstritten ist die Auslegung dieser Wendung. Die Beschwerdegegnerin macht geltend, massgebend sei, ob während desjenigen Zeitraums, auf den sich die Taggelder beziehen, Sozialhilfe bezogen wurde. Die Beschwerdeführerin vertritt dagegen den Standpunkt, massgebend sei der Zeitraum, in dem die Mittel aus der Taggeldzahlung für die Deckung des Lebensbedarfs zur Verfügung stehen. Die Taggelder seien deshalb dem Monat zuzurechnen, der auf ihre Auszahlung folge.
4.3 4.3.1 Die vom Staatssekretariat für Wirtschaft SECO herausgegebene Publikation AVIG-Praxis RVEI [Rückforderung, Verrechnung, Erlass und Inkasso] enthält dazu die folgenden Bemerkungen (Randziffern B21 und B22): «Bei der Berechnung des der Fürsorgestelle zu erstattenden Betrags ist die zeitliche und sachliche Kongruenz zu wahren. Zeitliche Kongruenz bedeutet, dass sich die Zeiträume, für welche Vorschussleistung und Nachzahlung erbracht werden, decken müssen. Vorschussleistungen, die nicht für einen Zeitraum erbracht wurden, für welchen die Nachzahlung erfolgt, dürfen somit nicht erstattet werden». Massgebend ist laut dieser Verwaltungsweisung demnach, dass sich die Zeiträume «für welche» die Zahlungen erbracht werden, decken. Dabei muss es sich, wie die Beschwerdegegnerin zu Recht festhält, bei der Arbeitslosenentschädigung um denjenigen Zeitraum handeln, auf den sich die Taggelder beziehen, hier also die Periode von der Anmeldung am 17. April 2020 bis zur Abmeldung am 31. Mai 2020.
4.3.2 Verwaltungsweisungen, wie hier die Publikation AVIG-Praxis RVEI, richten sich grundsätzlich nur an die Durchführungsstellen und sind für die Gerichte nicht verbindlich. Indes berücksichtigen die Gerichte die Kreisschreiben insbesondere dann und weichen nicht ohne triftigen Grund davon ab, wenn diese eine dem Einzelfall angepasste und gerecht werdende Auslegung der anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen zulassen und eine überzeugende Konkretisierung der rechtlichen Vorgaben enthalten. Dadurch wird dem Bestreben der Verwaltung Rechnung getragen, durch interne Weisungen eine rechtsgleiche Gesetzesanwendung zu gewährleisten. Auf dem Wege von Verwaltungsweisungen dürfen jedoch keine über Gesetz und Verordnung hinausgehenden Einschränkungen eines materiellen Rechtsanspruchs eingeführt werden (BGE 147 V 79 E. 7.3.2 S. 82 mit Hinweisen).
4.3.3 Hier besteht kein Grund, von der Verwaltungsweisung abzuweichen. Die in ihr vorgesehene Lösung wird dem Kriterium der zeitlichen Kongruenz wesentlich besser gerecht als die von der Beschwerdeführerin vertretene Lösung. Diese liesse beispielsweise eine Verrechnung nicht zu, wenn der Versicherte in der hier gegebenen Konstellation im April Sozialhilfe bezogen hätte.
4.4 Zusammenfassend basieren die Verfügung vom 11. August 2021 und der sie bestätigende Einspracheentscheid vom 30. September 2021 auf einer zutreffenden Auslegung von Art. 94 Abs. 3 AVIG und Art. 25 ATSG. Die dagegen erhobene Beschwerde ist abzuweisen.
5. 5.1 Bei diesem Ausgang des Verfahrens besteht kein Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 61 lit. g ATSG).
5.2 In Beschwerdesachen der Arbeitslosenversicherung sind keine Verfahrenskosten zu erheben (Art. 61 lit. fbis ATSG; das AVIG sieht keine Kostenpflicht vor).
Demnach wird erkannt: 1. Die Beschwerde wird abgewiesen. 2. Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen. 3. Es werden keine Verfahrenskosten erhoben. 4. Das Doppel des Schreibens der Beschwerdegegnerin vom 9. November 2021 geht zur Kenntnisnahme an die Beschwerdeführerin.
Rechtsmittel Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit der Mitteilung beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten eingereicht werden (Adresse: Bundesgericht, Schweizerhofquai 6, 6004 Luzern). Die Frist beginnt am Tag nach dem Empfang des Urteils zu laufen und wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar (vgl. Art. 39 ff., 82 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes, BGG). Bei Vor- und Zwischenentscheiden (dazu gehört auch die Rückweisung zu weiteren Abklärungen) sind die zusätzlichen Voraussetzungen nach Art. 92 93 BGG zu beachten.
Versicherungsgericht des Kantons Solothurn Der Präsident Der Gerichtsschreiber Flückiger Haldemann |
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