Kanton: | SO |
Fallnummer: | STREV.2022.8 |
Instanz: | Verwaltungsgericht |
Abteilung: | Strafkammer |
Datum: | 09.02.2023 |
Rechtskraft: |
Leitsatz/Stichwort: | - |
Zusammenfassung: | Die Strafkammer des Obergerichts hat ein Revisionsgesuch von A.___ abgelehnt, der wegen schwerwiegender Straftaten verurteilt wurde. Das Gericht entschied, dass das Revisionsgesuch unbegründet und rechtsmissbräuchlich sei. A.___ muss die Gerichtskosten von CHF 860.00 tragen. |
Schlagwörter: | Gesuch; Gesuchsteller; Revision; Privatklägerin; Richt; Revisionsgesuch; Recht; Urteil; Chatverlauf; Staat; Entscheid; Gericht; Staatsanwaltschaft; Sinne; Verteidigung; Rechtsmittel; Verfahren; Revisionsgr; Solothurn; Richteramt; Gerichts; Beweismittel; Sache; Dorneck-Thierstein; Entschädigung; Akten |
Rechtsnorm: | Art. 132 StPO ; Art. 135 StPO ; Art. 29 BV ; Art. 410 StPO ; Art. 411 StPO ; Art. 412 StPO ; Art. 428 StPO ; Art. 61 StGB ; |
Referenz BGE: | 129 I 129; |
Kommentar: | - |
Geschäftsnummer: | STREV.2022.8 |
Instanz: | Strafkammer |
Entscheiddatum: | 09.02.2023 |
FindInfo-Nummer: | O_ST.2023.15 |
Titel: | Revisionsgesuch |
Resümee: |
Obergericht Strafkammer
Beschluss vom 9. Februar 2023 Es wirken mit: Oberrichter Marti Oberrichter Werner Gerichtsschreiberin Schmid In Sachen A.___, vertreten durch Dr. iur. Nicolas Roulet
Gesuchsteller
Staatsanwaltschaft, Franziskanerhof, Barfüssergasse 28, Postfach 157, 4502 Solothurn,
Gesuchsgegnerin
betreffend Revisionsgesuch Die Strafkammer des Obergerichts zieht in Erwägung: I.
1. Am 20. November 2012 erliess das Richteramts Dorneck-Thierstein betreffend A.___ (nachfolgend Gesuchsteller) folgendes Urteil:
1. Das Verfahren gegen A.___ wegen mehrfacher Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes (Konsum), begangen in der Zeit von April 2009 bis 21. November 2009 wird zufolge Verjährungseintritts eingestellt.
2. A.___ wird ohne Entschädigung von den Vorhalten der einfachen Körperverletzung mit gefährlichem Gegenstand (Anklageschrift vom 23. April 2012 [AKS], Ziff. 6) und der mehrfachen Drohung (AKS, Ziff. 8.4 und 8.5) freigesprochen.
3. A.___ hat sich hingegen schuldig gemacht: - der mehrfachen Vergewaltigung, begangen Anfang Januar 2010 in [Ort 1] sowie mehrfach begangen in der Zeit von Januar 2010 bis April 2010 In [Ort 1] und [Ort 2] jeweils zum Nachteil der Privatklägerin 1 (AKS, Ziff. 1.1 und 1.2); - der mehrfachen sexuellen Nötigung, begangen in der Zeit von Januar 2010 bis April 2010 In [Ort 1] und [Ort 2] jeweils zum Nachteil der Privatklägerin 1 (AKS, Ziff. 2); - der mehrfachen sexuellen Handlungen mit einem Kind, begangen In der Zeit von 3. August 2009 bis 16. April 2010 in [Ort 1], [Ort 2] und [Ort 3] jeweils zum Nachteil der Privatklägerin 1 (AKS, Ziff. 3); - der Pornografie, begangen ca. Anfang März 2010 In [Ort 1], [Ort 2] [Ort 3] (AKS, Ziff. 4); - des Raufhandels, begangen am 20. August 2009 in [Ort 4] (AK5, Ziff. 5); - der mehrfachen einfachen Körperverletzung, begangen von Januar 2010 bis Februar 2010 in [Ort 1] (AKS, Ziff. 7.2), an einem Tag im Februar 2010 in [Ort 5] (AKS, Ziff. 7.3), am 19. März 2010 in [Ort 2], (AKS, Ziff. 7.5) und am 17. April 2010 in [Ort 6] (AKS, Ziff. 7.6) jeweils zum Nachteil der Privatklägerin 1; - der mehrfachen Tätlichkeiten, begangen in der Zeit von Januar 2010 bis Februar 2010 in [Ort 7] (AKS, Ziff. 7.1) und in der Zeit von Februar 2010 bis März 2010 in [Ort 2] im 11er Tram (AKS, Ziff. 7.4) jeweils zum Nachteil der Privatklägerin 1; - der mehrfachen Drohung, begangen am 17. April 2010 in [Ort 6] (AKS, Ziff. 8.1), am 21. April 2010 in [Ort 5] eventuell [Ort 2] (AKS, Ziff. 8.2), mehrfach begangen in der Zeit vom 20. Januar bis zum 21. April 2010 an unbekannten Orten (AKS, Ziff. 8.3) jeweils zum Nachteil der Privatklägerin 1; - der mehrfachen Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes (Konsum), begangen seit 22. November 2009 bis zum 4. August 2010 in [Ort 2] und [Ort 5] durch Konsum von Cannabis und in der Zeit von April 2010 bis August 2012 durch Konsum von Kokain in [Ort 2], [Ort 5], [Ort 4] und anderswo (AKS, Ziff. 9). 4. A.___ wird verurteilt zu einer Freiheitsstrafe von 48 Monaten, unter Anrechnung der vom 21. April 2010, 17:50 Uhr bis 30. April 2010, 15:56 Uhr ausgestandenen Untersuchungshaft sowie zu einer Busse von CHF 600.00 (bei Nichtbezahlung ersatzweise zu 6 Tagen Freiheitsstrafe).
5. Der Vollzug der Strafe wird zugunsten einer stationären Massnahme für junge Erwachsene gemäss Art. 61 StGB, im Sinne des Gutachtens der psychiatrischen Dienste der Solothurner Spitäler AG vom 11. Juli 2011 (AS 611 ff.), vorzugsweise zu vollziehen im Massnahmenzentrum […], aufgeschoben.
6. Die beschlagnahmte Speicherkarte Scandisk SD M2 1 GB (Aufbewahrungsort: Polizei Kanton Solothurn, Asservate, Schanzmühle, 4500 Solothurn) und die beschlagnahmten Drogen (0.4 Gramm Marihuana) (Aufbewahrungsort: Polizei Kanton Solothurn, Ermittlungsdienst Kapo SO) werden eingezogen und sind zu vernichten.
7. Die Entschädigung des amtlichen Verteidigers von A.___, Rechtsanwalt Reto Gasser, wird auf CHF 10'538.50 (inkl. Auslagen und MwSt.) festgesetzt und ist zufolge amtlicher Verteidigung vom Staat Solothurn, vertreten durch die Zentrale Gerichtskasse, 4500 Solothurn, zu bezahlen. Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren gegenüber A.___, sobald es dessen wirtschaftliche Verhältnisse erlauben (Art. 135 Abs. 4 StPO).
8. Die Verfahrenskosten von CHF 9'000.00 zuzüglich einer Staatsgebühr von CHF 10'000.00, total CHF 19'000.00, hat A.___ zu bezahlen.
2. Mit Gesuch vom 29. September 2022 ersuchte der Gesuchsteller, vertreten durch Advokat Nicolas Roulet, um Revision des Urteils vom 20. November 2012 und stellte die folgenden Rechtsbegehren:
1. Es sei das Urteil des Richteramts Dorneck-Thierstein vom 20. November 2012 revisionsweise teilweise aufzuheben. 2. Dementsprechend sei der Gesuchsteller von den Vorwürfen der mehrfachen Vergewaltigung, mehrfachen sexuellen Nötigung freizusprechen und es sei in Bezug auf den Vorwurf der mehrfachen sexuellen Handlung mit einem Kind von Bestrafung abzusehen und es sei der Gesuchsteller für die darüber hinausgehenden Schuldsprüche zu einer angemessenen Geldstrafe von 270 Tagessätzen à CHF 10.00 mit bedingtem Strafvollzug bei Auferlegung einer Probezeit von zwei Jahren zu verurteilen, eventualiter sei die Angelegenheit zur neuen Entscheidung im Sinne der Erwägungen an das Richteramt Dorneck-Thierstein zurückzuweisen. 3. Dementsprechend seien die Kosten des Verfahrens DTSAG.2012.3-ADTCHR neu und weitestgehend zu Lasten des Staates zu verlegen, eventualiter sei der Kostenentscheid zur neuen Beurteilung im Sinne der Erwägungen an das Richteramt Dorneck-Thierstein zurückzuweisen. 4. Es sei dem Gesuchsteller eine angemessene Entschädigung im Umfange von CHF 200.00 pro zu Unrecht ausgestandenem Tag Freiheitsentzug sowie eine angemessene Genugtuung von mindestens CHF 10'000.00, zuzüglich Zins von 5% seit dem 20. November 2012 zuzusprechen, Mehrforderung vorbehalten, eventualiter sei die Entschädigungs- und Genugtuungsforderung zur Beurteilung im Sinne der Erwägungen an das Richteramt Domeck-Thierstein zurückzuweisen. 5. Unter o/e-Kostenfolge. Eventualiter sei dem Gesuchsteller die amtliche Verteidigung mit dem Unterzeichnenden als Advokaten zu bewilligen.
3. Mit Verfügung vom 13. Oktober 2022 wurden die Akten des Richteramts Dorneck-Thierstein (DTSAG.2012.3) und des Strafgerichts Basel-Landschaft (MU1 2014 1515) eingeholt sowie das Revisionsgesuch der Staatsanwaltschaft und der Vorinstanz zur Stellungnahme zugestellt.
4. Die Staatsanwaltschaft nahm mit Eingabe vom 28. Oktober 2022 provisorisch zum Revisionsgesuch Stellung und beantragte, es sei nicht auf das Revisionsgesuch einzutreten; eventualiter seien ihr das Urteil vom 20. November 2012 mit den Akten zuzustellen und erneut Frist zur Stellungnahme anzusetzen; unter Kostenfolge. Nach Erhalt der Akten zur Einsicht ergänzte die Staatsanwaltschaft ihre Stellungnahme mit Schreiben vom 21. November 2022 und beantragte, auf das Revisionsgesuch sei nicht einzutreten, eventualiter sei es abzuweisen; unter Kostenfolge.
5. Der Gesuchsteller replizierte mit Eingabe vom 19. Dezember 2022.
II.
1. Die Revision ist ein ausserordentliches Rechtsmittel, welches es erlaubt, rechtskräftig erledigte Strafverfahren wieder aufzunehmen und den Fall neu zu beurteilen. Sie ist deshalb nur in engem Rahmen zulässig. Entsprechend streng sind die Voraussetzungen einer Revision. Wer durch ein rechtskräftiges Urteil beschwert ist, kann die Revision verlangen, wenn u.a. neue, vor dem Entscheid eingetretene Tatsachen neue Beweismittel vorliegen, die geeignet sind, einen Freispruch, eine wesentlich mildere wesentlich strengere Bestrafung der verurteilten Person eine Verurteilung der freigesprochenen Person herbeizuführen (Art. 410 Abs. 1 lit. a StPO).
2. Unbestritten ist vorliegend, dass der Gesuchsteller durch das Urteil des Richteramts Dorneck-Thierstein vom 20. November 2012 und damit durch einen rechtskräftigen Strafentscheid beschwert und daher grundsätzlich legitimiert ist, eine Revision zu verlangen. Das angerufene Gericht ist zuständig und ein Revisionsgesuch gemäss Art. 411 Abs. 2 StPO an keine Frist gebunden. Es stellt sich vorliegend die Frage, ob ein Revisionsgrund vorliegt.
2.1. Der Gesuchsteller macht geltend, dass nunmehr neue erhebliche Tatsachen und neue Beweismittel vorlägen, die im Sinne von Art. 410 Abs. 1 lit. a StPO geeignet seien, einen Freispruch für die Vorwürfe der mehrfachen Vergewaltigung sowie mehrfachen sexuellen Nötigung zum Nachteil von B.___ (nachfolgend damalige Privatklägerin) und ein Absehen von Bestrafung im Vorwurf der mehrfachen sexuellen Handlungen mit einem Kind herbeizuführen. Er begründet sein Gesuch im Wesentlichen wie folgt: Die Verurteilung sei einzig und allein aufgrund der Würdigung der Glaubhaftigkeit der Aussagen der beiden beteiligten Personen, insbesondere der damaligen Privatklägerin, erfolgt. Die neuen Beweise seien zweifelsfrei geeignet, die Glaubhaftigkeit der Angaben der damaligen Privatklägerin mehr als stark in Zweifel zu ziehen und erlaubten keine Verurteilung mehr. Die damalige Privatklägerin habe C.___ im Rahmen eines Streits in der Beziehung damit bedroht, ihn gegebenenfalls anzuzeigen. Sie habe die entsprechende Drohung im Jahr 2014 wahr gemacht. Die Sache habe aussergerichtlich bereinigt werden können. Als Beweismittel reicht der Gesuchsteller ein Schreiben von C.___ vom 2. Mai 2022 ein (Beilage 3 Revisionsgesuch), in dem dieser angibt, eine Beziehung mit der damaligen Privatklägerin geführt zu haben. Anlässlich eines Streits habe diese ihn mit folgenden Worten bedroht. «Ich muss nur weinend und verletzt zur Polizei gehen und behaupten, dass du mich geschlagen hast und noch weitere Sachen. Die Polizei wird mir sowieso glauben, da ich eine Schweizerin und ein junges Mädchen bin, das traurig ist. Du hast sowieso keine Chance, da du schlecht dastehst. Ich dagegen bin ein junges Mädchen, das nie etwas verbrochen hat und ganz brav und arm ist. Daher komm ich mit dieser Sache auch durch.» Als weiteres Beweismittel reicht der Gesuchsteller einen Chatverlauf zwischen ihm und der damaligen Privatklägerin vom 2. bis 16. Mai 2010 ein (Beilage 4 Revisionsgesuch). Im Jahr 2012 sei die Plattform Festzeit.ch nicht mehr aktuell gewesen, weshalb der Gesuchsteller seinen Account gelöscht habe und dieser im Jahr 2012 nicht mehr zugänglich gewesen sei. Die Reproduktion sei erst im Jahr 2020 erfolgt. Der Auszug sei als unumstösslicher Hinweis darauf zu verstehen, dass den Angaben der damaligen Privatklägerin in der Voruntersuchung und im Rahmen der Hauptverhandlung nicht gefolgt werden könne. Sowohl die Drohung gegen C.___ als auch der Chatverlauf seien Tatsachen, die sich vor dem zu beurteilenden Urteil vom 20. November 2012 ereignet hätten. Weder der Chatverlauf noch die Angaben von C.___ seien dem Gericht bekannt gewesen und stellten beide einen Revisionsgrund dar. Der Gesuchsteller sei zum Zeitpunkt des Kennenlernens selber erst 18 Jahre alt gewesen und die beiden hätten während neun Monaten eine Beziehung geführt, was als besonderer Umstand im Sinne des Gesetzes zu werten sei. Aufgrund dessen könne von einer Bestrafung wegen sexuellen Handlungen mit einem Kind Umgang genommen werden und das vorinstanzliche Urteil sei auch in diesem Punkt aufzuheben respektive zur neuen Entscheidung im Sinne des gestellten Eventualantrags und im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen. Aufgrund der auszusprechenden Freisprüche sei die ausgesprochene Sanktion neu festzulegen. Für die erfolgten Schuldsprüche sei ein Äquivalent zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten angemessen. Es gelte damaliges milderes Recht, so dass bis zu einer Freiheitsstrafe von 360 Tagen grundsätzlich eine Geldstrafe auszusprechen sei. Aufgrund der gesamten Umstände sei die Tagessatzhöhe mit CHF 10.00 festzulegen und sei überdies die entsprechende Geldstrafe bedingt auszusprechen, da es sich um die erste Verurteilung des Gesuchstellers im Erwachsenenalter gehandelt habe, so dass praxisgemäss eine solche bedingt auszusprechen sei.
2.2. Die Staatsanwaltschaft führte in ihrer provisorischen Stellungnahme aus, dass es sich bereits aus dem Revisionsgesuch ergebe, dass die Voraussetzungen für das Nichteintreten gestützt auf Art. 412 Abs. 2 StPO erfüllt sein dürften. Im Zentrum der Überlegungen stehe die Kopie des Chatverlaufs, welche der Gesuchsteller eingereicht habe. Im Vordergrund stehe dabei nicht, dass die Behauptung, für den Gesuchsteller sei dieser Chatverlauf im Jahr 2012 nicht zugänglich gewesen und er habe ihn daher im damaligen Prozess nicht einreichen können, äusserst unglaubhaft sei und bis zur Vorlage von sachdienlichen Beweisen davon auszugehen sei, dass der Gesuchsteller diesen Chatverlauf den Strafbehörden absichtlich nicht zur Verfügung gestellt habe, weshalb die heutige Anrufung als Revisionsbeweismittel gegen das Verbot des Rechtsmissbrauchs verstosse. Nein, im Vordergrund stehe der Inhalt dieses Chatverlaufs, welcher dem Gesuchsteller bezüglich der gegenüber der damaligen Privatklägerin verübten Taten viel mehr be- als entlaste. Dies ergebe sich aus folgender Chronologie: Der Beschuldigte habe sich wegen der Vorwürfe vom 21. April bis 30. April 2010 in Untersuchungshaft befunden. Am 23. April 2010 habe die Videobefragung der damaligen Privatklägerin stattgefunden, in welcher sie den Gesuchsteller schwer belastet habe. Das Chatprotokoll beginne lediglich drei Tage nach der Haftentlassung und imponiere in erster Linie dadurch, dass der Gesuchsteller dem Opfer in keiner Weise vorwerfe, ihn zu Unrecht beschuldigt zu haben. Im Gegenteil entschuldige er sich mehrfach für alles, was er ihr zugefügt habe. Ein Beispiel für viele: Als sie ihm am 7. Mai 2010 um 17:09 Uhr geschrieben habe, er habe ihr ganzes Leben kaputt gemacht und dies auch mit Gewalttätigkeit begründet (vgl. Fehlen von 10 cm Haaren am Hinterkopf), habe er geantwortet: Ja sorry, ich weiss, ich habe alles kaputt gemacht, aber bitte sei nicht hässig auf mich. Alles in allem sei hinten und vorne nicht nachvollziehbar, inwiefern dieses Chatprotokoll das beweismässige Fundament des angefochtenen Urteils derart erschüttern sollte, dass es in Revision zu ziehen wäre. Im Gegenteil: Es wirke als zusätzliches Indiz für die vom Gesuchsteller der damaligen Privatklägerin gegenüber begangenen Verfehlungen. Die beiden anderen angeblich neuen Beweismittel erfüllten die Voraussetzungen von Art. 410 Abs. 1 lit. a StPO schon deshalb nicht, weil sie nicht «vor dem Entscheid eingetretene Tatsachen» betreffen würden. Selbst wenn die damalige Privatklägerin in einem späteren Zeitpunkt gelogen haben sollte, könne dies nicht zur Revision des Urteils von 2012 – welches der Gesuchsteller nota bene bereits in erster Instanz akzeptiert habe – führen. Strafprozessual entscheidend sei die Glaubhaftigkeit konkreter Aussagen und nicht die generelle Glaubwürdigkeit einer bestimmten Person; diesbezüglich habe sich seit 2012 nichts geändert.
In der Ergänzung der Stellungnahme verwies die Staatsanwaltschaft grundsätzlich auf die zuvor erfolgte Begründung. Zur Dokumentation der Gehaltslosigkeit des Revisionsgesuches brachte sie folgende Hinweise an: Im Revisionsgesuch werde geltend gemacht, der als neues Beweismittel angerufene Chatverlauf sei insofern relevant, als er neu zeige, dass die damalige Privatklägerin eifersüchtig resp. enttäuscht und verletzt gewesen sei, weil sie vom Gesuchsteller betrogen worden sei. Die zwischenzeitlich vorliegenden Gerichtsakten DTSAG.2012.3 zeigten, dass dies keineswegs neu, sondern dem urteilenden Gericht hinlänglich bekannt gewesen sei. Die damalige Privatklägerin selber habe ausgesagt, «dass es sie hässig mache, dass er auch noch mit anderen Frauen etwas gehabt habe». Aus den Akten des Strafgerichts Basel-Landschaft ergebe sich nicht der geringste Hinweis auf eine durch die damalige Privatklägerin begangene falsche Anschuldigung. Gemäss Strafanzeige habe es sogar neutrale Auskunftspersonen gegeben, die am 20. Oktober 2013 einen tätlichen Übergriff beobachtet hätten und durch ihre Intervention hätten verhindern können, «dass der Beschuldigte weiter zuschlug». Hierauf habe der Beschuldigte in Anwesenheit der Polizei bewogen werden können, den Wohnungsschlüssel abzugeben und die damalige Privatklägerin inskünftig in Ruhe zu lassen. Weil er diese Zusicherung eingehalten habe, habe sie sich entschlossen, den Strafantrag am 26. Mai 2014 zurückzuziehen. Folgerichtig sei schliesslich eine Einstellung ergangen, jedoch ohne Zuspruch einer Entschädigung einer Genugtuung. 3. 3.1. Soweit der Gesuchsteller geltend macht, er habe auf die Chatprotokolle von Festzeit.ch im Jahr 2012 nicht zugreifen können, ist er nicht zu hören. Offensichtlich war es ihm möglich, auf den mittlerweile archivierten Chatverlauf zuzugreifen. Weshalb dies zwar im Jahr 2020 hätte möglich sein sollen, nicht aber im Jahr 2012 entbehrt jeglicher Logik. Der Gesuchsteller erklärt denn auch mit keinem Wort, weshalb die Auszüge erst im Jahr 2020 verfügbar gewesen sein sollen. Es erweckt stark den Anschein, wie die Staatsanwaltschaft bemerkte, dass der Gesuchsteller diese Chatverläufe bewusst nicht im Strafverfahren eingereicht hat. Die entsprechenden Auszüge waren ihm demnach während des Verfahrens zugänglich und er hätte sie ohne weiteres spätestens im ordentlichen Rechtmittelverfahren einbringen können. Der Gesuchsteller hätte sich gegen das Urteil wehren können, liess die Rechtsmittelfrist aber ungenutzt verstreichen und das Urteil erwuchs unangefochten in Rechtskraft. Das Revisionsgesuch erweckt daher stark den Eindruck, dass damit der ordentliche Rechtsmittelweg umgangen werden soll, der damals nicht genutzt wurde. Eine Revision ist indes nicht dazu da, verpasste nicht genutzte Rechtsmittel zu ersetzen. Gemäss Art. 412 Abs. 2 StPO tritt das Gericht auf das Revisionsgesuch nicht ein, wenn es offensichtlich unzulässig unbegründet ist. Das vorliegende Revisionsgesuch ist bezogen auf die Chatprotokolle offensichtlich unbegründet. In Anwendung von Art. 412 Abs. 2 StPO ist darauf insofern nicht einzutreten.
3.2. Vollständigkeitshalber sei festgehalten, dass die Chatverläufe denn auch materiell keinen Revisionsgrund darstellen. Wie die Staatsanwaltschaft korrekt ausführt, haben diese eher eine be- als entlastende Wirkung. So kann den Nachrichten entnommen werden, dass die damalige Privatklägerin sich am 2. Mai 2010 beim Gesuchsteller entschuldigte und er daraufhin am 4. Mai 2010 erwiderte, sie müsse sich nicht entschuldigen, Fehler habe er gemacht. Er wiederholt denn auch mehrfach, dass er alles kaputt gemacht habe. Mit keinem Wort wirft er ihr vor, ihn zu Unrecht beschuldigt in Untersuchungshaft gebracht zu haben. Bei erfundenen Vorwürfen wäre klarerweise zu erwarten, dass der vermeintliche Täter das angebliche Opfer beim nächsten Kontakt darauf anspricht und nach den Gründen etc. fragt. Soweit der Gesuchsteller einzelne Äusserungen der damaligen Privatklägerin mit den Chatnachrichten in Zweifel zu ziehen versucht, scheitert er. Der Gesuchsteller behauptet, die damalige Privatklägerin habe am 23. April 2010 ausgesagt, dass der Gesuchsteller es ihr untersagt habe, sich mit anderen zu treffen und alleine auf die Strasse zu gehen, dem Chatverlauf könne man nun aber entnehmen, dass es im Nachhinein ihre Mutter gewesen sei, welche ihr verboten habe, das Haus alleine zu verlassen und sie zur Schule begleitet habe. Dazu ist festzuhalten, dass die damalige Privatklägerin mit der entsprechenden Nachricht (7. Mai 2010, 17:09 Uhr) offensichtlich von der aktuellen Zeit spricht, nachdem sie den Gesuchsteller angezeigt hatte und nicht von der Zeit der Beziehung. Ein höheres Mass an Fürsorge einer Mutter erstaunt angesichts der damaligen Situation denn auch in keiner Weise. Weiter bringt der Gesuchsteller vor, in der Befragung habe die damalige Privatklägerin zu Protokoll gegeben, dass sie annehme, der Gesuchsteller habe sich aus Eifersucht zu den entsprechenden Taten hinreissen lassen, während dem entsprechenden Chatverlauf genau das Gegenteil entnommen werden könne und sie offensichtlich eifersüchtig gewesen sei. Auch dieses Argument verfängt nicht. Aus den Nachrichten wird deutlich, dass die damalige Privatklägerin anscheinend nach wie vor Gefühle für den Gesuchsteller hatte und daher in nachvollziehbarer Weise eine gewisse Eifersucht zeigte. Inwiefern ihre Eifersucht seine ausschliessen widerlegen sollte, erklärt der Gesuchsteller nicht und ist auch nicht zu erkennen. Wenn der Gesuchsteller der damaligen Privatklägerin vorwirft, sie habe ihm im Chat nicht die einzelnen gegen sie begangenen Taten vorgeworfen und sich am meisten über die fehlenden Haare aufgeregt, ändert auch diese Argumentation nichts an der Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen. Zum einen geht aus dem eingereichten Chatverlauf nicht hervor, ob er mit den sichtbaren Nachrichten anfing und endete nicht vorher danach noch mehr geschrieben wurde. Es erstaunt sodann nicht, dass die damals noch nicht einmal 15-jährige Privatklägerin, die dem Gesuchsteller immer noch schrieb, dass sie ihn liebe, in einer solchen Unterhaltung nicht jede Tat einzeln vorwirft. Mehrfach führt sie dagegen aus, er habe alles und ihr Leben zerstört. Was der Gesuchsteller aus der zitierten Aussage der damaligen Privatklägerin (Nachricht vom 7. Mai 2010, 20:37 Uhr) ableiten will, bleibt ebenfalls unklar. Es muss wohl kaum erläutert werden, dass insbesondere Teenager auf dem schriftlichen Weg oft viel mutiger erscheinen können, als in einer konkreten Gewaltsituation. Alles in allem vermögen die vorgebrachten Argumente des Gesuchstellers bezogen auf die Chatprotokolle die Glaubhaftigkeit der damaligen Privatklägerin nicht zu erschüttern. Der Chatverlauf ist damit nicht geeignet, ein wesentlich anderes Urteil herbeizuführen, wie dies für einen Revisionsgrund vorausgesetzt wird.
3.3. Betreffend das eingereichte Schreiben von C.___ und dessen Angaben zur Beziehung mit der damaligen Privatklägerin handelt es sich offensichtlich nicht um eine neue, vor dem Entscheid eingetretene Tatsache, wie der Gesuchsteller selbst erkennt. Dies kann somit von vornherein keinen Revisionsgrund darstellen. Ergänzend kann festgehalten werden, dass auch die Angaben von C.___ in keiner Weise die Aussagen der damaligen Privatklägerin in Zweifel ziehen. Aus den Akten des Strafgerichts Basel-Landschaft ist ersichtlich, dass es Zeugen für den Vorfall vom 20. Oktober 2013 gegeben hat, die C.___ von weiteren Gewalttaten gegenüber der damaligen Privatklägerin abhielten. Deren Vorwürfe gegen ihn erscheinen demnach in keiner Weise aus der Luft gegriffen, auch wenn sie an dieser Stelle nicht abschliessend zu beurteilen sind. Aber in jedem Fall zeichnet das Verfahren gegen C.___ von der damaligen Privatklägerin nicht ein Bild einer berechnenden Frau, die zu Unrecht Männer des gewalttätigen Verhaltens bezichtigt, wie der Gesuchsteller es zu malen versucht. Die Äusserungen von C.___ sind daher nicht geeignet, die Wahrhaftigkeit der Angaben der damaligen Privatklägerin in der Voruntersuchung zu erschüttern, so dass diese nicht mehr als glaubhaft betrachtet werden könnten, wie der Gesuchsteller behauptet. Aus den Akten des Strafgerichts Basel-Landschaft wird ersichtlich, dass die damalige Privatklägerin und C.___ im Jahr 2013 eine Beziehung führten (AS BS 1567) und damit nach der Verurteilung des Gesuchstellers. Damit erübrigt sich auch eine Befragung, da seine sämtlichen Aussagen ohnehin keinen Revisionsgrund darstellen könnten. Das Revisionsgesuch ist folglich auch in diesem Punkt offensichtlich unbegründet und es ist daher in Anwendung von Art. 412 Abs. 2 StPO nicht darauf einzutreten.
III.
1. Der Gesuchsteller ersucht um amtliche Verteidigung unter Beiordnung von Advokat Nicolas Roulet als amtlicher Verteidiger. Der Gesuchsteller lebe in [Heimatland] und verfüge über kein Einkommen, mit welchem er eine Rechtsvertretung selber bezahlen könnte. Das Revisionsgesuch könne nicht als von vorneherein aussichtslos bezeichnet werden, sodass die Voraussetzungen zur Gewährung des Armenrechts gegeben seien.
2. Im Revisionsverfahren, somit in einem nach rechtskräftiger Erledigung der Strafsache (Art. 410 StPO) angehobenen ausserordentlichen Rechtsmittelverfahren, besteht nach konstanter Praxis gestützt auf Art. 29 Abs. 3 BV nur dann ein Anspruch auf einen unentgeltlichen Rechtsbeistand bzw. amtliche Verteidigung, wenn einigermassen begründete Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Revisionsgrundes gegeben sind (BGE 129 I 129, W. 2.3; ZR 96 [1997] Nr. 118 m. H.; BGer vom 9.4.2013, 1B_74/2013, E. 2.2.).
Das Wiederaufnahmegesuch darf nicht völlig aussichtslos erscheinen. Eine amtliche Verteidigung ist angezeigt, wenn es sich nicht um einen Bagatellfall handelt und der Fall in tatsächlicher rechtlicher Hinsicht schwierig ist, namentlich wenn eine Freiheitsstrafe von mehr als vier Monaten eine Geldstrafe von mehr als 120 Tagessätzen zu erwarten sind (Art. 132 Abs. 2 und 3 StPO). Eine Wiederaufnahme bedingt oft komplizierte Abklärungen (BSK StPO-Heer, Art. 412 StPO N 11).
3. Das Revisionsgesuch war von Beginn an unbegründet und aussichtslos. Der Gesuchsteller brachte keinerlei stichhaltige Argumente vor und die behaupteten Revisionsgründe erwiesen sich nicht nur als unzulässig und unbegründet, sondern gar als rechtsmissbräuchlich. Auch wenn es sich bei der Verurteilung des Gesuchstellers nicht um einen Bagatellfall handelte, so war das Revisionsbegehren völlig aussichtslos und barg insofern keine Schwierigkeiten. Das Gesuch um amtliche Verteidigung ist daher abzuweisen.
4. Gemäss Art. 428 StPO tragen die Parteien die Kosten des Rechtsmittelverfahrens nach Massgabe ihres Obsiegens Unterliegens. Ausgangsgemäss sind die Kosten des Revisionsverfahrens mit einer Gerichtsgebühr von CHF 800.00 dem unterliegenden Gesuchsteller aufzuerlegen.
Demnach wird in Anwendung von Art. 412 Abs. 2, Art. 413 Abs. 1, Art. 428 StPO beschlossen: 1. Auf das Revisionsgesuch wird nicht eingetreten. 2. Das Gesuch um amtliche Verteidigung wird abgewiesen. 3. Die Prozesskosten mit einer Gerichtsgebühr von CHF 800.00, total CHF 860.00, hat A.___ zu bezahlen.
Rechtsmittel: Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Erhalt der vollständigen Ausfertigung beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist beginnt am Tag nach dem Empfang des begründeten Entscheids zu laufen und wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Art. 78 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich.
Gegen den Entscheid betreffend Entschädigung der amtlichen Verteidigung (Art. 135 Abs. 3 lit. b StPO) und der unentgeltlichen Rechtsbeistandschaft im Rechtsmittelverfahren (Art. 138 Abs. 1 i.V.m. Art. 135 Abs. 3 lit. b StPO) kann innert 10 Tagen seit Erhalt des begründeten Entscheids beim Bundesstrafgericht Beschwerde eingereicht werden (Adresse: Postfach 2720, 6501 Bellinzona). Im Namen der Strafkammer des Obergerichts Der Präsident Die Gerichtsschreiberin von Felten Schmid |
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
Hier geht es zurück zur Suchmaschine.