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Urteil Verwaltungsgericht (SO - STBER.2024.5)

Kopfdaten
Kanton:SO
Fallnummer:STBER.2024.5
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Strafkammer
Verwaltungsgericht Entscheid STBER.2024.5 vom 30.07.2024 (SO)
Datum:30.07.2024
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:-
Zusammenfassung:Zusammenfassung: In dem vorliegenden Fall geht es um einen Diebstahl eines Fahrrads, bei dem der Beschuldigte, A.___, behauptet, das Fahrrad auf Facebook gekauft zu haben. Die Staatsanwaltschaft und die Polizei konnten jedoch keine Beweise für den Kauf finden. Das Gericht wertet die Aussagen der Polizisten als glaubhaft, während die Angaben des Beschuldigten als unglaubhaft erscheinen. Der Beschuldigte konnte keine überzeugenden Beweise für den Fahrradkauf vorlegen. Das Gericht geht davon aus, dass das Fahrrad einen Wert von unter CHF 300 hatte. Letztendlich wird der Beschuldigte des Diebstahls schuldig gesprochen und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.
Schlagwörter: Beschuldigte; Fahrrad; Recht; Beschuldigten; Verfahren; Täter; Verfahren; Beruf; Berufung; Beweis; Urteil; Verteidigung; Freiheit; Aussage; Verfahrens; Freiheitsstrafe; Gericht; Diebstahl; Entschädigung; Staat; Person; Apos; Berufungsverfahren; Recht; ässig
Rechtsnorm: Art. 10 StPO ; Art. 136 StPO ; Art. 137 StGB ; Art. 139 StGB ; Art. 2 StGB ; Art. 28 ZGB ; Art. 307 StPO ; Art. 34 StGB ; Art. 391 StPO ; Art. 406 StPO ; Art. 408 StPO ; Art. 41 StGB ; Art. 42 StGB ; Art. 426 StPO ; Art. 428 StPO ; Art. 429 StPO ; Art. 431 StPO ; Art. 448 StPO ; Art. 453 StPO ; Art. 456a StPO ; Art. 47 StGB ; Art. 49 OR ; Art. 50 StGB ; Art. 51 StGB ; Art. 82 StPO ;
Referenz BGE:105 IV 225; 115 IV 286; 116 IV 192; 117 IV 7; 120 Ia 31; 121 IV 202; 133 I 33; 134 IV 1; 134 IV 97; 136 IV 1; 136 IV 55; 137 IV 352; 138 IV 120; 143 IV 361; 144 IV 217; 144 IV 313; 147 IV 241;
Kommentar:
Andreas Donatsch, 21. überarbeitete Auflage , Art. 137 StGB, 2022
Entscheid
 
Geschäftsnummer: STBER.2024.5
Instanz: Strafkammer
Entscheiddatum: 30.07.2024 
FindInfo-Nummer: O_ST.2024.44
Titel: Diebstahl mit Widerrufsverfahren

Resümee:

 

Obergericht

Strafkammer

 

 

 

 

 

 

Urteil vom 30. Juli 2024

Es wirken mit:

Präsident Werner

Oberrichterin Marti

Oberrichter Rauber  

Gerichtsschreiberin Wächter

In Sachen

Staatsanwaltschaft, Franziskanerhof, Barfüssergasse 28, Postfach 157, 4502 Solothurn,

Anklägerin

 

gegen

 

A.___, vertreten durch Rechtsanwältin Sine Selman,

Beschuldigter und Berufungskläger

 

betreffend       Diebstahl mit Widerrufsverfahren
Die Berufung wird in Anwendung von Art. 406 Abs. 2 StPO im schriftlichen Verfahren behandelt.

 

Die Strafkammer des Obergerichts zieht in Erwägung:

 

I. Prozessgeschichte

 

1. Am 17. August 2021 erstattete B.___ via Suisse ePolice Anzeige wegen Fahrraddiebstahls (Aktenseiten Verfahren STA.2021.5326 [nachfolgend AS] 009 f.). Dieser Anzeigerapport wurde in der Folge an die Kantonspolizei Solothurn übermittelt.

 

2. Am 9. November 2021 eröffnete die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn ein Verfahren gegen A.___ (nachfolgend Beschuldigter) wegen Diebstahls (Art. 139 Ziff. 1 des Schweizerischen Strafgesetzbuches vom 21. Dezember 1937 [StGB, SR 311.0]; AS 081).

 

3. Mit Gerichtsstandsanfrage vom 18. November 2021 bat die Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau, welche gegen den Beschuldigten ein Verfahren wegen einfacher Körperverletzung führte, die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn (nachfolgend Staatsanwaltschaft) gestützt auf Art. 34 Abs. 1 der Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO, SR 312.0) um Verfahrensübernahme (AS 083).

 

4. Mit Strafbefehl der Staatsanwaltschaft vom 14. April 2023 wurde A.___ wegen Diebstahls sowie einfacher Körperverletzung zu einer unbedingten Freiheitstrafe von 100 Tagen (unter Anrechnung von 1 Tag Freiheitsentzug, womit sich die noch zu verbüssende Freiheitsstrafe auf 99 Tage reduzierte) verurteilt (AS 239 ff.). Gegen diesen Strafbefehl erhob der Beschuldigte fristgerecht Einsprache (AS 244).

 

5. Mit Verfügung vom 20. April 2023 überwies die Staatsanwaltschaft, unter Festhaltung am angefochtenen Strafbefehl und zur Beurteilung der gegen den Beschuldigten erhobenen Vorhalte, die Akten an das Gerichtspräsidium von Bucheggberg-Wasseramt (Aktenseiten Verfahren BWSPR.2023.32 [nachfolgend ASBW] 002 f.).

 

6. Am 20. September 2023 fällte der a.o. Amtsgerichtsstatthalter von Bucheggberg-Wasseramt nach durchgeführter Hauptverhandlung folgendes Urteil (ASBW 088 ff.):

 

1.      A.___ wird vom Vorhalt der einfachen Körperverletzung, angeblich begangen am 16. November 2021, freigesprochen (Vorhalt Ziff. 1.2 des Strafbefehls vom 14. April 2023).

2.      A.___ hat sich des Diebstahls, begangen am 17. August 2021, schuldig gemacht (Vorhalt Ziff. 1.1).

3.      A.___ wird zu einer Freiheitsstrafe von 65 Tagen verurteilt, unter Gewährung des bedingten Vollzugs bei einer Probezeit von 2 Jahren.

4.      A.___ werden 2 Tage Haft an die Freiheitsstrafe angerechnet.

5.      Der A.___ mit Urteil des Gerichtspräsidiums Rheinfelden vom 21. Oktober 2020 für eine Freiheitsstrafe von 90 Tagen gewährte bedingte Vollzug wird nicht widerrufen, stattdessen wird die Probezeit um 1 Jahr verlängert.

6.      Die von A.___ bereits geleistete Zahlung (4 VESR-Zahlungen) in Höhe von CHF 400.00 wird an die Verfahrenskosten angerechnet.

7.      Der Antrag von A.___ auf Zusprechung einer Genugtuung wird abgewiesen.

8.      Der Antrag von A.___ auf Zusprechung einer Entschädigung wird abgewiesen.

9.      Die Entschädigung der amtlichen Verteidigerin von A.___, Rechtsanwältin Sine Selman, Zürich, wird auf CHF 6'847.05 (5,5 Stunden zu CHF 180.00 und 24,9 Stunden zu CHF 190.00 pro Stunde, inkl. Auslagen von CHF 636.50 und 7,7 % MWST von CHF 489.55) festgesetzt und ist zufolge amtlicher Verteidigung vom Staat Solothurn zu zahlen. Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren im Umfang von 2/3, somit CHF 4'564.70, sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse von A.___ erlauben.

10.   Die Kosten des Verfahrens, mit einer Urteilsgebühr von CHF 1'000.00, total CHF 1'410.00, sind wie folgt durch A.___ und den Staat Solothurn zu übernehmen:

-           A.___: 2/3 entsprechend CHF 940.00 (nach der Anrechnung gemäss Ziff. 6 hiervor verbleiben CHF 540.00),

-           Staat Solothurn: 1/3 entsprechend CHF 470.00.

Wird von keiner Partei ein Rechtsmittel ergriffen und nicht ausdrücklich eine schriftliche Begründung des Urteils verlangt, so reduziert sich die Urteilsgebühr um CHF 300.00, womit die gesamten Kosten CHF 1'110.00 betragen.

 

7. Der Beschuldigte liess gegen dieses Urteil mit Schreiben vom 21. September 2023 die Berufung anmelden (ASBW 100). Am 17. Januar 2024 wurde der Verteidigung das begründete Urteil zugestellt (ASBW 133). Die Berufungserklärung datiert vom 6. Februar 2024. Angefochten werden der (teilweise) Schuldspruch (Dispositiv-Ziffern 2 bis 4), die Verlängerung der Probezeit der Vorstrafe (Dispositiv-Ziffer 5) sowie die Kosten- und Entschädigungsfolgen (Dispositiv-Ziffern 6, 7, 9 und 10). Im Rahmen der Berufungserklärung wurde zudem der Antrag gestellt, die Unterzeichnete sei dem Beschuldigten auch für das Berufungsverfahren als amtliche Verteidigerin beizugeben bzw. als solche zu belassen. Schliesslich wurde der Beweisantrag gestellt, es sei B.___ unter Wahrung der Teilnahmerechte des Beschuldigten zu befragen (Aktenseiten Berufungsverfahren STBER.2024.5 [nachfolgend ASB] 2 ff.). Mit der Berufungserklärung wurden diverse Unterlagen eingereicht (Vollmacht, diverse Verkaufsinserate; ASB 9 ff.).

 

8. Mit Stellungnahme vom 9. Februar 2024 teilte die Staatsanwaltschaft mit, sie verzichte auf eine Anschlussberufung und eine weitere Teilnahme am Berufungsverfahren (ASB 23).

 

9. Mit Eingabe vom 4. April 2024 stellte die Verteidigung den Antrag, das Berufungsverfahren sei i.S.v. Art. 406 StPO schriftlich durchzuführen und die bereits eingereichte Berufungserklärung als schriftliche Begründung entgegenzunehmen (ASB 27 f.).

 

10. Mit Verfügung vom 18. April 2024 wurde die Durchführung des schriftlichen Verfahrens angeordnet. Gleichzeitig wurde die amtliche Verteidigung widerrufen (ASB 29 ff.).

 

II. Formelles

 

1. Anwendbares Recht

 

1.1 Per 1. Januar 2024 trat die Revision der StPO in Kraft. Die Änderungen enthalten keine Regelung betreffend Übergangsrecht. Es stellt sich somit die Frage, welches Recht vorliegend anwendbar ist, da erstinstanzlich vor Inkrafttreten der Revision geurteilt wurde, das Berufungsurteil nun aber nach diesem ergeht.

 

Art. 448 StPO sieht vor, dass Verfahren, die bei Inkrafttreten dieses Gesetzes hängig sind, nach neuem Recht fortgeführt werden, soweit die nachfolgenden Bestimmungen nichts anderes vorsehen (Abs. 1). Unter dem Abschnitt der Rechtsmittelverfahren hält Art. 453 Abs. 1 StPO fest, dass, sofern ein Entscheid vor Inkrafttreten dieses Gesetzes gefällt worden ist, Rechtsmittel dagegen nach bisherigem Recht, von den bisher zuständigen Behörden, beurteilt werden.

 

1.2 Die Thematik des Übergangsrechts wurde in den parlamentarischen Beratungen nie diskutiert, daraus lassen sich damit keine Erkenntnisse ableiten. Der Basler Kommentar zur StPO hält zu Art. 448 folgendes fest: «Hinzuweisen ist darauf, dass in der vom Parlament am 17. Juni 2022 verabschiedeten Teilrevision der Strafprozessordnung keine von Art. 448 StPO abweichenden Bestimmungen vorgesehen sind und die revidierten Bestimmungen der StPO demnach sofort in Kraft treten.» (Moritz Oehen, Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung [nachfolgend BSK StPO], 3. Auflage 2023, Art. 448 StPO N 2). Diese Formulierung ist aber insofern unklar, als daraus nicht genau hervorgeht, ob das neue Recht generell zur Anwendung gelangt eben Art. 453 StPO als Ausnahme für Rechtsmittelverfahren Anwendung findet. Im Grundsatz richtig ist, dass Art. 448 StPO für alle hängigen Verfahren gilt und damit die Revision sofort in Kraft tritt. Anderes sieht aber Art. 453 StPO für die Rechtsmittelverfahren vor, nämlich, dass die Rechtsmittel gegen einen Entscheid vor Inkrafttreten dieses Gesetzes nach bisherigem Recht, von den bisher zuständigen Behörden, beurteilt werden. Es würde zu eng greifen, die Formulierung «bei Inkrafttreten dieses Gesetzes» so auszulegen, dass nur das damalige Inkrafttreten der neuen StPO im Jahr 2011 gemeint ist. Vielmehr kommen die allgemeinen Verfahrensbestimmungen nach Art. 448 ff. StPO als Übergangsbestimmungen zur Anwendung, wenn eine neue Änderung beschlossen und nichts anderes geregelt wird. Somit gilt grundsätzlich neues Recht (Art. 448 Abs. 1 StPO), soweit die nachfolgenden Bestimmungen nichts anderes vorsehen. Bei Rechtsmittelverfahren sieht aber Art. 453 StPO vor, dass grundsätzlich das alte Recht Anwendung findet, wenn der angefochtene Entscheid vor Inkrafttreten der neuen Bestimmung gefällt wurde. Diese Auslegung verhindert unbefriedigende Ergebnisse in der Praxis: Um nur zwei Beispiele zu nennen, müsste in allen hängigen Berufungsverfahren die Privatklägerschaft mit URP nach Art. 136 Abs. 3 nStPO noch einen Antrag für URP stellen (soweit noch nicht geschehen), um die URP im Berufungsverfahren überhaupt zu erhalten. Oder der Beschuldigte würde benachteiligt, wenn ihm erstinstanzlich eine Entschädigung direkt zugesprochen wird und auf seine Berufung hin die Entschädigung dann nach Art. 429 Abs. 3 StPO im Berufungsverfahren dem Verteidiger direkt zugesprochen werden müsste. Fänden die neuen Bestimmungen auch für Rechtsmittelverfahren gegen erstinstanzliche Urteile vor dem Jahr 2024 Anwendung, würde dies bedeuten, dass bei teilweiser Anfechtung der rechtskräftige Teil des Urteils nach altem Recht ergeht, und der angefochtene nach neuem Recht. Es kann aber nicht sein, dass für ein Urteil (Art. 408 StPO) ein Teil nach altem und ein Teil nach neuem Prozessrecht gefällt wird. Diese Rechtsauffassung wird auch von früheren StPO-Revisionen gestützt: Mit der Änderung vom 28. September 2012 wurde mit Art. 456a StPO eine von den allgemeinen Regeln von Art. 448 und der Ausnahme von Art. 453 StPO abweichende Regelung geschaffen, wonach das neue Recht in allen Verfahren gelte, somit auch für Rechtsmittelverfahren. Im Weiteren kann auch Art. 2 StGB herangezogen werden, dessen Formulierung in Abs. 1 «nach diesem Gesetze wird beurteilt, wer nach dessen Inkrafttreten ein Verbrechen Vergehen begeht» jeweils die entsprechende Änderung des Gesetzes meint.

 

1.3 Es hat demnach Folgendes zu gelten: Die allgemeinen Verfahrensbestimmungen nach Art. 448 ff. StPO kommen als Übergangsbestimmungen zur Anwendung, wenn eine neue Änderung der StPO beschlossen und nichts Anderslautendes geregelt wird. Somit gilt grundsätzlich das neue Recht (Art. 448 Abs. 1 StPO), soweit die nachfolgenden Bestimmungen nichts anderes vorsehen. Bei Rechtmittelverfahren sieht Art. 453 StPO vor, dass grundsätzlich das alte Recht Anwendung findet, wenn der angefochtene Entscheid vor Inkrafttreten dieses Gesetzes (der neuen Bestimmung) gefällt worden ist.

 

1.4 Für den vorliegenden Fall bedeutet dies folglich, dass das alte Recht (vor dem 1. Januar 2024) zur Anwendung gelangt.

 

2. Beweisantrag vom 6. Februar 2024

 

In der Berufungserklärung vom 6. Februar 2024 stellte die Verteidigung den Beweisantrag, es sei B.___ unter Wahrung der Teilnahmerechte des Beschuldigten zu befragen. Deren Aussagen könnten entscheidend dazu beitragen, Licht in den Fall zu bringen, indem sie belegen würden, dass das Fahrrad bereits deutlich vor dem behaupteten Diebstahl nach Mitternacht entwendet worden sei. Ohne die Abnahme des vorliegend gestellten Beweisantrags auf Konfrontation könnten die Aussagen von B.___ nicht zum Nachteil des Beschuldigten verwertet werden (ASB 4, 6 ff.). Mit Schreiben vom 4. April 2024 teilte die Verteidigung mit, es werde davon ausgegangen, dass die persönliche Anwesenheit des Beschuldigten anlässlich der Hauptverhandlung nicht notwendig sei, da dieser wiederum von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen würde. Sie stelle daher den Antrag, dass das Berufungsverfahren schriftlich durchgeführt werde und es werde ausdrücklich auf eine mündliche Verhandlung verzichtet (ASB 27 f.). Zum gestellten Beweisantrag äusserte sich die Verteidigung dabei nicht mehr. Der Antrag auf Durchführung des schriftlichen Verfahrens darf allerdings als impliziter Verzicht auf die Befragung von B.___ verstanden werden. Der Antrag, es sei B.___ im Berufungsverfahren zu befragen, wird damit obsolet.

 

III. Gegenstand des Berufungsverfahrens

 

1. Es ist festzustellen, dass im vorliegenden Berufungsverfahren das Verschlechterungsverbot gemäss Art. 391 Abs. 2 StPO zur Anwendung gelangt, wonach die Rechtsmittelinstanz Entscheide nicht zum Nachteil der beschuldigten verurteilten Person abändern darf, wenn das Rechtsmittel nur zu deren Gunsten ergriffen worden ist. Vorbehalten bleibt eine strengere Bestrafung aufgrund von Tatsachen, die dem erstinstanzlichen Gericht nicht bekannt sein konnten.

 

2. Zusammenfassend sind die folgenden Dispositivziffern des erstinstanzlichen Urteils vom 20. September 2023 in Rechtskraft erwachsen:

 

-        Ziff. 1: Freispruch vom Vorwurf der einfachen Körperverletzung

-        Ziff. 8: Abweisung des Antrags auf Zusprechung einer Entschädigung

-        Ziff. 9 erster Satz: Höhe der Entschädigung der amtlichen Verteidigung

 

Gegenstand des Berufungsverfahrens sind somit:

 

-        Ziff. 2: Schuldspruch wegen Diebstahls

-        Ziff. 3: Strafzumessung

-        Ziff. 4: Anrechnung der Untersuchungshaft

-        Ziff. 5: Verlängerung der Probezeit bezüglich der Vorstrafe

-        Ziff. 6: Anrechnung der bereits geleisteten Zahlung an die Verfahrenskosten

-        Ziff. 7: Abweisung des Antrags auf Zusprechung einer Genugtuung

-        Ziff. 9 zweiter Satz: Rückforderungsvorbehalt betr. Honorar der amtlichen Verteidigung

-        Ziff. 10: Verfahrenskosten

 

3. Mit Blick auf die Prozessökonomie erlaubt Art. 82 Abs. 4 StPO den Rechtsmittelinstanzen, für die tatsächliche und rechtliche Würdigung des in Frage stehenden Sachverhalts auf die Begründung der Vorinstanz zu verweisen, wenn sie dieser beipflichten. Hingegen ist auf neue tatsächliche Vorbringen und rechtliche Argumente einzugehen, die erst im Rechtsmittelverfahren vorgetragen werden (Daniela Brüschweiler, Schulthess Kommentar StPO, 3. Auflage 2020, Art. 82 N 10).

 

IV. Sachverhalt und Beweiswürdigung

 

1. Vorhalt

 

1.1 Das Berufungsgericht hat somit noch folgenden Vorhalt gemäss Ziffer 1.1. des Strafbefehls vom 14. April 2023, der vorliegend als Anklageschrift gilt (Art. 356 Abs. 1 StPO), zu beurteilen:

 

Diebstahl (Art. 139 Ziff. 1 StGB)

Der Beschuldigte soll am 17. August 2021, um ca. 00:25 Uhr, in [Ort], Bushaltestelle Dorfzentrum, Kreisverkehr […] – […] – […], zum Nachteil von B.___, vorsätzlich sowie in unrechtmässiger Aneignungs- und Bereicherungsabsicht handelnd das bei der Bushaltestelle parkierte und abgeschlossene Herrenfahrrad der Marke Haibike (Modell Big Curve) im Wert von rund CHF 649.00 weggenommen und in den Kofferraum eines Personenwagens – parkiert an der [Strasse] – verladen haben.

 

1.2 Der Beschuldigte bestreitet diesen Vorhalt vehement und macht im Wesentlichen geltend, er habe das Fahrrad niemandem weggenommen, sondern jemandem abgekauft. Es ist daher im Folgenden eine Beweiswürdigung vorzunehmen sowie der rechtserhebliche Sachverhalt festzustellen.

 

2. Allgemeines zur Beweiswürdigung

 

2.1 Gemäss der in Art. 32 Abs. 1 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (BV, SR 101) und Art. 6 Ziff. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten  vom 4. November 1950 (EMRK, SR 0.101) sowie Art. 10 Abs. 3 StPO verankerten Maxime „in dubio pro reo“ ist bis zum Nachweis der Schuld zu vermuten, dass die einer Straftat angeklagte Person unschuldig ist: es gilt demnach die Unschuldsvermutung. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (BGE 120 Ia 31 E. 2, 127 I 38 E. 2) betrifft der Grundsatz der Unschuldsvermutung sowohl die Verteilung der Beweislast als auch die Würdigung der Beweise. Als Beweislastregel bedeutet die Maxime, dass es Sache des Staates ist, die Schuld des Angeklagten zu beweisen und nicht dieser seine Unschuld nachweisen muss. Als Beweiswürdigungsregel ist der Grundsatz „in dubio pro reo“ verletzt, wenn sich der Strafrichter von der Existenz eines für den Beschuldigten ungünstigen Sachverhaltes überzeugt erklärt, obschon bei objektiver Betrachtung Zweifel bestehen, dass sich der Sachverhalt so verwirklicht hat. Dabei sind bloss abstrakte und theoretische Zweifel nicht massgebend, da solche immer möglich sind. Obwohl für die Urteilsfindung die materielle Wahrheit wegleitend ist, kann absolute Gewissheit bzw. Wahrheit nicht verlangt werden, da diese der menschlichen Erkenntnis bei ihrer Unvollkommenheit überhaupt verschlossen ist. Mit Zweifeln ist deshalb nicht die entfernteste Möglichkeit des Andersseins gemeint. Erforderlich sind vielmehr erhebliche und schlechthin nicht zu unterdrückende Zweifel, die sich nach der objektiven Sachlage aufdrängen. Bei mehreren möglichen Sachverhaltsversionen hat der Richter auf die für den Beschuldigten günstigste abzustellen.

 

Eine Verurteilung darf somit nur erfolgen, wenn die Schuld des Verdächtigten mit hinreichender Sicherheit erwiesen ist, d.h. wenn Beweise dafür vorliegen, dass der Täter mit seinem Verhalten objektiv und subjektiv den ihm vorgeworfenen Sachverhalt verwirklicht hat. Voraussetzung dafür ist, dass der Richter einerseits persönlich von der Tatschuld überzeugt ist und andererseits die Beweise die Schuld des Verdächtigen in einer vernünftige Zweifel ausschliessenden Weise stützen. Der Richter hat demzufolge nach seiner persönlichen Überzeugung aufgrund gewissenhafter Prüfung der vorliegenden Beweise darüber zu entscheiden, ob er eine Tatsache für bewiesen hält nicht (BGE 115 IV 286).

 

2.2 Das Gericht folgt bei seiner Beweisführung dem Grundsatz der freien Beweis-würdigung (Art. 10 Abs. 2 StPO): es würdigt die Beweise frei nach seiner aus dem gesamten Verfahren gewonnenen Überzeugung und ist damit bei der Wahrheitsfindung nicht an die Standpunkte und Beweisführungen der Prozessparteien gebunden. Unterschieden wird je nach Art des Beweismittels in persönliche (Personen, welche die von ihnen wahrgenommenen Tatsachen bekannt geben: Aussagen von Zeugen, Auskunftspersonen und Beschuldigten) und sachliche Beweismittel (Augenschein und Beweisobjekte wie Urkunden Tatspuren). Dabei kommt es nicht auf die Zahl Art der Beweismittel an, sondern auf deren Überzeugungskraft Beweiskraft. Das Gericht entscheidet nach der persönlichen Überzeugung, ob eine Tatsache bewiesen ist nicht.

 

2.3 Dabei kann sich der Richter auch auf Indizien stützen. Indizien (Anzeichen) sind Hilfstatsachen, die, wenn selber bewiesen, auf eine andere, unmittelbar rechtserhebliche Tatsache schliessen lassen. Der erfolgreiche Indizienbeweis begründet eine der Lebenserfahrung entsprechende Vermutung, dass die nicht bewiesene Tatsache gegeben ist. Für sich allein betrachtet deuten Indizien jeweils nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auf eine bestimmte Tatsache hin. Auf das einzelne Indiz ist der In-dubio-Grundsatz denn auch nicht anwendbar. Gemeinsam - einander ergänzend und verstärkend - können Indizien aber zum Schluss führen, dass die rechtserhebliche Tatsache nach der allgemeinen Lebenserfahrung gegeben sein muss. Der Indizienbeweis ist dem direkten Beweis gleichgestellt (vgl. Urteile des Bundesgerichts 6B_360/2016 vom 1. Juni 2017 E. 2.4, nicht publ. in: BGE 143 IV 361 sowie 6B_332/2009 vom 4. August 2009 E. 2.3).

 

2.4 Im Rahmen der Beweiswürdigung ist die Aussage auf Glaubhaftigkeitsmerkmale bzw. Lügensignale hin zu analysieren. Die Aussage ist gestützt auf eine Vielzahl von inhaltlichen Realkennzeichen zu beurteilen, wobei zwischen inhaltlichen Merkmalen (Aussagedetails, Individualität, Verflechtung), strukturellen Merkmalen (Strukturgleichheit, Nichtsteuerung, Widerspruchsfreiheit bzw. Homogenität) sowie Wiederholungsmerkmalen (Konstanz, Erweiterung) unterschieden wird. Das Vorliegen von Realitätskriterien bedeutet, dass die betreffende Person mit hoher Wahrscheinlichkeit über erlebnisfundierte Geschehnisse berichtet. Zwar besitzt jedes Realitätskriterium für sich allein betrachtet meist nur eine geringe Validität, die Gesamtschau aller Indikatoren kann jedoch einen wesentlich höheren Indizwert für die Glaubhaftigkeit der Aussage haben, wobei sie in der Regel in solchen mit realem Erlebnishintergrund signifikanter und ausgeprägter vorkommen als in solchen ohne. Zunächst wird davon ausgegangen, dass die Aussage gerade nicht realitätsbegründet ist, und erst, wenn sich diese Annahme (Nullhypothese) aufgrund der festgestellten Realitätskriterien nicht mehr halten lässt, wird geschlossen, dass die Aussage einem wirklichen Erleben entspricht und wahr ist (BGE 133 I 33 E. 4.3). Im Bereich rechtfertigender Tatsachen trifft den Beschuldigten eine gewisse Beweislast. Seine Behauptungen müssen plausibel sein; es muss ihnen eine gewisse Überzeugungskraft zukommen. Zumindest bedarf die Behauptung des Beschuldigten gewisser Anhaltspunkte, sei es in Form konkreter Indizien einer natürlichen Vermutung für seine Darstellung, damit sie als Entlastungstatsache dem Urteil zugrunde gelegt wird. Wenn die belastenden Beweise nach einer Erklärung rufen, welche der Beschuldigte geben können müsste, dies jedoch nicht tut, darf nach Massgabe des gesunden Menschenverstandes der Schluss gezogen werden, es gebe keine mögliche Erklärung und er sei schuldig. Nichts anderes kann gelten, wenn er zwar eine Erklärung gibt, diese aber unglaubhaft gar widerlegt ist. Der Grundsatz "in dubio pro reo" zwingt somit nicht dazu, jede entlastende Angabe des Beschuldigten, für deren Richtigkeit Unrichtigkeit kein spezifischer Beweis vorhanden ist, als unwiderlegt zu betrachten. Nicht jede aus der Luft gegriffene Schutzbehauptung braucht durch einen hieb- und stichfesten Beweis widerlegt zu werden (vgl. Urteile des Bundesgerichts 6B_453/2011 vom 20. Dezember 2011 E. 1.6, 6B_562/2010 vom 28. Oktober 2010 E. 2. sowie 6B_308/2024 vom 22. Mai 2024 E. 1.3.2).

 

3. Unbestrittener / Bestrittener Sachverhalt

 

3.1 Unbestritten ist, dass sich der Beschuldigte zum fraglichen Zeitpunkt in [Ort], Bushaltestelle Dorfzentrum, Kreisverkehr […] – […] – […] befand und gerade dabei war, ein Herrenfahrrad der Marke «Haibike» (Big Curve) in den Kofferraum seines Personenwagens zu verladen, als er von den beiden Polizisten C.___ und D.___ angehalten wurde. Ebenfalls nicht bestritten ist, dass das besagte Fahrrad mit einem Zahlenschloss gesichert war, welches der Beschuldigte auf Nachfrage der Polizisten nicht öffnen konnte. Auch ist erstellt, dass das Fahrrad im Anschluss von der Polizei sichergestellt wurde und B.___ gleichentags ihr Fahrrad als gestohlen meldete. Die Polizei konnte das Fahrrad B.___ zuordnen, weshalb es ihr in der Folge wieder ausgehändigt wurde.

 

3.2 Der Beschuldigte bzw. seine Verteidigerin macht in der Berufungserklärung bzw. -begründung vom 6. Februar 2024 geltend, der Beschuldigte habe das Fahrrad auf dem Marketplace von Facebook für CHF 100.00 erworben. Der Beschuldigte sei folglich nicht der Dieb des Fahrrads und dieses sei bereits deutlich vor dem behaupteten Diebstahl entwendet worden. Es erscheine ausserdem höchst unwahrscheinlich, dass ein Fahrrad um 07:30 Uhr gestohlen und bis 00:25 Uhr am selben Ort zurückgelassen werde. Der Sachverhalt könne mit den vorhandenen Beweismitteln nicht rechtsgenüglich nachgewiesen werden. Insbesondere seien weder die mutmasslichen Aussagen des Beschuldigten bei der Begegnung mit der Polizei noch die Aussagen von B.___ verwertbar. Beide Polizeibeamten hätten zudem bestätigt, dass der Beschuldigte erhebliche Sprachschwierigkeiten aufgewiesen habe. Sie hätten berichtet, dass der Beschuldigte den Eindruck vermittelt habe, einen Chatverlauf gesucht zu haben, um den Kauf des Fahrrads zu belegen. Er sei aber nicht in der Lage gewesen, sich adäquat auszudrücken. Diese Umstände würden die Glaubhaftigkeit der Darstellung des Beschuldigten stärken. Selbst wenn aber angenommen werde, dass diese Sachverhaltsversion nicht glaubhaft erscheine, könne kein Schuldspruch erfolgen. So könne nicht nachgewiesen werden, dass das vermeintlich entwendete Fahrrad einen Wert von über CHF 300.00 besitze. In der elektronischen Anzeige sei behauptet worden, dass das Fahrrad am 2. November 2017 für CHF 649.00 (Neupreis) erworben worden sei. Der Tatzeitpunkt liege jedoch vier Jahre später. Ein gebrauchtes Herrenrad der Marke «Haibike», über dessen Qualität aufgrund des ursprünglichen Kaufpreises von CHF 649.00 Rückschlüsse gezogen werden könnten, dürfte schnell an Wert verlieren. Dies lege nahe, dass es sich nicht um ein hochwertiges Fahrrad handle. Die mit der Berufungserklärung eingereichten Belege würden deutlich untermauern, dass der Wert eines gebrauchten Fahrrads der Marke «Haibike» unter CHF 300.00 liege. So seien alle am 5. Februar 2024 online auf tutti.ch aufgeführten Fahrräder der Marke «Haibike» zu Preisen unter CHF 300.00 angeboten worden, wobei die Preise zwischen CHF 140.00 und CHF 250.00 variieren würden. Besonders hervorzuheben sei, dass auf der Plattform ricardo.ch das identische Modell gefunden worden sei, welches am 26. März 2023 zu einem Preis von CHF 273.00 verkauft worden sei. Damit sei erstellt, dass der Verkehrswert des Fahrrads unter CHF 300.00 liege. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung sei bei der Bestimmung des Deliktsbetrags «bei Sachen mit einem Marktwert bzw. einem objektiv bestimmbaren Wert allein dieser entscheidend» (Verweis auf BGE 116 IV 192, 121 IV 266). Auch in der Lehre sei unbestritten, dass bei Fahrrädern auf den Verkehrswert abzustellen sei, auch wenn sie zum Neuwert versichert seien (Verweis auf Weissenberger, BSK StGB II, Art. 172ter N 26). Zugunsten des Beschuldigten sei davon auszugehen, dass das Fahrrad zurzeit, als der Beschuldigte es an sich genommen habe, einen Wert von unter CHF 300.00 aufgewiesen habe (zum Ganzen: ASB 2 ff.).

 

Bezüglich der Ausführungen der Verteidigung anlässlich der erstinstanzlichen Hauptverhandlung vom 20. September 2023 kann auf das Verhandlungsprotokoll (ASBW 054 ff.) sowie die diesbezüglichen Ausführungen im Urteil vom 20. September 2023 (Urteilsseite [US] 9 f.) verwiesen werden und es wird verzichtet, diese an dieser Stelle nochmals auszuführen. Sofern notwendig, wird im Folgenden bezüglich der dort gemachten Ausführungen nochmals Stellung genommen.

 

4. Beweismittel

 

4.1 Anzeige von B.___ vom 17. August 2021 (AS 009 ff.)

 

B.___ reichte am 17. August 2021 um 17:42 Uhr über die Plattform Suisse ePolice eine Anzeige ein und meldete ihr Fahrrad der Marke «Haibike» (Modell Big Curve, Rahmennummer […]) als gestohlen. Als Tatort gab sie die Bushaltestelle Dorfzentrum in [Ort] (Buswartehäuschen) und als Tatzeitraum 16. August 2021, 07:30 Uhr bis 17. August 2021, 17:00 Uhr an. Im Rahmen dieser Anzeige lud sie eine Kaufquittung hoch, aus welcher ersichtlich ist, dass eben dieses Fahrrad am 2. November 2017 zu einem Preis von CHF 649.00 erworben worden war.

 

4.2 Nachtragsrapport der Kantonspolizei Bern vom 27. Oktober 2021 (AS 006 f.)

 

Dem Rapport lässt sich entnehmen, dass der Beschuldigte den beiden Polizisten C.___ und D.___ anlässlich einer Patrouillenfahrt am 17. August 2021 um 00:25 Uhr aufgefallen sei. Er sei gerade dabei gewesen, ein Fahrrad in einen Personenwagen zu verladen. Da ihnen dies verdächtig erschienen sei, hätten sie ihn zur Kontrolle angehalten. Auf entsprechende Frage habe der Beschuldigte gesagt, dass er das Fahrrad auf dem Marketplace von Facebook für CHF 100.00 erworben habe, dieses nun abhole und in sein Auto lade. Auf weitere Nachfrage habe er aber weder Verkäufer, Adresse, Konversation mit dem Verkäufer noch eine Quittung vorweisen können. Ausserdem sei am Fahrrad ein Zahlenschloss montiert gewesen, so dass es nicht habe gefahren werden können. Trotz Aufforderung habe der Beschuldigte das Schloss nicht öffnen können. Es sei für sie offensichtlich gewesen, dass der Beschuldigte das betreffende Fahrrad soeben gestohlen habe. Auch sei ihnen die Zeit (00:25 Uhr) äusserst ungewöhnlich erschienen, um einen Fahrradkauf abzuwickeln. Das Fahrrad sei dem Beschuldigten in der Folge abgenommen und sichergestellt worden. Die Rahmennummer sei zu diesem Zeitpunkt in keinem Fahndungssystem ausgeschrieben gewesen. Am gleichen Tag um 17:42 Uhr sei aber bei der Kantonspolizei Solothurn bereits eine Anzeige dieses Fahrrad betreffend eingegangen. B.___ habe gemeldet, dass ihr Fahrrad zwischen 16. August 2021, ca. 07:30 Uhr, und 17. August 2021, ca. 17:00 Uhr, gestohlen worden sei. Der von ihr gemeldete Entwendungsort habe sich mit dem Anhaltungsort des Beschuldigten gedeckt. Somit habe das Fahrrad zugeordnet werden können und befinde sich nun wieder bei der Halterin.

 

4.3 Aussagen Beschuldigter

 

Im Rahmen der staatsanwaltschaftlichen Einvernahme vom 17. März 2023 gab der Beschuldigte zu Protokoll, er habe das Fahrrad nicht genommen. Ansonsten machte er von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch und wollte keine näheren Aussagen machen (AS 073 f.). Auch anlässlich der erstinstanzlichen Hauptverhandlung verweigerte der Beschuldigte grundsätzlich die Aussage. Er führte lediglich aus, er habe immer wieder mal Sachen gefunden (z.B. Portemonnaie, Uhr) und diese jeweils der Polizei abgegeben (ASBW 077).

 

4.4 Aussagen C.___ (ASBW 065 ff.).

 

C.___ sagte anlässlich der erstinstanzlichen Hauptverhandlung vom 20. September 2023 aus, er stütze seine Aussagen zwar weitestgehend auf den von ihm verfassten Nachtragsrapport, erinnere sich aber schon noch an diesen Tag. Er und sein Kollege D.___ seien unterwegs gewesen aufgrund eines Einbruchs in [Ort 2]. Als sie wieder in Richtung [Ort 3] zurückgefahren seien, hätten sie den Beschuldigten und sein auf dem Trottoir parkiertes Auto angetroffen. Dieser sei gerade dabei gewesen, ein Fahrrad in den Kofferraum zu verladen. Die Situation sei ihnen beiden ins Auge gestochen. Sie hätten ihn daraufhin angehalten, kontrolliert und gefragt, was er da mache. Der Beschuldigte habe geantwortet, dass er das Fahrrad soeben gekauft habe. Auf die Frage, wo und bei wem er es gekauft habe, habe der Beschuldigte keine zuverlässige Antwort geben können. Er habe ihnen dann im Whatsapp einen Chat zeigen wollen, in welchem er mit dem Verkäufer betreffend Preis, Übergabe etc. gechattet haben wollte. Er habe ihnen letztendlich aber keinen Chat vorweisen können, woraus man in verständlicher Sprache – alle Chats seien seiner Meinung nach in arabischer Sprache gewesen – hätte erkennen können, bei wem er das Fahrrad gekauft habe. Er habe die Chats nicht abfotografiert, da der Beschuldigte ihnen keinen konkreten Chat vorgewiesen habe. Der Beschuldigte habe bei der Übersicht einfach nur durchgescrollt und den Anschein gemacht, als habe er einen bestimmten Chat gesucht. Sie hätten aber keinen Chat zu Gesicht bekommen, der auf den Kauf dieses Fahrrads hingewiesen hätte. Auch auf die weitere Nachfrage, bei wem bzw. welchem Hauseingang er das Fahrrad gekauft habe, habe der Beschuldigte dies nicht zeigen können. Auffällig sei nebst der Uhrzeit – es sei bereits nach Mitternacht gewesen – auch gewesen, dass das Fahrrad ein Zahlenschloss gehabt habe und das Rad des Fahrrads dadurch blockiert gewesen sei. Sie hätten ihm dann gesagt, dass wenn er das Fahrrad gekauft habe, er das Schloss doch öffnen könne. Der Beschuldigte habe daraufhin versucht, das Schloss zu öffnen, dies sei ihm jedoch nicht gelungen. Für sie sei es dann eigentlich offensichtlich gewesen, dass das Fahrrad gestohlen worden sei, weshalb sie dieses in der Folge sichergestellt hätten. Zu diesem Zeitpunkt sei das Fahrrad noch nicht als gestohlen ausgeschrieben gewesen. Der Beschuldigte habe sich anständig und korrekt verhalten. Er habe die Situation vielleicht nicht ganz begriffen. Er habe den Vorwurf aber in Abrede gestellt und eben erklärt, dass er das Fahrrad gekauft habe. Noch am selben Tag sei eine Anzeige eingegangen, dass das Fahrrad gestohlen worden sei. Das Fahrrad hätte in der Folge zugeordnet und der Besitzerin zurückgebracht werden können. Auf entsprechende Frage der Verteidigung gab C.___ zu Protokoll, es seien nicht viele Fahrraddiebstähle, die er eins zu eins habe beobachten können, wahrscheinlich um die zwei – der vorliegende und einer im Juli 2023 in Burgdorf.

 

4.5 Verkaufsinserate (ASB 10 ff.)

 

Die Verteidigung reichte im Rahmen der Berufungserklärung bzw. -begründung vom 6. Februar 2024 insgesamt sechs verschiedene Verkaufsinserate von Fahrrädern der Marke «Haibike» ein. Bei fünf der inserierten Fahrräder ist das Alter nicht ersichtlich und deren Preise variieren zwischen CHF 140.00 und CHF 250.00 (ASB 10 ff.). Beim sechsten Fahrrad – welches für einen Preis von CHF 273.00 verkauft wurde – wurde ausgeführt, dieses sei ca. 8-jährig (ASB 15 f.).

 

5. Konkrete Beweiswürdigung und massgebender Sachverhalt

 

5.1 Es ist der Verteidigung insofern beizupflichten, als dass zur Bestimmung des Werts bei Fahrrädern auf den Verkehrswert abzustellen ist (Philippe Weissenberger, Basler Kommentar, Strafrecht II [nachfolgend BSK StGB II], 4. Auflage 2019, Art. 172ter N 30). Das Fahrrad wurde gemäss Kaufquittung am 2. November 2017 zu einem Kaufpreis von CHF 649.00 erworben (AS 011) und war damit im Tatzeitpunkt nahezu vier Jahre alt. Grundsätzlich verliert ein Fahrrad ähnlich wie ein Neuwagen sehr schnell an Wert, wobei innerhalb der ersten beiden Jahre bereits von einem Wertverlust von ca. 50 % auszugehen ist (s. z.B. http://www.veloboerse-gantrisch.com/uploads/1/5/9/9/15996872/preisermittlung_occasion-velo.pdf) und der Wert des Fahrrads im vorliegenden Fall also bereits nach nur zwei Jahren bei ca. CHF 324.50 gewesen sein dürfte. Die Verteidigung reichte ein Verkaufsinserat ein, bei welchem ein 8-jähriges Fahrrad der Marke «Haibike» (Modell Big Curve) für doch noch CHF 273.00 verkauft wurde. Das Gericht erachtet diesen Betrag in Anbetracht des Alters dieses Fahrrads als relativ hoch und geht gestützt auf die vorstehenden Ausführungen und zugunsten des Beschuldigten davon aus, dass der Fahrradwert nach fast vier Jahren unter CHF 300.00 liegen dürfte. Es ist somit im Folgenden davon auszugehen, dass das Fahrrad von B.___ zum Tatzeitpunkt einen Verkehrswert von unter CHF 300.00 aufwies. Demgegenüber gilt es jedoch auch festzuhalten, dass ein noch nicht 4-jähriges Fahrrad als neu bzw. neuwertig und sicher nicht als alt einzuschätzen ist. Das genaue Alter des Fahrrads wie auch dessen Verkehrswert konnte der Beschuldigte nicht kennen. Es ist allerdings davon auszugehen, dass der Beschuldigte sich keine Gedanken darüber gemacht haben dürfte, wie hoch der Wert des Fahrrads im Tatzeitpunkt war.

 

5.2 Soweit die Verteidigung behauptet, die mutmasslichen und im Nachtragsrapport vom 27. Oktober 2021 geschilderten Aussagen des Beschuldigten seien nicht verwertbar, ist sie nicht zu hören, da es sich bei dem Polizeibericht um ein gesetzlich zulässiges strafprozessuales Beweismittel handelt. Gemäss Art. 307 Abs. 3 StPO hält die Polizei ihre Feststellungen und die von ihr getroffenen Massnahmen laufend in schriftlichen Berichten fest und übermittelt diese nach Abschluss ihrer Ermittlungen umgehend der Staatsanwaltschaft. Im hier streitigen Polizeibericht wurden keine Beweisaussagen des Beschuldigten inhaltlich protokolliert. Es wurden vielmehr nur Beobachtungen festgehalten, welche die beiden Polizisten selber wahrgenommen hatten. Im gesamten Verfahren steht es den Parteien im Übrigen frei, in einem Polizeibericht enthaltene tatsächliche Feststellungen soweit nötig zu bestreiten und Beweisanträge zu stellen, welche geeignet sein könnten, den Bericht inhaltlich zu widerlegen. Es ist letztendlich Aufgabe der den Endentscheid fällenden Strafbehörde, den Beweiswert und die Überzeugungskraft einzelner Beweiselemente zu würdigen. Dabei kann sowohl der Staatsanwaltschaft als auch dem erkennenden Gericht ohne weiteres zugetraut werden, zwischen subjektiven Wahrnehmungen eines rapportierenden Polizisten und objektiven Tatsachen ausreichend differenzieren zu können (Urteil des Bundesgerichts 1B­_218/2016 vom 3. November 2016 E. 1., 2.2., 2.5.1. ff.).

 

5.3 Die Verteidigung macht des Weiteren geltend, auch die Aussagen von B.___ seien nicht zu Lasten des Beschuldigten verwertbar, da zu keinem Zeitpunkt eine Konfrontation stattgefunden habe. Wie bereits von ihr selbst in der Berufungserklärung bzw. -begründung vom 6. Februar 2024 korrekt festgestellt, wurde B.___ im gesamten Strafverfahren nicht einvernommen. Folglich existieren keine Beweisaussagen von ihr, welche überhaupt verwertet werden könnten. Aktenkundig ist lediglich die Anzeige vom 17. August 2021 von B.___, mit welcher sie ihr gestohlenes Fahrrad meldete. Die Anzeige richtete sich gegen Unbekannt – B.___ hatte keine Kenntnis vom Beschuldigten und kannte diesen nicht namentlich. Dem Anzeigeerstatter bzw. der Anzeigeerstatterin kann im Strafverfahren jedoch keine Anonymität zugestanden werden, weshalb die beschuldigte Person auch in einem solchen Fall grundsätzlich das Recht hat, dem Belastungszeugen bzw. der Belastungszeugin Fragen zu stellen.     

 

Der Beweisantrag vom 6. Februar 2024, es sei B.___ einzuvernehmen, wurde mit dem Antrag, das Berufungsverfahren sei schriftlich durchzuführen, obsolet, bzw. ist der Antrag auf ein schriftliches Verfahren als Verzicht auf eine Konfrontation mit B.___ zu werten (vgl. II. 2. vorstehend). Die belastenden Angaben bzw. ihre Anzeige sind damit ohne Weiteres verwertbar. Es ist denn auch nicht ganz nachvollziehbar, wenn erst geltend gemacht wird, die Aussagen von B.___ seien entscheidend und könnten Licht ins Dunkel bringen, und dann zwei Monate später auf eine mündliche Verhandlung und damit auf eine Einvernahme von B.___ verzichtet wird. Da B.___ den genauen Tatzeitpunkt nicht kennt, könnte sie so so entgegen den Ausführungen der Verteidigung nicht belegen, dass das Fahrrad deutlich vor Mitternacht gestohlen wurde. Das Gericht geht überdies, wie vorstehend in Ziff. 4.1 ausgeführt, aufgrund des im Tatzeitpunkt bekannten Alters des Fahrrads zu Gunsten des Beschuldigten davon aus, dass dieses einen Verkehrswert von weniger als CHF 300.00 hatte, weshalb auch hier die Aussagen von B.___, wonach diese bestätigen könne, dass das Fahrrad bereits älter gewesen sei und einen Verkehrswert von weniger als CHF 300.00 aufgewiesen habe, zur weiteren Sachverhaltsklärung nicht relevant wären. Dass es sich bei dem entwendeten Fahrrad um ein Herrenfahrrad handelt, geht bereits klar aus der Anzeige vom 17. August 2021 hervor, weshalb auch hier keine Präzisierung durch B.___ notwendig wäre. Das Fahrrad konnte B.___ überdies zweifelsfrei von der Polizei zugeordnet werden, weshalb es ihr nach deren Anzeige unmittelbar zurückgegeben werden konnte.


5.4 Die Verteidigerin bringt in der Berufungserklärung bzw. -begründung sodann vor, es erscheine höchst unwahrscheinlich, dass ein Fahrrad um 07:30 Uhr gestohlen und dann bis um 00:25 Uhr am selben Ort zurückgelassen werde, weshalb die Möglichkeit bestehe, dass das Fahrrad vorgängig durch eine Drittperson gestohlen und anschliessend auf dem Marketplace von Facebook inseriert worden sei. Dass das Fahrrad genau um 07:30 Uhr gestohlen wurde, ist tatsächlich unwahrscheinlich und wird auch von niemandem behauptet. B.___ gab als Tatzeitraum 16. August 2021, 07:30 Uhr, bis 17. August 2021, 17:00 Uhr, an. Es ist dabei davon auszugehen, dass sie das Fahrrad am 16. August 2021 um 07:30 Uhr bei der Bushaltestelle deponierte und es dann am nächsten Tag um 17:00 Uhr wieder holen wollte. Da das Fahrrad dann eben zu diesem Zeitpunkt nicht mehr auffindbar war, machte sie am gleichen Tag um 17:42 Uhr via Suisse ePolice eine Anzeige. Den genauen Tatzeitpunkt, wann das Fahrrad effektiv abhanden kam, kennt B.___ wie bereits vorstehend erwähnt nicht. Wäre das Fahrrad – wie von der Verteidigung geltend gemacht – vorgängig von einer unbekannten Drittperson gestohlen worden, darf davon ausgegangen werden, dass diese Person das Fahrrad mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit an einen anderen Ort transportiert und es dort durch den Käufer hätte abholen lassen.

 

5.5 Von der Verteidigung wird weiter vorgebracht, der Beschuldigte sei bei seiner Anhaltung nicht in der Lage gewesen, sich aufgrund der Sprachbarriere gegenüber den Polizisten adäquat auszudrücken. An dieser Stelle gilt es aber zu erwähnen, dass der Beschuldigte immerhin in der Lage war, den Polizisten zu erklären, dass er das Fahrrad angeblich gekauft hatte und lediglich abholen wollte. Es ist der Vorinstanz diesbezüglich zuzustimmen, wenn sie ausführt, dass die beschränkten Deutschkenntnisse vor diesem Hintergrund die Beantwortung weniger Fragen, wie eben bspw. wer der Verkäufer des Fahrrads war und wie der Code des Zahlenschlosses lautet, erlaubt haben dürften (US 12). Inwiefern also tatsächlich die sprachliche Barriere eine Rolle spielte, ob der Beschuldigte diese einfach zu seinen Gunsten ausnutzte und so tat, als verstehe er nicht viel bzw. könne sich nicht gut verbal ausdrücken, ist fraglich. Auch ist es so, dass der Beschuldigte im weiteren Verfahren jeweils einen Dolmetscher zur Seite hatte. Spätestens dann hätte er also trotz des Umstands, dass er der deutschen Sprache nicht mächtig ist und nur gebrochen Deutsch spricht, sehr wohl Gelegenheit gehabt, sich auszudrücken bzw. zu schildern, wie es seiner Ansicht nach wirklich war. Stattdessen verweigerte er weitestgehend die Aussage und unterliess es damit, den Strafbehörden darzulegen, dass er das Fahrrad jemandem abgekauft hatte.

 

5.6 C.___ gab zu Protokoll, sie hätten keine Fotos der Chats gemacht, da der Beschuldigte ihnen keinen konkreten vorgewiesen habe und alle in arabischer Sprache gewesen seien. Wären diese Chats tatsächlich relevant bzw. wäre aus ihnen ersichtlich gewesen, dass der Beschuldigte das Fahrrad tatsächlich jemandem abgekauft hatte, hätte der Beschuldigte den konkreten Chat sicherlich behalten, im späteren Verfahren nochmals vorgebracht und übersetzen lassen. Dass er dies eben gerade nicht tat, lässt darauf schliessen, dass gar kein solcher Chat, der den Fahrradkauf belegen würde, existiert. In diesem Zusammenhang fällt insbesondere auch auf, dass der Beschuldigte während des gesamten Strafverfahrens bis zum heutigen Zeitpunkt nie versuchte, den von ihm behaupteten Fahrradkauf auf dem Marketplace von Facebook nachzuweisen und damit zu widerlegen, dass er das Fahrrad jemandem gestohlen hatte. Hätte er das Fahrrad tatsächlich und wie von ihm geschildert auf dem Marketplace von Facebook erworben, wäre es ein Leichtes gewesen, diesen Kauf zurückzuverfolgen und zu beweisen, werden doch sämtliche getätigten Käufe / Verkäufe im eigenen Konto auf Facebook gespeichert. Stattdessen versuchte der Beschuldigte wie vorstehend dargelegt lediglich, den beiden Polizisten irgendeinen Chat in der Whatsapp-App vorzuweisen. Dies in arabischer Sprache und im Wissen darum, dass die Polizisten dieser Sprache höchstwahrscheinlich nicht mächtig sind.

 

5.7 C.___ sagte aus, er habe bisher nur ganz wenige (wahrscheinlich zwei) Fahrraddiebstähle eins zu eins beobachten können. Er konnte die beiden Diebstähle gar benennen. Dies lässt darauf schliessen, dass er sich an den vorliegenden Vorfall erinnern konnte, da dies eben etwas ist, das selten vorkommt. Es ist überdies absolut kein Grund ersichtlich, wieso C.___, der sich im Tatzeitpunkt im Dienst befand und den Vorfall damit in Ausübung seiner beruflichen Funktion wahrnahm, den Beschuldigten zu Unrecht belasten sollte. Auch kannte er den Beschuldigten vorher nicht. Des Weiteren gestand er ein, die vom Beschuldigten gezeigten Chats nicht fotografiert zu haben und nahm damit in Kauf, seine Arbeit diesbezüglich allenfalls in ein negatives Licht zu rücken. Dies untermauert die Glaubhaftigkeit seiner Aussagen noch zusätzlich. Seine Aussagen, insbesondere wonach es für ihn und seinen Arbeitskollegen ziemlich offensichtlich gewesen sei, dass der Beschuldigte das Fahrrad zuvor gestohlen habe, sind demnach insgesamt als äusserst glaubhaft anzusehen. C.___ identifizierte den Beschuldigten anlässlich der erstinstanzlichen Hauptverhandlung sodann als jenen Mann, den er am 17. August 2021 anhielt und kontrollierte (ASBW 065).

 

5.8 Zu den weiteren im erstinstanzlichen Verfahren gemachten Vorbringen der Verteidigung, wonach nicht erstellt sei, dass überhaupt ein Fahrrad gestohlen worden sei, dass es sich bei dem von den Polizisten vorgefundenen Fahrrad um jenes von B.___ gehandelt habe und wem das Fahrrad überhaupt gehöre (Anzeige enthalte Personalien von E.___), führte die Vorinstanz korrekterweise Folgendes aus (US 11 f.): Das Fahrrad, welches der Beschuldigte am 17. August 2021 in sein Auto verladen wollte, wurde von B.___ gleichentags als gestohlen gemeldet. Eben dieses Fahrrad wurde schliesslich B.___ wieder ausgehändigt. Die Eigentümerschaft dieses Fahrrads wurde mit Ausnahme vom Beschuldigten von niemandem bestritten. Dies auch nicht von E.___, auf welchen die Kaufquittung des Fahrrads ursprünglich lautete.

 

5.9 In der Aussagepsychologie wurden verschiedene Erkenntnisse zum Aussageverhalten schuldiger und unschuldiger Personen gewonnen. Ein unschuldiger Beschuldigter antwortet danach detailreich, spontan und ohne Ausflüchte. Er will die Wahrheit ans Licht bringen, ist gesprächig, kooperativ im Gespräch und bleibt beim Thema. Er verwendet treffende und starke Ausdrücke bezüglich des Inhalts der Vorwürfe und beteuert die Unschuld spezifisch zum jetzigen Fall, ohne dazu aufgefordert zu werden. Ein schuldiger Beschuldigter erzählt demgegenüber nur so viel wie nötig und so wenig wie möglich; er neigt zu Auslassungen. Er will die Wahrheit verheimlichen, ist zurückhaltend, unkooperativ im Gespräch und weicht auf irrelevante Themen aus. Er verwendet schwache und ausweichende Ausdrücke bezüglich des Inhalts der Vorwürfe und spricht nicht spontan über seine Unschuld (Daphna Tavor, Aussagepsychologie zur Beurteilung der Aussagen des Angeklagten, Referat im Seminar „Zwischen Wahrheit und Lüge“, durchgeführt am 22. und 23. Juni 2015 vom Institut für Rechtswissenschaft und Rechtspraxis der Universität St. Gallen, Kompetenzzentrum für Rechtspsychologie).

 

Wäre der Beschuldigte tatsächlich unschuldig, wäre er nach Ansicht des Gerichts gesprächig gewesen und hätte alles darangesetzt nachzuweisen, dass er das Fahrrad tatsächlich jemandem abgekauft hatte. Zusammenfassend kann deshalb festgehalten werden, dass die sehr spärlichen Angaben des Beschuldigten zum Vorwurf unter Berücksichtigung obgenannter Ausführungen vom Gericht als gänzlich unglaubhaft und als Schutzbehauptungen qualifiziert werden, während die Aussagen von C.___ dem Gericht hingegen als glaubhaft erscheinen. Der Beschuldigte vermag mit seinem Aussageverhalten nicht zu überzeugen, verweigerte er im gesamten Strafverfahren seine Aussage doch weitestgehend, anstatt zu versuchen, sich zu entlasten. Dies wäre aber das Naheliegendste gewesen, beteuerte er doch während des gesamten Verfahrens seine Unschuld. Hätte der Beschuldigte das Fahrrad tatsächlich wie behauptet jemandem abgekauft, wäre ihm dieser Nachweis gelungen (Übersetzung der Chats, Nachweis des Kaufs auf Facebook).

 

Auch die verschiedenen Vorbringen der Verteidigung, so insbesondere die Behauptung, das Fahrrad sei vorgängig durch eine Drittperson gestohlen worden, sowie die geltend gemachte Sprachbarriere und der damit einhergehende Umstand, sich nicht richtig verbal ausdrücken zu können, werden als blosse Schutzbehauptungen gewertet. Der Beschuldigte hätte im Strafverfahren sehr wohl Gelegenheit gehabt, sich richtig auszudrücken, wurde ihm doch jeweils ein Dolmetscher zur Seite gestellt. Hinzu kommen zahlreiche Indizien / Verdachtsmomente, die allesamt den Schluss darauf zulassen, dass der Beschuldigte das Fahrrad niemandem abkaufte, sondern jemandem wegnahm. Hinweise darauf sind: die Uhrzeit (00:25 Uhr), anlässlich welcher das zuvor gekaufte Fahrrad abgeholt werden sollte; die gänzlich fehlenden Hinweise auf einen Verkäufer; keine Kaufquittung; kein Chat-/Nachrichtenverlauf; das Zahlenschloss, welches das Rad des Fahrrads blockierte und vom Beschuldigten nicht geöffnet werden konnte. Der Beschuldigte und seine Verteidigung konnten keine Zweifel an der Sachverhaltsversion des Strafbefehls vom 14. April 2023 erwecken, weshalb der Sachverhalt, wie er in Ziffer 1.1 dargestellt wird, als erstellt erachtet werden kann. Das Gericht geht deshalb im Folgenden davon aus und es ist der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen, dass der Beschuldigte das bei der Bushaltestelle Dorfzentrum in [Ort] parkierte und abgeschlossene Herrenfahrrad der Marke «Haibike» (Modell Big Curve) wegnahm und in den Kofferraum seines ganz in der Nähe parkierten Personenwagens verladen wollte.

 

V. Rechtliche Würdigung

 

1. Rechtliche Grundlagen

 

1.1 Diebstahl

 

1.1.1 Wegen Diebstahls wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren Geldstrafe bestraft, wer jemandem eine fremde bewegliche Sache zur Aneignung wegnimmt, um sich einen andern damit unrechtmässig zu bereichern (Art. 139 Ziff. 1 StGB).

 

1.1.2 Als Tatobjekt kommen nur fremde, bewegliche Sachen in Frage. Als Sache gilt ein körperlicher Gegenstand von fester, flüssiger gasförmiger Form, dem kein Verkehrswert zuzukommen braucht. Fremd ist eine Sache, wenn sie nach den Regeln des Zivilrechts im Eigentum einer anderen Person als derjenigen des Täters steht. Als beweglich gilt jedes Objekt, welches weder ein Grundstück noch Bestandteil eines solchen ist. Eine Sache kann auch dann beweglich sein, wenn sie zuerst beweglich gemacht werden muss. Die Aneignung liegt darin, dass der Täter die Sache mit ihrem Wert bzw. wirtschaftlich seinem eigenen Vermögen einverleibt, um sie zu behalten, zu verbrauchen sie an einen anderen zu veräussern. Eine Sache eignet sich an, wer wie ein Eigentümer über sie verfügt, ohne diese Eigenschaft zu haben. Wegnehmen ist Bruch fremden und Begründung neuen (meist eigenen) Gewahrsams. Eine Wegnahme kann dadurch erfolgen, dass der Täter die Ausübung des Gewahrsams durch dessen bisherigen Inhaber verunmöglicht. Der Gewahrsam besteht in der tatsächlichen Sachherrschaft mit dem Willen, sie auszuüben (zum Ganzen: Andreas Donatsch, StGB/JStG-Kommentar, 21. überarbeitete Auflage 2022, Art. 137 StGB N 1, 4 f., 7; Art. 139 StGB N 2, 4, 7). Vollendet ist der Diebstahl bereits mit der Begründung des neuen Gewahrsams. Beendet ist die Tat hingegen erst mit dem Eintritt der Bereicherung (marcel alexander niggli/christof riedo, BSK StGB II, Art. 139 StGB N 77 f.).

 

1.1.3 In subjektiver Hinsicht ist zur Erfüllung des Tatbestandes zunächst Vorsatz bezüglich aller objektiven Tatbestandselemente erforderlich. Des Weiteren muss Aneignungs- und Bereicherungsabsicht gegeben sein. Beim Diebstahl genügt allerdings die blosse Absicht der Aneignung, die aber schon bei der tatbestandsmässigen Handlung, also im Moment der Wegnahme der fremden Sache, gegeben sein muss. Unter Bereicherung versteht man irgendeine – dauernde bloss vorübergehende – wirtschaftliche Besserstellung. Unrechtmässig ist die Bereicherung, wenn sie im Widerspruch zu einer mehreren Rechtsnormen steht. Die Absicht unrechtmässiger Bereicherung fehlt, wenn sich der Täter mit der Sache nicht wirtschaftlich besserstellen will, wenn der Täter der Auffassung ist, auf Letztere einen Anspruch zu haben bzw. wenn er glaubt, die Bereicherung stehe nicht im Widerspruch zur Rechtsordnung (zum Ganzen: Donatsch, a.a.O., Art. 137 StGB N 11 f.; Art. 139 StGB 11 f.).

 

1.2 Geringfügige Vermögensdelikte

 

1.2.1 Richtet sich die Tat nur auf einen geringen Vermögenswert auf einen geringen Schaden, so wird der Täter, auf Antrag, mit Busse bestraft (Art. 172ter Abs. 1 StGB).

 

1.2.2 Das Bundesgericht setzte die Grenze für den geringen Vermögenswert i.S.v. Art. 172ter Abs. 1 StGB bei CHF 300.00 fest. Für die Anwendung von Art. 172ter StGB ist letztendlich aber der Vorsatz des Täters und nicht der eingetretene Erfolg massgebend. Art. 172ter StGB ist nämlich nur anwendbar, wenn der Täter von vornherein bloss einen geringen Vermögenswert im Auge hatte. War der (Eventual-)Vorsatz des Täters auf eine den Grenzwert übersteigende Summe gerichtet, kommt Art. 172ter StGB deshalb auch dann nicht zur Anwendung, wenn die Deliktsumme unter dem Grenzwert von CHF 300.00 liegt (Urteil des Bundesgerichts 6B­_158/2018 vom 14. Juni 2018 E. 2.2.). Die Privilegierung entfällt ausserdem regelmässig, wenn der Täter sich keine Gedanken darüber macht es ihm gleichgültig ist, wie hoch der Vermögenswert ist. Immerhin wird man bei Gegenständen, die üblicherweise nicht mehr als CHF 300.00 wert sind in Zweifelsfällen zu Gunsten des Täters darauf abstellen müssen, dass sein Vorsatz sich nicht auf einen höheren Wert richtete (Philippe Weissenberger, BSK StGB II, Art. 172ter StGB N 42).

 

2. Konkrete Beurteilung

 

2.1 Gestützt auf das Beweisergebnis ist erstellt, dass der Beschuldigte am 17. August 2021 um ca. 00:25 Uhr das bei der Bushaltestelle Dorfzentrum in [Ort] parkierte und abgeschlossene Herrenfahrrad der Marke «Haibike» (Modell Big Curve; Neupreis CHF 649.00) wegnahm und in den Kofferraum seines in der Nähe parkierten Personenwagens verladen wollte. Dass es sich bei dem Fahrrad um eine für ihn fremde, bewegliche Sache handelte, bedarf keiner weiteren Erläuterungen. Der Beschuldigte nahm das Fahrrad in seinen Besitz, womit er neuen eigenen Gewahrsam begründete. Der Diebstahl kann somit als vollendet betrachtet werden und eine bloss versuchte Tatbegehung fällt ausser Betracht. Der Beschuldigte hat mit seinem Verhalten den objektiven Tatbestand erfüllt.

 

2.2 Es kann davon ausgegangen werden, dass der Beschuldigte sehr wohl wusste, dass das Fahrrad, welches wohlgemerkt gar abgeschlossen war, nicht ihm gehörte und er es darum nicht hätte an sich nehmen dürfen. Er handelte mit Wissen und Willen und damit vorsätzlich. Auch die Aneignungs- sowie die Bereicherungsabsicht sind gegeben. Der Tatbestand ist folglich auch auf subjektiver Ebene erfüllt.

 

2.3 Die Verteidigung bringt vor, es komme nur der geringfügige Diebstahl gemäss Art. 172ter StGB in Betracht, da das Fahrrad von B.___ im Tatzeitpunkt einen Verkehrswert von unter CHF 300.00 aufgewiesen habe. Für eine Bestrafung nach Art. 172ter StGB fehle es jedoch an einem Strafantrag, weshalb der Beschuldigte auch unter der Berücksichtigung des Fahrradwerts freizusprechen sei (ASB 5 f.).

 

Nach dem Beweisergebnis ist erstellt, dass das Fahrrad von B.___ zum Tatzeitpunkt einen Verkehrswert von unter CHF 300.00 hatte, womit die Grenze von CHF 300.00 noch nicht überschritten ist und rein objektiv gesehen die Geringfügigkeit zu bejahen wäre. Um die Geringfügigkeit als Ganzes bejahen zu können, ist aber wie vorgängig ausgeführt der Vorsatz des Täters massgebend. Das Gericht geht diesbezüglich davon aus, dass es dem Beschuldigten im vorliegenden Fall relativ egal war und er sich keine Gedanken darüber gemacht haben dürfte, wie hoch der Wert des Fahrrads im Tatzeitpunkt genau war. Insbesondere hatte der Beschuldigte auch keine Kenntnis des Alters des Fahrrads und konnte den Verkehrswert damit nicht abschätzen. Es ist davon auszugehen, dass er das Fahrrad so so gestohlen hätte, egal welchen Wert es hatte. Es kann damit nicht gesagt werden, dass sein Vorsatz nur auf einen geringen Vermögenswert gerichtet war. Es liegt somit kein geringfügiger Diebstahl und damit auch kein Antragsdelikt vor. Der nicht erfolgte Strafantrag von B.___ ist vorliegend daher irrelevant.

 

2.4 Damit hat sich der Beschuldigte des Diebstahls im Sinne von Art. 139 Ziff. 1 StGB schuldig gemacht.

 

VI. Strafzumessung

 

1. Allgemeines zur Strafzumessung

 

1.1 Gemäss Art. 47 Abs. 1 StGB misst das Gericht die Strafe nach dem Verschulden des Täters zu. Es berücksichtigt das Vorleben und die persönlichen Verhältnisse sowie die Wirkung der Strafe auf das Leben des Täters. Die Bewertung des Verschuldens wird in Art. 47 Abs. 2 StGB dahingehend präzisiert, dass dieses nach der Schwere der Verletzung Gefährdung des betroffenen Rechtsguts, nach der Verwerflichkeit des Handelns, den Beweggründen und Zielen des Täters sowie danach bestimmt wird, wie weit der Täter nach den inneren und äusseren Umständen in der Lage war, die Gefährdung Verletzung zu vermeiden. Nach Art. 50 StGB hat das Gericht die für die Zumessung der Strafe erheblichen Umstände und deren Gewichtung festzuhalten.

 

Der Begriff des Verschuldens muss sich auf den gesamten Unrechts- und Schuldgehalt der konkreten Straftat beziehen. Innerhalb der Kategorie der realen Straf-zumessungsgründe ist zwischen der Tatkomponente, welche nun in Art. 47 Abs. 2 StGB näher umschrieben wird, und der in Abs. 1 aufgeführten Täterkomponente zu unterscheiden (Stefan Trechsel/Martin seelmann, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, 4. Auflage 2021, Art. 47 N 10, 18).

 

1.2 Bei der Tatkomponente können fünf verschiedene objektive und subjektive Momente unterschieden werden. Beim Aspekt der Schwere der Verletzung Gefährdung des betroffenen Rechtsgutes (Ausmass des verschuldeten Erfolgs) geht es sowohl um den Rang des beeinträchtigten Rechtsguts und das Ausmass seiner Beeinträchtigung als auch um das Mass der Abweichung von einer allgemeinen Verhaltensnorm. Auch die Verwerflichkeit des Handelns (Art und Weise der Herbeiführung des Erfolgs) ist als objektives Kriterium für das Mass des Verschuldens zu berücksichtigen. Auf der subjektiven Seite ist die Intensität des deliktischen Willens (Willensrichtung des Täters) zu beachten. Dabei sprechen für die Stärke des deliktischen Willens insbesondere Umstände wie die der Wiederholung Dauer des strafbaren Verhaltens auch der Hartnäckigkeit, die der Täter mit erneuter Delinquenz trotz mehrfacher Vorverurteilungen sogar während einer laufenden Strafuntersuchung bezeugt. Hier sind auch die Skrupellosigkeit und umgekehrt der strafmindernde Einfluss, den es haben kann, wenn ein V-Mann bei seiner Einwirkung auf den Verdächtigen die Schranken des zulässigen Verhaltens überschreitet, zu beachten. Hinsichtlich der Willensrichtung dürfte es richtig sein, dem direkten Vorsatz grösseres Gewicht beizumessen als dem Eventualdolus, während sich mit der Unterscheidung von bewusster und unbewusster Fahrlässigkeit keine prinzipielle Differenz der Schwere des Unrechts der Schuld verbindet. Die Grösse des Verschuldens hängt im Weiteren von den Beweggründen und Zielen des Täters ab. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Delinquenz umso schwerer wiegt, je grösser das Missverhältnis zwischen dem vom Täter verfolgten und dem von ihm dafür aufgeopferten Interesse ist. Schliesslich ist unter dem Aspekt der Tatkomponente die Frage zu stellen, wie weit der Täter nach den inneren und äusseren Umständen in der Lage war, die Gefährdung Verletzung zu vermeiden. Hier geht es um den Freiheitsraum, welchen der Täter hatte. Je leichter es für ihn gewesen wäre, die Norm zu respektieren, desto schwerer wiegt die Entscheidung gegen sie und damit seine Schuld (BGE 117 IV 7 E. 3aa). Innere Umstände, die den Täter einengen können, sind unter anderem psychische Störungen mit einer Verminderung der Schuldfähigkeit, aber auch unterhalb dieser Schwelle, wie Affekte, die nicht entschuldbar, aber doch von Einfluss sind, Konflikte, die sich aus der Bindung an eine andere Kultur ergeben, Alkohol- Drogenabhängigkeit, subjektiv erlebte Ausweglosigkeit Verzweiflung usw. Auch äussere Umstände betreffen die Schuld nur, wenn sie die psychische Befindlichkeit des Täters berühren.

 

1.3 Bei der Täterkomponente sind einerseits das Vorleben, bei dem vor allem Vor-strafen, auch betr. im Ausland begangene Straftaten (BGE 105 IV 225 E. 2), ins Gewicht fallen – Vorstrafenlosigkeit wird neutral behandelt und bei der Strafzumessung nur berücksichtigt, wenn die Straffreiheit auf aussergewöhnliche Gesetzestreue hinweist (BGE 136 IV 1) – und andererseits die persönlichen Verhältnisse (Lebensumstände des Täters im Zeitpunkt der Tat), wie Alter, Gesundheitszustand, Vorbildung, Stellung im Beruf und intellektuelle Fähigkeiten zu berücksichtigen. Des Weiteren zählen zur Täterkomponente auch das Verhalten des Täters nach der Tat und im Strafverfahren, also Umstände wie, ob er einsichtig ist, Reue gezeigt, ein Geständnis abgelegt bei den behördlichen Ermittlungen mitgewirkt hat, wie auch die Strafempfindlichkeit des Täters.

 

Nach der Rechtsprechung kann ein Geständnis bei der Beurteilung des Nachtatverhaltens im Rahmen der Strafzumessung zugunsten des Täters berücksichtigt werden, wenn es auf Einsicht in das begangene Unrecht auf Reue schliessen lässt der Täter dadurch zur Tataufdeckung über den eigenen Tatanteil beiträgt (BGE 121 IV 202 E. 2d/cc S. 205).

 

1.4 Das Gesamtverschulden ist zu qualifizieren und mit Blick auf Art. 50 StGB im Urteil ausdrücklich zu benennen, wobei von einer Skala denkbarer Abstufungen nach Schweregrad auszugehen ist. Hierauf ist in einem zweiten Schritt innerhalb des zur Verfügung stehenden Strafrahmens die (hypothetische) Strafe zu bestimmen, die diesem Verschulden entspricht (BGE 136 IV 55 E. 5.7). Das Bundesgericht drängt in seiner jüngeren Praxis vermehrt darauf, dass Formulierung des Verschuldens und Festsetzung des Strafmasses auch begrifflich im Einklang stehen (Urteile des Bundesgerichts 6B_1096/2010 vom 7. Juli 2011 E. 4.2, 6B_1048/2010 vom 6. Juni 2011 E. 3.2 und 6B_763/2010 vom 26. April 2011 E. 4.1).

 

1.5 Strafen von bis zu 180 Tageseinheiten sind grundsätzlich in Form einer Geldstrafe auszusprechen (Art. 34 StGB). Das Gericht kann stattdessen auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn a) eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen Vergehen abzuhalten, b) eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann (41 Abs. 1 StGB). Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen (Art. 41 Abs. 2 StGB). Die Freiheitsstrafe als eingriffsintensivste Sanktion ist nach der gesetzlichen Konzeption somit nach wie vor (auch nach der auf den 1. Januar 2018 in Kraft gesetzten Revision) «ultima ratio» und kann nur verhängt werden, wenn keine andere, mildere Strafe in Betracht kommt (Botschaft vom 21. September 1998 zur Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes sowie zu einem Bundesgesetz über das Jugendstrafrecht, BBl 1999 2043 f. Ziff. 213.132; BGE 138 IV 120 E. 5.2 S. 122 f.; BGE 144 IV 217 vom 30. April 2018 E. 3.3.3). Bei der Wahl der Sanktionsart waren auch unter dem früheren Recht als wichtige Kriterien die Zweckmässigkeit einer bestimmten Sanktion, ihre Auswirkungen auf den Täter und sein soziales Umfeld sowie ihre präventive Effizienz zu berücksichtigen (BGE 134 IV 97 E. 4.2 S. 100 f.). Das Bundesgericht hat entschieden, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters und dessen voraussichtliche Zahlungsunfähigkeit keine Kriterien für die Wahl der Strafart sind. Es ist vielmehr, wenn die Voraussetzungen für den bedingten Strafvollzug erfüllt sind, eine bedingte Geldstrafe eine bedingte gemeinnützige Arbeit auszusprechen. Sinn und Zweck der Geldstrafe erschöpfen sich nicht primär im Entzug von finanziellen Mitteln, sondern liegen in der daraus folgenden Beschränkung des Lebensstandards sowie im Konsumverzicht. Nach der Meinung des Gesetzgebers soll die Geldstrafe auch für einkommensschwache Täter, d.h. für solche mit sehr geringem, gar unter dem Existenzminimum liegenden Einkommen ausgefällt werden können. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass die Geldstrafe als unzweckmässige Sanktion angesehen und deshalb vielfach auf eine Freiheitsstrafe erkannt werden müsste. Dies würde dem zentralen Grundanliegen der Revision diametral zuwiderlaufen. Gerade mittellosen Straftätern geht die Geldstrafe ans Lebensnotwendige, so dass sie für jene deutlich spürbar wird. Eine nicht bezahlbare Geldstrafe soll es nach der Botschaft – ausser durch Verschulden des Täters durch unvorhergesehene Ereignisse – denn auch nicht geben. Bei einkommensschwachen mittellosen Tätern, etwa Sozialhilfebezügern, nicht berufstätigen, den Haushalt führenden Personen Studenten ist somit die Ausfällung einer tiefen Geldstrafe möglich (BGE 134 IV 97 E. 5.2.3). Nach dem Prinzip der Verhältnismässigkeit sollte bei alternativ zur Verfügung stehenden und hinsichtlich des Schuldausgleichs äquivalenten Sanktionen im Regelfall diejenige gewählt werden, die weniger stark in die persönliche Freiheit des Betroffenen eingreift (BGE 138 IV 120 E. 5.2 S. 122 f.).

 

1.6 Gemäss Art. 42 Abs. 1 StGB schiebt das Gericht den Vollzug einer Geldstrafe einer Freiheitsstrafe von höchstens zwei Jahren auf, wenn eine unbedingte Strafe nicht notwendig erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen Vergehen abzuhalten. In subjektiver Hinsicht relevantes Prognosekriterium ist insbesondere die strafrechtliche Vorbelastung (ausführlich BGE 134 IV 1 E. 4.2.1). Für den bedingten Vollzug genügt das Fehlen einer ungünstigen Prognose, d.h. die Abwesenheit der Befürchtung, der Täter werde sich nicht bewähren (BGE 134 IV 1 E. 4.2.2). Bereits in der bisherigen Praxis spielte die kriminelle Vorbelastung die grösste Rolle bei der Prognose künftigen Legalverhaltens (Günter Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil II, Strafen und Massnahmen, 2. Auflage, Bern 2006, § 5 N 27). Allerdings schliessen einschlägige Vorstrafen den bedingten Vollzug nicht notwendigerweise aus (Roland M. Schneider/Roy Garré, Basler Kommentar, Strafrecht I [nachfolgend: BSK StGB I], 4. Auflage 2019, Art. 42 StGB N 61).

 

Der Strafaufschub nach Art. 42 Abs. 1 StGB wird lediglich bei einer klaren Schlechtprognose verwehrt. Dabei kommt es auf die Persönlichkeit des Verurteilten an. Diese erschliesst sich aus den Tatumständen, dem Vorleben, insbesondere Vortaten und Leumund, wobei auch das Nachtatverhalten miteinzubeziehen ist, ebenso die vermutete Wirkung der Strafe auf den Täter. Das Gericht hat eine Gesamtwürdigung aller prognoserelevanten Kriterien vorzunehmen und deren einseitige Berücksichtigung zu vermeiden. Dies gilt auch für das Prognosekriterium Vorstrafen. Dieses dürfte zwar ein durchaus gewichtiges Kriterium darstellen, was aber, wie erwähnt, nicht heisst, dass Vorstrafen die Gewährung des bedingten Strafvollzuges generell ausschliessen. Dies hat allerdings auch im Umkehrschluss zu gelten: das Fehlen von Vorstrafen führt nicht zwingend zur Gewährung des bedingten Strafvollzuges, wenn sämtliche übrigen Prognosekriterien das klare Bild einer Schlechtprognose zu begründen vermögen. Allerdings ist doch wohl davon auszugehen, dass Ersttätern im Allgemeinen der bedingte Strafvollzug zu gewähren ist.

 

Unter dem Aspekt des Nachtatverhaltens spricht etwa die weitere Delinquenz während laufendem Strafverfahren gegen die Gewährung des bedingten Strafvollzuges. Ungünstig wirkt sich auch ein weiteres gleichartiges Delikt aus, wenn zwar das Strafverfahren wegen des ersten Vorfalles noch nicht eröffnet wurde, der Täter jedoch weiss, dass er ein solches zu erwarten hat (sog. kriminologischer Rückfall). Grundsätzlich sind Einsicht und Reue Voraussetzung für eine gute Prognose. Die bedingte Strafe wird abgelehnt für Überzeugungstäter. Gegen eine günstige Prognose spricht ferner die Verdrängungs- und Bagatellisierungstendenz des Täters. Von besonderem Interesse ist das Verhalten im Strafverfahren, wobei blosses Bestreiten der Tat die Aussageverweigerung kein Grund zur Verweigerung des bedingten Strafvollzuges darstellen, da solches Verhalten andere Gründe als mangelnde Einsicht haben kann (Scham, Angst, Sorge um die Familie). Die Nutzung der Verteidigungsrechte darf nicht sanktioniert werden. Anders kann dies indessen beurteilt werden, wenn der Täter ein ganzes Lügengebäude auftischt. Bei der Prognosestellung ist die ganze Wirkung des Urteils zu berücksichtigen. Ein wesentlicher Faktor der Prognosebildung ist die Bewährung am Arbeitsplatz. Unzulässig ist die Verweigerung des bedingten Vollzuges allein wegen der Art Schwere der Tat (Stefan Trechsel/Mark Pieth, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, 4. Auflage 2021, Art. 42 N 8 ff.).

 

1.7 Das Gericht rechnet die Untersuchungshaft, die der Täter während dieses eines anderen Verfahrens ausgestanden hat, auf die Strafe an. Ein Tag Haft entspricht dabei einem Tagessatz Geldstrafe (Art. 51 StGB). Untersuchungshaft ist jede in einem Strafverfahren verhängte Haft, Untersuchungs-, Sicherheits- und Auslieferungshaft (Art. 110 Abs. 7 StGB).

 

2. Konkrete Strafzumessung

 

2.1  Strafrahmen

 

Der Beschuldigte muss gestützt auf die obigen Erwägungen wegen Diebstahls schuldig gesprochen und bestraft werden. Der Strafrahmen des dem Beschuldigten zur Last gelegten Diebstahls nach Art. 139 Ziff. 1 StGB beträgt Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen (Art. 34 Abs. 1 StGB).

 

2.2  Strafart

 

2.2.1 Wie das Bundesgericht in seinem Urteil 6B_658/2021 vom 27. Januar 2022 E. 2.3.1 ausführt, beurteilt sich die Frage, ob im Einzelfall eine Geld- Freiheitsstrafe auszusprechen sei, gemäss Art. 47 StGB nach dem Ausmass des Verschuldens (BGE 144 IV 217 E. 3.3.1), wobei die Geldstrafe gegenüber der Freiheitsstrafe als mildere Sanktion gelte. Das Gericht trage bei der Wahl der Strafart neben dem Verschulden des Täters der Zweckmässigkeit der Strafe, ihren Auswirkungen auf die Täterschaft und auf ihr soziales Umfeld sowie ihrer Wirksamkeit unter dem Gesichtswinkel der Prävention Rechnung (BGE 147 IV 241 E. 3.2; 144 IV 313 E. 1.1.1; 134 IV 82 E. 4.1, 97 E. 4.2). In Fällen, wo verschiedene Strafarten in Betracht kämen, könne das Verschulden nicht das entscheidende Kriterium bilden, sei aber neben den weiteren bestimmenden Kriterien für die Wahl der Strafart zu berücksichtigen bzw. adäquat einzuschätzen. Nach der Konzeption des StGB habe das Verschulden einen Einfluss auf die Wahl der Strafart, weil die schwersten Straftaten mit Freiheitsstrafe und nicht mit Geldstrafe zu sanktionieren seien (BGE 147 IV 241 E. 3.2). Methodisch sei in der Weise vorzugehen, dass zuerst die Strafart festzulegen und dann das Strafmass festzusetzen sei (BGE 144 IV 313 E. 1.1.1).

 

2.2.2 Der Beschuldigte ist bereits mehrfach vorbestraft (vgl. aktueller Auszug aus dem Schweizerischen Strafregister, ASB 43 ff.). In diesem Zusammenhang ist offensichtlich, dass die bisher ausgesprochenen Bussen, Geldstrafen sowie Freiheitstrafen ihre Wirkung klar verfehlt haben, weshalb im vorliegenden Fall erneut eine Freiheitsstrafe auszusprechen ist und aus spezialpräventiver Sicht eine Geldstrafe ausser Betracht fällt. Es muss daher mit der Vorinstanz übereinstimmend eine Freiheitsstrafe ausgesprochen werden. Die Beurteilung, ob eine Geldstrafe überhaupt vollzogen werden könnte nicht, erübrigt sich damit. 

 

2.3 Tatkomponenten

 

2.3.1 Bei der Strafzumessung ist vorerst zu beachten, dass sich die objektive Tatschwere nach dem Erfolg der Tat sowie der Art und Weise der Herbeiführung des Erfolgs bemisst. Diesbezüglich ist festzuhalten, dass es sich vorliegend um einen einzigen Diebstahl handelt, wobei der Deliktsbetrag von CHF 649.00 (= Neupreis, Verkehrswert unter CHF 300.00) zwar nicht mehr ganz klein ist, dennoch innerhalb der Bandbreite von möglichen Diebstählen viel höhere Deliktsbeträge denkbar sind. Das Fahrrad war bei einer öffentlich zugänglichen Bushaltestelle parkiert. Folglich musste der Beschuldigte nirgendwo einbrechen / einschleichen, um es zu holen und es wurde auch kein Sachschaden angerichtet. Sein Verhalten zeugt alles in allem eher von einer plumpen und spontanen Aktion als von besonderer Raffinesse. Der Beschuldigte dürfte das Fahrrad zufällig erblickt haben. Um diese Uhrzeit (00:25 Uhr) musste der Beschuldigte an einem Dienstagabend auch nicht mehr gross mit einer Konfrontation mit anderen Personen rechnen. C.___ sagte aus, es habe eigentlich gar keinen Personenverkehr gehabt um diese Uhrzeit (ASBW 065). Der Taterfolg kann zusammenfassend zwar nicht mehr als Bagatelle angesehen werden. Auf einer Skala aller denkbaren Diebstähle sind nichtsdestotrotz – ohne die vorliegende Tat bagatellisieren zu wollen – durchaus viel gravierendere Formen der Tatbestandsverwirklichung möglich, bzw. wiegt der begangene Diebstahl im Quervergleich objektiv leicht. Insgesamt ist damit von einer leichten objektiven Tatschwere auszugehen, was für eine Strafe im untersten Drittel des Strafrahmens spricht.

 

2.3.2 Bei der subjektiven Tatschwere ist zu berücksichtigen, dass der Beschuldigte direktvorsätzlich handelte, wobei seine Beweggründe egoistischer und monetärer Natur gewesen sein dürften. Für die Intensität des deliktischen Willens spricht die Unverfrorenheit sowie die Hemmungslosigkeit in seinem Vorgehen. Der Beschuldigte schreckte nicht davor zurück, sich eines an einer öffentlich zugänglichen und zentralen Bushaltestelle abgestellten und abgeschlossenen Fahrrads zu behändigen. Da das Rad des Fahrrads aufgrund des Schlosses blockiert war, musste der Beschuldigte das Fahrrad zu seinem Personenwagen tragen und riskierte so mehr Aufmerksamkeit von Drittpersonen. Die kriminelle Energie kann dennoch nicht als gravierend bezeichnet werden. Die Intensität des deliktischen Willens sowie die Beweggründe des Beschuldigten wirken sich in leichtem Ausmass verschuldenserhöhend aus. Letztlich liegen keine Hinweise vor, wonach der Beschuldigte nicht in der Lage gewesen wäre, sich rechtmässig zu verhalten.

 

2.3.3 Insgesamt ist von einem leichten Verschulden im unteren Bereich auszugehen. Eine Einsatzstrafe von 60 Tageseinheiten ist dabei übereinstimmend mit der Vorinstanz zur Abgeltung des Tatverschuldens angemessen.

 

2.4 Täterkomponenten

 

Bezüglich des Vorlebens und den persönlichen Verhältnisse des Beschuldigten ist nicht viel aktenkundig. Er wurde am [Geburtsdatum] in Syrien geboren, hält sich aber seit vielen Jahren als Asylsuchender in der Schweiz auf (AS 007). Zu berücksichtigen ist, dass der Beschuldigte, wie bereits vorstehend erwähnt, mehrfach vorbestraft ist. Die Vorstrafen erstrecken sich über einen Zeitraum von ca. acht Jahren und beinhalten die verschiedensten Deliktsgruppen, der Beschuldigte delinquierte sozusagen „querbeet“. Die strafrechtliche Vorbelastung zeugt von einer exemplarischen Renitenz, Unbelehrbarkeit sowie Gleichgültigkeit und wirkt sich im Rahmen der Täterkomponente erheblich zu Ungunsten des Beschuldigten aus. Auch seine erneute Delinquenz trotz hängigen Strafverfahrens ist ein klares Zeichen dafür, dass die bisherigen Strafen beim Beschuldigten offensichtlich keinen Eindruck hinterlassen haben. Das übrige Vorleben und die persönlichen Verhältnisse des Beschuldigten, soweit sie sich aus den Akten ergeben, sind ebenso wie das Nachtatverhalten ansonsten grundsätzlich neutral zu werten und es kann auf das Einvernahmeprotokoll vom 30. September 2023 (ASBW  076 f.) sowie die im erstinstanzlichen Urteil vom 30. September 2023 hierzu gemachten Ausführungen verwiesen werden (US 22). Der Beschuldigte bestreitet den ihm zur Last gelegten Vorwurf und machte während des gesamten Strafverfahrens weitestgehend von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch, was sein gutes Recht ist, da er nicht verpflichtet ist, auszusagen und sich selber zu belasten. Die Aussageverweigerung sowie das Bestreiten dürfen nicht straferhöhend berücksichtigt werden. Demgegenüber kann der Beschuldigte aus seinem Aussageverhalten auch nichts zu seinen Gunsten ableiten. Aufgrund der fehlenden Geständigkeit sind keine Einsicht und Reue erkennbar. Hier gilt es überdies anzumerken, dass der Beschuldigte nicht aus eigenem Antrieb bzw. aus Reue von der Tat zurücktrat, sondern durch die Polizei gestört und somit daran gehindert worden war, das Fahrrad, nachdem er es bereits entwendet hatte, mitzunehmen. Schliesslich sind beim Beschuldigten keine Hinweise auf eine besondere Strafempfindlichkeit auszumachen. Die Ausländereigenschaft des Beschuldigten ist grundsätzlich irrelevant; insbesondere ist bei der vorliegenden Tat kein Kulturkonflikt erkennbar. Zusammenfassend lässt sich den Akten nichts entnehmen, was es dem Beschuldigten sonderlich hätte schwer machen müssen, sich den hiesigen Normen entsprechend zu verhalten. Demnach ist die vorliegende Delinquenz mit Blick auf das Vorleben sowie die persönlichen Verhältnisse in erster Linie auf das eigene Verschulden des Beschuldigten zurückzuführen und kann in dieser Hinsicht keine Strafminderung zur Folge haben. Zusammenfassend sind die Täterkomponenten aufgrund der strafrechtlichen Vorbelastung klar negativ zu beurteilen und führen zu einer Straferhöhung. Es bleibt allerdings bei einem leichten Gesamtverschulden. Die Vorinstanz nahm eine Erhöhung um nur fünf Tage vor. Dies erscheint gestützt auf die vorstehenden Ausführungen doch als sehr wenig; das Berufungsgericht erachtet eine Erhöhung um 15 Tagessätze als angemessen und kommt damit auf insgesamt 75 Tagessätze als schuldangemessene Sanktion. In Anbetracht des geltenden Verschlechterungsverbots bleibt es allerdings bei lediglich 65 Tagessätzen.

 

2.5 Vollzugsform

 

2.5.1 Die Vorinstanz kam in ihrem Urteil vom 30. September 2023 zum Schluss, es sei nicht von einer klaren Schlechtprognose auszugehen, da der Beschuldigte erstmals ein Vermögensdelikt begangen habe. Es sei ihm deshalb der bedingte Strafvollzug zu gewähren und die Probezeit auf zwei Jahre festzusetzen (US 23).

 

2.5.2 Die vorinstanzlichen Erwägungen vermögen nicht zu überzeugen. In Bezug auf die subjektive Voraussetzung, welche das Fehlen einer ungünstigen Prognose voraussetzt, ist mit Verweis auf die bereits getätigten Ausführungen festzuhalten, dass der Beschuldigte über mehrere Vorstrafen in den verschiedensten Deliktsgebieten verfügt. Diese Vorstrafen, die fehlende Einsicht sowie die fortwährende Delinquenz während bekanntermassen laufenden Strafverfahrens sprechen klar gegen eine günstige Legalprognose. Der Beschuldigte hat mehrfach unter Beweis gestellt, dass er nicht willens bzw. in der Lage ist, sich langfristig wohl zu verhalten. Auch die Tatsache, dass ihn die bisherigen Verurteilungen offenbar weder beeindruckt noch von erneuter Delinquenz abgehalten haben, spricht offensichtlich gegen eine günstige Prognose, weshalb dem Beschuldigten der bedingte Strafvollzug nicht hätte gewährt werden dürfen. Vielmehr hätte angesichts der gesamten Vorgeschichte und der erneuten Delinquenz eine unbedingte Strafe ausgesprochen werden müssen.

 

In Anbetracht des geltenden Verschlechterungsverbots kommt jedoch ausschliesslich ein bedingter Vollzug in Frage, wobei die Probezeit mit der Vorinstanz wiederum auf das gesetzliche Minimum von zwei Jahren festzusetzen ist.

 

2.6 Anrechnung Untersuchungshaft

 

Der Beschuldigte wurde im Verlauf des Strafverfahrens bzw. im Zusammenhang mit dem Vorwurf der einfachen Körperverletzung am 16. November 2021 vorläufig festgenommen und am nächsten Tag wieder aus der Haft entlassen (AS 088 ff.). Die Staatsanwaltschaft rechnete dem Beschuldigten im Strafbefehl vom 14. April 2023 einen Tag Freiheitsentzug an die Strafe an, wohingegen dem Beschuldigten im erstinstanzlichen Urteil vom 30. September 2023 zwei Tage an die Freiheitsstrafe angerechnet wurden (US 23). Aufgrund des Verschlechterungsverbots kommt für das Berufungsgericht nur eine Anrechnung von zwei ausgestandenen Hafttagen in Betracht, welche dem Beschuldigten im Erstehungsfall an die Freiheitsstrafe angerechnet werden.

 

VII. Widerruf

 

1. Die Vorinstanz kam in ihrem Urteil vom 30. September 2023 zum Schluss, dass der dem Beschuldigten mit Urteil des Gerichtspräsidiums Rheinfelden vom 21. Oktober 2020 für eine Freiheitsstrafe von 90 Tagen gewährte bedingte Vollzug nicht widerrufen und stattdessen die Probezeit um ein Jahr verlängert wird. Es könne davon ausgegangen werden, dass die für das vorliegende Delikt ausgesprochene Freiheitsstrafe ausreiche, um dem Beschuldigten aufzuzeigen, dass er sich künftig rechtstreu zu verhalten habe. Dies insbesondere auch, da es sich bei der vorliegenden Tat um einen neuen Deliktstypus handle (US 23 f.) Die Verteidigung hat die Verlängerung der Probezeit angefochten. Das Berufungsgericht hat aufgrund des geltenden Verschlechterungsverbots keine Möglichkeit, die Vorstrafe zu widerrufen. Zu prüfen bleibt die Verlängerung der Probezeit.

 

2. Dem Beschuldigten wurde bereits im Rahmen der vorangehenden Ausführungen vom Berufungsgericht eine ungünstige Legalprognose attestiert (vgl. VI. 2.5.2 vorstehend). Der Beschuldigte wurde in den letzten Jahren wiederholt in den verschiedensten Deliktsbereichen straffällig. Vorliegend ist er wegen Diebstahls, begangen am 17. August 2021, schuldig zu sprechen. Er hat somit innerhalb der Probezeit der Verurteilung vom 21. Oktober 2020 erneut delinquiert. Grundsätzlich ist ein bedingter teilbedingter Vollzug einer Strafe zu widerrufen, wenn der Verurteilte während der Probezeit ein Verbrechen Vergehen begeht. Widerrufsgrund ist aber nicht die eigentliche Begehung der neuen Straftat, sondern der damit einhergehende Rückschluss auf wesentlich geringere als ursprünglich angenommene Bewährungsaussichten. Das Handeln des Beschuldigten ist geprägt von einer bemerkenswerten Gleichgültigkeit gegenüber Rechtsgütern seines Umfelds und gegenüber den gesetzlichen Grundlagen, die diese Rechtsgüter schützen. Er hat in den letzten Jahren immer wieder unter Beweis gestellt, dass er nicht gewillt in der Lage ist, sich rechtmässig zu verhalten. Er muss deshalb als uneinsichtig und weitgehend unbelehrbar qualifiziert werden, was eine erhebliche legalprognostische Belastung darstellt. Insbesondere aber auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Vorinstanz dem Beschuldigten eine bedingte Freiheitsstrafe aussprach, wäre es nach Ansicht des Berufungsgerichts nötig gewesen, den bedingten Vollzug der Vorstrafe zu widerrufen. Das Berufungsgericht sieht unter den gegebenen Umständen keinen Anlass, auf die von der Vorinstanz angeordnete Verlängerung der Probezeit um ein Jahr zu verzichten. Die Probezeit wird deshalb um ein Jahr verlängert.

 

VIII. Genugtuung

 

1. Wird die beschuldigte Person ganz teilweise freigesprochen wird das Verfahren gegen sie eingestellt, so hat sie Anspruch auf Genugtuung für besonders schwere Verletzungen ihrer persönlichen Verhältnisse, insbesondere bei Freiheitsentzug (Art. 429 Abs. 1 lit. c StPO). Sind gegenüber der beschuldigten Person rechtswidrig Zwangsmassnahmen angeordnet worden, so spricht ihr die Strafbehörde nach Art. 431 Abs. 1 StPO eine angemessene Entschädigung und Genugtuung zu.

 

2. Vor der Vorinstanz beantragte die Verteidigung einen vollumfänglichen Freispruch und machte geltend, der Beschuldigte habe gemäss Art. 429 Abs. 1 StPO aufgrund der ausgestandenen zweitägigen Haft Anspruch auf eine Genugtuung. Diese belaufe sich gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung auf total CHF 400.00 (CHF 200.00 pro Tag). In diesem Zusammenhang sei auch die lange Verfahrensdauer sowie die prozessualen behördlichen Fehler mit der mangelnden Übersetzung i.S. einer Gesamtwürdigung zu berücksichtigen. Die Genugtuung sei gemäss ständiger Rechtsprechung mit einem Zinssatz von 5 % seit dem 16. November 2021 zu verzinsen (ASBW 086).

 

3. Die beschuldigte Person hat Anspruch auf Genugtuung, wenn sie durch Verfahrenshandlungen i. S. von Art. 28 ZGB bzw. Art. 49 OR besonders schwer in ihren persönlichen Verhältnissen verletzt wurde. Explizit erwähnt ist der Fall der ungerechtfertigten Haft, also des Freiheitsentzugs in einem später eingestellten mit Freispruch beendeten Verfahren. Das gilt immer bei Untersuchungs- und Sicherheitshaft, aber auch bei jedem nicht bloss geringfügigen Freiheitsentzug; die Geringfügigkeitsschwelle ist nach bundesgerichtlicher Praxis bei einer Anhaltung und darauffolgenden Festnahme von insgesamt mehr als drei Stunden überschritten. Gemäss bundesgerichtlicher Praxis ist von einem Grundbetrag von CHF 200.00 pro Tag auszugehen, wobei eine Anpassung an die konkreten Verhältnisse zu erfolgen hat. Eine Verzinsung muss, sofern zumutbar, vom Berechtigten explizit beantragt werden. Das systematische Verhältnis von Art. 429 Abs. 1 lit. c StPO zu Art. 431 StPO ergibt, dass Art. 429 Abs. 1 lit. c StPO vorab auf Zwangsmassnahmen zugeschnitten ist, die im Einklang mit Art. 196 ff. StPO, also rechtmässig, angeordnet wurden und sich erst im Nachhinein als unnötig erweisen. Art. 431 StPO ist hingegen auf im Zeitpunkt der Anordnung rechtswidrige Zwangsmassnahmen anwendbar (PK StPO, 4. Auflage 2023, Art. 429 StPO N 10).

 

Im Urteil des Bundesgerichts 6B­_847/2017 vom 7. Februar 2018 stellte sich der Beschwerdeführer auf den Standpunkt, dass im Bereich der Entschädigungen der Grundsatz der Tatidentität gelte und deshalb die Untersuchungshaft nur auf Strafen wegen Delikten angerechnet werden könne, zu deren Verfolgung die Haft angeordnet wurde. Der Beschwerdeführer übersah offensichtlich, dass im Jahr 2007 der totalrevidierte Allgemeine Teil des Strafgesetzbuchs in Kraft trat und mit der Neuformulierung von Art. 51 StGB der vormals geltende Grundsatz der Tatidentität abgelöst wurde. Nach geltendem Recht kommt es nicht einmal mehr darauf an, ob die Untersuchungshaft in jenem Verfahren ausgestanden wurde, das zur Ausfällung einer Strafe führte. Nach Art. 51 StGB rechnet das Gericht die Untersuchungshaft, die der Täter während dieses eines anderen Verfahrens ausgestanden hat, auf die Strafe an. Zu entziehende Freiheit soll demnach wenn immer möglich mit bereits entzogener kompensiert werden. In Übereinstimmung mit der Regelung im Strafgesetzbuch bestimmt Art. 431 Abs. 2 StPO, dass im Fall von Untersuchungs- und Sicherheitshaft ein Anspruch auf Entschädigung nur besteht, wenn der übermässige Freiheitsentzug nicht an die wegen anderer Strafen ausgesprochene Sanktionen angerechnet werden kann. Anzurechnen ist sowohl auf unbedingte als auch auf bedingte Strafen. Es ist dabei primär auf Freiheitsstrafen anzurechnen, sekundär auf allfällige Nebensanktionen wie Geldstrafen, Arbeitsstrafen Bussen (E. 4.).  Nach dem früher geltenden Grundsatz der Tateinheit stand für die nicht anrechenbare Haft als Ausgleich nur der Weg der Haftentschädigung offen (Urteil des Bundesgerichts 6B_46/2007 vom 29. Mai 2007 E. 5.1).

 

4. Im vorliegenden Verfahren wird der Beschuldigte des Diebstahls schuldig gesprochen. Die vorläufige Festnahme vom 16. / 17. November 2021 wurde aber im Zusammenhang mit der einfachen Körperverletzung, von welcher der Beschuldigte von der Vorinstanz mit Urteil vom 30. September 2023 freigesprochen wurde, angeordnet. Wie vorstehend erläutert, ist es allerdings aufgrund des nicht mehr geltenden Grundsatzes der Tatidentität nicht Voraussetzung, dass die Haft an eine Strafe wegen eines Delikts angerechnet wird, zu dessen Verfolgung die Haft angeordnet wurde. Die Vorinstanz rechnete dem Beschuldigten die zwei Tage Haft, welche rechtmässig angeordnet wurden, an die bedingte Freiheitsstrafe an, die für den Diebstahl ausgefällt wurde. Das Vorgehen der Vorinstanz ist gestützt auf die vorstehenden Ausführungen und nach dem Grundsatz, wonach zu entziehende Freiheit wenn immer möglich mit bereits entzogener kompensiert werden soll, nicht zu beanstanden. Der Schuldspruch wegen Diebstahls wird im Rahmen des Berufungsverfahrens bestätigt und mit einer Freiheitsstrafe geahndet. Der Antrag des Beschuldigten auf Zusprechung einer Genugtuung ist deshalb abzuweisen, da die zwei Tage Haft an die Freiheitsstrafe angerechnet werden.

 

IX. Kosten- und Entschädigungsfolgen

1. Erstinstanzliches Verfahren

1.1 Verfahrenskosten

1.1.1  Gemäss Art. 426 Abs. 1 StPO trägt die beschuldigte Person die Verfahrenskosten, wenn sie verurteilt wird.

1.1.2  Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens machen, mit einer Urteilsgebühr von CHF 1'000.00, total CHF 1'410.00 aus. Von diesen Kosten hat die Vorinstanz dem Beschuldigten aufgrund des teilweisen Freispruchs 2/3 (entsprechend CHF 940.00, nach Anrechnung der bereits geleisteten Zahlung gemäss Ziff. 6 des erstinstanzlichen Urteils vom 30. September 2023 in Höhe von CHF 400.00 verbleiben CHF 540.00) auferlegt und 1/3 (entsprechend 470.00) auf die Staatskasse genommen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens ist der Kostenentscheid der Vorinstanz zu bestätigen. 

1.2 Honorar amtliche Verteidigung

1.2.1  Wird die beschuldigte Person zu den Verfahrenskosten verurteilt, so ist sie, sobald es ihre wirtschaftlichen Verhältnisse erlauben, verpflichtet, dem Kanton die Entschädigung der amtlichen Verteidigung zurückzuzahlen, wobei der Anspruch des Kantons in zehn Jahren nach Rechtskraft des Entscheids verjährt (Art. 135 Abs. 4 und 5 StPO).

1.2.2  Das Honorar für die ehemalige amtliche Verteidigung des Beschuldigten im erstinstanzlichen Verfahren, Rechtsanwältin Sine Selman, ist in der Höhe von CHF 6'847.05 rechtskräftig festgesetzt. Es wurde festgehalten, dass die Entschädigung zufolge amtlicher Verteidigung vom Staat Solothurn zu tragen ist, unter Vorbehalt des Rückforderungsanspruchs des Staates während zehn Jahren im Umfang von 2/3 entsprechend CHF 4'564.70, sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten erlauben. Die Kostenausscheidung wurde vor dem Hintergrund, dass der Beschuldigte vom Vorwurf der einfachen Körperverletzung freigesprochen werden und daher auch nur 2/3 der Verfahrenskosten übernehmen musste, getroffen.

Der Schuldspruch wegen Diebstahls wird vom Berufungsgericht bestätigt. Da der Beschuldigte von der Vorinstanz im Umfang von 2/3 zur Tragung der Verfahrenskosten verurteilt wurde, wozu gemäss Art. 422 Abs. 1 lit. a StPO auch die Kosten der amtlichen Verteidigung als Auslagen gehören, wird er diesbezüglich im selben Umfang rückerstattungspflichtig, sofern es seine wirtschaftlichen Verhältnisse erlauben.

2. Berufungsverfahren

2.1 Verfahrenskosten

2.1.1  Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens tragen die Parteien nach Massgabe ihres Obsiegens Unterliegens (Art. 428 Abs. 1 StPO). Nach Art. 428 Abs. 2 StPO können einer Partei, die ein Rechtsmittel ergriffen hat und einen für sie günstigeren Entscheid erwirkt, die Verfahrenskosten auferlegt werden, wenn a) die Voraussetzungen für das Obsiegen erst im Rechtsmittelverfahren geschaffen worden sind b) der angefochtene Entscheid nur unwesentlich abgeändert wird. Fällt die Rechtsmittelinstanz selber einen neuen Entscheid, so befindet sie darin auch über die von der Vorinstanz getroffene Kostenregelung (Art. 428 Abs. 3 StPO).

2.1.2  Der Beschuldigte unterliegt mit seiner Berufung vollständig, so dass er die Kosten des Berufungsverfahrens, welche mit einer Urteilsgebühr von CHF 1'200.00 total CHF 1'360.00 ausmachen, zu tragen hat.

2.2 Honorar amtliche Verteidigung

 

2.2.1 Gemäss Art. 135 Abs. 1 StPO wird die amtliche Verteidigung nach dem kantonalen Anwaltstarif entschädigt. Das urteilende Gericht legt die Entschädigung am Ende des Verfahrens fest (Abs. 2). Wird die beschuldigte Person zu den Verfahrenskosten verurteilt, so ist sie, sobald es ihre wirtschaftlichen Verhältnisse erlauben, verpflichtet, dem Kanton die Entschädigung zurückzuzahlen und der Verteidigung die Differenz zwischen der amtlichen Entschädigung und dem vollen Honorar zu erstatten (Abs. 4), wobei der Anspruch des Kantons in zehn Jahren nach Rechtskraft des Entscheids verjährt (Abs. 5). Das Gericht setzt die Entschädigung des amtlichen Verteidigers nach dem Aufwand fest, welcher für eine sorgfältige und pflichtgemässe Vertretung erforderlich ist (§ 158 Abs. 1 GT).

 

2.2.2 Die amtliche Verteidigung des Beschuldigten wurde im Berufungsverfahren mit Verfügung vom 18. April 2024 widerrufen (ASB 29). Im Anschluss reichte die Verteidigung am 4. Mai 2024 eine Honorarnote mit dem bis zum Zeitpunkt des Widerrufs entstandenen Aufwand ein. Die Honorarnote der amtlichen Verteidigerin des Beschuldigten für das Berufungsverfahren setzt sich aus einem Aufwand von 8.35 Stunden à CHF 190.00, entsprechend CHF 1'586.50, Auslagen von CHF 19.40 sowie 7,7 % MwSt. auf CHF 50.60, entsprechend CHF 3.90, bzw. 8,1 % MwSt. auf CHF 1'555.30, entsprechend CHF 126.00, zusammen (ASB 34 f.). Die Honorarnote scheint angemessen. Die Entschädigung für Rechtsanwältin Sine Selman, ist damit für das Berufungsverfahren auf total CHF 1'735.80 (Honorar CHF 1'586.50, Auslagen CHF 19.40, 7,7 % MwSt. auf CHF 50.60, entsprechend CHF 3.90, bzw. 8,1 % MwSt. auf CHF 1'555.30, entsprechend CHF 126.00) festzusetzen und zufolge amtlicher Verteidigung vom Staat, vertreten durch die Zentrale Gerichtskasse, zu bezahlen. Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren, sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten erlauben.

 

2.3 Parteientschädigung

 

2.3.1  Wird die beschuldigte Person ganz teilweise freigesprochen wird das Verfahren gegen sie eingestellt, so hat sie nach Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO Anspruch auf eine nach dem Anwaltstarif festgelegte Entschädigung ihrer Aufwendungen für die angemessene Ausübung ihrer Verfahrensrechte. Die Entschädigungsfrage ist nach der Kostenfrage zu beantworten. Insoweit präjudiziert der Kostenentscheid die Entschädigungsfrage. Es gilt folglich der Grundsatz, dass bei Auferlegung der Kosten keine Entschädigung auszurichten ist, während bei Übernahme der Kosten durch die Staatskasse die beschuldigte Person Anspruch auf Entschädigung hat (BGE 137 IV 352 E. 2.4.2).

2.3.2  Seit dem Widerruf der amtlichen Verteidigung per 18. April 2024 wird der Beschuldigte von seiner Verteidigerin privat verteidigt. Mit Honorarnote vom 5. Juni 2024 macht die Verteidigung einen zusätzlichen Aufwand von insgesamt CHF 888.05 geltend. Es stellt sich daher die Frage, ob der Beschuldigte für das Berufungsverfahren einen Anspruch auf eine Parteientschädigung hat. Dem Beschuldigten wurden die Kosten des zweitinstanzlichen Verfahrens vollumfänglich auferlegt (s. IX. 2.1.2 vorstehend), weshalb ihm dem Verfahrensausgang entsprechend keine Parteientschädigung auszurichten ist. Das entsprechende Begehren ist abzuweisen.

­__________

 


 

Demnach wird in Anwendung von Art. 40, Art. 41 Abs. 1 lit. a, Art. 42 Abs. 1, Art. 44 Abs. 1, Art. 46 Abs. 2, Art. 47, Art. 51, Art. 139 Ziff. 1 StGB; Art. 135 Abs. 4 und 5, Art. 391 Abs. 2, Art. 406 Abs. 2, Art. 426 Abs. 1, Art. 428 Abs. 1 und 3 StPO

festgestellt und  erkannt:

1.      Gemäss rechtskräftiger Ziffer 1 des Urteils des a.o. Amtsgerichtsstatthalters von Bucheggberg-Wasseramt vom 30. September 2023 wurde A.___ vom Vorhalt der einfachen Körperverletzung, angeblich begangen am 16. November 2021, freigesprochen.

2.      A.___ hat sich des Diebstahls, begangen am 17. August 2021, schuldig gemacht.

3.      A.___ wird zu einer Freiheitsstrafe von 65 Tagen verurteilt, unter Gewährung des bedingten Vollzugs bei einer Probezeit von 2 Jahren.

4.      A.___ werden 2 Tage Haft an die Freiheitsstrafe angerechnet.

5.      Der mit Urteil des Gerichtspräsidiums Rheinfelden vom 21. Oktober 2020 für eine Freiheitsstrafe von 90 Tagen gewährte bedingte Vollzug wird nicht widerrufen.

Die Probezeit wird um 1 Jahr verlängert.

6.      Die von A.___ bereits geleistete Zahlung in Höhe von CHF 400.00 wird an die Verfahrenskosten des erstinstanzlichen Verfahrens angerechnet.

7.      Der Antrag von A.___ auf Zusprechung einer Genugtuung wird abgewiesen.

8.      Gemäss rechtskräftiger Ziffer 8 des Urteils des a.o. Amtsgerichtsstatthalters von Bucheggberg-Wasseramt vom 30. September 2023 wurde der Antrag von A.___ auf Zusprechung einer Entschädigung abgewiesen.

9.      Gemäss teilweise rechtskräftiger Ziffer 9 des Urteils des a.o. Amtsgerichtsstatthalters von Bucheggberg-Wasseramt vom 30. September 2023 wurde die Entschädigung der amtlichen Verteidigerin von A.___, Rechtsanwältin Sine Selman, für das erstinstanzliche Verfahren auf CHF 6'847.05 (5,5 Stunden zu CHF 180.00 und 24,9 Stunden zu CHF 190.00 pro Stunde, inkl. Auslagen von CHF 636.50 und 7,7 % MWST von CHF 489.55) festgesetzt und ausbezahlt.

Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren im Umfang von 2/3 (entsprechend CHF 4'564.70), sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten erlauben.

10.   Die Entschädigung der amtlichen Verteidigerin von A.___, Rechtsanwältin Sine Selman, wird für das Berufungsverfahren auf CHF 1'735.80 (Honorar CHF 1'586.50, Auslagen CHF 19.40, 7,7 % MwSt. auf CHF 50.60, entsprechend CHF 3.90, bzw. 8,1 % MwSt. auf CHF 1'555.30, entsprechend CHF 126.00) festgesetzt und ist zufolge amtlicher Verteidigung vom Staat zu bezahlen. Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren, sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse von A.___ erlauben.

11.   Der Antrag von A.___, verteidigt durch Rechtsanwältin Sine Selman, auf Zusprechung einer Parteientschädigung für das zweitinstanzliche Verfahren wird abgewiesen.

12.   Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens mit einer Urteilsgebühr von CHF 1'000.00, total CHF 1'410.00, hat A.___ im Umfang von CHF 940.00 (nach der Anrechnung gemäss Ziff. 6 des erstinstanzlichen Urteils vom 30. September 2023 verbleiben CHF 540.00) zu tragen. Im Übrigen trägt sie der Staat.

13.   Die Kosten des Berufungsverfahrens mit einer Urteilsgebühr von CHF 1'200.00, total CHF 1'360.00, hat A.___ zu bezahlen.

Rechtsmittel: Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Erhalt des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist beginnt am Tag nach dem Empfang des begründeten Urteils zu laufen und wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Art. 78 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich.

Im Namen der Strafkammer des Obergerichts

Der Präsident                                                                    Die Gerichtsschreiberin

Werner                                                                              Wächter



 
Quelle: https://gerichtsentscheide.so.ch/
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