Kanton: | SO |
Fallnummer: | STBER.2024.24 |
Instanz: | Verwaltungsgericht |
Abteilung: | Strafkammer |
Datum: | 11.07.2024 |
Rechtskraft: |
Leitsatz/Stichwort: | - |
Zusammenfassung: | Das Obergericht des Kantons Solothurn hat in einem Neubeurteilungsverfahren entschieden, dass der Beschuldigte A.___ vom Vorwurf der Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit freigesprochen wird. Die Vorhalte bezüglich Verletzung der Verkehrsregeln und pflichtwidrigem Verhalten bei einem Unfall, die am 29. März 2018 stattgefunden haben sollen, sind verjährt und das Verfahren dazu wird eingestellt. Die Kosten des Verfahrens in Höhe von insgesamt CHF 3'961.40 trägt der Staat Solothurn. |
Schlagwörter: | Beschuldigte; Verfahren; Ziffer; Anklage-Ziffer; Urteil; Recht; Vorhalt; Unfall; Verfahren; Feststellung; Apos; Massnahme; Massnahmen; Fahrunfähigkeit; Berufung; Staat; Bundesgericht; Ziffern; Vereitelung; Neubeurteilung; Beschuldigten; Verfahrens; Anklage-Ziffern; Entschädigung; Vorinstanz; Instanz; Vorhalte; Berufungs; Solothurn; Urteils |
Rechtsnorm: | Art. 10 StPO ; Art. 2 StPO ; Art. 3 VRV ; Art. 31 SVG ; Art. 329 StPO ; Art. 406 StPO ; Art. 429 StPO ; Art. 448 StPO ; Art. 453 StPO ; Art. 55 SVG ; Art. 90 SVG ; Art. 91a SVG ; Art. 92 SVG ; |
Referenz BGE: | 143 IV 214; |
Kommentar: | - |
Geschäftsnummer: | STBER.2024.24 |
Instanz: | Strafkammer |
Entscheiddatum: | 11.07.2024 |
FindInfo-Nummer: | O_ST.2024.39 |
Titel: | Verletzung der Verkehrsregeln, Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit (Motorfahrzeugführer), pflichtwidriges Verhalten bei Unfall (Neubeurteilung) |
Resümee: |
Obergericht Strafkammer
Urteil vom 11. Juli 2024 Es wirken mit: Präsident Werner Oberrichterin Marti Gerichtsschreiberin Schmid In Sachen Staatsanwaltschaft, Franziskanerhof, Barfüssergasse 28, Postfach 157, 4502 Solothurn, Anklägerin
Beschuldigter und Berufungskläger
betreffend Verletzung der Verkehrsregeln, Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit (Motorfahrzeugführer), pflichtwidriges Verhalten bei Unfall (Neubeurteilung)
Die Berufung wird im schriftlichen Verfahren behandelt (Art. 406 Abs. 2 StPO). Die Strafkammer des Obergerichts zieht in Erwägung: I. Prozessgeschichte
1. Mit Strafbefehl der Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn vom 20. August 2018 wurde A.___ (nachfolgend Beschuldigter) wegen Verletzung der Verkehrsregeln (Art. 90 Abs. 1 SVG, Art. 31 Abs. 1 SVG, Art. 3 Abs. 1 VRV), Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit (Art. 91 a Abs. 1 SVG, Art. 55 SVG) und pflichtwidrigen Verhaltens bei Unfall (Art. 92 Abs. 1 SVG, Art. 51 Abs. 3 SVG) zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je CHF 40.00, bedingt aufgeschoben bei einer Probezeit von 2 Jahren, einer Busse von CHF 1'200.00, bei Nichtbezahlung ersatzweise zu 20 Tagen Freiheitsstrafe, und zur Übernahme der Verfahrenskosten verurteilt (Aktenseite [AS] 81 ff.). Mit Schreiben vom 26. August 2018 erhob der Beschuldigte Einsprache gegen den Strafbefehl (AS 83).
2. Nach durchgeführter Hauptverhandlung vom 4. Oktober 2021 erliess die Amtsgerichtsstatthalterin von Olten-Gösgen am 5. Oktober 2021 das folgende erstinstanzliche Urteil:
1. Es wird festgestellt, dass der Vorhalt der Verletzung der Verkehrsregeln durch Mangel an Aufmerksamkeit (AnklS. Ziff. 1) sowie der Vorhalt des pflichtwidrigen Verhaltens bei Unfall (AnklS. Ziff. 3), beides angeblich begangen am 29.03.2018, verjährt sind.
2. Der Beschuldigte A.___ hat sich der Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit schuldig gemacht, begangen am 29.03.2018 (AnklS. Ziff. 2).
3. Der Beschuldigte A.___ wird verurteilt zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je CHF 40.00, unter Gewährung des bedingten Strafvollzuges mit einer Probezeit von 2 Jahren.
4. Der Staat Solothurn hat dem Beschuldigten A.___ eine reduzierte Parteientschädigung in Höhe von CHF 2'656.15 auszurichten.
5. Die Verfahrenskosten, mit einer Gerichtsgebühr von CHF 600.00, belaufen sich auf total CHF 1’591.40. Davon hat der Beschuldigte CHF 660.20 (1/2 von CHF 1'320.40) zu bezahlen, die restlichen Kosten gehen zu Lasten des Staates Solothurn.
3. Der Beschuldigte erhob gegen dieses Urteil Berufung. Die Berufungserklärung datiert vom 2. Dezember 2021 und es wurden die Ziffern 2 bis 5 des erstinstanzlichen Urteils angefochten. Der Beschuldigte beantragte, er sei vom Vorwurf der Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit freizusprechen, ihm seien die Kosten der privaten Verteidigung für das vorinstanzliche Verfahren vollständig gemäss eingereichter Kostennote zu ersetzen, dem Beschuldigten seien die Kosten der privaten Verteidigung für das Berufungsverfahren vom Staat zu ersetzen und die Gerichtskosten seien vom Staat zu tragen.
4. Im schriftlichen Verfahren fällte die Strafkammer des Obergerichts des Kantons Solothurn am 23. August 2022 folgendes Urteil (STBER.2021.110):
1. Der Beschuldigte A.___ hat sich der Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit schuldig gemacht, begangen am 29. März 2018 (AnklS. Ziff. 2).
2. Der Beschuldigte A.___ wird verurteilt zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je CHF 40.00, unter Gewährung des bedingten Strafvollzuges bei einer Probezeit von 2 Jahren.
3. Es wird festgestellt, dass das Beschleunigungsgebot verletzt worden ist.
4. Der Staat Solothurn hat dem Beschuldigten A.___ für das erstinstanzliche Verfahren eine reduzierte Parteientschädigung in Höhe von CHF 2'656.15 auszurichten.
5. Für das Berufungsverfahren wird dem Beschuldigten, privat vertreten durch Rechtsanwalt Camill Droll, keine Parteientschädigung zugesprochen.
6. Die Verfahrenskosten des erstinstanzlichen Verfahrens, mit einer Gerichtsgebühr von CHF 600.00, belaufen sich auf total CHF 1’591.40. Davon hat der Beschuldigte CHF 660.20 (1/2 von CHF 1'320.40) zu bezahlen, die restlichen Kosten gehen zu Lasten des Staates Solothurn.
7. Die Kosten für das Berufungsverfahren mit einer Urteilsgebühr von CHF 1'200.00, total CHF 1'290.00, werden dem Beschuldigten auferlegt.
5. Im Übrigen wird für die bis dahin gehende Prozessgeschichte auf das Urteil vom 23. August 2022 verwiesen.
6. Gegen das Urteil des Obergerichts reichte der Beschuldigte am 12. Oktober 2022 Beschwerde beim Bundesgericht ein. Das Bundesgericht hiess die Beschwerde mit Urteil vom 12. März 2024 (7B_211/2022) gut, soweit es darauf eintrat, hob das Urteil des Obergerichts vom 23. August 2022 auf und wies die Sache zur Einstellung des Verfahrens betreffend Anklage-Ziffern 1 und 3 sowie zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurück.
7. Mit Verfügung vom 2. April 2024 verfügte das Obergericht die Durchführung des Neubeurteilungsverfahrens (STBER.2024.24) im schriftlichen Verfahren und setzte dem Beschuldigten Frist für allfällige Ergänzungen. Der Beschuldigte, der im Neubeurteilungsverfahren nicht mehr anwaltlich vertreten ist, reichte nach erfolgter Fristerstreckung keine weitere Eingabe ein. Die Staatsanwaltschaft verzichtete auf eine weitere Teilnahme am Neubeurteilungsverfahren.
II. Anwendbares Recht
1. Per 1. Januar 2024 trat die Revision der StPO in Kraft. Die Änderungen enthalten keine Regelung betreffend Übergangsrecht. Art. 448 StPO sieht vor, dass Verfahren, die bei Inkrafttreten dieses Gesetzes hängig sind, nach neuem Recht fortgeführt werden, soweit die nachfolgenden Bestimmungen nichts anderes vorsehen (Abs. 1). Unter dem Abschnitt der Rechtsmittelverfahren hält Art. 453 StPO fest, dass Rechtsmittel gegen einen Entscheid, der vor Inkrafttreten dieses Gesetzes gefällt worden ist, nach bisherigem Recht, von den bisher zuständigen Behörden, beurteilt werden (Abs. 1). Bei Rückweisungen gilt indes, dass neues Recht anwendbar ist, sofern ein Verfahren von der Rechtsmittelinstanz vom Bundesgericht zur neuen Beurteilung zurückgewiesen wird. Die neue Beurteilung erfolgt durch die Behörde, die nach diesem Gesetz für den aufgehobenen Entscheid zuständig gewesen wäre (Abs. 2).
2. Da sowohl der Bundesgerichtsentscheid wie auch die vorliegende Neubeurteilung nach Inkrafttreten der Revision ergangen ist bzw. ergeht, ist folglich das neue Recht anwendbar.
III. Gegenstand des Neubeurteilungsverfahrens
1. Der Beschuldigte verlangte im bundesgerichtlichen Verfahren einen Freispruch vom Vorhalt der Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit und rügte eine Verletzung von Art. 329 Abs. 4 und Abs. 5 StPO sowie des Grundsatzes der Formstrenge nach Art. 2 Abs. 2 StPO. Die erste Instanz habe das Verfahren betreffend Anklage-Ziffern 1 und 3 zu Unrecht nicht eingestellt, obwohl dies gemäss Art. 329 Abs. 4 und Abs. 5 StPO die einzig gesetzlich vorgesehene Möglichkeit gewesen sei, um das Verfahren in diesen Punkten wegen Eintritts eines Verfahrenshindernisses (d.h. der Verjährung) zu beenden. Die erste Instanz könne sich nicht mit Verweis auf die Problematik des Grundsatzes «ne bis in idem» diesem Formzwang entziehen. Die Verjährung trete durch Zeitablauf unabhängig von einer gerichtlichen Feststellung ein. Es handle sich nicht um die gleiche Konstellation wie in den Urteilen des Bundesgerichts zur Problematik «ne bis in idem». Vorliegend sei der erste Lebenssachverhalt in Anklage-Ziffern 1 und 3 klar umschrieben worden. Der zweite Lebenssachverhalt gemäss Anklage-Ziffer 2 betreffe die Frage, ob der Beschuldigte zu einem späteren Zeitpunkt mit der Anordnung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit hätte rechnen müssen. Die Anklageschrift umschreibe dabei den Grund, weshalb der Beschuldigte mit der Anordnung solcher Massnahmen hätte rechnen müssen, mit dem «Verursachen des unter Ziff. 1.1 [des Strafbefehls] beschriebenen Verkehrsunfalls» (Anklage-Ziffer 2). Damit referenziere sich die Anklageschrift selbst und mache die Erfüllung des Tatbestandes von Art. 91a Abs. 1 SVG gemäss Anklage-Ziffer 2 von der Bejahung des Vorhaltes gemäss Anklage-Ziffer 1 abhängig. Das Gericht sei bei der Beurteilung an diese Umschreibung in der Anklageschrift gebunden.
Indem die Vorinstanz ausführe, die erste Instanz habe aufgrund der Sperrwirkung des Grundsatzes «ne bis in idem» das Verfahren betreffend die Vorhalte gemäss Anklage-Ziffern 1 und 3 zu Recht nicht eingestellt, perpetuiere sie die Rechtsverletzungen der ersten Instanz. Die Vorinstanz dürfe sich nicht auf eine Rechtsverletzung stützen, um einen Sachverhalt beurteilen zu können, welcher durch richtige Rechtsanwendung keiner Beurteilung mehr zugänglich wäre.
Das Vorgehen der kantonalen Instanzen verletze zudem die Unschuldsvermutung (Art. 10 Abs. 1 StPO), welche bis zum rechtskräftigen Beweis des Gegenteils gelte. Es sei weder über Schuld noch über Unschuld des Beschuldigten betreffend die Vorhalte gemäss Anklage-Ziffern 1 und 3 entschieden worden, obwohl aufgrund des Verjährungseintritts ein Verfahrenshindernis vorliege, welches einen Schuldspruch verunmögliche. Mangels rechtskräftiger Verurteilung greife weiterhin die Unschuldsvermutung. Diese werde vorliegend missachtet, weil mangels Einstellung im Urteils-Dispositiv noch kein rechtskräftiger Entscheid betreffend Anklage-Ziffern 1 und 3 vorliege, die aber nicht mehr beurteilt werden könnten.
2. Das Bundesgericht hielt in seinem Urteil fest, dass sich die Kritik des Beschuldigten als begründet erweise (E. 2.4): «2.4.1 Der erste Vorwurf gegen den Beschwerdeführer lautet, dass er am 29. März 2018, zwischen 17:15 Uhr und 17:45 Uhr in [Ort], Parkplatz, als Lenker des Personenwagens Mercedes-Benz, AG-[…], zufolge Mangels an Aufmerksamkeit beim Rückwärtsfahren den korrekt geparkten Personenwagen VW Golf, SO-[...], von B.___ übersehen und eine Streifkollision mit diesem verursacht habe, was am Personenwagen VW Golf zu einem Sachschaden von ca. Fr. 4'000.- geführt habe (Anklage-Ziffer 1).
Der zweite Vorwurf geht dahin, dass sich der Beschwerdeführer von der Unfallstelle entfernt und sich dadurch unmittelbar der Anordnung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit entzogen habe, mit welcher er nach Verursachen des unter Ziffer 1.1 (des Strafbefehls, bzw. Anklage-Ziffer 1) beschriebenen Verkehrsunfalls habe rechnen müssen. Nach eigenen Angaben hat er nach dem Unfall am Wohndomizil 9 dl Bier getrunken, zwei- bis dreimal seinen Mund mit Schnaps gespült und damit Nachtrunk geltend gemacht (Anklage-Ziffer 2).
Der dritte Vorwurf lautet, dass der Beschwerdeführer nach der Kollision mit dem korrekt geparkten Personenwagen VW Golf, SO-[...], seine gesetzlichen Pflichten als Schadensverursacher nicht wahrgenommen habe, indem er dem Geschädigten B.___ nicht sofort seinen Namen und seine Adresse angegeben unverzüglich die Polizei verständigt habe (Anklage-Ziffer 3).
2.4.2 Es ist mit der Vorinstanz zwar festzuhalten, dass die drei Vorhalte gegen den Beschwerdeführer «eng miteinander verknüpft» sind. Indessen betrifft der zu beurteilende Fall nicht eine andere rechtliche Würdigung ein und desselben Lebensvorgangs im Sinne der zitierten bundesgerichtlichen Rechtsprechung. Vielmehr lassen sich die Tatvorwürfe, welche auf unterschiedlichen Lebenssachverhalten beruhen, klar gegeneinander abgrenzen. Einerseits wurde dem Beschwerdeführer vorgeworfen, er habe zufolge Mangels an Aufmerksamkeit beim Rückwärtsfahren einen anderen, korrekt geparkten Personenwagen übersehen und eine Streifkollision mit diesem verursacht, was zu einem Sachschaden geführt habe (Anklage-Ziffer 1). Andererseits wurde ihm vorgeworfen, nach der Kollision seine gesetzlichen Pflichten als Schadenverursacher nicht wahrgenommen zu haben, indem er dem Geschädigten nicht sofort seinen Namen und seine Adresse angegeben unverzüglich die Polizei verständigt habe (Anklage-Ziffer 3). Schliesslich wird ihm vorgehalten, sich von der Unfallstelle entfernt und am Wohndomizil Alkohol getrunken zu haben (Anklage-Ziffer 2). Die angeklagten Tatvorwürfe, welche auf unterschiedlichen Lebenssachverhalten beruhen, lassen sich damit entgegen der Vorinstanz klar gegeneinander abgrenzen. An diesem Ergebnis ändert nichts, dass die Lebenssachverhalte Teil eines übergeordneten Gesamtgeschehens bilden (vgl. Urteil 6B_1203/2021 vom 12. Januar 2022 E. 1.4).»
Weiter führte das Bundesgericht aus, die Strafbarkeit wegen Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit hänge gemäss Art. 91a Abs. 1 SVG nicht von einer Verkehrsregelverletzung ab. Die Bejahung der Tatbestandsmässigkeit von Art. 91a Abs. 1 SVG setze voraus, dass der Täter in einen Unfall verwickelt sei. Dabei werde nicht etwa verlangt, dass er bei seiner Verwicklung in einen Unfall Verkehrsregeln verletzt habe. Insofern sei der vorinstanzlich angesprochene Fall nicht mit der vorliegenden Fallkonstellation vergleichbar (E. 2.4.3).
Das Bundesgericht kommt sodann zum Schluss, dass die erste Instanz das Verfahren betreffend die Vorhalte gemäss Anklage-Ziffern 1 und 3 aufgrund der eingetretenen Verjährung (d.h. eines Prozesshindernisses gemäss Art. 329 Abs. 1 lit. c StPO) unter Beachtung des Prinzips der Formstrenge (vgl. E. 2.3.4) gestützt auf Art. 329 Abs. 4 und 5 StPO hätte einstellen müssen. Eine Berufung auf die Sperrwirkung des Grundsatzes «ne bis in idem» sei aufgrund des Vorliegens unterschiedlicher Lebenssachverhalte vorliegend ausgeschlossen. Indem die Vorinstanz das Vorgehen der ersten Instanz hinsichtlich der unterlassenen teilweise Verfahrenseinstellung geschützt habe, habe sie Bundesrecht verletzt (E. 2.1.4).
Im Weiteren liege in den vorinstanzlichen Ausführungen ein direkter Schuldvorwurf betreffend den Vorhalt gemäss Anklage-Ziffer 1. Die Vorinstanz halte fest, dass betreffend die Vorhalte gemäss Anklage-Ziffern 1 und 3 weder eine Einstellung des Verfahrens noch ein Freispruch erfolgt sei. Mangels rechtskräftiger Verurteilung sei folglich im vorinstanzlichen Verfahren betreffend die Vorhalte gemäss Anklage-Ziffern 1 und 3 die Unschuldsvermutung zu wahren gewesen (vgl. E. 2.3.5). Zwar urteile die Vorinstanz im angefochtenen Urteil nicht über den Vorhalt gemäss Anklage-Ziffer 1. Indem sie jedoch bei der Beurteilung des Vorhalts gemäss Anklage-Ziffer 2 erwäge, es sei erstellt, dass sich der Unfall wie in der Anklageschrift (d.h. in Anklage-Ziffer 1) beschrieben zugetragen habe, erhebe sie gegen den Beschuldigten der Vorwurf, er habe am 29. März 2018 den unter Anklage-Ziffer 1 beschriebenen Verkehrsunfall «verursacht» und dadurch Verkehrsregeln durch Mangel an Aufmerksamkeit verletzt. Mit dieser Argumentation verletze die Vorinstanz die Unschuldsvermutung betreffend den Vorhalt gemäss Anklage-Ziffer 1 (E. 2.4.5).
Die Vorinstanz werde nach der Rückweisung prüfen müssen, ob eine Beurteilung des Vorhalts gemäss Anklage-Ziffer 2 unter Beachtung des Anklagegrundsatzes und der Unschuldsvermutung (betreffend die einzustellenden Anklage-Ziffern 1 und 3) möglich wäre (E. 2.4.6).
3. Heisst das Bundesgericht eine Beschwerde gut und weist es die Angelegenheit zur neuen Beurteilung an das Berufungsgericht zurück, darf sich dieses von Bundesrechts wegen nur noch mit jenen Punkten befassen, die das Bundesgericht kassierte. Die anderen Teile des Urteils haben Bestand und sind in das neue Urteil zu übernehmen. Irrelevant ist, dass das Bundesgericht mit seinem Rückweisungsentscheid formell in der Regel das ganze angefochtene Urteil aufhebt. Entscheidend ist nicht das Dispositiv, sondern die materielle Tragweite des bundesgerichtlichen Entscheids. Die neue Entscheidung der kantonalen Instanz ist somit auf diejenige Thematik beschränkt, die sich aus den bundesgerichtlichen Erwägungen als Gegenstand der neuen Beurteilung ergibt. Das Verfahren wird nur insoweit neu in Gang gesetzt, als dies notwendig ist, um den verbindlichen Erwägungen des Bundesgerichts Rechnung zu tragen (BGE 143 IV 214 E. 5.2.1, S. 220).
Wegen dieser Bindung der Gerichte ist es diesen wie auch den Parteien, abgesehen von allenfalls zulässigen Noven, verwehrt, der Beurteilung des Rechtsstreits einen anderen als den bisherigen Sachverhalt zu unterstellen die Sache unter rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen, die im Rückweisungsentscheid ausdrücklich abgelehnt überhaupt nicht in Erwägung gezogen worden sind (BGE 143 IV 214 E. 5.3.3, S. 222).
4. Im vorliegenden Neubeurteilungsverfahren ist daher das Verfahren betreffend die Anklage-Ziffern 1 und 3 einzustellen. Prozessgegenstand bildet – erneut – nur noch die Frage einer allfälligen Verurteilung wegen Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit, wobei die bundesgerichtlichen Erwägungen zu berücksichtigen sind.
IV. Sachverhalt und rechtliche Würdigung
1. Sachverhalt
1.1. Für die allgemeinen Ausführungen zur Beweiswürdigung kann auf das Urteil vom 23. August 2022 verwiesen werden (III.2.). Ebenso kann darauf verzichtet werden, sämtliche Beweismittel erneut wiederzugeben, waren diese doch im erstinstanzlichen Urteil korrekt und vollständig aufgeführt worden (Urteil Obergericht III.3. bzw. Urteilsseite der Vorinstanz [US-VI] 7 ff.).
1.2. Vorliegend wird das Verfahren betreffend die Anklage-Ziffern 1 und 3 (Vorhalte der Verletzung der Verkehrsregeln durch Mangel an Aufmerksamkeit und des pflichtwidrigen Verhaltens bei Unfall), die den Unfall schildern, bei dem am 29. März 2018, zwischen 17:15 Uhr und 17:45 Uhr, in [Ort], Parkplatz, der Personenwagen VW Golf, SO-[...], Halter B.___, beschädigt wurde, eingestellt. Die Einstellung kommt einem Freispruch von diesen Vorhalten gleich, womit der Sachverhalt diese beiden Anklageziffern betreffend nicht erstellt ist.
1.3. Indem die Anklageschrift in Ziffer 2, dem einzig noch zu beurteilenden Vorhalt, den in Ziffer 1 umschriebenen Unfall aber zu einem Teil des Sachverhalts erklärt, verursacht sie eine aufgrund der Einstellung unzulässige Bezugnahme auf nicht mehr überprüfbare Sachverhaltselemente.
1.4. Aufgrund der Beweislage einzig erstellt ist, dass der Beschuldigte am 29. März 2018, als er bei sich zu Hause von der Polizei aufgesucht wurde, angab, getrunken zu haben, und deshalb eine Urin- und Blutentnahme erfolgte. Das forensisch-toxikologische Gutachten ergab sodann eine Blutalkoholkonzentration von 1.55 Gewichtspromille (Aktenseite [AS] 32 ff.).
2. Rechtliche Würdigung
2.1. Für die rechtlichen Ausführungen zur Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit gemäss Art. 91a Abs. 1 SVG kann an dieser Stelle wiederum auf das Urteil vom 23. August 2022 verwiesen werden (IV.1. und 3.1).
2.2. Es ist vorliegend nicht erstellt, dass der Beschuldigte in den Unfall mit dem beschädigten VW Golf, SO-[...], involviert war. Daher kann ihm auch nicht vorgeworfen werden, er habe realisiert, dass sich eine Kollision mit Sachschaden an einem anderen Fahrzeug ereignet habe, und er habe durch das Verlassen der Unfallstelle seine Meldepflicht (Art. 51 SVG) verletzt. Zwar hat der Beschuldigte durch den von ihm geltend gemachten Nachtrunk die Ermittlung der Blutalkoholkonzentration für den Unfallzeitpunkt verunmöglicht; da ihm der Unfall aber nicht zur Last gelegt werden kann, fällt auch dieser Tatbestand dahin. Letztlich hätte der Beschuldigte, wenn er nicht in den Unfall verwickelt war, auch nicht mit der Anordnung einer Massnahme zur Feststellung der Fahrunfähigkeit rechnen müssen. Der Tatbestand von Art. 91a Abs. 1 SVG ist folglich nicht erfüllt und der Beschuldigte ist vom Vorhalt der Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit freizusprechen.
V. Kosten und Entschädigung
1. Bei diesem Verfahrensausgang gehen sämtliche bisherigen Verfahrenskosten (erste Instanz CHF 1’591.40, Berufungsverfahren CHF 1'290.00) zu Lasten des Staates. Auch die Kosten des Neubeurteilungsverfahrens (mit einer Urteilsgebühr von CHF 1'000.00, total CHF 1'080.00) hat der Staat zu tragen.
2. Gemäss Art. 429 Abs. 1 StPO hat die beschuldigte Person, wenn sie ganz teilweise freigesprochen das Verfahren gegen sie eingestellt wird, Anspruch auf eine nach dem Anwaltstarif festgelegte Entschädigung ihrer Aufwendungen für die angemessene Ausübung ihrer Verfahrensrechte, wobei beim Anwaltstarif nicht unterschieden wird zwischen der zugesprochenen Entschädigung und den Honoraren für die private Verteidigung (lit.a); Entschädigung der wirtschaftlichen Einbussen, die ihr aus ihrer notwendigen Beteiligung am Strafverfahren entstanden sind (lit. b); Genugtuung für besonders schwere Verletzungen ihrer persönlichen Verhältnisse, insbesondere bei Freiheitsentzug (lit. c). Die Strafbehörde prüft den Anspruch von Amtes wegen. Sie kann die beschuldigte Person auffordern, ihre Ansprüche zu beziffern und zu belegen (Abs. 2). Seit dem 1. Januar 2024 steht der Anspruch auf Entschädigung nach Absatz 1 lit. a neu ausschliesslich der Verteidigung zu, wenn die beschuldigte Person eine Wahlverteidigung mit ihrer Verteidigung betraut hat, unter Vorbehalt der Abrechnung mit ihrer Klientschaft. Gegen den Entschädigungsentscheid kann die Verteidigung das Rechtsmittel ergreifen, das gegen den Endentscheid zulässig ist (Abs. 3).
2.1. Aufgrund der Einstellungen und des Freispruchs ist dem Beschuldigten bzw. seinen früheren Rechtsvertretern eine Entschädigung für sämtliche Verfahren zuzusprechen.
2.2. Im erstinstanzlichen Verfahren wurde der Beschuldigte durch Rechtsanwalt Roland Winiger vertreten. Rechtsanwalt Winiger machte einen Aufwand von 17.15 Stunden geltend, wobei die erstinstanzliche Hauptverhandlung noch nicht berücksichtigt war. Dafür ist ihm zusätzlich eine halbe Stunde zu vergüten. Der Aufwand ist angemessen. Die Entschädigung für das erstinstanzliche Verfahren beträgt damit CHF 5'463.10 (17.65 Stunden à CHF 280.00, Auslagen von CHF 130.50 und 7.7 % MwSt. von CHF 390.60) und ist Rechtsanwalt Winiger nach Art. 429 Abs. 3 StPO direkt zuzusprechen.
2.3. Im Berufungsverfahren (STBER.2021.110) wurde der Beschuldigte durch Rechtsanwalt Camill Droll vertreten. Er machte einen Aufwand von 9.75 Stunden geltend, was ebenfalls angemessen ist. Damit beträgt die ihm zuzusprechende Entschädigung für das Berufungsverfahren CHF 2'879.70 (9.75 Stunden à CHF 270.00, Auslagen von CHF 41.30 und 7.7 % MwSt. von CHF 205.90).
2.4. Im Neubeurteilungsverfahren wurde der Beschuldigte nicht mehr anwaltlich vertreten. Der Beschuldigte machte keine Entschädigung geltend und eine solche ist mangels Aufwendungen (der Beschuldigte reichte ausser einer Fristerstreckung keine Eingabe ein) auch nicht angezeigt. Daher wird ihm keine Parteientschädigung zugesprochen.
Demnach wird in Anwendung von Art. 329 Abs. 4 und 5, Art. 406 Abs. 2, Art. 416 ff., Art. 428 Abs. 1 und 3, Art. 429 Abs. 1 und 3 StPO erkannt: 1. Die Vorhalte der Verletzung der Verkehrsregeln durch Mangel an Aufmerksamkeit (AnklS. Ziff. 1) sowie des pflichtwidrigen Verhaltens bei Unfall (AnklS. Ziff. 3), beides angeblich begangen am 29. März 2018, sind verjährt. Das Verfahren betreffend diese Vorhalte wird eingestellt.
2. A.___ wird vom Vorhalt der Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit, angeblich begangen am 29. März 2018 (AnklS. Ziff. 2), freigesprochen.
3. Für das erstinstanzliche Verfahren wird dem vormaligen privaten Vertreter des Beschuldigten, Rechtsanwalt Roland Winiger, eine Entschädigung von CHF 5'463.10 (inkl. Auslagen und MwSt.) zugesprochen, zahlbar durch den Staat Solothurn nach Rechtskraft dieses Urteils.
4. Für das Berufungsverfahren wird dem vormaligen privaten Vertreter des Beschuldigten, Rechtsanwalt Camill Droll, eine Entschädigung von CHF 2'879.70 (inkl. Auslagen und MwSt.) zugesprochen, zahlbar durch den Staat Solothurn nach Rechtskraft dieses Urteils.
5. Für das Neubeurteilungsverfahren wird A.___ keine Parteientschädigung zugesprochen.
6. Sämtliche Kosten (erste Instanz, Berufungs- und Neubeurteilungsverfahren) von total CHF 3'961.40 gehen zu Lasten des Staates Solothurn.
Rechtsmittel: Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Erhalt des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist beginnt am Tag nach dem Empfang des begründeten Urteils zu laufen und wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Art. 78 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich. Im Namen der Strafkammer des Obergerichts Der Präsident Die Gerichtsschreiberin Werner Schmid |
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