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Urteil Verwaltungsgericht (SO - VSBES.2020.200)

Zusammenfassung des Urteils VSBES.2020.200: Verwaltungsgericht

Das Versicherungsgericht entscheidet über einen Fall in Bezug auf eine Unfallversicherung. Der Beschwerdeführer A.___ hat sich beim Auslagern einer Schachtel am 10. Oktober 2018 verletzt und fordert Versicherungsleistungen. Die Suva lehnte den Anspruch ab, woraufhin der Beschwerdeführer Beschwerde einreichte. Es folgten weitere medizinische Gutachten und Stellungnahmen. Der Kreisarzt der Suva bestreitet die Unfallursache und argumentiert, dass die Verletzungen auf Abnutzung zurückzuführen seien. Das Gericht muss nun entscheiden, ob die Beschwerdegegnerin leistungspflichtig ist.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts VSBES.2020.200

Kanton:SO
Fallnummer:VSBES.2020.200
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Versicherungsgericht
Verwaltungsgericht Entscheid VSBES.2020.200 vom 11.04.2022 (SO)
Datum:11.04.2022
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:-
Schlagwörter: Schulter; Unfall; Ereignis; Suva-Nr; Regal; Beurteilung; Körper; Versicherung; Schmerz; Kreisarzt; Rotatorenmanschette; Verletzung; Akten; Muskel; Recht; Subscapularis; Bizeps; Bericht; Bizepssehne; Atrophie; Supraspinatus; Stellung; Veränderung; Subluxation; Erkrankung
Rechtsnorm: Art. 1 ATSG ;Art. 36 UVG ;Art. 4 ATSG ;Art. 43 ATSG ;Art. 6 UVG ;
Referenz BGE:121 V 208; 121 V 326; 121 V 47; 130 V 117; 134 V 72; 135 V 465; 138 V 218; 139 V 225; 139 V 496; 146 V 51;
Kommentar:
-

Entscheid des Verwaltungsgerichts VSBES.2020.200

 
Geschäftsnummer: VSBES.2020.200
Instanz: Versicherungsgericht
Entscheiddatum: 11.04.2022 
FindInfo-Nummer: O_VS.2022.50
Titel: Unfallversicherung

Resümee:

 

 

 

 

 

 

 


Urteil vom 11. April 2022

Es wirken mit:

Vizepräsidentin Weber-Probst

Oberrichter Marti

Oberrichter von Felten

Gerichtsschreiber Isch

In Sachen

A.___ vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Altermatt

Beschwerdeführer

 

gegen

Suva Rechtsabteilung, Postfach 4358, 6002 Luzern,

Beschwerdegegnerin

 

betreffend     Unfallversicherung (Einspracheentscheid vom 8. September 2020)

 


 

zieht das Versicherungsgericht in Erwägung:

I.       

 

1.       Der bei der Suva (nachfolgend Beschwerdegegnerin) gegen die Folgen von Unfällen und Berufskrankheiten versicherte A.___ (nachfolgend Beschwerdeführer), geb. 1958, liess der Beschwerdegegnerin mit Schadenmeldung UVG vom 7. Dezember 2018 mitteilen, er habe sich am 10. Oktober 2018 beim «Auslagern» einer grossen Schachtel den Arm verrenkt (Suva-Nr. [Akten der Suva] 1). Dem Operationsbericht von Dr. med. B.___, Oberarzt am C.___, Orthopädie und Traumatologie, vom 18. Januar 2019 ist diesbezüglich im Wesentlichen zu entnehmen, es bestehe eine traumatische anterosuperiore Rotatorenmanschettenruptur links mit Längssplitting der Bizepssehne und Subluxation (Suva-Nr. 12).

 

In der Folge holte die Beschwerdegegnerin weitere medizinische Unterlagen sowie bei Dr. med. D.___, Facharzt für Orthopädische Chirurgie, Kreisarzt, ärztliche Stellungnahmen ein (u.a. Suva-Nr. 36 und 80). Im weiteren Verlauf reichte der Beschwerdeführer ein von ihm veranlasstes Aktengutachten von Dr. med. E.___, Facharzt für Chirurgie FMH, vom 14. Mai 2019 (Suva-Nr. 53) ein. Hiernach veranlasste die Beschwerdegegnerin bei ihrem Kreisarzt, Dr. med. D.___, eine ärztliche Beurteilung (Suva-Nr. 162). Gestützt darauf verneinte die Beschwerdegegnerin mit Verfügung vom 4. Mai 2020 (Suva-Nr. 167) betreffend das Ereignis vom 10. Oktober 2018 den Anspruch des Beschwerdeführers auf Versicherungsleistungen ab dem 1. Juni 2020. Dagegen liess der Beschwerdeführer am 25. Mai 2020 Einsprache erheben (Suva-Nr. 173) und reichte eine Stellungnahme von Dr. med. E.___ vom 19. Mai 2020 ein (Suva-Nr. 173, S. 21). Schliesslich wies die Beschwerdegegnerin die Einsprache mit Entscheid vom 8. September 2020 (A.S. [Akten-Seite] 1 ff.) ab.

 

2.       Gegen diesen Entscheid lässt der Beschwerdeführer am 9. Oktober 2020 (A.S. 16 ff.) fristgerecht Beschwerde beim Versicherungsgericht des Kantons Solothurn erheben und stellt folgende Rechtsbegehren:

 

1.    Es sei der Einsprache-Entscheid der Beschwerdegegnerin vom 8. September 2020 aufzuheben und es sei die Beschwerdegegnerin zu verpflichten, dem Beschwerdeführer für die Folgen des Ereignisses vom 10. Oktober 2018 die gesetzlichen Versicherungsleistungen zu erbringen.

2.    Es sei eine öffentliche Verhandlung im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK durchzuführen und der Beschwerdeführer sei im Rahmen dieser Verhandlung zum Unfallhergang zu befragen.

3.    Es sei die Beschwerdegegnerin zu verpflichten, der F.___ Rechtsschutz-Versicherung AG die Kosten für die Aktengutachten von Dr. med. E.___ im Betrag von CHF 3’600.00 zu ersetzen.

4.    Unter Kosten- und Entschädigungsfolge.

 

4.       Mit Beschwerdeantwort vom 9. Dezember 2020 (A.S. 30 ff.) stellt die Beschwerdegegnerin folgende Rechtsbegehren:

 

1.    Die Beschwerde vom 9. Oktober 2020 sei abzuweisen und der Einsprache-Entscheid vom 8. September 2020 zu bestätigen.

2.    Das Versicherungsgericht habe darüber zu befinden, ob eine öffentliche Verhandlung nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK durchzuführen sei.

3.    Eventuell sei G.___, ehemalige Aussendienstmitarbeiterin der Suva [...], als Zeugin einzuvernehmen.

4.    Die der F.___ Rechtsschutz-Versicherung AG entstandenen Kosten für die Aktengutachten von Privatdozent Dr. med. Dr. iur. MBA HSG E.___, [...], im Betrag von CHF 3‘600.00 seien der Beschwerdegegnerin nicht zu überbinden.

5.    Dem Beschwerdeführer sei keine Partei- beziehungsweise Anwaltskostenentschädigung zuzusprechen.

 

5.       Mit Replik vom 22. Februar 2021 (A.S. 42) verweist der Beschwerdeführer auf seine bisherigen Rechtsbegehren und Vorbringen.

 

6.       Am 15. Juni 2021 findet vor der Vizepräsidentin des Versicherungsgerichts eine Instruktionsverhandlung mit Zeugenbefragung von G.___, ehemalige Mitarbeiterin der Suva, sowie Parteibefragung des Beschwerdeführers statt. Dazu und zum Inhalt der Befragung wird auf das separate Protokoll (A.S. 61 ff.) verwiesen.

 

7.       Mit Verfügung vom 7. September 2021 (A.S. 76 ff.) wird bei Dr. med. H.___, Facharzt für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie des Bewegungsapparates, I.___, ein Gerichtsgutachten veranlasst. Das Gutachten ergeht am 10. November 2021 (A.S. 82 ff.).

 

8.       Mit Stellungnahme vom 6. Dezember 2021 (A.S. 114) lässt sich die Beschwerdegegnerin abschliessend vernehmen.

 

9.       Mit abschliessender Stellungnahme vom 26. Januar 2022 (A.S. 121 ff.) stellt der Beschwerdeführer den Antrag, es sei ein neues gerichtliches Gutachten zur Frage der Unfallkausalität der vom Beschwerdeführer erlittenen Verletzungen der linken Schulter anzuordnen.

 

10.     Auf die Ausführungen der Parteien in ihren Rechtsschriften wird nachfolgend, soweit notwendig, eingegangen.

 

II.      

 

1.       Die Sachurteilsvoraussetzungen (Einhaltung von Frist und Form, örtliche und sachliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts) sind erfüllt. Auf die Beschwerde ist einzutreten.

 

2.

2.1     Soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, werden die Versicherungsleistungen bei Berufsunfällen, Nichtberufsunfällen und Berufskrankheiten gewährt (Art. 6 Abs. 1 UVG).

 

2.2     Unfall ist die plötzliche, nicht beabsichtigte schädigende Einwirkung eines ungewöhnlichen äusseren Faktors auf den menschlichen Körper, die eine Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen psychischen Gesundheit den Tod zur Folge hat (Art. 4 Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts [ATSG, SR 830.1]).

 

2.3     Die Versicherung erbringt ihre Leistungen auch bei bestimmten Körperschädigungen, sofern sie nicht vorwiegend auf Abnützung Erkrankung zurückzuführen sind (sogenannte unfallähnliche Körperschädigungen). Zu diesen «Listenverletzungen» zählen u.a. Knochenbrüche (Art. 6 Abs. 2 lit. a UVG in der seit 1. Januar 2017 geltenden Fassung).

 

3.

3.1     Das Verwaltungsverfahren und das Verwaltungsgerichtsverfahren in Sozialversicherungssachen sind vom Untersuchungsgrundsatz beherrscht. Danach hat die Verwaltung bzw. der Richter von Amtes wegen für die richtige und vollständige Abklärung des rechtserheblichen Sachverhaltes zu sorgen. Dieser Grundsatz gilt indessen nicht uneingeschränkt; er findet sein Korrelat in den Mitwirkungspflichten der Parteien (BGE 138 V 218 E. 6 S. 221, 117 V 261 E. 3b S. 263 und 282 E. 4a, 116 V 23 E. 3c S. 26 f. mit Hinweisen).

 

3.2     Den Berichten und Gutachten versicherungsinterner Ärzte ständiger Vertrauensärzte eines Versicherungsträgers kommt Beweiswert zu, sofern sie als schlüssig erscheinen, nachvollziehbar begründet sowie in sich widerspruchsfrei sind und keine Indizien gegen ihre Zuverlässigkeit bestehen (BGE 125 V 351 E. 3b/ee S. 353 f.). Soll ein Versicherungsfall jedoch ohne Einholung eines externen Gutachtens entschieden werden, so sind an die Beweiswürdigung strenge Anforderungen zu stellen. Bestehen auch nur geringe Zweifel an der Zuverlässigkeit und Schlüssigkeit der versicherungsinternen ärztlichen Feststellungen, sind rechtsprechungsgemäss ergänzende Abklärungen vorzunehmen (BGE 139 V 225 E. 5.2 S. 229, 135 V 465 E. 4.4 S. 470). Insbesondere genügt in Fällen, in welchen die Schlüssigkeit der Feststellungen der versicherungsinternen Fachpersonen durch einen nachvollziehbaren Bericht eines behandelnden Arztes in Zweifel gezogen wird, der pauschale Hinweis auf dessen auftragsrechtliche Stellung nicht, um die geltend gemachten Zweifel auszuräumen (Urteil des Bundesgerichts 8C_193/2014 vom 19. Juni 2014 E. 4.1).

 

4.       Gemäss den Ausführungen des Beschwerdeführers habe er sich am 10. Oktober 2018 an seinem Arbeitsplatz beim Versuch, eine schwere Schachtel aus einem Regal zu holen, eine Schulterverletzung zugezogen. Gemäss Aussage der ersten Stunde bzw. der Unfallmeldung (welche rechtsprechungsgemäss am höchsten zu gewichten sei), habe er sich beim Auslagern einer grossen Schachtel den Arm verrenkt. Am 21. Dezember 2018 habe er den Unfallhergang nochmals schriftlich wie folgt geschildert: «Ich versuche in ein Regal zu kommen, und verdreht meine linke Schulter». Schliesslich habe der Hausarzt, Dr. med. J.___ am 4. März 2019 den Unfallhergang wie folgt geschildert: «Einknicken des linken Arms beim Abstützen Schulter verdreht und an Regal angeschlagen». Sodann habe die Beschwerdegegnerin am 27. März 2019 einen Rapport des Aussendienstes erstellen lassen. Dieser halte folgenden Unfallhergang fest: «Am Mittwoch, 10. Oktober 2018 um 11.30 Uhr, musste ich im Lager der Firma K.___ eine schwere Schachtel vom Regal herunterholen. Diese befand sich auf 2.50 Meter Höhe. Um sie herunterzuholen stand ich mit dem linken Bein auf aufeinandergeschichteten Kartonschachteln (30 cm hoch) und zog mich mit beiden Händen an einer Regalstange hoch. Plötzlich verspürte ich einen starken Schmerz in der linken Schulter, liess das Regal los und stieg hinunter. Das Gleichgewicht habe ich nicht verloren. Auch stürzte ich nicht. Am Boden stehend krümmte ich mich vor lauter Schmerzen.» Der Rapport vom 27. März 2019 sei zwar vom Beschwerdeführer unterzeichnet worden. Der Beschwerdeführer sei aber nicht deutscher Muttersprache und habe nicht im Detail verstanden, was er unterzeichnet habe. Augenfällig sei jedoch, dass die Unfallschilderung im Rapport völlig von den drei vorherigen Beschreibungen abweiche. Namentlich werde keine Verrenkung des Armes bzw. der Schulter erwähnt. Auch das Abknicken des Armes wie von Dr. med. J.___ erwähnt, werde nicht angegeben. Es werde bestritten, dass der Rapport vom 27. März 2019 den wahren Unfallhergang festhalte. Zur Klärung des Unfallhergangs sei eine gerichtliche Befragung des Beschwerdeführers vorzunehmen. Aufgrund der ersten drei Schilderungen sei erstellt, dass ein Unfall i.S.v. Art. 4 ATSG vorliege. So werde mehrfach ein programmwidriger Ablauf beschrieben, nämlich ein Verrenken des Armes bzw. ein Verdrehen der Schulter sowie ein Einknicken des Armes. Aufgrund der Tatsache, dass ein Unfall im Rechtssinne vorliege, sei die Beschwerdegegnerin bereits leistungspflichtig, wenn das Ereignis lediglich eine Teilursache darstelle. Wie nachfolgend noch darzulegen sein werde, sei eine Teilkausalität in jedem Fall ausgewiesen, weshalb die Beschwerdegegnerin ihre Leistungen zu erbringen habe. Die Beschwerdegegnerin stütze sich in medizinischer Hinsicht einzig auf die Beurteilungen ihres Kreisarztes. An diesen bestünden jedoch mehr als nur geringe Zweifel, weshalb sie nicht beweiskräftig seien (BGE 135 V 465). Namentlich sei dem Kreisarzt vorzuwerfen, dass er die MRI-Bilder offenbar nicht selbst befundet habe. Sodann setze er sich auch nicht mit dem OP-Bericht und insbesondere auch nicht mit der Stellungnahme des Operateurs, Dr. med. B.___, vom 9. Mai 2019 auseinander. Der Kreisarzt behaupte sodann, dass im MRT-Bericht vom 29. November 2018 eine fettige Atrophie des M. subscapularis beschrieben werde und dieser Befund, welcher sechs Wochen nach dem Ereignis erhoben worden sei, einen Zusammenhang mit dem Ereignis ausschliesse. Gemäss dem erwähnten MRT-Bericht sei entgegen der Ansicht des Kreisarztes indessen lediglich eine leichte fettige Atrophie entsprechend Goutalier Grad 1 befundet worden. Dr. med. E.___ halte hierzu in seinem Aktengutachten vom 19. Mai 2020 fest, dass der Beurteilung des Kreisarztes nicht gefolgt werden könne. Die Rotatorenmanschette entwickle in unterschiedlicher Geschwindigkeit eine fettige Atrophie, wobei der Subscapularis am schnellsten atrophiere. Im MRT-Bericht werde eine äusserst geringe fettige Degeneration am Oberrand des M. subcapularis beschrieben, zudem sei nicht der ganze Muskel, sondern nur ein Anteil des Oberrandes verfettet. Dass diese Atrophie länger als sechs Wochen bestehen müsse, könne im konkreten Fall nicht mit Forschungsarbeiten untermauert werden. Des Weiteren weise Dr. med. E.___ in seinem Gutachten nach, dass der Kreisarzt tatsachenwidrig behaupte, im MRT komme eine Volumenminderung der Rotatorenmanschettenmuskulatur zur Darstellung. Vielmehr sei nur bezüglich des M. subscapularis eine Volumenminderung erwähnt worden. Die anderen Muskeln der Rotatorenmanschette (Supraspinatus, lnfraspinatus und Teres minor) wiesen eine regelrechte Muskeltrophik auf. Sodann habe der Operateur, Dr. med. B.___, in seinem Schreiben an die Beschwerdegegnerin vom 9. Mai 2019 ausführlich zur Kausalitätsfrage Stellung genommen. Dr. med. B.___ halte zunächst fest, dass die Lokalisation der Ruptur mit Beteiligung der Subscapularissehne, das axiale Zugtrauma, die fehlende fettige Atrophie sowie die Volumenminderung für ein traumatisches Geschehen und gegen eine degenerative Veränderung sprächen. Insbesondere halte Dr. med. B.___ aber auch fest, dass sich intraoperativ ein deutlich ausgedehnterer Befund als im MRI gezeigt habe. Die Subscapularissehne sei in der kranialen Hälfte entsprechend Lafosse Grad III rupturiert gewesen. Es habe sich eine subtotale artikulärseitige Partialläsion der Supraspinatussehne gezeigt, die man im MRI so nicht gesehen habe. Zudem habe eine mediale Poulley-Zerreissung bestanden, die die Subluxation der Bizepssehne erst ermöglicht habe. Hiermit seien wohl auch die starken Schmerzen, die erst nach dem Trauma aufgetreten seien, erklärt. Das SGHL sei auf dem Subscapularis vernarbt verwachsen und habe gelöst werden müssen. Diese intraoperativen Verletzungsmuster sprächen klar für eine traumatische Genese. Auf diese Ausführungen gehe der Kreisarzt in seiner Stellungnahme vom 27. März 2020 mit keinem Wort ein. Er beschränke sich in seiner Argumentation auf die Frage der Muskelverfettung bzw. Atrophie, wobei diesbezüglich seine Argumentation wie oben erwähnt falsch bzw. nicht haltbar sei. Die Beurteilung des Kreisarztes sei daher nicht beweiskräftig. Der Beschwerdegegnerin gelinge es daher nicht, die gesetzliche Vermutung, wonach die beim Beschwerdeführer bestehende Listendiagnose eine unfallähnliche Körperschädigung sei, zu widerlegen.

 

Demgegenüber vertritt die Beschwerdegegnerin die Ansicht, die ehemalige Aussendienstmitarbeiterin der Suva [...], G.___, habe die Aussagen des Beschwerdeführers am 27. März 2019 aufgenommen und habe diese von ihm unterzeichnen lassen. Die Interpretationen des Rechtsvertreters stellten reine Spekulationen dar. Wie der Anwalt selbst erwähnt habe, habe sein Mandant das Protokoll unterschrieben. Eine allfällige Parteieinvernahme des Beschwerdeführers im hier vorliegenden gerichtlichen Beschwerdeverfahren sei aus rechtlicher Sicht ohne Beweiswert (BGE 115 V 143 E. 8c, BGE 121 V 47 E. 2a, BGE 121 V 208 E. 6b, Urteile des EVG U 6/02 vom 18. Dezember 2002 E. 2.4, U 258/04 vom 23. November 2006 sowie RKUV 1988 S. 363 E. 3b/aa und RKUV 1990 S. 49 E. 2). Sollte das Gericht wider Erwarten eine Parteibefragung mit dem Beschwerdeführer durchführen, müsste bei widersprechenden Ausführungen zu den ursprünglichen protokollarischen Aussagen zusätzlich die ehemalige Aussendienstmitarbeiterin der Suva als Zeugin einvernommen werden. Aufgrund des unterzeichneten Protokolls der aussendienstlichen Befragung sei erstellt, dass sich am 10. Oktober 2018 kein Unfall im Sinne des Art. 4 ATSG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 ATSG zugetragen habe. Zudem sei auch kein sinnfälliges Ereignis gemäss der Praxis zur altrechtlichen Bestimmung des Art. 9 Abs. 2 aUVV zu erkennen. Das Hochziehen des eigenen Körpergewichts an einer Regalstange, bei welchem keinerlei sinnfälligen Abweichungen von einem normalen Ablauf zu beobachten gewesen seien, sei als eine harmlose Körperbewegung zu qualifizieren. Sodann sei es entgegen der Auffassung des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers absolut korrekt und Standard, wenn die Befundung einer bildgebenden Abklärung den Fachärzten für Radiologie überlassen werde. Des Weiteren weise der Kreisarzt in seiner Beurteilung vom 27. März 2020 in aller erster Linie darauf hin, dass der hier zugrundeliegende Vorgang mit dem einfachen Hochziehen des Körpers an einer Regalstange gar nicht zu den nachgewiesenen strukturellen Läsionen an der linken Schulter führen könne. Damit sei nach aktueller höchstrichterlicher Praxis zur Listendiagnose bereits rechtsgenüglich erstellt, dass keine unfallähnliche Körperschädigung nach Art. 6 Abs. 2 UVG vorliege. Wie schon erwähnt, handle es sich beim geltend gemachten Vorgang vom 10. Oktober 2018 um eine normale Körperbewegung. Der Unfallmechanismus sei nicht geeignet, einen strukturellen Schaden zu verursachen. Dieser Umstand sei aus medizinischer Sicht unbestritten. Die vom Kreisarzt zusätzlich aufgeführten Gründe des degenerativen Vorzustands an der linken Schulter des Versicherten mit der fettigen Atrophie und Volumenminderung des Subskapularismuskels, der Arthrose und den mehrfachen Tendinopathien schiebe der Kreisarzt einzig als Hilfselemente seiner Argumentation nach. Privatdozent Dr. med. E.___ behaupte in seinem Bericht vom 19. Mai 2020 nicht einmal, seinerseits belegen zu können, dass eine leichte Atrophie in weniger als sechs beziehungsweise achteinhalb Wochen nach einem Unfallereignis entstehen könne. Die Aussage des Kreisarztes, dass dafür Monate, möglicherweise Jahre notwendig seien, sei somit nicht einmal angezweifelt, geschweige denn widerlegt worden. Die Frage, ob eine Anspruchsgrundlage für Leistungen nach Art. 6 Abs. 2 UVG bestehe, habe Privatdozent Dr. med. E.___ in seiner Einschätzung vom 19. Mai 2020 mit ja beantwortet. Dabei sei er jedoch von falschen rechtlichen Voraussetzungen ausgegangen. Er behaupte in diesem Zusammenhang, dass es dem Kreisarzt mit der Argumentation in seiner Beurteilung vom 27. März 2020 nicht gelungen sei, den notwendigen Beweis zu erbringen, dass die anterosuperiore Ruptur der Rotatorenmanschette der linken, nicht dominanten Schulter des Versicherten überwiegend wahrscheinlich degenerativer Natur sein solle. Das heisse, dass die Ruptur explizit nicht im Zusammenhang mit dem geltend gemachten Ereignis vom 10. Oktober 2018 stehen solle. Eine bloss traumatische Teilursache, wie sie Dr. med. E.___ unterstelle, genüge aber nicht, um eine Leistungspflicht begründen zu können. Es werde von der Suva nicht bestritten, dass der Vorgang vom 10. Oktober 2018 eine Teilursache des geklagten Schulterschadens bilde. Dies entspreche auch der grundlegenden Einschätzung des Kreisarztes. Gemäss herrschender Lehre und ständiger Rechtsprechung genüge in Bezug auf die Auslegung des Art. 36 Abs. 1 UVG bereits eine kleinste, noch so winzige Teilursache zur Bejahung des Kausalzusammenhangs, um die Leistungspflicht des Unfallversicherers zu begründen, sofern aber eben überhaupt erst ein Unfall nach Art. 4 ATSG vorliege (BGE 121 V 326 E. 2; BGE 134 V 109 E. 9.5; Urteil des BGer 8C_476/2011 vom 5. Dezember 2011 E. 6.2; H. Landolt, in: Kommentar zum Schweizerischen Sozialversicherungsrecht, Bundesgesetz über die Unfallversicherung, N. 9 zu Art. 36 UVG sowie D. Vollenweider / A. Brunner, in: Basler Kommentar zum UVG, N. 18 zu Art. 36 UVG). Im Gegensatz dazu würden betreffend Art. 6 Abs. 2 UVG die verschiedenen Anteile unfallbedingter und krankhafter Genese gemäss bundesgerichtlicher Praxis einander gegenübergestellt. Eine unfallähnliche Körperschädigung sei erst zu bejahen, sofern das unfallbedingte Ursachenspektrum 50 % mehr ausmache (BGE 146 V 51 E. 8.6). Dies sei gestützt auf die kreisärztlichen Ausführungen zu verneinen. Zudem könne dem Bericht von Dr. med. E.___ vom 14. Mai 2019 zur Frage, ob die Schulterbeschwerden vorwiegend auf Abnützung Erkrankung basierten, keine Begründung entnommen werden. Es werde einzig apodiktisch behauptet, dass der anlässlich der Schulterarthroskopie vom 18. Januar 2019 beschriebene strukturelle Zustand der linken Schulter des Versicherten keine Befunde erkennen lasse, die nicht auf einen degenerativen Vorzustand, auf eine Abnützung und eine Erkrankung zurückzuführen seien. Der Umstand, dass der sechzigjährige Beschwerdeführer an dessen linken Schulter an einer Arthrose, an Tendinopathien sowie einer fettig atrophierten Sehne leide, werde von Dr. med. E.___ geflissentlich übersehen, womit der Beweiswert entsprechend eingeschränkt bleibe (Urteil des EVG I 239/99 vom 2. März 2001 E. 2a und des BGer 8C_185/2012 vom 31. Mai 2012 E. 4 sowie A. Maurer, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, 2. Aufl. 1989, 5. 175 f, und S. 459 f.). Zusammenfassend sei die Beurteilung des Kreisarztes beweiskräftig. Damit sei die gesetzliche Vermutung, wonach die beim Beschwerdeführer bestehende Listendiagnose eine unfallähnliche Körperschädigung sei, widerlegt. Die Beschwerdegegnerin sei daher nicht leistungspflichtig.

 

5.       Streitig und zu prüfen ist somit, ob die Beschwerdegegnerin ihre Leistungspflicht bezüglich des Ereignisses vom 10. Oktober 2018 mit Einspracheentscheid vom 8. September 2020 (A.S. 1 ff.) zu Recht verneint hat. In diesem Zusammenhang sind im Wesentlichen folgende Unterlagen von Belang:

 

5.1     Im Bericht betreffend MR des Schultergelenks links vom 29. November 2018 (Suva-Nr. 23) wurde zur Beurteilung Folgendes festgehalten:

 

-       Oberrandläsion der Subscapularissehne mit begleitender Volumenminderung des Muskels und fettiger Atrophie des Muskels im oberen Abschnitt.

-       Tendinopathie, Splitting und Subluxation der langen Bizepssehne.

-       Einriss in das superiore Labrum des Bizepssehnenankers mit Einstrahlung in diesen, im Sinne einer SLAP II-Läsion.

-       Insertionstendinopathie der Supraspinatus- und der Infraspinatussehne.

-       AC-Gelenksarthrose.

 

5.2     Am 21. Dezember 2018 hielt der Beschwerdeführer bezüglich des Ablaufs des Ereignisses vom 10. Oktober 2018 handschriftlich fest (Suva-Nr. 6): «Ich versuche an ein Regal zu kommen und verdrehte meine linke Schulter». Zur Frage, ob sich etwas Besonderes (Ausgleiten, Sturz, Anschlagen usw.) ereignet habe, gab der Beschwerdeführer an: «Linker Arm verdreht, mit einem grossen Schmerz».

 

5.3     Im Operationsbericht vom 18. Januar 2019 (Suva-Nr. 12) stellte Dr. med. B.___, Oberarzt am C.___, Orthopädie und Traumatologie, folgende Diagnosen:

 

Traumatische anterosuperiore Rotatorenmanschettenruptur links mit Längssplitting der Bizepssehne und Subluxation bei

-       medialer und lateraler Pulley-Zerreissung

-       Subscapularissehnenruptur Lafosse Grad III

-       artikulärseitiger Partialläsion Supraspinatussehne von 80 %

-       Schulterdistorsion links vom 10. Oktober 2018

 

Als Indikation hielt Dr. med. B.___ eine Schulterdistorsion links vom 10. Oktober 2018 fest. Im MRI zeige sich eine frische Subscapularissehnenruptur sowie eine Ruptur der Supraspinatussehne. Die Bizepssehne sei luxiert. Die maximale Verfettung für den Subscapularis betrage 1. Die restlichen Muskeln seien nicht verfettet. Somit stelle sich die Indikation zur Operation: Schulterarthroskopie links, subpektorale Bizepssehnentenodese, single row Rekonstruktion Supraspinatus

 

5.4     Im Arztzeugnis vom 4. März 2019 (Suva-Nr. 24) hielt Dr. med. J.___, Facharzt für Allgemeinmedizin FMH, bezüglich des Ereignisablaufes fest: «Einknicken des linken Armes beim Abstützen. Schulter verdreht und an Regal angeschlagen».

 

5.5     Anlässlich der Besprechung des Beschwerdeführers mit der Mitarbeiterin der Beschwerdegegnerin, G.___, vom 27. März 2019 (Suva-Nr. 35) wurde bezüglich des Ereignisablaufs Folgendes festgehalten und vom Beschwerdeführer unterschriftlich bestätigt: «Am Mittwoch, 10. Oktober 2018 um 11.30 Uhr, musste ich im Lager der Firma K.___ eine schwere Schachtel vom Regal herunterholen. Diese befand sich auf 2.50 Meter Höhe. Um sie herunterzuholen stand ich mit dem linken Bein auf aufeinandergeschichteten Kartonschachteln (30 cm hoch) und zog mich mit beiden Händen an einer Regalstange hoch. Plötzlich verspürte ich einen starken Schmerz in der linken Schulter, liess das Regal los und stieg hinunter. Das Gleichgewicht habe ich nicht verloren. Auch stürzte ich nicht. Am Boden stehend krümmte ich mich vor lauter Schmerzen.»

 

5.6     Der Kreisarzt, Dr. med. D.___, Facharzt für Orthopädische Chirurgie, hielt in seiner Stellungnahme vom 28. März 2019 (Suva-Nr. 36) fest, der Schaden an der Schulter links, welcher am 18. Januar 2019 operiert worden sei, sei nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf das Ereignis vom 10. Oktober 2018 zurückzuführen. So zeigten sich in der Bildgebung typische abnutzungsbedingte Veränderungen mit bereits fettiger Veränderung des Muskels, was ein Ereignis erst 6 Wochen vorher ausschliesse. Es gebe keine Hinweise auf eine kürzlich erfolgte Gewalteinwirkung auf das Schultergelenk. In der Indikation zum MRT stehe «Therapieresistente Arthrospathie» ohne Hinweise auf ein Ereignis. Wenn dies denn stattgefunden habe, dann lägen 3 Monate nach dem Ereignis keine Unfallfolgen mehr vor.

 

5.7     Mit Stellungnahme vom 9. Mai 2019 (Suva-Nr. 47) führte Dr. med. B.___ vom C.___ aus, der genaue Unfallmechanismus könne nicht mehr ganz eindeutig wiedergegeben werden. Es scheine am 10. Oktober 2018 zu einer Distorsionsbewegung der betroffenen Schulter gekommen zu sein. Aus den Unterlagen gehe hervor, dass der Beschwerdeführer sich an einem Regal / einer Regalstange mit beiden Armen habe hochziehen müssen. Unter diesem Zug sei es zu plötzlich einschiessenden Schmerzen gekommen. Er, Dr. med. B.___, gehe somit davon aus, dass es bei einer Aussenrotations- und Flexionshaltung der Schulter zu einem axialen Zug gekommen sei. In der Bildgebung (MRI vom 29. November 2018) zeige sich insgesamt ein eher diskreter Befund. Es werde eine Oberrandläsion der Subscapularissehne beschrieben, ebenso eine Tendinopathie mit Splitting und Subluxation der langen Bizepssehne. Zudem eine SLAP-Läsion Typ II. An der Supraspinatussehne werde lediglich eine Insertionstendinopathie beschrieben. Es zeige sich keine relevante Verfettung für die Rotatorenmanschette. Ebenso keine Volumenminderung. Gemäss Consensus Paper der Expertengruppe für Schulter- und Ellenbogenchirurgie der Swiss Orthopaedix (Ledermann et al.) sprächen die Lokalisation der Ruptur mit Beteiligung der Subscapularissehne, das axiale Zugtrauma, die fehlende fettige Atrophie sowie die Volumenminderung für ein traumatisches Geschehen und gegen eine degenerative Veränderung. Intraoperativ habe sich dann ein deutlich ausgedehnterer Befund gezeigt als im MRI. Die Subscapularissehne sei in der kranialen Hälfte entsprechend Lafosse Grad III rupturiert gewesen. Es habe sich eine subtotale artikulärseitige Partialläsion der Supraspinatussehne gezeigt, die im MRI so nicht zu sehen gewesen sei. Zudem eine mediale Poulley-Zerreissung, die die Subluxation der Bizepssehne erst ermöglicht habe. Hiermit seien wohl auch die starken Schmerzen, die nach dem Trauma erst aufgetreten seien, erklärt. Das SGHL sei auf dem Subscapularis vernarbt verwachsen gewesen und habe gelöst werden müssen. Diese intraoperativen Verletzungsmuster sprächen klar für eine traumatische Genese.

 

5.8     In dem vom Beschwerdeführer veranlassten Aktengutachten vom 14. Mai 2019 (Suva-Nr. 53) hielt Dr. med. E.___, Facharzt für Chirurgie FMH, fest, der beschriebene Sachverhalt stelle aus ärztlicher Sicht kein Ereignis im Sinne von Art. 4 ATSG dar. Es fehle an der gemäss Gesetz zwingend notwendigen, plötzlichen, nicht beabsichtigten schädigenden Einwirkung eines äusseren Faktors. Aus Sicht des Unterzeichnenden sei somit die Beurteilung der Suva nachvollziehbar. Sodann zeige die Analyse des medizinischen Sachverhalts auf, dass der Beschwerdeführer dokumentierte Rupturen / Risse an der Sehne des M. supraspinatus und des M. subscapularis gehabt habe. Dieser Sachverhalt erfülle einen Anspruch aus Art. 6 Abs. 2 lit. f UVG. Die Längssplittung der langen Bizepssehne stelle keine Ruptur im engeren Sinn dar und sei demzufolge nicht der Listendiagnose von Art. 6 Abs. 2 lit. f UVG gleichzusetzen. Weiter sei eine Subluxation der langen Bizepssehne infolge einer sogenannten Pully-Läsion diagnostiziert worden. Das Pully werde durch Bänder gebildet, die für das Zustandekommen einer Pully-Läsion mit Subluxation der Sehne reissen müssten. Somit erfülle auch dieser Sachverhalt einen Anspruch aus Art. 6 Abs. 2 lit. g UVG. Die Subluxation, d.h. «Teilverrenkung» der langen Bizepssehne im weitesten Sinne stelle hingegen nicht eine Gelenkverrenkung im Sinne des Gesetzgebers dar. Des Weiteren liessen die Sachverhaltsdarstellung in der MRI-Untersuchung vom 29. November 2018 und insbesondere der anlässlich der Schulterarthroskopie vom 18. Januar 2019 beschriebene strukturelle Zustand der linken Schulter keine Befunde erkennen, welche darauf schliessen lassen würden, dass die Listendiagnosen gemäss Art. 6 Abs. 2 lit. f UVG und Art. 6 Abs. 2 lit. g UVG auf einen degenerativen Vorzustand / auf eine Abnützung und / Erkrankung zurückzuführen seien. Zusammenfassend würden die Anspruchsgrundlagen aus Art. 6 Abs. 2 lit. f UVG und Art. 6 Abs. 2 lit. g UVG durch den Unterzeichnenden bejaht. Im Übrigen könne es infolge der strukturellen Veränderungen mit notwendiger operativer Versorgung und lokaler Narbenabheilung nie mehr zu einem Status quo ante kommen. Die Frage des Status quo sine könne nicht beantwortet werden, da zur linken Schulter kein Vorzustand aktenkundig sei.

 

5.9     Im Bericht vom 17. Juli 2019 (Suva-Nr. 73) führte Dr. med. J.___ aus, am 24. Oktober 2018 habe er den Beschwerdeführer erstmals wegen seinen Schulterunfalls links, welcher sich gemäss den Angaben des Beschwerdeführers am 10. Oktober 2018 ereignet gehabt habe, gesehen. Der Beschwerdeführer habe den Unfall so geschildert: «Ich wollte mit beiden Armen auf ein Regal hechten und mich abstützen, dabei ist mein linker Arm eingesackt / eingeknickt.» Die linke Schulter habe er verdreht und am Regal angeschlagen. Er habe sofort mit Irfen 600 und Traumalix begonnen, es habe aber keine Abheilung stattgefunden, im Gegenteil, die Beschwerden hätten zugenommen, so dass er nun zum Arzt gekommen sei. Weiter führte Dr. med. J.___ aus, klinisch habe sich kein Hämatom gezeigt, die Beweglichkeit sei schmerzbedingt eingeschränkt gewesen, Impingement, SMZ peripher intakt. Vor dem Unfall seien keine Schulterbeschwerden bekannt gewesen.

 

5.10   Mit Bericht vom 9. Oktober 2019 (Suva-Nr. 100) stellte Dr. med. B.___ vom C.___ folgende Diagnosen:

 

Capsulitis Schulter links nach Schulterarthroskopie links mit subpektoraler Bicepssehnentenodese und single row Rekonstruktion von Subscapularis- und Supraspinatussehne bei

-       traumatischer anterosuperiorer Rotatorenmanschettenläsion links mit Längssplitting der Bicepssehne und Subluxation derselben bei medialer und lateraler Pulley-Zerreissung

-       Subscapularissehnenruptur Lafosse Grad III

-       artikulärseitiger Partialläsion Supraspinatussehne von 80 %

-       Schulterdistorsion links vom 10. Oktober 2018

 

Bei weiterhin bestehender Capsulitis mit nur leichter Verbesserung im Verlauf sehe man die Indikation für eine glenohumerale und subacromiale Infiltration mit Kenacort und Bupivacain. Zudem stehe, wie bereits in dem Bericht an die Versicherung vom Mai dieses Jahres festgehalten, eine eindeutige traumatische Genese und keine degenerative Genese im Vordergrund.

 

5.11   In der ärztlichen Beurteilung vom 31. März 2020 (Suva-Nr. 162) führte Dr. med. D.___, Facharzt für Orthopädische Chirurgie, Kreisarzt aus, zur Beurteilung der Frage, ob die Beschwerdegegnerin für die gestellte Listendiagnose leistungspflichtig sei, sei für ihn bezüglich des Hergangs des Ereignisses entsprechend des Hinweises der Administration einzig die Darstellung des Versicherten im Rahmen des Aussendienst-Rapportes vom 27. März 2019 relevant. Darin schildere der Versicherte eine ganz normale Alltagsbewegung. Er habe aus einem Regal aus ca. 2,5 Meter Höhe einen Karton holen wollen, habe dabei auf einen Tritt vor dem Regal steigen müssen, um die entsprechende Höhe zu erlangen. Dabei habe er sich mit den Armen nach oben gezogen, wie es z. B. bei Leitererklimmen anderen alltäglichen Verrichtung der Fall sei. Zwischen einem alltäglichen Ereignis, welches in keinster Weise geeignet sei, die nachgewiesenen strukturellen Läsionen an der linken Schulter zu verursachen, und den aktuellen Beschwerden bestehe keine natürliche Kausalität. Das Problem bei einer Listendiagnose sei aber, dass hier nicht die Frage der natürlichen Kausalität zu beantworten sei. Es gehe hier ausschliesslich darum, ob die vorliegende Listendiagnose «vorwiegend und mit dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit» auf Abnutzung Erkrankung zurückzuführen sei. Nun gebe es für die beim Versicherten nachgewiesenen Läsionen an der Schulter prinzipiell zwei Möglichkeiten der Entstehung: 1. Durch eine geeignete Gewalteinwirkung und 2. durch Abnutzung, Erkrankung bzw. über viele Jahre rezidivierende Mikrotraumata (klassisches Beispiel bei Wurfsportarten). Da kein geeignetes Ereignis vorliege, könnte man im logischen Schluss an dieser Stelle schon abschliessen und postulieren, dass als Ursache der Läsionen Abnutzung Erkrankung infrage kommen müsse, eine Alternative gebe es nicht. Allerdings sei dies nicht das einzige Argument. Er, Dr. med. D.___, könne Herrn Dr. med. B.___ vom C.___, welcher eine Volumenminderung und fettige Atrophie der Rotatorenmanschettenmuskulatur verneine, und Herrn Dr. E.___, welcher keine Vorerkrankungen sehe und somit die Listendiagnose nicht darauf zurückführe, keinesfalls zustimmen. In der Bildgebung mittels MRI vom 29. November 2018 komme eindeutig eine Volumenminderung der Rotatorenmanschettenmuskulatur sowie eine fettige Atrophie des Musculus subscapularis im oberen Bereich zur Darstellung, dies werde auch fachradiologisch so befundet und sei nachzulesen. Bereits am 15. August 2019 habe er, Dr. med. D.___, in der Annotation ausgeführt, dass dieser Befund im MRI, sechs Wochen nach dem Ereignis, einen Zusammenhang mit dem Ereignis ausschliesse. Um eine fettige Degeneration und eine Atrophie des Muskels zu erreichen, seien viel längere Zeiträume von Monaten, möglicherweise Jahre erforderlich. Hier handle es sich eindeutig um einen krankhaften bzw. abnutzungsbedingten Zustand, welcher auch wesentlich häufiger sei im Lebensalter des Versicherten, als eine unfallbedingte Läsion. Es sei ein Fakt, dass unfallbedingte Läsionen der Rotatorenmanschette in jedem Alter selten seien. Hinzu komme, dass im Bereich der Schulter weitere abnutzungsbedingte Veränderungen nachgewiesen seien. Es liege eine Tendinopathie der langen Bicepssehne vor, Insertionstendinopathien der Supraspinatus- und Infraspinatussehnen. Unter einer Tendinopathie sei eine krankhafte Veränderung einer Sehne zu verstehen, es handle sich hierbei nicht um Unfallfolgen. Ebenso abnutzungsbedingt sei die Arthrose des Schultereckgelenkes, ebenfalls ein Bestandteil des Funktionskomplexes der Schulter. Die Feststellung von Herrn Dr. med. E.___, es lägen keine Erkrankungen vor, welche zu einer Listendiagnose führen könnten, sei somit falsch. Ebenso sei die Aussage von Herrn Dr. B.___, es liege keine Muskelatrophie und keine fettige Degeneration vor, nicht korrekt. Er, Dr. med. D.___, komme deshalb aufgrund folgender Argumente zum Schluss, dass die vorliegende Listendiagnose vorwiegend und mit dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit abnutzungsbedingt bzw. auf Erkrankung zurückzuführen sei: 1. Läsionen im Bereich der Rotatorenmanschette seien in jedem Lebensalter selten. 2. Die Version des Hergangs des Ereignisses, welche im Dossier dokumentiert sei und auf welche er abstelle, sei nicht geeignet, irgendwelche strukturellen Läsionen im Bereich der Schulter zu verursachen, es handle sich um eine normale Alltagsbewegung. Sehr wohl sei diese allerdings geeignet, einen Vorzustand in ein schmerzhaftes Stadium für einen gewissen Zeitraum zu versetzen. Dies sei in etwa so vergleichbar, als wenn man mit einer bisher stummen Hüftarthrose eine einstündige Bergwanderung unternehme und anschliessend starke Schmerzen in der Hüfte verspüre. Ursache hier sei ebenfalls Abnutzung und Erkrankung und nichts anderes. 3. In der Bildgebung kämen verschiedene abnutzungsbedingte und krankhafte Veränderungen am Schultergelenk zur Darstellung, welche mit Sicherheit schon vor dem betreffenden Ereignis bestanden hätten.

 

5.12   In seiner Stellungnahme vom 19. Mai 2020 (Suva-Nr. 173, S. 21) führte Dr. med. E.___, Facharzt für Chirurgie FMH, aus, Frau Dr. med. L.___ habe zum Zustand der Muskulatur und der Sehnen der Rotatorenmanschette im Radiologiebefund vom 29. November 2018 konkret festgehalten: «Die Subscapularissehne ist deutlich signalalteriert und weist eine Oberrandläsion auf. Im Humeruskopf lassen sich angrenzend an die Insertion der Subscapularissehne intraossäre Ganglien abgrenzen. Die Supraspinatussehne ist angrenzend an ihrer Insertion etwas verdickt und signalalteriert. Auch die Infraspinatussehne ist im Insertionsbereich signalalteriert. Die Teres minor Sehne stellt sich unauffällig dar. Der M. subscapularis ist volumengemindert und im oberen Teil leicht fettig atrophiert [Goutallier Grad l]. Der M. supraspinatus und der M. infraspinatus zeigen eine regelrechte Muskeltrophik und keine fettige Atrophie.». Entgegen der Aussage von Dr. med. D.___ habe Dr. med. L.___ somit explizit nicht festgehalten, dass, Zitat: «eindeutig eine Volumenminderung der Rotatorenmanschettenmuskulatur» zur Darstellung komme. Sie habe lediglich festgehalten, dass sich einer der Muskeln der Rotatorenmanschette, konkret der M. subscapularis als volumengemindert und im oberen Teil leicht fettig, d.h. irrelevant, atrophiert vom Typ Goutallier Grad 1, darstelle. Die drei anderen Muskeln, der Supraspinatus, Infraspinatus und Teres minor würden eine regelrechte Muskeltrophik zeigen bzw. sich unauffällig darstellen. Sofern ein in der Sache aussenstehender beratender Arzt den Bilddatensatz persönlich einsehe, könne er den Widerspruch zwischen der Aussage von Dr. med. D.___ und der Beurteilung der Radiologin Dr. med. L.___ problemlos nachvollziehen. Weder finde sich ein positives Tangentenzeichen nach ZANETTI als Ausdruck einer Atrophie des M. supraspinatus, noch könne an der restlichen Muskulatur der Rotatorenmanschette eine relevant krankhafte Muskelatrophie ausgemacht werden. Sodann korreliere nach Aussage der Arbeitsgruppe um Prof. Dr. med. M.___, ehemaliger Präsident der Europäischen Gesellschaft für Schulter- und Ellenbogenchirurgie, das Auftreten und die Progression der fettigen Muskelatrophie mit der Zahl gerissener Sehnenanteile und steigendem Patientenalter. Hierbei entwickle die Rotatorenmanschette in unterschiedlicher Geschwindigkeit ihre fettige Atrophie in Abhängigkeit vom Symptombeginn, wobei der Subscapularis am schnellsten atrophiere. Im konkreten Fall habe Frau Dr. med. L.___ lediglich eine äusserst geringe fettige Degeneration am Oberrand vom M. subscapularis im Sinne von Goutallier Grad 1 festgestellt, d.h. wenig bzw. geringe Verfettung. Hieraus wie Dr. med. D.___ betreffend dem M. subscapularis schliessen zu wollen, dass diese dokumentierte geringe fettige Atrophie am oberen Teil des Muskels länger als «sechs Wochen» bestehen müsse, könne im konkreten Fall nicht mit fundierten Forschungsarbeiten untermauert werden. Zumal nicht der ganze Muskel, sondern nur ein Anteil des Oberrandes und zudem eine geringe Verfettung gezeigt habe. Des Weiteren könne der Unterzeichnende die Aussagen von Dr. med. D.___ insofern bestätigen, dass sich nebst der überwiegend wahrscheinlich frischen Verletzung am Oberrand der Subscapularissehne mit Beteiligung des Bizeps Pulleys (anterosuperiore Rotatorenmanschettenruptur) auch degenerative Veränderungen im persönlich eingesehenen Bilddatensatz zur MRI-Untersuchung vom 29. November 2018 erkennen liessen. Jedoch fänden sich keine Veränderungen, die überwiegend wahrscheinlich den Riss am Oberrand des Subscapularis, bspw. auf Basis von einem subcoracoidalen Impingement, Einklemmung der Sehne erklären könnten.

 

6.       Die Leistungspflicht des obligatorischen Unfallversicherers setzt zunächst voraus, dass sich ein Unfall im Sinne von Art. 4 ATSG (vgl. E. II. 2.2 hiervor) eine unfallähnliche Körperschädigung (Art. 6 Abs. 2 UVG; vgl. E. II. 2.3 hiervor) ereignet hat.

 

6.1     Die Annahme eines Unfalls setzt insbesondere eine plötzliche, nicht beabsichtigte schädigende Einwirkung eines ungewöhnlichen äusseren Faktors auf den menschlichen Körper voraus. Nach Lehre und Rechtsprechung kann das für den Unfallbegriff wesentliche Merkmal des ungewöhnlichen äusseren Faktors in einer unkoordinierten Bewegung bestehen. Bei Körperbewegungen gilt dabei der Grundsatz, dass das Erfordernis der äusseren Einwirkung lediglich dann erfüllt ist, wenn ein in der Aussenwelt begründeter Umstand den natürlichen Ablauf einer Körperbewegung gleichsam «programmwidrig» beeinflusst hat (BGE 130 V 117 E.2.1). Dies trifft beispielsweise dann zu, wenn die versicherte Person stolpert, ausgleitet an einem Gegenstand anstösst, wenn sie, um ein Ausgleiten zu verhindern, eine reflexartige Abwehrhaltung ausführt auszuführen versucht (RKUV 2004 Nr. U 502 S. 183, U 322/02 E.4.1). Der äussere Faktor ist ungewöhnlich, wenn er – nach einem objektiven Massstab – nicht mehr im Rahmen dessen liegt, was für den jeweiligen Lebensbereich alltäglich und üblich ist (BGE 134 V 72 E.4.1, 129 V 402 E.2.1; Urteil des Bundesgerichts 8C_783/2013 vom 10. April 2014 E.4.2). Das Kriterium der Ungewöhnlichkeit dient dazu, eine Abgrenzung des Unfalls von Ereignissen zu ermöglichen, die im Rahmen des Alltäglichen eintreten. Bei der Prüfung im Einzelfall ist regelmässig davon auszugehen, dass kleine Vorfälle, die sich täglich zutragen können (wie kleinere Schürfungen etc.) grundsätzlich nicht als Unfallereignisse im Sinne von Art. 4 ATSG betrachtet werden können.

 

6.2    

6.2.1  Hinsichtlich des Geschehensablaufs im vorliegenden Fall sind den Akten unterschiedliche Angaben zu entnehmen: In der Schadenmeldung UVG vom 7. Dezember 2018 (Suva-Nr. 1) wurde festgehalten: «Beim Auslagern einer grossen Schachtel Arm verrenkt». Am 21. Dezember 2018 hielt der Beschwerdeführer bezüglich des Ablaufs des Ereignisses vom 10. Oktober 2018 handschriftlich fest (Suva-Nr. 6): «Ich versuchte an ein Regal zu kommen und verdrehte meine linke Schulter». Zur Frage, ob sich etwas Besonderes (Ausgleiten, Sturz, Anschlagen usw.) ereignet habe, gab der Beschwerdeführer an: «Linker Arm verdreht, mit einem grossen Schmerz». Dem Arztzeugnis vom 4. März 2019 (Suva-Nr. 24) von Dr. med. J.___, Facharzt für Allgemeinmedizin FMH, ist bezüglich des Ereignisablaufes Folgendes zu entnehmen: «Einknicken des linken Armes beim Abstützen. Schulter verdreht und an Regal angeschlagen». Anlässlich der Besprechung des Beschwerdeführers mit der Mitarbeiterin der Beschwerdegegnerin, G.___, vom 27. März 2019 (Suva-Nr. 35) wurde bezüglich des Ereignisablaufs Folgendes festgehalten und vom Beschwerdeführer unterschriftlich bestätigt: «Am Mittwoch, 10. Oktober 2018 um 11.30 Uhr, musste ich im Lager der Firma K.___ eine schwere Schachtel vom Regal herunterholen. Diese befand sich auf 2.50 Meter Höhe. Um sie herunterzuholen stand ich mit dem linken Bein auf aufeinandergeschichteten Kartonschachteln (30 cm hoch) und zog mich mit beiden Händen an einer Regalstange hoch. Plötzlich verspürte ich einen starken Schmerz in der linken Schulter, liess das Regal los und stieg hinunter. Das Gleichgewicht habe ich nicht verloren. Auch stürzte ich nicht. Am Boden stehend krümmte ich mich vor lauter Schmerzen.» Im Bericht vom 17. Juli 2019 (Suva-Nr. 73) führte Dr. med. J.___ aus, der Beschwerdeführer habe den Unfall so geschildert: «Ich wollte mit beiden Armen auf ein Regal hechten und mich abstützen, dabei ist mein linker Arm eingesackt/eingeknickt.» Die linke Schulter habe er verdreht und am Regal angeschlagen. Er habe sofort mit Irfen 600 und Traumalix begonnen, es habe aber keine Abheilung stattgefunden, im Gegenteil die Beschwerden hätten zugenommen, so dass er nun zum Arzt gekommen sei.

 

6.2.2  Aufgrund der vorstehend aufgeführten, voneinander divergierenden Darstellungen des Unfallhergangs wurde zur diesbezüglichen Klärung am 15. Juni 2021 vor der Vizepräsidentin des Versicherungsgerichts eine Instruktionsverhandlung mit der Befragung von G.___, ehemalige Mitarbeiterin der Suva, als Zeugin und der Befragung des Beschwerdeführers durchgeführt. Während Frau G.___ keine Angaben zum Beschwerdeführer und dessen damaligen Schilderungen des Unfallereignisses machen konnte, gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen Folgendes zu Protokoll (A.S. 61 ff.): Das Regal am Ort des Ereignisses sei auf ca. 2.50 Meter Höhe gewesen. Etwa einen Meter über dem Boden sei eine Palette und obendrauf seien Kartonschachteln gestapelt gewesen. Darüber hätten sich Stangen befunden, die von einem Regal zum anderen montiert gewesen seien. Er habe auf das Gestell raufsteigen und dort stehen wollen. Da das Regal auf einem Meter Höhe angebracht gewesen sei, habe er auf dieses Regal raufgemusst, damit er die Schachtel hätte herunternehmen können. Dabei habe er sich wie immer mit beiden Händen an der Stange gehalten und sich auf das Gestell raufziehen wollen. An diesem Tag sei es einfach schiefgegangen. Der Arm habe sich abgedreht und dann sei er auf die Seite gefallen. Er wisse nicht, weshalb sich sein Arm verdreht habe. Er habe diesen Vorgang seit 20 Jahren immer wieder gemacht. Nie sei etwas passiert. An diesem Tag sei es nicht so herausgekommen, wie es hätte sein sollen. Auf Nachfrage der Vizepräsidentin gibt der Beschwerdeführer zum Unfallhergang präzisierend an: Weil sich das Regal ca. auf der Höhe seiner Arme befunden habe, habe er sich «raufdrücken» müssen um heraufzukommen und dabei habe sich sein Körper wie auf die linke Seit abgedreht. Er sei nicht raufgekommen und auf die linke Seite abgerutscht. Anmerkung des Gerichtsschreibers im Verhandlungsprotokoll (A.S. 64): «Der Beschwerdeführer demonstriert den Bewegungsablauf. Er stützt sich auf der Tischplatte ab, springt ab und stösst sich dabei mit beiden Armen nach oben.» Weiter gibt der Beschwerdeführer zu Protokoll, er habe nicht raufspringen und eine Schachtel greifen wollen. Er habe auf die Ebene raufgewollt und wenn er dann oben gewesen wäre, hätte er die Schachtel mit beiden Händen genommen und runtergereicht.

 

6.2.3  Bei dem vom Beschwerdeführer anlässlich der Instruktionsverhandlung vom 15. Juni 2021 geschilderten Geschehensablauf (s. E. II. 6.2.2 hiervor) handelt es sich um einen kontrollierten und physiologisch normalen und psychologisch beherrschten Bewegungsablauf, bei dem kein sinnfälliger, zur Unkontrollierbarkeit der Verrichtung führender Faktor hinzugetreten ist (vgl. BGE 129 V 466 E. 4.3 S. 471). Dieser Geschehensablauf kann nicht als derart ungewöhnlich angesehen werden, als dass dies nach einem objektiven Massstab nicht mehr im Rahmen dessen liegt, was für den jeweiligen Lebensbereich alltäglich und üblich ist. So gab der Beschwerdeführer an, diesen Bewegungsablauf seit 20 Jahren genau gleich gemacht zu haben. Einen zur Unkontrollierbarkeit der Verrichtung führenden Faktor vermochte der Beschwerdeführer nicht zu benennen. Auch seine Schilderung, wonach sein Arm eingeknickt sei, vermag zu keinem anderen Resultat zu führen. Diesbezüglich ist zum Vergleich auf einen Fall zu verweisen, in welchem die versicherte Person ausführte, sie sei die Treppe hinuntergelaufen und beim Aufsetzen mit dem rechten Fuss auf der Treppe sei der rechte Unterschenkel weggerutscht bzw. das Knie sei weggeknickt, gestürzt sei sie nicht. Das Bundesgericht hielt hierzu fest, die Versicherte habe kein ausserhalb ihres eigenen Körpers liegendes Ausrutschen, Ausgleiten sonst einen in der Aussenwelt begründeten Umstand, eine besondere Sinnfälligkeit eine relevante Programmwidrigkeit als Auslöser ihres Knieschadens beschrieben (Urteil des Bundesgerichts 8C_88/2010 vom 29. Juni 2010). Mit der gleichen Argumentation kann auch das vorliegend beschriebene «Einknicken» des Arms nicht als relevante Programmwidrigkeit bezeichnet werden. Das Gleiche kann zum ebenfalls geschilderten «Verdrehen des Arms» gesagt werden. Auch diesbezüglich ist der Unfallbegriff zu verneinen, da es rechtsprechungsgemäss an einem ungewöhnlichen äusseren Faktor und einer Programmwidrigkeit fehlt (vgl. Urteil des Bundesgerichts 8C_1019/2009 vom 26. Mai 2010). Schliesslich wurde von Dr. med. J.___ von einem Anschlagen der Schultern berichtet. Dies wird aber sonst in keinem der geschilderten Geschehensabläufe erwähnt und erscheint denn auch eher unwahrscheinlich, zumal Dr. med. J.___ anlässlich der Erstbehandlung kein Hämatom festgestellt hat (vgl. IV-Nr. 73). Im Übrigen wäre auch diesbezüglich mit der vorgenannten Argumentation der Unfallbegriff zu verneinen. Damit liegt zusammenfassend kein Unfall im Sinne des Gesetzes vor. Eine Leistungspflicht unter diesem Titel ist somit zu verneinen.

 

7.       Zu prüfen bleibt demnach, ob die Suva nach Art. 6 Abs. 2 UVG in der seit 1. Januar 2017 geltenden Fassung leistungspflichtig ist. Vorliegend bestehen mit den Diagnosen einer anterosuperioren Rotatorenmanschettenruptur links mit Längssplitting der Bizepssehne und Subluxation Listenverletzungen gemäss Art. 6 Abs. 2 lit. f UVG.

 

7.1     Gemäss dem zu dieser neueren Bestimmung ergangenen BGE 146 V 51 ist für die Anwendung von Art. 6 Abs. 2 UVG zwar kein äusserer Faktor und damit kein unfallähnliches sinnfälliges Ereignis eine allgemein gesteigerte Gefahrenlage im Sinne der Rechtsprechung zu aArt. 9 Abs. 2 UVV mehr vorausgesetzt. Insoweit führt grundsätzlich bereits die Tatsache, dass eine in Art. 6 Abs. 2 lit. a – h UVG genannte Körperschädigung vorliegt, nunmehr zur Vermutung, es handle sich hierbei um eine unfallähnliche Körperschädigung, die vom Unfallversicherer übernommen werden muss. Indessen ergibt sich aus der in Art. 6 Abs. 2 UVG vorgesehenen Möglichkeit des Gegenbeweises weiterhin die Notwendigkeit der Abgrenzung der vom Unfallversicherer zu übernehmenden unfallähnlichen Körperschädigung von der abnützungs- und erkrankungsbedingten Ursache einer Listenverletzung und damit letztlich zur Leistungspflicht des Krankenversicherers. Insoweit ist die Frage nach einem initialen erinnerlichen und benennbaren Ereignis – nicht zuletzt auch aufgrund der Bedeutung eines zeitlichen Anknüpfungspunktes (Versicherungsdeckung; Zuständigkeit des Unfallversicherers; Berechnung des versicherten Verdienstes; intertemporalrechtliche Fragestellungen) – auch nach der UVG-Revision relevant. Zu betonen ist aber, dass der Unfallversicherer bei Vorliegen einer Listenverletzung grundsätzlich in der Pflicht steht, Leistungen zu erbringen, solange er nicht den Nachweis für eine vorwiegende Bedingtheit durch Abnützung Erkrankung erbringt. Dies setzt voraus, dass er im Rahmen seiner Abklärungspflicht (vgl. Art. 43 Abs. 1 ATSG) nach Eingang der Meldung einer Listenverletzung die Begleitumstände der Verletzung genau abklärt. Lässt sich dabei kein initiales Ereignis erheben lediglich ein solches ganz untergeordneter resp. harmloser Art, so vereinfacht dies zwangsläufig in aller Regel den Entlastungsbeweis des Unfallversicherers. Denn bei der in erster Linie von medizinischen Fachpersonen zu beurteilenden Abgrenzungsfrage ist das gesamte Ursachenspektrum der in Frage stehenden Körperschädigung zu berücksichtigen. Nebst dem Vorzustand sind somit auch die Umstände des erstmaligen Auftretens der Beschwerden näher zu beleuchten (als Hilfsmittel bei der medizinischen Beurteilung von Knieverletzungen bietet sich etwa ein Knietrauma-Check an, publiziert in SÄZ 2016 S. 1742 ff.). Die verschiedenen Indizien, die für gegen Abnützung Erkrankung sprechen, müssen aus medizinischer Sicht gewichtet werden. Damit der Entlastungsbeweis gelingt, hat der Unfallversicherer gestützt auf beweiskräftige ärztliche Einschätzungen – mit dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit – nachzuweisen, dass die fragliche Listenverletzung vorwiegend, d.h. im gesamten Ursachenspektrum zu mehr als 50 %, auf Abnützung Erkrankung zurückzuführen ist. Besteht das Ursachenspektrum einzig aus Elementen, die für Abnützung Erkrankung sprechen, so folgt daraus unweigerlich, dass der Entlastungsbeweis des Unfallversicherers erbracht ist und sich weitere Abklärungen erübrigen. 

 

7.2    

7.2.1  Fest steht, dass der Beschwerdeführer sich am 10. Oktober 2018 an einer Stange festgehalten und beabsichtigt hat, sich auf ein Gestell heraufzuziehen. In der Folge hat sich der linke Arm verdreht (vgl. E. II. 6.2.2 hiervor). Damit liegt ein initiales, nicht ganz untergeordnetes Ereignis als potenzielle Ursache seines Gesundheitsschadens vor.

 

7.2.2  Weiter zu prüfen ist sodann, ob die vorliegenden Verletzungen als Listendiagnosen zu mehr als 50 % auf Abnützung Erkrankung zurückzuführen sind. Die Beschwerdegegnerin stützt sich in ihrem Entscheid und ihren Rechtschriften im Wesentlichen auf die Berichte ihres Kreisarztes, Dr. med. D.___, Facharzt Orthopädische Chirurgie und Traumatologie des Bewegungsapparates (s. E. II. 5.6 und 5.11 hiervor), weshalb nachfolgend deren Beweiswert zu prüfen ist.

 

Auch den Berichten und Gutachten versicherungsinterner Ärzte kommt Beweiswert zu, sofern sie als schlüssig erscheinen, nachvollziehbar begründet sowie in sich widerspruchsfrei sind und keine Indizien gegen ihre Zuverlässigkeit bestehen. Soll ein Versicherungsfall ohne Einholung eines externen Gutachtens entschieden werden, so sind an die Beweiswürdigung strenge Anforderungen zu stellen. Bestehen auch nur geringe Zweifel an der Zuverlässigkeit und Schlüssigkeit der versicherungsinternen ärztlichen Feststellungen, so sind ergänzende Abklärungen vorzunehmen (BGE 135 V 465 E. 4.4. S. 470 mit Hinweis; Urteil des Bundesgerichts 9C_481/2016 vom 18. Januar 2017 E. 2.2). Solche Zweifel können sich namentlich aus einem nachvollziehbaren Bericht eines behandelnden Arztes ergeben. Der pauschale Hinweis auf dessen auftragsrechtliche Stellung genügt in diesem Zusammenhang nicht, um die geltend gemachten Zweifel auszuräumen (Urteil des Bundesgerichts 8C_193/2014 vom 19. Juni 2014 E. 4.1).

 

In der kreisärztlichen Beurteilung vom 31. März 2020 (Suva-Nr. 162) führte Dr. med. D.___ unter anderem aus, dass der vom Beschwerdeführer anlässlich der Befragung durch die Beschwerdegegnerin geschilderte Bewegungsablauf (Suva-Nr. 35) nicht geeignet sei, diese erlittene Verletzung hervorzurufen. Dr. med. D.___ begründet diese Ansicht in der Folge aber nicht weiter und legt beispielsweise nicht dar, welche Bewegungen denn stattdessen dazu geeignet wären, um eine solche Verletzung zu verursachen. Bereits aus diesem Grund bestehen geringe Zweifel an den kreisärztlichen Ausführungen. Hinzukommt, dass der behandelnde Orthopäde, Dr. med. B.___, in seiner Stellungnahme vom 9. Mai 2019 (Suva-Nr. 47) in nachvollziehbarer Weise seine Ansicht begründet, wonach die vom Beschwerdeführer erlittenen Verletzungen traumatisch bedingt seien. Dadurch werden zusätzliche geringe Zweifel an der kreisärztlichen Beurteilung hervorgerufen.

Des Weiteren stellte sich der Kreisarzt gestützt auf die vorliegenden medizinischen Akten und die bildgebenden Unterlagen auf den Standpunkt, die Verletzung sei zu mehr als 50 % degenerativ bedingt und deshalb sei eine Leistungspflicht ebenfalls zu verneinen. Seine diesbezügliche Beurteilung, sowohl die Tendinopathie der langen Bicepssehne, die Insertionstendinopathien der Supraspinatus- und Infraspinatussehnen, als auch die Arthrose des Schultereckgelenkes seien degenerativ bedingt, erscheint zwar grundsätzlich nachvollziehbar. Aber Dr. med. E.___ vermag in der vom Beschwerdeführer veranlassten Stellungnahme vom 19. Mai 2020 (Suva-Nr. 173, S. 21) zumindest geringe Zweifel an der kreisärztlichen Beurteilung hervorzurufen, auch wenn sein eigentliches Aktengutachten vom 14. Mai 2019 (Suva-Nr. 53) nicht zu überzeugen vermag, indem er ausführt, es lägen keine Befunde vor, welche auf eine degenerative Ursache schliessen lassen würden, ohne dies weiter zu begründen. Aber seine Stellungnahme vom 19. Mai 2020 reicht hingegen aus, um an den nicht sehr eingehend begründeten medizinischen Argumentationen des Kreisarztes zumindest zusätzliche geringe Zweifel hervorzurufen. In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass die Beschwerdegegnerin bei einer Listendiagnose gemäss Art. 6 Abs. 2 UVG die Beweislast hat, nachzuweisen, dass diese Diagnose zu mehr als 50 % auf eine Krankheit und / ein degeneratives Geschehen zurückzuführen ist, was ihr nach dem Gesagten nicht gelungen ist.

 

Zusammenfassend sind damit weitere Abklärungen erforderlich, weshalb das Versicherungsgericht bei Dr. med. H.___, Facharzt für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie des Bewegungsapparates, I.___, ein Gerichtsgutachten veranlasst hat.

 

8.       Das orthopädische Gutachten von Dr. med. H.___ vom 10. November 2021 (A.S. 82 ff.) wird den allgemeinen rechtsprechungsgemässen Anforderungen gerecht. Die Beurteilung stammt von einem unabhängigen Facharzt, welcher den Beschwerdeführer eingehend untersucht und die Vorakten studiert hat.

 

Dr. med. H.___ setzt sich gestützt auf die Akten eingehend mit dem Verlauf nach dem Unfall auseinander und begründet seine Schlussfolgerungen überzeugend: Im Kern habe der Versicherte gemäss Verhandlungsprotokoll vom 15. Juni 2021 angegeben, er habe versucht, aus einem Regal Kartons zu heben, dabei habe er sich, wie immer, an einer Stange festgehalten und beabsichtigt, sich auf ein Gestell heraufzuziehen. Der linke Arm sei daraufhin abgedreht und dann sei er auf die Seite gefallen. Anlässlich der vorliegenden Untersuchung habe der Versicherte im Wesentlichen diesen Ereignishergang bestätigt und dem Untersucher eine aktive Bewegung mit beiden Armen an einer Stange demonstriert, um sich an dieser Stange empor zu ziehen. Anlässlich der vorliegenden Untersuchung habe der Versicherte angegeben, er habe beim Ziehen an der Stange bzw. beim Bewegen seines Körpergewichts als aktive Bewegung beider Arme plötzliche Schmerzen in der linken Schulter verspürt. Den Ereignisschilderungen gemeinsam sei biomechanisch eine aktive Bewegung beider Arme, mit der der Körper habe emporgezogen werden sollen. Eine unkontrolliert auf die Schultern einwirkende Kraft könne nicht erkannt werden. Da es sich bei der vom Versicherten geschilderten Bewegung um ein aktives Emporziehen des Körpers gehandelt habe, das darüber hinaus sehr häufig und routinemässig bei immer den gleichen Handlungen (Angaben des Versicherten) durchgeführt worden sei, müsse eine gut koordinierte Bewegung beider Arme vorgelegen haben, die den natürlichen Bauplan des Schultergelenkes sicher nicht überfordert habe (siehe sämtliche Literaturangaben). Betrachte man die später durch die MRI-Untersuchung am 29. November 2018 festgestellten Veränderungen im Sinne einer Oberrandläsion der Subskapularissehne, Tendinopathie, Splitting und Subluxation der langen Bizepssehne sowie Einriss des Superioren Labrums im Bereich des Bizepssehnenankers im Sinne einer SLAP-ll-Läsion, und unterstelle die Entstehung durch ein Unfallereignis, so wäre eine erhebliche Krafteinwirkung auf das Schultergelenk zu postulieren mit zumindest Subluxation aber auch Luxation des Gelenkes. Nur eine solche Einwirkung wäre in der Lage gewesen, die genannten Veränderungen zu verursachen (siehe sämtliche Literaturangaben). Eine solche Krafteinwirkung hätte aber unfallmedizinisch in jedem Fall zu stärksten Schmerzen und vor allem einer Functio laesa des linken Schultergelenkes führen müssen und somit zu einer unmittelbar anschliessenden ärztlichen Behandlung, Schwellung, Hämatomverfärbung, Luxation (siehe sämtliche Literaturangaben). Solchermassen geartete Veränderungen hätten jedoch ausweislich der vorliegenden Berichterstattung und auch nach Angaben des Versicherten selbst nicht vorgelegen. Im Gegenteil, der Versicherte habe weiterarbeiten können und sich erst erheblich verzögert erstmalig in ärztliche Behandlung begeben. Insofern sei auch die Diktion der festgestellten Veränderungen als «Verletzungen» zu relativieren, insbesondere vor dem schriftlichen MRT-Befund des linken Schultergelenks vom 29. November 2018, wenn eine begleitende Volumenminderung des Muskels (M. subscapularis) und fettige Atrophie des Muskels im oberen Abschnitt festgestellt werde. Des Weiteren bestünden auch eine Tendinopathie im Sinne eines chronischen Verschleisses sowie Splitting und Subluxation der langen Bizepssehne. Eine Einwirkung auf das linke Schultergelenk, welche eine Luxation der langen Bizepssehne durch Ruptur des sogenannten Bizeps-Pulley hätte verursachen können, könne ebenso wenig festgestellt werden, da hier die gleichen Voraussetzungen gälten, wie sie oben genannt worden seien. Auch die sogenannte SLAP-Läsion könne nicht durch das Ereignis vom 10. Oktober 2018 erklärt werden. Des Weiteren sei im MRT eine Insertionstendinopathie, das heisse Verschleissveränderungen der Ansätze der Supraspinatus- Infraspinatussehne, festgestellt worden, keine traumatischen Veränderungen, ebenso handle es sich bei der AC-Gelenksarthrose um länger bestehende und verschleissbedingte Veränderungen.

 

In diesem Zusammenhang ist ergänzend auf die medizinische Lehre zu verweisen, wodurch die Beurteilung von Dr. med. H.___ ebenfalls gestützt wird. Geeignete Mechanismen, um eine Ruptur der Supraspinatussehne hervorzurufen, wären beispielsweise eine Schulterverrenkung ein massives plötzliches Hoch- Rückwärtsreissen des Armes, z.B. beim Hängenbleiben mit dem Arm bei erheblicher Beschleunigung des Körpers ein Sturz auf den nach hinten ausgestreckten Arm (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage 2017, S. 432 f.). Derartige Verletzungsmechanismen sind angesichts des hier geschilderten Verlaufs nicht ersichtlich. Vielmehr weist die Aktenlage auf einen Hergang hin, der eben gerade nicht geeignet ist, eine solche Verletzung hervorzurufen bzw. bei dem eine Zugbeanspruchung mit unnatürlicher Längendehnung der Sehne des Supraspinatus nicht eintritt. Nicht geeignet für eine traumatisch bedingte Verletzung ist zudem eine «direkte Krafteinwirkung auf die Schulter (Sturz, Prellung, Schlag), da die Rotatorenmanschette durch den knöchernen Schutz der Schulterhöhe (Akromiom) und Delta-Muskel gut geschützt ist» (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 433), womit das (nur) von Dr. med. J.___ behauptete «Anschlagen» (vgl. Suva-Nr. 24 und 73) zu keinem anderen Resultat führen würde. Weiter ist darauf hinzuweisen, dass für eine unfallbedingte Veränderung ein Decrescendo-Verlauf von Schmerzen und Symptomen typisch gewesen wäre. Im vorliegenden Fall zeigte sich aber ein Crescendo-Verlauf (vgl. Bericht von Dr. med. J.___ vom 17. Juli 2019, Suva-Nr. 73; E. II. 5.9 hiervor), d.h. die Schmerzproblematik hat sich zunehmend verschlimmert. Dies spricht ebenfalls gegen eine traumatische Ursache der Verletzung (vgl. auch Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 434).

 

Den Beweiswert des überzeugenden Gutachtens von Dr. med. H.___ vermögen auch die Rügen des Beschwerdeführers nicht zu schmälern. Der Beschwerdeführer rügt unter anderem, Dr. med. H.___ sei von einem falschen Unfallhergang ausgegangen. So behaupte er auf Seite 11, 4. Abschnitt, seiner Antwort zu Frage 4, dass eine unkontrolliert auf die Schultern einwirkende Kraft nicht erkannt werden könne. Dies stehe aber in Widerspruch zu der Tatsache, dass der Beschwerdeführer angegeben habe, sich beim Unfallhergang den Arm verdreht zu haben. Diesbezüglich ist vorweg festzuhalten, dass sich bereits in den Vorakten unterschiedliche Darstellungen des Ereignisablaufs fanden. Wie sich in der Verhandlung gezeigt hat, sind diese Unterschiede mit überwiegender Wahrscheinlichkeit aufgrund der sprachlichen Verständigungsprobleme des Beschwerdeführers (Spanisch – Deutsch) zu erklären. Auch anlässlich der Parteibefragung war es – trotz anwesender Spanisch-Dolmetscherin – nicht ganz einfach, den Ereignisablauf festzulegen. Mit den Vorakten und der Parteibefragung lässt sich der Hergang des Ereignisses vom 10. Oktober 2018 aber rechtsgenüglich festlegen. Entgegen der Ansicht des Rechtsvertreters ist es nicht so, dass sich der Beschwerdeführer den Arm verdreht und infolgedessen Schmerzen verspürt hat. Vielmehr hat er sich – wie auch anlässlich der Parteibefragung demonstriert – an der Stange mit beiden Armen hochgezogen, worauf er in der linken Schulter einen Schmerz verspürt hat und hierauf mit dem Arm eingeknickt ist – bzw., wie es der Beschwerdeführer teilweise formuliert hat, sich den linken Arm verdreht hat. Ein anderer Geschehensablauf ist aufgrund der vorliegenden Unterlagen nicht überwiegend wahrscheinlich. Eine Unkontrolliertheit, wie sie der Rechtsvertreter geltend macht, ist damit allenfalls nach Eintritt des Schmerzes zu verzeichnen, als sich der Beschwerdeführer zu Boden fallen liess, was aber für die Beurteilung einer allfälligen traumatischen Genese der Verletzungen nicht von Belang ist.

Sodann rügt der Beschwerdeführer, Dr. med. H.___ argumentiere ausschliesslich gestützt auf die Bilder der MRI-Untersuchung vom 29. November 2018 sowie des diesbezüglichen Berichts. Damit gehe er von einer unvollständigen Grundlage aus bzw. berücksichtige nicht die Befunde, die tatsächlich vorgelegen hätten. So halte der behandelnde Facharzt Dr. med. B.___ in seiner Stellungnahme vom 9. Mai 2019 fest, dass sich in der Bildgebung (MRI vom 29. November 2018) insgesamt ein eher diskreter Befund gezeigt habe. Intraoperativ habe sich dann ein deutlich ausgedehnterer Befund gezeigt als im MRI: Die Subscapularissehne sei in der kranialen Hälfte entsprechend Lafosse Grad II rupturiert gewesen; es habe sich eine subtotale artikulärseitige Partialläsion der Supraspinatussehne gezeigt, die man so im MRI nicht gesehen habe. Zudem habe eine mediale Poulley-Zerreissung vorgelegen, die die Subluxation der Bizepssehne erst ermöglicht habe. Dieser Rüge ist entgegenzuhalten, dass Dr. med. H.___ den betreffenden Operationsbericht vom 18. Januar 2019 und den Bericht von Dr. med. B.___ vom 9. Mai 2019 sowohl in der Aktenzusammenstellung als auch in der zusammenfassenden Aktenanamnese (s. S. 3 des Gutachtens) aufgeführt hat. Es ist somit davon auszugehen, dass er diese weitergehenden Befunde auch in seiner Beurteilung berücksichtigt hat. Wie zudem aus der gutachterlichen Beurteilung ersichtlich, begründet Dr. med. H.___ seine Beurteilung nicht mit dem Ausmass der in der MRI-Untersuchung vom 29. November 2018 ersichtlichen Verletzungen, sondern im Wesentlichen damit, dass eine erhebliche Krafteinwirkung auf das Schultergelenk notwendig gewesen wäre, um solche Verletzungen zu verursachen. Eine solche Krafteinwirkung ist aber aufgrund des Gesagten eben nicht überwiegend wahrscheinlich. Somit kann der Beschwerdeführer aus dem von ihm gerügten Umstand nichts zu seinen Gunsten ableiten.

Des Weiteren macht der Beschwerdeführer geltend, ebenso unerwähnt bleibe das Operationsvideo, welches in der Stellungnahme von Dr. B.___ erwähnt werde. Dr. med. H.___ hätte dieses zwingend einfordern müssen. Dem ist entgegenzuhalten, dass es Sache des Gutachters ist, welche zusätzlichen Unterlagen bzw. Medien er im Rahmen der Gutachtenserstellung einholen will. Alleine aus dem Umstand, dass der Gutachter ein Operationsvideo nicht eingeholt hat, kann nichts abgeleitet werden, was den Beweiswert des Gutachtens schmälern würde.

Sodann rügt der Beschwerdeführer, Dr. med. H.___ postuliere, dass der Beschwerdeführer unmittelbar nach dem Unfallereignis nicht unter starken Schmerzen gelitten haben könne, anderenfalls er nicht hätte weiterarbeiten können. Damit ignoriere Dr. med. H.___ die echtzeitlichen Angaben in den SUVA-Akten sowie anlässlich der Parteibefragung. Entgegen der Behauptung des Beschwerdeführers stellt der Gutachter damit aber nicht in Abrede, dass der Beschwerdeführer nach dem Ereignis unter Schmerzen gelitten hat. Es ist jedoch aktenkundig, dass der Beschwerdeführer nach dem Ereignis zwar unter Schmerzen litt, aber dennoch hat weiterarbeiten können, weshalb die Schlussfolgerung von Dr. med. H.___ durchaus korrekt ist. Die Schmerzen nahmen erst im Verlauf stetig zu, wie aus dem Bericht von Dr. med. J.___ vom 17. Juli 2019 ersichtlich ist (vgl. Suva-Nr. 73).

Schliesslich macht der Beschwerdeführer geltend, die von Dr. med. H.___ zitierte Literatur gehe gerade nicht davon aus, dass nur bei einer erheblichen Krafteinwirkung, welche eine Schulterluxation bzw. Subluxation verursachen könne, eine Verletzung der Rotatorenmanschette entstehen könne. So werde beispielsweise bei Lädermann et al., Swiss Medical Forum 2019, 260 ff. festgehalten, dass nebst einer Luxation auch weitere Traumahergänge eine Verletzung der Rotatorenmanschette verursachen könnten, nämlich eine Krafteinwirkung bei aussenrotiertem Arm gegen Widerstand und ein starker Zug beim Festhalten Heben von schweren Gewichten (Lädermann, a.a.O., Seite 263). Dem ist entgegenzuhalten, dass aufgrund des im vorliegenden Fall geschilderten Ereignisablaufs die vom Beschwerdeführer genannten möglichen Verletzungsmechanismen zu verneinen sind. Dies zeigt auch ein Blick in den vorgenannten Aufsatz, in welchem die möglichen Traumahergänge detaillierter beschrieben werden (https://medicalforum.ch/de/detail/doi/smf.2019.03247; zuletzt besucht am 28. Februar 2022). Damit vermag der Beschwerdeführer aus diesem Vorbringen ebenfalls nichts zu seinen Gunsten abzuleiten.

 

9.       Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass das Gutachten von Dr. med. H.___ in allen Punkten schlüssig und nachvollziehbar ist. Es ist demnach gestützt darauf davon auszugehen, dass das Ereignis vom 10. Oktober 2018 von seinem Ablauf her mit Blick auf allgemeine unfallmedizinische Grundsätze nicht geeignet war, die geltend gemachten Verletzungen zu verursachen, womit mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass die Symptomatik zu einem Anteil von mehr als 50 % auf Abnützung bzw. Erkrankung zurückzuführen ist. Gestützt darauf ist es somit nicht zu beanstanden, dass die Beschwerdegegnerin ihre Leistungspflicht mit Verfügung vom 4. Mai 2020 und Einspracheentscheid vom 8. September 2020 verneint hat. Demnach ist die Beschwerde abzuweisen.

 

10.

10.1   Bei diesem Verfahrensausgang besteht kein Anspruch auf eine Parteientschädigung.

 

10.2   Grundsätzlich ist das Verfahren kostenlos. Von diesem Grundsatz abzuweichen, besteht im vorliegenden Fall kein Anlass.

 

10.3   Die Kosten eines Gerichtsgutachtens sind dem Versicherungsträger aufzuerlegen, wenn das Gutachten notwendig wurde, weil dieser den Sachverhalt nicht rechtsgenüglich abgeklärt hatte (BGE 139 V 496). Wie dargelegt, hatte die Beschwerdegegnerin den Sachverhalt unzureichend abgeklärt, weshalb das Gericht die Abklärungslücke durch ein Gerichtsgutachten schliessen musste. Die Beschwerdegegnerin hat daher die Kosten des Gutachtens von Dr. med. H.___ von CHF 6'300.00 zu bezahlen.

 

11.     Schliesslich verlangt der Beschwerdeführer, die Beschwerdegegnerin sei zu verpflichten, der F.___ Rechtsschutz-Versicherung AG die Kosten für die Aktengutachten von Dr. med. E.___ im Betrag von CHF 3’600.00 zu ersetzen.

 

Gemäss Art. 45 Abs. 1 Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG, SR 830.1) übernimmt der Versicherungsträger die Kosten der Abklärung, soweit er die Massnahmen angeordnet hat. Hat er keine Massnahmen angeordnet, so übernimmt er deren Kosten dennoch, wenn die Massnahmen für die Beurteilung des Anspruchs unerlässlich waren Bestandteil nachträglich zugesprochener Leistungen bilden.

 

Die infrage stehende Massnahme ist zur Beurteilung des Anspruchs unerlässlich, wenn dieselbe Massnahme im Rahmen der Untersuchungspflicht ebenfalls anzuordnen gewesen wäre, was jedoch nicht erfolgt ist (Urteile des Bundesgerichts 9C_858/2014 vom 3. September 2015 E. 6, 9C_921/2013 vom 24. Februar 2014 E. 5.1 [SVR 2014 IV Nr. 11 S. 44]). Darüber hinaus kommt eine Kostenübernahme auch infrage, wenn aufgrund der damaligen Aktenlage eine ergänzende Begutachtung nicht zwingend gewesen wäre, das Privatgutachten aber neue Erkenntnisse liefert, welche die Anspruchsbeurteilung beeinflusst zusätzliche Abklärungen auslöst.

 

Wie aus E. II. 7.2.2. hiervor ersichtlich ist, riefen die Aktengutachten von Dr. med. E.___ zwar zusätzliche geringe Zweifel an den kreisärztlichen Beurteilungen von Dr. med. D.___ hervor. Jedoch bestanden bereits ohne diese Aktengutachten geringe Zweifel an den kreisärztlichen Beurteilungen, so dass nicht gesagt werden kann, die Aktengutachten von Dr. med. E.___ seien Grund dafür gewesen, dass ein Gerichtsgutachten veranlasst werden musste, zumal auf das Privatgutachten von Dr. med. E.___ auch nicht gestellt werden konnte. Somit ist eine Pflicht zur Kostenübernahme ohne Weiteres zu verneinen.

 

Demnach wird erkannt:

1.    Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.    Es werden weder eine Parteientschädigung zugesprochen noch Verfahrenskosten erhoben.

3.    Die Suva hat die Kosten des Gerichtsgutachtens von CHF 6'300.00 zu bezahlen.

4.    Der Antrag des Beschwerdeführers, die Suva sei zu verpflichten, der F.___ Rechtsschutz-Versicherung AG die Kosten für die Aktengutachten von Dr. med. E.___ im Betrag von CHF 3’600.00 zu ersetzen, wird abgewiesen.

Rechtsmittel

Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit der Mitteilung beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten eingereicht werden (Adresse: Bundesgericht, Schweizerhofquai 6, 6004 Luzern). Die Frist beginnt am Tag nach dem Empfang des Urteils zu laufen und wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar (vgl. Art. 39 ff., 82 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes, BGG). Bei Vor- und Zwischenentscheiden (dazu gehört auch die Rückweisung zu weiteren Abklärungen) sind die zusätzlichen Voraussetzungen nach Art. 92 93 BGG zu beachten.

Versicherungsgericht des Kantons Solothurn

Die Vizepräsidentin                   Der Gerichtsschreiber

Weber-Probst                           Isch



 
Quelle: https://gerichtsentscheide.so.ch/
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