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Urteil Verwaltungsgericht (SO - VSBES.2019.256)

Kopfdaten
Kanton:SO
Fallnummer:VSBES.2019.256
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Versicherungsgericht
Verwaltungsgericht Entscheid VSBES.2019.256 vom 12.10.2021 (SO)
Datum:12.10.2021
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:-
Zusammenfassung:Das Versicherungsgericht entschied am 12. Oktober 2021 in einem Fall betreffend Invalidenrente. Der Beigeladene, der zuvor vorübergehend eingeschränkt war, beantragte erneut Leistungen der Invalidenversicherung. Nach verschiedenen medizinischen Abklärungen wurde ihm zunächst keine Rente zugesprochen. Nach einer erneuten Überprüfung und Gutachten erhielt er schliesslich ab August 2016 eine ganze Invalidenrente. Die Beschwerdeführerin legte gegen diese Entscheidung Beschwerde ein, die von der Beschwerdegegnerin abgewiesen wurde. Es wurde festgestellt, dass der Beigeladene in einer angepassten Tätigkeit zu 30 % arbeitsfähig sei. Es gab Diskussionen über die medizinischen Gutachten und die Arbeitsfähigkeit des Beigeladenen in Bezug auf seine Freizeitaktivitäten. Letztendlich wurde die Entscheidung des Versicherungsgerichts bestätigt.
Schlagwörter: ähig; Arbeit; Beigeladene; Verfügung; Gutachten; Arbeitsfähigkeit; IV-Nr; Schmerz; Beigeladenen; Bericht; Rente; Beurteilung; Leistungsfähigkeit; Sicht; Gutachter; Abklärung; Diagnose; Stellung; Pause; Beschwerde; Rezidiv; Wurzel; ätten
Rechtsnorm: Art. 17 ATSG ; Art. 44 ATSG ; Art. 6 ATSG ; Art. 60 ATSG ; Art. 8 ATSG ;
Referenz BGE:105 V 29; 105 V 30; 113 V 27; 125 V 352; 130 V 351; 130 V 68; 130 V 71; 130 V 73; 132 V 99; 133 V 108; 139 V 496; 143 V 418;
Kommentar:
-
Entscheid
 
Geschäftsnummer: VSBES.2019.256
Instanz: Versicherungsgericht
Entscheiddatum: 12.10.2021 
FindInfo-Nummer: O_VS.2021.190
Titel: Invalidenrente

Resümee:

 

 

 

Urteil vom 12. Oktober 2021

Es wirken mit:

Präsident Flückiger

Oberrichter Marti

Oberrichterin Hunkeler

Gerichtsschreiber Isch

In Sachen

A.___, vertreten durch B.___, hier vertreten durch C.___

Beschwerdeführerin

 

gegen

 

IV-Stelle Solothurn, Allmendweg 6, 4528 Zuchwil,

Beschwerdegegnerin

 

D.___ vertreten durch Advokat Daniel Riner

Beigeladener (Gegner)

 

betreffend       Invalidenrente (Verfügung vom 24. September 2019)

 


zieht das Versicherungsgericht in Erwägung:

I.

 

1.       Am 9. September 2009 meldete sich D.___ (nachfolgend Beigeladener), geb. 1970, zum Bezug von Leistungen der Invalidenversicherung bei der IV-Stelle des Kantons Solothurn (nachfolgend Beschwerdegegnerin) an (IV-Nr. [Akten der IV-Stelle] 2). Gemäss Arztbericht von Dr. med. E.___, Facharzt für Orthopädische Chirurgie FMH, der F.___ für Wirbelsäulenchirurgie vom 16. Dezember 2009 (IV-Nr. 22, S. 7) bestehe beim Beigeladenen ein chronisches lumboradiculäres Schmerzsyndrom (paramediane Discushernie L4/5 rechts, Discusprotrusion median L5/S1). In der Folge kam die Beschwerdegegnerin mit Vorbescheid vom 28. April 2010 (IV-Nr. 23) und nachfolgender Verfügung vom 16. Juni 2010 (IV-Nr. 24) zum Schluss, die Abklärungen hätten ergeben, dass der Beigeladene vom 7. April 2009 bis 3. Januar 2010 in seiner Arbeitsfähigkeit als Mitarbeiter Spedition / Gefahrengut vorübergehend eingeschränkt gewesen sei. Sein Gesundheitszustand habe sich zwischenzeitlich verbessert und seit dem 4. Januar 2010 arbeite er wieder zu 100 % in seiner bisherigen Tätigkeit. Somit bestehe kein Anspruch auf Leistungen der Invalidenversicherung. Diese Verfügung erwuchs unangefochten in Rechtskraft.

 

2.       Am 19. August 2013 meldete sich der Beigeladene erneut zum Bezug von Leistungen der Invalidenversicherung bei der Beschwerdegegnerin an (IV-Nr. 26). Im Arztbericht von Dr. med. G.___, Facharzt für Neurochirurgie, vom 30. Mai 2013 (IV-Nr. 37, S. 4 f.) wurden als Diagnosen festgehalten: Akute Lumbalgie wie auch rückläufiges radikuläres Reizsyndrom L5 rechts bei Zustand nach erweiterter interlaminärer Fensterung sowie Disk- und Sequesterektomie L4/5 rechts am 23. April 2012, persistierendem radikulärem Reizsyndrom L5 rechts mehr wie links sowie grosser, mediolateraler, rechtsseitiger Bandscheibenhernie L4/5 rechts. In der Folge holte die Beschwerdegegnerin weitere medizinische Unterlagen ein und veranlasste berufliche Abklärungen. Sodann veranlasste die Beschwerdegegnerin ein polydisziplinäres Gutachten beim H.___, [...] (IV-Nr. 71). Darin hielten die Gutachter fest, der Beigeladene sei in der zuletzt ausgeübten Tätigkeit als Mitarbeiter in der Spedition der Firma I.___ mit regelmässigem Heben von Gewichten aus interdisziplinärer Sicht nicht mehr arbeitsfähig. Dagegen sei der Beigeladene in einer dem körperlichen Leiden optimal angepassten, rückenschonenden Tätigkeit, wechselbelastend, nicht nur sitzend stehend, ohne Heben Schieben von Lasten über 7 kg mit der Möglichkeit der Wahrnehmung von über das übliche Mass hinausgehenden Pausen aus interdisziplinärer Sicht zu 100 % arbeitsfähig. Gestützt darauf kam die Beschwerdegegnerin nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren (IV-Nr. 75) mit Verfügung vom 24. Mai 2016 (A.S. [Akten-Seite] 1 ff.) zum Schluss, der Beigeladene habe bei einem errechneten Invaliditätsgrad von 11 % keinen Anspruch auf eine Invalidenrente.

 

Dagegen liess der Beigeladene am 24. Juni 2016 Beschwerde erheben (IV-Nr. 99), welche vom Versicherungsgericht des Kantons Solothurn mit Urteil VSBES.2016.178 vom 6. Dezember 2016 (IV-Nr. 120) in dem Sinne gutgeheissen wurde, dass die Verfügung der IV-Stelle des Kantons Solothurn vom 24. Mai 2016 aufgehoben und die Sache an diese zurückgewiesen werde, damit sie im Sinne der Erwägungen verfahre und hierauf neu entscheide. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, das Gutachten des H.___ sei zwar als voll beweiswertig anzusehen, jedoch sei beim Beigeladenen am 2. Mai 2016 – und damit nach der Erstellung des H.___-Gutachtens vom 6. November 2015, aber noch vor Verfügungserlass am 24. Mai 2016 – eine Re-Diskektomie und Re-Dekompression L4/5 rechts sowie eine Dekompression und Diskektomie L5/S1 rechts durchgeführt worden. Die Beschwerdegegnerin habe diese Operation bei ihrer Beurteilung jedoch nicht berücksichtigt. Grundsätzlich müsse nach einer erfolgten Operation die Leistungsfähigkeit neu beurteilt werden. Das Versicherungsgericht könne dies ohne weitere ärztliche Einschätzungen nicht vornehmen. Aufgrund der vorhandenen Akten liessen sich keine definitiven Aussagen darüber machen, ob das im H.___-Gutachten statuierte Leistungsprofil auch nach der Operation vom 2. Mai 2016 wieder Geltung erlange und nur von einer vorübergehenden gesundheitlichen Verschlechterung auszugehen sei. Somit erscheine es unumgänglich, bezüglich des Gesundheitszustandes des Beigeladenen einen ergänzenden Verlaufsbericht beim behandelnden Neurochirurgen Dr. med. G.___ einzuholen und in der Folge – falls notwendig – diesbezügliche gutachterliche Abklärungen zu veranlassen. Diese wären sinnvollerweise wiederum durch die H.___-Gutachter vorzunehmen, damit diese ihre Abklärungen vervollständigen könnten. Mit Blick auf die zu klärende Fragestellung werde es nicht notwendig sein, erneut alle am Gutachten vom 16. November 2015 beteiligten Disziplinen beizuziehen.

 

In der Folge holte die Beschwerdegegnerin weitere medizinische Unterlagen ein und führte berufliche Abklärungen durch. Sodann veranlasste die Beschwerdegegnerin ein polydiszplinäres Gutachten beim H.___ in den Fachrichtungen Innere Medizin, Rheumatologie und Neurologie. Im Gutachtensbericht vom 7. November 2017 (IV-Nr. 143) kamen die Gutachter zum Schluss, retrospektive habe sich der Gesundheitszustand des Versicherten gegenüber der Vorbegutachtung im Sommer 2015 verschlechtert. Eine angepasste Tätigkeit sei aus rheumatologischer und neurologischer Sicht nur noch in einem 70%igen Pensum zumutbar, sofern Möglichkeiten von Pausen zur Entlastung eingeräumt werden könnten. Diese Einschätzung gelte ab März 2017. Gestützt darauf stellte die Beschwerdegegnerin dem Beigeladenen mit Vorbescheid vom 20. Februar 2018 (IV-Nr. 150) in Aussicht, es sei beabsichtigt, das Leistungsbegehren gestützt auf einen Invaliditätsgrad von 11 % ab 1. Mai 2015 bzw. von 31 % ab 1. Mai 2016 abzuweisen. Dagegen liess der Beigeladene am 22. März 2018 Einwände erheben (IV-Nr. 153). In der Folge veranlasste die Beschwerdegegnerin in der J.___ Klinik eine Evaluation der funktionellen Leistungsfähigkeit (EFL) des Beigeladenen. Im diesbezüglichen Abklärungsbericht vom 27. November 2018 (IV-Nr. 178) wurde festgehalten, die im H.___-Gutachten attestierte Arbeitsfähigkeit von 70 % in einer leidensangepassten Tätigkeit sei zu hoch angesetzt und nicht umsetzbar. Aktuell sei in einer angepassten Tätigkeit von einer ca. 30%igen Leistungsfähigkeit auszugehen, bei halbtägiger Präsenz. Gestützt darauf sprach die Beschwerdegegnerin dem Beigeladenen nach erneuter Durchführung eines Vorbescheidverfahrens (IV-Nr. 186) mit Verfügung vom 6. September 2019 (IV-Nr. 202) bzw. Verfügung vom 13. September 2019 (Duplikbeilage 3) bei einem Invaliditätsgrad von 73 % ab August 2016 eine ganze Invalidenrente zu. In dieser Verfügung wurde die Rentenhöhe ab 1. Oktober 2019 festgelegt. Die Rentennachzahlungen für den Zeitraum vom 1. August 2016 – 30. September 2016 wurden mit Verfügung vom 24. September 2019 festgelegt (IV-Nr. 203).

 

3.       Am 25. Oktober 2019 erhebt die A.___ (nachfolgend Beschwerdeführerin) gegen die Verfügung vom 24. September 2019 Beschwerde beim Versicherungsgericht (A.S. 14 ff.) und stellt folgende Rechtsbegehren:

 

1.    Die Verfügung vom 24. September 2019 sei aufzuheben.

2.    Es sei festzustellen, dass der Versicherte keinen Anspruch auf eine Invalidenrente hat.

3.    Eventualiter zu Ziff. 1 und Ziff. 2 sei die Sache zu weiteren Abklärungen des medizinischen Sachverhaltes und zur Neubeurteilung an die Beschwerdegegnerin zurückzuweisen.

4.    Alles unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten der Beschwerdegegnerin.

 

4.       Mit Beschwerdeantwort vom 29. November 2019 (A.S. 36 f.) schliesst die Beschwerdegegnerin auf Abweisung der Beschwerde.

 

5.       Mit Stellungnahme vom 29. Januar 2020 (A.S. 46 ff.) beantragt der Beigeladene, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten, eventualiter sei die Beschwerde abzuweisen. Des Weiteren sei die Beschwerdeführerin zur Tragung der Verfahrenskosten und zur Zahlung einer Parteientschädigung zuzüglich Mehrwertsteuer zu verurteilen.

 

6.       Mit Schreiben vom 20. Februar 2020 (A.S. 67) lässt sich die Beschwerdeführerin abschliessend vernehmen.

 

7.       Mit Eingabe vom 13. März 2020 (A.S. 82 ff.) lässt sich der Beigeladene ebenfalls abschliessend vernehmen.

 

8.       Am 27. Oktober 2020 findet eine Instruktionsverhandlung statt, an der Vergleichsgespräche geführt werden. Diese führen zu keinem Ergebnis.

 

9.       Mit Schreiben vom 28. Oktober 2020 (A.S. 109 ff.) lässt der Beigeladene unter anderem sinngemäss den Antrag stellen, es sei die Frage, ob ein Gerichtsgutachten einzuholen sei, dem Gesamtgericht zu unterbreiten.

 

10.     Mit Verfügung vom 29. Oktober 2020 (A.S. 113 ff.) teilt der Instruktionsrichter den Parteien mit, die Frage, ob ein Gerichtsgutachten erforderlich sei, werde antragsgemäss dem Gesamtgericht unterbreitet. Gleichzeitig weist er den überdies gestellten Antrag, es sei sofort eine Hauptverhandlung anzusetzen, ab.

 

11.     Mit Zwischenentscheid vom 11. November 2020 (A.S. 116 ff.) beschliesst das Versicherungsgericht, zur Beurteilung der medizinischen Aspekte der Streitfrage, ob die Beschwerdegegnerin dem Beigeladenen zu Recht ab 1. August 2016 eine ganze Rente zugesprochen habe, werde ein Gerichtsgutachten in den Fachrichtungen Rheumatologie, Neurologie und Psychiatrie eingeholt. Die beabsichtigte Gutachterstelle bzw. die Namen der Gutachter sowie die Gutachtensfragen würden den Parteien mit einer separaten Verfügung mitgeteilt.

 

12.     Mit Verfügung vom 17. November 2020 (A.S. 129 f.) hält der Präsident des Versicherungsgerichts fest, es sei vorgesehen, mit der polydisziplinären Begutachtung des Beigeladenen Dr. med. K.___ (Rheumatologie mit Fallführung), Dr. med. L.___ (Neurologie) und med. pract. M.___ (Psychiatrie), alle von der N.___, zu beauftragen.

 

13.     Mit Verfügung vom 15. Dezember 2020 (A.S. 138) werden die vorgenannten Experten bzw. die N.___ mit der Begutachtung beauftragt. Das Gutachten der N.___ ergeht am 7. Juli 2021 (A.S. 142).

 

14.     Am 27. Juli 2021 lässt der Beigeladene zum Gutachten eine Stellungnahme einreichen (A.S. 232) und sinngemäss ergänzend beantragen, der Rentenbeginn sei gemäss der Beurteilung aus dem Gutachten der N.___ vom 7. Juli 2021 neu festzusetzen. Die Beschwerdeführerin sowie die Beschwerdegegnerin lassen sich zum Gutachten nicht vernehmen.

 

15.     Auf die Ausführungen der Parteien in ihren Rechtsschriften wird nachfolgend, soweit notwendig, eingegangen.

 

II.

 

1.      

1.1     Umstritten und vorweg von Amtes wegen zu prüfen ist, ob die vorliegende Beschwerde vom 25. Oktober 2019 rechtzeitig erhoben worden und auf diese einzutreten ist.

 

Gemäss Art. 60 Abs. 1 ATSG (Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts; SR 830.1) ist die Beschwerde innerhalb von 30 Tagen nach der Eröffnung des Einspracheentscheides der Verfügung, gegen welche eine Einsprache ausgeschlossen ist, einzureichen.

 

In diesem Zusammenhang ist unter anderem von Belang, ob der Beschwerdeführerin die Verfügung vom 13. September 2019 überhaupt zugegangen ist und diese somit von ihr anzufechten gewesen wäre, ob der Beschwerdeführerin – wie von dieser behauptet – nur die Verfügung vom 24. September 2019 zuging und somit die 30-tägige Beschwerdefrist erst ab Zustellung dieser Verfügung zu laufen begann. Diesbezüglich ist ergänzend anzumerken, dass sowohl die Verfügung vom 13. September 2019 als auch die Verfügung vom 24. September 2019 – abgesehen vom verfügten Rentenzeitraum – die gleiche Begründung und Berechnung des Invaliditätsgrades enthalten.

 

1.2     Der Beigeladene führt diesbezüglich aus, die Beschwerdegegnerin habe zwei Verfügungen erlassen. In einer ersten Verfügung vom 13. September 2019 (diese sei gemäss dem Verteiler der Beschwerdeführerin umgehend zugestellt worden) sei die laufende Invalidenrente des Beigeladenen ab dem 1. Oktober 2019 zugesprochen worden. Die zweite Verfügung betreffend Nachzahlung datiere dann vom 24. September 2019. Mit ihrer Beschwerde habe die Beschwerdeführerin lediglich die Nachzahlungsverfügung vom 24. September 2019 – nicht aber die eigentliche Rentenzusprache vom 13. September 2019 – angefochten. Es sei festzustellen, dass die Verfügung vom 13. September 2019 mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen sei, in welcher ausdrücklich auf die dreissigtägige Beschwerdefrist hingewiesen werde. In ihrer Beschwerdefrist bemängle die Beschwerdeführerin lediglich die Rentenzusprache und nicht die Nachzahlung. Inhaltlich werde also ausschliesslich die Verfügung vom 13. September 2019 (Rentenzusprache) und nicht diejenige vom 24. September 2019 (Nachzahlung) angefochten. Nachdem bei der Einreichung der Beschwerde vom 25. Oktober 2019 die Frist zur Anfechtung der Verfügung vom 13. September 2019 bereits abgelaufen gewesen sei und die Verfügung vom 24. September 2019 offensichtlich nicht das eigentliche Anfechtungsobjekt darstelle, sei auf die Beschwerde aus formellen Gründen nicht einzutreten. Die Behauptung der Beschwerdeführerin, sie habe lediglich die Verfügung vom 24. September 2019 – nicht aber diejenige vom 13. September 2019 – erhalten, sei aus verschiedenen Gründen im höchsten Mass unglaubwürdig. Zunächst stehe die Beschwerdeführerin an zweiter Stelle auf dem Verteiler der Verfügung vom 13. September 2019. Alle anderen auf diesem Verteiler aufgeführten Personen, Gesellschaften und Amtsstellen hätten die Verfügung erhalten. Im Bestreitungsfalle werde eine amtliche Erkundigung bei allen auf dem Verteiler aufgeführten Personen, Gesellschaften und Amtsstellen beantragt. Die Beschwerdeführerin habe zudem bereits am 11. September 2019 eine auf den 6. September 2019 datierte Verfügung erhalten. Diese Verfügung vom 6. September 2019 sei auch an die anderen involvierten Stellen gemäss Verteiler (gleich wie in der Verfügung vom 13. September 2019) verschickt worden. Allerdings sei diese Verfügung vom 6. September 2019 unvollständig gewesen, weil der zweite Teil (5 Seiten mit der Begründung und der Rechtsmittelbelehrung) nicht beigelegt worden sei. Deshalb sei am 13. September 2019 eine zweite Verfügung verschickt und dabei bemerkt worden: «Diese Verfügung ersetzt die vom 6. September 2019). Dieses Mal sei der zweite – fünf Seiten umfassende – Teil der Verfügung beigelegen. Es sei sehr unglaubwürdig, wenn die Beschwerdeführerin behaupte, sie habe alle Zustellungen erhalten – mit Ausnahme ausgerechnet der wichtigen Verfügung vom 13. September 2019 und vorgängig derjenigen vom 6. September 2019. Dies sei aber nicht die einzige Ungereimtheit. In der Verfügung vom 24. September 2019 stehe als zweiter Satz: «Die Verfügung ab 1. Oktober 2019 haben Sie bereits erhalten». Danach seien die Leistungen vom 1. August 2016 bis zum 30. September 2019 aufgeführt und schliesslich die Nachzahlung berechnet worden. Es sei also offensichtlich und für die fachkundige Beschwerdeführerin klar erkennbar, dass sich die Verfügung vom 24. September 2019 ausschliesslich mit der Nachzahlung beschäftigt habe. Trotzdem habe die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerde vom 25. Oktober 2019 zu den vorstehend aufgezählten Fakten mit keinem Wort Stellung genommen, sondern in der Beschwerde-Randziffer 17 lediglich bemerkt, die Beschwerdegegnerin habe mit Verfügung vom 24. September 2019 den Vorbescheid vom 18. Januar 2019 bestätigt. Hätte die Beschwerdeführerin tatsächlich die Verfügung vom 13. September 2019 nicht erhalten, so hätte sie nach Eingang der Verfügung vom 24. September 2019 bei der Beschwerdegegnerin nachgefragt und sich nach der (angeblich) nicht erhaltenen Verfügung, mit welcher der Rentenanspruch ab 1. Oktober 2019 festgestellt worden sei, erkundigt. Dies habe die Beschwerdeführerin aber offenbar nicht getan.

 

Dagegen macht die Beschwerdeführerin geltend, eine Verfügung datiert vom 13. September 2019 sei ihr nie zugestellt worden. Nach den Einwänden am 13. März 2019 sei der Beschwerdeführerin am 25. September 2019 erstmals eine Verfügung (datiert vom 24. September 2019) zugestellt worden. Mit Beschwerde vom 25. Oktober 2019 sei diese Verfügung, datiert vom 24. September 2019, rechtzeitig angefochten worden. Auf die Beschwerde sei daher einzutreten.

 

1.3     Wie aus den obigen Ausführungen hervorgeht, war die auf den 6. September 2019 datierte Rentenverfügung (worin die Rentenhöhe ab 1. Oktober 2019 festgelegt wurde) offenbar unvollständig, weshalb sie am 13. September 2019 noch einmal neu erlassen wurde (vgl. Duplikbeilage 3). Diese Verfügung wurde mit A-Post an die Parteien versandt (vgl. Duplikbeilage 4). Nun stellt sich die Beschwerdeführerin aber auf den Standpunkt, die Verfügung vom 13. September 2019 gar nie erhalten zu haben, sondern erst die Verfügung vom 24. September 2019 (worin die Rentenhöhe für den Zeitraum vom 1. August 2016 bis 30. September 2019 festgelegt wurde), wogegen sie dann auch fristgerecht Beschwerde erhoben habe. Diesbezüglich kann vorweg festgehalten werden, dass die vorgenannten Verfügungen nicht eingeschrieben versandt wurden, weshalb nicht überprüft werden kann, wann bzw. ob diese der Beschwerdeführerin zugestellt wurden. Auf die vom Beigeladenen in diesem Zusammenhang beantragten amtlichen Erkundigungen betreffend den Erhalt der Verfügung vom 13. September 2019 bei den anderen Empfängern kann zudem verzichtet werden, da sich aus den diesbezüglichen Zustelldaten keine mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erstellte Zustellung der Verfügung vom 13. September 2019 bei der Beschwerdeführerin ableiten liesse. Auch die übrigen Ausführungen des Beigeladenen lassen nicht auf eine mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erfolgte Zustellung der Verfügung vom 13. September 2019 bei der Beschwerdeführerin schliessen: Weshalb es gemäss Ansicht des Beigeladenen nicht glaubhaft sein soll, dass die Beschwerdeführerin zwar die Verfügung vom 6. September 2019 und 24. September 2019, jedoch nicht die Verfügung vom 13. September 2019 erhalten haben solle, erscheint nicht nachvollziehbar. So wurden alle Verfügungen je mit separater Post verschickt und es ist zumindest nicht ausgeschlossen, dass ein mit A-Post verschickter Brief nicht beim Empfänger ankommt. Ebenso kann daraus, dass in der vorliegend angefochtenen Verfügung vom 24. September 2019 vermerkt wurde «Die Verfügung ab 1. Oktober 2019 haben Sie bereits erhalten», die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerde aber nicht auf diesen Umstand einging, nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit geschlossen werden, die Beschwerdeführerin habe die Verfügung vom 13. September 2019 erhalten, da sie ansonsten bei der Beschwerdegegnerin nachgefragt hätte. Demnach ist im Resultat zu Gunsten der Beschwerdeführerin davon auszugehen, dass ihr die Verfügung vom 13. September 2019 nicht zugegangen ist und sie erst gegen die Verfügung vom 24. September 2019 Beschwerde erheben konnte. Diese wurde von der Beschwerdeführerin mit Beschwerde vom 25. Oktober 2019 fristgerecht angefochten.

 

Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen (Einhaltung von Form und die örtliche und sachliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts) sind ebenfalls erfüllt, womit auf die Beschwerde einzutreten ist.

 

2.

2.1     Der massgebende Sachverhalt betrifft die aufgrund der Neuanmeldung vom 19. August 2013 mit Verfügung vom 24. September 2019 dem Beigeladenen zugesprochene ganze Rente, weshalb die ab 1. Januar 2012 geltende Rechtslage zu berücksichtigen ist.

 

2.2     Seit der ab 1. Januar 2012 geltenden Rechtslage (6. IV-Revision) haben nach Art. 28 Abs. 1 IVG jene Versicherten Anspruch auf eine Rente, die ihre Erwerbsfähigkeit die Fähigkeit, sich im Aufgabenbereich zu betätigen, nicht durch zumutbare Eingliederungsmassnahmen wieder herstellen, erhalten verbessern können (lit. a), und die zusätzlich während eines Jahres ohne wesentlichen Unterbruch durchschnittlich mindestens 40 % arbeitsunfähig (Art. 6 ATSG) gewesen sind und nach Ablauf dieses Jahres zu mindestens 40 % invalid (Art. 8 ATSG) sind (lit. b und c). Gemäss Art. 28 Abs. 2 IVG besteht der Anspruch auf eine ganze Rente, wenn die versicherte Person mindestens 70 %, derjenige auf eine Dreiviertelsrente, wenn sie mindestens 60 % invalid ist. Bei einem Invaliditätsgrad von mindestens 50 % besteht Anspruch auf eine halbe Rente und bei einem Invaliditätsgrad von mindestens 40 % ein solcher auf eine Viertelsrente.

 

3.

3.1     Wurde eine Rente wegen eines fehlenden zu geringen Invaliditätsgrades bereits einmal verweigert bzw. aufgehoben, so wird eine neue Anmeldung nur geprüft, wenn die versicherte Person glaubhaft macht, dass sich der Grad der Invalidität in einer für den Anspruch erheblichen Weise geändert hat (Art. 87 Abs. 3 und 4 IVV). Dies gilt in analoger Weise auch für Revisionsgesuche im Sinne von Art. 17 Abs. 1 ATSG (BGE 130 V 351 E. 3.5.3) sowie dann, wenn die versicherte Person nach vorausgegangener rechtskräftiger Ablehnung erneut eine Eingliederungsmassnahme beantragt (BGE 113 V 27; ZAK 1991 S. 262 E. 1a). Mit dieser Bestimmung soll verhindert werden, dass sich die Verwaltung nach vorausgegangener rechtskräftiger Rentenverweigerung immer wieder mit gleichlautenden und nicht näher begründeten, d.h. keine Veränderung des Sachverhalts darlegenden Rentengesuchen befassen muss (BGE 130 V 68 E. 5.2.3, 125 V 412 E. 2b, 117 V 200 E. 4b).

 

3.2     Tritt die Verwaltung – wie im vorliegenden Fall – auf eine Neuanmeldung ein, so hat sie die Sache materiell abzuklären und sich zu vergewissern, ob die von der versicherten Person glaubhaft gemachte Veränderung des Invaliditätsgrades auch tatsächlich eingetreten ist; sie hat demnach in analoger Weise wie bei einem Revisionsfall nach Art. 17 Abs. 1 ATSG vorzugehen (AHI 1999 S. 84 E. 1b mit Hinweisen, bezogen auf Art. 41 a.F. IVG). Stellt sie fest, dass der Invaliditätsgrad seit Erlass der früheren rechtskräftigen Verfügung keine Veränderung erfahren hat, so weist sie das neue Gesuch ab. Andernfalls hat sie zusätzlich noch zu prüfen, ob die festgestellte Veränderung genügt, um nunmehr eine rentenbegründende Invalidität zu bejahen, und hernach zu beschliessen. Im Beschwerdefall obliegt die gleiche materielle Prüfungspflicht auch dem Gericht (BGE 133 V 108, 117 V 198 E. 3a, 109 V 115 E. 2b).

 

Ob eine anspruchsbegründende Änderung in den für den Invaliditätsgrad erheblichen Tatsachen eingetreten ist, beurteilt sich im Neuanmeldungsverfahren – analog zur Rentenrevision nach Art. 17 Abs. 1 ATSG, s. BGE 105 V 30 – durch Vergleich des Sachverhaltes, wie er im Zeitpunkt der Ablehnungsverfügung bestanden hat, mit demjenigen zur Zeit der streitigen neuen Verfügung (BGE 130 V 73 E. 3.1 mit Hinweisen; AHI 1999 S. 84 E. 1b).

 

 

 

4.

4.1     Um den Invaliditätsgrad bemessen zu können, ist die Verwaltung (und im Beschwerdefall das Gericht) auf Unterlagen angewiesen, die Ärzte und gegebenenfalls auch andere Fachleute zur Verfügung zu stellen haben. Aufgabe des Arztes der Ärztin ist es, den Gesundheitszustand zu beurteilen und dazu Stellung zu nehmen, in welchem Umfang und bezüglich welcher Tätigkeiten die Versicherten arbeitsunfähig sind. Im Weiteren sind ärztliche Auskünfte eine wichtige Grundlage für die Beurteilung der Frage, welche Arbeitsleistungen den Versicherten noch zugemutet werden können (BGE 132 V 99 f. E. 4, 125 V 261 E. 4).

 

Demgegenüber fällt es nicht in den Aufgabenbereich des Arztes der Ärztin, sich zur Höhe einer allfälligen Rente zu äussern, da der Begriff der rentenanspruchsbegründenden Invalidität nicht nur von medizinischen, sondern auch von erwerblichen Faktoren bestimmt wird (vgl. Art. 16 ATSG).

 

4.2     Das Prinzip inhaltlich einwandfreier Beweiswürdigung besagt, dass das Sozialversicherungsgericht alle Beweismittel objektiv zu prüfen hat, unabhängig davon, von wem sie stammen, und danach zu entscheiden hat, ob die verfügbaren Unterlagen eine zuverlässige Beurteilung des strittigen Rechtsanspruchs gestatten. Insbesondere darf das Gericht bei einander widersprechenden medizinischen Berichten den Prozess nicht erledigen, ohne das gesamte Beweismaterial zu würdigen und die Gründe anzugeben, warum es auf die eine und nicht auf die andere medizinische These abstellt (AHI 2001 S. 113 E. 3a).

 

Der Beweiswert eines ärztlichen Berichts hängt davon ab, ob der Bericht für die streitigen Belange umfassend ist, auf allseitigen Untersuchungen beruht, auch die geklagten Beschwerden berücksichtigt, in Kenntnis der Vorakten (Anamnese) abgegeben worden ist, in der Darlegung der medizinischen Zusammenhänge und in der Beurteilung der medizinischen Situation einleuchtet und ob die Schlussfolgerungen begründet sind. Ausschlaggebend für den Beweiswert ist grundsätzlich somit weder die Herkunft eines Beweismittels noch die Bezeichnung der eingereichten in Auftrag gegebenen Stellungnahme als Bericht Gutachten, sondern dessen Inhalt (BGE 125 V 352 E. 3a; AHI 2001 S. 113 f. E. 3a; RKUV 2003 U 487 S. 345 E. 5.1).

 

5.       Gemäss den Ausführungen der Beschwerdeführerin sei im H.___-Gutachten vom 7. November 2017 auf nachvollziehbare Weise dargelegt worden, dass der Versicherte in einer adaptierten Tätigkeit noch ein 70%-Pensum ausüben könne. Das Gutachten entspreche den Anforderungen an medizinische Berichte und es könne im vorliegenden Verfahren darauf abgestellt werden. Zu diesem Schluss sei auch der Regionale Ärztliche Dienst (RAD) der Beschwerdegegnerin in seiner Stellungnahme vom 25. Januar 2018 gekommen. Gestützt auf dieses Gutachten und die anschliessende Stellungnahme sei das Leistungsbegehren des Versicherten mit Vorbescheid vom 20. Februar 2018 korrekterweise abgelehnt worden. Es sei somit absolut nicht nachvollziehbar, weshalb die Beschwerdegegnerin diesen Entscheid ein knappes Jahr später aufgehoben und dem Versicherten eine ganze Rente zugesprochen habe. Der Vorbescheid vom 18. Januar 2019 und die Verfügung vom 24. September 2019 stützten sich auf eine Evaluation der funktionellen Leistungsfähigkeit (EFL), welche jedoch die Anforderungen an eine gutachterliche Einschätzung nicht erfüllen könne. Dies sei in der EFL selbst auch so festgehalten und angegeben worden, dass das Dossier nicht entsprechend habe aufgearbeitet werden können, da es sich nicht um einen Gutachtensauftrag handle. Bereits aus diesem Grund sei nicht nachvollziehbar, wie sich die Beschwerdegegnerin für ihre Beurteilung einzig auf diese EFL habe abstützen können, da diese ganz klar die Anforderungen an die Beweistauglichkeit eines Arztberichtes nicht erfülle. Auch die nach erhobenem Einwand verfasste Stellungnahme des RAD vom 7. Mai 2019 enthalte keine schlüssige Begründung für die Kehrtwende des RAD. Vielmehr werfe diese Stellungnahme weitere Fragen bezüglich die Neu-Beurteilung auf: Gemäss RAD sei die von den Gutachtern beschriebene Verweistätigkeit (vorwiegend sitzend, wechselbelastend, ohne Heben und Schieben von Lasten über 3 kg mit vermehrten Pausen) aus versicherungs- und arbeitsmedizinischer Sicht nicht nachvollziehbar. Offen bleibe, wieso der RAD das Gutachten in der ursprünglichen Stellungnahme als beweistauglich eingestuft habe, wenn doch angeblich die Verweistätigkeit nicht nachvollziehbar sei. Des Weiteren erstaune die Feststellung des RAD auch inhaltlich, da in der EFL (vgl. IV-Nr. 140, S. 9) bezüglich der Einschränkungen für die Tätigkeit Sitzen «oft, bis 6 Stunden/Tag, wechselpositioniert» festgestellt werde. Die im Gutachten beschriebene Verweistätigkeit stehe somit nicht im Widerspruch zur EFL. Auch der gescheiterte Arbeitsversuch werde im Gutachten erwähnt, so dass zum Zeitpunkt der Begutachtung alle relevanten Informationen für ein objektives Urteil vorgelegen hätten. Aus dem Bericht zur EFL vom 27. November 2018 könne nicht abgeleitet werden, woraus sich diese Leistungsfähigkeit im Umfang von 30 % ergebe. Es werde lediglich festgehalten, dass dem Beigeladenen die letzte Tätigkeit in der Spedition und im erlernten Beruf als Bäcker / Konditor gar nicht mehr zugemutet werden könne, was auch im Gutachten vom 7. November 2017 so festgehalten worden sei. Hinsichtlich einer angepassten Tätigkeit sei nur erwähnt worden, dass eine «kaum verwertbare Arbeitstätigkeit in einer stehenden Ausgangsstellung aufgrund sehr vieler Arbeitsunterbrechungen mit Einnahme von entlastenden Ausgangsstellungen» bestehe. Basierend darauf sei in unnachvollziehbarer Weise die Schlussfolgerung gezogen worden, dass die Arbeitsfähigkeit in der Höhe von 70 % in einer leidensangepassten Tätigkeit gemäss Gutachten vom 7. November 2017 «zu hoch angesetzt und nicht umsetzbar» sei. Sodann werde im Gutachten vom 7. November 2017 festgehalten, dass die angepasste Tätigkeit des Beigeladenen «vorwiegend sitzend, wechselbelastend, ohne Heben und Schieben von Lasten über 3 kg (gemäss EFL 2.5 kg), mit vermehrten Pausen» sein müsse. Entgegen den Ausführungen des Beigeladenen lege die EFL keine anderen Komponenten für die maximale Leistungsfähigkeit fest; auch diese besage, der Beigeladene könne bis zu sechs Stunden wechselpositioniert sitzen, was gemessen an einem achtstündigen Arbeitstag sehr wohl als «vorwiegend» bezeichnet werden könne. Trotz der gleichen Möglichkeiten und Anforderungen an eine angepasste Tätigkeit, weiche die festgestellte Arbeitsfähigkeit der EFL in einem solch hohen Masse vom Gutachten vom 7. November 2019 ab. Mit dieser grossen Abweichung setze sich weder der RAD-Arzt noch die Beschwerdegegnerin auseinander. Weiter führe der Beigeladene sinngemäss aus, dass das Arbeitspensum von 25 % infolge seiner Schmerzen nicht habe erhöht werden können. Dass der Arbeitsversuch gescheitert sei, dürfte jedoch hauptsächlich auf die sitzende Tätigkeit in einer einseitigen Position (sitzend Teile aus Plastik stanzen) zurückzuführen sein, was dem Beigeladenen sowohl gemäss Gutachten, als auch gemäss EFL nicht zugemutet werden dürfe. Es sei jedoch davon auszugehen, dass dem Beigeladenen in einer optimal adaptierten Tätigkeit, wie zum Beispiel als Briefträger ähnliches, ein weit höheres Arbeitspensum (70 %) zugemutet werden könnte. Weiter bestünden auch Widersprüche, was die Einschränkung bei der Freizeitgestaltung einerseits und der Arbeit andererseits angehe. Dies sei so auch im Gutachten festgestellt worden. Allgemein sei in den medizinischen Unterlagen mehrfach geschildert worden, wie sich der Versicherte in seiner Freizeit mit seinen Buntbarschen beschäftige, sich dem Modellbau widme, der Ehefrau beim Austragen von Zeitungen helfe und schliesslich sogar mehrmals wöchentlich suchtkranke Menschen besuche und diese unterstütze. Diese vielseitig ausgeübten Tätigkeiten bestätigten die Einschätzung der Gutachter (vgl. IV-Nr. 105), wonach der Versicherte in einer angepassten, wechselbelastenden Tätigkeit zu mindestens 70 % arbeitsfähig sei. Hinzu komme, dass das lange Sitzen während der Untersuchung schmerzlos möglich gewesen sei, was ebenfalls für die festgelegte Arbeitsfähigkeit spreche. Zusammenfassend könne festgehalten werden, dass im vorliegenden Fall aufgrund des Gesagten kein invalidisierender Gesundheitsschaden vorliege, da der Versicherte in einer adaptierten Tätigkeit ein rentenausschliessendes Einkommen erzielen könne. Folglich bestehe kein Anspruch auf eine Rente der IV.

 

Demgegenüber vertritt die Beschwerdegegnerin die Ansicht, die Abklärungen hätten ergeben, dass der Beigeladene seit dem 7. Mai 2013 (Beginn der einjährigen Wartezeit) in seiner Arbeitsfähigkeit in der bisherigen Tätigkeit als Mitarbeiter in der Spedition mit Fachkenntnissen im Gefahrengutversand erheblich eingeschränkt sei. Aus versicherungsmedizinischer Sicht sei ihm jedoch weiterhin eine Verweistätigkeit (Rücken schonende Tätigkeit, wechselbelastend) zu 100 Prozent zumutbar gewesen. Seine gesundheitliche Situation habe sich jedoch im Verlauf verschlechtert. Ab 2. Mai 2016 sei ihm aus medizinischer Sicht noch eine leichte bis mittelschwere (vorwiegend sitzende und wechselbelastende Tätigkeit, ohne Heben und Schieben von Lasten über 3 Kilogramm, mit vermehrten Pausen) im Umfang eines 30%-Pensums bei halbtägiger Präsenz zumutbar. Die Verschlechterung werde nach drei Monaten berücksichtigt, somit per August 2016 (Art. 88a Abs. 1 IVV). Ab diesem Zeitpunkt bestehe der Anspruch auf eine ganze Invalidenrente. Sodann sei anzufügen, dass der Beigeladene an einem chronischen lumbovertebralen bis radikulären Schmerz- und sensomotorischen Ausfallsyndrom mit einer Fussheberparese rechts M3-4, einer Quadricepsschwäche rechts M4 und einer Hypästhesie an der Unterschenkel-Innenseite rechts sowie an fortgeschrittenen Osteochondrosen und Spondylarthrosen insb. 14/5 und L5/S1 leide. Dabei handle es sich um ein Beschwerdebild, welches sich für eine EFL eigne. Weiter sei festzuhalten, dass er während der Abklärung eine gute Leistungsbereitschaft und ein konsistentes Verhalten gezeigt habe. Dies decke sich mit der Einschätzung bereits während den beiden Begutachtungen durch das H.___ vom 6. November 2015 und 7. November 2017 bei welchen keine Anhaltspunkte für eine Aggravation Simulation hätten festgestellt werden können. Anhand der bei der EFL durchgeführten Testungen sei ersichtlich, dass die im Gutachten attestierte Arbeitsfähigkeit von 70 % in einer angepassten Tätigkeit als zu hoch zu beurteilen sei. Dies decke sich auch mit den Erkenntnissen aus den beruflichen Eingliederungsmassnahmen, welche vorgängig durchgeführt worden seien. Im Abschlussbericht vom 19. Juni 2017 sei dementsprechend festgehalten worden, dass es dem Beigeladenen aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich gewesen sei, das Pensum während des Aufbautrainings über 25 % zu steigern. Es sei auch während den beruflichen Massnahmen festgestellt worden, dass er gewillt und motiviert gewesen sei, seinen Beitrag zur beruflichen Eingliederung zu leisten. Das Pensum aber trotzdem nicht über 25 % habe gesteigert werden können. Im Rahmen der EFL sei nun auch festgestellt worden, dass die im letzten Gutachten attestierte Arbeitsfähigkeit von 70 % in einer leidensangepassten Tätigkeit als zu hoch angesetzt und nicht umsetzbar sei. Aktuell sei in einer angepassten Tätigkeit von einer ca. 30%igen Leistungsfähigkeit auszugehen, dies bei halbtägiger Präsenz. Dies erscheine nachvollziehbar und schlüssig, weshalb gestützt auf die EFL vom 21. November 2018, welche wie bereits ausgeführt, unter guter Mitwirkung des Beigeladenen habe durchgeführt werden können, von der medizinisch-theoretischen Einschätzung der Arbeitsfähigkeit im Gutachten abgewichen werden könne. Bezüglich der von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Unstimmigkeiten bezüglich des Aktivitätsniveaus des Beigeladenen in der Freizeit und der angegebenen möglichen Arbeitsfähigkeit könne auf dessen nachvollziehbaren Ausführungen verwiesen werden. So könne er bei der Beschäftigung mit den Modellautos und dem Aquarium immer wieder Pausen einlegen und die Position wechseln. Auch sei es durchaus so, dass es dem Beigeladenen nicht untersagt werden könne, einem Hobby nachzugehen. Vielmehr diene dies auch der psychischen Gesunderhaltung und stehe nicht derart im Widerspruch zu seinen Beschwerden, dass es als Diskrepanz zu werten wäre.

 

Der Beigeladene führt in seinen Rechtschriften aus, bezüglich des Zumutbarkeitsprofils im H.___-Gutachten bleibe es rätselhaft, wie sich die Gutachter eine Arbeitstätigkeit vorstellten, bei welcher immer nach zwei Stunden Arbeit eine einstündige Pause eingeschoben werden könne. Auf Seite 46 des Gutachtens finde sich sodann folgender Satz: «Es bestehen lediglich Diskrepanzen zwischen den geltend gemachten Beeinträchtigungen bei der Arbeit und in der Freizeit». Was die Gutachter damit meinten, führten sie nicht weiter aus und die Bemerkung bleibe rätselhaft. An dieser Stelle solle deshalb auf die immer wieder vorgebrachte Bemerkung, der Beigeladene baue Automodelle zusammen und kümmere sich um seine Buntbarsche, eingegangen werden. Befragt nach seinen Hobbys, habe der Beigeladene freiwillig und spontan von den Modellautos und den Fischen erzählt. Diese Beschäftigungen würden von der Beschwerdeführerin mehrmals erwähnt und es solle offenbar der Eindruck erweckt werden, sie seien entscheidrelevant. Dem sei aber sicher nicht so. Von einer versicherten Person mit schweren Rückenproblemen und grossen Schmerzen sowie mit psychischen Problemen wegen der gesamten Situation könne doch wohl im Ernst nicht erwartet werden, dass sie sich nicht mehr bewege und den ganzen Tag nur eine Wand anstarre. Die Modellautos seien extrem leicht und die Arbeiten einfach. Zudem könne er die Zeiten, in welchen er sich mit den Modellautos beschäftige, frei einteilen. Er müsse nach sehr kurzer Zeit immer wieder aufstehen sich hinlegen, was dem Spass an diesem Hobby nicht zuträglich sei. Immerhin lenke es ihn aber etwas ab. Das Gleiche gelte für das Aquarium. Die darin verwendeten Steine seien aus Plastik und daher sehr leicht. Das regelmässige Füttern der Fische sei eine äusserst einfache Arbeit und beim Putzen (alle zwei Monate) helfe in erster Linie die Frau des Beigeladenen. Die Behauptung, er «helfe» seiner Ehefrau beim Austragen von Zeitungen, sei ebenfalls nicht zutreffend. Damit ihm die Decke nicht auf den Kopf falle, begleite er (mit den Walkingstöcken) seine Frau ab und zu während einem Teil der Austragungsrunde. Dass er zudem gelegentlich Gespräche mit suchtkranken Menschen führe, sei Ausdruck seines Glaubens und beweise sein stets geäussertes Bestreben, nicht einfach in völlige Passivität zu versinken. Sodann sei darauf hinzuweisen, dass der Abschlussbericht der Eingliederungsmassnahmen vom 9. Januar 2017 und andere Akten über die Eingliederungsmassnahmen nicht den Gutachtern übergeben worden seien. Die Feststellungen der Eingliederungsbehörde nach einem insgesamt neunmonatigen Arbeitstraining bei einem motivierten und arbeitswilligen Versicherten seien im Gutachten nicht diskutiert worden. Auch aus Sicht des RAD seien die Einschätzungen der Gutachter in Anbetracht der Feststellungen während den Eingliederungsmassnahmen nicht nachvollziehbar gewesen. Es hätten also weitere Abklärungen durchgeführt werden müssen und erst aufgrund des Ergebnisses dieser Abklärungen habe zu einer Arbeitsfähigkeit des Beigeladenen in einer Verweistätigkeit verlässlich Stellung genommen werden können. Der ausführliche und detaillierte EFL-Bericht der J.___ Klinik erfülle die bundesgerichtlichen Kriterien an einen neutralen und unabhängigen Bericht. Nach anerkannten wissenschaftlichen Standards und Kriterien sei der Beigeladene allen Abklärungen und Tests (mit Ausnahme «Leiter steigen» – aus Sicherheitsgründen) unterworfen worden. Inhaltlich entspreche der EFL-Bericht zweifellos einem Gutachten. Daran ändere auch die darin enthaltene Bemerkung unter dem Titel «Zur Anamnese» nichts. Die zuständigen Ärzte der J.___ Klinik hätten festgehalten, dass das umfangreiche Aktendossier der IV gesichtet worden sei. Es sei – wohl vornehmlich aus Kostengründen – lediglich darauf verzichtet worden, die gesamten Akten in Form einer Anamnese aufzuführen und zusammenzufassen. Wenn die Beschwerdeführerin ableiten wolle, die vorgenannte Bemerkung schmälere den Beweiswert des Ergebnisses der Evaluation der funktionellen Leistungsfähigkeit, so gehe sie eindeutig fehl.

 

6.       Streitig und zu prüfen ist somit, ob die Beschwerdegegnerin dem Beigeladenen aufgrund der Neuanmeldung vom 19. August 2013 mit Verfügung vom 24. September 2019 zu Recht per 1. August 2016 eine ganze Rente zugesprochen hat. Ob eine anspruchsbegründende Änderung in den für den Invaliditätsgrad erheblichen Tatsachen eingetreten ist, beurteilt sich im Neuanmeldungsverfahren – analog zur Rentenrevision nach Art. 17 Abs. 1 ATSG (BGE 105 V 29 S. 30) – durch Vergleich des Sachverhalts, wie er im Zeitpunkt der ersten Ablehnungsverfügung – vorliegend am 16. Juni 2010 – bestanden hat, mit demjenigen zur Zeit der streitigen neuen Verfügung vom 24. September 2019 (Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts I 783/05 vom 18. April 2006 E. 1; BGE 130 V 71 E. 3.1 S. 73, mit Hinweisen; AHI 1999 S. 84 E. 1b; Urteil des Bundesgerichts 8C_819/2013 vom 4. Februar 2014 E. 2).

 

6.1     Im Zeitpunkt der in Rechtskraft erwachsenen ursprünglichen Verfügung vom 16. Juni 2010 (IV-Nr. 24) stützte sich die Beschwerdegegnerin einerseits auf den Umstand, dass der Beigeladene lediglich vorübergehend arbeitsunfähig gewesen war und seine bisherige Tätigkeit ab dem 4. Januar 2010 wieder zu 100 % aufgenommen hatte und andererseits auf folgende medizinische Unterlagen:

 

6.1.1  Im Bericht betreffend MRI der LWS und des ISG vom 25. November 2009 (IV-Nr. 22, S. 7) wurde festgehalten: «Unveränderte mittelgrosse mediolaterale, rechtsseitige, teils nach cranial subluxierte Diskushernie L4/L5. Dadurch bedingte abgangsnahe Abdrängung der Nervenwurzel L5 rechts nach dorsal. Radiärer Einriss im Anulus fibrosus dorsomedian L3/L4. Mediane Diskusprotrusion L5/S1. Initiale Osteochondrosen L2/L3 – L5/S1, jeweils mit Dehydratation der Bandscheiben, jedoch ohne Höhenminderung. Leichte bis mittelschwere beginnend hypertrophe Spondylarthrosen L3/L4 und L4/L5, jeweils mit minimalen Reizergüssen. Die nicht arthrotisch veränderten Seitengelenke L5/S1 zeigen ebenfalls minimale Reizergüsse.»

 

6.1.2  Gemäss Arztbericht von Dr. med. E.___, Facharzt für Orthopädische Chirurgie FMH, der F.___ für Wirbelsäulenchirurgie vom 16. Dezember 2009 (IV-Nr. 22, S. 5) bestehe beim Beigeladenen ein chronisches lumboradiculäres Schmerzsyndrom (paramediane Discushernie L4/5 rechts, Discusprotrusion median L5/S1). Weiter hielt Dr. med. E.___ fest, die geklagte Symptomatik sei durch die objektiven Befunde einer persistierenden, in der MRT sich über die Zeit nicht verkleinernden Discushernie adäquat erklärt. Das operative Vorgehen sei in Anbetracht der Gefahr der Chronifizierung mit teilweiser Arbeitsunfähigkeit recht dringend indiziert. Mitte Januar 2010 werde eine Discushernienoperation L4/5 rechts (mikrochirurgisch und verbunden mit einer Evaluation einer fraglichen Stenosierung L5/S1 bei Protrusion L5/S1) durchgeführt.

 

6.1.3  Gemäss Bericht von Dr. O.___, Chiropraktik, vom 10. April 2010 (IV-Nr. 22 S. 1) bestehe nur bei der Lack-Herstellung ein erhöhtes Risiko für ein Rezidiv. Ansonsten könne der Beigeladene die vorherige Tätigkeit wieder normal ausüben. Der Status quo ante sei am 4. Januar 2010 erreicht worden.

 

6.2     Im Zeitpunkt der vorliegend angefochtenen Verfügung vom 24. September 2019 (A.S. 1 ff.) präsentierte sich der medizinische Sachverhalt im Wesentlichen wie folgt:

 

6.2.1  Im Bericht betreffend CT der LWS vom 8. Mai 2013 (IV-Nr. 37. S. 8) wurde als Beurteilung festgehalten:

-       Intervertebrale Osteochondrose LWK 4/5 (DD aktiviert?) bei zusätzlicher breitbasiger paramedian / neuroforaminaler Diskusprotrusion, rezessale Kompression der Wurzel L5 möglich.

-       Einengung des Neuroforamens L4 rechts unter Belastung eventuell symptomatisch.

 

6.2.2  Im Bericht betreffend MRI der LWS vom 21. Mai 2013 (IV-Nr. 29) wurden folgende radiologische Diagnosen gestellt:

-       Segment L3/L4:

Breitbasige mediale Discushernie mit discogener Einengung des Duralsackes und des rechten Recessus sowie möglicherweise Reizung der L3-Wurzel rechts. Arthrose der Intervertebralgelenke L3/L4 beidseits mit Gelenkfacettensyndrom vor allem rechts.

-       Segment L4/L5:

Im Vergleich zur Voruntersuchung erkenne man eine rechtslaterale, recessale und teils neuroforaminale Rezidivhernie rechts mit Kompression der L4-Wurzel rechts und Reizung der L5-Wurzel rechts. Zudem leichtgradige Arthrose der Intervertebralgelenke beidseits.

-       Segment L5/S1:

Osteochondrose und fokale mediale Discushernie mit leichter Impression des Duralsackes, jedoch ohne Zeichen einer Neurokompression. Normale ISG.

 

6.2.3  Dr. med. G.___ stellte in seinem Bericht vom 30. Mai 2013 (IV-Nr. 37, S. 4) folgende Diagnosen:

-       Akute Lumbalgie wie auch rückläufiges radikuläres Reizsyndrom L5 rechts bei

-       Zustand nach erweiterter interlaminärer Fensterung sowie Disk- und Sequesterektomie L4/5 rechts am 23.04.12

-       persistierendem radikulärem Reizsyndrom L5 rechts mehr wie links

-       grosser, mediolateraler, rechtsseitiger Bandscheibenhernie L4/5 rechts (MRT der LWS vom 5. Mai 2009)

Aufgrund des erneuten Auftretens einer akuten Lumbalgie habe er dem Beigeladenen zu der Durchführung der epiduralen Steroidgabe geraten. In der MRT der LWS vom 17. Mai 2013 zeige sich eine kleine Rezidiv-Hernie rechts mit Kompression der abgehenden Wurzel L5 rechts rezessal. Da keine Radikulopathie vorliege, müsse die Diskopathie, bez. eine Problematik wie im Bereich der Facettengelenke angenommen werden. Hier bliebe chirurgisch nur die Stabilisation als Option übrig. Eine Arbeitsunfähigkeit sei noch einmal bis zum 9. Juni 2013 zu 100 % und vom 10. Juni 2013 bis zum 23. Juni 2013 zu 50 % ausgestellt worden.

 

6.2.4  Im Austrittsbericht des P.___ vom 20. Juni 2014 (IV-Nr. 54.6, S. 2), wo der Beigeladene vom 2. – 21. Juni 2014 in der Klinik für Schmerztherapie hospitalisiert war, wurden im Wesentlichen folgende Diagnosen gestellt:

1.    Chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (ICD-10 F45.41)

mit / bei

a) chronisch rezidivierender Lumbalgie bei St. n. Sequestrektomie L4/5

    rechts 23. April 2012

          - CT LWS (03.06.14): Höhergradige neuroforaminale Einengung der Wurzel

            L4 rechts

          - Neurologisches Konsil, Radikuläres Reizsyndrom, hauptsächlich sensibel,

            keine motorischen Ausfälle

2.    Leichte depressive Episode (ICD-10 F32 0)

3.    Präkollaps nach Belastung am 6. Juni 2014

-       Echokardiographie (10. Juni 2014): Normale linksventrikuläre Pumpfunktion (EF 60 % biplan)

-       Belastungs-EKG am 10. Juni 2014 normale Belastbarkeit ohne lschämiezeichen

4.    Adipositas Grad I

 

6.2.5  Im Bericht des P.___ vom 16. Januar 2015 (IV-Nr. 56, S. 7), wo der Beigeladene vom 5. – 10. Januar 2015 in der Klinik für Schmerztherapie hospitalisiert war, wurde ausgeführt, die Aufnahme sei zur Therapiestabilisierung nach einer multimodalen Schmerztherapie im Juni 2014 erfolgt. Nach Untersuchung und gemeinsamem Assessment durch das interdisziplinäre Behandlungsteam habe der Beigeladene an der einwöchigen multimodalen Schmerztherapie teilgenommen. Der Beigeladene habe sich bei der Aufnahme weiterhin in einem deutlich stabileren psychischen Zustandsbild präsentiert. Unter den laufenden Therapien habe die Schmerzmedikation weiter reduziert werden können. Die medizinische Eintrittsuntersuchung und EKG seien unauffällig gewesen. Im Verlauf seien keine sonstigen internistischen Probleme aufgetreten. Es sei vom 5. – 10. Januar 2015 eine 100%ige Arbeitsunfähigkeit attestiert worden.

 

6.2.6  Im polydisziplinären Gutachten des H.___ vom 6. November 2015 (IV-Nr. 71) wurden folgende Diagnosen gestellt:

Diagnosen mit Auswirkung auf Arbeitsfähigkeit

Chronisches, intermittierend akutes lumbovertebrales Schmerzsyndrom

mit / bei:

·      Status nach erweiterter interlaminärer Fensterung sowie Disk- und Sequestrektomie LWK4/5 rechts bei grosser mediolateraler rechtsseitiger Bandscheibenhernie LWK4/5 am 23. April 2012

·      Rezidivhernie L4/5 rechts mit möglicher L4-Wurzelkompression

·      Intermittierende Schmerzexazerbationen mit radikulärer Ausstrahlung rechtes Bein.

 

Diagnosen ohne Auswirkung auf Arbeitsfähigkeit

Metabolisches Syndrom mit/bei:

·      Adipositas Grad II nach WHO (BMI von 35.1 kg/m2).

·      Prädiabetes mellitus Typ 2

·      Dyslipidämie

·      Nichtalkoholische Steatohepatose (NASH).

Varicosis crurum beidseits.

Anamnestisch Asthma bronchiale.

Status nach laparoskopischer Cholezystektomie 2010.

Status nach traumatischer Luxation im PIP IV links 2008.

Status nach Meningitis mit Epilepsie 1995.

Status nach Bandplastik OSG rechts 1986.

Probleme aufgrund der Arbeitslosigkeit (lCD-10: Z56).

Probleme in Bezug auf die wirtschaftliche Lage (ICD-10: Z59).

 

In der zuletzt ausgeübten Tätigkeit als Mitarbeiter in der Spedition der Firma I.___ mit regelmässigem Heben von Gewichten sei der Versicherte aus interdisziplinärer Sicht nicht mehr arbeitsfähig. Retrospektiv könne mit überwiegender Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass die qualitativen Einschränkungen der zumutbaren Arbeitsfähigkeit abgesehen von den vorübergehenden, hospitalisationsbedingten und rekonvaleszenzbedingten Phasen einer Arbeitsunfähigkeit seit dem Schmerzereignis im Mai 2013 mit anschliessend am 17. Mai 2013 MR-verifizierter Rezidivhernie mit Kompression der L4-Wurzel bestünden. In einer dem körperlichen Leiden optimal angepassten, rückenschonenden Tätigkeit, wechselbelastend, nicht nur sitzend nur stehend, ohne Heben Schieben von Lasten über 7 kg mit der Möglichkeit der Wahrnehmung von über das übliche Mass hinausgehenden Pausen sei der Versicherte aus interdisziplinärer Sicht zu 100 % arbeitsfähig.

 

6.2.7  Im Bericht betreffend MRI der LWS vom 29. Februar 2016 (IV-Nr. 99, S. 20) wurde festgehalten, im Vergleich zur Voruntersuchung vom 17. März 2014 zeige sich eine Rezidiv-Hernie auf Höhe LWK 1/5 rechts rezessal bei vorbestehender breitbasiger Bandscheibenprotrusion mit beidseits foraminalen Ausläufern. Hierdurch komme es zu einer Kompression der L5 Wurzel rechts rezessal auf dieser Segmenthöhe. Sonst bestünden mässige degenerative Veränderungen der Facettengelenke ohne Zeichen einer entzündlichen Aktivierung sowie eine multisegmentale Diskopathie LWK 2 – SWK 1 mit leichter Dehydratation der Bandscheiben, mit umschriebenem Einriss des Anulus fibrosus der Bandscheibe LWK 3/4 und konsekutiver umschriebener medianer Protrusion, konstant im Vergleich zur Voruntersuchung. Keine Affektion der Nervenwurzeln. Breitbasige Protrusion LWK 5/SWK 1 mit vorbestehender medianer Hernie, die in der aktuellen Untersuchung rechtsparamedian leicht zunehmend sei und die die S1 Wurzel im rezessal im Bereich tangiere.

 

6.2.8  Dr. med. G.___ führte in seinem Bericht vom 15. März 2016 (IV-Nr. 99, S. 21) aus, bei der neurologischen Untersuchung zeige sich keine Parese und der Fersen- und Zehenspitzengang sei beidseits gut möglich. Hypästhesie L5 rechts. Reizlose Wundverhältnisse. Aufgrund der zunehmenden Beschwerdesymptomatik und der radikulären Reizung in Verbindung mit der Bildgebung habe er dem Beigeladenen die ReDiskektomie L4/5 wie auch die Dekompression L5/S1 rechts zur Freilegung der Wurzel L5 und S1 rechts angeboten. Der Eingriff sei für den 2. Mai 2016 geplant.

 

6.2.9  Gemäss Operationsbericht von Dr. med. G.___ vom 2. Mai 2016 (IV-Nr. 99, 23) wurden beim Beigeladenen eine Re-Diskektomie und Re-Dekompression L4/5 rechts sowie Dekompression und Diskektomie L5/S1 rechts durchgeführt.

 

6.2.10  Im Austrittsbericht des F.___, Klinik für Rheumatologie und Rehabilitation, vom 31. Mai 2016 (IV-Nr. 99, S. 25), wo der Beigeladene vom 10. – 21. Mai 2016 zur Rehabilitation hospitalisiert war, wurde ausgeführt, als Rehaziel seien als Voraussetzungen für die Rückkehr nach Hause die weitere Schmerzlinderung unter konsequenter Umsetzung der Rückendisziplin, eine Gehstrecke von mindestens 250 m ohne Hilfsmittel, das Treppensteigen über ein Stockwerk sowie die Wiedereingliederung in den selbständigen Alltag gemeinsam besprochen worden. Der stationäre Verlauf habe sich komplikationslos bezüglich des Zugewinns an Funktionalität und Schmerzverlauf gestaltet, so dass die analgetische Therapie mit Voltaren und Dafalgan schrittweise habe reduziert werden können. Der Beigeladene habe die Rückendisziplin motiviert umgesetzt. Das Treppensteigen über 44 Treppenstufen sei sicher möglich gewesen. Die Schmerzintensität sei bei Eintritt bis zu 3/10 NRS sowie bei Austritt mit 1 – 2/10 NRS angegeben worden. Die Gehstrecke von knapp 100 – 150 m bei Eintritt habe auf 500 m ohne Hilfsmittel gesteigert werden können. Der Beigeladene habe am 21. Mai 2016 in gebessertem Allgemein- und Funktionszustand in die anschliessende ambulante Weiterbehandlung ins häusliche Umfeld entlassen werden können.

 

6.2.11  Im Bericht von Dr. med. G.___ vom 16. November 2016 (IV-Nr. 128, S. 11) wurden folgende Diagnose gestellt:

 

-       Aktuell: Rezidiv Diskushernie L4/5 rechts mit radikulärem Reizsyndrom S1 rechts bei

·         Status nach Re- Diskektomie und Re- Dekompression L4/5 rechts sowie Dekompression und Diskektomie L5/S1 rechts am 2. Mai 2016 bei

·         radikulärem Reizsyndrom L5 und S1 rechts

·         Rezidiv-Diskushernie L4/5 rechts

·         kleiner mediolateral rechtsseitiger Diskushernie L5/S1 rechts

·         Status nach partieller Diskektomie und Dekompression L4/5 rechts 04/2012

-       Adipositas per magna

 

Der Beigeladene stelle sich heute bei persistierenden radikulären Reizungen und einem positiven Lasegue rechts noch einmal mit der aktuellen Bildgebung vor. Hier zeige sich eine kleine Rezidiv-Diskushernie L4/5 rechts. Die Rückenschmerzen hätten sich deutlich konsolidiert, so dass er, Dr. med. G.___, dem Beigeladenen angeboten habe, hier noch einmal eine Re- Diskektomie durchzuführen. Das Bandscheibensegment sei hier deutlich osteochondrotisch verändert und es sei gerechtfertigt, hier noch einmal eine reine Diskektomie anzustreben ohne stabilisierende Massnahme. Dies auch gerade im Hinblick auf die Situation in Höhe L5/S1 und in Höhe L3/4. In Höhe L5/S1 bestehe der Zustand nach Dekompression und somit sei das Segment als geschwächt zu betrachten. Des Weiteren zeige sich eine deutliche Protrusion mit anulärem Einriss in Höhe L3/4. Hier sei mit einer hohen Wahrscheinlichkeit von einer Anschlussdegeneration auszugehen, so dass er, Dr. med. G.___, primär ein rein dekompressives Verfahren wählen würde. Im Übrigen habe er, Dr. med. G.___, die Arbeitsunfähigkeit zu 75 % bis Ende dieses Jahres verlängert.

 

6.2.12  Dr. med. G.___ führte in seinem Bericht vom 16. März 2017 (IV-Nr. 128, S. 9) aus, der Beigeladene gebe weiterhin an, unter belastungsabhängigen, derzeit jedoch erträglichen Lumboischialgien rechts, entsprechend L5, zu leiden. Zusätzlich bestehe eine bekannte leichte Hypästhesie, entsprechend L4 rechtsseitig. In den letzten vier Wochen habe sich eine diskrete Fussheberschwäche rechts eingestellt, die nicht vorbestehend gewesen sei. Die Lumbolschialgien hätten sich nicht wesentlich gebessert. Hier bestehe weiterhin ein Zeichen nach Lasegue bei 20° rechts. Es bestünden Hypästhesien, entsprechend L4 rechts wie auch eine leichte Fussheber- und Grosszehenheberparese Kraftgrad 4 rechts. Aus chirurgischer Sicht und in Bezug auf die fokal-neurologischen Defizite wie auch die radikuläre Reizung wäre eine Re-Diskektomie anzustreben. Der Beigeladene sei hier noch zurückhaltend und könne sich jederzeit, sollte er ein entsprechendes operatives Vorgehen wünschen, erneut an ihn, Dr. med. G.___, wenden. Bezüglich der Arbeitsfähigkeit würde auch durch eine erneute Intervention hier keine Verbesserung zu erreichen sein, so dass er, Dr. med. G.___, sich erlaubt habe, im Rahmen der IV-Anfrage eine allenfalls 50%ige Arbeitsfähigkeit für leichte bis mittelschwere Belastungen zu attestieren.

 

6.2.13  Im polydisziplinären H.___-Gutachten vom 7. November 2017 (IV-Nr. 143; Fachrichtungen: Innere Medizin, Neurologie, Rheumatologie) wurden folgende Diagnosen gestellt:

 

Diagnosen mit Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit

1.    Chronisches Iumbovertbrales bis teilweise Iumboradikuläres Schmerzsyndrom rechts mit/bei:

-       degenerativen LWS-Veränderungen

-       Status nach erweiterter interlaminärer Fensterung sowie Disk- und Sequestrektomie L4/L5 rechts bei grosser mediolateraler rechtsseitiger Diskushernie L4/L5 am 23. April 2012

-       Status nach Re-Diskektomie je und Re-Dekompression L4/L5 rechts sowie Dekompression und Diskektomie L5/S1 rechts wegen Rezidivhernie mit möglicher L4-Wurzelkompression am 2. Mai 2016

-       Rezidivhernie L4/5 rechts (MRI 10/2016) postoperativ mit radikulärer Reizsymptomatik L4 und L5 mit leichter Fussheberparese rechts sowie Reflexausfall S1 rechts.

 

Diagnosen ohne Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit

2.      Metabolisches Syndrom mit / bei

-       Adipositas Grad I nach WHO (BMI von 34.2 kg/m2).

-       Dyslipidämie

-       nicht alkoholische Steatohepatose (NASH).

3.      Varikosis crurum beidseits.

4.      Anamnestisch Asthma bronchiale.

5.      Status nach laparoskopischer Cholezystektomie 2010.

6.      Status nach traumatischer Luxation im PIP IV links 2008.

7.      Status nach Meningitis mit Epilepsie 1995.

8.      Status nach Bandplastik OSG rechts 1986, abgeheilt.

         

Zur Beurteilung wurde ausgeführt, die im Rahmen der aktuellen interdisziplinären Begutachtung durchgeführte allgemein-internistische Untersuchung ergebe das Bild eines etwas leichteren, aber immer noch deutlich adipösen Versicherten mit einem aktuellen Body-Mass-Index von 34.2 kg/m2, was einer Adipositas Grad 1 nach WHO entspreche. Klinisch sei der Versicherte nach wie vor normoton, normokard und kardiopulmonal kompensiert. Die Laborwerte seien im Wesentlichen unverändert. Es bestehe nach wie vor eine Dyslipidämie. Im Vergleich zu 2015 hätten sich aber die Leberwerte verbessert bzw. praktisch normalisiert. Auch bestehe keine dia-betische Stoffwechsellage mehr. Durch die moderate Gewichtsabnahme dank der jetzt durchgeführten Diät habe sich somit die metabolische Situation etwas verbessert. Aus internistischer Sicht bestehe aber nach wie vor keine Diagnose, welche einen Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit des Versicherten hätte. Bei der rheumatologischen Untersuchung fänden sich pathologische Befunde vor allem im Bereich der Wirbelsäule mit starker schmerzhafter LWS-Beweglichkeitseinschränkung, aber auch neurologischen Ausfällen mit leichter Fussheberparese auf der rechten Seite sowie einer Hyposensibilität am medialen Unterschenkel rechts. Die eingeschränkten Funktionen, insbesondere nur 10 – 15 Minuten Stehen und nur fünf Minuten Gehen, seien ebenfalls neu, aber glaubwürdig. Gegenüber der Vorbegutachtung im Sommer 2015 stelle sich heute einerseits klinisch eine Verschlechterung der Beweglichkeit der LWS dar, andererseits finde man heute gegenüber vor zwei Jahren eindeutige neurologische Ausfälle und drittens habe sich auch die Bildgebung verschlechtert. Demzufolge sei dem Versicherten aus rein rheumatologischer Sicht in seiner angestammten Tätigkeit keine Arbeitsfähigkeit mehr zu attestieren. In einer optimal angepassten adaptierten Tätigkeit, vorwiegend sitzend, wechselbelastend, ohne Heben und Schieben von Lasten über 3 kg, mit vermehrten Pausen, sei dem Versicherten jedoch eine 70%ige Restarbeitsfähigkeit zu attestieren. Die 30 % gingen auf Kosten vermehrter Pausen und man erachte nach zwei Stunden vorwiegend sitzender und wechselbelastender Tätigkeit eine einstündige Pause als indiziert. Demzufolge bestehe aus rein rheumatologischer Sicht eine 70%ige Restarbeitsfähigkeit. Bei der neurologischen Untersuchung falle eine leichte Parese der Wadenmuskulatur und der Zehenbeugung rechts auf, welche von einem ASR-Ausfall rechts begleitet sei und somit gut auf das Dermatom S1 zu beziehen sei. Auch die Schmerzverteilung der vom Versicherten berichteten radikulären Schmerzsymptomatik lasse sich gut mit dem Dermatom S1 rechts vereinbaren. Zudem bestehe die bereits mehrfach aktenkundige leichte Hypästhesie an der Unterschenkelinnenseite entsprechend dem Dermatom L4 rechts. Die Parese der Fuss- und Grosszehenheber rechts, wie von Herrn Dr. med. G.___, Facharzt für Neurochirurgie, in seinem Bericht vom 16. März 2017 beschrieben, sei aktuell nicht sicher nachvollziehbar. Hingegen könne das Lasègue-Zeichen in ähnlichem Ausmass auch aktuell ausgelöst werden. Die Schmerzen würden vom Versicherten ohne Anhalt für höhergradige Symptomausweitung in weitgehend plausibler Art und Weise vorgetragen. Die degenerativen LWS-Veränderungen mit radikulärer Schmerz- und Ausfallsymptomatik am rechten Bein hätten gegenüber der ersten Begutachtung durch das H.___ im August 2015 weiter zugenommen Eine behinderungsangepasste, leichte bis mittelschwere, überwiegend sitzende Tätigkeit, sei aus neurologischer Sicht nur noch in einem 70%igen Pensum zumutbar, sofern Möglichkeiten von Pausen zur Entlastung eingeräumt werden könnten. Zusammenfassend und unter Berücksichtigung aller Gegebenheiten und Befunde sei der Versicherte aufgrund seiner Rückenproblematik in seiner angestammten Tätigkeit als Speditionsmitarbeiter nach wie vor zu 100 % arbeitsunfähig. In einer optimal angepassten adaptierten Tätigkeit, vorwiegend sitzend, wechselbelastend, ohne Heben und Schieben von Lasten über 3 kg, mit vermehrten Pausen, sei ihm hingegen aus rheumatologischer und neurologischer Sicht eine 70%ige Restarbeitsfähigkeit zu attestieren. Retrospektiv habe sich der Gesundheitszustand des Versicherten gegenüber der Vorbegutachtung im Sommer 2015 verschlechtert. Einerseits sei es klinisch zu einer Verschlechterung der Beweglichkeit der LWS gekommen, andererseits liessen sich neu eindeutige neurologische Ausfälle mit radikulärer Schmerz- und Ausfallsymptomatik am rechten Bein objektivieren. Auch bildgebend hätten die degenerativen LWS-Veränderungen gegenüber der ersten Begutachtung durch das H.___ im August 2015 weiter zugenommen. Die vorgenannte Einschätzung der Arbeitsfähigkeit gelte ab März 2017.

 

6.2.14  In seiner Stellungnahme vom 25. Januar 2018 (IV-Nr. 149) hielt Dr. med. Q.___, Facharzt Allgemeine Medizin FMH, RAD, fest, das Gutachten des H.___ sei insgesamt schlüssig und nachvollziehbar. Aus rheumatologischer Sicht fänden sich gegenüber der Vorbegutachtung von 2015 eine Verschlechterung der Beweglichkeit der LWS, eindeutige neurologische Ausfälle und eine Verschlechterung der Bildgebung. Deshalb sei nun auch in einer angepassten Tätigkeit die Arbeitsfähigkeit nicht mehr voll gegeben, sondern auf 70 % reduziert. Auch der neurologische Gutachter stelle die oben aufgeführten Verschlechterungen fest und komme zur gleichen Einschränkung der Arbeitsfähigkeit auf 70 % in angepasster Tätigkeit. Als Beginn der Restarbeitsfähigkeit von 70 % in der angepassten Tätigkeit werde das Begutachtungsdatum angegeben. Dies sei jedoch unrealistisch, sei doch die beschriebene Verschlechterung mit der 1. Rezidivhernie, welche am 2. Mai 2016 operiert worden sei, und sodann mit der 2. Rezidivhernie am 16. November 2016, eingetreten. Somit sei ab dem 2. Mai 2016 von einer Arbeitsfähigkeit von 70 % auszugehen. Sodann sei auf die Einwände des Rechtvertreters des Beigeladenen einzugehen. Dieser beanstande die Pausenangaben im Gutachten. Doch eine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit um 30 % infolge vermehrter Pausen ergebe 2,4 Std Pause. Hier sei also eine längere Pause von einer Stunde nach zwei Stunden Arbeitszeit möglich. Dann würden noch fünf Stunden Arbeitszeit verbleiben, die ebenfalls von total 1,4 Std Pausen unterbrochen werden sollten. Das formulierte Zumutbarkeitsprofil für eine leichte bis mittelschwere Arbeit sei bei Rückenleiden so üblich und entspreche diversen möglichen Tätigkeiten.

 

6.2.15  Im Bericht des R.___, Psychosomatik, vom 23. Oktober 2018 (IV-Nr. 176) wurden folgende Diagnosen gestellt:

 

-       Anpassungsstörung mit Angst und Depression gemischt (ICD 10 F43.22)

·         bei multiplen psychosozialen Belastungen

-       Erneut aufgetretenes Stottern (F98.5)

-       V.a. anteilige somatoforme Schmerzstörung (F45.4)

 

Der Beigeladene sei durch die momentane psychosoziale Belastungssituation mit langwierigem IV-Verfahren und finanziellen Problemen sowie anhaltenden Schmerzen im Lumbalbereich sehr belastet. Gesamthaft zeige sich ein ängstlich depressives Zustandsbild mit vermehrtem Grübeln, einer Zunahme von Schuld- / Scham- und Insuffizienzgefühlen sowie einem erneuten Auftreten eines aus der Kindheit bekannten Stotterns. Letzteres habe sich im Rahmen der Exploration vor allem in Abhängigkeit zu belastenden Themen in Form einer Dysarthrie und Wortwiederholungen gezeigt. Durch das Stottern scheine der Beigeladene in eine Art Teufelskreislauf zu gelangen, wobei eine zunehmende Anspannung und Unsicherheit im sozialen Kontakt das Stottern begünstigt habe und andererseits durch das Stottern die Unsicherheit nochmals zugenommen habe. Vor diesem Hintergrund sei es sehr gut nachvollziehbar, dass die IV-Abklärungen für den Beigeladenen eine besondere Belastung darstellten. Die Eigenbeurteilung des Gesundheitszustands sei sehr schlecht ausgefallen, was den auch klinisch wahrnehmbaren Leidensdruck des Beigeladenen unterstreiche. Zudem scheine eine somatoforme Schmerzkomponente zu bestehen. Im Hintergrund bestehe eine schwierige Lebensgeschichte mit Entwertung, Demütigung und physischer Gewalt seitens Mitschülern, Lehrern und Eltern. Auf Grundlage dessen habe sich sehr wahrscheinlich eine große Selbstwertproblematik und Unsicherheit im zwischenmenschlichen Kontakt, unter anderem ausgedrückt in der Annahme «ich bin nichts wert» entwickelt, was im Zusammenhang mit der aktuellen Lebenssituation verstärkt aktiviert werde. Ob eine soziale Phobie bestehe, könne momentan nicht sicher gesagt werden. Es sei momentan eher von einer Beeinträchtigung der Persönlichkeitsentwicklung i.R. der Biografie und der Selbstwertproblematik auszugehen.

 

6.2.16  Im Bericht der J.___ Klinik, [...], vom 27. November 2018 betreffend die Evaluation der funktionellen Leistungsfähigkeit (EFL, IV-Nr. 178) wurden von der Rheumatologin, Dr. med. S.___ folgende Diagnosen gestellt:

 

-       Chronisches Lumbovertebrales bis radikuläres Schmerz- und sensomotorisches Ausfallsyndrom

-       Fussheberparese rechts M3-4 (motorische Parese Wurzel LS), Quadricepsschwäche rechts M4 (motorische Parese Wurzel L4) und Hypästhesie Unterschenkel Innenseite rechts (Dermatom L4)

-       Fortgeschrittene Osteochondrosen und Spondylarthrosen, ins. L4/5 und L5/S1, mit Verdacht auf foraminale Enge insbesondere L4/5

-       23. April 2012: Operation: Erweiterte interlaminäre Fenestrierung, Disk- und Sequesterektomie L4/5 rechts bei grosser mediolateraler rechtsseitiger Diskushernie L4/5, Dr. med. G.___

-       2. Mai 2016: Operation: Re-Diskektomie u. Re-Dekompression L4/S rechts, Dekompression u. Diskektomie L5/S1 rechts bei Rezidivhernie mit möglicher L4-Wurzelkompression, Dr. med. G.___

-       26. Oktober 2016: MRI LWS: Rezidivhernie L4/5 rechts, mit radikulärer Reizsymptomatik L4 und L5

-        Exacerbation eines latenten Stotterns am 7. September 2018 (Hospitalisation Neurologie R.___)

-       Bei psychosozialer Belastungssituation

-       Adipositas, BMI 37.8 (128 kg, 184 cm)

-       Radiologisch beginnende Coxarthrosen, bisher asymptomatisch

 

Nebendiagnosen:

-       Varicosis crurum bds

-       St. n. laparoskopischer Cholezystektomie 2010

-       St.n. traumatischer Luxation PIP IV links 2008

-       St.n. Meningitis und Epilepsie 1995

-       St.n. Bandplastik OSG rechts 1986, keine Residuen

 

Einleitend führte Dr. med. S.___ aus, ein umfangreiches Aktendossier sei ihnen von der IV zugestellt und gesichtet worden. Da man aber keinen gutachterlichen Auftrag, sondern lediglich den Auftrag zur Durchführung einer EFL erhalten habe, könne das Dossier nicht einem Gutachten entsprechend aufgearbeitet werden. Es werde auf die erstellten Gutachten des H.___, datiert vom 6. November 2015 und 7. November 2017, mit den entsprechenden anamnestischen Angaben und auf den Einwand des Rechtsvertreters vom 22. März 2018 auf den Vorbescheid der IV vom 20. Februar 2018 verwiesen, wo ein Invaliditätsgrad von 31 % berechnet werde. Weiter hielt Dr. med. S.___ zur Beurteilung fest, bei diesem 48-jährigen Mann persistiere, nach zweimaligen dekomprimierenden Eingriffen auf Höhe L4/5 und beim zweiten Mal auch L5/S1, ein chronisches lumbovertebrales Schmerzsyndrom mit radikulärer Komponente und einer als Claudicatio spinalis / radikularis anmutenden Symptomatik. Als Ausdruck der radikulären Symptomatik bestehe eine Fussheberparese rechts (M3-4), was der Nervenwurzel L5 entspreche, und eine Schwäche der Oberschenkelmuskulatur, insbesondere Quadriceps, mit einer Sensibilitätsstörung am medialen Unterschenkel, was der Wurzel L4 entspreche. Diese Befunde passten zu einer foraminalen Enge auf Höhe des am stärksten degenerativ veränderten Segmentes L4/5. In der MRI Bildgebung vom Oktober 2016 werde zudem eine beginnende Diskopathie auch des darüber liegenden Segmentes L3/4 beschrieben. Nach dem letzten Eingriff vom Mai 2016 sei es zu einem Rezidiv gekommen und es sei nochmals ein dekomprimierender Eingriff, ev. zusammen mit einer Fusion diskutiert worden. Da für den Beigeladenen die Beschwerden aber mehrheitlich konstant geblieben seien, habe er sich bisher nicht zu einem solchen Eingriff mit ungewissem Erfolg entschliessen können. Anamnestisch bestehe eine verminderte Belastbarkeit und insbesondere eine Einschränkung bei körperlichen Aktivitäten. Bücken bereite grosse Schwierigkeiten bei deutlich eingeschränkter Beweglichkeit. Auch längeres Sitzen werde schlecht toleriert. Beim Gehen nähmen die Schmerzen nach ca. 15 min zu, mit Ausstrahlung ins rechte Bein. Die Benützung von Walkingstöcken erlaube eine längere Gehzeit. Die Einschränkungen würden in der EFL-Dokumentation detailliert beschrieben. Durch die sozial unbefriedigende Situation, mit Abhängigkeit vom Sozialamt, nach Kündigung der letzten Anstellung im Jahr 2014, nicht umsetzbaren Vorgaben anlässlich des letzten Gutachtens im Jahr 2017 und bisher Ausbleibens einer IV-Rente durch berechneten Invaliditätsgrad von 31 %, sei es zu einer zunehmenden psychischen Dekompensation gekommen, was sich im Wiederauftreten eines Stotterns manifestiere (Bericht über notfallmässige Hospitalisation Neurologie R.___, 09/2018). Diagnostisch empfehle sie, Dr. med. S.___, eine neurologisch-elektrophysiologische Standortbestimmung bezüglich der radikulären Ausfallsymptomatik, mit Frage nach chronischen bzw. akuten Denervationen der Wurzeln L4 und L5 rechts, dies auch im Hinblick auf die Diskussion eines erneuten operativen Vorgehens. Eine Verlaufs-MRI wäre sinnvoll zur Abschätzung der Progredienz der foraminalen Enge. Therapeutisch könnten zusätzlich zu der etablierten Physiotherapie und medizinischen Trainingstherapie wiederum Steroidinfiltrationen versucht werden, einerseits der betroffenen Fazettengelenke, anderseits auch der Nervenforamina, insb. L4/5 rechts od. epidurale Infiltration. Je nach elektrophysiologischem Befund und Schmerzentwicklung wäre eine erneute Standortbestimmung durch einen versierten Wirbelsäulenchirurgen sinnvoll, im Hinblick auf die Erfolgsaussichten eines erneuten dekomprimierenden und allenfalls stabilisierenden Eingriffes. Die im letzten Gutachten attestierte Arbeitsfähigkeit von 70 % in einer leidensangepassten Tätigkeit sei zu hoch angesetzt und nicht umsetzbar. Aktuell sei in einer angepassten Tätigkeit von einer ca. 30%igen Leistungsfähigkeit auszugehen, bei halbtägiger Präsenz. Ob nach einem erneuten operativen Eingriff die Leistungsfähigkeit gesteigert werden könnte, hänge vom Verlauf ab.

Unter «Schlussfolgerungen und Empfehlungen» wurde von Dr. med. S.___ und Herrn T.___, Therapeut Ergonomie, ausgeführt, es bestünden folgende arbeitsrelevante Probleme: Verminderte Belastungstoleranz im Bereich der Lendenwirbelsäule, verminderte Beinkraft rechts, Funktionsstörung im Bereich des rechten Fusses mit deutlich eingeschränkter muskulärer Stabilisierung. Die Belastungstoleranz im Bereich der Lendenwirbelsäule mit dermatombezogenen ausstrahlenden Schmerzen bis in den Bereich des rechten Fusses nehme im Testverlauf stark ab und sei am zweiten Testtag deutlich tiefer als am ersten Testtag. Bei Tests sei ein deutliches Schonverhalten im Bereich des rechten Beines beobachtet worden. Der Klient berichte über Angst vor den einschiessenden Schmerzen im Bereich des rechten Beines und es sei ein damit einhergehender Kraftverlust mit Sturzfolge beobachtet worden. Die standardisierte Bewertung der Bereiche Beschreibung von Schmerz und Einschränkungen, Schmerzverhalten, Leistungsverhalten und Konsistenz, habe keine Symptomausweitung ergeben. Es bestünden starke Einschränkungen in fast allen Testbereichen beim Hantieren von Gewichten, bei der Haltung und Beweglichkeit und bei der Fortbewegung. Zudem bestehe eine kaum verwertbare Arbeitsfähigkeit in einer stehenden Ausgangsstellung aufgrund sehr vielen Arbeitsunterbrechungen mit Einnahme von entlastenden Ausgangsstellungen. Zudem liege eine deutlich unterschiedliche Belastungstoleranz im Bereich der Lendenwirbelsäule an den beiden Testtagen mit stark abnehmender Belastungstoleranz im Bereich der Lendenwirbelsäule am 2. Testtag vor. Sodann bestünden folgende spezielle Einschränkungen: Leichte Arbeit – vorwiegend sitzende Arbeit, wechselpositioniert; Heben Boden zu Taillenhöhe, nie; Heben Taillen- zu Kopfhöhe, 5 kg, seIten; Heben horizontal, 7.5 kg, seIten; Tragen rechte Hand, 2.5 kg, seIten; Tragen linke Hand, 5 kg, selten; Tragen vorne, 7.5 kg, selten; Hantieren von Gewichten bei Heben Taillen- zu Kopfhöhe, Heben horizontal, Tragen links und Tragen vorne höchstens im Bereich manchmal; Hantieren von Gewichten bei Tragen rechts höchstens im Bereich selten; Sitzen, oft, bis 6 Stunden / Tag, wechselpositioniert; Rotation im Stehen nach rechts und Rotation im Sitzen nach rechts, 3 Stunden / Tag, manchmal; Stehen und Gehen, Gehen, 3 Stunden / Tag, manchmal, wechselpositioniert; Arbeit über Schulterhöhe, vorgeneigt Stehen, vorgeneigt Sitzen, Kriechen, Knien, Hockestellung, wiederholte Kniebeugen, Stossen, Ziehen, Treppen steigen, ½ Stunde / Tag, selten; Stehen an Ort, 1/2 Stunde / Tag, selten, wechselpositioniert; Keine hohen Anforderungen an das Gleichgewicht.

 

6.2.17  In ihrer Stellungnahme vom 13. Dezember 2018 (IV-Nr. 184) führte Dr. med. U.___, Fachärztin für Allgemeinmedizin und Arbeitsmedizin, RAD, aus, der RAD schliesse sich der EFL-Einschätzung an: Die im letzten Gutachten attestierte Arbeitsfähigkeit von 70 % in einer leidensangepassten Tätigkeit sei zu hoch angesetzt und nicht umsetzbar. In einer angepassten Tätigkeit sei von einer ca. 30%igen Leistungsfähigkeit auszugehen, bei halbtägiger Präsenz, dies ebenfalls ab Mai 2016. Ob nach einem erneuten operativen Eingriff die Leistungsfähigkeit gesteigert werden könnte, hänge vom Verlauf ab.

 

6.2.18  In ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 7. Mai 2019 hielt Dr. med. U.___ vom RAD ergänzend fest, bei der Durchführung der EFL sei es um die Objektivierung des Sachverhaltes / Einwandes, gegangen, wonach die nachfolgend genannte Diskrepanz in der Vor-Beurteilung des RAD nicht miteinbezogen worden sei: Die Feststellungen durch die Eingliederungsfachpersonen seien im Gutachten nicht diskutiert worden und es werde auch nicht Stellung genommen zur Diskrepanz zwischen der Tatsache, dass der Beigeladene in einer einfachen Tätigkeit, welche dem von den Gutachtern aufgestellten Anforderungsprofil zu entsprechen scheine, trotz Bereitschaft und Motivation nie über ein 25%-Pensum hinausgekommen sei, ihm andererseits aber eine 70%ige Arbeitsfähigkeit zumutbar sein solle. Der Versicherte habe bei der ESB Promonta einem 25%-Pensum entsprechend sitzend Teile aus Plastik stanzen und einräumen müssen. Wegen der Rückenschmerzen habe er immer wieder Pausen machen müssen. Die H.___-Gutachter beschrieben als Verweistätigkeit eine vorwiegend sitzende Tätigkeit, was aus versicherungsmedizinischer und arbeitsmedizinischer Sicht nicht nachvollzogen werden könne, da bei dem Beschwerdebild des Versicherten eine vorwiegend sitzende Tätigkeit (wie bei dem Versicherten eingetreten) Schmerzen provoziert würde. Es sollten daher streng wechselbelastende Tätigkeiten (Sitzen im spez. Hochstuhl, rückenschonender Ball etc.) Gehen, Stehen, stattfinden mit ausreichender Pausengestaltung und leichten Tätigkeiten (max. 3 kg Belastung). Insofern verwundere das Beschwerdebild bei überwiegend sitzender Tätigkeit aus arbeitsmedizinischer Sicht nicht und werde durch die Ergebnisse der aktuellen objektvierten EFL gestützt.

 

7.         Die Beschwerdegegnerin stützt sich in ihrem angefochtenen Entscheid einerseits auf das Gutachten des H.___ vom 7. November 2017 (IV-Nr. 143) und andererseits auf die Evaluation der funktionellen Leistungsfähigkeit in der J.___ Klinik vom 27. November 2018 (IV-Nr. 178), weshalb deren Beweiswert zu prüfen ist. Die nachfolgenden Ausführungen werden inhaltlich dem Zwischenentscheid vom 11. November 2020 (A.S. 116 ff.; vgl. E. I 11 hiervor) entnommen.

 

7.1    

7.1.1    Das Gutachten des V.___ vom 7. November 2017 gelangt zu schlüssigen Ergebnissen, welche in einer verständlichen Weise hergeleitet werden. Die Gutachter legen nachvollziehbar dar, dass sich der Gesundheitszustand des Versicherten gegenüber der Vorbegutachtung im Sommer 2015 verschlechtert habe. Einerseits sei es klinisch zu einer Verschlechterung der Beweglichkeit der LWS gekommen, andererseits liessen sich neu eindeutige neurologische Ausfälle mit radikulärer Schmerz- und Ausfallsymptomatik am rechten Bein objektivieren. Auch bildgebend hätten die degenerativen LWS-Veränderungen gegenüber der ersten Begutachtung durch das V.___ im August 2015 weiter zugenommen. Des Weiteren lassen sich gestützt auf die gutachterliche Befund- und Anamneseerhebung sowie die Diagnosestellung auch das gutachterlich attestierte Zumutbarkeitsprofil und die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit grundsätzlich nachvollziehen. Die Gutachter gelangen zum Ergebnis, zusammenfassend und unter Berücksichtigung aller Gegebenheiten und Befunde sei der Versicherte aufgrund seiner Rückenproblematik in seiner angestammten Tätigkeit als Speditionsmitarbeiter nach wie vor zu 100 % arbeitsunfähig. In einer optimal angepassten adaptierten Tätigkeit, vorwiegend sitzend, wechselbelastend, ohne Heben und Schieben von Lasten über 3 kg, mit vermehrten Pausen, sei ihm hingegen aus rheumatologischer und neurologischer Sicht eine 70%ige Restarbeitsfähigkeit zu attestieren. Seitens des Beigeladenen und auch der Ärztin Dr. med. W.___ vom Regionalen Ärztlichen Dienst der IV (RAD) wurde aber zu Recht bemängelt, dass die Gutachter nicht zu den Ergebnissen des über längere Zeit hinweg durchgeführten Arbeitstrainings in der Eingliederungsstätte X.___ Stellung nahmen, in welchem der Beigeladene nur ein Pensum von 25 % erreicht habe (vgl. Abschlussberichte vom 9. Januar 2017 und 19. Juni 2017; IV-Nr. 121.8 und 140). Anscheinend lagen die Abschlussberichte den Gutachtern bei der Erstellung ihrer Expertise gar nicht vor (vgl. die Auflistung der Akten, IV-Nr. 143 S. 2).

 

7.1.2    In der Folge veranlasste die Beschwerdegegnerin im November 2018 eine Evaluation der funktionellen Leistungsfähigkeit in der Y.___ Klinik. Sie führte zu einem Ergebnis, welches erheblich von demjenigen des V.___-Gutachtens abwich. Namentlich wurde die Arbeitsfähigkeit in einer angepassten Tätigkeit auf lediglich 30 % geschätzt. Der Bericht über die EFL vom 21. November 2018 (IV-Nr. 178) umfasst 18 Seiten (er findet sich dreifach im Dokument IV-Nr. 178). Diese sind gegliedert in einen Bericht über eine ärztliche Untersuchung durch Dr. med. S.___, Fachärztin FMH für Rheumatologie sowie für physikalische Medizin und Rehabilitation, vom 16. November 2018, eine Beschreibung und Auswertung der Ergebnisse der durchgeführten Tests vom 20. / 21. November 2018 sowie einen Abschnitt «Schlussfolgerungen und Empfehlungen».

 

7.1.2.1 Im Bericht über die rheumatologisch-rehabilitative Untersuchung vom 16. November 2018 (IV-Nr. 178 S. 2 ff.) hält Dr. med. S.___ fest, beim Beigeladenen persistiere nach zweimaligen dekomprimierenden Eingriffen auf Höhe L4/5 (beim zweiten Mal auch L5/S1) ein chronisches lumbovertebrales Schmerzsyndrom mit radikulärer Komponente und einer als Claudicatio spinalis/radikularis anmutenden Symptomatik. Als Ausdruck der radikulären Symptomatik bestehe eine Fussheberparese (M 3-4), was der Nervenwurzel L5 entspreche, und eine Schwäche der Oberschenkelmuskulatur. Diese Befunde passten zu einer foraminalen Enge auf Höhe des am stärksten degenerativ veränderten Segmentes L4/5. In der MRI-Bildgebung vom Oktober 2016 werde zudem eine beginnende Diskopathie auch des darüber liegenden Segments L3/4 beschrieben. Diagnostisch werde eine neurologisch-elektrophysiologische Standortbestimmung bezüglich der radikulären Ausfallsymptomatik empfohlen, mit Frage nach chronischen bzw. akuten Denervationen der Wurzeln L4 und L5 rechts, dies auch im Hinblick auf die Diskussion eines erneuten operativen Vorgehens. Eine Verlaufs-MRI wäre sinnvoll zur Abschätzung der Progredienz der foraminalen Enge. Zur Arbeitsfähigkeit führt Dr. med. S.___ aus, die im letzten Gutachten angesetzte Arbeitsfähigkeit von 70 % in einer leidensangepassten Tätigkeit sei zu hoch angesetzt und nicht umsetzbar. Aktuell sei in einer leidensangepassten Tätigkeit von einer ca. 30%igen Leistungsfähigkeit auszugehen, bei halbtätiger Präsenz. Ob nach einem erneuten operativen Eingriff die Leistungsfähigkeit gesteigert werden könne, hänge vom Verlauf ab.

 

7.1.2.2 In einem Anhang 2 «Leistungsfähigkeit» lassen sich dem EFL-Bericht ausführliche Angaben zu den durchgeführten Tests, zum Verlauf und zu den erzielten Ergebnissen entnehmen. Ein Grossteil der Tests führte zu Problemen im Bereich der Lendenwirbelsäule und vor allem des rechten Beins (IV-Nr. 178 S. 14 ff.). Dieser Anhang wird ergänzt durch einen kurzen Anhang 1 («Umgang mit Schmerz, Leistungsverhalten und Konsistenz») sowie einen ebenfalls kurzen Anhang 3 («Symptome und Selbsteinschätzung der körperlichen Leistungsfähigkeit»). Basierend auf den im Anhang 2 beschriebenen Testergebnissen wird seitens der Untersucher in einer Auswertung zur arbeitsbezogenen Belastbarkeit Stellung genommen (IV-Nr. 178 S. 11 f.).

 

7.1.2.3 Der Bericht über die EFL mündet in die «Schlussfolgerungen und Empfehlungen», welche der Therapeut Ergonomie T.___, der offenbar die Tests durchgeführt hatte, und Dr. med. S.___ unterzeichneten. Sie gelangen zum Ergebnis, eine angepasste Tätigkeit sei im Rahmen einer Arbeitszeit von 50 % zumutbar. Dies sei begründet aufgrund starker Einschränkungen in fast allen Testbereichen beim Hantieren von Gewichten, bei der Haltung und Beweglichkeit und bei der Fortbewegung, einer kaum verwertbaren Arbeitstätigkeit in einer stehenden Ausgangsstellung aufgrund sehr vieler Arbeitsunterbrechungen mit Einnahme von entlastenden Ausgangsstellungen sowie bei deutlich unterschiedlicher Belastungstoleranz im Bereich der Lendenwirbelsäule an den beiden Testtagen mit stark abnehmender Belastungstoleranz am zweiten Testtag. Es bestünden eine ganze Reihe von Einschränkungen an die zumutbare Tätigkeit.

 

7.1.3    Die Beschwerdegegnerin stützte sich in der anschliessenden Anspruchsbeurteilung auf die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit der Y.___ Klinik. In der Begründung führt sie aus, sie erachte das Gutachten des V.___ vom 7. November 2017 grundsätzlich als beweiswertig, weiche jedoch in Bezug auf die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit davon ab.

 

7.2

7.2.1    Wie erwähnt, muss davon ausgegangen werden, dass das Gutachten der V.___ vom 7. November 2017 in Unkenntnis der Ergebnisse der beruflichen Abklärungen und des Arbeitsversuchs bei der Eingliederungsstätte X.___ erstattet wurde. Die Resultate derartiger Abklärungen Eingliederungsversuche sind im Rahmen einer Begutachtung zu berücksichtigen und gegebenenfalls ist darzulegen, warum die Leistungsfähigkeit abweichend davon eingeschätzt wird. Dieser Anforderung wird das Gutachten nicht gerecht. Es bildet daher keine ausreichende Beurteilungsgrundlage. Ob sich der Mangel allenfalls hätte beheben lassen, indem die Beschwerdegegnerin den Abschlussbericht nachträglich den Gutachtern zugestellt und um Ergänzung des Gutachtens gebeten hätte, ist hier nicht zu prüfen, da sich dies in der aktuellen Situation ohnehin nicht mehr nachholen liesse. Es kommt hinzu, dass die inzwischen veranlasste Evaluation der funktionellen Leistungsfähigkeit zu stark abweichenden Resultaten führte, was – zumindest unter dem Aspekt einer zwischenzeitlichen Veränderung – ebenfalls Zweifel an der Verlässlichkeit des V.___-Gutachtens begründet. Dies gilt nicht nur für die Einschätzung der Leistungsfähigkeit, sondern auch für einzelne Befunde, wie etwa die Fussheberparese. Der Expertise des V.___ kann demnach kein voller Beweiswert beigemessen werden. Es besteht aber auch kein Anlass, ihr jegliche Aussagekraft abzusprechen, sondern sie ist im Rahmen der freien Beweiswürdigung – unter Berücksichtigung des erwähnten Mangels – zu berücksichtigen.

 

7.2.2    Zu prüfen bleibt, ob die Evaluation der funktionellen Leistungsfähigkeit respektive der entsprechende Bericht vom 27. November 2018 (IV-Nr. 178) eine hinreichende Grundlage für die abschliessende Anspruchsbeurteilung bildet.

 

7.2.2.1 Eine Evaluation der funktionellen Leistungsfähigkeit (EFL) hat das Ziel, die physischen Fähigkeiten, die für die Realisierung einer produktiven Arbeit notwendig sind, so objektiv wie möglich und ohne jede Gefährdung für den Probanden zu bestimmen. Sie misst die Fähigkeit eines Individuums, manuelle Tätigkeiten zu verrichten (wie Tragen, Heben, Stossen, Ziehen usw.) und schätzt den Zeitraum, währenddessen der Klient diese im Verlaufe eines ganzen Tages verrichten kann. Sie vermittelt danach Informationen über die funktionellen Begrenzungen und Leistungen. Diese werden mit den physischen Anforderungen eines mehrerer Arbeitsplätze verglichen, was für den Entscheid über die Wiederaufnahme einer beruflichen Tätigkeit hilfreich ist. Insofern ermöglicht sie den Beteiligten eine Auseinandersetzung mit den von der versicherten Person wahrgenommenen und den effektiv vorhandenen Beschränkungen und Potentialen. Weichen Selbst- und Fremdwahrnehmung voneinander ab, so stellt sich in der Regel die Frage, ob es dafür Erklärungen im psychischen Bereich gibt, und bejahendenfalls, ob diese ihrerseits Krankheitswert im Sinne der Invalidenversicherung haben. Damit sich aus der EFL verwertbare Erkenntnisse ergeben, ist allerdings eine gute Leistungsbereitschaft und ein konsistentes Verhalten der versicherten Person vorausgesetzt; falls es erkennbar daran mangelt, erscheint eine EFL wenig sinnvoll. Dabei ist zu beachten, dass eine EFL meist zusätzlich zu einer Begutachtung durchgeführt wird, und es in der Regel im Ermessen der Gutachter liegt, eine solche anzuordnen (vgl. Urteil des Bundesgerichts 8C_547/2008 vom 16. Januar 2009 E. 4.2). Bereits darin zeigt sich, dass eine EFL kaum je alleine als Grundlage für eine Beurteilung der Arbeitsfähigkeit dienen kann, sondern als Ergänzung zu einem Gutachten eine umfassende Abklärung des Sachverhaltes ermöglichen soll. Die EFL liefert den Ärzten wichtige Zusatzinformationen, diese müssen aber, damit sie zu langfristig validen Beurteilungen beitragen, auf die individuelle Realität der Patienten abgestimmt werden. Insofern kann die EFL die Einschätzung eines erfahrenen Arztes ergänzen, aber keinesfalls ersetzen (vgl. Büschel C./Greitmann B./Schaidhammer M., Stellenwert der Evaluation der funktionellen Leistungsfähigkeit nach Isernhagen [EFL] in der sozialmedizinischen Begutachtung des Leistungsvermögens, Teil 1: Möglichkeiten und Grenzen des Verfahrens nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft, in: Der Medizinische Sachverständige 104 5/2008, 216). Die Z.___ lehnte es denn auch am 8. Juni 2018 mit einer in diese Richtung weisenden Begründung ab, im vorliegenden Fall eine EFL durchzuführen (vgl. IV-Nr. 163). Volle Beweiskraft kann einer EFL immerhin dann zukommen, wenn sie entweder durch fachärztliche Stellungnahmen, welche sämtliche relevanten Fachdisziplinen abdecken, ergänzt wird wenn solche Stellungnahmen bereits vorliegen und sich mit den Ergebnissen der durchgeführten Tests vereinbaren lassen.

 

7.2.2.2 Der Beigeladene lässt in seiner Eingabe vom 28. Oktober 2020 eine Reihe von bundesgerichtlichen Urteilen zitieren. Diesen lässt sich entnehmen, dass eine EFL zu einer umfassenden medizinischen Abklärung beitragen und relevante Erkenntnisse liefern kann. In keinem der Urteil geht es aber um die Frage, ob eine EFL, welche den Ergebnissen eines im Verfahren nach Art. 44 ATSG eingeholten, aber (hier mangels Vollständigkeit der Vorakten) nicht voll beweiskräftigen Gutachten diametral widerspricht, eine geeignete Grundlage für eine abschliessende Anspruchsbeurteilung bildet.

 

7.2.2.3 Die EFL in der Y.___ Klinik vom 20. / 21. November 2018 führte zu einer Einschätzung der Arbeitsfähigkeit, welche von derjenigen im V.___-Gutachten vom 7. November 2017 grundlegend abweicht. Die Differenz ist derart gross, dass die Beschwerdegegnerin zunächst, abstellend auf das Gutachten, eine Rente verweigerte, während sie dem Beigeladenen nun, auf der Basis der EFL, eine ganze Rente zugesprochen hat. Bei derart grossen Divergenzen, welche für die Beurteilung von zentraler Bedeutung sind, kann eine Stellungnahme nur dann Beweiswert beanspruchen, wenn die Gründe für die unterschiedliche Einschätzung thematisiert werden (vgl. E. II. 3.1 hiervor). Der EFL-Bericht enthält einzig die Feststellung, die von den Gutachtern angenommene Arbeitsfähigkeit von 70 % sei zu hoch. Dies genügt nicht. Notwendig wäre eine nähere Darlegung, wie sich die Differenz in der Beurteilung erklärt. Es kommt hinzu, dass die EFL unter Einbezug einer medizinischen Untersuchung stattfand, welche durch die Rheumatologin Dr. med. S.___ durchgeführt wurde. Bei der Beurteilung der hier zur Diskussion stehenden Symptomatik spielen zwar die rheumatologischen Aspekte eine erhebliche Rolle, die zentrale Problematik fällt aber relativ klar in den Fachbereich der Neurologie allenfalls Neurochirurgie. Der behandelnde Arzt Dr. med. AA.___ ist denn auch Facharzt für Neurochirurgie. Die Untersuchung durch Dr. med. AB.___ und der entsprechende Bericht sind zwar ausführlich ausgefallen, als Rheumatologin vermag sie aber in dieser Situation – auch unter Berücksichtigung der durchgeführten Tests – keine abschliessende Beurteilung vorzunehmen. Die zentrale Frage, ob respektive inwieweit sich die Testergebnisse durch einen objektivierbaren somatischen Gesundheitsschaden erklären lassen, muss (zumindest auch) von neurologischer Seite her beurteilt werden. Der EFL fehlt es demnach ebenfalls an der für eine volle Beweiskraft vorausgesetzten Vollständigkeit, und zwar nicht unter dem Aspekt der Vorakten, sondern der involvierten Fachdisziplinen.

 

7.3     Zusammenfassend war der medizinische Sachverhalt durch die bisherigen Untersuchungen, namentlich die zweite Begutachtung durch das V.___ und die EFL in der Y.___ Klinik, nicht in einer Weise geklärt, welche eine abschliessende Anspruchsbeurteilung zuliess. In dieser Konstellation kam das Versicherungsgericht nicht umhin, ein gerichtliches Obergutachten zu veranlassen, welches in seiner Beurteilung auch die Abklärungsergebnisse der EFL miteinbezieht. Da aufgrund des Berichts des Spitals AC.___ vom 23. Oktober 2018 gewisse Anhaltspunkte für eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes aus psychischer Sicht bestehen, war neben den Disziplinen Rheumatologie und Neurologie auch die Fachrichtung Psychiatrie in die Begutachtung einzubeziehen.

 

8.       Aufgrund der vorgenannten Unklarheiten wurde von Seiten des Versicherungsgerichts bei Dr. med. K.___ (Rheumatologie mit Fallführung), Dr. med. L.___ (Neurologie) und med. pract. M.___ (Psychiatrie), alle von der N.___, ein polydisziplinäres Gutachten eingeholt. Das Gutachten vom 7. Juli 2021 (A.S. 142 ff.) wird den allgemeinen rechtsprechungsgemässen Anforderungen gerecht. Es stammt von unabhängigen Fachärzten, welche den Beigeladenen eingehend untersucht und die Vorakten studiert haben. Weiter ist zu prüfen, ob das Gutachten auch den übrigen beweisrechtlichen Anforderungen genügt:

 

8.1     Im Gutachten wurden folgende Diagnosen gestellt:

 

-       Chronisches lumbovertebrales Schmerzsyndrom

·         mit senso-motorischem radikulärem Reiz- und Ausfallssyndrom L5 und 51 rechts

·         mit degenerativen lumbalen Veränderungen (MRI) mit Osteochondrosen, Spondylarthrosen v.a. L4/5 und L5/S1

·         mit St. n. erweiterter interlaminärer Fenestrierung, Disk- und Sequesterektomie L4/5 rechts am 23. April 2012 bei grosser medio-lateraler Diskushernie L415 rechts

·         mit St. n. Reoperation mit Rediskektomie & Redekompression L415 rechts, Dekompression und Rediskektomie L5/S1 rechts bei Recidivhernie mit möglicher L4 Wurzelkompression am 2. Mai 2016

-       Radiologisch beginnende Coxarthrose beidseits

-       Metabolisches Syndrom

·         Adipositas Grad 1

·         Dyslipidämie

·         Nicht alkoholische Steatohepatose

·         Verdacht auf diabetische Stoffwechsellage (HbAlc 6.2 %)

-       Ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung ICD 10 F 60.6

-       Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leicht ICD 10 F 33.0

-       Stottern ICD 10 F 98.5

-       In der Begutachtungssituation erhöhte Blutdruckwerte (abklärungsbedürftig)

-       Varikosis crurum beidseits

-       Anamnestisch leichtes Asthma bronchiale

-       St. n. laparaskopischer Cholecystektomie 2010

-       St. n. traumatischer Luxation im PIP IV links 2008

-       St. n. Meningitis mit Epilepsie 1995

-       St. n. Bandplastik OSG rechts 1986, abgeheilt

 

8.1.1  Im rheumatologischen Teilgutachten wurde zur Beurteilung nachvollziehbar ausgeführt, was den Bewegungsapparat anbelange, so beklage der Beigeladene andauernde Rückenschmerzen mit wechselhafter Ausstrahlung ins rechte Bein bis in die Grosszehe. Die Beschwerden seien in erster Linie bewegungs- und belastungsabhängig, wobei er auch nachts im Liegen nicht beschwerdefrei sei. Bei der Untersuchung imponiere ein teilweise radikuläres Reiz- und Ausfallsyndrom, mit einer Sensibilitätsstörung im L5-Band und einer residuellen Grosszehenheber- und Fussheberschwäche rechts, was das auffällige Gangbild mit vermehrt abgespreiztem Bein, verminderter Knieflexion und vermindertem Abrollvorgang erkläre. Auffällig sei auch die sichtbare und messbare Umfangdifferenz mit dünnerem Oberschenkel rechts. Bei der Magnetresonanztomografie vom 5. Mai 2009 sei eine grosse Diskushernie L4/5 festgestellt worden. Die daraus resultierende klinische Symptomatik habe unter einer länger dauernden konservativen Therapie zur Besserung gebracht werden können und der Beigeladene habe die angestammte, körperlich belastende Tätigkeit bei der Firma I.___ wieder aufnehmen können. Im Jahr 2012 sei es zu einem Rezidiv gekommen, das mit konservativen Massnahmen nicht genügend habe beherrscht werden können. Dies habe Anlass zum ersten operativen Eingriff vom 23. April 2012 gegeben, bei dem auf der Etage L4/5 eine Diskektomie mit Sequesterentfernung erfolgt sei. Nach diesem Eingriff sei es dem Versicherten einige Monate besser gegangen. Leider sei es dann zu einem Rezidiv mit bildgebend nachgewiesener Rezidiv-Diskushernie auf der operierten Etage L4/5 und zusätzlicher kleinerer Diskushernie auf der Etage L5/S1 gekommen (MRT vom 17. Mai 2013). Diese habe nur schlecht auf eine konservative Therapie angesprochen und Eingliederungsversuche seitens der IV-Stelle seien gescheitert. Am 2. Mai 2016 sei die zweite Rückenoperation mit Re-Dekompression auf der Etage L4/5 und zusätzlicher Dekompression auf der Etage L5/S1 erfolgt. Leider habe sich die radikuläre Symptomatik nur unvollständig zurückgebildet, auch anlässlich der Begutachtung hätten sich immer noch Zeichen eines andauernden radikulären Syndroms, vorwiegend die L5- und S1 Wurzel betreffend gezeigt. Das Ausmass der funktionellen Einschränkungen habe sich am deutlichsten bei der EFL-Untersuchung vom 20. / 21. November 2018 gezeigt. Das in diesem Bericht festgehaltene Zumutbarkeitsprofil sei aus gutachterlicher Sicht in jeder Hinsicht nachvollziehbar und gut begründet.

 

8.1.2  Im neurologischen Teilgutachten wurde festgehalten, in der heutigen Anamnese würden vor allem lumbale Rückenschmerzen sowie auch intermittierend Beinschmerzen rechts angegeben. Es hätten bisher zwei Operationen stattgefunden, die die Schmerzen eigentlich nicht verbessert hätten. Zusätzlich sei es auch zu einer Gewichtszunahme gekommen nach Verlust des Arbeitsplatzes. Seit der Kindheit sei ein Stottern bekannt und dies habe sich im Verlauf etwas verstärkt, möglicherweise mitbedingt durch die psychosoziale Belastungssituation, in der der Beigeladene momentan sei. Eine stationäre Abklärung im R.___ habe andere mögliche Ursachen ausschliessen können. Durch die Schmerzen sei das Gehen beeinträchtigt, aber auch das längere Sitzen sei schmerzbedingt eingeschränkt. Beim Treppensteigen benütze er das Handgeländer und beim Abwärtsgehen sei das alternierende Benützen der Beine nicht möglich (Kraft rechts reduziert). Er sei emotional belastet durch die Abklärungen für das Gutachten mit den Untersuchungen und äussere auch eine Angst, dass seine medizinischen Schwierigkeiten und Einschränkungen nicht richtig beurteilt würden. In der neurologischen Untersuchung seien eine Fehlhaltung, ein Trendelenburgzeichen rechts und auch eine Parese der Fussextension, aber auch der Plantarflexion nachweisbar. Es lasse sich insgesamt v.a. ein lumboradikuläres sensomotorisches Reiz- und Ausfallssyndrom L5 und S1 rechts nachweisen. Zusätzlich sei eine Adipositas vorhanden, die sich sicher ungünstig auswirke auf die Schmerzen der Lumbalwirbelsäule und die Beinschmerzen und allgemein die Beweglichkeit negativ beeinflussen könne und eine Belastung für die Gelenke sei. Dies sei ihm aber auch sehr bewusst und er freue sich deshalb auch, eine halbtägige Arbeitstätigkeit mit einer Leistungsfähigkeit von 30 % durchführen zu können. Das Stottern habe sich gemäss Anamnese in der letzten Zeit verstärkt und könne bedingt sein durch eine emotionale und psychische Belastungssituation. Es seien nach der Meningitis keine sicheren epileptischen Anfälle mehr aufgetreten und es seien auch keine Kopfschmerzen zurückgeblieben. Insgesamt sei die Geburt anamnestisch schwierig gewesen und er habe auch in der Schule zuerst die Sprachheilschule, dann eine Hilfsschule besucht. Er habe nach der Schule erfolgreich beruflich voll gearbeitet bis Anfang 2014. Aufgrund des bisherigen Verlaufes sei die Prognose mit grosser Wahrscheinlichkeit als ungünstig einzuschätzen. Die chronischen Rücken- und Beinschmerzen rechts hätten sich unter konservativer und operativer Therapie nicht wesentlich verbessert und im Verlauf sei es zu einer Adipositas und zu motorischen Ausfällen (L5 und S1) postoperativ und im Verlauf rechts gekommen. Die Eingliederungsmassnahmen der IV hätten nicht zu einer Verbesserung der Arbeitsfähigkeit geführt. Während dieser Zeit der Arbeit habe eine maximale Arbeitsfähigkeit im Rahmen von 25 % resultiert. Gestützt auf diese Ausführungen der neurologischen Gutachterin erscheint ihre Einschätzung der Arbeitsfähigkeit aus neurologischer Sicht nachvollziehbar: Die Arbeitsfähigkeit in der angestammten Tätigkeit als Bäcker / Konditor sei nicht mehr gegeben. Die Arbeitsfähigkeit in der letzten Tätigkeit bei der Arbeit bei I.___ im Verfahren von Harzen und Lacken und beim Umgang mit Gefahrengut sei wegen Heben von Lasten nicht mehr als geeignet zu betrachten. Die Arbeitsfähigkeit in angepasster Tätigkeit (Meiden von länger andauernden gleichen Körperpositionen und Heben von schweren Gewichten, Meiden von Arbeiten mit erhöhter Anforderung an das Gleichgewicht) sei bis zu 30 % mit einer ganztägigen Anwesenheit gegeben aus rein neurologischer Sicht. Aus neurologischer Sicht sei eine regelmässige Aktivierung / Training der Rücken- und Stamm- sowie Beinmuskulatur empfehlenswert; allenfalls ergänzend den Möglichkeiten auch eine Wassertherapie sowie von Zeit zu Zeit eine aktive Physiotherapie zur Überwachung und Korrektur des Trainings.

 

8.1.3  Im psychiatrischen Teilgutachten setzt sich der Gutachter eingehend mit den möglichen Diagnosen auseinander und begründet nachvollziehbar seine Schlussfolgerung, wonach der Beigeladene aus psychiatrischer Sicht in seiner Arbeitsfähigkeit nicht eingeschränkt sei: Die Anamnese des Exploranden weise an mehreren Stellen auf überangepasstes Verhalten seinerseits hin. Er habe sich schlagen lassen, abwerten lassen, sowohl in der Herkunftsfamilie wie auch in der Schule und später in der Lehre. Erst in einer wohlwollenden Umgebung habe er Stabilität gefunden, auch dies gelte sowohl beruflich wie auch privat. Das Durcharbeiten der geforderten Kriterien des ICD-10 für eine Persönlichkeitsstörung habe ausreichend erfüllte Kriterien für die Diagnose einer ängstlich-vermeidenden Persönlichkeitsstörung erbracht. Diese habe eher keinen direkten Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit im Fall des Exploranden, eher in dem Sinne, dass der Explorand ausnutzbar sei, Dinge tue, die er nicht müsste. Die Auswertung insbesondere des Psychostatus führe aktuell zu einer gerade noch leicht ausgeprägten depressiven Episode. Da 2015 keine Depression mehr bestätigt und 2018 nur von einer Anpassungsstörung gesprochen worden sei, sei im Hinblick auf die leichte depressive Episode in 2014 heute von einer rezidivierenden depressiven Störung zu sprechen. Aufgrund des geringen Ausprägungsgrades dieser Diagnose zum jetzigen Zeitpunkt liege auch hier kein Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit vor. Das ausgeprägte Stottern des Exploranden wäre in Tätigkeiten mit hohem, sprachlichem Anspruch klar einschränkend. Bei der angestammten Tätigkeit des Exploranden falle dies jedoch kaum bis wenig ins Gewicht, sodass auch hier von keiner negativen Beeinflussung der Arbeitsfähigkeit auszugehen sei. Wie bereits 2015 sei auch heute keine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren gegeben, da unverändert die somatischen Beschwerden ausreichend somatisch erklärt werden könnten. Damit falle ein Grundkriterium des lCD-10 für diese Diagnose weg. Offen, da auch nicht gutachterlich gewünscht, bleibe die intellektuelle Leistungsfähigkeit des Exploranden. Wohl habe er sein berufliches Leben recht gut geschafft, jedoch zeigten sich starke Leistungseinschränkungen während der Schul- und Ausbildungszeit. Hier könnten für bestimmte Tätigkeiten relevante Einschränkungen möglich sein. Es habe sich ein 40-jähriger Explorand gezeigt, der offen wirkend über sich, sein Leben und seine Beschwerden berichtet habe. Kindheit und Jugend seien gemäss Angaben des Exploranden durch Abwertung seiner Person in seiner Familie geprägt gewesen. Vom Grundcharakter her fröhlich sei ihm das Lachen ausgetrieben worden. In der Adoleszenz sei dann neben den Rückenschmerzen auch Stottern hinzugekommen. Es gebe Hinweise auf sexuellen Missbrauch (Mutter?). Hierüber wolle der Explorand jedoch nicht detaillierter sprechen. Schulisch habe er offenbar deutliche Schwierigkeiten gehabt, habe die Kleinklasse besucht. Hier habe er am besten seine Leistungen erbracht. Trotz allem habe er später eine Bäcker- und Konditorlehre abschliessen können. Dies jedoch mit eher mässigen Noten. Der Beginn seiner Schulkarriere in der Sprachheilschule weise auf frühe Sprachentwicklungsstörungen hin. Sowohl in der Schule als auch in der Lehre sei er immer wieder massiv gemobbt worden. Hätte er nicht seine heutige Familie, so der Explorand, würde er denken, abgeschlagen zu werden gehöre zu ihm dazu. Sehr positiv seien seine Angaben zu seiner Ehefrau. In seiner Beziehung mit ihr fühle er sich sehr wohl, aufgehoben und geborgen. Auch die Kinder würden ihn glücklich machen. Beruflich habe er bald vom anstrengenden Bäckergewerbe in die Industrie gewechselt. Er habe immer zu 100 % gearbeitet; einfache Tätigkeiten. Mitte der 90er Jahre habe er wohl eine Hirnhautentzündung mit epileptischen Anfällen gehabt. Diese sei später vollkommen ausgeheilt. Ab 2008 sei es dann zu seinen Rückenproblemen gekommen. Diese seien es, die ihn relevant einschränkten. Sicher störe ihn auch das Stottern, in den letzten Jahren dazu gekommen seien auch Selbstverletzungen. Diese würden ihn nach seiner Ansicht jedoch nicht an der Wiederaufnahme einer Arbeit hindern, er bearbeite diese Symptome auch in einer Therapie; einschränkend sei nur die Rückenproblematik. Der wohl erhöhte Alkoholkonsum des Exploranden in seiner späten Adoleszenz sei überwiegend wahrscheinlich ein Kompensationstrinken in seiner schwierigen Lebenssituation gewesen, für die er keine besseren Problemlösungsstrategien gehabt habe. Mangels irgendwelcher Unterlagen hierzu könne jedoch heute weder von einer Alkoholabhängigkeit noch von schädlichem Gebrauch geschrieben werden. In den vorliegenden medizinischen Berichten werde erstmals im Austrittsbericht der Klinik für P.___ am 20. Juni 2014 etwas Psychiatrisches berichtet. Hier würden die Diagnose chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren ICD-10 F 45.41 sowie eine leichte depressive Episode ICD-10 F 32.0 angegeben. Hierzu hätten die Gutachter des H.___ im polydisziplinären Gutachten vom 6. November 2015 gemeint, eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren sei für sie nicht nachvollziehbar, da die Schmerzen vollumfänglich somatisch erklärbar seien. Eine leichte depressive Episode habe zum Gutachtenszeitpunkt nicht mehr bestätigt werden können. Der Argumentation zur somatoformen Schmerzstörung sei auch heute rückblickend zu folgen. Die neurologische Klinik des R.___ habe am 18. September 2018 dann übereinstimmend mit den anamnestischen Angaben des Exploranden von der Exazerbation des latenten Stotterns bei psychosozialer Belastungssituation berichtet. Hier werde auch auf die Meningitis im Jahr 1995 hingewiesen. Im Bericht der Psychosomatik des R.___ vom 23. Oktober 2018 würden als psychiatrische Diagnosen eine Anpassungsstörung mit Angst und Depression gemischt ICD-10 F 43.22, erneut aufgetretenes Stottern ICD-10 F 98.5 sowie der v.a. eine anteilige somatoforme Schmerzstörung lCD-10 F5 40.4 angeführt. Weitere Berichte, die sich differenziert mit der psychischen Situation des Exploranden auseinandersetzten, lägen nicht vor. Diese Berichte zusammenfassend könne also festgehalten werden, dass überwiegend wahrscheinlich 1994 eine Meningitis beim Exploranden vorgelegen sei. 2014 wie 2018 seien beim Exploranden sehr leichte bis leichte Symptome einer depressiven Störung vorgelegen, 2018 gemischt mit ängstlichen Symptomen. Diese Anpassungsstörung sei jedoch eine Diagnose mit sehr leicht ausgeprägten Symptomen, die in der Regel nicht zu einer Arbeitsunfähigkeit führte. 2018 sei schriftlich belegt, dass das über Jahrzehnte remittierte Stottern wieder aufgetreten sei. Die zweimal angeführte somatoforme Schmerzstörung des Exploranden erscheine nach Aktenlage überwiegend unwahrscheinlich, da die Schmerzen ausreichend somatisch erklärt werden könnten. Es gebe keinen Bericht, der zum selbstverletzenden Verhalten des Exploranden Stellung nehme.

Gestützt auf dieses beweiswertige fachärztliche Teilgutachten, welches eine psychiatrisch bedingte Arbeitsunfähigkeit in überzeugender Weise verneint, kann auf eine Indikatorenprüfung verzichtet werden (BGE 143 V 418 E. 7.1 S. 429).

 

8.2     Gestützt auf die vorstehend aufgeführten Teilgutachten vermag sodann auch die gutachterliche Gesamtbeurteilung zu überzeugen: Die erlernte Tätigkeit als Bäcker / Konditor sowie die langjährig ausgeführte Tätigkeit bei der Firma I.___ als Verfahrenstechniker und Lagerist überstiegen die körperliche Leistungsfähigkeit des Versicherten und kämen definitiv nicht mehr in Frage. Die Restarbeitsfähigkeit in einer leidensadaptierten Tätigkeit betrage geschätzt noch etwa 30 %, mit halbtägiger Präsenz und 40 % eingeschränkter Leistungsfähigkeit (Präsenz 0.5 x Leistungsfähigkeit 0.6 = Arbeitsfähigkeit 0.3 = 30 %). Die Begründung finde sich im ausführlichen Bericht zur EFL vom 21. November 2018. In Frage kämen körperlich leichte, wechselbelastende Tätigkeiten, ohne repetitives Bücken und Kauern, ohne Besteigen von Leitern und Gerüsten, mit maximalen Gewichtsbelastungen von ca. 5 kg. Der Beigeladene arbeite gemäss seinen Angaben seit Januar 2021 jeweils morgens in einer Behindertenwerkstätte. Die anlässlich der EFL festgestellte Leistungsfähigkeit von leidensangepasst 30 % sei aus gutachterlicher Sicht plausibel, entgegen der von Dr. AD.___ geschätzten Arbeitsfähigkeit von 70 %, die nicht zu überzeugen vermöge. Das damaligen Gutachten der H.___ vom 7. November 2017 biete keine Erklärung für die Differenz zwischen der Arbeitsfähigkeit im gescheiterten Eingliederungsversuch und der gutachterlichen Einschätzung (AF 70 %), zumal eine wesentliche Aggravation verneint worden sei. Wenn die Akten aus dem professionell begleiteten Wiedereingliederungskontext nicht berücksichtigt würden, so fehle ein wichtiges objektives Beweismittel zur Feststellung des Ausmasses einer Behinderung. Das ausgeprägte Stottern des Exploranden wäre in Tätigkeiten mit hohem, sprachlichem Anspruch klar einschränkend, so dass derartige Tätigkeiten ungeeignet wären. Aus rheumatologischer und neurologischer Sicht sei eine regelmässige Aktivierung / Training der Rücken- und Stamm- sowie Beinmuskulatur empfehlenswert; allenfalls ergänzend auch eine Wassertherapie sowie von Zeit zu Zeit eine aktive Physiotherapie zur Überwachung und Korrektur des Trainings. Die installierte medikamentöse Therapie scheine angemessen. Aus rheumatologischer und neurologischer Sicht ergäben sich keine neuen, vernünftig durchführbaren und erfolgversprechenden Behandlungsansätze. Trotz mehrmaliger Rückenoperation habe das degenerative Wirbelsäulenleiden nicht behoben werden können und es bestehe nach wie vor eine radikuläre Rest-Symptomatik. Die Angaben des Versicherten wirkten vernünftig und plausibel. Sie seien mit dem degenerativen Wirbelsäulenleiden weitgehend erklärbar. Es ergäben sich weder aus somatischer noch aus psychiatrischer Sicht Anhaltspunkte für wesentliche Inkonsistenzen. Der Explorand sei klar arbeitswillig. Er versuche, seine Aufgaben im geschützten Bereich gut zu erfüllen. Positiv sei sein familiär-soziales Umfeld, in dem er sich gut aufgehoben fühle. Einschränkend seien sicher das Stottern und möglicherweise auch intellektuelle Beeinträchtigungen, die jedoch weitergehend abgeklärt werden müssten.

 

8.3     Schliesslich führten die Gutachter zum zeitlichen Verlauf der Arbeitsfähigkeit aus, die plausibelste Variante zum Verlauf der Arbeitsfähigkeit sei die, dass der Beigeladene schon seit dem 27. Mai 2013 in der angestammten Tätigkeit nicht mehr voll arbeitsfähig gewesen sei und nach der Kündigung durch die Firma I.___ per 28. Februar 2014 auch in einer leidensadaptierten Tätigkeit eine Restarbeitsfähigkeit von maximal 40 % aufgewiesen habe (befristete 40%-Stelle von September 2014 bis März 2015 bei der Post als Zusteller von Betreibungsurkunden).

 

Gestützt auf diese Beurteilung macht der Beigeladene mit Stellungnahme vom 27. Juli 2021 geltend, der von der Beschwerdegegnerin festgesetzte Beginn der Rentenzusprache per 1. August 2016 sei nicht korrekt. Es werde beantragt, den Rentenbeginn gemäss der Beurteilung aus dem Gutachten der N.___ vom 7. Juli 2021 neu festzusetzen.

 

Die vorgenannte retrospektive Beurteilung aus dem Gutachten der N.___ steht jedoch der Beurteilung aus dem Gutachten des H.___ vom 6. November 2015 entgegen, worin die H.___-Gutachter zum Schluss kamen, dass dem Beigeladenen seine bisherige Tätigkeit zwar nicht mehr zumutbar sei, er jedoch in einer angepassten rückenschonenden Tätigkeit, wechselbelastend, nicht nur sitzend nur stehend, ohne Heben Schieben von Lasten über 7 kg mit der Möglichkeit der Wahrnehmung von über das übliche Mass hinausgehenden Pausen zu 100 % arbeitsfähig sei. Dieses H.___-Gutachten erachtete das Versicherungsgericht mit Urteil VSBES.2016.178 vom 6. Dezember 2016 als voll beweiskräftig, wies die Sache aber zur Vornahme weiterer Abklärungen an die Beschwerdegegnerin zurück mit der Begründung, beim Beigeladenen sei am 2. Mai 2016 eine Re-Diskektomie und Re-Dekompression L4/5 rechts sowie Dekompression und Diskektomie L5/S1 rechts durchgeführt worden, weshalb die Möglichkeit bestehe, dass nach der Erstellung des Gutachtens am 6. November 2015 bis zum Zeitpunkt des Verfügungserlasses am 24. Mai 2016 beim Beigeladenen eine erhebliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes eingetreten sei. Das Urteil VSBES.2016.178 vom 6. Dezember 2016 ist für das Versicherungsgericht grundsätzlich inhaltlich bindend. Wie die Gutachter der N.___ zudem festhielten, ist eine retrograde Beurteilung der Arbeitsfähigkeit aus gutachterlicher Sicht jeweils mit einem hohen Grad an Unsicherheit behaftet. Als Gründe hierfür wurden in diesem Zusammenhang unter anderem die persönliche Involvierung des behandelnden Arztes, welcher ein Arbeitsunfähigkeitszeugnis ausstellt, und die in solchen Zeugnissen in aller Regel fehlende Unterscheidung zwischen IV-relevanten und IV-fremden Faktoren, genannt. Die Gutachter der N.___ legen ihrer retrospektiven Beurteilung denn auch naturgemäss nur die Vorakten zugrunde, während sich die Beurteilung der H.___-Gutachter unter anderem auf eine echtzeitliche Untersuchung des Beigeladenen abstützte. Im Lichte dessen und der vorgenannten Bindungswirkung der Erwägungen aus dem Urteil VSBES.2016.178 vom 6. Dezember 2016 ist übereinstimmend mit der angefochtenen Verfügung per 2. Mai 2016 von einer Verschlechterung auszugehen, womit es unter Berücksichtigung der Dreimonatsregel von Art. 88a Abs. 1 IVV beim Rentenbeginn per August 2016 bleibt.

 

9.       Die in der angefochtenen Verfügung vom 24. September 2019 vorgenommene Invaliditätsberechnung ist unbestritten geblieben und denn auch nicht zu beanstanden. So hat der Beigeladenen seine letzte Tätigkeit bei der I.___ aus gesundheitlichen Gründen verloren, weshalb die Beschwerdegegnerin bezüglich des Valideneinkommens auf den dort zuletzt erzielten Lohn abgestellt und diesen mittels Nominallohnindex 2016, Ziffer 53, auf das Jahr 2016 aufgerechnet hat, was per Datum der Verschlechterung am 2. Mai 2016 ein Valideneinkommen von CHF 67'656.00 ergibt. Da der Beigeladene bislang keiner Tätigkeit auf dem offenen Arbeitsmarkt im zumutbaren Ausmass von 30 % nachgeht, hat die Beschwerdegegnerin zur Berechnung des Invalideneinkommens sodann zu Recht auf einen Tabellenlohn des Bundesamtes für Statistik 2016 – TA1_tirage_skill_level, Total, Niveau 1, Männer (CHF 5'340.00 x 12), Aufrechnung Wochenstunden (: 40 x 41.7), davon ein 30%-Pensum, abgestellt. Schliesslich ist es im Lichte des gutachterlich statuierten Zumutbarkeitsprofils (s. E. II. 8.2 hiervor) nicht zu beanstanden, dass die Beschwerdegegnerin von diesem Invalideneinkommen zusätzlich einen leidensbedingten Abzug von 10 % vorgenommen hat. Damit resultiert ein Invaliditätsgrad von 73 %, der einen Anspruch auf eine ganze Rente begründet.

 

10.     Somit ist die Verfügung vom 24. September 2019 nicht zu beanstanden und die dagegen erhobene Beschwerde abzuweisen.

 

11.

11.1   Bei diesem Verfahrensausgang steht dem Beigeladenen eine ordentliche Parteientschädigung zu, die von der Beschwerdeführerin zu bezahlen ist. In Anbetracht von Aufwand und Schwierigkeit des Prozesses ist die durch die Beschwerdeführerin zu bezahlende Parteientschädigung auf CHF 8'166.55 festzusetzen (28.85 Stunden zu CHF 250.00 [§ 160 Abs. 2 GT], zuzügl. Auslagen von CHF 419.80 und MwSt). Im Vergleich zu den eingereichten Kostennoten sind verschiedene der geltend gemachten Positionen zu streichen: Einerseits ist in den Kostennoten vorprozessualer Aufwand enthalten (Positionen vom 28. März 2019 bis 17. September 2019), welcher im vorliegenden Verfahren nicht vergütet wird. Andererseits stellen mehrere Positionen Kanzleiaufwand dar (Orientierungskopien; Fristerstreckungsgesuche, Einreichung Kostennoten), der bereits im Stundenansatz enthalten ist und nicht gesondert entschädigt wird. Zudem beträgt der Ansatz für die Vergütung von Fahrtspesen CHF 0.70 pro Kilometer (§ 157 Abs. 3 GT i.V.m. 161 lit. a GAV) und nicht CHF 0.80, wie beantragt.

 

11.2   Aufgrund von Art. 69 Abs. 1bis IVG ist das Beschwerdeverfahren bei Streitigkeiten um die Bewilligung die Verweigerung von IV-Leistungen vor dem kantonalen Versicherungsgericht kostenpflichtig. Die Kosten werden nach dem Verfahrensaufwand und unabhängig vom Streitwert im Rahmen von CHF 200.00 – 1´000.00 festgelegt. Nach dem Ausgang des vorliegenden Verfahrens hat die Beschwerdeführerin die gesamten Verfahrenskosten von CHF 600.00 zu bezahlen. Diese werden mit dem bereits geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.

 

11.3   Die Kosten eines Gerichtsgutachtens sind dem Versicherungsträger aufzuerlegen, wenn das Gutachten notwendig wurde, weil dieser den Sachverhalt nicht rechtsgenüglich abgeklärt hatte (BGE 139 V 496). Wie in Ziffer II. 7.3 hiervor dargelegt, war das Gerichtsgutachten aufgrund ungenügender Abklärungen durch die Beschwerdegegnerin notwendig geworden. Somit sind die Kosten des Gerichtsgutachtens der N.___ von CHF 14'285.80 durch die Beschwerdegegnerin zu bezahlen.

 

Demnach wird erkannt:

1.    Die Beschwerde wird abgewiesen

2.    Die A.___ hat dem Beigeladenen eine Parteientschädigung von CHF 8'166.55 (inkl. Auslagen und MwSt) zu bezahlen.

3.    Die A.___ hat die Verfahrenskosten von CHF 600.00 zu bezahlen, welche mit dem bereits geleisteten Kostenvorschuss in gleicher Höhe verrechnet werden.

4.    Die IV-Stelle des Kantons Solothurn hat die Kosten des Gerichtsgutachtens von CHF 14'285.80 zu bezahlen.

Rechtsmittel

Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit der Mitteilung beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten eingereicht werden (Adresse: Bundesgericht, Schweizerhofquai 6, 6004 Luzern). Die Frist beginnt am Tag nach dem Empfang des Urteils zu laufen und wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar (vgl. Art. 39 ff., 82 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes, BGG). Bei Vor- und Zwischenentscheiden (dazu gehört auch die Rückweisung zu weiteren Abklärungen) sind die zusätzlichen Voraussetzungen nach Art. 92 93 BGG zu beachten.

 

 

 

 

 

Versicherungsgericht des Kantons Solothurn

Der Präsident                           Der Gerichtsschreiber

Flückiger                                   Isch

 



 
Quelle: https://gerichtsentscheide.so.ch/
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